Code Geass: Messing with Time von Shin-no-Noir (Und weil es so schön war, gleich noch mal...) ================================================================================ Kapitel 10: Das unsanfte Erwachen --------------------------------- Als Lelouch aus seinem traumlosen Schlaf erwachte, fühlte er sich matt und ausgelaugt. Er blinzelte ein paar Mal und registrierte dabei nur ganz allmählich, dass er im halbdunkeln auf einem Untergrund lag, der zwar weich, aber kein Bett war, und dass es sich bei dem Raum, in dem er sich befand, auch nicht um sein Zimmer handelte. Doch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, wurde er von der jähen Erkenntnis abgelenkt, dass etwas auf seiner Stirn lag. Etwas Kühles, Nasses, das dort nicht hingehörte und das er instinktiv als ungemein störend empfand. Unwillkürlich hob er den Arm, um das Objekt seines Unbehagens zu identifizieren. Lelouchs Finger berührten das in kaltes Wasser getränkte Stück Stoff und im nächsten Moment war der wohlige Nebel, der bis dahin seine Gedanken eingehüllt hatte, verschwunden. Panik durchflutete ihn und er wollte aufspringen, aber kaum dass sein Oberkörper sich ein paar Zentimeter vom Sofa entfernt hatte, legte sich eine Hand auf seinen Brustkorb und drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder nach unten. „Bleib liegen“, sagte jemand in beschwichtigendem Ton. „Es ist alles in Ordnung.“ Lelouch brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es Clovis’ Stimme war. Es war keine beruhigende Erkenntnis. „Du-“, brauste er auf und versuchte erneut, sich aufzurichten. Doch selbst wenn er weniger unsportlich gewesen wäre, hätte er dabei in seiner momentanen Verfassung wahrscheinlich ein ziemlich jämmerliches Bild abgegeben, und sein Bruder hinderte ihn mühelos daran, mehr als nur ein paar Millimeter zwischen seinen Rücken und die Couch zu bringen. Lelouch biss sich auf die Unterlippe. Es würde ihn nicht weiterbringen, jetzt die Beherrschung zu verlieren - zumal es seine eigene Schuld war. Er hätte vorsichtiger sein sollen, in seinem angeschlagenen Zustand gar nicht erst herkommen dürfen. Und dennoch… sollte das schon das Ende seiner gerade erst heranreifenden Pläne sein? Eine winzige Fehlkalkulation, eine kleine Selbstüberschätzung, und schon konnte er wieder bei Null anfangen und sich den Kopf darüber zerbrechen, wie er gleichzeitig Nanalis Sicherheit gewährleisten und erfolgreich eine Revolution durchführen sollte, wenn das britische Königshaus ihn nicht länger für tot hielt? Und dann kam Lelouch ein weiterer Gedanke, und das Blut gefror ihm in den Adern. Clovis wusste, dass er Zero war. Es spielte keine Rolle, dass er bisher noch längst nicht so berüchtigt war wie in seinem alten Leben - sein Vater würde derartige Impertinenz nicht dulden und sein Geass an ihm einsetzen, sobald er erfuhr, was Lelouch zu tun versucht hatte. Und dann? Wie sollte er die Welt verändern, wenn er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wer er war? Er hätte Clovis töten sollen. Eine Person mehr oder weniger, die er auf dem Gewissen hatte… es spielte keine Rolle. Er hätte Suzaku immer noch überzeugen können. Besser zumindest, als wenn er nicht einmal mehr seine eigene Identität kannte. Lelouch wusste nicht, ob sein Bruder bisher nur das Militär kontaktiert hatte oder ob er bereits die gesamte Familie über ihn Bescheid wusste, aber letzten Endes war es einerlei – es lief unweigerlich auf dasselbe hinaus. Wieder würde sein Vater ihm alles nehmen, alles ruinieren, und bis C.C. Kontakt zu ihm aufnehmen konnte, würde es vermutlich längst zu spät sein. Nicht einmal seine eigene Schwester würde er beschützen können. So viel zu seinem Vorhaben, die Welt zu verändern. Die hilflose Wut, die in Lelouch aufstieg und nach und nach die eisige Panik verdrängte, die sich bereits so fest um seine Eingeweide gewickelt hatte wie eine unbarmherzige Würgeschlange, richtete sich ebenso sehr gegen ihn selbst wie gegen Clovis. Ein letztes Mal kämpfte er darum, sich aufzusetzen, aber er scheiterte noch kläglicher als zuvor und gab es schließlich auf. Gott, er fühlte sich so schwach… Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, seinen Bruder hasserfüllt anzustarren. Dass dieser lediglich mit mildem Erstaunen reagierte und ihn neugierig betrachtete, trug nicht gerade dazu bei, seinen Zorn zu dämpfen. Clovis indessen neigte den Kopf zur Seite. „Ist es dir wirklich so wichtig, nicht gefunden zu werden“, wollte er wissen, „oder denkst du so schlecht von mir, dass du annimmst, ich würde die Gelegenheit nutzen, um mich für deine mangelnde Gastfreundschaft zu revanchieren?“ Lelouch verengte die Augen in stiller Abscheu. Ob Clovis seine Pläne aus reiner Unwissenheit heraus durchkreuzte oder weil er auf Rache sinnte, kümmerte ihn nicht. Es würde keine Rolle spielen, wenn er dem Kaiser gegenüberstand. Als es offensichtlich wurde, dass Lelouch nicht vorhatte zu antworten, nahm Clovis die Hand von der Brust seines Bruders und griff nach dem feuchten Tuch, das inzwischen am Sofarand gelandet war. Im ersten Moment war Lelouch versucht, noch einmal sein Glück zu probieren und aufzuspringen, aber im Grunde wusste er, dass es zwecklos war. Also entschied er, eine günstigere Gelegenheit abzuwarten, und schloss die Lider, um zumindest für ein paar Sekunden seine Kopfschmerzen loszuwerden. Er öffnete die Augen wieder, als sein Halbbruder das Stück Stoff erneut auf seiner Stirn platzierte und die Dreistigkeit hatte zu behaupten: „Ich habe den Raum nicht verlassen, während du bewusstlos warst.“ Beinahe hätte Lelouch gelacht. „Und du erwartest, dass ich dir das glaube?“, fragte er - nicht sicher, ob er belustigt klang oder bitter. Clovis legte den Kopf schräg. „Nun ja“, räumte er ein, „doch. Aber meine Suche nach einer Decke für dich ist nicht von Erfolg gekrönt gewesen, wie du bereits bemerkt haben dürftest.“ Lelouchs einzige Reaktion bestand in einem verächtlichen Schnauben, aber sein Bruder achtete nicht darauf. „Niemand weiß von dir“, versicherte er ihm, während er aufstand und zu dem kleinen Tisch am anderen Ende des Sofas hinüber trat. Nun richtete Lelouch sich doch auf. Der Arm, mit dem er sich dabei abstützte, zitterte vor Anstrengung, aber das bemerkte er kaum. „Ich glaube dir nicht“, sagte er kühl. Clovis kehrte zurück, ein Glas in der Hand, und kniete sich wieder neben dem Jungen auf den Boden. „Ich weiß“, entgegnete er unbekümmert und hielt ihm das Trinkgefäß an die Lippen. Lelouch nahm es ihm unwirsch ab – wenn sein Bruder glaubte, dass er ihn behandeln konnte wie ein kleines Kind, dann hatte er sich geschnitten. Dennoch nahm er einen Schluck und als er merkte, wie gut die klare Flüssigkeit seiner Kehle tat, obwohl sie bestenfalls lauwarm war, leerte er das Glas in einem Zug. Er traute Clovis vieles zu, aber nicht, dass er sich in Anbetracht der Umstände die Mühe machen würde, mit einem Gift an ihn heranzutreten, das nicht nur vollkommen geruchlos war, sondern sich von Geschmack und Aussehen her auch noch kein bisschen von Wasser unterschied. Als er fertig war, streckte Clovis ihm die Hand entgegen, und nachdem Lelouch den blonden Prinzen mit einem letzten vernichtenden Blick bedacht hatte, gab er ihm das Glas wortlos zurück. „Schlaf weiter“, sagte sein Bruder in einem Tonfall, der zu wenig Nachdruck hatte, um einen Befehl aus seinen Worten zu machen, aber doch zu bestimmt klang, um sie in eine bloße Bitte zu verwandeln. Lelouch hatte keinen Zweifel daran, dass Clovis unter den gegebenen Umständen eine unmittelbare Gefahr für alles darstellte, was er zu erreichen versuchte, aber er war zu müde, um zu widersprechen, und sein Arm drohte bereits, unter ihm wegzuknicken. Also sagte er nichts, als der ehemalige Gouverneur ihm eine Hand auf die Schulter legte, und zögerte anschließend nur einen kurzen Moment, bevor er es zuließ, auf diese Weise wieder in eine liegende Position gebracht zu werden. Anschließend befasste er sich dann damit, auf welche Art er am besten sein Geass an seinem Bruder einsetzen sollte. Wie sich bei seinen Überlegungen allerdings schnell herausstellte, wollte Lelouchs Verstand nicht annährend so effizient arbeiten, wie er es gewohnt war. Trotz angestrengter Bemühungen kamen seine Gedanken bestenfalls so schleppend voran wie eine Schildkröte an Land; und gerade, als er glaubte, nach einer halben Ewigkeit doch noch zu einem Ergebnis gekommen zu sein, entschied sein Körper, dass er endgültig genug hatte. Mit aller Macht versuchte Lelouch, sich an die Gewissheit zu klammern, wie dringlich seine momentane Lage war, doch letzten Endes war es eine vergebenes Unterfangen und noch eher er den Gedanken richtig zu fassen bekam, war er ihm auch schon wieder entglitten. Am Rande gewahrte der abtrünnige Prinz noch, wie jemand neben ihm sich erhob und von ihm zurücktrat – dann hatte der Schlaf ihn auch schon übermannt. ~ Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, ging es Lelouch wesentlich besser. Zwar fühlte sein Kopf sich noch immer ein wenig schwerer an als gewöhnlich, aber ansonsten konnte er sich nur über eine chronisch anmutende Erschöpfung und leichte Unterkühlung beklagen. Er kam zu dem Schluss, dass sein Fieber weitgehend abgeklungen war, und setzte sich vorsichtig auf. Es war taghell um ihn herum, sodass er sich erst einmal die Augen rieb, während er sich allmählich an das Licht gewöhnte und das feuchte Tuch beiseite legte, das noch bis vor kurzem auf seiner Stirn geruht hatte. Dabei fiel sein Blick auf Clovis, der nahe dem Fußende der Couch auf einem Sessel saß und müßig durch diverse Programme des lautlos gestellten Fernsehers schaltete. Argwöhnisch fixierte Lelouch den Hinterkopf des blonden Prinzen. Er traute ihm nicht – beinahe so wenig, wie er Schneizel getraut hätte -, und doch sah es ganz so aus, als hätte Clovis die Wahrheit gesagt, als er behauptet hatte, er habe niemanden kontaktiert. Es war die ideale Gelegenheit gewesen, und sein Bruder hatte sie ungenutzt verstreichen lassen. Es ergab keinen Sinn. Lelouch versuchte, die Hintergedanken des ehemaligen Gouverneurs zu erraten, aber obgleich ihm innerhalb weniger Sekunden dreizehn Möglichkeiten einfielen, war keine davon überzeugend. Allesamt waren sie entweder zu widersinnig oder zu abwegig, oder sie passten so wenig zu Clovis wie Freude an stundenlanger sportlicher Betätigung zu ihm selbst. Und als Lelouch schließlich klar wurde, dass rätseln ihn nicht weiterbringen würde, erkannte er auch, dass er nur eine einzige Alternative hatte, wenn er nicht gerade sein Geass einsetzen wollte. „Weshalb?“, fragte er – ehrlich verwirrt, auch wenn sich das höchstens darin zeigte, dass seine Stimme ein wenig gedämpft klang. Sichtlich perplex drehte Clovis sich zu ihm um. Dann huschte ein Ausdruck des Begreifens über die Züge seines Bruders, doch ehe er antwortete, wandte sich noch einmal dem Bildschirm zu, schaltete ihn ab und legte sorgfältig die Fernbedienung weg. „Ich habe dir gesagt, dass Vater mich enterben würde“, erinnerte er Lelouch dann, indem er das Kinn auf die Hand stützte und seinen jüngeren Bruder betrachtete, als würde er abschätzen, in was für einer Verfassung er sich befand, ohne sich dabei übermäßig für das Ergebnis dieser Musterung zu interessieren. Lelouch starrte ihn an. „Das ist alles?“ Clovis zuckte die Achseln. „Ich bin außerdem davon ausgegangen, dass du deine Gründe hast.“ Er legte den Kopf schräg. „Ich weiß nicht, was vorgefallen ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, aber ich bin nicht dein Feind – ganz gleich, was du denken magst.“ Lelouch hätte seinen Bruder darauf hinweisen können, dass seine Taten als Gouverneur etwas gänzlich anderes aussagten, und dass es ihr Verhältnis zueinander nicht gerade besserte, dass Clovis nach drei Jahren untätigen Herumsitzens als Gouverneur von Gebiet Elf um ein Haar auch noch ein willkürliches Massaker angerichtet hätte. Im Augenblick jedoch schien es ihm, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, um die vielen Unzulänglichkeiten seines Bruders aufzulisten - schon allein deshalb, weil er damit nichts weiter getan hätte, als vorsätzlich das Thema zu wechseln. Stattdessen entschied Lelouch, die Unterhaltung fortzusetzen und zu versuchen, sich auf diese Weise Klarheit über das ein oder andere zu verschaffen. „Ich…“, setzte er an, musste aber feststellen, dass die richtigen Worte ihm nicht einfallen wollten. Was auch immer sein Bruder glauben mochte, sie waren wesentlich eher Feinde als Verbündete. Dass Clovis ihn aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht an den Kaiser verraten hatte, änderte nichts an dieser Tatsache. Und dennoch… Lelouch zögerte noch einen Augenblick, aber letzten Endes gab es nur eines, was er erwidern konnte. „Danke“, sagte er, die von seiner momentanen Erschöpfung nicht ganz unberührt gebliebene Stimme noch immer ein wenig leiser als gewöhnlich. Er beobachtete, wie daraufhin ein erfreutes Lächeln über die Züge seines Bruders huschte, und kam nicht umhin, sich darüber zu wundern, wie leicht Clovis zufriedenzustellen war. Vorsichtig setzte er die Füße auf den Boden. „Ich sollte gehen.“ Er wollte aufstehen, aber Clovis kam ihm zuvor - innerhalb weniger Sekunden stand sein Bruder neben ihm und drückte ihn an den Schultern wieder nach unten. Bevor Lelouch jedoch genügend Zeit hatte, um die angemessene Entrüstung zu empfinden, legte Clovis ihm die Hand auf die Stirn. „Was-“, begann Lelouch verärgert, wurde jedoch von seinem Halbbruder unterbrochen, der seinen Protest überhaupt nicht zu bemerken schien. „Hm“, machte der Dritte Prinz des Heiligen Britischen Reiches nachdenklich. „Sehr hoch ist es wohl nicht mehr, aber du solltest so trotzdem noch nicht wieder in der Gegend herumlaufen.“ Lelouch schlug unwirsch seine Hand weg. „Ich bin kein Kind mehr“, rief er seinem Bruder säuerlich in Erinnerung. „Meinst du nicht, das kann ich für mich selbst entscheiden?“ Clovis besaß zwar genug Manieren, um daraufhin diskret einen Schritt zurückzutreten, gab sich aber ansonsten so leicht nicht geschlagen. „Offenbar nicht“, erwiderte er trocken und zog eine Braue in die Höhe. „Oder gehörte dieser dramatische Ohnmachtsanfall etwa zu deinen grandiosen Plänen? In diesem Fall hättest du mir vorher Bescheid sagen sollen. Ich versichere dir, ich hätte dich ritterlich aufgefangen, bevor du Gefahr gelaufen wärst, dir beim Sturz den Schädel einzuschlagen.“ Lelouch gab einen höhnischen Laut von sich, erwiderte ansonsten aber nichts auf den unverhohlenen Sarkasmus seines Bruders. Dann fiel ihm plötzlich etwas ein, und sein Magen zog sich zusammen. „Wie lange war ich…“ „Einen halben Tag lang“, beantwortete Clovis seine Frage, noch ehe er sie ganz gestellt hatte. „Und nachdem du wieder zu dir gekommen bist, hast du noch einmal beinahe genauso lange geschlafen.“ Lelouch fühlte sich, als hätte jemand ihn mit einem Eimer eiskalten Wassers übergossen. Nahezu vierundzwanzig Stunden… Nanali war sicher außer sich vor Sorge. Bevor er jedoch aufspringen und sich seinen Weg zur Tür erkämpfen konnte, meldete sich Clovis noch einmal zu Wort. „Da fällt mir ein…“, begann er scheinbar übergangslos. „Ich soll dir von deiner liebreizenden Bekannten ausrichten, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst, da sie sich um alles kümmern wird. Was auch immer das heißen mag.“ Lelouch sah seinen Bruder perplex an. „C.C. war hier?“ Clovis schnaubte. „War hier?“, wiederholte er, wobei seine Stimme sich plötzlich ein paar Oktaven zu hoch anhörte. Als er daraufhin nur einen verständnislosen Blick erntete, erklärte er: „Deine kleine Freundin hat mir beinahe den Kopf abgerissen, Lelouch. Und ich meine das nicht im metaphorischen Sinne.“ „Warum das?“ „Weil mein kleiner Bruder meinte, Dornröschen spielen zu müssen, und sie mich fälschlicherweise für die böse Hexe gehalten hat.“ Lelouch begriff sofort, aber anstatt ein schlechtes Gewissen zu bekommen, musste er sich ob der Ironie dieses sonderbaren Gleichnisses ein Schmunzeln verbeißen. „Ah“, sagte er und versuchte, sich seine Belustigung nicht anmerken zu lassen. „Ah“, ahmte sein Bruder ihn nach, halb ungläubig, halb spöttisch. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“ Lelouch hob die Brauen. „Was erwartest du? Eine Entschuldigung?“ Clovis verschränkte die Arme. „Das wäre immerhin ein Anfang.“ „Ha.“ „Sie hat gedroht, mich zu Pizza zu verarbeiten, sollte dir etwas zustoßen.“ Lelouch bemühte sich auch dieses Mal, sein Amüsement zu verbergen, aber schließlich gab er es auf, und ein leises Lachen verließ seine Lippen. „Das ist nicht lustig“, ermahnte Clovis ihn verdrossen. „Sie war sehr überzeugend.“ Er sah aus, als müsste er bei der bloßen Erinnerung an seine Begegnung mit C.C. ein Schaudern unterdrücken. „Das kann ich mir vorstellen.“ Lelouch schmunzelte. „Kein Wunder, dass du darauf bestanden hast, dass ich mich erst einmal ausschlafe.“ Clovis schnaubte leise und schüttelte den Kopf. „Das war, bevor sie hier gewesen ist“, klärte er ihn auf, und auf einmal wurden seine Gesichtszüge merklich weicher. „Eine Zeit lang hatte ich Angst, dass du gar nicht mehr aufwachen würdest.“ Als Lelouch ihn verdutzt anstarrte, fuhr er fort: „Ich habe noch keinen lebenden Menschen so gesehen, Lelouch. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich dich für tot gehalten.“ Er hielt kurz inne, fröstelte. „Es war… unnatürlich.“ „Unnatürlich?“, wiederholte Lelouch und fragte sich plötzlich, ob es wirklich Zufall war, dass er ausgerechnet jetzt ein derartiges Fieber bekommen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal zu krank gewesen war, um sich um Nanali zu kümmern oder eine Revolution anzuführen. Hatte es Nebenwirkungen für einen Menschen, sich über die Gesetze von Zeit und Raum hinwegzusetzen? Wenn ja, dann hatte C.C. nichts davon gewusst, so viel stand fest. Er schüttelte den Kopf. „Es geht mir gut“, versicherte er seinem Bruder. Nach kurzem Nachdenken fügte er jedoch hinzu: „Aber ich schätze, ich kann noch eine Weile bleiben.“ Schließlich konnte er in seinem momentanen Zustand schlecht direkten Kontakt zu den Terroristen aufnehmen, wenn er nicht gerade riskieren wollte, dass bei einem durchaus nicht ausgeschlossenen Rückfall seine wahre Identität bekannt wurde. Er zweifelte noch immer an Clovis’ Motiven, aber zumindest hatte sein Bruder bewiesen, dass er wenigstens in diesem einen Punkt vertrauenswürdig war und ihn nicht bei der ersten Gelegenheit an den Kaiser ausliefern würde. Und er schien ehrlich erfreut zu sein, dass Lelouch es sich anders überlegt hatte. „Schön, dass du offenbar doch noch zur Vernunft fähig bist“, sagte er und strahlte ihn an. Lelouch verkniff es sich, mit den Augen zu rollen, und stand auf. „Ich bin duschen“, sagte er tonlos. Sein Bruder grinste, offenbar belustigt. „Sag Bescheid, falls du wieder ohnmächtig wirst.“ „Ich glaube, ich bleibe lieber in irgendeiner finsteren Ecke liegen, als auf deine Ritterlichkeit zurückzugreifen.“ Clovis seufzte schwer. „Weißt du, über die Hälfte der weiblichen Bevölkerung dieses Landes wüsste meinen Großmut mehr als nur zu schätzen.“ „Clovis…“ Lelouch verzog das Gesicht. „Falscher Kontext.“ Als er nach einer guten Viertelstunde das kühle Wasser endlich wieder abdrehte und aus der Dusche stieg, fühlte Lelouch sich noch einmal ein ganzes Stück weniger angeschlagen. Zwar hatte er keine Kleidung zum Wechseln dabei, aber das störte ihn im Augenblick nicht weiter, und er war einfach nur froh, wieder einigermaßen klar denken zu können. Sobald er zurück in seine alten Sachen geschlüpft war, trat er aus dem kleinen Badezimmer und ließ sich kurzerhand neben Clovis auf der Couch nieder. Es war überraschend angenehm, in Gegenwart seines Halbbruders einmal nicht übermäßig auf der Hut sein zu müssen, auch wenn die Absichten des ehemaligen Gouverneurs ihm noch immer mehr als schleierhaft waren. Clovis betrachtete ihn neugierig. „Keine Waffe?“ Lelouch zuckte die Schultern. „Wenn du mich überwältigen wolltest, würden wir jetzt nicht hier sitzen“, sagte er unbekümmert. „Es freut mich, dass du das endlich einsiehst“, gab Clovis mit unverkennbarer Ironie in der Stimme zurück, aber noch während er sprach, legte sich ein sichtlich zufriedenes Lächeln auf seine Lippen. Lelouch fixierte ihn abschätzenden Blicks. „Ich frage mich immer noch, was deine Beweggründe sind.“ Clovis seufzte. „Ist es wirklich so schwer zu glauben, dass ich dir nicht schaden will?“ Lelouch zögerte nicht mit seiner Antwort. „Ja.“ „Weshalb?“ „Weil es dir zum Vorteil gereichen würde“, sagte Lelouch sachlich. „Weil es den Kaiser sicher freuen würde, wenn du ihm zwei politische Werkzeuge mehr verschaffen würdest.“ Und er war sich vollkommen sicher, dass sein Bruder sich dessen durchaus bewusst war – ansonsten hätte er ihn niemals darauf hingewiesen. „Also bestünde eine geringe Möglichkeit, dass er mich nicht enterben würde“, erwiderte Clovis achselzuckend. „Das ist mit Sicherheit kein so unwiderstehlicher Anreiz, dass ich dich und Nanali dafür hintergehen würde.“ Lelouch hob die Brauen. „Du willst mir erzählen, dass du nicht einmal daran gedacht hast?“ Obwohl er seinem Bruder nicht geglaubt hätte, wenn er jegliche Versuchung abgestritten hätte, war er überrascht, als Clovis den Kopf schüttelte. „Das habe ich nicht behauptet“, sagte er und sah Lelouch nachdenklich an. „Ich hab tatsächlich überlegt, ob es nicht besser wäre, den Rest der Familie über dein Überleben in Kenntnis zu setzen.“ „Wieso hast du es dann nicht getan?“ Clovis strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Weil ich egoistisch bin.“ Auf Lelouchs verständnislosen Blick hin lächelte er sardonisch und setzte zu einer Erklärung an: „Es stimmt, dass meine Motive alles andere als selbstloser Natur sind“, sagte er, „aber du missverstehst meine Intentionen.“ Beim Sprechen zwirbelte er beiläufig eine blonde Haarsträhne zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich habe mich nie sonderlich für Macht interessiert. Krieg, Politik, Diplomatie… das alles langweilt mich.“ Noch lebhaft erinnerte sich Lelouch daran, dass Clovis all diese Dinge tatsächlich immer als lästig empfunden, die Verantwortung eines Befehlshabers stets verabscheut hatte. Aber er wusste auch, dass Menschen sich mit der Zeit ändern können, und dass alles andere in diesem Fall keinen Sinn ergab. Also stellte er die Frage, die seinem Bruder den Logikfehler in seiner kleinen Ausführung aufzeigen würde: „Warum bist du dann Gouverneur geworden?“ Zu Lelouchs Verblüffung fiel die Reaktion seines Gegenübers völlig anders aus als erwartet. „Weil-“, setzte Clovis so umgehend an, als wäre das, was er sagen wollte, das Selbstverständlichste auf der Welt. Dann jedoch brach er abrupt ab, betrachtete Lelouch für einen Moment mit einem Blick, den dieser nicht zu deuten vermochte, und schüttelte schließlich den Kopf. „Es spielt keine Rolle“, sagte er, nicht die geringste Spur von Unsicherheit in der Stimme. „Wichtig ist, dass ich kein allzu großes Interesse daran habe, nach Hause zurückzukehren, solange ich mich dort mit Vater auseinandersetzen müsste.“ Er lehnte sich zurück und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Allerdings“, fuhr er etwas gedehnter fort, „war ich der Meinung, dass du und Nanali dort wahrscheinlich sicherer sein würdet.“ Lelouch schnaubte vielsagend, aber Clovis winkte ab. „Nachdem ich deine Reaktion gesehen habe, als du wieder zu dir gekommen bist, würde ich dafür sicherlich nicht länger die Hand ins Feuer legen. Aber das ist nicht der eigentliche Grund dafür, weshalb ich niemanden kontaktiert habe.“ Lelouch hob die Brauen, nun doch ein wenig neugierig. „Sondern?“ Clovis lächelte und zuckte die Schultern. „Wie ich schon sagte, ich bin egoistisch. Ungeachtet dessen, ob es das Richtige gewesen wäre, hättest du es mir übelgenommen, wenn ich jemanden benachrichtigt hätte, nicht wahr?“ Lelouch sagte nichts, aber er war sich sicher, dass sein Gesichtsausdruck Antwort genug war. Clovis’ Lächeln weitete sich noch ein wenig. „Und genau deshalb habe ich davon abgesehen, etwas zu unternehmen.“ „Weil ich es dir übelnehmen würde?“, fragte Lelouch ungläubig. „Weil ich nicht dein Feind sein will, Lelouch“, verbesserte Clovis ihn. „Ich will, dass du aufhörst so zu tun, als würde ich dir jeden Moment in den Rücken fallen, nur weil ich gerade nichts Besseres zu tun habe.“ Lelouch schloss die Augen und lehnte sich mit einem Seufzer gegen die Sofalehne zurück. „Clovis…“ Wie konnte er seinem Bruder erklären, dass es nicht so einfach war, sein Misstrauen von heute auf morgen abzulegen? Dass zu viel auf dem Spiel stand, als dass er es sich leisten könnte, ein solches Risiko einzugehen, und dass es nichts Persönliches war, sondern seine Notwendigkeit in der Tatsache hatte, dass sie vollkommen unterschiedliche Weltanschauungen hatten und Menschen ohnehin dazu neigten, einander früher oder später zu hintergehen - und sei es auch nur, weil der eine den Worten des anderen aus irgendeinem Grund plötzlich keinen Glauben mehr schenken konnte. Wie sollte er all das ausgerechnet Clovis begreiflich machen, ohne ihm auch nur ein einziges konkretes Beispiel nennen zu können? Aber erstaunlicherweise tat sein Bruder das Thema mit einem Achselzucken ab. „Es ist in Ordnung“, sagte er, ohne dabei gekränkt oder beleidigt zu klingen. „Ich bin neugierig, was vorgefallen ist, seit du Britannien verlassen hast, aber ich erwarte schon lange nicht mehr, dass du mir so schnell vertraust.“ „Es tut mir leid“, war alles, was Lelouch dazu sagen konnte. Clovis schwieg einen Moment. Als er schließlich wieder sprach, hatte sein Tonfall einiges von seiner gleichmütigen Unbekümmertheit verloren und stattdessen ernstere Züge angenommen. „Kann ich dich etwas fragen?“ Lelouch öffnete die Lider wieder und sah seinen Bruder aus dem Augenwinkel an. „Was?“ „Weshalb dachtest du, ich hätte etwas mit dem Attentat auf deine Mutter zu tun?“ Clovis’ Stimme war nur kaum merklich leiser als zuvor, aber in seinen Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck, der ihn sowohl angespannt als auch verwundbar wirken ließ. Außerdem bekam Lelouch unwillkürlich das Gefühl, dass sein Bruder fürchtete, er würde negativ auf die Erwähnung Mariannes regieren. Er legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit der Hand über die immer noch leicht schmerzende Stirn. „Ich habe nicht nur dich unter Verdacht gehabt“, gab er zu. „Ich wollte sie rächen und habe wie besessen nach einem Schuldigen gesucht.“ Er seufzte. „Es war dumm.“ „Heißt das, du hast es dir anders überlegt?“, wollte Clovis sichtlich verwundert wissen. „Du willst sie nicht mehr rächen?“ Lelouch schüttelte den Kopf. „Weshalb?“ Lelouch lächelte über den verständnislosen Blick seines Bruders. „Ich habe gelernt, dass die Zukunft wichtiger ist als die Vergangenheit.“ „Aber-“, begann Clovis, nur um gleich darauf den Mund wieder zu schließen und den Kopf zu schütteln. „Ich verstehe dich wirklich nicht, Lelouch.“ Lelouch schmunzelte. „Ich schätze, ich habe mich verändert.“ „Das hast du“, stimmte Clovis ihm ohne zu zögern zu. Nach einer kurzen Stille, die auf diese Aussage folgte, warf sein Bruder ihm jedoch einen sonderbaren Blick zu, dessen Bedeutung Lelouch erst klar wurde, als er wenige Herzschläge später hinzufügte: „Aber nicht so sehr, dass es eine Rolle spielen würde.“ Lelouch wandte den Kopf und sah Clovis scharf an. „Bist du dir da sicher?“, fragte er, ein wenig kühler als beabsichtigt. Doch einmal mehr zuckte sein Bruder lediglich die Achseln. „Zumindest nicht für mich.“ Ein ironisches Grinsen huschte über seine Züge. „Schließlich kann ich nicht behaupt, dich früher viel besser verstanden zu haben.“ Unwillkürlich musste Lelouch lächeln. Das war wohl ein Argument – und eine schamlose Untertreibung. Wieder trat ein kurzes Schweigen ein, und wieder war es Clovis, der die Stille schließlich brach: „Du solltest dich noch etwas ausruhen“, bemerkte er übergangslos. Lelouch schüttelte den Kopf. „Ich habe vor, gleich nach Sonnenuntergang aufzubrechen.“ Clovis hob die Brauen, offenbar belustigt. „Du meinst, du würdest verschlafen?“ Lelouch warf ihm einen bösen Blick zu, den sein Bruder mit einem entwaffnenden Lächeln quittierte. „Wenn du willst, kann ich dich wecken.“ Lelouch schnaubte. „Nein danke.“ Ehe er reagieren konnte, hatte sich auch schon wieder eine kühle Hand auf seine Stirn gelegt. „Du hast immer noch erhöhte Temperatur“, klärte Clovis ihn auf, wobei er geflissentlich ignorierte, wie unwirsch Lelouch seinen Arm wegschob. „In ein paar Stunden wird das kein Problem mehr sein.“ Clovis sah in einen Moment lang mit undurchsichtiger Miene an, bevor er schließlich einen tiefen Seufzer ausstieß. „Tu, was du willst“, gab er sich geschlagen. „Aber trink wenigstens noch etwas.“ Als Lelouch keine Minute später das Glas an die Lippen setzte, das sein Bruder ihm erstaunlich unnachgiebig und mit seltsam strengem Blick in die Hand gedrückt hatte, fragte er sich, ob Clovis insgeheim schon immer eine solche Glucke gewesen war, oder ob das vielleicht seine Rache sein sollte. So oder so, Lelouch war noch immer der Meinung, dass sein Bruder und C.C. prächtig zusammenpassten. Vielleicht sollte er ihnen bei Gelegenheit vorschlagen, gemeinsam auf eine einsame Insel am anderen Ende der Welt zu ziehen, auf der sie nach Herzenslust Palmen züchten und unschuldige Meerestiere quälen konnten. _______ Puh. Ich muss zugeben, dass ich mir wieder mal ganz schön Zeit gelassen habe, aber ich bin nun mal eine hoffnungslose Perfektionistin, und es hat nicht geholfen, dass dieses Kapitel ziemlich wichtig für Clovis' Charakterentwicklung ist. Und für seine Beziehung zu Lelouch, aber ich glaube, das ist offensichtlich. Über den Kommentar zum letzten Kapitel habe ich mich ganz besonders gefreut, weil ich mir wirklich viele Gedanken zu Clovis gemacht habe und versuche, ihm eine Persönlichkeit zu geben, die sich aus dem zusammensetzt, was der Anime gezeigt hat, was das entsprechende Sound-Drama verrät und was für einen Eindruck ich selbst von ihm bekommen habe. Und obwohl das manchmal erstaunlich gut funktioniert, hänge ich auch oft ein wenig. Das soll nicht heißen, dass es mir mit dem Rest der Fanfic nicht ähnlich geht - Feedback macht mich grundsätzlich glücklich. Aber Clovis ist nun mal ein Charakter, den man nicht IC halten muss... man muss ihn erst einmal IC machen. Und es interessiert mich brennend, ob Leser dieser Fanfic den Eindruck bekommen, dass mir das gelungen ist, oder lediglich ihre Brauen heben und die Achseln zucken. xD Lange Rede, kurzer Sinn... Im nächsten Kapitel begegnen uns: Seen, Blondinen und... Käsebrote! Allerdings nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)