Sternchensuppe von Berrii ================================================================================ Kapitel 22: Lügen ----------------- In den nächsten Wochen änderte sich das gesamte Klassengefüge. Da Lukas sich von allen anderen abspaltete, wurde er zur neuen Zielscheibe und Nino war sprachlos bei dem, wie weit es Marcel und die anderen auf die Spitze trieben. Er war es ja gewohnt, das sie ihn verhöhnten, wo sie nur konnten. Doch für Lukas, der einfach nichts sagte und sich von ihren Kommentaren auch nicht aus der Fassung bringen ließ, fuhren sie ganz andere Geschütze auf. Sie drangsalierten ihn, warfen seine Sachen aus dem Fenster und zum Schluss wurden sie ihm gegenüber handgreiflich. Und dabei wussten sie gar nichts von ihm. Sie hatten einfach ein Problem damit, das er sich von ihnen getrennt hatte und nicht sagen wollte, was bei ihm so los war. Die restlichen Jungs wirkten wie eine Horde wild gewordener Affen, die nur darauf warteten, ihn in einem Moment anzutreffen, wo sie ihn verprügeln konnten. Selbst die Mädchen fanden das nicht mehr witzig und so gab es in der Klasse zwei Lager. Die wilde Meute Jungs und den Rest, der einfach nur noch Ruhe haben wollte. Und dazwischen saß Lukas, der alles kommentarlos hinnahm. Als er eines morgens mit einem blauen Auge aufkreuzte, platzte Laurin der Kragen. Es erst wenige da und es waren ausschließlich die Ruhigen. „Warum wehrst du dich nicht?!“, Laurin klatschte die Hände auf Lukas seinen Tisch und schaute ihn fragend an. „Lass mich in Ruhe. Ich hab schon mal gesagt, das es dich nichts angeht.“ „Was soll das? Glaubst du etwa, du hättest das verdient?“ Lukas sah an ihm vorbei: „Ich sagte, es geht dich nichts an.“ Grummelnd ließ Laurin von ihm ab: „Du Idiot. Irgendwann prügeln sie dich krankenhausreif.“ Kaum hatte er seinen Satz gesagt, drehte er sich um und musterte den anderen. Krankenhausreif? Krankenhaus? Kim? Er dachte nach. Sein Blick fiel auf Lukas seinen Unterarm, der sorgsam verbunden war. Konnte das sein? Wollte Lukas verletzt werden, um sich wiederum von Kim versorgen zu lassen? Laurin wusste, das er sowas nicht fragen konnte. Lukas war viel zu stolz, als das er auch nur ein Wort über Kim und seine Beziehung zu ihm verlieren würde. Nachdenklich setzte er sich zu Nino. Vielleicht war es an der Zeit, die andere Seite zu befragen. Am Nachmittag nutzte Laurin es direkt, das Nino mit seiner Mutter einen größeren Einkauf machte und fuhr auf gut Glück zum Krankenhaus. Vielleicht fand er ja den so offensiven Krankenpfleger. Zunächst wollte er auf der Unfallstation nachschauen, dort, wo Nino auch gelegen hatte. Doch keine Spur von dem großen Azubi. Grübelnd knabberte Laurin an seiner Unterlippe und folgte den Fluren einfach quer durchs Krankenhaus, von einer Station zur nächsten. Vielleicht hatte er grade auch gar keine Schicht? Resignierend verließ er das Krankenhaus wieder und zog seinen Zipper zu. Es war kühl geworden. „Oh, wen haben wir denn da?“, flüsterte ihm jemand ins Ohr. Laurin bekam eine Gänsehaut. Ruckartig drehte er sich um und ging gleich einen Schritt auf Abstand. Kim sah ihn spöttisch an: „Na, Angst?“ Ein Grinsen huschte über Laurins Lippen: „Nein, ich wahre nur die Etikette. Schließlich sind wir beide vergeben.“ Überrascht hielt der Größere inne und blinzelte kurz: „Hm... Das wird er dir wohl kaum so gesagt haben.“ „Nein.“ „Was machst du hier?“, Kim schaute ihn neugierig an und zog aus seiner Tasche eine Wasserflasche, „Jemanden besuchen?“ Der andere schüttelte den Kopf: „Ich wollte zu dir.“ Überrascht ließ der andere die Flasche sinken, aus der er gerade einen Schluck trinken wollte: „Zu mir? Wieso das?“ „Wegen Lukas. Weißt du, woher seine ganzen Verletzungen kommen?“ Kims Miene verfinsterte sich: „Ich wusste doch, das er mich anlügt.“ „Was hat er dir gesagt?“ Grummelnd setzte sich Kim auf die Parkbank hinter ihnen und stellte die Flasche zurück in seine Tasche: „Das sie allesamt vom Kickboxen kommen. Oh man ey... Wie kann man nur so stolz und dumm sein...“ Der Krankenpfleger fuhr sich durch sein Haar und schaute zu Boden: „Er hat so viele Hämatome am ganzen Körper und alle unterschiedlich alt. Sein linker Unterarm ist leicht gestaucht und er hatte eine Platzwunde am Schienbein.“ Bei dem Ausmaß staunte Laurin. Er hatte nicht geahnt, das Lukas so viel einzustecken hatte. „Heute kam er mit einem blauen Auge zur Schule.“, berichtete er Kim und setzte sich neben ihn. „Dieser Idiot. Warum verprügeln sie ihn? Ich kann mir nicht vorstellen, das sie von mir wissen.“ „Sie haben eine Nachricht von dir vorgelesen. An dem Tag fing es wohl an. Lukas war nicht da, aber sein Handy hat vibriert. Einer ging an das Handy und hat es dann vorgelesen. Aber alle sind davon ausgegangen, das du ein Mädchen bist.“ „Ja, bei Kim kann beides dahinter stecken...“ „Jedenfalls hat Lukas dem anderen gedroht ihm die Arme zu brechen, wenn er sich nochmal an seinem Handy bedient. Er hat sich von den anderen abgeschottet und das gefällt denen wohl nicht. Sie haben ihn quasi zum neuen Opfer benannt und hacken nur noch auf ihm rum. Werfen seine Sachen rum, auch aus dem Fenster und verprügeln ihn. Dabei sagt er aber nichts. Er wehrt sich nicht, meldet sie nicht, er macht gar nichts! Er will sich auch nicht helfen lassen.“ Ein Seufzen entwich Kim: „Er ist so ein Trottel. Immer nur auf hart machen, aber einen butterweichen Kern haben.“ „Er sagte, ihr seid kein Paar.“, entgegnete Laurin und lehnte sich zurück, „Wobei ich es so schon mehr als komisch finde, das er überhaupt etwas mit dir hat. Was mich im Übrigen auch ziemlich neugierig macht.“ Kim lachte kurz und lehnte sich ebenfalls zurück, um nach oben in den Baum zu schauen, der hinter ihnen in den Himmel ragte. „Anfangs waren wir das auch nicht.“, er legte eine kleine Pause an, „Er kam, um Nino Hausaufgaben zu bringen und hatte den Kleinen angepöbelt. Nino saß vollkommen bleich und eingeschüchtert im Bett, da hab ich Lukas hinaus befördert. Naja, nicht ganz hinaus.“ Er kratzte sich kurz am Hinterkopf und grinste wieder: „Ich wollte ihn eigentlich nur ärgern und hab ihn mit in ein Bad genommen, was sonst nie jemand nutzt.“ Laurin hob eine Augenbraue: „Du hast dich an ihm vergangen?“ „So würde ich es nicht unbedingt ausdrücken. Ich hab ihn nur ein wenig gestreichelt.“, kicherte der andere, „ Jedenfalls hab ich ihn wirklich nur kurz geärgert, bis er einen Ständer hatte. Ich hab ihn dann alleine gelassen und dachte, das er nach hause gehen würde. Ich bin zur Übergabe gegangen, hab danach meine Sachen geholt und bin zurück zu dem Bad, da ich mich da immer umziehe.“ „Und er war noch da?“, Laurin schaute neugierig zur Seite. Der andere nickte. „Lukas saß noch immer da und er hatte diesen Blick drauf...“, Kim wirkte schon leicht verträumt, während er sich erinnerte, „Du weißt schon, dieser notgeile Blick, gemischt mit der absoluten Hilflosigkeit, weil er total überfordert war mit der Situation.“ „Klingt nach einer abgefahrenen Mischung.“, die Vorstellung von einem willig guckenden Lukas behagte ihm irgendwie nicht. „Ich bin rein, hab abgeschlossen und da klebte der schon an mir. Ich würde es selbst nicht glauben, wenn ich es nicht erlebt hätte.“ „Ernsthaft? Er hat dich überfallen?“ Kim nickte: „Volles Programm. Naja, bis zu einem gewissen Grad.“ „Das heißt?“ „Du bist ganz schön neugierig, Laurin.“ Der Jüngere grinste ebenfalls: „Du erzählst doch eh gerne. Und ich kann schweigen.“ „Ist das der Beginn einer Freundschaft?“, gluckste Kim und piekste den anderen in die Seite. „Wenn du deine Finger bei dir lässt, gerne.“ „Okay.“, bestätigte der Größere lachend. Erwartungsvoll blickte Laurin ihn wieder an. Kim rollte grinsend mit den Augen und stützte seinen Kopf auf einen aufgestellten Arm ab: „Er hat mir die Zunge in den Hals geschoben und mir in die Hose gegriffen. Mich hat noch nie jemand so dominiert, das musste ich ihm lassen. Aber ich lasse mir das halt nur bis zu einem gewissen Grad gefallen.“ „Du hast ihn nicht wirklich in dem Bad genagelt?“ Ein zufriedener Laut entwich Kim: „Und wie. Ich musste ihm den Mund zuhalten. Er hatte wohl vorher schon Sex mit Mädchen gehabt, aber sein Hintern war Jungfrau.“ Laurin ließ den Satz auf sich wirken. Irgendwie grotesk. Lukas war einer dieser Sorte Jungs, die sich von niemandem etwas sagen ließen, er hatte ein für sein Alter durchaus breiten Rücken und wirkte alles andere als devot. Aber wenn man ihn Kim gegenüber stellte, ergab es eine interessante Mischung. „Ich hätte vielleicht doch nicht fragen sollen.“, bemerkte er und schaute auf seine Füße, weil er nicht wusste, was er nun mit dieser Information anfangen sollte. „Ach was. Ich denke nicht, das du so verklemmt bist, das du kein Gespräch über Sex führen kannst.“, Kim griff nun wieder nach seiner Wasserflasche und trank ein paar Züge, „Außerdem ist es doch schön, wenn man mit jemandem über sowas reden kann.“ „Wie ging es bei euch weiter?“ „Hm... Nachdem er recht erschöpft auf meinem Schoss saß und mit der Situation überfordert war, bin ich mit ihm duschen gegangen. Und er hat sich ausgekotzt. Was ihm alles zu viel war, das er das nicht verstand... Dieser ganze Trubel rund um die Erkenntnis, das ihm der Sex sehr gefallen hatte. Er kam irgendwie nicht damit klar. Ich hab mit ihm geredet und geredet... Meine Hände waren vom Wasser schon total verschrumpelt! Irgendwann hatte ich ihn so weit, das er mit zu mir ist. Da hab ich dann weitere geschlagene zwei Stunden mit ihm immer und immer wieder den selben Mist durchgekaut.“ „Mit welcher Erkenntnis endete es?“ Kim hob eine Augenbraue: „Es endete im Bett. Wir kamen bei dem Gespräch nicht weiter. Wir tauschten Nummern und trafen uns immer wieder. Aus seiner Sicht wohl einfach nur, um endlich dieses Gespräch zu beenden. Aber irgendwie landeten wir immer wieder im Bett. Oder in der Dusche, auf dem Boden... Ich hatte noch nie jemanden, der so kompliziert ist.“ Vor Laurin tat sich eine ganz neue Welt auf. Lukas wirkte immer mehr wie ein extrem anstrengender, sehr fordernder Partner. „Irgendwann vor ein paar Wochen stand er wieder vor meiner Tür, mit der Platzwunde am Schienbein. Natürlich hab ich die Wunde versorgt und natürlich endete es wieder im Bett.“, er seufzte, „Pardon, Sofa.“ „Wichtiges Detail.“ „Aber er blieb diesmal und war plötzlich so handzahm.“, schwärmte der Größere und lächelte, „Sonst ist er immer nach dem Sex gegangen. Aber von da an war er so anders. Kuschelbedürftig, würde ich fast sagen.“ „Das liegt jenseits meiner Vorstellungskraft.“, kommentierte Laurin nüchtern. „Ich weiß. Er bleibt auch trotz dessen noch eine riesige Zicke. Und wehe, ich mache was, was ihm nicht passt. Dann droht er mir sofort.“ Nun musste der andere grinsen: „Klingt als würde er dich doch dominieren, auch wenn du der Stecher bist.“ Kim zuckte mit den Schultern: „Mag sein. Wobei ich seine Grenzen auch sehr gerne ausreize.“ „Und jetzt seid ihr ein Paar? Oder irgendwas zwischen Paar und Affäre?“ „Es ist nichts ungebundenes mehr, aber eine richtige Partnerschaft ist es auch nicht.“, nachdenklich sah Kim wieder hoch, „Es wird wohl in einer richtigen Beziehung enden, denn es wird immer ernster. Ich würde mit keinem anderen etwas machen und er sieht es wohl auch so. Wir verbringen viel Zeit miteinander und am Wochenende ist er meistens bei mir. Und ich mache mir Sorgen um ihn.“ „Das muss aufhören mit der Prügelei.“, sagte Laurin mit fester Stimme. „Die Frage ist nur, wie du das in seinen Dickschädel hämmern willst. Wie du ja eben selbst festgestellt hast, ist er extrem dominant, er lässt sich gar nichts von mir sagen.“ „Ich bin mir sicher, dir fällt irgendwas ein.“, der Jüngere erhob sich von der Bank und ließ sein Skateboard zu Boden rutschen. „Vielleicht. Mal sehen...“, er zog einen Kugelschreiber aus seiner Brusttasche und griff nach Laurins Hand, auf der er eine Nummer schrieb, „Damit wir in Kontakt bleiben können. Aber lass ihn das nicht wissen, sonst dreht er noch ab.“ Laurin grinste: „Er weiß, das ich Nino habe, also muss er nicht eifersüchtig sein.“ „Hast du eine Ahnung, was er für Launen hat. Es wird ihm einfach nicht passen, das ich mit dir über ihn geredet habe.“, auch er stand auf und nahm seine Tasche, „Ich werd ihm einfach bei Zeiten mal stecken, das ich mit dir und Nino auch Kontakt habe. Dann geht er schon nicht auf die Barrikaden.“ Laurin nickte und hob zum Abschied kurz die Hand: „Bis dann.“ Am nächsten Schultag erwartete Laurin eine seltsame Überraschung. Es war Marcel, der mit blutiger Lippe den Klassenraum betrat. Ein paar Minuten später betrat auch Lukas die Klasse. Sein Gesichtsausdruck spiegelte seine äußerst gereizte Laune wieder. „Hat er sich endlich gewehrt?“, wisperte Kathrina. Nino staunte und antwortete leise zurück: „Scheint wohl so...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)