Teekessel von abgemeldet (ShikaIno) ================================================================================ Kapitel 1: Teekessel -------------------- Titel: Teekessel (One-Shot) Kommentar: Des Morgens geplant, bis zum Mittag fertiggestellt - persönliche Bestzeit. Alles, was sie konnte, konnte er besser. Beruflich war Shikamaru fraglos der Erfolgreichere von ihnen beiden. Er gehörte gewissermaßen zum inneren Beraterstab der fünften Hokage, und mit Rücksicht auf seinen Charakter (ein nie da gewesenes Privileg in ganz Konoha) konnte er sich sogar aussuchen, welche der weniger wichtigen Operationen er leiten wollte. Leiten. Er konnte alles, was sie können sollte, besser: er konnte besser kochen als sie. Ino brauchte stets eine Waage und eine Uhr zum Kochen, und Shikamaru kippte alles Mögliche zusammen und ließ nie etwas anbrennen. Seitdem war es ausgeschlossen, dass jemand zu ihnen zum Essen eingeladen wurde. Er konnte besser renovieren als sie. Shikamaru fiel die Tapete nicht wieder herunter, er machte keine Farbkleckse auf die Möbel, und er ließ das Terpentin nicht eintrocknen. Man hatte in der ganzen Wohnung gesehen, welches Fleckchen Ino bearbeitet hatte – bevor Shikamaru seufzend den Schaden beseitigt hatte und man jetzt gar nichts mehr von ihren Patzern sah. Er konnte besser mit Kindern umgehen als sie. Hin und wieder hielt sie an der Akademie einen Vortrag über die heimische Flora und deren Nutzen, und wenn sie fertig war, fragte immer irgendein Schüler nach ihrem Freund und ob sie etwas Privates von ihm erzählen könnte. Und wenn er sie abholte, war sie nicht mehr Ino-san oder Yamanaka-sensei, sondern Shikamarus Freundin. Er musste sich nie Respekt verschaffen, der Respekt folgte ihm. Er konnte besser reden als sie. Ino hatte immer eine flinke Zunge gehabt, und diese Fertigkeiten hatten für die Normalsterblichen gereicht. Shikamaru setzte sie ständig mit einem kurzen Satz außer Gefecht, und sie hatte nie das Gefühl, seinen Gedanken folgen zu können. Wenn sie auf seine philosophischen Andeutungen reagierte, war es plump und geradlinig, und er schwieg danach generell und nickte manchmal gnädig. Er konnte sogar besser flirten als sie. Ino war keine außergewöhnliche Schönheit, sie war hübsch, wie Sakura es bezeichnet hatte. Und damit zufrieden gewesen. Wenn sie einem jungen Mann zuzwinkerte, zwinkerte er nicht selten zurück, und ihre entwaffnende Art brachte so manchen in Verlegenheit. Shikamaru brauchte nicht zu zwinkern, er hatte dermaßen intensive Blicke, dass dauernd Mädchen, die ebenso oder noch in gesteigerter Form hübsch waren, errötend und kichernd winkten oder tuschelnden. Jetzt, wo Ino darüber nachdachte, konnte er wohl auch besser küssen als sie, obwohl er nicht geübt hatte. Doch was Ino am meisten traf, war dass er sie selbst auf dem Gebiet übertraf, das ihr in die Wiege gelegt war – die Floristik. Shikamaru musste keine Bücher lesen und Exkursionen machen, sein Gehirn zog automatisch die richtigen Schlüsse, und alles Weitere erledigte seine Intuition. Scheinbar mühelos war es ihm gelungen, Inos Vater Inoichi damit zu beeindrucken. Und damit nicht genug, Ino wusste genau, dass ihre Eltern ihn als potenziellen Schwiegersohn handelten, eine Ehre, die bisher noch keinem zuteil geworden war. Und da Ino mit ihm und Choji groß geworden war, galten verschärfte Regeln, die für Shikamaru kein Hindernis darstellten. Natürlich konnte sie sich freuen, mit einem so wunderbaren Mann zusammen zu sein, der ihre gravierenden Fehler ausbügelte und um den sie jeder beneidete. Der immer die Augen verdrehte, wenn sie etwas Dummes sagte oder tat. Der generell in keine peinliche Situation geriet. Der ihr Leben eigentlich gleich mit leben könnte, wenn das möglich wäre. Der keine Sicherheit bot, sie nicht bloß aus Bequemlichkeit zur Freundin zu haben. Der nie um ihre Hand anhalten würde. Ino schleppte diese Gedanken mit sich herum, seit sie zusammengezogen waren. Zumindest wurde er immer stärker, je öfter sie neben ich aufwachte, oder auch nicht, wenn er schon längst zu irgendeiner enorm wichtigen Sache gerufen worden war. Sie dachte diese Gedanken in ziemlich genau derselben Form viel, und es kam ihr so vor, als würde sie es mit jedem Mal, bei dem ihr das Abendessen anbrannte oder ein Mädchen in Shikamarus Gegenwart verstohlen ihre Kleidung glatt strich oder sich durchs Haar fuhr, endloser werden. So machte es keinen Spaß, verliebt zu sein. Lustlos rührte sie in der Suppe herum, deren Farbe ganz anders war als im Kochbuch und in der wahrscheinlich zu viel Salz war. Shikamaru würde sowieso bald Heim kommen und entweder etwas von Ichiraku mitbringen oder etwas Revolutionäres hineinkippen, was die Suppe zumindest essbar machte. Ino war ein starker Charakter, und vor allem sehr streitlustig. Aber wie sollte sie mit Shikamaru darüber streiten, dass sie sich banal gesagt für blöd hielt und in seiner Gesellschaft, die sie vorher so genossen hatte und die mit der Zeit immer bitterer schmeckte, minderwertig fühlte? Ino war nah daran, verzweifelt zu sein. Die Haustür schwang auf, und Ino hörte, wie Shikamaru etwas, das sich in einer oder mehreren Plastiktüten befand, raschelnd auf den Boden stellte, um seine Schuhe auszuziehen. Sie nahm den Topf von der Herdplatte und goss den Inhalt ins Waschbecken, den schmutzigen Topf verstaute sie unter der Spüle. Hoffentlich ging der am Boden festgeklebte Reis noch ab. Ino wischte sich die Hände an der geblümten Schürze ab, die ihre Mutter ihr bei ihrem Umzug geschenkt hatte – die Lieblingsschürze ihrer Mutter, und zweifellos der Besitz einer potenziellen Gattin – und trat in den Flur, um ihn zu begrüßen. Shikamaru streifte seine Weste ab und hängte sie an die Garderobe, ein achtloser Umgang mit dem Zeichen für seinen Rang. Bei seinem Anblick schlug Inos Herz nach wie vor höher, und sie lächelte unweigerlich, bevor sie ihn auf die Wange küsste. Eigentlich war sie wesentlich temperamentvoller veranlagt, doch Shikamaru schien das peinlich zu finden, wenn sie ihn vor seinen Freunden oder anderen Ninja auf den Mund küsste. Womöglich, weil es ihn menschlich machte, dachte Ino sarkastisch. "Ich wollte gerade Abendessen machen.", log sie, als ihr auffiel, dass seine Augen an ihrer Schürze hängen geblieben waren. Sie hätte lüften sollen, denn es roch nach angebranntem Reis. Shikamaru gab vor, nichts zu bemerken. Er nahm die Tüte des Ichiraku-Imbiss, und eine kleinere aus geschöpftem Papier, die er Ino reichte. "Von meiner Mutter." Er ging an ihr vorbei, wobei ihre Oberarme sich streiften und Ino ein Schauer überlief. Sie drückte neugierig das schlichte, weiße Papier auseinander, das eigentlich zu wertvoll für eine Tüte war. Innen befand sich ein runder Gegenstand, so groß wie der Kopf eines Kindes, eingewickelt in Zeitungspapier. Während Shikamaru in der Küche auspackte, was er an Abendessen mitgebracht hatte, machte Ino sich an dem seltsamen Geschenk zu schaffen. Sie ging dabei äußerst vorsichtig vor, als könnte es zerbrechen. Ein sanfter Abendwind strich in den Raum, eingelassen durch die Fenster, die Shikamaru natürlich geöffnet hatte, einfach weil er daran gedacht hatte, es zu tun. "Warum schenkt deine Mutter mir etwas?", fragte Ino verwirrt. Der Gegenstand war schwer und klapperte gedämpft, als sie hineinlugte. Shikamaru zuckte mit den Schultern und brach seine Stäbchen auseinander. Es war unmöglich festzustellen, ob er bereits erkannt hatte, was sich in dem Zeitungspapier befand, oder ob es ihn nicht interessierte. Oder ob er sich nicht einmischen wollte, was Ino süß fand. "Sie hat nur gefragt, wie es dir geht, und es mir dann in die Hand gedrückt. Was ist es?" Ino ignorierte seine Frage und erwiderte stattdessen mit einem mulmigen Gefühl: "Und was hast du geantwortet?" Shikamaru fischte ein Stück Gemüse aus seiner Schüssel und legte es auf seine Serviette. Er mochte keinen Sellerie. Wenn Ayame das gewusst hätte, hätte sie sicherlich keinen hineingetan, kommentierte Ino das mental. "Dass du nicht schwanger bist." Oh, das leidige Thema wieder. Oder Shikamaru hatte es so verstanden, und es war ja unmöglich, dass er etwas falsch verstand. "Selbstverständlich nicht, vorher müssten wir heiraten." Ino ärgerte sich über ihn. Warum hatte er seiner Mutter nicht gesagt, dass sie unglücklich war, weil das Genie, mit dem sie zusammenlebte, sie nicht im geringsten zu brauchen schien, obwohl alles so wunderbar perfekt sein könnte zwischen ihnen? Oder dass er seine wahren Empfindungen nicht richtig zeigen konnte, weil er sie nicht erschrecken wollte und sie in Wahrheit auf Händen tragen würde, wenn sie wollte? "Wie lästig." Shikamarus ultimative Antwort auf alles. Ino funkelte ihn vernichtend an und erwog, ihn anzuschreien, in Tränen auszubrechen, aus der Küche zu stürmen und für ein paar Tage bei Sakura zu bleiben. Und entschied sich dagegen, weil das nichts besser, wenn nicht sogar schlimmer machen würde. Also setzte sie sich neben ihn, tauschte die traditionellen Worte zum gemeinsamen Essen, und schwieg. Ein paar Mal warf Shikamaru ihr einen Blick zu, die sie nicht auffing. Schließlich, als sie die Schüsseln aufeinander stapelte und die Stäbchen in den Müll warf, fragte er: "Was ist denn nun da drin?" Nichts, dachte Ino bitter. In diesem Kopf ist nichts als heiße Luft, wie du früher gesagt hast. "Ein Teekessel.", murmelte sie und holte den Topf unter der Spüle hervor, um ihn abzuwaschen. Der Teekessel war sehr schön. Er war aus unglasiertem Ton, schneeweiß und elegant. Er hatte einen kunstvoll-schlicht geschwungenen Hahn und war an beiden Seiten mit zartblauen und zartrosafarbenen Kirschblüten verziert. Vermutlich eine kleine farbige Andeutung von Shikamarus Mutter. Beigelegt war ein kleines Teesieb, und eine dünne, stabile Kordel, auf die eine Röhre aus Zedernholz aufgezogen war, fungierte als Henkel. Im Teekessel konnte Wasser direkt erhitzt werden, und sein Inhalt reichte genau für zwei Personen. Shikamaru hasste den Teekessel. Er hasste ihn inbrünstig von Anfang an. Er verbrannte sich die Finger am heißen Ton, er verspritzte heißes Wasser oder Tee auf seine Haut, er nahm zu viele Teeblätter, der hölzerne Griff glitt ihm aus der Hand, er schüttete beim Einschenken daneben, er überhörte das Pfeifen, wenn das Wasser kochte, er stellte ihn irgendwo ab und fand ihn nicht wieder, er vergaß den Untersetzer, sodass die heiße Unterseite des Kessels den Tisch verfärbte, und der Tee tropfte generell auf die Berichte, an denen er arbeitete. Ino liebte den Teekessel. Sie liebte ihn innigst von Herzen. Er war so süß, egal, wo er stand, und sie machte nie etwas falsch mit ihm. Der Griff aus Zedernholz lag wunderbar in der Hand, und das Teesieb hatte genau die richtige Größe. Und ihr passierten keine Unfälle und Missgeschicke, wenn sie ihn benutzte. Sakura erlag ebenfalls in Sekundenschnelle dem Charme des Teekessels, und sie beschlossen, ihn wegen der Kirschblütenmusterung Sakura-chan zu nennen. Zu Sakura-chans Tee passte jegliche Art von Gebäck, und Sakura schwor, dass es schlanker hielt, wenn man den geliebten kleinen Teekessel benutzte. "Wenn Sakura-chan mal ausgedient hat, werde ich sie als Blumentopf benutzen.", prophezeite Ino, und sie hoffte, dass dieser Tag noch weit entfernt war. Sakura-chan war der Fels in der Brandung von Shikamarus Allmacht. Ihr Freund war komplett unfähig, den Teekessel ohne größere Malheurs zu benutzen, doch Ino hatte ihren eigenen prompt weggeschmissen, als sie Sakura-chan in Betrieb genommen hatte. Zudem hatte sie sich nun das Hobby zugelegt, das ideale Set Teeschalen für ihren Teekessel zu finden. Zwar harmonierte Sakura-chans bezaubernde Einfachheit mit allem, doch es musste etwas geben, das über diese Ebene hinausging. Und das wollte erst mal gefunden werden. "Shikamaru?" Der Spätherbst war schlichtweg die beste Zeit für Tee. Ino ging neben ihrem Freund, den Arm unter seinen gehakt, und spielte mit den Fransen seines Schals – den Inos Mutter ihm gestrickt hatte, gewissermaßen als Gegenleistung – während sie aufmerksam die Auslagen der Geschäfte betrachtete und nach schönem Teegeschirr Ausschau hielt. Wie üblich brummte er lediglich und blinzelte schläfrig in die goldene Herbstsonne. Morgen würde er Konoha verlassen, vermutlich für eine längere Zeitspanne, und Ino hatte ihn überredet, seinen freien Nachmittag davor mit ihr zu verbringen. Es schmerzte, dass er hatte überredet werden müssen. "Auf deiner Mission, wirst du da viel herumkommen?" Shikamaru schätzte das ab, oder er war bloß zu faul, gleich zu antworten. "Wahrscheinlich." Ino lächelte und zupfte an seinem Schal. "Bringst du mir etwas mit?" Herrje, wie oberflächlich und dumm sie klang! Aber Shikamaru wand lediglich seinen linken Arm aus ihrem Griff und legte ihn um ihre Taille, wobei er die Hand in ihrer Manteltasche versenkte, um sie nicht kalt werden zu lassen. Ino lächelte etwas breiter und legte die Wange gegen den wohl perfekten Knoten seines Schals. "Ja." Er wollte nicht mal wissen, was sie verlangte. Ino küsste ihn zum Dank auf die Wange, diesmal, weil sie so schnell an nichts Anderes herankam. "Wo musst du denn hin?" Hoffentlich nach Iwa, da gab es sicher genau die richtige Auswahl. "Sunagakure." Inos Lächeln erstarb. Ausgerechnet in die Hauptstadt von Suna also. Wo es so viele ambitionierte, intelligente junge Frauen gab, die mehr als nur hübsch waren. Allen voran Temari Sabakuno, die ältere Schwester des Kazekage. Die es sich vermutlich nicht nehmen lassen würde, Shikamaru persönlich zu begrüßen und herumzuführen und- "Oh. Einen Moment bitte." Ino machte sich von ihm los und verschwand in einem Geschäft. Es war vollgestopft mit kitschigen Porzellanartikeln, doch das war Ino egal. Shikamaru würde also nach Suna gehen, wollte seinen freien Nachmittag davor nicht mit seiner Freundin verbringen und würde dort jede Menge Zeit mit der mehr als hübschen und geistreichen Temari verbringen. Und sie, das hübsche Beiwerk würde hier bleiben und erfolglos nach Teeschalen suchen und sich um einen verdammten Teekessel kümmern statt um ihren geliebten Freund, der wohl nie ihr Verlobter werden würde. Niedergeschlagen ließ Ino den Blick über die grellbunten Gesichter der Porzellanfiguren schweifen, dann seufzte sie und schob die Tür auf, zurück in die kalte, trockene Herbstluft, und nahm aus dem Geschäft die wenig tröstende Gewissheit mit, dass sie nie eine ähnliche Ehe wie die ihrer Eltern führen würde, auch nicht, wenn sie den Floristenbedarf eines Tages übernahm. Shikamaru hatte derweil bei einem Stand eine kleine Tüte gegarter Süßkartoffeln erstanden und reichte ihr wortlos eine, als sie wieder zu ihm stieß. "Kein Glück gehabt?" Ino, die sich soeben die Zunge an der heißen Süßkartoffel verbrannt hatte, schüttelte den Kopf. "Kein Glück." Einen Monat später hatte Shikamaru sich nicht gemeldet. Ino hatte von Tsunade die frohe Kunde erhalten, dass allmählich mit seiner Rückkehr zu rechnen sei. Ino rechnete mit gar nichts. Sie nahm Sakura-chan mit in den Laden ihrer Eltern, die – wie passend – nicht in Konoha waren, sondern mit einer romantischen Schifffahrt in Kiri ihren Hochzeitstag feierten. Zwischendurch unterhielt sie sich sogar mit dem kleinen weißen Teekessel. Draußen war mittlerweile der Frost ausgebrochen, und um die Pflanzen davon nichts spüren zu lassen, brauchten sie besonders viel Pflege. Und als wäre das nicht alles genug, war ihre gesamte Umwelt im Liebestaumel. Ino hatte noch nie so viele Sträuße, Gestecke und Schnittblumen mit romantischen Botschaften wie in diesem Monat anfertigen müssen. Oder es kam ihr nur so vor. Ständig kam jemand herein, nahm eins der bunten Kärtchen und verfasste eine kurze Nachricht an die angebetete Person. Oder Ino diktierte eine, das machte ihr für gewöhnlich Spaß. Es machte weniger Spaß, wenn sie Shikamaru abends nicht von ihren neusten Kreationen erzählen konnte. Sie hatte gerade zum dritten Mal an diesem Tag frische Baccara-Rosen in den Bottich für die Schnittblumen gestellt – warum war jedermann so platt, rote Rosen zu schenken – und hängte vorübergehend das 'Geschlossen'-Schild auf, um Mittagspause zu machen. Sakura-chan wartete bereits voller Verständnis auf sie. Ino überlegte gerade, ob sie lieber Erdbeertee oder normalen Früchtetee zu ihren Haferkeksen wollte – grüner Tee war fade ohne Shikamaru, der Sakura-chan misstrauisch beäugte – als irgendjemand trotz dem relativ eindeutigen Schild den Laden betrat. Entnervt drehte Ino sich um, um den unerwünschten Besucher hinauszuweisen, als es passierte. Ihre zu schwungvolle Drehung hatte zur Folge, dass sie den Ellbogen weiter als sonst abgespreizt hatte. Sie spürte, wie ihr rechter Ellbogen mit etwas kollidierte und es herunterriss. Dann lag der weiße Teekessel in Scherben. Ino stieß einen kleinen Schrei des Entsetzens aus und kniete sich hastig hin, um die Bruchstücke zusammenzuklauben. Der feine Hahn war in zwei Hälften geborsten, und die Verankerung der Kordel völlig zerbrochen. Und das Sieb hatte seinen rötlichen Inhalt auf die Fliesen des Ladens ergossen. Ino war den Tränen nahe. Das einzige Element ihres Lebens, das nur ihr und nicht Shikamaru gehorcht hatte... war ein kläglicher Haufen Scherben und Splitter. Verzweifelt versuchte Ino, die Überreste ihrer Sakura-chan in ihre Schürze zu kehren. Shikamaru beugte sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Wange. Er schien etwas brauner geworden zu sein, und er trug den Schal, den ihm Inos Mutter geschenkt hatte. Ihr fiel auf, dass sie noch nie gewartet hatte, ob er sie von sich aus auf die Wange küsste, sie hatte es selbst getan. "Sakura-chan ist kaputt...", jammerte Ino und strich zärtlich über den zerbrochenen Hahn. Shikamaru gähnte leise. "Gut." "Nichts ist gut! Du musst sie reparieren, du bist doch so genial!" Für einen Moment schien Shikamaru höchst irritiert. "Du willst, dass ich das wieder zusammensetze?" Inos Blick machte ihm eindeutig klar, dass er genau das und nichts Anderes tun sollte. Shikamaru suchte in ihrem herzförmigen Gesicht nach einem Zeichen der Nachgiebigkeit, die sie ihm gegenüber öfter als bei anderen zeigte, und fand keins. Vielmehr waren ihre glasigen blauen Augen ungewöhnlich streng. Er gab sich geschlagen. "Urusai..." Erst, als Shikamaru gegen Abend alle Scherben auf seinem Schreibtisch ausgebreitet hatte und einen widerstandslos haltbaren Klebstoff besorgt hatte, sprach Ino wieder mit ihm. Sie fragte nicht, ob er ihr etwas mitgebracht hatte, weil es ohnehin egal war – jetzt, wo Sakura-chan kaputt war. Stattdessen nahm sie auf dem Rückweg in einem der Cafés zwei Becher Kaffee mit, womit sie unmissverständlich symbolisierte, dass die Reparatur so schnell wie möglich vonstatten gehen sollte. Sie füllte den Kaffee in der Küche in zwei henkellose Becher um, die mit ihrem blassen, frühlingshaften Grün farblich gut zu Sakura-chan gepasst hatten, aber zu groß gewesen waren, und stellte den einen neben Shikamaru ab, der zaghaft versuchte, einen Ansatz für sein Puzzle zu finden. Er deutete auf den dreibeinigen Hocker, den er meist für Sakura-chan benutzt hatte – damit sie ja außer Reichweite seiner Dokumente war. Ino setzte sich mit ihrem Kaffeebecher und musste sich wundern, wie sehr sie beide ihren Alltag schon mit diesem schlichten Teekessel arrangiert hatten. "Hier." Shikamaru reichte ihr einen knisternden, kleinen Beutel. Ino öffnete ihn eilig und bemühte sich, ihre Enttäuschung nicht allzu offensichtlich zu machen – Kekse. Sie hatte auf Teeschalen gehofft. "Danke." Sie lächelte trotzdem und drückte seine Hand. Immerhin, etwas Nützliches. Sie fischte einen der Kekse heraus und tunkte ihn in den Kaffee. Shikamaru ließ die Bruchstücke fallen, die er gerade hatte zusammenkleben wollen. Zum Glück brachen sie kein weiteres Mal. "Was tust du da?!" Ino zog den Keks wieder heraus und knabberte daran. "Ich tunke ihn ein. In Glückskeksen steht immer nur, dass ich fett und hässlich bin." "Das sind aber keine Glückskekse.", erwiderte Shikamaru resigniert. Ino runzelte die Stirn und brach den weichen Keks auf. Es war tatsächlich ein dünner Papierstreifen drin, und er war gründlich mit Kaffee getränkt und somit erfolgreich unleserlich gemacht. "Na gut..." Sie legte den Streifen beiseite und aß die Hülle, um mit einem Neuen ihr Glück zu versuchen. Beziehungsweise ihr Nicht-Glück. Haben Sie den Herd an gelassen? Die Furchen auf Inos Stirn vertieften sich. "In der Tat, es sind Scherzkekse. Dafür sind sie lecker." Ino setzte ihre Suche nach freundlichen Keksbotschaften fort, war allerdings wenig erfolgreich. Die meisten enthielten Fragen über ihre Verhaltensweisen oder ihren Lebenswandel. Was sie überraschte, war dass es ausschließlich Fragen waren, keine altklugen Weisheiten. "Lies den, der im Kaffee war.", instruierte Shikamaru ungeduldig. Er hatte Sakura-chans Hahn bereits rekonstruiert. Ino wischte über den Streifen, konnte jedoch kaum etwas entziffern. Sie lächelte und legte das Papier weg. "Shikamaru, nur weil da irgendetwas von 'Heiraten' stand, kommst du noch lange nicht drum herum, Sakura-chan wieder zusammenzusetzen, das ist dir klar, oder?" Shikamaru grinste. Und Ino schob seine Hand ein Stück nach rechts, bevor er eine Scherbe ankleben konnte. Na bitte, Rekonstruieren. Noch etwas, in dem sie besser war als er. Alles, was er nicht konnte, konnte sie besser. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)