Shiomari von abgemeldet (Waffen, Brüder und andere Probleme) ================================================================================ Kapitel 11: Von Einem, der nach unten fiel und sich auf den Weg nach oben machte -------------------------------------------------------------------------------- Danke für die Hilfe in Bezug auf Tenseiga – und selbstredend für eure Kommentare. ^^ Wünsch euch wie immer viel Vergnügen beim Lesen und hoffe, dass Haru nicht allzu sehr ins Unglaubwürdige abgleitet. Früh am nächsten Morgen ging Inochiyume wie jeden Tag zum Palast, um sich dort mit den fünf anderen Bediensteten zu treffen und anschließend mit den leeren Schneefässern ausgerüstet hinauf in die Berge zu steigen, um ihren Teil zur Schönheit der Prinzessin beizutragen. Anders als sonst, wurde sie an diesem Tag von Haru begleitet, den sie zu den Unterkünften der Krieger führte, wo sie an der Tür des Vizekommandanten klopfte. Als dieser die Tür öffnete und sah, wer davor stand, glitt ein Lächeln über sein Gesicht. „Yume-chan, schön dich zu sehen, brauchst du noch mehr Kleider für dein neuestes Hilfsprojekt?“ Das Mädchen errötete leicht, schüttelte hastig den Kopf und beeilte sich eine Erklärung zu geben. „Kaoru-san, dass ist Haru-dono, er würde gern eurer Truppe beitreten.“ Kritisch musterte der Vizekommandant daraufhin den jungen Mann vor sich. An der Kleidung, die dieser trug und bei der es sich um die gleiche handelte, die er gestern Yume-chan geliehen hatte, erkannte Kaoru, dass es sich um den Findling des Mädchens handeln musste. „Ist deine Kopfwunde denn schon wieder in Ordnung, dass du glaubst kämpfen zu können?“, erkundigte er sich skeptisch. Sicher, Haru wirkte durchtrainiert und nach der Geschichte, die Yume-chan ihm Gestern erzählt hatte, musste er auch ein guter Kämpfer sein, aber irgendetwas störte Kaoru an diesem Jungen. Vielleicht wirkte er einfach zu selbstbewusst für jemanden, der erst am vergangenen Tag eine üble Niederlage hatte hinnehmen müssen, sei es auch gegen eine Übermacht. Da Haru auf die Frage nicht geantwortet hatte, sondern seinerseits mit ausdruckslosem Gesicht den stellvertretenden Kommandanten musterte und sich sein Erstaunen bei dessen Frage nicht anmerken ließ, antwortete Inochiyume an seiner statt. „Es ist nicht weiter schlimm gewesen, ich bin sicher, er wird keine Probleme beim Kämpfen haben“, dass sich Haru an nichts erinnerte, musste Kaoru nicht unbedingt wissen. Außerdem erzählte Haru das wohl besser selbst, wenn er denn wollte, dass noch andere davon erfuhren. „Also gut, Yume-chan, wenn du sicher bist, dass er etwas taugt, werde ich ihn prüfen und dann entscheiden, ob wir ihn nehmen oder nicht“, erklärte sich Kaoru lächelnd einverstanden und wandte sich dann erneut an Haru: „Komm in zwei Stunden wieder hierher, dann wirst du gegen mich kämpfen.“ „Vielen Dank, Kaoru-san“, sagte Inochiyume, während sie sich verbeugte. „Keine Ursache, Yume-chan, noch ist er nicht in der Truppe. - Und du solltest dich jetzt besser beeilen, sonst bekommst du noch Ärger, weil du dich verspätest.“ „Hai. - matane, Kaoru-san“, antwortete das Mädchen mit einem dankbaren Lächeln und wollte sich anschließend auch von Haru verabschieden, als dieser erklärte: „Ich begleite dich.“ Es klang eher nach einer Drohung, denn nach einem freundlichen Angebot und so trat Kaoru auch einen Schritt vor, falls es nötig werden sollte Inochiyume zu verteidigen. Doch diese nickte lediglich zustimmend, bevor sie sich in Richtung Dienstbotentrakt in Bewegung setzte. Haru schritt schweigend neben ihr her, bis sie außer Hörweite des Fukutaishō waren und erkundigte sich dann ruhig: „Was hast du ihm gestern über mich erzählt?“ Inochiyume hatte bereits geahnt, dass er so etwas fragen würde, nachdem er die Bemerkung Kaorus gehört hatte und antwortete nun: „Ich dachte, dass es Euch vielleicht unangenehm wäre, wenn mehr Leute davon wüssten, unter welchen Umständen ich Euch gefunden habe. Also habe ich Kaoru-san erzählt, Ihr wärt von Banditen überfallen worden, die Euch wohl irrtümlich für tot hielten, nachdem Euch einer von ihnen hinterrücks niedergeschlagen hatte.“ Als Haru hörte, dass Inochiyume ihn mehr oder weniger als einen idiotischen Schwächling dargestellt hatte, versteifte er verärgert seine Finger, bevor er sich selbst zur Vernunft rief und sich sagte, dass diese Version der Ereignisse wohl um ein Wesentliches glaubwürdiger und weniger peinlich war, als die Wahrheit. Dass er kein idiotischer Schwächling war, würde er diesem Kaoru in ihrem Kampf schon beweisen. Auch wenn er sich bis jetzt nicht daran erinnern konnte je ein Schwert in der Hand gehalten zu haben, sprachen die Schwielen an seinen Händen doch eine andere Sprache und auch sein Instinkt sagte ihm, dass er mit einem Schwert in der Hand sehr wohl umzugehen wusste. Nachdem sie am Dienstboteneingang angekommen waren, verabschiedete sich Inochiyume bei ihrem Begleiter und wünschte ihm für seinen Kampf Glück, ihn damit ohne es zu ahnen erneut beleidigend. Schien der Wunsch doch anzudeuten, dass Inochiyume glaubte, Haru hätte dieses Glück nötig, um zu gewinnen. Aber da dieser erkannte, dass das Mädchen eine Beleidigung keineswegs beabsichtigt hatte, blieb er gelassen und unternahm stattdessen einen Spaziergang durch die Gartenanlagen des Palastes, um sich die Wartezeit zu verkürzen. Ayako hatte mit ihrer Bemerkung über den Reichtum des Schlossherrn offenbar Recht, betrachtete man die Größe der Gärten, die vielzähligen, seltenen Pflanzenarten und wie gepflegt die gesamte Anlage wirkte. Während seines Spaziergangs durch die Gärten, konnte Haru die Augen, die ihn unablässig beobachteten, beinahe körperlich spüren. Er ignorierte sie jedoch, solang sich ihm niemand näherte und erklärte, er hätte in den Gärten nichts verloren. Tatsächlich wagte niemand sich ihm zu nähern, da jeder der ihn sah vermutete, es müsse sich um einen hochrangigen Gast des Fürsten handeln. Auch wenn er kaum standesgemäße Kleider trug, besagten seine Haltung, sein Aussehen und seine natürliche Autorität doch Etwas gänzlich anderes und da es sich niemand mit dem Fürsten verscherzen wollte, wagte niemand den selbstbewussten Unbekannten aus den Gärten zu vertreiben. Sobald die zwei Stundenfrist verstrichen war, stand Haru wartend vor der Tür des stellvertretenden Kommandanten. Dieser erschien wenige Minuten später nicht nur mit zwei Schwertern in den Händen, sondern auch in Begleitung mehrer Männer, die wohl zu der schlosseigenen Armee gehörten und sich das bevorstehende Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Neben Kaoru ging ein stattlicher, älterer Mann, bei dem es sich vermutlich um den Kommandanten handelte, der sich wohl selbst eine Meinung über den Neuling bilden wollte. „Ich gehe davon aus, dass du das Schwert Pfeil und Bogen vorziehst“, äußerte Kaoru anstelle einer Begrüßung, als er bei Haru angekommen war, „ist meine Annahme korrekt?“ Haru nickte nur knapp und hielt im nächsten Moment eines der beiden Schwerter in der Hand, während sich Kaoru bereits ein Stück entfernte und sich auf dem Übungsgelände, das sich direkt vor den Unterkünften der Krieger befand, in Kampfhaltung aufbaute. Sobald Haru ihm gegenüber Position bezogen hatte, erklärte Kaoru: „Wir werden kämpfen, als würde es sich um einen echten und nicht einen Scheinkampf handeln. Der Kampf endet, sobald einer von uns nicht mehr fähig ist weiter zu kämpfen. Bist du bereit?“, wieder nickte Haru lediglich gelassen und Kaoru fuhr fort: „Gut, dann fangen wir an.“ Für einen Augenblick schien es, als würde keiner der beiden Männer den anderen angreifen. Vollkommen ruhig standen sie einander gegenüber, musterten sich prüfend, versuchten die Stärke des Gegners abzuschätzen und dessen Gedanken im Voraus zu erahnen, um die bald folgenden Angriffe besser abwehren zu können. Dann jedoch schloss Kaoru mit wenigen, geschmeidigen Schritten die kurze Distanz zu Haru und der Kampf begann. Gelassen parierte der Angegriffene die ersten Schläge seines Gegners und ließ sich eine Weile in der Defensive über den Platz treiben. Sowohl um ein Gefühl für das Schwert in seiner Hand zu erhalten, als auch, um zu sehen wie stark sein Gegner war und wie groß dessen Können. Die Zuschauer am Rand kommentierten untereinander das Geschehen. Sie wussten wie gut ihr Vizekommandant war, nicht umsonst war er es mit so jungen Jahren geworden. Aber sie sahen auch, dass es diesem bisher nicht gelungen war mit einem seiner Angriffe seinen Gegner zu verletzen, was für gewöhnlich bereits nach wenigen Minuten der Fall war. Stattdessen schien es eher so, als würde der Neuling noch nicht einmal den Bruchteil seines Könnens zeigen und das war angesichts der Tatsache, dass er noch jünger zu sein schien als Kaoru und dementsprechend weniger Kampferfahrung haben musste, wirklich bemerkenswert. Dann jedoch gelang es Kaoru, durch eine schwierige Kombination von Angriffen, dem Neuling einige leichtere Verletzungen zu zufügen und die Männer am Rand des Übungsgeländes revidierten ihre Meinung. Der Neuling war wohl doch nicht so überlegen, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte, sondern er schien bisher einfach nur Glück gehabt zu haben. Was die Männer am Rand nicht sehen konnten, weil sie zu weit entfernt waren, konnte hingegen der kämpfende Fukutaishō sehen: Die nur einen Wimpernschlag sichtbare Überraschung im sonst stets gleichmütig wirkenden Gesicht seines Gegners, als er diesen verletzt hatte. Verärgert fragte sich Kaoru, ob sich dieser Grünschnabel tatsächlich für so überlegen im Schwertkampf gehalten hatte, dass er glaubte unverwundbar zu sein. Oder hatte er etwa angenommen er, Kaoru, hätte den Posten des Vizekommandanten in seinem Alter nur auf Grund von Beziehungen und Speichelleckerei bekommen und dementsprechend in Wirklichkeit keine Ahnung von richtigem Schwertkampf? Mit einer erstaunlichen Wut im Bauch, die aus einem diffusen Gefühlsgemisch entstanden war, das sich wohl noch nicht einmal Kaoru selbst richtig erklären konnte, drang er mit neuer Energie und sehr viel energischer als zuvor auf seinen Gegner ein. Haru war tatsächlich für einen Moment überrascht gewesen, dass er verletzt worden war. Er hatte auf Grund der Angriffe nicht den Eindruck gewonnen, dass der Vizekommandant ihm sonderlich gefährlich werden könnte. Offenbar hatte ihn seine Selbstsicherheit in dieser Hinsicht getrogen, was allerdings nur zur Folge hatte, dass er den Kampf nun tatsächlich ernst nahm und ihn nicht mehr als Spielerei betrachtete. Dementsprechend beendete er seine Defensivstrategie und griff nun seinerseits an, seinen Gegner dabei beständig über den Platz treibend, ohne ihm Zeit zu lassen zu Atem zu kommen oder zu einem Gegenschlag auszuholen. Die Männer am Rand schwiegen überrascht, während sich allmählich ein gewisses Unbehangen, ja beinahe etwas wie Furcht, unter ihnen breit machte, angesichts der Geschwindigkeit und eleganten Wendigkeit mit der Haru die Oberhand in diesem Kampf übernommen hatte und nicht wieder her gab. Keiner der Zuschauer beneidete den Fukutaishō um seine Aufgabe oder wäre gern an dessen Stelle gewesen. Stattdessen verursachten derartige Vorstellungen bei den Einzelnen wahre Beklemmungszustände und ließen sie zu allen möglichen Göttern und Schutzgeistern beten, dass sie nie in eine Situation kommen mochten, in der sie gegen diesen menschgewordenen Dämon kämpfen mussten. Als Haru seinem Gegner eine oberflächliche, wenn auch stark blutende, Schnittwunde am Hals zufügte, beendete der Kommandant, der sich das Ganze bisher schweigend etwas abseits von seinen Männern angesehen hatte, den Kampf. Er konnte es sich nicht leisten einen so fähigen Mann wie Kaoru für unbestimmte Zeit an das Krankenbett zu verlieren. An Haru gewandt sagte er: „Du bist aufgenommen. Sobald eure Wunden versorgt worden sind, wird Kaoru sich darum kümmern, dass du entsprechende Kleider und Waffen erhältst und dir deine Unterkunft zeigen. – Mich würde interessieren wer dich im Schwertkampf ausgebildet hat. Deine Technik ist hervorragend, deine Reaktionszeit von ungewöhnlicher Schnelligkeit, ich habe bisher niemanden kennen gelernt, der so kämpfen kann.“ Da Haru lediglich dankend den Kopf neigte, um sich für das Lob erkenntlich zu zeigen und keinerlei Anstalten unternahm die indirekte Frage des Kommandanten zu beantworten, runzelte dieser nach einer Weile nachdenklich die Brauen, warf dem jungen Mann noch einen prüfenden Blick zu und stellte fest: „Du gehörst offenbar zu den schweigsamen Menschen. Nun gut, solang du tust, was dir befohlen wird, soll es mir Recht sein“, damit wandte sich der Kommandant ab und verließ das Übungsgelände, um sich anderen Aufgaben zu widmen. Kaoru hatte, wie es seine Pflicht war, dafür Sorge getragen, dass Haru ordnungsgemäß eingekleidet und ausgerüstet wurde. – Dieses Mal passte Haru die Kleidung tatsächlich, ohne dass er irgendwelche Einschränkungen hinnehmen musste. – Anschließend hatte der Vizekommandant dem Neuzugang ein kleines Zimmer zugewiesen, in dem dieser von nun an wohnen würde. Die winzige Kammer wurde im Normalfall nicht benutzt, aber nach den Gesichtern der anderen Soldaten zu schließen, legte keiner gesteigerten Wert darauf mit dieser schweigenden Kampfmaschine ein Zimmer zu teilen. Demnach war die Kammer die beste Lösung, denn auch Haru schien keinen Wert auf Gesellschaft zu legen, übersah er doch gekonnt jeden der anderen Krieger. Die Erklärungen Kaorus, wann die Truppe trainieren würde und die Männer erfuhren, welche Aufgaben sie zu erledigen hatten, nahm Haru ebenso stoisch und schweigsam zur Kenntnis, wie Zimmer- und Kleiderzuteilung. Es war um die Mittagszeit, als der stellvertretende Kommandant die Einweisung Harus in die Aufgaben und Pflichten eines Mitgliedes der Schlosswache beendete und kurz darauf Inochiyume in der Nähe des Übungsgeländes auftauchte. Kaoru bemerkte sie zuerst und begrüßte sie freundlich, bevor er fragte, was sie herführe. Während Inochiyume die Begrüßung erwiderte, dachte Haru sich, dass Ayako besser daran täte Kaoru statt seiner zu verdächtigen, irgendwelche Absichten in Bezug auf ihre Enkelin zu hegen. Aber vermutlich hatte sie keine Ahnung von der offensichtlichen Zuneigung des Fukutaishō. Auch Inochiyume schien keine Ahnung davon zu haben, welchen Eindruck sie auf Kaoru machte. Sie war zwar stets freundlich und höflich, ermutigte ihn jedoch in keiner Weise. - Allerdings entmutigte sie ihn auch nicht. Inzwischen hatte das Mädchen sich dem schweigenden Begleiter Kaorus zugewandt, kurz dessen neuen Waffenrock gemustert und mit einem Lächeln, in dem sich Anerkennung und Freude mischten festgestellt: „Ihr habt die Prüfung bestanden.“ Wieso mussten die Menschen hier immer das Offensichtliche aussprechen? Oder taten das alle Menschen und er hatte diese lästige Tatsache erfreulicherweise ebenfalls vergessen? Das wäre dann wohl das erste positive an seinem Gedächtnisverlust. Allerdings musste er zugeben, dass ihre Stimme nicht geklungen hatte, als würde sie eine Antwort erwarten und es schien als würde sie sein Schweigen als Zustimmung werten. Das Mädchen lernte erfreulich schnell. Kaoru war in dieser Beziehung wohl etwas langsamer oder er wollte nur die Aufmerksamkeit Inochiyumes wieder auf sich lenken. Jedenfalls bestätigte er die Feststellung der jungen Frau, verpackt in einem Kompliment darüber, dass sie mit ihrer Meinung Recht behalten hatte. Leicht verlegen und etwas irritiert bedankte sich Inochiyume für das Kompliment und erkundigte sich dann wieder an Haru gewandt, ob er noch einmal mit ihrer Großmutter und ihr zu Mittag essen wolle oder lieber in den Soldatenunterkünften bliebe. Haru musste zugeben, natürlich nur gegenüber sich selbst, dass es ihm etwas wie Schadenfreude bereitete, als er die Veränderungen in Kaorus Gesicht beobachtete, während er ruhig äußerte: „Gehen wir.“ Für einen Moment hatte sich der Ausdruck im Gesicht des Vizekommandanten verdüstert, bevor er sich wieder so weit unter Kontrolle hatte eine freundlich höfliche Miene zu zeigen, während sich Inochiyume von ihm verabschiedete und anschließend zusammen mit Haru sowohl das Übungsgelände als auch die Palastanlage verließ. Im Gegensatz zu ihrem ersten gemeinsamen Essen, verlief dieses vollkommen friedlich. Es schien, als wäre das Ayakos Art die Leistung und neue Stellung Harus zu würdigen, denn im Gegensatz zu ihrer Enkelin verlor sie kein Wort darüber, dass Haru die Prüfung bestanden hatte und von nun an im Schloss leben würde. Als Inochiyume und Haru schließlich wieder im Palast ankamen, trennten sie sich in der Überzeugung, dass sie sich von nun an nur noch zufällig begegnen würden, hatten doch beide verschiedenen Arbeiten nachzugehen. Und auch ihre anderen Lebensumstände ließen ein häufiges Aufeinandertreffen unwahrscheinlich wirken. Einige Tage nachdem Haru der Schlosswache beigetreten war, verbrachte er wieder einmal Zeit in den ausgedehnten Gartenanlagen des Schlosses, bemüht mit Hilfe von Meditation seine verlorenen Erinnerungen zurück zu gewinnen. Sein Unternehmen war nicht wirklich von Erfolg gekrönt, als vor ihm plötzlich eine helle Frauenstimme erklang, die ihn die Augen öffnen und aufblicken ließ. „Wer bist du und was tust du hier?“, die Stimme gehörte zu einer selbstsicher wirkenden, kostbar gekleideten, jungen Dame, die ihn mit unverholender Neugier betrachtete. Etwas hinter ihr stand eine unscheinbare, ältere Frau, die einen aufgespannten, aus edel bemaltem Seidenpapier bestehenden Sonnenschirm schützend über die Jüngere hielt. Haru nahm an, dass es sich bei der Person vor ihm um Hinagiku-hime handelte, ihres Zeichens einzige Tochter des Fürsten, weshalb er sich vom Boden erhob und höflich verneigte, während er sich zugleich vorstellte und eine nichtssagende Erklärung für seine Anwesenheit im Garten gab. In anbetracht ihrer beider Stellung wäre es üblich gewesen, dass Haru vor der Prinzessin kniete, wogegen sich allerdings jede Faser seines Stolzes sträubte. Glücklicherweise schien der jungen Frau dieser Affront nichts auszumachen, stattdessen musterte sie ihn aufmerksam und stellte fest: „Du siehst gut aus. Woher kommst du?“ Die Feststellung geflissentlich überhörend, beantwortete er ihre Frage so kurz und ausweichend wie möglich, ohne sich noch sonderlich um Höflichkeit zu scheren. Die Antwort schien die Prinzessin zufrieden zustellen, denn nach einem Moment des Schweigens erklärte sie plötzlich: „Du reagierst gar nicht wie die Anderen.“ Wer diese Anderen waren, würde Haru wohl nie erfahren, denn die junge Frau fuhr ohne Unterbrechung fort: „Findest du mich nicht schön?“ Gleichmütig sah Haru die Fürstentochter vor sich an, ohne auf die Frage zu antworten. Nach dem zu urteilen, was er bisher an Gesprächsfetzen der Krieger mitbekommen hatte, wurde Hinagiku-hime allgemein als atemberaubende Schönheit betrachtet und wenn er sie nun im Geiste mit den Frauen verglich, die ihm seit seinem Gedächtnisverlust begegnet waren, war sie ohne Zweifel die Schönste von ihnen, aber er hatte keinerlei Veranlassung diesem eiteln Geschöpf diese Tatsache zu bestätigen. „Warum antwortest du nicht, ich habe dir eine Frage gestellt“, bohrte Hinagiku schließlich nach und fügte hinzu: „Fehlen dir die Worte, um zu beschreiben, wie schön ich bin? Das ist nur natürlich, so geht es allen Menschen, die mich das erste Mal sehen.“ Haru fand, dass er diese Person nun lang genug erduldet hatte, verbeugte sich erneut und ließ die Prinzessin stehen, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Nachdenklich sah Hinagiku dem die Gartenanlage verlassenden Soldaten nach, während sie nachdenklich mit dem zusammengefalteten Fächer gegen ihr Kinn tippte. Schließlich erklärte sie der unscheinbaren Frau in ihrem Rücken, die noch immer den Sonnenschirm hielt, mit entschiedener Gelassenheit: „Ich denke, Chichiue hat Recht. Es wird Zeit, dass ich heirate. – Und ich weiß auch schon wen. Er passt perfekt zu mir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)