Bring mir dein Lachen bei von Stiffy ================================================================================ Kapitel 13: Partitur -------------------- Kaum hatte sich die Tür geschlossen, hatte ich einen Schritt nach vorne gemacht, nach der Türklinke gegriffen und den Impuls verspürt, sie aufzureißen, ihm hinterher zu schreien. Ich habe es nicht getan, denn ich wusste nicht, was ich hätte schreien sollen. Also blieb ich stehen, mit der Türklinke in der Hand, welche nach einigen Minuten wie Feuer zu brennen schien. Ich ließ sie los, drehte mich um, ging ins Schlafzimmer zurück. Da ließ ich mich sinken, auf die Matratze, den Kopf in eines der Kissen vergraben und mir wünschend, doch jetzt einfach alles vergessen zu können. Nicht ein Auge habe ich zugetan seither, obwohl schon zwei Stunden vergangen sind. Ich schaffe es einfach nicht, zur Ruhe zu kommen, wälze mich von einer Seite zur anderen und wieder zurück. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Natürlich, es gibt mehrere Ansätze, die durch mein Hirn rauschen... da wäre die Möglichkeit, ihn anzurufen, denn eigentliche sollte er schon wieder zuhause sein. Doch was tue ich, wenn er am anderen Ende ist? Würde er mich überhaupt zu Wort kommen lassen? Und wenn ja, was will ich ihm sagen? Auch könnte ich Tobias anrufen, ihn bitten, wieder herzukommen. Ich weiß nicht wieso, aber gerade habe ich das Gefühl, dass es gut wäre, wenn er hier wäre. Er würde mir ein Stück meiner Normalität zurückbringen. Doch auch das habe ich noch nicht getan. Ich habe das Letzte getan, die dritte Möglichkeit: liegen und nachdenken, versuchen, das Nachdenken zu unterbinden, um nur letztendlich weiter nachzudenken. Ach, natürlich, es gibt da noch eine vierte Möglichkeit: aufstehen und Fern sehen... oder Arbeiten... Ablenken halt... doch käme das alles der dritten Option ziemlich gleich. Ich würde mich doch eh auf nichts konzentrieren können. So also liege ich weiter hier, zwischen meinen verwirrten Gefühlen und dem Bewusstsein, dass es eigentlich vollkommen falsch ist, sie mir alle anzuhören. ~ * ~ Eine meiner vielleicht prägendsten Erinnerungen aus meiner Kindheit ist so ungefähr elf Jahr alt... sie ist von damals, als ich fünfzehn war, als ich mich mit Gefühlen, Liebe, mit alle dem noch nicht wirklich beschäftigte, obwohl es schon alle aus meiner Klasse taten. Damals kam Kenneth nach Hause, mit diesem Mädchen, einer jungen Frau, die er an der Hand hielt. Ich hatte sie schon irgendwo einmal gesehen, ich wusste nur nicht mehr wo. Lange konnte ich darüber auch nicht nachdenken, denn schnell fing das wütende Gesicht meines Vaters meine Aufmerksamkeit ein. Er saß da, am Esstisch, schaufelte die Nahrung pflichtbewusst in sich hinein, und warf der jungen Frau, welche ihm schräg gegenüber saß, immer wieder einen dieser düsteren Blicke zu, die ich noch nie ausstehen konnte. Ich glaube, sie war ziemlich verängstigt, und Kenneth neben ihr hielt zwar ihr Hand dann und wann, doch sah ich in seinem Gesicht, dass er bereits wusste, was hier los war. Ich wusste es nicht, ich hatte gar keine Ahnung, da ich mich nie mit Liebe auseinandergesetzt hatte, da ich nicht wusste, was meine Eltern von dergleichen hielten, da dieses Thema mich einfach noch überhaupt nicht interessierte. Irgendwann nach dem Essen, als ich gerade verschwinden wollte, bekam ich mit, wie die junge Frau Kenneth bat, sie heimzubringen. Ihr Blick traf mich und sie lächelte. Das Mitleid in ihren Augen verstand ich nicht. Während die beiden gingen, verschwand ich in der Bibliothek. Ich verkroch mich mit einem Buch in den Kissen auf der Fensterbank und vergaß das komische Abendessen schnell. Erst die Stimmen aus dem Flur etwa eine Stunde später ließen mich aufhorchen. Ich legte das Buch weg, schlich zur Tür der Bibliothek und sah im Flur meinen Vater stehen, zusammen mit Kenneth. „Aber-“ „Nein!“, unterbrach die feste Stimme meinen Bruder. „Ich sage es noch ein Mal: Ich wünsche nicht, sie hier auch nur noch ein einziges Mal zu sehen!“ „Das kannst du nicht machen!“ „Oh, ich kann sehr viel!“ Ein kaltes Lachen. „Vater... Ich liebe sie!“ Es kam von Kenneth und ich hörte die Verzweiflung, mit der er diese Worte sprach. Etwas, das ich bisher nicht kannte, nicht von ihm. Er war immer mein starker, kühler großer Bruder gewesen. „Liebe! Pah! So etwas gibt es nicht!“ Es klang verächtlich und setzte sich in meinem Kopf fest. „Das ist etwas für Weicheier! Bist du etwa ein Weichei?“ „Nein!“ Die Antwort kam schnell und ich wusste auch weshalb. Sein Leben lang hatte Kenneth immer versucht, der Beste in allem zu sein – und er hatte es geschafft, immer, jedes Mal. Ich glaube, das lag daran, weil er Vater beweisen wollte, dass er es wert sein würde, sein Nachfolger zu sein. Sein ganzes Leben lang wurde er dazu erzogen und alles drehte sich nur darum. Natürlich wollte er auch jetzt nicht, dass an seinem Bild des perfekten Sohnes irgendwas nicht stimmte. Ein Wunder eigentlich, dass er die Frau überhaupt mitgebracht hatte. „Und wieso dann dieser Bauerntrampel?“ „Sie... sie... ich will mit ihr zusammen sein!“, fand er keine Begründung, doch seine Stimme zeigte, dass er so schnell nicht nachgeben wollte. „Mehr als alles andere?“ „Ja!“, sagte Kenneth, seine Stimme war laut. „Ja!“ Ein Lachen. „Dann verschwinde! Du wirst enterbt und ich will dich nie wiedersehen!“ Ich sah Kenneth zusammenzucken und ich tat es selbst ebenso. Ich kannte Drohungen, wusste, dass mein Vater sie gerne in den Mund nahm und auch wahrmachte, aber noch nie war eine so gravierend gewesen. Er setzte sich in Bewegung, ging mit erhobenem Kopf an seinem ersten Sohn vorbei, und ich sah, wie dieser mit sich rang, wie seine Augen immer größer wurden, sich seine Fäuste immer weiter spannten. Fast glaubte ich, dass ich ihn zum ersten Mal richtig schreien hören würde... doch alles, was schließlich aus seiner Kehle kam, war ein heißeres „Warte.“ Mein Vater blieb stehen, augenblicklich. Er sagte nichts und wartete, bis Kenneth zu ihm kam. „Willst du es dir etwa anders überlegen?“, fragt er kühl, aber triumphierend... und ich spürte, wie ich den Kopf schüttelte. Kenneth aber tat dies nicht. Er nickte. „Du siehst also ein, dass solche Gefühle Unsinn sind?“ Wieder ein Nicken. „Du verstehst, dass sie dich nicht weiterbringen auf deinem Weg, sondern sie dich nur aufhalten werden?“ Erneut... „Du hast gelernt, dass man niemals nach irgendwelchen Gefühlen handeln sollte?“ Und wieder... doch ich sah den Schmerz in seinen Augen, der immer weiter wuchs. „Also? Was wirst du tun?“ „Ich...“ „Sprich es aus!“, donnerte die tiefe Stimme, die ich immer schon verabscheut hatte. Ich sah Kenneth in sich zusammenfallen und glaubte schon fast, dass er nun doch nicht zustimmen würde. „Ich werde... sie nie wiedersehen.“ „Und was noch?“ „Ich werde nie wieder... nach Gefühlen handeln.“ „Sehr gut!“ Er klopfte Kenneth auf die Schulter und dann grub er seine Finger hinein. „Und jetzt geh zu Linda und sag ihr, dass sie dieses Pack entlassen soll. Ich will niemanden für mich arbeiten sehen, der meinen Nachfolger auf schlechte Gedanken bringt!“ ~ * ~ Mit einem dumpfen Magenschmerz setze ich mich im Bett auf. Ich schalte das Licht meiner Nachttischlampe an und fahre mir durch die Haare. Erst langsam klärt sich das Bild vor meinen Augen und die Erinnerung verschwindet. Zitternd vor Kälte wickle ich mich enger in meine Decke ein. Dies ist eine Erinnerung, über die ich nicht oft nachdenke... eigentlich mehr als nur selten. Schon damals habe ich sie schnell wieder vergessen, oder verdrängt... Ich war nicht erzogen worden, um über so etwas nachzudenken, also tat ich es nicht. Ich habe einfach versucht, nicht den Schmerz in Kenneth’ Gesicht zu erkennen, jedes Mal, wenn ich ihn sah. Ich verdrängte, was ich gehört hatte und gleichzeitig grub sich doch all das ganz tief hinein in mein Inneres. Ich lernte daraus... Ich lernte daraus, mir auch in den nächsten Jahren keinerlei Gedanken über derartige Dinge zu machen. Erst als ich Neunzehn war, als ich die Schule abschloss, änderte sich das ein wenig. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nie einen anderen Menschen geküsst, kannte keine menschliche Nähe und wusste nicht, was eigentlich genau Gefühle waren. Ich hatte noch nie wirklich gegen meine Eltern gehandelt, und doch wusste ich, dass ich nicht länger Zuhause bleiben wollte. Ich war nicht wichtig für diese Familie, war nur der zweite Sohn, der nicht wichtig für die Firma war... also hatte ich keine Aufgabe zu erfüllen. Ich meldete mich an einer Universität an, welche zu weit von Zuhause weg lag, als dass ich jeden Tag hätte fahren können. Sehr problemlos reagierte mein Vater, als ich ihm dies sagte. Er suchte mir eine Wohnung und nahm Abschied von seinem zweiten Sohn, ohne auch nur ein Mal zu lächeln oder Glück zu wünschen. Mir war das egal, gleichgültig, und mit eben diesem Gefühl zog ich auch in meine erste eigene Wohnung. Der Gefühlsschwall, den ich irgendwie erwartet hatte, blieb aus... und ich ging ziemlich schnell in mein neues Leben über. Im ersten Jahr nach meinem Auszug schlief ich das erste Mal mit einer Frau... und keine zwei Wochen später hatte ich Sex mit einem Mann. Wieso? Weil es sich ergab. Es ergab sich danach häufig und schnell begriff ich, dass es sich bei Männern besser anfühlte, als bei Frauen, dass Männer es schafften, mir wenigstens für ein paar Sekunden lang den Verstand zu rauben, während ich es bei Frauen nur langweilig fand. Also holte ich nach, was ich in den vergangenen Jahren nicht bekommen hatte. Wieso? Keine Ahnung... ich tat es einfach, ohne darüber nachzudenken. Ich küsste unzählige Männer, verschlang sie körperlich... und ich glaube, ich war dabei auf der Suche nach einem Gefühl, von dem ich nichts wusste, außer, dass es meinen sonst so ruhigen, gleichgültigen Bruder einmal befallen hatte. Ich fand es nicht und ich gab die Suche auf. Ich kam zu dem Schluss, dass mein Vater recht gehabt hatte: So etwas wie Liebe existierte nicht. Vier Jahre nach meinem Auszug lernte ich Tobias kennen. Ich schlief ein paar Mal mit ihm... und er blieb bei mir. Wieso ich es zuließ? Weil es mir langsam auf den Geist ging, immer neue Männer um mich herum zu haben. Ich wollte mich nicht mehr ständig auf einen neuen Menschen einlassen müssen, sei es auch nur für eine Nacht... Es war eintönig geworden. Tobias war einfach genau zu dem Zeitpunkt zur Stelle und war bereit, bei mir zu bleiben und mein einziger Mann, mein Freund zu werden. Liebe? Nein. Es war einfach nur praktisch. Was sich seit damals verändert hat? Nichts, rein gar nichts. Vielleicht dachte ich, dass ein Wunder geschehen würde, wenn ich von Zuhause ausziehen würde, doch das Wunder kam nie. Ich blieb der Mensch, zu dem ich erzogen worden war, und lernte, dass die Welt genau so ist, wie es mir seit meiner Kindheit immer erzählt wurde. Gefühle gibt es nicht... zumindest nicht für mich. ~ * ~ Der Montag vergeht damit, dass ich mich zur Arbeit schleife, sie hinter mich bringe, und mich wieder zurück schleife. Durch meinen Kopf wirbeln dabei die gesamte Zeit diese merkwürdigen Gedanken, die ich nicht einordnen kann. Ich weiß nicht, was ich tun soll, weiß nicht, was ich denken soll. Ich weiß, dass es mir leid tut, weiß, dass ich Mel nicht als Freund verlieren will... doch ebenso weiß ich, dass ich es kaputtgemacht habe, nur weil ich ein Mal so blöd war, mich dieser körperlichen Begierde hinzugeben. Abends Zuhause wartet Tobias schon auf mich. Er sieht mich an, ziemlich forschend, fast etwas schüchtern. „Geht es dir wieder besser?“, fragt er, als er mich umarmt. Ich nicke, ohne dass es eigentlich wirklich so ist. Mir geht es nicht gut... ganz und gar nicht... irgendwas will mich nicht loslassen und ich mag es nicht zu benennen. Ob ich krank werde? Vielleicht wäre das eine Erklärung dafür. Tobias und ich verbringen den Abend vor dem Fernseher. Ich lasse ihn in meinen Armen liegen und denke daran, wie ich ihn kennengelernt habe. Er war sehr aufdringlich gewesen damals, hat unbedingt meine Nummer wissen wollen, nachdem ich das erste Mal mit ihm geschlafen hatte. Ich gab sie ihm, das war alles. Dass seither zwei Jahre vergangen sind, kann ich gar nicht glauben. Vielleicht ist es schon ein kleines Wunder, dass ich es so lange mit ihm ausgehalten habe... Ob es dasselbe bei uns ist, was auch meine Eltern miteinander verbindet? Eine Art Pflichtgefühl, weil man ein Mal „ja“ gesagt hat? Ist es bei mir so? Ich streiche Tobias durch die Haare, woraufhin er den Kopf hebt und mich anlächelt. Er dreht sich herum, küsst mich... und ich komme mir komisch dabei vor. Ich weiß, dass Tobias mich zu lieben glaubt... und er weiß nicht, dass ich das getan habe, was man als Betrug bezeichnet. Ja, ich habe ihn betrogen, so wie er mich, doch weiß ich, dass er es nicht so locker aufnehmen würde... ich weiß, dass er weinen würde, dass er wütend wäre, dass er die Emotionen zeigen würde, die ich ihm nicht geben kann. Es geht bei mir einfach nicht, ich kenne so etwas nicht. Wir küssen uns und ich schließe die Augen, versuche nicht mehr daran zu denken und stattdessen den Kuss zu spüren. Aber es ist anders... anders als mit Mel, ganz anders... Es fühlt sich nicht so sanft an, nicht so schön und unschuldig. Kaum diesen Gedanken verdrängt und mich dafür stärker in den Kuss hineingelehnt, lässt uns ein lautes Klingeln auseinanderweichen. Sofort springe ich auf. „Lass es doch klingeln...“, werde ich an der Hand festgehalten und er sieht mich bittend an. Einen Moment zögere ich, doch dann befreie ich mich. Nein. Ich kann es nicht einfach klingeln lassen. Was, wenn er es ist? Ich erkenne tatsächlich diese Nummer auf dem Display und habe das Gefühl, mein Herz würde mir stehenbleiben. Ich will bestätigen, doch ich spüre Tobias’ Anwesenheit. Schnell verschwinde ich im Schlafzimmer und schließe die Tür hinter mir. „Ja?“, frage ich hektisch in den Hörer. „Hi Nate, ich bin’s?“ Ein Haus bricht über mir zusammen, als ich vor dem Bett in die Knie sacke. Mist, verdammte Scheiße! „Nate?“, kommt es, nachdem ich nach einer schieren Ewigkeit noch immer nichts gesagt habe. „Ja“, sage ich und höre meine matte Stimme. Ich vergrabe meine Stirn in meiner Handfläche, massiere mir die Schläfen. Was sag ich denn jetzt? Ich habe keine Ahnung... wenn es doch wenigstens Mel gewesen wäre... „Was ist denn los mit dir?“ Erst bei diesen Worten fällt mir auf, dass Marcel nicht wütend klingt... eher besorgt. Ich stutze. Weiß er etwa nicht Bescheid? „Warum rufst du an?“, frage ich verwirrt. Ich muss es wissen. Ich muss wissen, wie viel er weiß. Ich kann doch schließlich nicht einfach so tun, als wäre nichts geschehen... „Wegen Mel.“ Innerlich lache ich kurz auf. Wusst’ ich’s doch – war doch klar! „Marcel, das-“ „Ich weiß nicht was ich machen soll“, unterbricht er mich. „Er kam gestern so aufgelöst nach Hause... total verzweifelt, am weinen und dreckig... ich... ich weiß nicht, was passiert ist...“ Ich horche auf, während meine Finger sich an meinen Schläfen verkrampfen. „Und wieso rufst du... mich an?“, frage ich zögernd nach. „Weil er geweint hat... und er hat dabei deinen Namen gesagt... Ich weiß nicht, ich hab das Gefühl, er würde dich gerne sehen... Aber er sagte, ich soll dich nicht anrufen... Trotzdem, ich weiß nicht... Er war heute nicht in der Uni und verkriecht sich die ganze Zeit in seinem Zimmer... Ich hab keine Ahnung, was ich noch machen soll... Ich dachte, vielleicht kannst du ihm helfen... Ihr versteht euch doch so gut…“ Ich sinke noch tiefer in mir zusammen. Oh meine Gott, das kann doch wohl nicht wahr sein. Er weint, spricht nichts, sagt meinen Namen... und Marcel schließt genau die falschen Schlüsse daraus. Ist das Ironie des Schicksals oder einfach nur Schwachsinn? „Ich glaub nicht, dass ihn ihm helfen kann...“, spreche ich vorsichtig, unschlüssig. „Wieso nicht? Ihr habt euch doch gut verstanden, und-“ „Nein, das ist...“ Ich breche ab, spüre einen tiefen Schmerz in meiner Brust. Fast sehe ich einen weinenden Mel vor mir. „Bitte Nate... es tut mir weh, meinen Bruder so weinen zu sehen... und ich will ihm doch helfen... hast du nicht etwas Zeit? Nur ein paar Minuten? Ich geb’ ihm das Telefon, dann könnt ihr-“ „Nein!“, werde ich panisch. Natürlich, vorhin noch wollte ich mit ihm sprechen... vorhin noch, aber nicht jetzt, nicht so... nicht nachdem ich weiß, wie es ihm geht... ich... Oh Gott! „Was ist denn los? Nate?“ „Es geht einfach nicht“, versuche ich es erneut unerklärend. „Aber wieso denn nicht?“ „Weil...“ Ich schüttle den Kopf. Ich muss es sagen, ich muss, sonst versteht er es nicht... aber wenn ich es sage, wird er auch wütend werde... aber das wird er sowieso... früher oder später erfährt er es ohnehin... aber... „Wir haben miteinander geschlafen“, flüstere ich in den Hörer hinein. „Wer wir?“, fragt er sofort, obwohl ich mir sicher bin, dass er es versteht. „Mel und ich. Gestern.“ „Mel und... WIE BITTE?“ Irgendwas auf seiner Seite kracht, als wäre etwas zu Boden gefallen. „Aber wieso weint er dann? WAS IST PASSIERT?“ Ich entferne den Hörer ein Stück von meinem Ohr, nur um ihn Sekunden später wieder dagegen zu drücken. „Nur das... ich...“ „Wenn es NUR DAS wäre, würde er nicht weinen! Also sag schon, verdammt noch mal!“ Seine Wut ist förmlich im gesamten Zimmer zu spüren, als würde sie aus dem Hörer kriechen und sich um mich herum verteilen. Und ich spüre, wie sie in meine Glieder kriecht. Aber habe ich nicht genau das verdient? „Ich kann dir das nicht erklären, Marcel“, sage ich schließlich. „Ich weiß, dass es ein Fehler war... das hätte nicht passieren dürfen... Ich wollte nicht, dass Mel weint, ich-“ „Du wolltest nicht…?! Sag mal, geht’s noch? Einmal Sex und das war’s?“, bohrt die Stimme nach, schickt den gefährlichen Unterton zu mir hinüber. Ich schließe die Augen und versuche, ruhig zu atmen. Es ist so schwer. „Ich... Ja... Das... Sag ihm, dass es mir leid tut.“ „DU MIE-“ Ich lege auf und ich lasse den Hörer fallen. Dann vergrabe ich meinen Kopf an meinen Knien. Und ich spüre Tränen. Ich weiß nicht woher sie kommen, aber sie sind da... und sie kommen raus, verbinden sich mit dem Stoff meiner Hose und fragen mich leise flüsternd, ob es komisch wäre, wenn sie sagen würden, dass ich mir seit langem etwas vormache. ENDE Akt 13 Partitur: Das ist die Gesamtaufzeichnung eines Musikstückes in Notenschrift, welche üblicherweise nur der Dirigent besitzt. Hier ist es zwar keine vollständige Aufzeichnung, aber wenigstens eine grobe Übersicht über Nathanaels Vergangenheit, über seine bisherigen Noten, die sein Leben bestimmten... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)