Who's afraid of Bogeyman? von abgemeldet (Wer hat Angst vorm schwarzen Mann) ================================================================================ Kapitel 1: Ein guter Tag ------------------------ Es war ein kühler Morgen. Doch der strahlendblaue Himmel ließ vermuten, dass heute ein extrem heißer Tag werden würde, an dem sich nicht eine einzige Wolke vor sie Sonne schieben würde. Das würde eigentlich jeden glücklich machen, nicht wahr? Ein wunderschöner Tag um auf Klassenfahrt zu fahren! Ich dachte nicht so. Es kotzte mich jetzt schon an, dass ich unbedingt mitfahren musste. Eine ganze Woche mit meiner Klasse am Arsch der Welt und noch dazu so heiß. Ich mochte den Regen viel lieber, er passte wohl auch besser zu mir. „Shady?“ Ich sah müde auf. Mein kleiner Bruder sah mich aus seinen nussbraunen Augen an und grinste, als ich reagierte. Er grinste immer, wenn ich ihn ansah. Wahrscheinlich tat er es, weil ich es nicht tat, aber wer wusste das schon. „Was ist denn los, Monster?“ Jeder nannte ihn so, ich allen voran. Er war aufgeweckt, hilfsbereit und so ziemlich das genaue Gegenteil von mir. Ich hatte nie einen dreisteren Menschen gesehen als ihn, genau das hatte ihm diesen Spitznamen eingebracht. Dreist und frech. Auch den Lehrern schien es sehr entgegenzukommen, ihn Monster nennen zu können. Doch eigentlich war es mir egal. Am Anfang hatte ich mir einen Spaß daraus gemacht, ihn zu ärgern, auch mit Erfolg. Aber inzwischen war es einfach normal, beinahe so, als hätte er gar keinen anderen Namen mehr. „Du bist schon wieder zu spät!“, rief Monster jetzt und drückte mir meinen Rucksack in die Hand. Ich seufzte und setzte ihn auf, dann nahm ich meine Tasche, die er mir schon hinhielt. Manchmal konnte er sich ja schon ganz niedlich benehmen, der Kleine. Er reichte mir sogar meine Gitarrentasche. Meine E-Gitarre würde in meinem Zimmer auf mich warten, bis ich zurückkam, doch meine Akustik würde ich mitnehmen, ganz ohne Gitarre ging dann doch nicht. Nicht für mich. Ich strich ihm mit einer fahrigen Bewegung durchs Haar und seufzte noch einmal. „Stell dich nicht so an! Ich würde mich freuen, wenn ich mit meiner Klasse auf Klassenfahrt fahren könnte! Dann wäre ich nämlich nicht hier!“ Er zeigte auf den Boden auf dem er stand und ich wusste, dass er unser gemeinsames zu Hause meinte. Ich nickte verstehend. Um ehrlich zu sein, ich wollte auch nicht, dass er hier war. Ok, der Junge war 15, das ist das Alter, in dem ich nächtelang nicht mehr nach Hause gekommen war und mich mit meinen Kumpels herumgetrieben hatte. Inzwischen gab es aber zu diesen Leuten keinen Kontakt mehr und ich verbrachte so viel Zeit wie möglich zu Hause. „Lass dich nicht fertigmachen, Kleiner!“, riet ich ihm und kassierte dafür einen Schlag gegen den Hinterkopf. Wieder verfluchte ich innerlich die Tatsache, dass mein kleiner Bruder ganze 11cm größer war als ich. Damit hatte ich jegliche Autorität vor ihm verloren. Aber wozu sollte ich sie schon brauchen. Ich knurrte selten zurück, wenn er mich ärgerte. Ganz selten „Sag, Shady…“, sagte er gerade, während er mich aus dem Haus begleitete, „Du kommst doch zurück, nicht wahr?“ Er klang etwas verunsichert. Ich sah ihn an. Sein Blick war auf den Boden gerichtet und traurig. „Natürlich komme ich zurück, Kleiner!“, sagte ich leise, „Sehe ich so aus, als würde ich für immer an diesem verdammten See bleiben wollen?“ Monster sah auf und grinste mich an. „Und, vermisst du mich schon?“, knurrte ich trocken. Da lachte er los. Das war mein Ziel gewesen. Ihn ablenken von dem Thema, über das ich so ausführlich nachgedacht hatte. Ich hatte wirklich darüber nachgedacht, nicht wiederzukommen. Aber wäre das nicht unfair gewesen? „Dich vermissen? Wer würde schon einen so negativ eingestellten Emo vermissen!“ Ich nickte nur. Er hatte ja recht. Mit einer langsamen Bewegung zerrte ich die Kapuze meiner Seatjacke über meinen Kopf. Negativ eingestellter Emo? Das war ich, mit Leib und Seele… vielleicht. Mit der Selbsteinschätzung hatte ich es nicht so Ein Bus fuhr an uns vorbei, rief mich aus meinen Gedanken zurück und brachte Monster dazu fluchend zur Bushaltestelle zu sprinten. „Dir eine schöne Zeit!“, brüllte er mir zu und sprang dann in den Bus hinein. Ich hob zum Gruß die Hand, aber ich glaubte nicht, dass er es noch gesehen hatte. Hinter der Bushaltestelle, auf einem großen Parkplatz, wartete der Reisebus. Er würde mich und den Rest meiner Klasse, der nach und nach eintrudelte, an jenen abgelegenen See irgendwo im Grünen bringen. Ich freute mich nicht sonderlich auf diese Zeit, eher gesagt war ich schon total angepisst. Ich stiefelte auf die offenen Türen des Reisebusses zu. Dann schwenkte ich ab und ging zu der Lehrerin, Frau Wendiger, die neben dem Kofferraum stand. Wer wollte schon seine Tasche mit in den Bus schleppen, das machte alles nur unnötig enger. „Guten Morgen, Joel!“, sagte Frau Wendiger zu mir und am Liebsten hätte ich ihr jetzt schon auf die Füße gekotzt, „Ein Wunder, dass du pünktlich bist und nicht wie sonst immer eine Viertelstunde zu spät. Freust du dich etwa auch auf die Klassenfahrt?“ „Mindestens genauso sehr wie auf die nächste Mathearbeit!“, antwortete ich gleichgültig und warf meine Tasche zu den anderen. Dann ging ich an ihr vorbei und stieg in den Bus. Ich wusste, dass ihr Blick auf meinem Rücken ruhte und besorgt war. Ich war ihr Sorgenkind. Ich war eigentlich das Sorgenkind von allen. Immer nur am Scheißebauen und nie gut drauf. Na ja, was soll’s! So war ich eben. Es lag in meiner Natur nie das zu tun, was diese Frau sagte. Nein, das stimmt nicht ganz. Es lag in meiner Natur alles aus resignierten Augen zu sehen und einfach in einem apathischen Sein abzusitzen ohne irgendetwas zu tun. Dabei hatte ich eigentlich gar nichts gegen sie. Sie war eine gute Lehrerin und immer um das Wohl aller bewusst. Aber gerade deswegen mochte ich sie nicht. Sie erwartete von allen, so perfekt zu sein, wie das eben von einem Schüler verlangt wurde. Ich war es nicht. Im Bus war es dunkel und schon jetzt stickig. „Bleibt die Luft hier so schlecht?“, fragte ich den Fahrer ruhig. Er sah von seiner Zeitung auf und schüttelte dann nachsichtig lächelnd den Kopf. Beinahe als wäre ich ein kleines Kind. Vielleicht war ich das ja. „Wenn der Motor an ist, können wir auch die Klimaanlage einschalten!“, versprach er und ich nickte und ging weiter. Nach dem hellen Licht der aufgehenden Sonne war ich hier im Bus beinahe blind. „Shady! Hier, hier hinten!“ Ich hob den Kopf und konnte eine Gestalt ganz hinten im Bus wie wild mit den Armen fuchteln sehen. Das musste Cherry sein. Der einzige Mensch, der mich noch anstrahlte. Ich schlurfte durch den ganzen Bus, ohne die Schüler darin zu beachten. Seltsame Blicke trafen mich. Meine Güte, als wäre ich der einzige, der heute schlechte Laune hatte und trotz der Hitze in Kapuzenjacke herumrannte. Cherry grinste mich an. Sie war mal wieder wunderschön, wie eigentlich immer. Jedes Mal, wenn ich sie sah, verschlug es mir beinahe die Sprache. Aber das merkte sie nie, da ich eh nicht viel sagte. Ihre schwarzblonden Haare hatte sie ausnahmsweise in einem Pferdeschwanz gebändigt statt sie wie sonst immer frei über die Schultern fallen zu lassen und sie lächelte mich auf diese umwerfende Art und Weise an, wie es eben nur Cherry konnte. „Guten Morgen, Shady! Du siehst so aus, als hättest du mal wieder unglaublich gut geschlafen!“, meinte sie spöttisch und klopfte auf den Platz neben sich. „Ich hab mein Müsli verschüttet!“, erwiderte ich einsilbig und ließ mich brav in der letzten Reihe am Fenster nieder. Sie wusste, dass das mein Lieblingsplatz war und hatte ihn mir extra freigehalten. So ein guter Mensch! Ich dachte oft darüber nach, warum ich mich nie in sie verliebt hatte, wie es eigentlich alle Jungen taten. Doch ich fand einfach keine Antwort. Und so genoss ich ihre Anwesenheit eben einfach als die eines guten Freundes. „Bogey müsste auch gleich kommen!“, meinte Cherry und sofort sank meine Laune auf den bisherigen Tiefpunkt des heutigen Tages. „Bloß nicht!“, knurrte ich und seufzte entnervt. Bogey fehlte mir gerade noch, dabei war dieser Tag doch bisher auch schon scheiße gewesen, da musste der doch nicht auch noch kommen. Wieso tat er mir nicht einfach den Gefallen und brach sich mal ein Bein? Es war ja schon schlimm genug, dass ich hier war. „Jetzt sei nicht so!“, rief Cherry und lächelte hintergründig, „Er ist schließlich dein bester Freund!“ Ich widersprach nicht großartig. Warum sollte ich mit ihr diskutieren? Das war nun wirklich Ansichtssache! Ich persönlich konnte Bogey nicht ausstehen. Er hatte den Charakter einer giftigen Schlange und war so launenhaft, dass man sich nie sicher sein konnte, wie er reagieren würde. Auf was auch immer. Eigentlich reagierte er immer aggressiv und übellaunig, suchte ständig Streit. Sich streiten war insgesamt sein liebstes Hobby. Und Bogey und Shady -also ich- das war wie Tag und Nacht. Gut, vielleicht eher wie Nacht und noch tiefere Nacht. Ich gebe gerne zu, dass Bogey und ich und vom Charakter her eigentlich prima verstehen müssten. Beide waren wir launenhaft, ständig schlecht drauf und konnten eine ganze Menge Sachen überhaupt nicht ab. Aber wir eckten ständig aneinander an und stritten uns eigentlich ununterbrochen. Wenn mir denn auch nach Streit zumute war. Aber genau das machte uns zu so guten Freunden, dachte ich, da hatte Cherry schon recht. Mir würde halt etwas fehlen, könnte ich nicht ständig böse Blicke mit Bogey wechseln. Aber niemals würde ich auch nur daran denken das zuzugeben. „Bogey, komm hier her!“, brüllte in diesem Moment Cherry los und ich zuckte zusammen. Sie hatte wirkliche eine ganz brutale Art einen aus den Gedanken zu holen. Schon schlurfte Bogey durch den Gang und alle Köpfe beugten sich weg, wo er gerade entlangging. Man sah es ihm schon an, Bogey hatte miserable Laune, wahrscheinlich noch schlimmer als ich. Das machte ihn nur noch unberechenbarer und aggressiver. Eigentlich hatte jeder in dieser Klasse auch so schon verdammt Schiss vor ihm -wenn man Cherry und mich mal außen vorließ- aber heute schien er überhaupt nicht daran interessiert einen von ihnen auf seine aggressive Art fertig zu machen, wie er es sonst zuallererst tat, wenn er kam. Heute schlurfte er nur missmutig durch den Gang und ließ sich widerstandslos von Cherry neben sich auf einen Sitz zerren. Ich hatte es irgendwie am Liebsten, wenn er saß. Denn Bogey war größer als ich. Und es ließ sich recht schlecht streiten, wenn man, um dem anderen in die Augen zu sehen, nach oben schauen musste. „Guten Morgen, Bogey… deine Laune ist ja auch großartig!“, rief Cherry und grinste ihn an. Keine Ahnung, wie sie es mit uns beiden aushielt. Ihre Freude war unverwüstlich und wir schoben täglich schlechte Laune. Ich noch mehr als Bogey es tat. Bogey sah mich durch die Strähnen seines Ponys hindurch an, ohne auf Cherrys spitzen Kommentar einzugehen. „Hi!“, sagte er eisig, „Ich hatte gehofft, dass du stirbst anstatt mitzufahren!“ Cherry boxte ihn in die Seite und sah ihn wütend an. Ich hingegen sah ihn eher resigniert an. Manchmal fragte ich mich ernsthaft, warum ich ihm diesen Gefallen nicht schon längst getan hatte. Genügend Gründe hatte ich dazu ja. „Die Freude ist ganz meinerseits!“, murmelte ich dann und wandte meinen Blick meinem iPod zu, während ich die Kopfhörer in meine Ohren unter der Jacke und den Haaren steckte. „Meine Güte!“, stöhnte Cherry und sank in ihrem Sitz zurück, „Ihr seid einfach unfassbar! Seht euch doch mal an!“ Sie seufzte und musterte uns nacheinander. „Vans, Röhren, Sweatjacken, Kapuzen aufgesetzt und schwarze Haare über den Augen. Beide graue Augen und megaschlechte Laune. Man könnte meinen ihr seid Klone!“ „Wir sind von Grund auf unterschiedlich!“, widersprach Bogey und ich lehnte mich zurück und überließ ihm die Diskussion mit Cherry. Aber ich musste schon zugeben, in diesem Punkt hatte Bogey vollkommen Recht. Wir WAREN unterschiedlich, mehr als das. Da Cherry den äußerlichen Aspekt genannt hatte, ging Bogey auch sofort darauf ein. „Shady ist blass wie ne Leiche und ich nicht, er hat rechts nen Lippenpiercing, ich links, er hat noch ne Cappy auf. Und äußerliches ist eh nicht alles! Ich bin das Böse in Person und Shady ist einfach nur…langweilig!“ Wieder einmal hatte er den negativsten Begriff für mein Verhalten herausgesucht. Depressiv hätte es vielleicht eher getroffen. Langsam streckten die anderen Schüler ihre Köpfe in den Gang und sahen zu uns nach hinten. Es war immer wieder faszinierend zuzusehen, wie Bogey ausflippte. Und wenn er sich über Cherry aufregte, blieben seine Wutausbrüche immer im geregelten Ausmaß, sodass man es sich getrost ansehen konnte. „Ach was!“, meinte Cherry gerade lächelnd und tätschelte Bogey über die Kapuze, was sich nie jemand außer ihr getraut hätte, „Ihr seid gleich störrisch und seht nie das positive. Und ihr liebt alle beide eure kleineren Geschwister abgöttisch, außerdem seid ihr alle beide mir Sicherheit absolut schwul!“ Ich fuhr hoch. „Bitte was?“, brüllte Bogey und sprang auf. Es wurde totenstill im Bus. Eine solche Bemerkung hatte sich noch keiner geleistet. Selbst Cherry nicht. Doch bevor die Situation eskalieren konnte, hatte sich unsere Lehrerin vorne im Bus des Mikros bemächtigt und rief nun ihre Befehle: „Hinsetzen, Mund halten, anschnallen, leise sein! Wenn wir auf der Autobahn sind könnt ihr euer… Gespräch weiterführen!“ Bogey setzte sich widerwillig hin und schnallte sich an, aber sein Blick sprach Bände. Cherry machte es ihm nach, mit einem feinen Lächeln auf den Lippen. Immerzu lächelte sie, als hätte ihr Mund noch nie Trauer gesehen. Ich schnallte mich nicht an, ich hatte da keine Lust zu und starrte nun schweigend aus dem Fenster. In diesem Moment ging die Tür noch einmal auf und ein helles Klingen erklang, als ein schwarzhaariger Junge in den Bus sprang. „Ok, hört mal alle her!“, rief unsere Lehrerin, „Wie ich bereits angekündigt habe, fährt auf die Klassenfahrt der neue Schüler mit, damit ihr ihn gleich alle kennenlernen könnt!“ Ohne großes Federlesen nahm der Neue ihr das Mikro aus der Hand und grinste in die Runde. „Hallo Leute, mein Name ist Kevin Hermans. Ich freue mich natürlich auf ne geile Zeit mit euch!“ Er reichte der Lehrerin das Mikro zurück und hielt Ausschau nach einem freien Platz. Es war nur noch ein einziger frei, ein Raunen ging durch die Klasse. Der Platz neben Bogey. Manch einer bemitleidete den Neuen jetzt schon. Andere waren einfach nur froh, dass es so immer unwahrscheinlicher wurde, dass sie das Ziel seines Hasses wurden. Ich musterte ihn, während er durch den Bus auf uns zukam und sich zielstrebig auf den freien Platz neben Bogey setzte, völlig ahnungslos natürlich. An beiden Chucks, die der Neue trug, hingen kleine Glöckchen, die bei jedem Schritt hell klingelten. Er trug graue Röhrenjeans und ein schwarzes Bandshirt, außerdem hatte er zwei Piercings in der Lippe. Er war viel größer als ich, auch größer als mein Bruder. Und zu meinem Erstaunen auch größer als Bogey. Irgendwie tat es mir gut, das zu wissen. Trotzdem ging mir Junge mit seinem ständigen Gebimmel irgendwie jetzt schon voll auf die Nerven. Ich wandte meinen Blick aus dem Fenster und beobachtete, wie der Bus langsam anfuhr und den Parkplatz verließ. „Hey!“, sagte der Neue gerade ahnungslos wie er war zu Bogey. Der ließ ihn gar nicht erst anfangen irgendetwas zu sagen, sondern fuhr ihn direkt an: „Halt die Schnauze, Tinkerbell, ich bin gerade nicht in der Stimmung dich fertig zu machen! Aber Gnade dir Gott, wenn du mich noch einmal ansprichst!“ Tinkerbell, Glöckchen. Ein treffender Name für diesen Jungen, ich würde ihn ab jetzt auch so nennen. Cherry knuffte Bogey in die Seite und schnallte sich und ihn ab. Dann schob sie ihn zu mir rüber und setzte sich selbst neben Tinkerbell. „Lass dich davon nicht stören, er ist schlecht drauf!“, sagte sie und lächelte, „Man kann sich dran gewöhnen! Wo kommst du denn her?“ Schon hatten die beiden sich in ein Gespräch verwickelt und ich sah gelangweilt zu Bogey hinüber. „Was gibt’s da so dumm zu schauen?“, knurrte er und sah mich Streit suchend an. Aber mit mir wollte er sich also streiten, ja? Es würde eine lange Fahrt werden. Genug Zeit, um noch lange die Schweigenummer durchzuziehen. Ich war nicht sehr erpicht darauf, mich mit Bogey zu streiten. Aber ich würde ihm wohl diesen einen Gefallen tun. „Na ja… ich denke, du bist außer Form!“, sagte ich und zog den Reißverschluss meiner Gitarrentasche extra langsam auf. „Außer Form?“, fragte Bogey fassungslos nach. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ich auf eine so plumpe Provokation so bereitwillig einging. Es brauchte normalerweise viel mehr, um mich zu reizen. Ich war auch nicht gereizt, also nickte ich ruhig auf seine Frage. „Du verschaffst dir keinen Respekt mehr, früher warst du noch nicht so… so… mir fehlt das richtige Wort dafür! So nachgiebig?“ „Ich und nachgiebig?“, ging Bogey direkt an die Decke, er war in seinem Element, „Vergiss es! Jeder ist mal angepisst, du bist doch das beste Beispiel dafür! Du…“ Weiter kam er nicht, denn Cherry zwickte ihn. „Bogey! Die Fahrt hat gerade erst angefangen, streitet euch später!“ „Vergiss es!“, knurrte Bogey. Wenn er ihr jetzt nachgab, war das eine Blöße vor mir, das konnte er sich nicht leisten, irgendwie erfüllte mich dieser Gedanke mit grimmiger Genugtuung. Also wandte der übelgelaunte 17jährige seine Aufmerksamkeit zu Cherry und stritt sich mit ihr. Tinkerbell lehnte sich zurück und sah hinter den beiden her zu mir. „Seid ihr immer so?“, fragte er und zog die Augenbrauen hoch. Ich nickte. Wäre ja auch irgendwie nicht ganz richtig, wenn ich abstreiten würde, dass wir uns eigentlich immer zofften. Oder besser gesagt, dass Cherry und Bogey sich immer stritten und ich immer schlecht gelaunt war. Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder der Gitarre zu. „He, willst du mich jetzt ignorieren?“, rief Tinkerbell mir entrüstet zu. Ich sah wieder zu ihm hinüber. „Nur weil du neu bist bedeutet das noch lange nicht, dass ich an einem Gespräch mit dir interessiert bin!“, fauchte ich. Mussten mich eigentlich heute alle nerven? Erst Bogey, jetzt Tinkerbell und da kam auch schon Frau Wendiger auf uns zugesteuert. Wirklich nicht mein Tag! „Hör mal, keine Ahnung wie du heißt und was dein Problem ist… eigentlich das Problem von euch allen! Aber ich hab dir gar nichts getan, klar! Also sei nicht gleich so eingeschnappt!“ Da hatte ich mir wohl mal wieder einen neuen Feind gemacht. Tja, war mir eh egal. Eigentlich kommunizierte ich nur mit Cherry und notgedrungen auch Bogey. Ich hatte aufgehört, mich in die Gesellschaft zu integrieren und Freunde zu suchen und zu finden. Und wie es aussah, vermisste mich auch keiner. Ich zerrte einen zerknüllten Zettel aus der Tasche und pinnte ihn mit einer Sicherheitsnadel an den Sitz vor mir. Es war ein Lied von mir, mein Lieblingslied. Dann suchte ich mir ein Plektron und begann zu spielen. Einen kurzen Moment lang zog ich die Aufmerksamkeit von Tinkerbell, Bogey und Cherry auf mich, dann wandten sie sich wieder ab. Aus mir unerfindlichen Gründen hatten Cherry und Bogey aufgehört zu diskutieren. Bogey starrte nur missmutig auf seine Hände. Das wunderte mich ein wenig. Bogey starrte nie irgendwo hin und tat nichts! Seine Augen standen nur äußerst selten still. Und Cherrys siegessicherer Blick ließ mich vermuten, dass Bogey aufgegeben hatte. Das passte so gar nicht zu ihm. Bogey liebte es, sich zu streiten. Es war für ihn ungefähr so, wie andere Leute Basketball spielten oder Bilder malten. Ein Hobby. Ich hätte ihn gerne gefragt, das ihn bedrückte. Denn das war meine erste Vermutung. Leider war ich sein liebster Streitpartner und konnte es mir nicht leisten, ihn zu fragen. Es würde ihn… enttäuschen. Außerdem hatte ich mir das Image aufgebaut, mir wäre eh alles egal. Eigentlich schade. Ich wandte mich wieder meinen Noten zu. Cherry erklärte Tinkerbell gerade, dass er sich von uns beiden nicht stören lassen sollte, da unser Lieblingssport der Streit war. Ich sagte nichts dazu. Sie wusste ebenso gut wie ich, dass ich mich nur Bogey zuliebe stritt. Ich mochte es nicht, mich zu streiten, aber auch ich kam nicht darum herum, wenn er mich immer wieder mit irgendetwas konfrontierte. Anders konnte man mit Bogey nun mal nicht in Kontakt treten. Sein liebstes Argument, um mich zu reizen, war, dass mein Bruder nicht auf sich selbst aufpassen konnte und ich das tun musste. Ich seufzte leise. Keine Ahnung, warum mich das so wütend machte. Monster war um einiges selbstständiger als ich. Vielleicht regte es mich so auf, weil es genau umgekehrt war? Weil ich nicht auf mich aufpassen konnte? In diesem Moment hätte ich wirklich gerne eine geraucht. Aber dann hätte mich Frau Wendiger einfach mitten auf der Autobahn aus dem Bus schmeißen lassen und da hatte ich jetzt wirklich keine Lust drauf. In diesem Moment knackte es und etwas knallte gegen meine Hand. Mir war eine Gitarrenseite gerissen und sie hatte sich wie eine Peitsche gegen meine Hand geschlagen und einen roten Streifen hinterlassen, der zu allem Überfluss auch noch zu bluten begann. Eigentlich ein ziemlich gutes Gefühl. Wenn man sich verletzte wurde man von seinen kreisenden Gedanken abgelenkt. Aber ich hatte keine Ersatzsaiten mit. Wieder seufzte ich und packte die Gitarre wieder weg. Heute war definitiv ein Scheißtag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)