Daemonicum Noctis von JoeDoe ================================================================================ Kapitel 1: Die Fahrt -------------------- Es war ein trüber September Morgen an dem man hin und wieder ein paar Vogelschwärme gen Süden ziehen sehen konnte. Der Boden war nass vom Frühmorgendlichen Regen und an den Straßen hatten sich allerlei Pfützen gebildet. In eine dieser Pfützen trat Joachim der gerade mehr darauf achtete eine Packung Kaugummi zu öffnen und seinem Freund Uli folgte, der sich daraufhin gleich zu ihm umdrehte und ihn schadenfroh anlächelte. „Verdammter Mist!“ entfuhr es Joachim und Uli wurde erst im nächsten Moment klar, wie eng der Ärger über den nassen Schuh auch mit ihm verknüpft war und so schimpfte er gleich hinterher. „Damit machst Du mir wieder das ganze Auto dreckig, Jo!“ Doch Jo murmelte nur etwas zurück, dass Uli nicht verstand und schnickte sein Bein etwas, um sich wenigstens ein paar Wassertropfen zu entledigen. Uli stieg kopfschütteln auf den Fahrersitz des dunkelgrünen Geländewagens an Zapfsäule 4 und reichte ein paar Sachen zu den jungen Männern auf der Rückbank. „Was bekommst Du dafür?“ fragte der kleine dickliche Mann mit Schnurrbart in der Mitte, der kurz davor war seine Kola-Dose zu öffnen und eine Chipstüte für alle Fälle zwischen den Beinen bereithielt. „...Einen geblasen.“ Antwortete Uli schnippisch und bekam sogleich eine Revanche. „Für eine Kola und ne’ Chipstüte lutsch ich doch nicht dein Ding, ich bin doch nicht deine Schwester.“ Gab der südländisch aussehende Mario zurück. „Pass auf, was Du sagst, Spagettifresser!“ entfuhr es Uli zusammen mit ein wenig Speichel. Gleichzeitig hob er drohend den Zeigefinger und seine Gesichtszüge entglitten ihm ein wenig. „Geht’s noch?!“ Rief Joachim, der gerade auf den Beifahrersitz zugestiegen war in die Runde „Es ist grade mal Freitag, 10 Uhr und Ihr hab Euch schon wieder in den Haaren! Es wäre ganz nett, wenn ich bis Sonntag Abend noch etwas ruhe hätte!“ Der menschliche Inhalt des Autos verstummte, Uli startete den Wagen und Mario öffnete seine Getränkedose um daran zu nippen. Die fünf jungen Männer fuhren auf einer wenig befahrenen Landstraße die scheinbar endlos bergauf führte und nahtlos von Wald umgeben war, seit sie die Tankstelle verlassen hatten. Joachim, den seine Freunde meistens nur „Jo“ nannten, drehte sich nach links hinten um, wo ein großer dürrer Kerl mit blonden Haaren und Vollbart saß und Gedankenverloren aus dem Fenster blickte. „Alles okay, Thomas?“ erkundigte sich Joachim leicht besorgt. Wie aus einer fremden Welt gerissen, schreckte Thomas auf und gab mit einem „Hm?“ zu verstehen, dass er nicht zugehört hatte. „Du bist schon die ganze Fahrt so still, ist alles in Ordnung mit dir?“ wiederholte Jo. „Ich hab’ nur seit etwa einer Stunde Kopfschmerzen, liegt sicher an dieser ungewohnten Bergluft.“ Erklärte Tom. „Vorhin, bei der Tankstelle, hab’ ich eine Tablette genommen, ich hoffe sie wirkt bald.“ „Mein Onkel Antonio hatte das auch immer, wenn er in die Berge fuhr.“ Mischte sich Mario ein, den man fast schon als vorzeige Italiener bezeichnen konnte. Er hatte kurze pechschwarze haare, einen obligatorischen Schnurrbart, war streng katholisch erzogen worden und arbeitete in der Pizzeria seines Vaters. Nur einen Akzent hatte er keinen, was er scheinbar jedem zu zeigen bereit war, indem er ihn totquatschte, aber irgendwie machte ihn das auch sympathisch. „Trotzdem hatte es den alten Mann, Gott hab’ ihn selig, Zeit seines Lebens nicht davon abgehalten, jedes Jahr am Matterhorn Urlaub zu machen.“ Fügte Mario noch hinzu, als er bemerkte, dass sich so schnell keiner dazu äußern wollte. Rechts, hinter Jo, ertönte jetzt eine weitere Stimme, die man die Fahrt über auch kaum hörte, von der man es aber gewohnt war. Es war der Riese Ralf, der sich nach der Zeit bis zur Ankunft erkundigte. Ralf war ein eher Körperbetonter Mensch, was wohl der Grund dafür war, warum er nie viel redete, aber immerhin hatte er genug Grips, nicht den Mund zu öffnen, wenn er keine Ahnung hatte. Ralf war seit seinem Grundwehrdienst bei der Bundeswehr tätig, er wusste zwar, er würde wegen seiner schlechten Bildung nie General oder ähnliches werden, solange kein Krieg ausbricht, aber er hatte im Wehrdienst einen Beruf gefunden, in dem er einen Sinn sah und sich keine weiteren Gedanken machen brauchte, wie er Geld nachhause bringen müsste, wenn er denn endlich eine Frau finden würde. Uli, der eigentlich Ulrich hieß, diesen Namen aber verachtete, weil sein saufender Vater den selben Namen hatte, flüchtete sich auf Ralfs Frage hin in Ausreden und wachsweiche Aussagen. Er war es zwar, der das Camping Wochenende vorgeschlagen hatte, aber an dem ausgewählten See war er das letzte Mal mit 13 und damals war sein Vater gefahren. Joachim machte sich unterdessen über seinen besten Freund Thomas Gedanken, er hoffte, dass seine Kopfschmerzen bald verfliegen würden und sie das ganze Wochenende mit Bier und Männerhumor verbringen konnten, ohne dass Frauen und Kinder stören konnten. „Endlich mal ein paar Tage ohne die Weiber!“ hatte Jo es beschrieben, der manchmal das Gefühl hatte, zu früh geheiratet zu haben. Er hatte seine Carin etwa zum selben Zeitpunkt kennen gelernt, wie Thomas seine Ute und so war es immer ganz angenehm, dass sie auch mal was zu viert unternehmen konnten. Aber seit Joachim seine Freundin vor knapp 2 Jahren geschwängert hatte und er in Folge dessen von seinen und ihren Eltern genötigt wurde sie zu heiraten war es nicht mehr das selbe. Er liebte seine Carin und die kleine Yvonne – Klar! – aber er war auch grade mal 24 Jahre jung und hatte das Gefühl noch so viel verpassen zu können, da tat so eine kleine Pause von der Familie ganz gut. Uli drehte das Radio leiser, vielleicht mochte er ABBA nicht, viel eher verspürte er aber wohl den Drang sich zu unterhalten, weil er zeitgleich in die Runde warf: „Was macht Ihr eigentlich Silvester?“ Als nur fragende Blicke durch die Fahrerkabine gingen, dachte Uli, er sollte den ersten Schritt tun. Das tat er zwar meistens, er war eben ein Anführer-Typ. Er gab eine Richtung vor und die Anderen mussten dann einfach nur noch folgen. „Also mein Cousin - der mit dem Gasthof - hat gemeint er wollte da dieses Jahr was größeres machen und wenn ich Lust hätte, könnte ich ein paar Leute mitbringen.“ „Wie spießig is’ das denn? – Seine Silvesterparty schon Ende September zu planen?“ fragte Mario, der von dem Streit, von vor ein paar Minuten scheinbar noch nicht genug hatte. Uli hingegen war nicht mehr nach streiten und antwortete eher besänftigend: „Hey, ich sehe nichts Falsches darin zu planen, immerhin feiern wir in die 80er hinein! – Das muss groß gefeiert und geplant werden.“ „Sag mal, kommt dein Kind nicht zu Silvester auf die Welt?“ wollte Thomas wissen, der oft ein nahezu weibliches Gedächtnis aufwies, soweit es Geburtstage und andere Termine anging, was wirklich praktisch war, wenn man selbst zu faul war, sich solche Daten zu notieren. Ulrich überlegte einen Schock-Moment, dann fiel es ihm wieder ein. „Nein, nein! Der kleine Kommt am 2. Januar, hat der Arzt gesagt.“ „Aber dir ist klar, dass sich Kinder nicht auf den Tag genau an Termine halten.“ Warf Joachim kritisch ein. „Und wenn bei Heike pünktlich am 01.01. in der Früh die Wehen einsetzen und Du noch betrunken in irgendeiner Ecke liegst wirst du bis 1990 an keiner Silvesterfeier mehr teilnehmen dürfen.“ trat Mario glucksend nach. Die weitere Diskussion verlief im Sand, da zwar alle einsahen, dass gefeiert werden musste und es keine richtige Party wäre, wenn Uli nicht irgendwann besoffen über der Toilettenschüssel hing, auf der anderen Seite waren die fünf so vernünftig, dass man es nicht für Gut heißen konnte, seine hochschwangere Frau im angetrunkenen bis betrunkenen Zustand ins Krankenhaus fahren könnte. Nach einer anschließenden Auseinandersetzung über „Der Pate“ entschloss sich Uli das Radio wieder aufzudrehen, zehn Minuten später fand er den Pfad, an dem er schon zwei Mal vorbeigefahren war. Eigentlich war das Zelten in dieser Gegend nicht erlaubt, aber die Freude auf ein Männer-Wochenende mit jeder Menge Alkohol übertönte die Angst vielleicht doch von ein paar Parkwächtern erwischt zu werden. Ein paar holprige Minuten fahrt durch den Wald gefolgt vom Schleppen des Gepäcks bis zum See und dem Aufbau der Zelte verbrauchten den Rest des Morgens und man konnte sich daran machen ein paar Bohnen zu kochen. Feuerholz fand man in der näheren Umgebung genug und so köchelte schon bald das Essen, die Getränke kühlten im Wasser des Sees, der Himmel klarte langsam auf und in ein paar Kilometern Umkreis war nicht eine weitere menschliche Seele. Es schien so als würden es die letzten schönen Tage dieses Jahres werden und unter dem Quintett war das erste Mal seit Fahrtbeginn richtig gute Stimmung. Sogar Ralf, der gewohnheitsmäßig immer ein Pokerface aufsetzte grinste – Wahrscheinlich dachte er daran, wie er ein sich aus dem was die Natur im bot Fallen baute um damit ein paar Feinde zur Strecke zu bringen. Tom war oberflächlich zwar auch guter Laune, aber Jo sah ihm an, dass er noch immer mit den Kopfschmerzen zu kämpfen hatte. Nach dem Essen, als Thomas und Joachim kurz alleine waren erkundigte sich Jo: „Was macht dein Kopf?“ „Ich hab’ grade noch mal zwei Tabletten geschluckt. Wird schon.“ Beruhigte ihn Tom. „Ich habe das Gefühl, Du hattest nicht wirklich Lust auf unseren Ausflug.“ Jetzt wollte Jo die ganze Wahrheit hören, er hatte so ein Bauchgefühl, dass da noch mehr sein musste, er und Thomas kannten sich von allen am längsten. Zwar war es eher so, dass Tom, Joachims Stimmung erspürte, als umgekehrt, aber in Extremfällen konnte Jo auch sehr empathisch sein. Tom seufzte. „Ute und ich...“ er seufzte erneut. „Naja, ich wollte euch die Stimmung nicht verderben und...“ Thomas mied Joachims Blick, aber der wusste jetzt was los war und beendete Toms Satz. „Sie hat mit Dir Schluss gemacht.“ „Ja.“ Bestätigte der blonde Tom kurz und knapp und Jo strich sich durch den Schnurrbart und kommentiere es mit einem „Scheiße, Mann!“ Dann schnappte er sich zwei Bier, öffnete sie mit einem Feuerzeug und reichte eins seinem Kumpel. „Ich kann jetzt nicht, hab’ doch grade die Tabletten...“ wollte Thomas sich rausreden. „Hey, weißt Du eigentlich warum Männer so gern Bier trinken? – Es hilft gegen jeden Schmerz. Egal ob Kopf, Herz oder sonst wo.“ Thomas grinste ihn an und nahm ihm die Bierflasche aus der Hand. „Unter einer Bedingung...“ Joachim warf ihm einen verwunderten Blick zu. Tom sah auf das kühle Bier in seiner Hand. „Du wirst nie Philosoph!“ Jo grinste leicht verlegen und bekam ein Lächeln zurück, dann stießen die Beiden miteinander an. Kapitel 2: Der Wald ------------------- Das Feuer loderte nach dem Mittagessen auf kleiner Flamme weiter und um diesen Zustand beizubehalten, schlug Mario vor, noch etwas Geäst zu besorgen. Er erklärte sich bereit zu gehen, hoffte aber auf ein klein wenig Unterstützung. Uli vermutete lautstark Mario hätte sicher Angst davor alleine in den Wald zu gehen, was sicher wieder in einem Streit gegipfelt hätte, wäre Joachim nicht aufgesprungen und hätte sich bereiterklärt mitzugehen. „Und Tom geht sicher auch mit.“ schlug er weiter vor. „Wir könnten außerdem etwas die Gegend erkunden.“ „Hier gibt’s nur Bäume.“ nörgelte Uli. Thomas stand auf, entschlossen mitzugehen. „Hast Recht, Jo, etwas Bewegung tut mir sicher gut.“ Gab er Kund und kurz darauf machten sich die drei auf den Weg. Uli und Ralf hatten sich normalerweise nicht viel zu sagen, Uli verstand nichts von Kampfsport, Ralf hingegen sehr, dafür konnte der im Gegensatz zu Uli nicht viel mit Autos anfangen. Das einzige wirklich große Thema, über das die Beiden fast endlos reden konnten war Muskelaufbau und so vermutete Tom, dass sie auch diesmal über nichts Anderes reden würden, außer vielleicht noch über das Essen, das Ralf als einziger ziemlich furchtbar fand, weshalb es ihm eine Freude war, mit Mario und Joachim mitzugehen. Die ersten Minuten liefen die Drei noch am See entlang, um die Orientierung nicht so leicht zu verlieren, dann begaben sie sich etwas weiter in den Wald hinein. Mario lief mit schnellen Schritten voran, mit etwas Abstand von Joachim, der die Landschaft genoss und hier und da einen Ast aufsammelte, dicht gefolgt von Thomas, der sich doch wieder zurück zum Lager zu wünschen schien, weil seine Kopfschmerzen nicht nachlassen wollten. Eine gefühlte halbe Stunde nach Aufbruch schlug Tom, der so langsam an seine Grenzen der Belastbarkeit stieß, vor, dass sie wieder umdrehen sollten, immerhin hätten sie genug halbwegs trockenes Holz gefunden. Mario, der sich immer noch ein paar Meter vor den Anderen befand, beschwichtigte sie zu warten. „Ich will nur schnell sehen was da Oben ist!“ rief er den Beiden zu. Sie befanden sich gerade auf einer Anhöhe und etwas weiter oben thronte ein großer Felsen, der ganz und gar mit Efeu bedeckt war. Thomas war stehen geblieben und als Joachim das merkte blieb auch er stehen. „Geht’s noch?“ fragte er. „Ja, mir ist nur auch noch übel geworden.“ Erklärte Tom und stützte sich mit einem Arm an einem Baum ab. Jo sah zu Mario hinauf, der jetzt an dem Felsen angekommen war. Der Stein sah von weitem aus, als wäre er einst bearbeitet worden. Durch die Bewucherung war nur die grobe Form erkennbar, aber es schien unwahrscheinlich, dass diese auf natürlichem Wege entstanden sein konnte. Es sah aus wie ein Siegertreppchen, der erste Platz in der Mitte hoch erhoben, er überragte den kleinen Italiener um fast das doppelte, als dieser nun endlich davor stand. Die äußeren beiden Stufen gingen ihm aber auch mindestens bis zur Brust. „Habt Ihr ein Messer dabei?“ rief Mario hinunter, der ohne den Blick von dem Fels zu lassen versuchte das Gewächs mit den Händen zu entfernen. Joachim seufzte und war einen Blick auf Tom, der ihm seine Frage beantwortete, ohne das Jo sie stellen brauchte: „Ja, ja, ich komme klar, geh’ nur und sieh nach, was er da gefunden hat.“ Joachim hastete den Hügel hinauf bis zu der Stelle, an der dieses steinerne Ding stand und zückte sein Jagdmesser. Erst jetzt stellte er fest, das es sich um eine große recheckige Säule mit abgerundeten Ecken handelte, die von vier und nicht von zwei Stufen umkreist war, so dass das Gebilde im Grundriss wie ein Kreuz aussah. Mario hatte schon einen kleinen Teil des Grüns vom Stein gerissen und so waren schon ein paar eingemeißelte Figuren zu sehen, die alle vor etwas davonliefen oder sich zu fürchten schienen. Ganz genau konnte man ihre Stimmung nicht mehr von Gesicht und Körper ablesen, weil sie durch die Zeit, die dieses „Denkmal“ hier stand, schon der Zeit und der Witterung zum Opfer gefallen waren, aber Joachim war überzeugt davon, dass sie allesamt nicht gerade Glücklich wirkten. „Meinst Du, dass ist ein Schornstein?“ fragte Mario, immer noch an dem Efeu zerrend. „Wie kommst Du auf so eine Absurde Idee?“ wollte Jo zunächst wissen. „Ich rieche etwas.“ „Es riecht nach Wald...“ „Nein, nein, nein, da ist noch etwas Anderes, so wie eine Mischung aus Weihrauch und... und...“ Mario überlegte „...und Metall!“ „Klingt ekelhaft.“ Kommentierte Jo „Aber ich rieche nichts in der Art.“ „Ich habe es schon am See gerochen, aber hier ist es besonders stark!“ Joachim ging ganz nah an den Felsen und roch daran. „Riecht wie Stein – weiter nichts. Mario war ihm einen enttäuschten Blick zu und fuhr mit seiner Arbeit fort, als hinter ihnen plötzlich ein magendurchdringendes Geräusch ertönte – Es war Thomas, der sich gerade übergeben hatte. Jo stellte seine Arbeit auf der Stelle ein, legte das Messer weg und lief zu Tom hinunter, der noch einen weiteren Schwall Halbverdautes an die frische Luft beförderte. Mario war etwas hin und her gerissen, entschied sich dann aber etwas verärgert für seinen Freund. Kapitel 3: Die Nacht -------------------- Den Rückweg wurde Thomas von seinen beiden Begleitern gestützt, wobei Mario bis kurz vor dem Zeltplatz noch zu bedauern schien mit zurück gegangen zu sein. Uli und Ralf standen in windes Eile auf, als sie sahen, das Tom fast getragen werden musste. Uli wollte ihn gleich zu einem Arzt fahren, aber Thomas lehnte ab. „Ein wenig Schlaf und Ruhe müssten genügen.“ Meinte er und so tat er es auch. Die vier Anderen richteten sich einen kleinen Sitzplatz, ein paar Meter weiter weg ein, um Thomas schlafen zu lassen. Sie tranken, erzählten sich Geschichten und schmutzige Witze, spielten Karten und Uli versuchte sogar mit einer selbstgebastelten Angel Fische zu fangen – leider ohne Erfolg. Erst beim Abendessen saßen alle Fünf wieder beisammen und aßen Ravioli aus der Dose. Thomas war zwar noch etwas blass, aber es schien ihm wieder gut zu gehen, trotzdem verzichtete er als einziger auf den Alkohol. Ralf lies seinen Teller nur zur Hälfte aufgegessen stehen und kommentierte es mit: „Heute schmeckt mir alles Scheiße!“ „Du müsstest doch an so ziemlich alles gewöhnt sein, musst jetzt schon so lange diesen Kantinenfraß in dich hineinstopfen.“ Sprach Thomas belustigend, aber doch noch mit einem leicht kränklichen Unterton. „Als wäre ich erkältet.“ Erklärte Ralf kurz. „Ich glaube fast, Heute spielen wir alle verrückt, Mario meinte vorhin, das ein Stein nach katholischer Kirche riecht.“ Kicherte Joachim. Mario war inzwischen zu betrunken um Jo irgendwas übel zu nehmen und korrigierte ihn lediglich: „Nein, Ich sagte Weihrauch und Metall. Oder irgendwie nach Werkstatt, ich konnte es eigentlich nicht so richtig einordnen.“ „Du hattest doch Jo und Tom mit dabei...“ sagte Uli „Die werden noch nach Fabrik duften.“ Ein schmunzeln ging durch die Runde, Ralf lachte sogar dumpf und leise und die Stimmung an diesem Abend wurde zunehmend angenehmer wohingegen die Temperaturen stets abnahmen, wodurch es gegen Mitternacht schon ziemlich kalt wurde. Was Mario gerochen haben könnte wurde nicht mehr geklärt, aber als er mit Thomas noch etwas Karten spielte, als die Anderen schon in den Zelten verschwunden waren, beschloss er sich dieses Ding – diesen Felsen – Morgen noch einmal genauer anzusehen und ihn vollständig freizulegen. Joachim wurde plötzlich Wach, es war ihm, als hörte er im Traum eine Stimme, die klang als würde man in einem leeren Zimmer laut, aber undeutlich sprechen. Er kramte nach seiner Taschenlampe, die irgendwo zwischen ihm und Tom lag, um damit seine Armbanduhr zu beleuchten. Selbst an dieses bisschen Helligkeit konnte er sich nur langsam gewöhnen, seine Augen waren trocken und Müde, aber die Neugier nach der Zeit ließ ihn weiter schauen. „Dreck!“ murmelte er als er erkannte, dass es erst kurz nach vier Uhr war. Er schaltete die Lampe wieder aus und wollte sich wieder hinlegen, als er draußen etwas hörte, dass wie ein weit entferntes Husten klang. Joachim war zwar nicht ganz wohl, aber wagte es trotzdem einen Blick durch den Reißverschluss des Zeltes nach draußen, entdeckte aber nur die beunruhigende Stille des Waldes bei Nacht und legte sich wieder hin. Es fiel ihm nicht leicht wieder einzuschlafen, er erinnerte sich an die Monster, die er sich als Kind einbildete und daran, wie lächerlich ihm diese, sich in Schränken und unter Betten versteckenden Wesen heute vorkamen, dennoch verspürte er jetzt ein ähnliches Unbehagen gegenüber diesem Wald da draußen. Kapitel 4: Der Fels ------------------- Trotz dieses komischen Gefühls der letzten Nacht war Joachim wohl sehr schnell eingeschlafen und umso erschrockener wachte er an diesem Samstag Morgen auf. Tom lag noch neben ihm und schlief, aber Mario war wohl schon aufgestanden und auch er selbst quälte sich nun aus dem Schlafsack und dem Zelt. Draußen begrüßte er Ralf, der gerade mit Frühsport beschäftigt war. Jo sah mit verschlafenen Augen auf seine Uhr, die kurz vor Acht anzeigte. „Schon lange auf?“ fragte Jo. „Halb Sieben.“ Bekam er als antwort und Ralf machte weiter mit seinen Liegestützen. Joachim sah sich um. „Is’ Mario zum Kacken in den Wald?“ „Er liegt nicht mehr bei Euch im Zelt?“ stellte Ralf die verwunderte Gegenfrage. „Nein, ich dachte er wäre schon aufgestanden.“ Und da fiel es Jo genervt ein: „Oh nein! Er wird sicher wieder zu diesem Denkmal gelaufen sein um herauszufinden, was er angeblich riecht.“ Ralf wurde nachdenklich und das wurde er eher selten. „Welches Denkmal?“ erkundigte er sich und unterbrach sogar sein Fitnessprogramm. „Naja, dieser Felsen, von dem wir Euch Gestern erzählt hatten... Da waren Figuren eingemeißelt – wirkte auf mich eher uninteressant, aber Mario wollte unbedingt wissen, wie es ohne den Efeu aussieht.“ „So ne Art Grabmal?“ hakte Ralf nach. „Könnte man sagen. Ich glaube ich seh’ Mal nach ihm. Er scheint ja wie besessen zu sein.“ Ralf stand auf, griff sich ein Handtuch, dass er sich bereit gelegt hatte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Was dagegen, wenn ich mitkomme?“ fragte er noch leicht angestrengt und schnappte sich darauf seine Feldflasche, um einen großen Schluck daraus zu trinken. Seine Muskeln – und davon hatte er nicht wenig – glänzten in der Sonne und sein Achselshirt war stark verschwitzt. Joachim bewunderte ihn für seinen Oberkörper, er selbst hatte nicht die nötige Disziplin täglich Sport zu treiben und hatte zudem eine Vorliebe für kalorienreiche Nahrung, er war nicht dick und wenn man ihn neben Ralf sah, wirkte er auch eher hager. Zufrieden mit seiner Figur war Jo absolut nicht, ließ sich seinen Neid aber auch nicht anmerken. „Klar, ich pack’ mir nur was zum Essen für Unterwegs ein, dann können wir los.“ „Spitze! Dann zieh ich mir noch schnell ein neues Shirt an.“ Freute sich Ralf, nahm noch einen Schluck Wasser und begab sich zu seinem Zelt in dem Uli noch schlief. Wenige Minuten später waren die Beiden auf dem Weg zu diesem ominösen Felsen. Jo hatte für Ulrich und Thomas eine Nachricht geschrieben, damit diese sich nicht wunderten, falls sie noch aufwachten bevor sie wieder zurück waren, was doch relativ unwahrscheinlich war, weil Uli kaum wach zu bekommen war, wenn er getrunken hatte und Thomas den Schlaf wohl dringend benötigte. Ralf und Joachim liefen gemütlich, keiner von ihnen schien zu glauben, dass Mario in eine Tierfalle getreten sei oder ihm etwas anderes schlimmes passiert sein könnte. Jo gab auf dem weg noch einmal seine Eindrücke von diesem bewucherten Ding wieder, aber Ralf schien ihn wenig zu beachten oder er wollte sich einfach seine eigene Meinung darüber bilden. Ralf war wohl auch mehr nach schweigen, also packte Jo einen Apfel aus seiner Tasche und verspeiste ihn während dem Spaziergang, damit sein Mund wenigstens mit Irgendetwas beschäftigt war. Unten an der Anhöhe angekommen sahen die beiden Wanderer den gesuchten Freund, wie er auf einem der Absätze der Felsformation stand und mit einem Stock das letzte bisschen Gewächs von der Spitze zu entfernen versuchte. „Hey, Mario!“ machte sich Joachim bemerkbar. Der dickliche Italiener sah nur kurz den Hügel hinab und wandte sich mit der Hand grüßend wieder dem Gewächs zu, dass er wegen seiner geringen Körpergröße jetzt nicht mehr erreichte. „Du hättest uns wirklich bescheid geben können, dass Du hier rauf bist...“ maulte der völlig außer Puste geratene Jo, der versucht hatte mit Ralf Schritt zu halten, als dieser eilig den Hügel erklomm. Absolut unbeeindruckt von Joachims Worten und die beiden Neuankömmlinge nur mit flüchtigen Blicken beäugend, begann Mario fasziniert über das Objekt zu schwärmen. „Absolut einzigartig! Seht ihr das? Hier Oben sind eine Art Teufel abgebildet, man kann zwar die Gesichter der meisten nicht mehr erkennen, aber die Hörner, Schwänze oder andere unnatürliche Körperteile sind noch relativ deutlich!“ Er sprang von einem der vier Absätze auf dem er eben noch gestanden hatte. „Das was ich Gestern freigelegt hatte waren nur die Gepeinigten – die Sünder sozusagen, die von den Kreaturen der Hölle gefoltert werden. Seht ihr...“ er zeigte auf eine erstaunlich gut erhaltene Figur „diese hier hat einen richtig gequälten Blick. Und hier Oben in der Mitte...“ Mario unterbrach sich selbst und kletterte wieder auf den Absatz von dem er gesprungen war und trat dabei achtlos auf die gemeißelten Kunstwerke, von denen er eben noch so schwärmte. „Hier Oben...“ fuhr er fort „ist auch noch eine Figur abgebildet, sie ist größer als die anderen und entweder besitzt sie weder Beine noch Hüfte oder sie werden von den Figuren unter ihr verdeckt, aber das hier sieht aus wie das Ende seiner Wirbelsäule, die aus seinem Körper heraushängt. Leider sehe ich nur noch seine Unterarme, der Rest ist noch bedeckt...“ Jo, der wieder zu Atem gekommen war unterbrach Mario, der seine Erläuterungen wohl bis ins Endlose hätte weiterführen können. „Komm’ mal wieder Runter!“ Mario war urplötzlich wie steifgefroren, stand auf der Stufe und sah Joachim an, während Ralf begonnen hatte langsam und voller Ehrfurcht um das Denkmal aus gemeißelten Menschen und anderen Wesen herumzulaufen. „Wir wollten lediglich ein ruhiges Wochenende ohne die Weiber und Du rastest hier total aus, weil Du einen Stein gefunden hast.“ Das Wort „Stein“ betonte Joachim sehr abfällig und sah Mario verständnislos an. „Ralf ist am größten, er steigt jetzt da hoch und entfernt die Restlichen Blätter, dann siehst Du Dir das blöde Ding an und den Rest des Tages besaufen wir uns sinnlos! Okay?!“ Der kleine Südländer hatte gar keine Gelegenheit zu antworten, weil ihm Ralf zuvor kam. „Nein.“ Sagte Ralf schlicht und eine Spur von Verängstigung klang in seiner Stimme mit. Die beiden Anderen sahen Ralf fragend an, der inzwischen seine Runde um den Stein vollendet hatte. Noch bevor Mario und Joachim ihre fragenden Blicke verbalisieren konnten und ohne, dass Ralf sie direkt ansah, erklärte er sein Nein mit den entschiedenen Worten: „Ich werde nicht auf dieses Ding steigen, es ist mir unheimlich...“ Ralf wurde einen Moment lang von zwei Augenpaaren gemustert, bis eines von dem Mund darunter ein genervtes Seufzen entfahren ließ, gefolgt von einem „Runter da!“. Mario gehorchte sofort, sprang erneut hinunter von dem Treppchen und mit einem erneuten Seufzen, diesmal einhergehend mit einem Kopfschütteln stieg Jo auf den Vorsprung aus gepeinigten Steinmenschen. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und sah kurz nach unten um die Auswirkungen eines eventuellen Falls abschätzen zu können, dann verschaffte er sich einen sicheren Stand und versuchte die Blätter zu erreichen, bekam aber nur die unterste Reihe zu fassen. „Gib’ mir mal das Messer und den dämlichen Stock.“ forderte Joachim. Mario gab keine Widerworte und reichte ihm Beides gleichzeitig. Mit dem Messer konnte Jo das Gewächs schneiden und mit dem Ast entfernte er den Rest, den Mario nicht entfernen konnte. Die Sicht auf das Wesen wurde frei gelegt, doch Jo erkannte es aus seiner Perspektive nicht, also blickte er hinter sich um zu sehen, wie weit er seinen Fuß zurücksetzen konnte, doch als Joachim versuchte sich einen Schritt zurück zu bewegen, sackte der Teil des Felsens, auf dem er sich befand, wenige Zentimeter ab und er versuchte einfach nur nicht zu fallen. Dadurch ließ er natürlich Stock und Messer fallen. „Maria und Josef!“ entfuhr es Mario erschrocken. Joachim hielt sich an dem Hauptteil des Felsens fest und verhinderte so, dass er das Gleichgewicht verlor. Die Herzen aller drei Männer schlugen auf diesen Schreck blitzartig schneller und beruhigten sich nur langsam, als sie merkten, dass eigentlich nichts passiert war. Mario bekreuzigte sich und murmelte irgendetwas in sich hinein. Ralf fragte nach Joachims befinden, der seinen eisernen Griff von dem Stein langsam zu lösen begann. „Verdammte Scheiße!“ rief er mehr erleichtert als erbost aus, doch seine Wut stieg genauso schnell an, wie der Schreck wieder verflogen war. Er sah Mario über die Schulter hinweg an, versuchte von dem Absatz herunter zu kommen und überlegte gleichzeitig ob er Mario einfach nur anschreien sollte oder ob er sich noch einige Schimpfworte im Kopf zurechtlegen sollte. Jo entschied sich kurzerhand – um genau zu sein, während seinem Sprung auf den Boden – für weniger herbe Schimpfworte, die er dafür mit einer umso größeren Stimmgewalt auf ihn einprasseln lassen wollte. Das Problem darin lag nur an dem Boden, auf dem er aufgekommen war... Kapitel 5: Das Loch ------------------- Es war dunkel – Stockdunkel! Und das Öffnen der Augen erbrachte nur in geringem Maße das gewünschte Ergebnis. Ein kleiner verschwommener Lichtfleck an der Decke war das einzige, dass Joachim erkennen konnte. Er selbst lag mit dem Rücken auf feuchtem, erdigen Boden und versuchte in seinen Gedanken die gewohnte Ordnung wieder herzurichten. Eine noch sehr undeutliche, männliche Stimme kam aus dem Licht und nach ein paar Sekunden erkannte Jo, dass diese Stimme wohl seinen Namen rief. Mit einem schmerzverzerrtem Stöhnen dreht er seinen Kopf langsam zur Seite und versuchte herauszufinden wo er war. Um ihn herum war nur Finsternis, die einzige Lichtquelle war dieser Fleck, der mit schärferem Blick mehr und mehr zu dem Erdloch wurde, in das er vermutlich hineingefallen war. Joachim richtete seinen Oberkörper auf und erst jetzt merkte er, dass sein Bein schmerzte. Eigentlich tat ihm alles weh, aber sein Oberschenkel am meisten. Er tastete danach, zog sein Bein leicht an und stellte beruhigt fest, dass es scheinbar nicht gebrochen war. Jo sah zu seiner Rechten ein paar Steine, die vermutlich aus der Decke stammten und, so mutmaßte er weiter, ihm höchstwahrscheinlich der ein oder andere auf sein Bein gefallen war. Er versuchte aufzustehen, war noch etwas unsicher in seinem Stand, hatte jetzt aber Gewissheit, dass er sich nichts gebrochen hatte, dass dazu diente sich aufzurichten. „Jo! Alles in Ordnung, Jo?!“ war von Oben zu hören. „Ja, mir geht’s gut, nur ein paar Prellungen.“ Joachim hielt die Hand über seine Augen, die sich schon an die Dunkelheit gewöhnt hatten, um sie vor den Sonnenstrahlen und außerdem vor dem immer noch herabrieselnden Dreck zu schützen. Dennoch erkannte er Mario an der Öffnung. „Scheiße, es tut mir tierisch Leid, ich hätte nicht wieder hierher kommen sollen, ich glaube langsam dieses Ding ist verflucht! JesusMaria!“ rief er ihm voller schlechtem Gewissen hinunter und rief dabei so laut, als wolle er sich einem Schwerhörigen verständlich machen. Das starren ins Helle wurde Jo zu anstrengend für seine Augen und so wandte er sich wieder von Mario ab und sah in den dunklen Raum. Mario wertete das allerdings eher als Wut Seitens Joachim und begann sich wieder mehrfach zu entschuldigen und erklärte beschwichtigend, dass Ralf zum Zeltplatz gerannt war um ein Seil zu holen und sie ihn hier schnellstmöglich wieder herausholen würden. Joachim winkte ab. Er sah sich im Raum um und stellte fest, dass die Mittelsäule des Denkmals an der Oberfläche, sich bis ins Erdreich, bis in diesen Raum und dessen Boden fortsetzte. Er glaubte zu erkennen, dass dieser Hohlraum sich weiter fortsetzte und trat vorsichtig aus dem von Oben herbscheinenden Lichtstrahl heraus um in der Schwärze zu verschwinden. Der Untergrund bestand zwar aus Erde, aber weil Jo nur unbedeutende Unebenheiten mit den Füßen ertasten konnte, vermutete er einen festen, geebneten Boden darunter – wobei der Begriff „fest“ für ihn momentan eher relativ war, da er den Waldboden bis vor kurzem auch als „festen Boden unter den Füßen“ bezeichnet hätte. Dieser Hohlraum schien auf alles anderem, als natürlichem Wege entstanden zu sein und als er hinter sich und aufwärts zu dem Loch sah, erkannte er, dass die Decke gemauert war und damit auf keinen Fall einfach gewachsen sein konnte. Etwa vier Meter unter dem Loch befand sich der Boden und Joachim war froh, dass er sich bei dem Sturz aus dieser Höhe nicht ernsthaft verletzt hatte. Mit der rechten Hand strich er sich durch seinen Schnurrbart und stemmte die Linke in die Hüfte. Dabei bemerkte er, dass er sich vor dem Aufbruch mit Ralf die Taschenlampe wieder in die Jackentasche gesteckt hatte und erkannte sofort, dass dies selbst bei einem Tagesausflug mit genügend Sonnenlicht doch sehr sinnvoll war. Mario an der Oberfläche wurde allmählich nervös und erkundigte sich wiederholt nach Joachims Befinden, fügte auch noch ergänzend hinzu „Was machst Du?“ um gleichzeitig seine Neugier zu befriedigen. Jo hielt jetzt seine Taschenlampe in der Hand und schaltete sie ein. Sie hatte bei dem Fall zum Glück nichts abbekommen und so sah er seine Chance, den Raum deutlicher und vor allem vorausschauender zu erkunden, als nur mit seinem Tastsinn. Er schwenkte den künstlichen Lichtkegel einmal Rundum, erkannte dass der Raum nur zur Hügelmitte weiterführte und erklärte Mario: „Ich seh’ mich hier unten mal um, der Raum scheint etwas größer zu sein.“ „Pass auf, dass Du in kein noch tieferes Loch fällst!“ warnte Mario, doch der Mann mit der Lampe konzentrierte sich mehr auf das, was das Licht der Dunkelheit entlockte und hörte nicht mehr zu. Joachim lief langsam weiter, sah sich dabei abwechselnd die Wände zu seiner Seite und den vor ihm liegenden Weg an. Dieser Hohlraum war tatsächlich ein von Menschenhand geschaffener und aus Steinen bestehender Raum. Wände, Boden und die Decke waren voller Erde und einiger Wurzeln, die sich über mehrere Jahrzehnte oder eher Jahrhunderte ihren Weg hier herunter gebahnt hatten. Es roch sehr muffig und Jo wäre es nur zu recht gewesen, würde es hier unten tatsächlich nach Weihrauch oder ähnlichem riechen, wie es Mario bei dem Felsen beschrieben hatte. Erschrocken und irgendwo ein Geräusch vermutend hielt Jo inne und bewegte nur seine Augen und die Hand in der er die Lampe hielt, doch er erkannte nichts, was sich hätte bewegen und ein Geräusch hätte auslösen können. Langsam setzte er wieder einen Fuß vor den anderen, nur um kurz darauf wieder zu stoppen. Joachim leuchtete jetzt auf eine Art steinernen Altar, der kurz vor der hinteren Wand des Raumes stand und auf dem zwei breite Tongefäße ruhten. Der Altar selbst war rechteckig und schmucklos, selbst als Jo näher kam, konnte er keine Verziehrungen erkennen, wie sie beispielsweise bei der Säule an der Oberfläche zu erkennen waren. Den Blick starr auf die Krüge gerichtet, die sehr alt und verstaubt waren, ging Jo bis an den Altar heran. Irgendetwas war ihm nicht geheuer und seine Hand brachte den Lichtstrahl leicht zum zittern. Er atmete die stickige Luft einmal tief ein und strahlte mit seiner Taschenlampe in das, in der Mitte des Altars stehende Gefäß und erkannte eine dunkle Flüssigkeit darin. Jo überlegte ob es sich um wasser handeln könnte, das verunreinigt war oder ob der Boden des Behältnisses vielleicht einfach nur schwarz gefärbt war, so dass das Wasser nur schwarz wirkte. Er war sich wegen der glatten Oberfläche aber ziemlich sicher, dass es sich um irgendeine Flüssigkeit handelte. Das Innere nachdenklich beäugend, fragte Jo sich, ob sich in dem anderen Tongefäß das selbe befand und hoffte gleichzeitig, es würde sich darin nicht irgendetwas abstoßendes befinden. Das Licht der Lampe bewegte sich schnell zu dem rechts auf dem Altar stehenden Objekt und bewegte sich wie in einer fließenden Bewegung abrupt wieder zurück, wobei Jo mit seiner Hand an den Rand des ersten Kruges stieß. Wieder Stockdunkel. Kapitel 6: Der Altar -------------------- „Scheiße!“ fluchte Joachim, der im wieder finster gewordenen Raum auf dem Boden kniete und verzweifelt und in Panik nach seiner erloschenen Taschenlampe suchte. Sein Atem wurde schneller und zittrig. Dort unten in der Grube war es kalt und trotzdem begann Jo zu schwitzen, er glaubte auf dem Boden hinter dem Altar etwas angeleuchtet zu haben, was auf das Licht mit einem erschreckten Geräusch reagierte. Er bildete sich ein, Stimmen und Geflüster zu hören, schob es aber nur auf den Schreck, kurz geglaubt zu haben, hier unten mit etwas anderem zu sein. Genauer gesagt der vernunftbegabte Teil in ihm riet ihm ruhig zu bleiben, da die größte Gefahr hier Unten von Käfern und Dreck auszugehen schien, doch der laut schreiende Teil in seinem Gehirn flehte nach Licht und der Gewissheit, dass sich kein Zombie hinter dem Steinaltar befand. Dann endlich – Plastik! Joachim hob seine Taschenlampe auf, betätigte den Schalter, ohne dass die Lampe eine Reaktion zeigte und klopfte dann ein paar mal dagegen, bis sie endlich wieder Licht spendete. Er leuchtete auf den Altar und sah, ein paar Scherben. Auf dem Boden darunter lagen sogar noch mehr. Jo war in seiner hektischen Bewegung gegen den Krug gestoßen und hatte ihn scheinbar zertrümmert. „So fest hab’ ich doch gar nicht...“ murmelte er. Das nächste was Joachim wunderte war, dass es keinerlei Flüssigkeit gab, die über der Steinplatte verteilt war oder an den Seiten hinab floss. Alles wies nur die übliche Erd-Feuchtigkeit auf, die hier unten herrschte. Jo trat nun, seinen Körper beruhigen wollend, wieder an den Steintisch heran um darüber zu leuchten. Bereits kurz hinter dem Altar befand sich die Wand des Raumes auf die Jo das Licht warf, dass langsam an eben dieser Wand hinunter glitt, bis es auf etwas weißgraues rundes traf, dass mit einer dünnen Erdschicht bedeckt war. Er hatte eine starke Vermutung, um was es sich dabei handeln könnte und so schritt er langsam um das steinerne Hindernis, zwischen ihm und der Wand, die Helligkeit weiter auf das Etwas gerichtet. Und tatsächlich: Es handelte sich um einen Schädel. Nach zehn Sekunden fiel Joachim wieder ein zu atmen, dann trat er noch näher und erkannte bald, dass es sich um ein ganzes Skelett handelte, dass an der Wand lehnte. Diese hohlen Augen, die er sich jetzt in absoluter Ruhe ansah, waren es wohl, die ihn eben noch die Taschenlampe fallen ließ und dieser geschlossene Mund ohne Lippen und ohne Zahnfleisch war es, von dem er glaubte ein Geräusch zu hören. Joachim war unheimlich erleichtert, obgleich er noch nie ein Skelett gesehen hatte, wenn man mal von Abbildungen in Biologiebüchern und dergleichen absah. An eben jene Abbildungen des menschlichen Skeletts erinnerte er sich jetzt und verglich die Bilder in seiner Erinnerung mit dem was da vor ihm lag. Etwas Stimmte nicht. Die Gebeine wirkten unvollständig, aber vor allem der Schädel wirkte fehl am Platz, er schien zwar von alleine auf den Wirbeln zu halten, aber seine Form? Jo blätterte in Gedanken das Biologiebuch der 7. Klasse ein paar Seiten weiter, bis zu den Primaten. Hier war sie, die Ähnlichkeit, die er zuvor vermisste. Es handelte sich um einen Affenschädel, vielleicht der eines Schimpansen? Er beobachtete weiter, stand immer noch wie festgeklebt und angewurzelt da, sah sich den Brustkorb an, der dann doch eher menschlich wirkte oder zumindest keine eindeutigen Affen-Attribute besaß – welche auch immer das sein mochten. Die Arme wirkten kurz, also menschlich, eine Hüfte fehlte komplett. Die Oberschenkel waren vorhanden, lagen aber nicht wo sie sollten, sondern neben den Armen, als wären sie dem bedauernswerten Wesen abgehackt und daneben gelegt worden. Dieses Szenario schien aber auch nicht auf das zuzutreffen, was Joachim hier sah, denn weder Kniescheibe, Unterschenkelknochen noch irgendein Fußknochen war zu sehen. Alles in Allem bot der (oder die) Tote einen skurrilen Anblick dar. „Zu skurril um es zu glauben, ohne es berührt zu haben.“ Dachte Jo und befand sich schon in der Hocke um mit einem Finger über den Schädel zu streichen. Sein Finger hinterließ eine saubere Spur auf dem blanken Knochen, der sonst sehr dreckig war und Jo dachte belustigt über seine Anfängliche Angst nach. „Arme Sau.“ Seufzte Joachim und überlegte kurz darauf, ob dieses Wasauchimmer den Tod nicht vielleicht verdient hatte. Vielleicht handelte sich aber auch um eine Laune der Natur, die nur aufgrund ihres Äußeren von Menschen, die sie für einen bösen Teufel hielten hier unten begraben hatten und auch genau deshalb dieses grässliche Mahnmal auf sein Grab gestellt hatten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Menschenaffen-Wesen eines natürlichen Todes gestorben und hier unten dann so achtlos hinter einen Steintisch gelegt worden war, genauso wenig, wie er sich vorstellen konnte, wie es wohl mit Haut und Haaren mal ausgesehen hatte. Joachim tendierte mehr dazu Mitleid für dieses Wesen zu empfinden, als es vorschnell zu verurteilen. Er betrachte seine Gefühle mit dem inneren Auge und stellte fest, dass es sogar Wut war, die er auf die Mörder des Wesens hatte. Er konnte sie förmlich hören, wie sie rituelle Gesänge anstimmten, altertümliche Beschwörungsformeln vortrugen und voller Abscheu über ihn redeten. Jo begann sich hinein zu steigern, verspürte puren, ungezügelten Hass gegenüber diesen Menschen, diesen Möchtegern-Priestern, die keine Ahnung hatten von der Welt in der sie lebten. Diese ekelhaften Menschen mit ihren unvollkommenen Körpern! Diese Körper, die brach lagen wie ungenutzte Talente, so stark, so voller Potenzial und doch so widerlich wegen der Gedanken und Geister, die sie beherbergten. Unbrauchbar, wie das Gerüst eines Hauses ein Bogen ohne Pfeil oder ein Schiff auf dem Land... Jo wurde es schwindelig und trotzdem hielt er weiter an Hass und Ekel fest, hörte jetzt tatsächlich einen alten Priester murmeln, der in einer unbekannten Sprache und sehr monoton redete. Das raunen einer Menge hinter dem Priester hallte durch den gesamten Raum und ließ Joachim jene Art von Gänsehaut bekommen, die nur vom Körper und der Kälte ausging, aber nichts mit den eigenen Gedanken oder einer bestimmten Stimmung zu tun hatte, so als würde die Energie der Stimmen zwar seine Haut berühren, aber nicht bis zu seinem Gehirn vordringen. Es war als würde Jo über dem eigenen Körper schweben oder wenigstens einige Zentimeter versetzt, als der Priester seine Rede beendete. Jo hörte seinen Körper zu Boden fallen, doch sein Geist hörte es noch als würde er stehen. Die drei Gefäße auf dem Altar, er wusste nicht wie, aber er hörte, dass es drei waren, so als ob es Klangschalen mit unterschiedlichen Tonhöhen seien, diese drei Krüge, sie schienen eine wichtige Rolle zu spielen und dann fühlte er, wie sich sein Geist begann zu teilen und sich auf die Behälter verteilen wollte. Den Blick in der realen Welt gar nicht mehr wahrnehmend und nur noch die Fremdartigen klänge seiner Vision hörend, bemerkte Joachim endlich den Strudel in dem er sich befand. Er legte schlagartig den Hass ab und ersetzte ihn durch Angst vor dem was mit ihm geschah. Er wehrte sich mit dem ganzen Körper und versuchte wie eine Schlange aus seiner Haut zu fahren, bis er an einen Punkt kam, an dem er glaubte dies tatsächlich schaffen zu können. Jo schüttelte den Kopf und die Stimmen wurden leiser und leiser, bis er sie mit seinem eigenen Schnaufen übertönte. Das Gefühl, das er jetzt körperlich, als auch geistig empfand, glich dem, einer Erfolgreichen Flucht vor einem Hai durch trübes Wasser. Er war außer Atem, als hätte er die letzten zwei Minuten die Luft angehalten, der Blick war verschwommen, sein Herz raste und doch fühlte er eine gewisse Erleichterung. Selbst nasse Kleidung hatte Jo, nur nicht durch Meerwasser, sondern von dem Schweiß, der ihm Überall die Kleidung befeuchtete, ihm von der Stirn floss und sogar von der Nasenspitze perlte. Das Licht der Taschenlampe zitterte unter Jos Anstrengung, er wusste nicht was passiert war, aber er war entschlossen hier so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Ein Entschluss, der nur so lange hielt, bis er ein Flüstern hörte, dass ihn anzusprechen schien. Jo wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn und hörte noch mal genauer hin. „Genau Dich meine Ich.“ Glaubte Joachim zu hören und suchte mit den Blicken nach der Stimme. „Hilf mir!“ Echote es aus allen Wänden und Ecken des Raumes. Jo drehte sich panisch in alle Richtungen, doch wohin er sich auch drehte, die rufe schienen sich immer hinter ihm zu befinden, als hätte sich die Stimme an seinem Rücken festgekrallt. „Ich musste Dir diese Visionen zeigen...“ hallte es, mehr durch Joachims Kopf als durch den Raum. „Warum? Wer bist Du?“ schrie Jo, ohne so recht zu wissen in welche Richtung. „Befreie mich! Ich flehe Dich an!“ Jo erkannte, dass die Stimme ohne Körper wirklich sehr flehend und mitleidig klang, es war eine eher dunkle und männliche Stimme, wie von einem alten Mann. „Ich bin eine gefangene Seele, erlöse mich!“ Der junge Mann versuchte Ruhe und einen kühlen Kopf zu bewahren. Er versuchte klar zu analysieren, was hier vor sich ging. „Es gibt keine Geister, genauso wenig, wie es Zombies, Aliens oder den Yeti gibt!“ dachte er. „Wenn Du Stimmen hörst, wirst Du wahrscheinlich verrückt! Vielleicht ist hier unten irgendein Gas, dass Halluzinationen hervorruft oder es handelt sich um etwas Neurologisches...“ „Der Krug!“ sagte die Stimme „Der letzte Krug auf dem Steintisch... er...“ die Stimme schien schwächer zu werden, sie verblasste mit jedem Wort „Er ist gleichzeitig auch meine letzte Chance...“ und wurde wieder zu einem Flüstern. Jo widerstrebte es mit der Stimme zu reden und doch tat er es, so als wolle er einfach nur seine Ruhe haben. „Wieso? Was ist damit?“ Stille folgte. Selbst als Jo angestrengt die Ohren offen hielt hörte er nichts. Erleichtert seufzte er, wurde darin bestätigt, dass es sich nur um ein Hirngespinst gehandelt hatte und wandte sich wieder zu dem Loch in der Decke, durch das er gefallen war. „Trinke den Inhalt des Kruges und befreie mich damit!“ Jo erschrak – Nein, ihm blieb beinahe das Herz stehen, denn die Stimme war jetzt deutlicher als je zuvor. Nach wenigen Schrecksekunden schritt Joachim weiter auf den Lichtkegel aus der Decke zu, bis er nichts mehr hörte, weder seine eigenen Schritte, noch die mit dem Laufen verbundenen Geräusche der Kleidung. Es war nicht so, als würde man sich die Ohren zuhalten, denn selbst dann wäre noch dieses Rauschen und eine dumpfe Wahrnehmung, es war die absolute Abwesenheit jeglicher Klänge und Geräusche. Es war als wäre er von einem Moment auf den anderen Taub geworden, doch dann vernahm er wieder diese Stimme. „Befreie mich!“ sie war jetzt deutlicher als je zuvor und sie hatte nicht mehr diesen klagenden Ton, sie war jetzt aggressiver. „Nimm den Krug und trinke daraus!“ „Du bist keine gefangene Seele...“ Glaubte Jo zu flüstern, doch selbst seine eigene Stimme hörte er nicht. „Tu es!“ befahl das Etwas jetzt. Jo drehte sich zum Altar und leuchtete auf den Tonkrug. „Und was wenn nicht?!“ Er zweifelte die Fähigkeiten des Geisterwesen noch genauso an, wie er dessen bloße Existenz anzweifelte und bedrohen lassen wollte er sich schon gar nicht, doch kaum hatte er die Worte ausgesprochen – jedenfalls glaubte er sie ausgesprochen zu haben, weil er noch immer nichts hörte – fühlte er, wie sich sein Gleichgewichtssinn verabschiedete. Jo geriet ins Wanken und stürzte schließlich hart auf den Boden. „Hier unten bin ich Herrscher und Gefangener zugleich, wenn meine Seele durch dich nach draußen gelangt, werde ich endlich meinen Frieden finden können.“ Erklärte die Stimme in ihrem Echo-Ton. Als die Worte verklangen herrschte wieder absolute Stille in Jos Kopf, er hatte sich aufsetzen können, aber für mehr war ihm noch viel zu schwindelig. Er sah den Krug mit wackelnder Taschenlampe an und überlegte, was wohl passieren würde, wenn er hier unten einfach liegen blieb. Seine Freunde würden womöglich hier herunter kommen und auch diesem Wesen zum Opfer fallen. Wenn er aber jetzt alleine etwas unternahm, würde er das Risiko allein auf sich nehmen. „Hey, Joachim! Bist Du noch da?“ Es war Mario, dessen Stimme er hörte. Jo hörte wieder! Selbst das Schwindelgefühl war weg. Hatte er sich das doch nur eingebildet? War er kurz weggetreten und bildete sich alles nur ein? Oder hatte ihn das Wesen freigegeben? Joachim leuchtete auf den verbleibenden Krug und dachte kurz nach. „Jo, Ralf und die Anderen sind hier, wir haben ein Seil und holen Dich jetzt da raus!“ rief Mario voller Zuversicht nach unten. „Nur einen kleinen Moment!“ rief Jo zurück. Er stand auf und bewegte sich auf den Steintisch zu, Jo hatte Angst ein weiteres mal die Kontrolle über seinen Körper durch dieses Wesen zu verlieren, richtete deshalb seinen Blick möglichst unauffällig zu allen Seiten und hoffte insgeheim es sehen zu können. Jetzt stand er vor dem Tongefäß und befürchtete eine falsche Entscheidung zu treffen. Er legte seine Taschenlampe auf die große Steinplatte, nahm den Krug in beide Hände und hob ihn an, er war viel leichter als Jo dachte. Joachim blickte im Gegenlicht in die schwarze Flüssigkeit, hob den Krug zu seinem Gesicht und sagte: „Du wolltest es so.“ Kapitel 7: Das Licht -------------------- Mit festem Stand hielt Ralf das Seil ganz fest und Blickte durch das Loch nach unten. Hinter ihm standen in einer Reihe Thomas, der sich wieder erholt hatte, dessen Gesicht aber trotzdem nur langsam wieder Farbe annahm, Ulrich, der irgendwie mal wieder Glück gehabt hatte und keinen Kater bekam, und ganz hinten Mario, der sich vor Erleichterung, dass die anderen drei endlich da waren nicht mal den Dreck von der Kleidung geklopft hatte, die vom Liegen auf dem Boden kam, als er zu Jo in das Loch hinunter rief. „Geht’s Dir gut, Jo?“ rief jetzt Ralf hinunter „Oder sollen wir runter kommen?“ „Nicht nötig.“ Kam es aus den Schatten und Jo trat ins Licht. Nun, der sportlichste war Joachim nicht und so quälte er sich eher nach Oben, statt zu klettern. Letzten Endes schaffte er es aber mit Hilfe seiner Freunde die Oberfläche wieder zu erreichen. Verdreckt und außer Atem musste er sich erst wieder ans Tageslicht gewöhnen. „Irgendwas gebrochen?“ fragte Thomas besorgt. „Brauchst Du einen Arzt?“ fügte er hinten an um jegliche andere Verletzung auszuschließen. „Nein...“ keuchte Jo „Danke!“ Uli war nicht ganz so besorgt, war aber trotzdem schnell wach und hatte sich auch beeilt hierher zu kommen, als Ralf ihn und Tom von Jos Unfall berichtete. Ralf fiel wohl als einzigem Ulis Blick auf, der etwas skeptisches in sich trug, so als würde er noch daran zweifeln, dass das alles wirklich passiert war, ohne dabei in irgendeiner Weise geschockt oder beunruhigt zu wirken. „War da unten irgendetwas?“ fragte Uli schließlich. „Nur Steine und Dreck.“ Brachte Joachim desinteressiert hervor. „Es scheint zwar ein von Menschenhand gemauerter Raum zu sein, aber vermutlich hat ihn irgendwer geplündert, wenn überhaupt einmal was darin gewesen sein sollte.“ „Wenn wir Morgen wieder zurückfahren, sollten wir vielleicht irgendwen informieren, dass das Ding hier steht.“ schlug Tom vor „Vielleicht hat jemand Interesse es in ein Museum zu stellen.“ Ralf sah an dem Felsen hoch und schauderte. „Ich würde es lieber in dem Loch versenken und zuschütten.“ „Wir sollten das Morgen entscheiden, es ist ja nicht so als würde davon irgendeine Gefahr ausgehen.“ Kommentierte Jo und blickte ebenfalls daran hoch und ergänzte geistesabwesend: „Wenn man mal davon absieht in den Hohlraum darunter zu fallen...“ Die Figur am Oberen Ende, die Jo sich nicht mehr ansehen konnte, weil er zuvor in dem Loch verschwunden war, lag jetzt frei. Das Wesen hielt in jeder Hand einen Knochen und um es herum waren scheinbar Flammen dargestellt, aber was Jo in diesem Augenblick am meisten beunruhigte war, dass dieses Wesen einen Affenschädel besaß. „Alles okay mit Dir?“ fragte Mario, der sich immer noch Schuldig fühlte und sich deshalb zunächst etwas zurückgehalten hatte. „Ja, ja! Ich hab’ nur... Ach, ist ja auch egal. Nur ein Déjà-vu.“ Wich Jo aus. Kurze stille, die Uli „geschickt“ unterbrach. „Ich würde sagen, auf den Schock sollten wir erst mal was deftiges Essen!“ Das taten die Fünf dann auch und weil sie gemerkt hatten, dass sie viel zu viel Dosenfutter mitgenommen hatten und den Abend ohnehin mehr mit Saufen verbrachten, beschloss irgendwer von allem etwas aufzumachen. Es gab also die obligatorischen Ravioli, eine Sorte Bohnen, die Ralfs Mutter nicht essen wollte und ihm deshalb mitgegeben hatte, im Preis herabgesetzte Erbsen in einer bis zur Unkenntlichkeit verbeulten Dose, Linsen, die nächste Woche ihr Haltbarkeitsdatum überschritten hätten, eingelegte Annanasscheiben von denen keiner wusste, wer sie mitgebracht hatte, etwas penetrant riechenden Fisch in einer Tomatensauce und eine große Salami. Zunächst saßen noch alle zusammen am Lagerfeuer – oder besser gesagt der Glut – und Jo erzählte wie er in das Lochgefallen war und dass er sich dort unten umgesehen hat. Er erzählte nichts von dem Steinaltar oder den Gefäßen, stattdessen schmückte er die Geschichte mit seiner Art von Humor aus, erzählte, Mario hätte gejammert wie ein kleines Mädchen, bevor die Hilfe der Anderen kam. Mario sah zunächst etwas böse zu Jo hinüber, versuchte es dann aber mit Humor zu nehmen und zu lächeln, als Joachim dann erzählte wie tollpatschig er selbst dort unten umhergestolpert sei, verzieh ihm Mario auch den Scherz auf seine kosten. Irgendwann ging wieder jeder seines Weges und keiner wusste so recht was die anderen machten, man spielte Karten, Uli angelte, man unterhielt sich, Ralf machte sein Nachmittagstraining. Joachim erleichterte sich an einem Baum und pinkelte sich geistesabwesend beinahe auf die Schuhe. Ein paar Bäume weiter saß Thomas auf einem umgestürzten Baumstamm und als Jo seine Blase entleert hatte und beim zurückkehren an Tom vorbei lief reichte ihm dieser seine Bierflasche und fragte „Na? Brav die Hände gewaschen?“ Joachim zog eine Augenbraue hoch, gab Tom ein müdes Lächeln und nahm ihm die Flasche ruckartig aus der Hand, dann setzte er sich mit einem Kopfschütteln neben ihn auf den Stamm und nahm einen Schluck, so als wolle er seine Blase gleich wieder füllen. „Sag mal...“ fing Tom an und Jo wusste, dass jetzt wieder auf Ernst geschaltet werden musste, denn Tom hatte seinen Nachdenklichen Blick aufgelegt und bei dem Dame-Spiel, dass sie zuvor beendet hatten schnitt Thomas grottenschlecht ab, dafür, dass er jedes Mal haushoch gewann. „...Bist Du eigentlich glücklich mit Carin? Tom hatte Joachim und Carin schon öfter miteinander erlebt, aber im Moment schien es, als würde Tom alles was er wusste über den Haufen werfen um alles neu zu definieren. „Klar, sonst hätten wir ja nicht geheiratet.“ Irgendwie schien Jo diese Aussage für dämlich zu halten, noch bevor er sie beendet hatte, Thomas Eltern waren auch lange verheiratet und ließen sich erst scheiden, als er 16 oder 17 war, was Tom immer noch sehr mitgenommen hatte. „Also...“ fügte Jo schnell hinten an, ohne genau zu wissen wie der Satz weiter gehen sollte. Er wollte auf der anderen Seite aber auch nicht diese blöde Aussage allein stehen lassen. „...Es ist so...“ Aber Jo wollte auch ehrlich sein, vielleicht sollte er seine Beziehung zu Carin sogar etwas abwerten, damit sich Tom wegen Ute nicht so mies fühlte. „Ich... Naja...“ Tom sah ihn fragend an. „Wir haben unsere Höhen und Tiefen, dass ist in einer Ehe nicht anders als in einer normalen Beziehung, dazu kommt natürlich die Kleine, die für uns Beide und auch für die Beziehung ein Stressfaktor ist, aber wir steh’n das durch, da bin ich mir sicher.“ Brachte Jo seine Antwort auf Toms Frage endlich zu Stande. Thomas seufzte. „Hast Du es jemals bereut zu heiraten?“ Tom hielt kurz inne. „So früh meine ich.“ Jo schluckte und hätte spontan mit einem lauten „JA!“ geantwortet, aber er stand auch zu seiner Entscheidung geheiratet zu haben, auch wenn diese Entscheidung mehr damit zu tun hatte, dass er sich nicht vor der Verantwortung für das in Carins Bauch entstehende Leben drücken wollte. „Nicht so sehr, dass ich es rückgängig machen wollte.“ Antwortete Jo also relativ diplomatisch. „Aber wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre ich lieber ein paar wenige Jahre später Vater geworden und hätte Carin unter etwas weniger Druck von außen gefragt, ob sie meine Frau werden will.“ Joachim sprach diesen Satz leise, nuschelte fast, denn irgendwie war es ihm peinlich so zu denken. Thomas seufzte erneut. „Ich dachte bis vor kurzem noch genau wie Du.“ Bemerkte Tom wie beiläufig und Joachim schien etwas erleichtert. „Ich musste daran denken, wie wir als Kinder Kirschen vom Baum des Dorfbauern gestohlen haben oder mit den Feuerwerkskörpern beinahe Euer Wohnzimmer in Brand gesteckt haben.“ „Oh ja, ich bin von meinem Vater noch nie so verdroschen worden...“ erinnerte sich Jo mit einem Grinsen obwohl er sich auch an seinen schmerzenden Hintern erinnerte. „Du und ich, wir sind schon verdammt lange beste Freunde, ich hab’ Angst, dass wenn ich jetzt Heirate, sich Alles ändert.“ Erklärte Thomas weiter. „Ich denke ich bin noch nicht so weit zu heiraten, Kinder zu bekommen und einen auf Familie zu machen – das ist einfach zu früh für mich.“ Jo verstand Toms Sorgen nur zu gut, ihm ging es genauso, als er von Carins Schwangerschaft erfahren hatte. „Jedenfalls...“ Tom atmete noch mal tief ein und fuhr fort „Du weißt doch, dass Utes Freundin geheiratet hat...“ Joachim nickte, kurz bevor er sich wirklich erinnerte, dass Thomas die Hochzeit erwähnt hatte. „Ute fing an von dem Kleid, der Feier und allem drum herum zu schwärmen und ich sagte wohl irgendwie, dass ich sie nicht heiraten wollte...“ Tom seufzte. „Ich bin so ein Idiot. Ich meinte eigentlich, dass ich sie NOCH nicht heiraten will. Irgendwann mal, ja, immerhin liebe ich sie, aber heiraten? Jetzt?“ Jo sah betroffen zu ihm rüber, doch Tom mied seine Blicke. „Ich war von der Arbeit genervt und an dem Tag leicht reizbar. Wir fingen an zu streiten und... hm... Wie es endete weißt Du ja.“ „Warum bist Du dann mit uns gefahren, statt zu versuchen, Dich wieder mit ihr zu vertragen?!“ frage Jo entsetzt. „Sie wollte nicht mit mir reden. Sie ging nicht ans Telefon und machte die Tür nicht auf. Ich dachte, wo ich bin macht doch jetzt auch keinen Unterschied und vielleicht bekomme ich in der Natur etwas den Kopf frei, aber ich denke die ganze Zeit nur an sie...“ „Schöne Scheiße.“ Kommentierte Jo. „Da sagst Du was...“ Ein scheinbar endlos wirkender, unangenehmer Moment der Stille folgte. Einen Moment von der Art hatte Jo das letzte Mal als so unangenehm empfunden, als er mit einem Mädchen ausgehen wollte und im Wohnzimmer sitzend neben ihren Eltern warten musste und niemand etwas zu sagen hatte. Jo nickte mitfühlend um sich wenigstens irgendwie mitzuteilen, doch Tom sah ihn immer noch nicht an und so hatte auch das keinen Zweck. „Ich hätte nicht damit anfangen sollen...“ seufzte Thomas daher und stand auf um zum See zu laufen, doch Jo hielt ihn auf. „Warte!“ irgendetwas musste er jetzt sagen, Tom war sein bester Freund. „Hör mal, das Wochenende ist bisher sicher nicht so gelaufen wie Du es Dir vorgestellt hast. Verdammte Scheiße, selbst nicht, wie ich es mir vorgestellt habe, ich bin in ein beschissenes Erdloch gefallen und hätte mir beinahe was gebrochen und wäre ohne Hilfe wahrscheinlich nicht wieder da raus gekommen!“ wenigstens ein kleines bisschen schien Tom die Mundwinkel nach Oben zu ziehen – also soweit, dass seine Lippen zumindest wagerechte Linien bildeten. „Manchmal ist das Leben einfach verdammt beschissen, manchmal ist es das aber nur, weil wir Fehler machen. Die können wir zwar nicht rückgängig machen, aber wir können versuchen alles wieder grade zu rücken.“ Jo machte ein kurze, dramaturgische Pause. „Wenn wir wieder zurück sind rufst Du sie an und wenn sie immer noch nicht ans Telefon geht, rede ich mit ihr und sag ihr, dass es Dir Leid tut und ein Missverständnis war.“ Tom nickte. „Also besaufen wir uns jetzt grundlos oder was?“ Jo hob seine Bierflasche an, lächelte und sah seinen Freund Erwartungsvoll an. Dieser wusste, was Joachim wollte und stieß mit ihm kurz an. „Na dann los!“ Kapitel 8: Die Feier -------------------- Eigentlich konnte man es schon als Feier bezeichnen, ab dem Zeitpunkt, als Joachim aus dem Loch unter dem steinernen Denkmal befreit wurde, aber erst gegen Abend hatten wirklich alle Einen sitzen. Uli war sogar sehr früh so besoffen, dass er beim besten Willen nicht mehr fahren konnte. Mario äußerte daraufhin gehässig, dass er vermutlich sogar erst am darauffolgenden Abend wieder fahrtauglich sein würde. Eine Alles in Allem feuchtfröhliche Nacht. Die Temperaturen hielten sich beständig über 0° Celsius, das Lagerfeuer prasselte, es wurden fast alle Reste der Lebensmittel aufgebraucht und wem es doch noch zu kalt war, der hielt sich mit noch mehr Alkohol warm. Mario stellte sich an einen Baum einige Meter vom Zeltplatz entfernt, wankte leicht, öffnete seine Hose und erleichterte sich. „Halleluja!“ stieß er halb stöhnend hervor. Das Wasser prasselte gegen den Stamm und floss daran herunter. Als das Geräusch verstummte, hörte er jemanden hinter sich. Ein Ast knackte und Mario fuhr zusammen. Er packte seine „Utensilien“ wieder ein und drehte seinen Kopf über die Schulter nach hinten. „Ach Du bist es!“ seufzte er erleichtert, obwohl er die Person nur anhand von Größe und Körperbau abschätzen konnte. „Ich wollte mal mit Dir reden.“ Sagte er und Mario nickte zustimmend. Mario wollte wieder zum Lager zurück, doch sein Gesprächspartner gestikulierte in die entgegengesetzte Richtung. „Lass uns etwas gehen.“ Sagte er. Mario nickte wiederholt und sie liefen in den Wald hinein, nicht weit vom Ufer des Sees entfernt. „Ein verrückter Tag, oder?“ fragte Mario, denn sein Gegenüber verhielt sich doch etwas zu ruhig für seine Verhältnisse und der Alkohol verleitete Mario normalerweise dazu noch mehr zu reden. „Ein verrücktes Wochenende.“ Bestätigte der Mann immerhin. „Wolltest Du darüber mit mir reden?“ „In gewisser Weise...“ Mario sah ihn fragend an. „Wie soll ich es erklären...?“ „Nur raus damit!“ nuschelte Mario mit einem lächeln. Der Mann sprach nicht, als wäre er betrunken, fiel Mario auf, dennoch kam er ihm nicht ganz nüchtern vor, so wie er sich verhielt. „Kannst Du Dir vorstellen ohne einen Deiner Sinne zu leben?“ „Im Moment mangelt es mir ziemlich an Gleichgewichtssinn.“ Verkündete Mario stolz und kicherte über seinen eigenen Witz. Marios Gesprächspartner lächelte nicht einmal, aber dem dicklichen kleinen Mann fiel das nicht auf. „Ich bin irgendwie Neidisch auf deinen guten Geruchssinn. Irgendwie würde ich nur zu gerne wieder so gut riechen können.“ Mario wurde mit einem Schlag wieder ein kleines bisschen klarer im Kopf. „Du hast mich doch für völlig bescheuert gehalten, als ich davon erzählt habe! Ihr alle habt mich für bescheuert gehalten!“ „Die Anderen dachten das vielleicht, ich mit Sicherheit nicht!“ „Ja, klar!“ spottete Mario, dann zögerte er. „Wieso überhaupt ‚wieder so gut riechen können?“ fragte er verdutzt und mit einem Mal hatte er wieder diesen Geruch in der Nase, obwohl sie noch weit von dem Felsen entfernt sein mussten. „Weil mir Nichts so angenehmen erscheint wie der Geruch von totem menschlichem Fleisch!“ Mario war starr vor entsetzen und schon spürte er eine Hand an seiner Kehle, die verhinderte, dass er einen Schrei ausstieß, den man über Kilometer hinweg hätte hören können. Der Mann, den Mario bis eben noch für einen Freund hielt drückte ihn jetzt unsanft gegen den nächsten Baum. „Sei stolz, nach so langer Zeit der Ersten sein zu dürfen!“ keifte die düstere Gestallt und jetzt war es so, als würde Mario die Stimme gleichzeitig durch die Ohren und in seinem Kopf hören. Der Mann nahm seine zweite Hand zur Hilfe und würgte Mario, dass dieser keine Luft mehr bekam, in Panik geriet und sein Gegenüber mit Fausthieben und Tritten versuchte von seinem Tun abzuhalten, doch der Mann war zu stark und schien die Angriffe nicht einmal zu spüren. Ein diabolisches Grinsen zog sich von einer Wange zur anderen und die Augen strahlten gleichzeitig Freude und Wut aus. Marios Augen hingegen wurden immer trüber, mit jedem Atemzug den er verpasste. Der Kampf dauerte nur wenige Minuten, irgendwann ließen die Hände um Marios Hals wieder locker und sein Lebloser Körper sank zu Boden. Mit einem erleichtertem Durchatmen betrachtete die Gestallt ihr gottloses Werk und schien eine Last losgeworden zu sein, die sich selbst ein Packesel nicht vorzustellen wagte. Die Person neben dem toten Mario atmete tief durch die Nase und sammelte jeglichen noch so kleinen Geruch ein, von der kalten Waldluft bis hin zum Duft der noch warmen Leiche. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)