Hazard von Nievaris ================================================================================ Kapitel 3: BioSanitas --------------------- Ungeachtet der Tatsache, dass sich ein Vampir und ein Werwolf auf der Straße getroffen hatten, ging die Arbeit unterirdisch ihren gewohnten Gang. Dr. Felon überwachte die Untersuchungen mit Adleraugen, während er sich immer wieder Notizen auf seinem Klemmbrett machte. Noch hatten sie nicht ganz, wonach sie suchten, aber sie kamen von Tag zu Tag näher. Noch wurde die Genetik nicht nach dem Willen der angestellten Ärzte und Wissenschaftler verändert, doch für den finalen Schritt fehlte es ihnen noch an der nötigen DNS. Welche Unterschiede es machen würde, ob sie nun jene der Untoten oder Wolfsmenschen verwenden würden, war lediglich Berechnungen zu entnehmen, aber Berechnungen konnten sich irren. Und die menschliche Phantasie kannte bekanntlich keine Grenze. Umso mehr versuchte man natürlich, etwaige Mutationen mutwillig zu steuern, indem man in die Gene eingriff, um gewünschte Effekte zu verstärken oder aber abzuschwächen oder ganz auszuschalten. Es ist fast so, als würden wir Mendels Bohnenexperimente wiederholen, allerdings auf einer wesentlich interessanteren Stufe... Mit einem zufriedenen Lächeln auf den schmalen Lippen machte Felon ein weiteres Häkchen auf das Blatt Papier vor sich und beobachtete, wie dem einst weißen Kaninchen mehr und mehr Fell ausfiel und darunter nicht allzu gesunde, grau wirkende Haut zum Vorschein kam. War es denn nicht immer wieder aufs Neue interessant zu sehen, zu was sie als Menschen fähig waren. Durch ein paar einfache Gene war es ihnen gelungen jene Struktur des Kaninchens so zu verändern, dass seine Haut nicht mehr rosa war und das es sein Haarkleid nicht mehr behielt. Natürlich konnten sie auch nicht Gott spielen und aus einem Säugetier ein Reptil machen, aber sie kamen Nahe an Gotteswerk heran, wenn sie ein Kaninchen zu etwas anderes mutieren zu lassen. „Dr. Felon!“ Die Stimme der jungen Frau drang durch die sonst so stillen Hallen der Forschungsabteilung schon beinahe unangenehm. Ihr weißer Arbeitsmantel ließ sie aussehen wie eine von hundert weiteren Arbeitsdrohnen in diesem Komplex. Sie stach lediglich durch ihre dunkle Hautfarbe heraus. „Was gibt es, Miss...?“, er hielt mitten im Satz inne, da er sich weder an den Namen seiner ‚Kollegin’ erinnern konnte. Dabei machte er sich allerdings auch nicht die Mühe, einen Blick auf das Namenskärtchen an ihrer Brust zu erhaschen. Da er bisher noch nie wirklich mit ihr zusammengearbeitet hat, empfand er es nicht für nötig, sich ihren Namen zu merken. Es musste etwas unglaublich wichtiges sein, da sie es vorzog, ihn hier direkt vor allen anderen anzusprechen und nicht um eine Sprechstunde zu bitten oder ihm etwaige Untersuchungsergebnisse einfach auf den Schreibtisch legen zu lassen. Der Name der Frau war Williamson, aber das war nichts, was Dr. Felon beschäftigte. Für die nächsten paar Minuten wäre es vielleicht recht ratsam, ihren Namen zu kennen... „Wenn Sie sich das bitte ansehen könnten?“ Sie hielt ihm einen Zettel hin, der ähnlich dem war, der sich auf seinem eigenen Klemmbrett befand. Auf den ersten Blick konnte er auch nicht erkennen, was denn anders als auf seinem sein sollte. „Und was sehe ich da?“ Wenn diese junge Frau schon auf ihn zugerannt kam und dadurch die anderen in diesem Raum kurzzeitig vom Arbeiten abhielt so sollte sie schon einen triftigen Grund dafür haben. Im Moment hatte Felon ohnehin das Bedürfnis, sich die Akte seiner Gegenüber genauer anzusehen. „Bei diesem Versuchsobjekt gab es einen enormen Pulsanstieg. Die Herzfrequenz ist beinahe auf das Doppelte angestiegen, dennoch reagiert der Organismus positiv darauf. Außerdem hat der Körper seit der letzten Messung mehr rote Blutkörperchen produziert...“ Felon schaltete die Stimme der jungen Frau aus und besah sich das Blatt Papier nun genauer. In der Tat schienen diverse Daten zu bestätigen, was sie ihm bisher gesagt hatte. Es war zwar nicht ganz der erhoffte Effekt, aber wie schon zuvor kamen sie ihrem Ziel immer näher. Wenn sie einmal einen vampirischen und lykanischen Probanten hatten, von denen sie etwas genauere Proben entnehmen könnten, dann stünden kein weiteren Hindernisse in seinem Weg, unverwundbare und stärkere Soldaten mehr oder weniger wie am Fließband herzustellen. Natürlich würde dies von der Regierung nicht sofort erlaubt werden, aber der Schwarzmarkt war zu groß, sowie auch die Möglichkeit, weitere Tests durchzuführen, ohne sich irgendwelche Kontrolleure an den Hals zu schmeißen. Ohne weiter auf die junge Frau zu hören, ging er an ihr vorbei, überhörte gekonnt ihr empörtes Schnauben und machte sich schnellen Schrittes auf den Weg in jene Abteilung, in der sie diese Testergebnisse hatte messen können. Noch war es ihnen nicht gelungen, ein ähnliches Virus herzustellen, dass es jenen der Vampire erlaubte, mehr oder weniger als Untote über die Welt zu wandeln noch etwas annähernd Ähnliches, dass die Versuchstiere dazu brachte, sich unter gewissen Umständen zu verwandeln. Ohne die richtigen Grundlage wäre dies auch beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, dennoch wollte Felon nicht darauf verzichten, es weiterhin zu versuchen. Ihnen standen Mittel zur Verfügung, mit denen es möglich sein sollte, etwas noch besseres und noch stärkeres zu erschaffen als das, was vor Jahrhunderten von der Natur geschaffen worden war. Doch wie er immer wieder feststellen musste, mangelte es ihm offenbar an genügen qualifizierten Mitarbeiter. Die Moral spielte hierbei weniger eine Rolle, weil sie all jene, die Bedenken bezüglich dieser Versuche gehabt hatten, bereits weggeschickt hatten – unter der Voraussetzung, dass sie keine Chance hätten, über diese Arbeit hier zu sprechen. Mitarbeiter ohne Gewissen zu finden war bei den Geldsummen, die ihnen für ihre Arbeit geboten wurden, war schon einfacher gewesen. Jemand, der so viel Wissen hatte, wie die meisten Wissenschaftler in diesem Komplex wollten eine angemessene Summe für ihre Arbeit und ihr bereitgestelltes Wissen. Einer der Nachteile war wohl, dass sie oft sämtliche Kontakte nach außen abbrechen mussten, denn die Arbeit nahm ihre gesamte Zeit in Anspruch. Die Zeit, die sie nicht mit ihren Arbeiten verbrachten, schliefen sie in den kleinen Wohnkammern, die ihnen von der Firma bereit gestellt wurden. Natürlich gab es auch alle paar Wochen Ausgang, denn egal wie sehr man seine Arbeit auch mochte oder schätzte, tagein, tagaus zu arbeiten tat keinem Verstand wirklich gut. Interessiert beäugte er das Tier, das in seinem Käfig saß und an dessen Brustkorb man deutlich die erhöhte Atmung erkennen konnte. Dennoch zeigte es keine Anzeichen, sich unwohl zu fühlen. Felon warf noch einen weiteren Blick auf den Zettel vor sich, um zu sehen, was genau man diesem Tier geimpft hatte, wie viel Zeit seitdem vergangen war und was er zu fressen bekommen hatte... Der Tagesablauf des Kaninchens war so gewesen, wie immer. Es hatte zu einer gewissen Zeit etwas zu fressen bekommen, dieses Mal allerdings einen leicht veränderten Typ von Serum. Und dieses Serum hatte scheinbar genug bewirkt, um die genetische Struktur des Karnickels zu verändern. Auch diesem Tier hier war das Fell ausgegangen, aber anders als seinem Verwandten nicht nur in Büscheln sondern flächenweise. Die Haut darunter war ebenfalls mehr ein fahles grau und nirgends konnte man mehr ein Fleckchen rosa entdecken. Die Augen des Tieres blickten aufmerksam zu den umherstehenden Wissenschaftlern auf, wiesen allerdings nicht mehr jene Naivität aus, die Beutetiere ausstrahlten. Dieser Blick glich mehr dem einer Katze auf Raubzug und dennoch schien es keinem der Umstehenden aufzufallen. Innerlich machte Dr. Felon eine weitere Notiz für sich, in Zukunft ein wenig aufmerksamere Mitarbeiter zu finden, doch für den Anfang würden diese reichen. „Was sollen wir weiter machen?“, es war erneut die Frau, die ihm vorher entgegen gelaufen war, die sich nun wieder zu Wort meldete. Um ihr zu zeigen, dass nicht sie es war, die hier in erster Linie etwas zu sagen hatte, ignorierte Felon sie einige Sekunden, bevor er sich räusperte und einen beabsichtigt langen Augenblick auf den Zettel sah, den er inzwischen schon auswendig konnte. „Wir beobachten das Tier noch einige Stunden. Noch können wir nicht genau sehen, was sich alles verändert hat. Ich will über jede Veränderung in Kenntnis gesetzt werden – wenn es denn etwas sein sollte, für das man mich in meiner Arbeit unterbrechen sollte. Im Falle des eventuell eintretenden Todes…nun….sie erreichen mich an meinem Pieper…“ Ohne den Bericht an Dr. Williamson zurück zu reichen, verließ der ältere Mann die Abteilung wieder und machte sich daran, dorthin zurück zu gehen, woher ihn die farbige Frau zuerst weggeholt hatte. Diese Veränderung war in der Tat berichtenswert gewesen, dennoch hatte sie nicht eine solch hohe Priorität, als das er bei seinem Rundgang gestört werden wollte. In seiner 30-jährigen Berufserfahrung hatte Dr. Felon allerdings schon mit vielen anderen Menschen zusammengearbeitet und er wusste auch, dass er es hier hätte viel schlimmer treffen können. Doch selbst bei all den Menschen, die hier im Untergrund für einen biologischen Durchbruch und weltweiten Fortschritt arbeiteten, gab es vielleicht eine Hand voll, die Felon als wirklich nützlich einstufen würde. Keine Stümper wie all jene, die eben blöd gaffend um das Karnickel gestanden hatten und es nicht schafften, ohne ihn ein Urteil zu treffen. „Ist der wirklich immer so?“, Mariah Williamson wandte sich etwas ratlos an ihre Kollegen. Jene Euphorie, die sie bezüglich des kleinen Nagers überkam, hatte einen jähen Dämpfer bekommen, als Dr. Felon sie und die anderen Biologen und Wissenschaftler in diesem Raum mehr als deutlich, wer hier der Chef und wer hier nur die treuen Untergebenen waren. „Leider. Aber von dem, was ich gehört habe, ist er wirklich ein Genie. Er ist der beste Virologe, den wir hätten bekommen können und bei der Gage, die er erst erhalten wird, wenn hier alles klappt, kann er sich wohl viel erlauben…“ Ein Mann Anfang dreißig zuckte die schmalen Schultern, bevor er sich seinen Kugelschreiber wieder einsteckte und sich mit der freien Hand über den kurzen blonden Haarschopf strich. Mariah hatte ihn nie nach seinem Nachnamen gefragt und auch wenn er auf seinem Namensschild stand, hatte sie ihn stets nur als Tom angesprochen. Er hatte sich schon als Tom bei ihr vorgestellt und alle auf dieser Station – Dr. Felon selbstherrlich ausgenommen – nannten ihn beim Vornamen. Es sorgte für ein entspannteres Klima, was alle brauchen konnten, denn ständig zusammen zu arbeiten konnte bei langen Arbeitstagen sehr auf die Nerven der Menschen schlagen. Den Ausgang, den sie alle paar Wochen bekamen entschädigte das dauerhafte Wohnen unter der Erde nicht unbedingt leichter, aber zumindest versuchte die Firma, die sie hier angestellt hatte, es ihnen erträglicher zu machen. Sie hatten Wecker, die nach dem allmorgendlichen Weck-Ton Vogelgezwitscher von sich gab. Die Beleuchtungseinrichtungen in ihren Zimmern simulierten jenes der Sonne und manchmal gab es statt des Vogelgezwitschers aus dem Wecker auch einen Regenschauer zu hören. Nicht, das all diese Dinge einen Spaziergang im Freien ersetzte, aber es ließ zumindest für einige Minuten vergessen, dass man sich unter Tonnen von Erde befand und dort lebte und arbeitete. „Genie oder nicht...was auch immer er tut oder weiß, wir arbeiten hier auch mit und er könnte all diese Entwicklungen und Tests nicht ohne uns machen...“ Obwohl Mariah von anderen bereits gehört hatte, das Felon nicht gerade der am einfachsten zu handhabende Wissenschaftler war, so hatte sie es dennoch auf einen Versuch ankommen lassen und war nun in ihrer Hoffnung, er sei doch nicht so unangenehm wie angenommen, enttäuscht worden. „Mach dir nicht so viel daraus...immerhin arbeitest du ja mit uns zusammen und nicht mit ihm.“ Während Tom sie angrinste, nickte Alex zustimmend. Alex war damals mit Tom zusammen hier gelandet, wobei Tom eher den sprechenden Part von den beiden Männern übernahm. Alex leistete durchaus seinen Part an der Arbeit und das besser als der Durchschnitt, allerdings war er nicht gerade jemand, der nach Feierabend – den sie oft nicht hatten – die Nähe zu anderen Menschen suchte und vertiefende Freundschaften knüpfte, sondern sich in sein Zimmer zurückzog und dort still für sich ein Buch las und dazu Musik hörte. Dennoch war er nicht unbeliebt, auch wenn die anderen nicht unbedingt wussten, über was sie mit ihm reden sollten. Er war jemand, mit dem man gut zusammenarbeiten konnte, von dem man nicht viel Gemurre und ständiges Dreinreden zu erwarten hatte. Alex hatte noch nie viel geredet, allerdings hatte man ihn deswegen in der Schule immer gemieden. Meist hatte er in einer der letzten Reihen alleine gesessen und auch in seiner Studienzeit war es nicht sonderlich anders gewesen. Dadurch, dass er nie auf sich aufmerksam gemacht hatte, war er auch einige Male übersehen worden, trotzdem hat er an seiner Verhaltensweise nie etwas geändert. Und nun war er in einem Konzern angestellt, der ihm mehr als das dreifache zahlte von dem, was er woanders als Biologe hätte verdienen können. Wie auch viele andere Wissenschaftler war er nicht von sich aus zu dieser Firma gekommen, sondern war von diesen Leuten angeschrieben worden, die sich seine Zeugnisse angesehen und damit mehr als zufrieden gewesen waren. Das anschließende Bewerbungsgespräch war nur in Ansätzen damit zu vergleichen, was Alex in den letzten Jahren erlebt hatte. Anders als zuvor musste er hier nicht mit anderen Bewerbern lange warten, sondern wurde zu einer gewissen Zeit eingeladen und dann Punkt genau aufgerufen. Das Büro war kalt und war scheinbar einzig und allein aus Glas, Metall und Plastik aufgebaut – wie der Rest der Räumlichkeiten in diesem Komplex, aber es diente wohl der Hygiene, da es leichter zu putzen war, als Stoffe oder Teppiche. Der Handschlag des Mannes, dem Alex gegenüber gesessen hatte, war kräftiger ausgefallen, als es sich der junge Mann gedacht hatte. Außerdem waren die Unterlagen, die er mitgebracht hatte, nicht nötig gewesen. Die Firma – BioSanitas – hatte sich bereits alle seine Urkunden und Zeugnisse zuschicken lassen. Im Nachhinein hatte Alex das durchaus stutzig gemacht, doch in dem Moment, als er dort gesessen hatte, war er mehr als nervös gewesen, sodass er diese Tatsache ignoriert hatte. Es zeugte wohl auch von der Weitläufigkeit des Unternehmens, wenn sie an die Zeugnisse eines frisch abgegangenen Studenten kamen. Dennoch hatte er nichts gesagt, sondern saß still dort und gab die Auskunft, die Mr. Harvey noch haben wollte. Es waren Belanglosigkeiten und Harvey machte sich noch nicht einmal Notizen, sondern lediglich einige Häkchen. Das Gespräch war nach wenigen Minuten vorbei und Mr. Harvey schüttelte Alex erneut die Hand. Der junge Mann bekam bereits ein Zugeständnis, nächste Wochen bei ihnen anfangen zu können. Bei kurzen Gesprächen mit Tom und Mariah hatte er herausgefunden, dass es bei ihnen beiden ähnlich gelaufen war. Tom wurde sogar das Flugticket bezahlt samt Hotelaufenthalt für eine Nacht bezahlt, sodass er pünktlich und ohne Aufwand bei seinem Bewerbungsgespräch anwesend sein konnte. Nicht, dass es bei Tom sonderlich interessanter abgelaufen war. Jetzt waren sie alle hier, mehr oder weniger eingeladen von einem großen Konzern, der es sich zum Ziel gesetzt hat, das Leben der Menschen zu erleichtern. Sie wurden dafür bezahlt, zu arbeiten und zu forschen und nicht, um ihre ethischen Grenzen auszutesten. Dennoch spürte der junge Mann so etwas wie Mitleid in sich aufkeimen, als sein Blick erneut auf das Karnickel fiel, das immer noch bewegungslos in seinem Käfig saß und schneller atmete, als es sich gehörte. „Gib ihm noch ein bisschen Salat, danach sollten wir uns wieder an die Computer setzen. Auch wenn das Ergebnis bisher nicht schlecht aussieht, ich denke, Felon würde es nicht gut heißen, wenn wir nun alle um den Käfig stehen und dieses Tier anstarren…“ Tom zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder hinter seinen Computerbildschirm. Sein Gesicht wurde vom Licht des Bildschirms beleuchtet und verlieh ihm einen unnatürlichen Teint. Wortlos griff sich Alex ein weiteres grünes Blatt Salat und warf es von oben in den Käfig, doch das Kaninchen blieb sitzen, die Ohren eng an den Körper angelegt und gab immer wieder leise Geräusche von sich, indem es mit den Zähnen klapperte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)