Shiomari von abgemeldet (Waffen, Brüder und andere Probleme) ================================================================================ Kapitel 18: Alles, was Recht ist -------------------------------- Inochiyume waren einige Kräuter ausgegangen, die sie für die Behandlung ihrer Patienten benötigte und so hatte sie sich mit der Warnung ihrer Großmutter versorgt, ja vorsichtig zu sein und sich nicht von dem Schatten töten zu lassen, auf den Weg in den Wald gemacht. Da sie wusste, wo sie suchen musste, um fündig zu werden, dauerte es nicht lang, bis sie den mitgenommenen Korb gefüllt hatte und sie sich auf den Rückweg machte. Sie mochte bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als sie in der Nähe ein hilfloses Krächzen hörte und einer Gewohnheit folgend, sich nach dem verletzten Vogel umsah. Am Fuß einer hohen Kastanieneiche zwischen verknicktem Gesträuch und zerdrücktem Grün fand sie schließlich den Verursacher des Krächzens: Einen schwarzen Raben, der sich, dem ersten Eindruck nach zu urteilen, offenbar einen Flügel gebrochen hatte. Seltsamerweise sträubte sich das Tier keinen Moment gegen das Mädchen, als dieses den Raben vorsichtig vom Boden hob, um ihn nach Haue zu tragen. Stattdessen ließ er alles ruhig mit sich geschehen, als wüsste er genau mit wem er es zu tun hatte. Inochiyume hatte sich gerade aus der Hocke erhoben, um ihren Heimweg fortzusetzen, als der Rabe plötzlich warnend aufkrächzte und gleichzeitig ein bedrohlich klingendes Geräusch zu hören war, das Inochiyume nicht einzuordnen vermochte. Wie sie es geschafft hatte, dem ersten Angriff des Schattens zu entgehen, hätte sie nicht sagen können, noch hatte sie später eine klare Erinnerung an diese Momente. Wenn man sie fragte, konnte sie lediglich antworten: „Ich bin gerannt.“ Und das tat sie. Nicht nur um ihre eigenes Leben, sondern auch um das des Tieres in ihren Armen. Ohne nachzudenken. Ohne klares Ziel vor Augen, hastete sie in wilder Jagd durch das Dickicht des Waldes. Bemühte sich Haken zu schlagen. Ihren Verfolger zu verwirren und vielleicht sogar abzuhängen. Aber ihre Anstrengungen waren vergeblich, das Wesen blieb ihr dicht auf den Fersen und schien Vergnügen daran zu haben seine Beute langsam zu Tode zu hetzen. Je länger die Verfolgungsjagd dauerte, umso langsamer und schwächer wurde Inochiyume, umso rauer und heftiger ging ihr Atem. Aber noch wollte sie nicht aufgeben, noch drückte sie den verletzten Raben an sich und hastete weiter. Es mochte an ihrer zunehmenden Erschöpfung und ihrer Panik liegen, dass sie schließlich eine hervorragende Wurzel übersah und stolperte. Es gelang ihr nicht mehr ihr Gleichgewicht wiederzufinden, sodass sie zu Boden stürzte, im Fallen noch immer darauf bedacht den Raben zu beschützen, als wäre er ihr Kind. Eilig versuchte sie sich wieder aufzurappeln und weiterzulaufen, während sie hinter sich die gefräßige Blutgier ihres Verfolgers spürte; hörte wie er immer näher kam und wusste, dass sie jeden Augenblick sterben würde. Jaken und InuYasha waren auf Ah-Un in die Richtung gereist, die ihnen Ryōeichi genannt hatte und liefen gerade durch den Wald, den man durchqueren musste, wollte man das Dorf erreichen, als der Hanyō mit seinem feinen Gehör plötzlich Geräusche vernahm, die ihn auf der Stelle im Höchsttempo davon stürmen ließen, im Laufen bereits Tessaiga ziehen, während er einen immer stärker werdenden Geruch in die Nase bekam, der sich nur als Todesangst bezeichnen ließ. Er kam in dem Moment bei dem zitternd um Atem ringenden Mädchen an, als sich das Ungeheuer, sich seiner Beute sicher und deren Angst genießend, mit zufriedener Gemächlichkeit diesem genähert hatte und gerade zum Sprung ansetzte, um seinem Opfer den Garaus zu machen. InuYasha hatte bereits ausgeholt, um die Windnarbe auf die Bestie loszujagen, als plötzlich ein weiterer Mensch auf der Lichtung auftauchte und das Wesen ohne eine Sekunde zu zögern angriff. InuYasha starrte etwas verdutzt auf den dunkelhaarigen Mann, der für einen Menschen überraschend schnell war und dessen Kampftechnik zu beobachten ein reines Vergnügen war. Während der Mann und die Bestie einander mit dem Ziel bekämpften, den jeweils Anderen zu töten, sich gegenseitig Verletzungen zufügten, den Angriffen des Gegners auswichen, selbst zum Angriff übergingen und alles andere ausblendeten, sich ausschließlich auf ihr Gegenüber konzentrierend, war auch Jaken mit Ah-Un bei InuYasha angekommen und starrte ungläubig auf das sich bietende Schauspiel. Verwundert fragte er sich, was das für ein Tier sein mochte, in all der Zeit, die er nun schon lebte, hatte er weder so etwas gesehen noch davon gehört. Das Wesen hatte den Körper eines Löwen, der mit rotem Fell bedeckt war, sein Schwanz war der eines Skorpions, während sein Gesicht das eines Menschenmannes war, umrahmt von einer roten Mähne. Inochiyume hatte sich unterdessen aufgerichtet und war zurückgewichen, um ihrem Retter nicht in die Quere zu kommen. Sie war froh, dass sie dem Schatten im letzten Moment noch entkommen war, allerdings fragte sie sich auch, wieso ihr Retter sich überhaupt die Mühe gemacht hatte sie zu suchen, schließlich war es nichts Ungewöhnliches, dass sie in den Wald ging. Unter den aufmerksamen Blicken der schweigenden Beobachter war derweil der Kampf zwischen dem Monster und seinem Gegner ununterbrochen fortgesetzt worden, ohne dabei an Heftigkeit einzubüßen. Anders als die meisten Samurai benutzte der dunkelhaarige Krieger bei seinem Kampf nicht nur das Katana, um gegen die Bestie vorzugehen, sondern kämpfte mit Katana und Wakazashi gleichzeitig, um sich so gegen die vier krallenbewehrten Tatzen sowie den stachelbewehrten Schwanz des Tieres verteidigen zu können und zugleich seine Angriffsmöglichkeiten zu vergrößern. Die Bestie ihrerseits war keineswegs dumm, sondern schien tatsächlich über den Verstand eines Menschen zu verfügen und bei ihren Angriffen mit Bedacht vorzugehen. Dennoch konnte sie dem präzise und erbarmungslos geführten Daishō-Paar einige Male nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Das Tier revanchierte sich jedoch umgehend bei seinem Herausforderer, indem es ihn ebenfalls mit seinen Klauen verwundete. Je länger der Kampf jedoch dauerte, umso mehr schien es, als würde die Bestie aufgrund größerer Kraftreserven gewinnen. Die Bewegungen des Kriegers hatten nach und nach merklich an Kraft und Eleganz eingebüßt. Sein Atem ging immer heftiger, während er mehr und mehr in die Defensive gedrängt wurde und die Bestie mit ihm zu spielen schien. Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis das Untier den Sieg davon tragen würde. Aber noch zögerte InuYasha in den Kampf einzugreifen, wäre es doch eine Beleidigung für die Kampffähigkeiten, den Stolz und die Ehre des Kriegers gewesen, für ihn zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte. Plötzlich strauchelte der Krieger und ging in die Knie, während das Ungeheuer seine Chance gekommen sah, den Mann zu töten. Genau in dem Augenblick, als das Tier mit einem kraftvollen Sprung auf den am Boden knienden Mann zuflog und InuYasha mit Tessaiga ausholte, um mit Hilfe der Windnarbe das Schlimmste zu verhindern, sprang der Krieger - plötzlich erstaunlicherweise wieder bei Kräften – auf, rannte auf die Bestie zu und stieß ihr sein Katana tief in die Brust. Noch in der gleichen Bewegung sprang er auch schon zur Seite, um nicht unter dem so abrupt in seinem Angriff gestoppten Tier begraben zu werden. Allerdings gelang es dem Mann nicht mehr rechtzeitig die letzten tödlichen Zuckungen des Skorpionschwanzes vollständig abzuwehren oder ihnen auszuweichen. Und so bohrte sich der giftgefüllte Stachel in den ungeschützten Oberarm des Kriegers, bevor die Bestie endgültig starb. Für einen langen Augenblick herrsche erstarrte Stille, als bräuchte jeder der Anwesenden noch einen Moment, um das Geschehen zu verarbeiten, dann jedoch trat der Krieger auf das tote Untier zu und drehte es mit seinem Fuß so, dass er sein Schwert herausziehen konnte. Gleichzeitig hatte Inochiyume vorsichtig den Raben neben ihrem Korb abgesetzt und war hastig zu dem Mann gelaufen, dabei erschrocken rufend: „Nicht bewegen!“ Augenblicklich erstarrten InuYasha und Jaken wieder in der Bewegung, die sich gerade den anderen Beiden hatten bemerkbar machen wollen und nun annahmen, es drohe weitere Gefahr. Der dunkelhaarige Mann hingegen reagierte allenfalls mit milder Neugier auf die Bemerkung des Mädchens, während er diesem gelassen entgegensah. Kaum bei ihm angekommen erklärte Inochiyume eilig: „Wenn du dich bewegst, Dono, verteilt sich das Gift schneller in deinem Körper. Wenn wir uns nicht beeilen, wirst du daran sterben.“ „Was hast du vor?“, war alles, was Haru darauf gleichmütig zu wissen verlangte und von Inochiyume daraufhin kurz und knapp die Möglichkeit erklärt bekam, die ihr zur Verfügung stand. Sobald Haru mit einem Nicken sein Einverständnis gegeben hatte, riss Inochiyume den durch den Kampf ohnehin bereits beschädigten Kleiderärmel so weit auf, dass sie die Stelle sehen konnte, an der das Tier zu gestochen hatte. Mit Hilfe eines kleinen Messers vergrößerte und vertiefte sie anschließend die Wunde, bis dunkles Blut hervortrat. Gleich darauf begann sie Gift und Blut aus der Wunde zu saugen, immer wieder eilig ausspuckend und sich im Stillen selbst ermahnend, nur nichts hinunter zu schlucken. Stoisch, ohne sich etwas anmerken zu lassen, dass darauf hinwies, ob die Prozedur für ihn in irgendeiner Form unangenehm sein mochte, ließ Haru die Behandlung über sich zu ergehen, noch immer das Schwert in der Hand haltend. Trotz der Wunden, die ihm das Untier zugefügt hatte, stand er hoch aufgerichtet und scheinbar entspannt da. Bis zu dem Moment, in dem InuYasha, der Tessaiga inzwischen wieder in die Scheide gesteckt hatte, gefolgt von Jaken, der Ah-Un am Zügel führte, aus dem Dickicht trat und auf die beiden Menschen zukam. Mit erstaunlicher Schnelligkeit hatte Haru Inochiyume hinter seinen Rücken geschoben und sich mit erhobenem Schwert den Fremden zugewandt, sie mit gespannter Aufmerksamkeit musternd. Da jedoch keines der drei merkwürdigen Wesen den Anschein erweckte kämpfen zu wollen, entspannte Haru sich wieder ein wenig, ohne in seiner Wachsamkeit nachzulassen. Auch Inochiyume betrachtete neugierig die drei auf sie zukommenden Wesen und registrierte verblüfft deren ungewöhnliches Aussehen. Offenbar liefen zurzeit eine Menge seltsamer Gestalten in diesem Wald herum, aber anders als die Schattenbestie waren diese Drei anscheinend nicht hinter Menschenfleisch her. Während InuYasha zielstrebig auf die beiden Fremden zuschritt, starrte er äußerst konzentriert den dunkelhaarigen Krieger an. Seit dieser aufgetaucht war, hatte der Hanyō einen vertrauten Geruch in der Nase und obwohl er wusste, dass Sesshōmaru zurzeit ein Mensch war, da ihm sein Yōki entzogen worden war, konnte er es nun, da er seinen Bruder tatsächlich vor sich sah, nicht recht glauben. Dieser arrogante, Menschen verachtende Mistkerl von einem Dämon, war nun genau das, was er stets so verabscheut hatte und noch dazu schien ihm das Mädchen an seiner Seite – ein MENSCHEN-Mädchen wohlgemerkt, das mindestens doppelt so alt wie Rin war – keineswegs gleichgültig zu sein. Inuyasha wusste nicht recht, ob er angesichts der Situation, in die sein Bruder geraten war, schadenfroh grinsen sollte oder ob er sich größere Sorgen darüber machen sollte, wie Sesshōmaru reagieren würde, wenn er wieder ganz der Alte wäre. Sobald InuYasha bis auf eine Schwertlänge herangekommen war, richtete Haru warnend die Spitze seiner Waffe auf die Brust des Hanyō und fragte mit eisiger Ruhe: „Was wollt ihr?“ „Keh, dich dahin bringen, wohin du gehörst, Blödmann“, erwiderte InuYasha trotzig, während Jaken mit vor Ergriffenheit schwankender Stimme zur Begrüßung ein „Sesshōmaru-sama“ hervorbrachte und sichtlich Mühe hatte halbwegs seine Würde aufrecht zu erhalten. „Ich kenne euch nicht“, dieser mit kalter Gleichgültigkeit vorgebrachte Satz ließ Jaken die Augen groß werden, das Kinn fassungslos nach unten sacken und Tränen in seine Augen treten, obwohl er noch vor kurzem der Überzeugung gewesen war, für die nächsten Jahrhunderte genug geweint zu haben, als sie am See der Tränen gewesen waren. InuYasha hingegen wetterte ungehalten los, den ganzen angestauten Unmut der vergangenen Reise über dem ahnungslosen Haru auskippend: „Was soll das, du Idiot, wir sind zwei Mal quer durch das ganze verdammte Land gereist, um dich zu finden, damit du endlich wieder deine Schwerter und dein Yōki zurückbekommst und was tust du: Stellst dich hin und behauptest, nicht zu wissen wer wir sind!“ Gleichmütig hatte Haru diese wütende Tirade über sich ergehen lassen, nur der Ausdruck seiner Augen war immer eisiger geworden, während alles, was er zu den Worten InuYashas zu sagen hatte, war: „Du kläffst wie ein räudiger Köter, dem niemand Beachtung schenkt.“ „Du Mistkerl!“, knurrte InuYasha auf diese Beleidigung wütend, „du bist doch selbst ein Hund…“ Bevor die Situation noch weiter eskalieren konnte, trat Inochiyume hastig einen Schritt vor, um nicht mehr durch Harus Rücken verdeckt zu werden und fiel dem Hanyō mit der Bemerkung ins Wort: „Haru-dono kann sich an nichts erinnern, was vor der Zeit war, seit er ins Dorf gekommen ist.“ Das brachte ihr zunächst verdutzte Blicke von InuYasha und Jaken ein, bevor sich in ihren Augen Erkenntnis widerspiegelte, als ihnen wieder einfiel, dass Sesshōmaru mehr als seine Schwerter und sein Yōki verloren hatte. Von Haru hingegen erhielt Inochiyume für ihr eigenmächtiges Eingreifen keine Dankbarkeit, sondern ebenfalls nur einen eisig strafenden Blick, der zu besagen schien, dass sie sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen solle. Das Mädchen ließ sich davon jedoch nicht abschrecken, sondern fragte InuYasha stattdessen, ob er tatsächlich mit Haru-dono verwandt wäre. Im ersten Augenblick war der Angesprochene verwirrt, wer dieser Haru-dono sein sollte, bevor ihm einfiel, dass das braunhaarige Mädchen seinen Bruder bereits zuvor bei diesem Namen genannt hatte. Allerdings erklärte das nicht ihre Frage, so antwortete InuYasha seinerseits mit einer Frage: „Wie kommst du darauf, dass wir beide verwandt sind?“ Inochiyume lächelte, als sie erwiderte: „Ihr habt die gleichen Augen und wer sonst, als die eigene Familie, würde so viele Mühen auf sich nehmen, um einen einzelnen Menschen wieder zu finden – oder so unbekümmert mit ihm sprechen?“ „Keh, als ob sich wegen dem überhaupt jemand irgendeine Mühe machen würde“, brummte InuYasha daraufhin noch immer missmutig, wenn auch bereits etwas besänftigt. „Ihr habt sie Euch gemacht“, lautete Inochiyumes Entgegnung, auf die InuYasha keine Antwort einfallen wollte und er hilfesuchend zu seinem Bruder sah, ob er dem Mädchen nicht irgendwie das Gegenteil beweisen konnte. Sein Bruder jedoch mochte zwar sein Gedächtnis verloren haben, sein Verhalten allerdings war noch immer das Gleiche: Er schien keinerlei Absicht zu hegen, sich an diesem Gespräch zu beteiligen oder ihm noch länger beizuwohnen, denn statt irgendeine Bemerkung zu machen, wandte er sich einfach ab und verließ langsam die Lichtung, trotz der zum Teil noch blutenden Verletzungen nicht ein Quäntchen seiner Würde verlierend. Nur kurz hatten ihm die Zurückgelassenen nachgesehen, bevor sich Jaken hastig in Bewegung setzte, dabei seinem Herrn ein bittendes „Sesshōmaru-sama“ hinterher rufend und noch immer Ah-Un im Schlepptau hinter sich her zerrend. Inochiyume hatte sich ebenfalls in Bewegung gesetzt, Korb und Rabe geholt und sich gleich darauf auf den Rückweg ins Dorf gemacht, dabei Haru und Jaken folgend. InuYasha indessen hatte die Vorgänge zunächst mit Verblüffung beobachtet. Wie schaffte es sein Bruder eigentlich immer, dass ihm jeder widerspruchslos hinterher lief und er noch nicht einmal ein Wort sagen musste? Wieso vertrauten ihm Jaken, Rin und jetzt diese junge Menschenfrau blindlings? Es ging über InuYashas Verstand. Aus reinem Trotz wartete er absichtlich etwas länger, um sich selbst der Illusion hingeben zu können, dass er nicht wie die Anderen einfach seinem Herrn Bruder hinterher dackelte, sondern selbst seinen Weg wählte. Aber schließlich machte er sich doch auf den Weg ins Dorf, schließlich gab es da noch das Problem mit Sōunga, dass sie nur gemeinsam lösen konnten. Dafür jedoch musste Sesshōmaru erst einmal wieder ganz er selbst werden. Im Dorf sorgte die Ankunft eines Hanyō, eines Kappa und eines zweiköpfigen Reitdrachen für einiges Aufsehen und einzig die Tatsache, dass Haru diese Gruppe anführte und Inochiyume völlig ruhig inmitten dieser Wesen ging, sorgte dafür, dass es keinen panischen Aufruhr gab, sondern sich die Leute nur verunsichert an die Hüttenwände pressten, um der kleinen Gruppe nicht im Weg zu sein und sich hinter vorgehaltener Hand Bemerkungen über die Fremden, die Wunden Harus und Inochiyumes Seltsamkeit zuflüsterten. Keiner der kleinen Gruppe schenkte dem Getuschel gesteigerte Aufmerksamkeit, nur die Ohren InuYashas zuckten hin und wieder unwillig, wenn er wieder einmal unfreiwillig eine der unfreundlicheren Bemerkungen zu hören bekommen hatte. Menschen waren doch überall gleich: Was sie nicht kannten, fürchteten sie und was sie nicht bekämpfen konnten oder verstanden, hassten sie. Er hatte wirklich Glück gehabt auf einige der wenigen Ausnahmen unter den Menschen zu stoßen und er würde bestimmt nicht zu lassen, dass seinen Freunden irgendetwas zustieß, auch wenn das hieß, dass er mit seinem ungeliebten Bruder zusammenarbeiten musste. Bei der Hütte von Ayako und ihrer Enkelin angekommen, verband Inochiyme zunächst die Wunden Harus und kümmerte sich anschließend um den gefundenen Raben, während Jaken Ah-Un versorgte und Ayako für alle Essen kochte. Sie hatte ebenso wie alle anderen Dörfler die Prozession mit einiger Verwunderung betrachtet, dann jedoch mit der ihr eigenen Fähigkeit die Dinge so zu nehmen, wie sie waren, sich nicht weiter damit aufgehalten über die ungewöhnlichen Vorgänge zu staunen, sondern stattdessen das Kommando übernommen und jedem erklärt, was er zu tun hatte – ob derjenige das nun hören wollte oder nicht. Da Haru in all der Zeit, die er nun bereits im Dorf lebte, nie ein großer Esser geworden war, sondern stets nur das unumgänglich Notwendige zu sich nahm, ließ es Ayako sich nicht nehmen ihn während des Essens stichelnd darauf aufmerksam zu machen, wie es aussah, wenn es jemand genoss zu essen, wobei sie mit einem wohlwollenden Lächeln InuYasha beobachtete, der aß, als hätte er seit Monaten nichts mehr zwischen die Zähne bekommen. Während des Essens erzählte Inochiyume ihrer Großmutter was im Wald vorgefallen war und wie sie InuYasha und dessen Begleiter getroffen hatten. Als das Mädchen von dem Tod des Schattens berichtete und dessen Aussehen beschrieb, brummte Ayako nachdenklich und wirkte einen Moment abwesend, als versuche sie sich an etwas lange Zurückliegendes zu erinnern, bevor sie schließlich erklärte, dass sie einmal von einem Gaijin eine Geschichte über menschenfressende Fabelwesen gehört hatte, auf die Inochiyumes Beschreibung passen würde. Der Fremde hatte diese bösartigen Wesen damals als Mantikore bezeichnet, warum so ein Wesen allerdings nach Japan gekommen war, blieb den Anwesenden unverständlich. Angesichts der Tatsache, dass sie die Lösung für diese Frage wohl nie erfahren würden und der Kadaver des Mantikors für niemanden mehr eine Bedrohung darstellte, wandte sich das Gespräch jedoch schnell anderen, wichtigeren Dingen zu. So ging es zunächst darum, warum Inuyasha und Jaken in das Dorf gekommen waren, wie sie herausgefunden hatten, dass sich Haru in diesem befand und warum sie den Krieger überhaupt gesucht hatten. Die beiden Gefragten wechselten sich bei der Beantwortung der Fragen ab und holten bei ihren Erzählungen sehr bald weiter aus, in der Hoffnung, dass Haru sich bei der Erwähnung von Rin, Naraku, dem Shikon no Tama, der ständigen Auseinandersetzungen der Brüder und der jüngsten Geschehnisse um Shiomari möglicherweise an sein früheres Leben wieder erinnern würde. Aber abgesehen davon, dass sie ein sehr aufmerksames Publikum hatten, das jedem ihrer Worte gespannt lauschte, blieben die Bemühungen der beiden Erzähler vollkommen erfolglos. Und so kam InuYasha schließlich zu der frustrierten Einsicht, dass ihnen wohl wirklich nichts anderes übrig bleiben würde, als Haru in die Nähe seines Tonfigurenersatzes zu bringen und letzteren zu zerstören, damit Sesshōmaru sich wieder daran erinnerte wer er war. „Aber vorher müssen wir noch zum Watari mono. Wenn wir das Refugium von Ōjidai zerstört haben, gehen wir zum Schloss des Westens, damit du endlich wieder normal wirst.“ „Wie wollt ihr diesen Ōjidai denn überhaupt finden?“, fragte Inochiyume neugierig geworden nach und erhielt von Haru, der bisher schweigend der Unterhaltung gelauscht hatte, die Antwort: „Wenn er tatsächlich hinter Tessaiga her ist, es uns gelingt das Refugium und seine Puppe zu zerstören, wird er ganz von allein bei uns auftauchen, um sich zu rächen.“ InuYasha und Jaken hatten im Stillen bei diesen Worten aufgeamtet, waren sie doch eindeutiges Zeichen dafür, dass Haru ihnen offenbar glaubte, sie begleiten und mit ihnen zusammenarbeiten würde – mochte er dies vermutlich auch nur deshalb tun, weil er sein Gedächtnis zurückgewinnen wollte. „Wenn ich euch richtig verstanden habe, verhält es sich mit diesem Ōjidai wie mit einem Hanyō: Er ist weder das Eine noch das Andere und keiner hält es für richtig, dass er lebt“, schaltete sich Ayako nun wieder mit gleichmütiger Stimme in das Gespräch ein und erhielt für diese Worte einen ungehaltenen Blick InuYashas. „Keh, er ist mit Sicherheit nicht wie ich! Schließlich bring ich nicht einfach irgendwelche Leute für ein paar magische Schwerter um!“ „Aber ich nehme an, du tötest diejenigen, die im Besitz der Juwelensplitter sind, von denen du vorhin gesprochen hast“, konterte Ayako ruhig auf die zornig vorgebrachten Worte des Hanyō, der darauf nur mit einem unwilligen Laut reagierte, bevor er verunsichert den Kopf abwandte. War er wirklich wie Ōjidai? Hatte Sesshōmaru all die Zeit mit der Behauptung Recht gehabt, dass er, Inuyasha, den Tod verdiente? Hatte er auf seiner Jagd nach dem Juwel wirklich begonnen sinnlos zu morden? Und wenn dem so war, hatte er dann ein Recht Ōjidai zu verurteilen, durfte er ihn töten, nur weil dieser nie etwas anderes gelernt hatte, als dass nur der Stärkste überlebte und man diese Stellung gezwungen war immer und immer wieder aufs Neue zu verteidigen, mit allen Mitteln die einem zur Verfügung standen, wollte man nicht selbst derjenige sein, der starb? Während InuYasha in nachdenklichem Schweigen versunken vor sich hin starrte, hatte sich Jaken bei den beiden Gastgeberinnen erkundigt, ob diese wussten, wo sich der Watari mono befand. Die Frauen nickten darauf beinahe synchron und Inochiyume fügte anschließend hinzu: Er ist vom Dorf aus in einem halben Tag zu erreichen, aber die wenigsten gehen dort hin, weil die Spitze des Berges immer wieder völlig unerklärlich verschwindet und man den Gipfel nur erreicht, wenn man eine zeitlang im Inneren des Berges entlang geht.“ Jaken sah das Mädchen verständnislos an; dass die Leute angesichts des auftauchenden und wieder verschwindenden Refugiums Ōjidais Angst verspürten, war verständlich. Aber was war so gefährlich daran, das Innere eines Berges zu durchqueren, zumal für Leute die im Gebirge lebten und sich darin auskannten? Bevor Jaken die Frage laut aussprechen konnte, beantwortete Ayako diese bereits mit den Worten: „In dem Berg hausen Wesen, die auf ihre Art genauso böse und vermutlich sogar noch gefährlicher sind, als der Mantikor aus dem Wald.“ Beunruhigt warf Jaken einen Blick auf Haru und InuYasha, würden ihre Kräfte ausreichen, um dieser Gefahr begegnen zu können? Andererseits hatten er und der Hanyō bereits dem falschen Sesshōmaru und dessen Lakaien erfolgreich Trotz geboten, sie würden sicher auch diese Hürde nehmen – und nehmen müssen, wenn alles wieder in Ordnung kommen sollte. Da Jaken schließlich erwartungs- und vertrauensvoll zu Haru aufsah, anscheinend der Meinung, dieser solle die Führung übernehmen und Haru absolut nichts gegen diese Ansicht einzuwenden hatte, äußerte der Krieger in abschließendem Tonfall knapp und entschieden: „Wir brechen morgen Früh bei Sonnenaufgang auf.“ Der Kappa nickte darauf zustimmend, während InuYasha noch immer vollauf mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein schien und Ayako erklärte: „Nehmt Yume-chan mit, sie kennt sich im Gebirge aus und wird euch den kürzesten Weg zeigen können.“ Bei diesen Worten sah Inochiyume ihre Großmutter mit erschrockener Verblüffung an. Jaken hingegen fand die Idee, einen fähigen Führer in den Bergen dabei zu haben, durchaus vernünftig, während Haru sich ein schweigendes Blickduell mit Ayako lieferte, das diese schließlich unter dem Vorwand ihre Pfeife neu zu stopfen abbrach, nachdem sie zuvor noch sehr bestimmt an ihren Kontrahenten gewandt befohlen hatte: „Du wirst auf sie aufpassen!“ Der dunkelhaarige Krieger zeigte wie stets keinerlei Reaktion darauf, weder lehnte er es ab, noch stimmte er zu, stattdessen erhob er sich lediglich wortlos, um in den Palast zurückzukehren. Da auch Inochiyume wieder an ihre Arbeit musste, liefen die Beiden bald darauf nebeneinander in Richtung Schloss, ohne dabei auch nur ein Wort zu wechseln. Haru schwieg, weil er es ohnehin nur selten für notwendig hielt etwas zu sagen und Inochiyume schwieg, weil sie vollauf damit beschäftigt war, sich zum einen Sorgen über den folgenden Tag zu machen und zum anderen im Geist eine Liste der Dinge anfertigte, die es galt bis zum Aufbruch ihrer Expedition noch zu erledigen. Kurz bevor sich ihrer beider Wege trennten, kehrte Inochiyume wieder in die Gegenwart zurück, sah zu ihrem Begleiter auf und erklärte etwas verlegen: „Ich habe mich noch gar nicht für die Hilfe im Wald bedankt…“ Gleich nachdem sie diese Bemerkung vorgebracht hatte, blieb sie stehen, verbeugte sich und äußerte: „Vielen Dank für Eure Hilfe, Haru-dono.“ Sobald sie sich wieder aufgerichtet hatte, ließ Inochiyume ihren Worten ein dankbares Lächeln folgen, das auf Haru allerdings keinen sonderlichen Eindruck zu machen schien, denn er erwiderte nur gleichmütig: „Ich habe lediglich meine Schuld beglichen.“ Bei diesen Worten sah Inochiyume ihn erstaunt an und echote verwirrt: „Eure Schuld?“ „Du hast mir das Leben gerettet, ich habe deines gerettet, damit sind wir quitt“, erklärte Haru mit gleichmütiger Ruhe sein Verhalten. Inochiyume fühlte sich gekrängt, als sie hörte, dass Haru tatsächlich zu glauben schien, er sei ihr etwas schuldig, für eine Sache, die für sie doch eine Selbstverständlichkeit gewesen war, und zugleich war sie seltsam enttäuscht von seiner Gleichgültigkeit. Schließlich erwiderte sie mit kühlem Ernst, bemüht ebenso ruhig und unbewegt wie er zu erscheinen, um sich keine Blöße zu geben: „Dann werde ich mich morgen besser nicht auf Eure Hilfe verlassen, dono“, anschließend verneigte sie sich erneut höflich, wandte sich ab und ging. Diese abrupte Reaktion hatte zur Folge, dass sich für einen winzigen Moment Verblüffung im Gesicht Harus abzeichnete, bevor er sich wieder gänzlich unter Kontrolle hatte und sich auf den Weg in die Soldatenunterkünfte machte, das seltsame Verhalten Inochiyumes schlicht als eine weitere weibliche Merkwürdigkeit abhakend. Unterdessen waren die unerwarteten Gäste bei Ayako zurückgeblieben und hatten nicht viel mehr zu tun, als darauf zu warten, dass die Zeit verging. InuYasha hatte sich etwas abseits von den Anderen außerhalb der Hütte niedergelassen, ignorierte die neugierigen Blicke und das Getuschel der vorbeikommenden Dörfler und versuchte noch immer sich darüber klar zu werden, ob er tatsächlich so skrupel- und ehrlos war, wie Ayako es angedeutet hatte. Diese hatte den Hanyō eine Zeitlang nur schweigend beobachtet. Schließlich konnte sie es jedoch nicht mehr mit ansehen, wie dieser so jung wirkende Halbdämon verbissen schweigend dasaß und schon nicht mehr nur Löcher, sondern bereits bodenlose Tiefen in die Luft starrte. Langsam, mit steifen Gliedern und krummem Rücken schlurfte Ayako zu dem Hanyō hinüber, blieb auf ihren Stock gestützt neben ihm stehen und fragte, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war: „Sag mir, InuYasha, diejenigen, die du getötet hast, hast du sie oder haben sie dich angegriffen?“ Unwillig zuckte der Angesprochene mit den Schultern, antwortete aber dennoch: „Das war unterschiedlich.“ „Und wenn du sie angegriffen hast, hast du es dann getan, weil du es wolltest, weil du Vergnügen daran gefunden hast oder weil es keine andere Möglichkeit gab?“ InuYasha blieb die Antwort auf diese Frage schuldig, denn er wusste nur zu gut, dass er durchaus nicht nur kämpfte, um sich zu verteidigen und zu überleben. Sondern auch weil er es genoss im Kampf seine Kräfte mit denen des Gegners zu messen, seine Grenzen auszutesten und stärker zu werden. „Hast du es genossen zu töten?“, fuhr Ayako unterdessen in ihrem erbarmungslosen Verhör fort, erhielt auf diese in gleichmütigem Ton gestellte Frage einen scheelen Seitenblick InuYashas und erneutes Schweigen, während der Hanyō über diese weitere Frage nachdachte. Hatte er es genossen zu töten? … Nein, nicht wenn er bei klarem Verstand und nicht von seinem Dämonenblut kontrolliert wurde. Wenn er getötet hatte, dann weil es notwendig gewesen war, um sich und seine Freunde zu schützen. Er hatte bereits zu viele Tote gesehen und gerochen, als dass er hätte Befriedigung dabei empfinden können. Es hatte Gegner gegeben, bei denen war er erleichtert gewesen, als der Kampf vorbei gewesen war, bei denen er stolz gewesen war, dass er in der Lage gewesen war, sie zu besiegen. Aber Befriedigung darüber jemanden getötet zu haben, hatte er bisher nie empfunden – was sich bei Naraku vielleicht ändern mochte, wenn er diesen Mistkerl endlich erledigt hatte. Ebenso wenig wie Befriedigung hatte er allerdings auch nie Reue verspürt, vielleicht weil er instinktiv wusste, dass ihn dies im nächsten Kampf im entscheidenden Moment den Vorteil und das Leben kosten konnte, vielleicht weil in dieser Frage das Dämonenblut in ihm die Oberhand behielt. Schweigend hatte Ayako neben InuYasha gestanden und dessen sprechendes Mienenspiel beobachtet. Es war seltsam, dass dieser Junge etwa viermal so alt sein mochte wie sie und bei ihr doch den Eindruck hinterließ ein unerfahrener Hitzkopf zu sein, der keine Ahnung vom Leben hatte und dem man beinahe jede Empfindung von der Nasenspitze ablesen konnte. Nachdem zwischen den Beiden eine lange Zeit Stille geherrscht. hatte, begann Ayako mit einem Lächeln und ruhiger Stimme erneut zu sprechen „Ich werde dir ein Geheimnis verraten, InuYasha. Es gibt im Leben Situationen, in denen sind Kategorien wie ‚gut und böse’, ‚richtig und falsch’, ‚ehrlos und ehrenhaft’ vollkommen ohne Bedeutung und gänzlich fehl am Platz. Manchmal zählt nur, dass man überlebt, sich nicht kampflos geschlagen gibt und hinterher lernt, dass, was geschehen ist, zu akzeptieren. Wenn du wirklich überzeugt bist, dass es notwendig ist diesen Ōjidai aufzuhalten und es keinen anderen Weg gibt, als ihn zu töten, weil es zu gefährlich ist ihn weiter tun zu lassen, was er will, dann töte ihn und lebe mit den Konsequenzen. Wenn du aber nur den kleinsten Zweifel hegst, dann lass es bleiben, dann nimm Haru morgen mit in die Ebene und vergiss, dass du je etwas von Ōjidai und Sōunga gehört hast.“ „Keh, du machst es dir reichlich einfach, Bābā“, erwiderte InuYasha darauf wegwerfend und erhielt von Ayako die Antwort: „Das Leben ist für uns Menschen zu kurz und auch so schon kompliziert genug, als dass wir Schwierigkeiten noch künstlich herbei reden müssten.“ Daraufhin wandte sie sich ab und schlurfte langsam zur Hütte zurück, den Hanyō wieder sich selbst und seinen Gedanken überlassend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)