be my magician von Magical_Yaku ================================================================================ 1997: Die Geschichten der Wolken (4) - Die andere Seite der Wolken 1 -------------------------------------------------------------------- VIII. 1997 – 2009 Die Geschichten der Wolken (4) 1997 – Die andere Seite der Wolken 1 Wolken am Himmel. Zwischen den Baumkronen spielen weiße Lichtflecken. Wenn sie den Kopf in den Nacken legte, konnte sie den Himmel spüren. Er musste grau sein. Ein intensives helles Grau, das fast blendete. Eben noch hatte Master Zenon gesagt, sie solle nicht alleine herum laufen, aber kaum dass er ihre Hand hatte losgelassen, war sie ihrem Drang gefolgt, sich umzusehen. Die Erwachsenen waren so sehr in ihr Gespräch vertieft gewesen, dass sie ihr Verschwinden nicht bemerkt hatten. Ein bisschen hatte sie das enttäuscht. Sie hatte erwartet, dass ein Mann wie Zenon French aufmerksamer war. Wie lange würde es brauchen, um sie wiederzufinden? Und wenn sie jetzt davon liefe, wie lange würde es brauchen, um sie wiederzufinden? Doch sie lächelte nur über diesen Gedanken. Eigentlich machten sie ihr nichts aus – der Ort, an dem sie von jetzt an leben würde, die Menschen, mit denen sie zusammen leben würde und dieser graue britische Himmel, den sie heute zum ersten Mal fühlte. Es war gut so. Langsam schritt sie über den Hof. Er war weit und hell, aber die Präsenz der alten Gebäude zu drei Seiten war trotzdem überwältigend. Master Zenon hatte extra eine Zeit gewählt, um sie herzubringen, zu der für gewöhnlich nur wenige Leute hier unterwegs waren. Doch das Mädchen war sich sicher, dass egal, wie bunt das Treiben auf dem Hof wurde, diese uralten Steine würden nie ihre ruhige und ehrwürdige Eleganz verlieren. Ewigkeit. Sie blickte wieder auf. Aber diesmal nicht in den Himmel, sondern eine Mauer empor und ein Schauer rann ihr über den Rücken. Das musste es sein. Etwas bestimmt für die Ewigkeit. Sie streckte die Fingerspitzen und berührte die Steine. Die berühmte Ewige Bibliothek. Vielleicht kümmerte es sie doch ein wenig. Dass der Ort, an dem sie von jetzt an leben sollte, erst einige hundert Meilen weiter nördlich war. Und es wunderte sie, wie ihr Herz bereits an etwas hängen konnte, dem sie eben erst begegnet war. Sie lief weiter. Strich mit ihren Fingern die Wand entlang. Eine lange Wand mit vielen hohen Fenstern. Es hieß, dass die Glasscheiben früher je nach Laune der Bibliothek das Licht in verschiedenen Farben reflektiert haben sollten. Vielleicht war deswegen der Hof so weit und hell. Um die Farben sehen zu können. Tief in ihre Gedanken versunken folgte sie glücklich einem runden Abschnitt der Mauer, die sie schließlich zur Rückseite führte, wo heute weder Sonne noch Wind hinreichten und es bis auf den Geruch von feuchtem Gras totenstill war. Bis sie plötzlich einen Lufthauch bemerkte und seltsame Geräusche, die viel zu nahe kamen, noch bevor sie sie zuordnen konnte, und etwas stieß sie von vorn zu Boden. Doch … »Ah …«, hörte sie jemanden keuchen. »Ent… Entschuldigung …« Es war die Stimme eines Jungen, noch jünger als sie selbst. »Ich hab nur was Gruseliges gesehen und bin weggerannt …« »Nicht so schlimm«, antwortete sie und rappelte sich auf. »Es war ja nichts, das dich verfolgen könnte, oder?« »Ich denke nicht …«, antwortete er etwas zögerlich und warf vorsichtshalber einen Blick hinter sich. »Dann ist jetzt alles wieder gut«, lachte sie ihn an und legte ihre Hand auf seinen Kopf. »Ich bin Yuukyuu. Aber du kannst mich Yuu nennen. Und wie heißt du?« »Mint« murmelte er, während er sie weg schob. Doch sie war hartnäckig und griff stattdessen seine Hand, die immer noch zitterte. »Es ist okay. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Wenn es um Monster geht, bin ich sehr stark.« Er betrachtete sie etwas grimmig. Sie war selbst nur ein Kind und gab schon so an. Aber immerhin war sie schon einen ganzen Kopf größer als er und trug leuchtend rote ausländische Sachen und sie hatte genauso kalte Hände wie seine Mutter immer und die war wirklich stark, wenn es um Monster ging. Bevor er wirklich wusste warum, hatte er sich etwas beruhigt. »Hat das mit den Monster was … mit deinen Augen zu tun?« Er schielte hinauf zu dem schwarzen Band, was sie um die Augen gebunden trug. »Das? Ja, so ist es«, grinste Yuu, nicht ganz ohne Stolz. »Aber weißt du«, unterbrach sie dann. »Lass uns auf dem Weg reden.« »Auf dem Weg?« »Mh. Ich hab mich verlaufen und du bringst mich zurück zu Master Zenon.« »Ah. So ist das also«, brummte Mint und setzte sich in Bewegung, zog sie hinter sich her hinaus aus den Schatten. »Kannst du nicht sehen oder …?« begann er erneut. Der Himmel hatte etwas aufgeklärt und Yuu genoss die Sonnenstrahlen, die jetzt ihr schwarzes Haar wärmten. »Ich kann.« »Aber …« »Ich darf nur nicht. Weil … sie sagen, dass alles, was ich sehe von dieser Welt verschwindet.« Mint betrachtete sie skeptisch. »Wie soll denn das gehen?« Das Mädchen zuckte nur mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber es hat schon bei meiner Großmutter angefangen und meine Mutter hatte es auch, deswegen werden sie wissen, wovon sie reden …« »Hmmm …« Sie hatten bereits die Hälfte des Hofes überquert. »Willst du denn gar nicht sehen?« »Natürlich würde ich gerne, aber …« Sie stoppte. Etwas in seinem Tonfall hatte merkwürdig geklungen. Viel zu ernst. Und etwas in seinem Blick verunsicherte sie. »Welche Farbe haben deine Augen?« »Grün. Aber du weißt ja gar nicht wie das aussieht.« »Sogar ich hab etwas Fantasie …«, entgegnete sie irritiert. Etwas stimmte nicht mit ihm. »Du kannst mir ja darüber erzählen. Was für ein Grün?« »Hmm« machte er. »Es ist wie die Sonne, die durch ein dünnes Laubblatt scheint.« »Ha! Das hört sich an wie ein hübsches Grün!« »… Ist es aber nicht.« Mint blieb stehen. Sie hatten die große Holztür erreicht, durch die Yuu aus dem Hauptgebäude gekommen war. »Master Zenon wird bald hier sein und dich abholen.« »So …« Sie hielt inne, als er ihre Hand losließ und sich anschickte, einfach zu gehen. »Woher … Magst du nicht hier mit mir warten? Du könntest mir noch mehr erzählen, über die Bibliothek zum Beispiel.« Doch statt einer Antwort erhielt sie nur einen flüchtigen Blick der grünen Augen, bevor die Schritte des Jungen sich schnell entfernten und schließlich in den Schatten der alten Gebäude verschwanden. »Was für ein Problem hat der denn?«, murmelte sie ärgerlich vor sich hin. Dann wandte sie das Gesicht wieder Richtung Himmel. Wartete darauf, gefunden zu werden. * Mint dagegen kauerte inzwischen in einer dunklen Nische auf der Nordseite des Hauptgebäudes und sein Herz klopfte unter dem Gedanken, der ihm durch den Kopf ging. Sie konnte nicht sehen. Sie konnte nicht sehen, weil sie ihre Augen verschlossen hatte. Vielleicht konnte er das auch, den Teil seiner Augen verschließen, der diese ganzen hässlichen Dinge sah. Vielleicht konnte er das auch … Er hob den Kopf und betrachtete die Wolken, die grau und langsam über den blauen Himmel zogen, und die Erinnerung an die gerade vergangenen Ereignisse holte ihn ein und erneut durchschüttelte ihn ein Schauder. Oh ja, selbst wenn er dann nicht mehr das Blau hinter dem Grau sehen konnte, es war das Beste diese grausigen Augen zu schließen. Er senkte den Kopf und legte die Handflächen auf seine Augen und um ihn herum wurde es still. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)