The Hellman von Shub_Niggurath (The new Messiah) ================================================================================ Kapitel 4: Rennfeuer -------------------- Die Höllenbewohner verachteten die Menschheit im Allgemeinen. Denn sie waren Schuld für ihre Existenz unter unwürdigsten Bedingungen, Schuld an ihrem Elend, Schuld, dass sie die Kreaturen waren, die der ach so gute Schöpfer hasste, weil sie die Menschen nicht lieben konnten wie er. Schuld, dass sie vom Himmel verstoßen worden waren und nun in ihrer Bewegungsfreiheit und ihren Rechten beschnitten waren. Und das wegen eines Missverständnisses. Was als Sage galt, stimmte – Satan hatte sich geweigert vor dem ersten Menschen, Gottes neuester Schöpfung, niederzuknien und als neuen Herren akzeptieren, doch er hatte nicht wegen Stolz oder Überheblichkeit Ungehorsam geleistet. Er hatte schlicht und einfach keinen anderen Herrn haben neben Gott wollen. Er hatte den Schöpfer so geliebt und seine Macht so verehrt, dass er es nicht akzeptieren konnte neben ihm einen anderen Meiser zu haben, noch dazu einen, der, das sah man aus jeder objektiven Perspektive, Gott bei weitem unterlegen war, Ebenbild hin oder her. Und bedeutete der Befehl vor einem Schwächling niederzuknien nicht, dass sich Gott mit dieser Kreatur gleichstellte? Als Satan dieser Gedanke durch den Kopf gegangen war, zerbrach sein Weltbild. Wie konnte sein stolzer Herr sich mit einem Wesen gleichstellten, das keine paranormalen Fähigkeiten hatte, das nichts anderes als seinen Körper einsetzen konnte, um etwas zu erschaffen. (Und selbst diese Schöpfungen sollten für immer mickrig sein.) Eine Kreatur, die starb, ein neues Phänomen, dass nicht das absolute Verschwinden bedeutete, sondern die Möglichkeit darstellte zum Engel aufzusteigen, ein Privileg, das auch Tieren vorenthalten worden war. Somit stellte dieses Phänomen zwar eine Besonderheit dar, aber auch eindeutig Unterlegenheit. Nein, Satan hatte niemals so einen Schwächling als gleichgestellt mit Gott betrachten können. Leider hatte Gott ihm nicht die Möglichkeit gegeben, seine Beweggründe zu erörtern, er hatte nur einen Treuebruch gesehen, der mit Verbannung bestraft wurde. Also höhlte Gott den Erdkern aus und sperrte Satan mit einigen anderen Ungehorsamen in dieses widerliche Gebiet ein. Als stärkstes Wesen in dieser neuen Sphäre war es selbstverständlich, dass Satan dort herrschen sollte. Doch ein Thron war kein Trost für ein ewiges Leben in dieser Scheiße namens Hölle. Denn Gott hatte ihn nicht nur aus dem Himmel geworfen, dessen Anblick reichte um ein permanentes Gefühl der Zufriedenheit zu produzieren, er hatte ihm verboten die Hölle jemals zu verlassen, das Verlassen der Hölle von Untertanen war durch Vorschriften beschränkt und ihre Bewegungsfreiheit in den anderen Sphären mit zahlreichen Verboten belastet. Dazu erließ Gott noch Regelungen für das Zusammenleben in der Sphäre selbst, die Satan niemals eingeführt hätte und seine Autorität untergruben. Und noch dazu schickte Gott alle Menschen, die nicht in sein Weltbild passten, und deswegen nach deren Tod keine Zutrittserlaubnis in den Himmel erhielten und keine Engel werden konnten, in die Hölle, wo sie zu Dämonen wurden. Satan wurde somit verantwortlich für das nächste Leben der Menschen. Und Gott hatte ihm verboten sie anders zu behandeln, als er Gleichgesinnte behandelte. All diese Bestimmungen schürten den Hass Satans, aber nicht nur auf Gott oder nur auf die Menschen, sondern auf alle – eventuell sogar sich selbst. Und dieser Hass färbte auf alle anderen Höllenbewohner ab, selbst auf die Dämonen, die früher Menschen gewesen waren. Und deswegen war es der größte Wünsch der Höllenbewohner die Sphäre der Lebenden, wie sie von nun an genannt wurde, zu vernichten, Gott zu töten und den Himmel zu unterwerfen, die Engel, die nicht wussten, in welch einer Wonne sie lebten, aber trotzdem überheblich auf die Hölle herabblickten, sollten verspüren, wie es war in dieser Qual zu leben. Deswegen war es ihnen auch so wichtig, dass der Messias gefälligst schnell seine Prüfungen ablegte, damit er sich als der erfolgreiche Feldwebel erweisen würde, wie prophezeit worden war. Deswegen musste er von diesem karitativen Weg abgebracht werden, auf dem er seit einem Monat wandelte. Sonst würde er nie unter Kontrolle gebracht werden können, sonst würde es 1000 Jahre dauern, bis er zum idealen Feldherrn der Hölle geworden war. Und dann hatte der Himmel wahrscheinlich ebenfalls seinen eigenen Messias. Er brauchte also Druck und Anstoß von einer dritten Person, um auf den richtigen Weg zu kommen. Leider konnte Erik der Rote diese Aufgabe nicht selbst übernehmen. Doch einer seiner Schüler konnte. Oder besser: Schülerin. „Versager“, fauchte sie, nachdem ihr Erik er Rote ihr die Lage um den Messias erklärt hatte. „Aber was erwartet man schon von einem Selbstmörder, der nicht einmal genug Eier fürs normale Leben hatte. Pisser, und auf so etwas verlässt sich Euer Hochnäsigkeit?“ „Der Plan der Majestät ist mehr als komplex und alle Faktoren konnte sie nicht im ausreichenden Maße einbeziehen. Die individuelle Entwicklung des Messias ist so einer, urteilt deswegen nicht so abwertend über sie.“ „Ich würde dies nicht tun, wenn ich nicht von Anfang an gegen diese Bester-Feldwebel-Aller-Zeiten-Scheiße wäre. Das mit gottesgleicher Stärker kann sein... aber hallo, nur wegen irgendeiner abnormalen Geburt ohne Fick soll er deswegen wissen, wie man die besten Schlachtreihen aufstellt? Das passt nicht in mein Weltbild. Und ich glaube ich hab recht, schaut man sich diesen Heini mal an, dann sieht man alles andere als ’nen Feldherrn. “ „Nach Ihrer Meinung man aber nicht gefragt.“ „Ich weiß, deswegen war es mir auch egal, was Eurer Hochnäsigkeit macht, bis ich in diese Scheißerei einbezogen werde.“ Erik der Rote seufzte. Er hob den Hut, und sie zuckte zusammen, auch nach siebenhundert Jahren konnte sie sich nicht an den Anblick seiner glühend roten Augen gewöhnen. „Es tut mir Leid, aber dass Ihnen der Messias egal ist, ist uns wiederum egal. Aufgrund Ihrer Fähigkeiten habe ich sie dazu auserwählt den Messias bei seiner Prüfung ein wenig unter die Arme zu greifen. Und wenn Sie sich gegen diesen Befehl wehren, steht ihnen eine Exekution bevor.“ Sie biss sich auf die Lippen. Weiteres um den heißen Brei Reden würde Erik den Roten nur wütend machen, an der Lage allerdings nicht ändern. Widerwillig sagte sie also: „Und was soll ich genau machen? Trainieren? Böse Zureden? Liam Warrick so verprügeln, dass ein Blitzchen aus des Messias Hand reicht um ihn zu killen?“ „Nein, Liam Warrick muss aufgrund des Messias Kraft getötet werden. Ansonsten ist Ihnen jede freie Bewegung innerhalb der Gesetze erlaubt.“ „Das heißt, mir ist nur verboten Liam Warrick zu töten.“ „Überhaupt gegen ihn anzutreten.“ Sie verdrehte die Augen. „Aber mit dem Feigling darf ich machen, was ich will?“ „Abgesehen von seiner Ermordung.“ „Drohen, Foltern, Beschimpfen, Jagen, Verletzen...“ „Alles, außer ihn zu eliminieren.“ Sie grinste breit. So wenig sie von dieser Messias-Legende hielt und so sehr sie es hasste in dieser Sphäre zu sein, wenn man ihr nicht verbat, diesen Selbstmörder-Wichser kräftig in den Arsch zu treten, würde diese Aufgabe doch jede Menge Spaß machen. Und nach einer mühseligen Spionageaufgabe in einem Albenstamm war ihr Spaß mehr als willkommen. „Fein, dann mach ich mal auf den Weg.“ „Brauchen Sie Reisehilfe?“, fragte Erik der Rote, als sie sich auf den Weg aus seinem Büro machte. Sie grinste: „Nein, Sie wissen, ich habe meine spezielle Technik.“ Und die machte verdammt viel Spaß... In der Hölle hatte er keine Möglichkeit gekannt sich Zigaretten zu beschaffen. Woher Lillith ihre her hatte, wusste er nicht, und sie war er nicht gewillt ihm welche zu schenken oder es ihm zu sagen. Und so war das erste Jahr seiner Ausbildung doppelt schlimm gewesen, da sein Verlangen nach Nikotin sich immer wieder zeigte. Danach hatte er sich zum Glück das Rauchen abgewöhnt – oder sich an das Verlangen danach gewöhnt, sodass es ihm nicht mehr auffiel. Nachdem Joshua aber nun zum ersten Mal sein Spiegelbild genau betrachtet hatte, spürte er die Sucht in der Lunge wieder in ihrer vollen Macht. Er brauchte neue Kleidung. Zwar war er fähig, seine alten immer wieder zu reinigen, jedoch wusste er nicht, wie man Löcher stopfen konnte, den Stoff vor Abnutzungen schütze, oder die Farben nicht verblassen ließ („Als Mann braucht man solches Weiberhandwerk nicht zu kennen“, hatte Erik der Rote immer gesagt). Nach einem Monat auf der Erde waren die Klamotten so abgenutzt und zerfetzt, dass er Angst hatte irgendwann nackt in der Öffentlichkeit zu stehen. Zum Glück verdiente er sich noch immer hin und wieder Geld mit seinen „Kunst-Performances“, die ja eigentlich Kämpfe waren, oder bekam durch schlichtes Herumsitzen auf der Straße ein paar Münzen zugesteckt, sodass er sich bald neue Bekleidung kaufen konnte. Nichts teures, aber etwas. Die Stadt schien leider kiltlos geworden zu sein. Das einzige Geschäft, wo er einen fand, hatte so teure Waren, dass er sich den Schottenrock nicht einmal leisten konnte, wenn er zehn Jahre lang auf der Straße bettelte. Dabei waren die, die er sich gekauft hatte, als er noch gelebt hatte, so billig wie eine Jean vom Grabbeltisch gewesen. Was war nur aus dieser Welt geworden? Also blieb ihm nichts anderes übrig als Jeans zu kaufen. Beim Anprobieren hatte er das erste Mal seit fünf Jahren und einem Monat sein Spiegelbild vor Augen. Ein Wunder, dass die Leute nicht die Straßenseite wechselten, wenn sie ihn sahen. Er war nicht mehr so schmächtig wie früher – er hatte nun Schultern, sogar ziemlich breite und einen muskulösen Bizeps, die Bauchmuskeln waren sichtbar und seine Lenden stachen so heraus, wie es die Cheerleader-Tussis immer an den Sportlern geliebt hatten. Dennoch hatte sein Körper noch immer einen femininen Zug. Leider. Das hatte ihn immer an sich gestört, doch wenigstens war die Muskulatur nicht übertrieben ausgebildet, was er genau so abstoßend empfand. Joshua hatte gar nicht gemerkt, dass sein Körper sich so verändert hatte. Aber das belastete ihn kaum – es waren die Narben, die ihn schockierten. Diese vielen Narben, die sich über die ganze Haut zogen. Es gab keine einzige ebene Stelle, nur Spuren von Schwertklingeln, Pistolenkugeln, Monsterzähnen und Peitschenhieben. Und besonders verunstaltet war sein Gesicht. Aknenarben waren nichts dagegen, fast sah er wie ein Brandopfer aus. Schürfungen, geschwulstartige Aufbauschungen und von Stirn bis Kinn, von einer Wange über die andere zog sich zwei riesige Narben, die sein Gesicht wie eine Zielscheibe aussehen ließen. Wieso wechselte niemand die Straßenseite? Vielleicht nahmen die Menschen ihn nicht in all seiner Hässlichkeit wahr. Aber vielleicht hatten so viele paranormale Wesen ihn in so gesehen und hatten deswegen so schlecht auf ihn reagiert. Er war kein optisch fixierter Mensch. Aber der Schock saß dennoch so tief, dass er nach dem Kauf Kette rauchte. Gedankenverloren spazierte er durch die Straßen. Irgendwie fühlte er sich schlecht, weil er innerlich immer die Missgestalten der Hölle verspottet hatte, obwohl er sich nun selbst zu diesen zählen durfte. Er hatte sich immer darüber gewundert, dass die Benutzung von Spiegel Lillith vorbehalten war, doch nun verstand er es. Wahrscheinlich wurden alle Bewohner dieser Sphäre irgendwann depressiv, wenn sie ständig mit ihrem Abbild konfrontiert waren. Er zog sich die Kapuze seines neuen Pullovers ins Gesicht. Der Kapuzenpulli war zwar teurer gewesen, als einer ohne, sodass er sein ganzes Geld für Kleidung ausgeben hatte müssen, doch seine hässliche Fratze zu verbergen schien ihm wichtiger als Geld. Sollte er sich, wenn er wieder Kohle hatte, eine Maske kaufen, für die Zeit in der als Hellman durch die Straßen geisterte? Jetzt jedenfalls nicht. Joshua wurde schlagartig aus seinen Gedanken gerissen, als plötzlich ein Schrei ertönte. Er sah sich. Verbrechen um drei Uhr nachmittags, das war ihm neu... Aber in dieser versifften Gegend hielt er mittlerweile alles für möglich. Schon beim nächsten Schrei erkannte er die Richtung, aus der er kam. Und mal wieder geschah das Drama in einer Seitengasse – am helllichten Tag war das sogar halbwegs verständlich. Halbwegs verständlich war nicht, dass hier gerade ein paranormales Wesen agierte, das er nicht identifizieren konnte. Doch am relativ ignoranten Verhalten Passanten – man wunderte sich nur über das Benehmen der Frau, die gerade angegriffen wurde – war klar, dass nur andere paranormale Kreaturen dieses Wesen sehen konnten. Wieso konnte es dann diese Frau sehen? Sie strahlte nichts Paranormales aus. Egal, er musste handeln. Das Monster, eine anthropomorphe Echse, wollte der blassen Dame gerade seine Kralle in den Bauch bohren und ihr mehr oder weniger die Gedärme rausreißen. Joshua hob eine leere Dose vom Boden auf. Mit einem Fingerschnippen formte sich das Metall in eine Klinge um. Er warf sie. Die Klinge spaltete dem Monster den Schädel. In diesem Moment unterbrach es seine Handlung. Joshua verzog das Gesicht. Schwaches Wesen, wahrscheinlich hätte eine Ohrfeige es erlegt. Es gab keinen Laut von sich. Es blutete auch nicht. Es stürzte zu Boden, wo es wie eine Glasvase in Tausende Scherben zerbrach. Die Frau fiel hin. Ihre Augen waren schockiert aufgerissen und sie atmete laut. Normalerweise ging Joshua einfach, wenn der Gerettete ihn nicht ansprach, doch diese Dame, die ein biederes Kleid aus Leder trug, das aber so spannte und eng anlag, dass es nicht bieder wirkte, schwarze Haare und extrem blasse Haut hatte, hatte etwas so Fragiles an sich, dass Joshua einfach nur fragen konnte: „Ist alles in Ordnung?“ Sie richtete ihren Blick zu ihm. Hektisch nickte sie. Joshua schritt zu ihr und reichte ihr die Hand: „Darf ich dir aufhelfen?“ Die Frau nahm an. Und da spürte er es – sie war paranormal. Nur so schwach, dass man es nicht merken konnte, wenn es keinen Hautkontakt gab. Außerdem klassifizierte er sie als Magiern – einen Menschen, den Dämonen und Engel, Teufel und Gott paranormale Fähigkeiten geschenkt hatten. Erik der Rote hatte diese Lebensform immer als „niedere Kreaturen, die prinzipiell wahnsinnig werden und nie etwas auf die Reihe bekommen“ beschrieben. Aber sie gefiel ihm. Sie war zwar älter als er, aber mit Sicherheit eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. An Lillith kam sie zwar nicht heran, aber man würde mit ihr angeben können. Leider sah er einen Ehering an ihrem Finger. „Bekomme ich gar kein Danke?“, fragte er, trotzdem etwas flirtend. Sie nickte, sagte aber nichts. Das irritierte ihn. „Ich bin Joshua. Wie ist dein Name?“ Sie kramte aus einer Bauchtasche, die genau so schwarz wie ihre Kleidung war und deswegen nicht aufgefallen war, einen Ausweis heraus. Und das irritierte ihn so sehr, dass er den Namen gar nicht las. „Hast du einen Schock?“ Sie schüttelte den Kopf und steckte den Ausweis wieder ein. „Kannst du nicht sprechen?“ Keine Antwort, er deutete das Schweigen als Bejahung. „Ich hab dich aber vorhin schreien gehört. Oder hast du deine Stimme in meinem Kopf projiziert?“ Keine Reaktion, nicht einmal ein Wimpernschlag. Auf einmal wirkte sie nicht mehr so fragil, auch ihre Attraktivität hatte sie einbüßen müssen. Sie machte ihm Angst, mehr noch als ihm die Augen von Erik dem Roten Angst eingejagt hatten. Irgendetwas stimmte mit der nicht. Sie strahlte zwar so gut wie keine Kraft aus, aber Joshua glaubte in ihren Augen etwas schlummern zu sehen, von dem die Welt besser verschont blieb. Er wollte gehen. „Na dann, war schön...“ „TORIIIII!“, schrie eine Stimme. Joshua zuckte zusammen. Erschrocken wandte er sich zu dem blonden, leicht androgynen Typen, der paranormaler nicht hätte sein können. Spürte man seine Kräfte nicht, erkannte man es spätestens an seinen spitzen Ohren. Ein Alb? Joshua hatte noch nie einen Alb gesehen, und hatte sich diese Wesen, die aus der Verbindung von Menschen und Engel entstanden waren, immer erhabener vorgestellt, aber dieser Kerl, der anscheinend einen Pyjama trug, war... eine Witzfigur. An die Dame gewandt, stottert er: „Hast du geschrieen?“ Pause. „Warte, du hast geschrieen? Seit wann... ach was soll’s, du hast geschrieen.“ Dann richtete er seine Augen auf Joshua. „Ein Höllenbewohner?“ Pause. „Wegen dem da? Wollte der Wichser... dir etwas antun?“ Es klang so, als würde er seine Schlussfolgerungen bezweifeln. Doch das hielt ihn nicht davon ab, Joshua vorwurfsvoll den Zeigefinger unter die Nase zu halten. „Du kleiner, mieser... Finger weg von meiner Gattin.“ Nach dieser Aussage grinste er. Gattin? Dabei konnten die beiden nicht unterschiedlicher sein. Joshua fand endlich seine Worte: „Also, ich hab ihr eigentlich das Leben gerettet...“ „Das geht nicht! Tori kann man nicht töten und erst recht muss man sie nicht retten. Du aber hast sie fast umgebracht, Höllenbewohner.“ „Was du da sagst ergibt überhaupt keinen Sinn...“ „Ich geb’ dir gleich..,“ Er holte mit der Faust aus, Joshua war schon bereit zu parieren, doch als seine Frau ihn an der Schulter berührte, zog der Alb sie zurück und wandte sich zu ihr. Es war wohl ziemlich klar, wer in dieser Ehe den Ton angab. „Stimmt das etwa?“ Obwohl sie keine Reaktion zeigte, wusste er durch irgendeinen Grund, dass sie bejahte. Der Alb widmete sich wieder Joshua: „Okay, dann machen wir eben das typische Procedere, warum du hier bist. Ähm... ja, warum befindest du dich in der Sphäre der Lebenden?“ „Ich befinde ich mit der Ausbildung zum General und muss meine erste Prüfung bestehen.“ „Scheiße, das ist legal.“ Diese Aussage hätte er gerne gekontert, aber der Alb ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Das heißt, du warst mal ein Mensch?“ „Ja.“ „Wie lautet dein Auftrag.“ Durfte er darauf antworten? Er entschied sich für die Halbwahrheit. „Ich muss jemanden töten.“ „Wen?“ Er verdrehte die Augen. Nun die ganze Wahrheit: „’Nen Glatzkopf, der Selbstjustiz ausübt.“ „Ach, der. Gut, um den ist eh nicht schade.“ Dann würde es hoffentlich keine Probleme mehr geben. „Wie lautet dein Name?“ „Joshua.“ „Joshua wie? Voller Name bitte.“ Er verdrehte die Augen. Ob dieser Typ am Namen erkannte, wer er war? Wahrscheinlich nicht, jedem Höllenbewohner war Name des Messias schließlich auch nicht geläufig. Oft hatte man ihn ausgelacht, weil man ihn nicht erkannt und gekannt hatte, und erst als man seine „Klassifizierung“ als Messias erfuhr, fielen sie um Vergebung flehend auf die Knie. Also wieso sollte dann jedem paranormalen Trottel auf der Erde die Verbindung zwischen Name und Klassifizierung geläufig sein? Ohne Hemmungen sagte er: „Joshua Nazara.“ Schweigen. Anscheinend vermutete der Typ zumindest etwas. Und was sollte jetzt kommen? Ein Versuch ihn umzubringen, um die Gefahr für die Erde zu eliminieren? Würde diese Witzfigur schreiend davonlaufen? Würde man ihn melden? Eventuell Schleimerei? Nicht davon, der Alb sagte: „Die Sache dauert noch etwas länger, hast du Bock das in einem Diner zu erledigen?“ Joshua seufzte: „Wer seid ihr zwei überhaupt und was gibt euch das Recht mich auszufragen?“ „Sagen wir dir im Diner.“ Er zündete sich eine Zigarette an. Der Typ regte ihn fast so auf, wie sein Spiegelbild. „Und was ist, wenn ich mich weigere?“ „Verhaftung.“ Der wollte ihn verhaften? Diese Witzfigur? – Joshua hatte jedoch keinen Bock auf irgendeinen Ärger und beschloss mitzukommen. Leider landeten sie in einem Diner, wo man nicht rauchen durfte. Auf dem Weg, schaffte es Jonathan sich so von Joshua zu entfernen, dass er kurz seiner Frau etwas zuflüstern konnte: „Das hast du geplant...“ Sie grinste sogar ein wenig. „Aber das nächste Mal, weih mich bitte ein, bevor ich mich so blamiere.“ Toraria seufzte und warf ihm einen Blick zu, der aussagte: „Versau es jetzt ja nicht...“ Die Kellnerin brachte Toraria Letherman, wie der Name der blassen Frau war, einen Kaffee und Jonathan Letherman, der Alb, eine Eis mit viel Schlagsahne. Der Name „Jonathan Letherman“ verwunderte Joshua, denn er hatte immer geglaubt, die Namen der Alben seien von allen menschlichen Sprachen so weit entfernt, wie der Nordpol vom Südpol. Er hatte ziemlich beleidigt reagiert, als Joshua ihm das gesagt hatte. Doch im Laufe des Gespräches würde er noch zugeben, dass sein Geburtsname „Airehilion“ war und das entsprach schon eher seinen Vorstellungen. Joshua hatte kein Geld, weswegen er nur Wasser trank, doch er hatte Hunger und jedes Mal, wenn sein Magen knurrte, starrte er gierig auf das Eis von dem Alb. Er wagte es nicht zu fragen, ob die beiden ihn einluden. „Habe ich das jetzt richtig verstanden?“, sagte er. „Ihr wollt mir nicht sagen, wer oder was ihr genau seid, aber ihr verlangt von mir, dass ich euch jede Frage ehrlich und ohne Umstände zu machen beantworte.“ „Genau“, sagte Jonathan. „Ihr spinnt.“ Pause. „Wieso sollte ich das machen? Obwohl ich keine Ahnung habe, und vermutlich auch keine bekommen werde, was ihr seid, weiß ich genau, dass ihr Subjekte seid, die meiner Sphäre verfeindet sind. Ich bin zwar ein Anfänger, aber nicht naiv, ich weiß genau, ihr würdet mir nur Informationen herauslocken wollen, die mir und meinen Leuten einen Nachteil verschaffen werden.“ Jonathan verdrehte daraufhin die Augen. „Tori, bitte erklär mir einmal, warum die liebe Hölle die Erstantreter ihrer Prüfungen immer mit solchen Informationsdefiziten auf uns los lässt.“ Natürlich bekam er keine Antwort. „Ich meine, das würde doch die Arbeit beider Parteien erleichtern. Die würden nicht paranoid werden, und wir müssten ihnen diese Sache nicht erklären, ohne dabei ständig Angst zu haben, etwas auszuplaudern, das wir nicht erwähnen dürfen.“ „Was für eine Sache?“ Jonathan seufzte: „Vom Friedensvertrag zwischen Himmel und Hölle haste sicher schon einmal gehört?“ Joshua nickte. „Nun, der untersagt ja das Betreten der Sphäre der einen paranormalen Lebensform in die der anderen, ohne bestimmten Grund, und nur ein so genannter Messias-Typ darf die ultimative Kriegserklärung aussprechen.“ Beim Wort Messias-Typ zuckte Joshua sichtlich zusammen, doch zum Glück hatte nur Toraria etwas gemerkt, die nichts erwähnte. Jedenfalls wusste er nun, dass der Alb anscheinend keine Ahnung hatte, dass er dieser Messias-Typ war, sonst hätte er nicht so abfällig über ihn gesprochen. „Das Problem ist aber die Sphäre der Lebenden, auf der Krieg geführt werden darf, wo sich die einzelnen Parteien bekämpfen können und all dieser andere Welche-Muckis-Sind-Die-Schöneren-Scheiße erlaubt ist.“ Diesen Aspekt hatte Joshua zwar noch nie gehört, die Erde wurde in der Hölle, abgesehen von Ausnahmen, wie er selbst, als unantastbar dargestellt, aber er sagte nichts. „Außerdem gibt es dann doch diese eigenartigen paranormalen Lebensformen, wie mich, Tori, Vampire, Werwölfe, Klagegeister, und all die anderen, die der Vertrag nicht einfasst. Sie dürften Kriegserklärungen abgeben, sie können die Ordnung der Sphären zerstören, was ja Gott vermeiden will – verglichen mit Dämonen und Engel ist unsereiner weniger rational, da wir weniger Ahnung von Gott haben, und wir müssen deswegen in Schach gehalten werden.“ Es wunderte Joshua, wie negativ der Alb von seiner eigenen Existenzform sprach. „Dafür gibt es nun eine schicke Einrichtung, der wir, Tori und ich, angehören, um Vertreter aller drei Schichten in dieser Sphäre in Zaum zu halten.“ Es hatte nicht geklungen, als wäre die Erklärung zu Ende. Doch Jonathan redete nicht weiter. Joshua verzog das Gesicht. „Und, weiter.“ „Nichts weiter, mehr dürfen wir nicht sagen. Weder Himmel noch Hölle dürfen genaueres darüber wissen, sonst kommt es zu Spionage, Verrat und solche Sachen, die alles wieder gefährden würden. Man darf nur wissen, dass sie existieren.“ „Ach ja...“ Jonathan ließ Joshua nicht weiterreden. „Aber keine Angst, wir dürfen auch nicht verhören, wie uns der Kragen passt, wir sind auch an Vorschriften gebunden, dürfen zum Beispiel über keine Strategien oder so was ausfragen. Alles nette Fragen, hauptsächlich über Person und Eigenschaften.“ Pause, Jonathan grinste. „Außer wir wollen Freunde werden, dann dürfen wir mehr Fragen. Wollen wir Freunde sein?“ Joshua verzog das Gesicht. „Ich kenne euch seit nicht einmal zwei Stunden...“ Enttäuscht ließ Jonathan die Schultern hängen, und Toraria konnte es sich nicht verkneifen mit den Augen zu rollen. Doch sonst verzog sich kein Gesichtsmuskel. Joshua faszinierte diese Frau immer mehr – und umso mehr Angst jagte sie ihm ein, obwohl sie wirklich nicht sonderlich stark zu sein schien. Selbst diese Witzfigur von Alb übertraf sie bei weitem. „Gut, dann kommen wir später noch einmal darauf zurück. Aber, bist du dabei oder müssen wir dich zum Verhör zwingen?“ Joshua seufzte: „Habe ich denn eine andere Wahl?“ Auch wenn die Bejahung nicht sehr glücklich klang, grinste der Alb breit. „Also noch einmal für das Protokoll, du heißt Joshua Nazara, wegen deiner ersten Prüfung hier, vermutlich erster Antritt, und du musst diesen Plagegeist Liam Warrick umbringen.“ „Korrekt.“ „Das ist ein guter Job, weil er Typ im Prinzip mehr Schaden anrichtet, als er hilft, du nimmst uns damit eine Menge Arbeit ab. Aber ich schweife ab, Todesursache und Todesalter?“ „Selbstmord, achtzehn.“ Auf einmal rechnete der Typ mit den Fingern. „Ich wäre jetzt dreiundzwanzig.“ „Danke. Ausbilder?“ „Erik der Rote.“ „Oh, der soll gut sein, oder Tori?“ Keine Reaktion, aber irgendetwas hatte sich an ihr verändert. „Waffen?“ „Knarre und Schwert.“ „Darf ich mal sehen?“ Joshua sah sich um, das Diner war außer ihnen leer und die Kellnerin war mit telefonieren beschäftigt. Für kurze Zeit konnte er also beides herausholen. Zwar sahen Menschen Discordia als Taschenmesser und Eris als Wasserpistole, aber man wusste nie, von was man noch beobachtet wurde. Er hasste es, wie Jonathan sein Schwert befingerte und sich mit der Pistole spielte. Toraria konnte das nachvollziehen – wenn er ihre nicht vorhandene Mimik richtig einschätzte. „Tolles Ding. Ich meine, das Schwert ist zwar etwas umständlich...“ „Es ist allein mir angepasst.“ „Aber die Pistole ist extrem leicht und... meine Güte, die Kugeln können alles töten, sogar diese widerlichen Vampire. Selbst ein Engel würde davon Wunden wegtragen.“ Deswegen würde Joshua niemals voreilig schießen – er hatte nur diese Salve und keine Ahnung, wo er neue Munition herbekommen konnte. Jonathan gab sie ihm zurück. „Toll, sehr toll. Man setzt wahrscheinlich viele Erwartungen in dich, wenn man dir solche Waffen schenkt.“ Pause. „Wie lange versuchst du schon die Prüfung zu bestehen.“ „Dreiunddreißig Tage, denke ich.“ „Wie lange hast du Zeit?“ „Zwei Jahre.“ „Wo wohnst du?“ „Gasse in den Slums mit einem Penner namens Al, ich hab keine Ahnung, wie sie heißt.“ „Macht nichts, wir finden dich auch so.“ Er kramte in der Tasche seines Pyjama- Hemdes, und fluchte, weil etwas nicht fand, bis Toraria ihm eine Art Metallscheibe unter die Nase hielt. Er errötete. „Danke.“ Jonathan schob Joshua die Platte zusammen mit einer Stecknadel hin. „Bitte kurz in den Finger stechen, dann drei Topfen draufbluten. Für die Identifizierung und objektive Klassifizierung.“ Joshua riss die Augen. Objektive Klassifizierung? Verdammt, durften diese Kreaturen wissen, dass er der Messias war? Obwohl sich sein Magen zusammenzog, sodass sein Hunger verschwand und er am liebsten gekotzt hätte, beschloss er sich so wenig verdächtig wie möglich zu benehmen. Er stach sich in den Finger und blutete auf die Metallplatte, die die Tropfen in sich aufsog. Jetzt konnte er nur noch beten, dass in dieser Sphäre die Klassifizierung „Messias“ gar nicht gekannt wurde. „Und wie finde ich euch?“ Jonathans Grinsen erstarb. „Bitte?“ „Ich will dafür eine Gegenleistung, ich will euch auch jederzeit identifizieren, finden und klassifizieren können.“ „Das heißt, du willst mit uns Freundschaft schließen?“ Joshua verdrehte die Augen. „Nein, ich will euch finden, wissen wer ihr genau seid, eure Fähigkeiten kennen. Mich auf euch berufen können. Gibt es keine Meldungsbestätigung, oder so etwas?“ Jonathan schüttelte den Kopf. Nach so etwas hatte noch nie jemand gefragt. Er war der erste seit seiner Karriere, der ein so großes Drama um das Verhör machte, den anderen Höllenbewohner seiner Klasse war immer alles egal gewesen, sie waren nur geil darauf endlich die Prüfung zu bestehen und in den ersten Rang zu kommen. „Dann gebt mir irgendetwas“, hakte er nach. Jonathan kratzte sich am Kopf. „Nun ja, außer ’ner Adresse, Telefonnummer, E-Mail-Adresse können wir dir nichts bieten. Ich meine, das hat noch kein Anfänger von uns verlangt. Nicht, dass es illegal wäre, aber...“ Toraria hielt plötzlich den Finger auf die Lippen ihres Mannes. Er schwieg daraufhin tatsächlich. Ob sie oft von diesem Trick gebrauch machte? Wahrscheinlich war das Kommende die einzige Fähigkeit die sie hatte und vermutlich eine eher nutzlose, aber Joshua war mehr als dankbar, dass sie diese Gabe hatte. Sie nahm seine Hand. Langsam wurde diese heiß und Joshua hätte vor Schmerzen fast geschrieen, doch er riss sich zusammen. Nur für paranormale Wesen sichtbar, erstrahlte die Stelle, an der sich die beiden berührten, sodass der Rest der Umgebung sich verdunkelte. Ein kühler Wind wehte, doch Joshuas Hand wurde noch heißer. Erst nach fünf Minuten hörte der Schmerz auf. Als sie seine Hand los ließ hatte Joshua eine weitere Narbe mehr – ein Pentagramm auf dem Handrücken, in dessen Mitte zwei Verse in Althebräisch standen. Sie hatte ihm gerade den Schwur geleistet, jedes Mal, solange er sich in der Sphäre der Lebenden befand, zu ihm zu kommen, wenn er ihren Namen rief. Ehrenschwüre leisten können – keine große Fähigkeit, aber manchmal wirklich sehr nützlich. Es war kein Problem in ihren Augen folgenden Satz zu lesen: „Mehr bekommst du nicht.“ Mehr hatte er auch nicht gebraucht. Joshua hatte ja nicht einmal genau gewusst, was er von den beiden hätte verlangen können, damit er wusste, wer und was sie waren, und wie er sich auf sie berufen konnte. Gleichsam schob ihm Jonathan Adresse und Telefonnummer zu. Joshua steckte sie ein und seufzte, ein wenig widerwillig: „Kannst du mir eventuell eine dumme Frage beantworten.“ Jonathan nickte. „Wie schlimm sehen meine Narben eigentlich in deinen Augen aus?“ Schweigen. Anscheinend suchte er nach diplomatischen Worten. „Allgemein hat man entweder Angst vor oder Mitleid mit dir.“ Pause. „Bei mir ist es letzteres.“ Er brachte nicht mehr als „Aha“ heraus. Danach dauerte das Gespräch nicht mehr lange. Toraria redete sowieso nicht und Jonathan war anscheinend unfähig eine Konversation außerhalb der Verhörthemen zu führen. Die Bemühungen um Smalltalk gingen in die Hose und Fragen, wie „Findest du nicht auch, dass die amerikanische Regierung wieder denselben imperialistischen Weg, wie vor zehn Jahren, beschreitet?“, stellen keine Grundlage für ein Gespräch dar, wenn das Gegenüber keine Ahnung von Politik hatte. Aber immerhin stellte diese Witzfigur intelligente Fragen, die man ihm gar nicht zugetraut hatte. Joshua wollte eigentlich nur etwas über Toraria erfahren – doch Jonathan sprach genau so wenig über sie, wie sie über sich selbst. Sprechen konnte sie, das hatte er herausgefunden, sie sprach nur nicht. Keine Begründung, keine Hintergrundgeschichte. Zum Glück musste er nichts zahlen, er konnte einfach gehen. Komische Leute, in der Hölle war ihm die Verrücktheit paranormaler Lebensformen gar nicht aufgefallen, weil der ganze Ort seltsam war. Aber, wenn man glaubte, dass man halbwegs normal ist und sich in einer halbwegs normalen Welt befindet, wirken solche Figuren äußert seltsam. Und auch wenn er sich über die Idiotie des Alben aufgeregt hatte, irgendwie war ihm seine hektische, naive Art sympathisch. Vielleicht würde er sich mal mit ihm auf einen Kaffee treffen, wenn er wieder Geld hatte. „Hab ich mich gut geschlagen?“, fragte Jonathan, als die beiden alleine in dem Diner saßen. Toraria seufzte nur. „Was hast du erwartet? Meine Narbe hat angefangen zu schmerzen, sobald ich den Messias gesehen habe. Ich wäre ihm fast um den Hals gefallen und hätte geschrieen, er solle mich endlich als Apostel akzeptieren, damit die Schmerzen aufhören.“ Pause. „Aber du glaubst nicht, dass er weiß, dass wir alles über ihn wissen?“ Seine Gattin schüttelte den Kopf. Wenigstens konnte man sich auf ihre Ehrlichkeit verlassen. Die Schmerzen ließen langsam nach und Jonathan spielte sich mit der Metallplatte. „Gabriel hat nichts mitbekommen.“ Keine Reaktion. „Gut. Und erfährt auch nichts und krieg die Platte auch nicht.“ Das brauchte keine Antwort. Der Chef sollte, nein durfte, nichts erfahren, bis der Messias Jonathan als Apostel akzeptiert hatte. Dann hatten sie Joshua Nazara unter Kontrolle, dann konnte er sich von der Hölle lösen, dann würde der Krieg zu ihren Gunsten enden. Und auch Gabriel hatten sie unter solchen Umständen in der Hand. Die Hölle hasste die Menschheit im Allgemeinen. Doch am meisten hassten sie die Menschen, die sich mit ihrer eigenen Unfähigkeit nicht abfinden können und versuchten hinter paranormale Geheimnisse zu kommen. Diese widmeten ihr Leben der Aufdeckung von Himmel und Hölle, geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Beweggründe glichen sich aus. Es gab drei Kategorien von Menschen mit so einem Forschungsdrang. Die ersten waren Leute, die einfach nur wissen und das Wissen verbreiten wollten – ihre Neugier wurde früher oder später mit dem Tod bestraft. Die zweite Gruppe waren Leute wie Liam Warrick, die durch Zufall etwas erfahren hatten und nun in paranormalen Lebensformen eine Bedrohung sahen. Sie machten sich selbst zum Ritter und recherchierten, bis sie alle Schwächen, eventuell sogar die Hierarchien von Himmel und Hölle, kannten. Doch das einzige was sie nie erfuhren, war, dass die Menschheit von der paranormalen Lebensform abhing und sich aus ihr herausentwickelt hatte. Solche Subjekte waren mitunter nicht leicht zu vernichten, doch sie richteten nie größeren Schaden als ein paar Leichen an. Die dritte Kategorie war jene von Menschen, die selbst paranormale Fähigkeiten haben wollten. Dies erreichte man am besten, wenn man ein paranormales Wesen beschwor, was aber meistens verheerende Folgen hatte. Entweder brachte der Beschworene den Menschen um, oder der Vertrag, der die paranormale Macht versprach, trieb den Menschen in den Wahnsinn. Meistens. Hin und wieder, vielleicht in einem Fall von einer Million, handelte sich der Mensch einen so wasserdichten und vorteilhaften Vertrag mit dem Beschworenen aus, dass er ohne großen Schaden seine paranormalen Fähigkeiten bekam – diese Menschen waren auch meistens dafür verantwortlich, dass eine Magier-Dynastie gegründet wurde, eine Familie von Menschen, welche sich die selbe Macht wie Dämonen oder Engel einverleiben konnte, welche niemand ihnen wegnehmen konnte, und welche an jeden Blutverwandten vererbt werden konnte. Doch da diese Wunderkinder so selten waren, waren die Beschwörenden zumeist Plagegeister. Sie weckten die Beschworenen aus dem Schlaf, rissen sie aus Unterhaltungen, störten bei der Arbeit, nervten sie mit einer blöden Frage, gafften sie an, sabberten, verloren vielleicht den Verstand. Und unter diesen Umständen konnte man nichts anderes tun, als diesen Wurm einfach den Kopf abzuschlagen und dann wieder seine alte Beschäftigung aufzunehmen. Doch unter Umständen konnten diese Idioten auch ganz nützlich sein. Und Sabine Plainacher wusste genau, welch einen Spaß man mit diesen Trotteln haben konnte. Claudia und Melitta hatten sich nur mit Mühe über Claudias überfürsorgliche Mutter von Leib halten können. Zumindest war ihre Mutter in ihren Augen überführsorglich, aber betrachtete man das Verhalten der beiden Mädchen, das aus Posing mit „satanischen“ Symbolen, Musik und Lebensstil und Mythologien um den Teufel bestand, verstand man das Verhalten der Frau, die keine Ahnung von der Trendwelle hatte. Und mit ziemlicher Sicherheit wäre es besser gewesen, wenn sie an diesem Abend einfach die Tür aufgerissen und „Aus jetzt!“ geschrieen hätte. Die beiden dreizehnjährigen Mädchen hatte im Internet eine Beschreibung gefunden, wie man eine Dämonin namens „Beenie“ beschwören konnte. Beide fanden, dass „Beenie“ zwar kein dämonischer Name war, aber immerhin befand sich das Wort „Bee“ darin, ein Hinweis auf den Herren der Fliegen? Vielleicht war das Wappentier von weiblichen Dämonen ja die Biene. Während Claudia die Kerzen anzündete, las sich Melitta die ausgedruckte Ritualbeschreibung durch. „Ist es schon acht Uhr?“, fragte Melitta nervös. „Fünfzehn Minuten noch. Hilf mir das Feuer zu machen.“ Die beiden schnappten sich einen Papierhaufen und zündeten ihn an. Dabei verbrannte sich Claudia die Finger, was sie „Leiden für Satan“ empfand. Zum Glück gab es in ihrem Zimmer keinen Rauchmelder. Auf die Papierasche stellten sie einen Kessel aus Edelstahl, den Claudia überteuert bei einem Trödler gekauft hatte. Hinein goss sie Wasser und tat Stahlringe hinzu, ebenfalls von diesem überteuerten Händler, während Melitta mit einem schwarzen Filzstift Pentagramme, Zahlen und Worte in einer Schrift auf den Holzboden schrieb, die sie nicht lesen konnte und deswegen für Zierde hielt. Wenn sie gewusst hätten, was sie schrieb, hätte sie wahrscheinlich das Ritual abgebrochen, ehe es begonnen werden konnte. Hoffentlich bestanden alle Gegenstände aus Stahl, denn sonst würde die „Metallherrin“, wie das Cognomen der Dämonin war, nicht erscheinen. „Und jetzt?“, hetzte Melitta. „Du hast es doch gelesen! Setz dich im Schneidersitz mir gegenüber.“ Das Mädchen gehorchte ihrer Freundin. Claudia reichte ihr die Hände und sie nahm sie. „Kannst du en Spruch?“ Melitta nickte. „Und jetzt konzentriere dich. Wenn man nicht ganz bei der Sache ist, dann wird es nicht klappen.“ Sie nickte wieder. Melitta war nervös und hatte irgendwie auch Angst, aber sie würde schon die nötige Konzentration aufbringen können. Sie glaubte an diese Dämonin und sie würde es auch schaffen den Spruch ohne Fehler über die Lippen zu bringen – auch wenn es eine sehr seltsame Sprache war. Der Wecker schlug Punkt acht Uhr. Claudia und Melitta drückten sich fest die Hände und schlossen die Augen. Wie aus einem Mund sprachen die dreizehnjährigen: „Oh, Filia odii! Soror peccati! Audi nos vocare! Assumi hostias! Ascendi ex ferro, ut hic et nunc facinus gerere possis!“ Sie hatte keine Ahnung, was das heißen konnte, doch es klang viel versprechend, es klang böse, sie wollten auch böse sein, so was Mädchen aus der Highschool, vor der sich alle fürchteten, weil sie auch Satan und Dämonen beschwor. Dreimal mussten sie die lateinischen Sätze aufsagen. Danach warteten sie. Melitta verlor ihre Konzentration und öffnete kurz die Augen. Doch dieser Bruchteil einer Sekunde hatte gereicht um das Brodeln im Stahlkessel zu sehen. „Claudy“, flüsterte sie. „Du sollst doch nicht sprechen, du Kuh!“, fauchte sie und schlug sich dann die Hand auf den Mund. Jetzt hatte auch sie die Regeln missachtet. Noch dazu hatte sie die Hände ihrer Partnerin los gelassen. Doch das Entsetzen war nicht mehr nötig. Auch sie sah das Brodeln im Wasser. Beide hatten sich das Ergebnis anderes vorgestellte. Dass vielleicht das Kerzenlicht unnatürlich stark flackerte oder ausging, dass ein kühler Wind wehen würde, dass ein paar Sachen sich verrückten. Doch mit einer so heftigen Reaktion hatten sie nicht gerechnet. Das Wasser kochte regelrecht, schlug Blasen, spritze aus dem Behälter heraus. Melitta zitterte schon, seit ihre Freundin ihr den Plan erzählt hatte und jetzt erwachte auch Claudias Angst. Und beide Mädchen konnten ihre Blase nicht mehr kontrollieren, als plötzlich eine Hand aus dem Behälter geschossen kam. Sie schrieen auf. Claudia krabbelte zu Melitta und umschlang sie. Nie hätte sich eine von beiden denken können, dass dieses Ritual tatsächlich funktionieren würde. Der Hand folgte ein Arm, muskulös, tattooviert, mit Metallkugeln geschmückt, leicht vernarbt und eindeutig weiblich. Die Handfläche berührte den Boden, stemmte sich auf. Plötzlich entstand quasi ein Sturm im Zimmer, die Spielzeuge Claudias wurden durch die Luft gewirbelt, rasten in einer kreisförmigen Umlaufbahn im Zimmer herum. Alles schien plötzlich ein Gesicht zu haben – und die beiden Mädchen zu verhöhnen. Das Geschrei der Mädchen wollte nicht enden. Es folgte ein zweiter Arm, der sich ebenfalls aufstütze. Aus eigener Kraft drückte sich aus dem kleinen Behälter ein Frauenkörper heraus. Erst Kopf, dann Oberkörper, dann Unterleib und Beine. Und so stand sie vor ihnen – splitterfasernackt überragte sie breitbeinig und mit verschränkten Armen die Mädchen. Ihre Haarfarbe befand sich irgendwo zwischen rot und pink, große Brüste, muskulös, aber trotzdem weiblich, ernster, stoischer Gesichtsausdruck, gelbe Iris, und ihr ganzer Körper war mit Piercings überzogen, sodass sie schon fast so metallen wie ein Roboter wirkte. Wo auch immer man hinblicke entdeckte man einen Ring oder Knopf aus Stahl in ihrer Haut. Deswegen nannte sie sich auch Metallherrin. Eine Zeit lang starrten die Mädchen sie fasziniert an, doch dann schrieen sie wieder. Und ihre Angst steigerte sich, als das Gesicht der Frau nicht mehr regungslos zu ihnen gewandt war. Ihr Grinsen war riesig, zog sich wortwörtlich von einem Ohr zu anderen und entblößte Reißzähne, die einem den Kopf spalten konnten. „Och wie süß...“, kicherte Sabine Plainacher. „Zwerge.“ Ihre Stimme war schrill, autoritär und echote. Claudia und Melitta hätten nicht gedacht, dass ihre Stimmbänder noch mehr Leistung bringen würde, doch sie schafften es noch lauter zu kreischen. Plainacher hielt sich die Stirn „Wisst ihr wie anstrengend ein Sphärenwechsel ist. Haltet die Schnauze, ihr Fotzen, ich hab Kopfschmerzen.“ Die Drohung half natürlich nichts, die Gören kreischten weiter. Zum Glück hatte sie keine Hemmungen Menschen im Kindesalter das Licht auszublasen. Sie beugte sich zu den Beiden, die sich schreiend und zitternd in den Armen hielten, herunter und drückte ihre Hände auf ihre Münder. Übte Druck aus. Erst brach sie ihnen die Kiefer, dann zerquetschte sie das Gebiss. Das Knacken war ein Genuss in ihren Ohren. Doch die Mädchen gaben noch immer dieses unliebsame Geräusch von sich. Also schnitt sie ihnen mit ihrem breiten Grinsen die Kehlen durch. In wenigen Sekunden waren sie verblutet. Plainacher streckte sich und badete genüsslich ihre Füße in dem Blutbach – wie herrlich war diese Stille. Leider weilte sie nicht lange. Jemand öffnete die Zimmertür. „Jetzt beunruhigt mich das Geschrei von euch beiden aber. Was ist hier... Oh mein Gott.“ Und dann schrie schon wieder ein weiblicher Mensch. Sabine Plainacher wandte sich um und sah die Frau, deren entsetzter Blick zwischen der nackten Dämonin und den toten Mädchen hin und her wechselte. Sie hatte hässliche Hausfrauenklamotten an. Diese Fetzen würde Plainacher niemals stehen und anziehen. Trotzdem musste die Frau getötet werden. „Gott ist tot!“, schrie Plainacher zurück, raste auf die Frau zu und riss ihr mit einer kurzen Bewegung das Herz aus der Brust. Sofort war sie hinüber. Diese Menschen hielten aber auch wirklich gar nichts aus... Sie warf das Herz auf den Boden, zertrat es wie eine Fliege, schritt zum Fenster, öffnete es. Die Luft war verdammt angenehm, das einzige, was sie in dieser widerlichen Sphäre zu schätzen wusste. Auch wenn dieser hohe Sauerstoffgehalt verdammt ermüdend sein konnte. Mit einem nicht ganz so breiten Grinsen streckte sie sich wieder. Da die Welt einfach hören musste, was sie zu sagen hatte, schrie sie: „Menschen, Beenie ist zurück! Und sie wird euch zeigen, was Hölle auf Erden wirklich bedeutet.“ Plainacher sprang aus dem Fenster, ließ sich fallen, und begann ihre Suche nach dem Messias, die einem Amoklauf glich... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)