La Revelación - Die Offenbarung von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Eine neue Welt ------------------------- Oscar erwachte aus einen furchtbaren fiebrigen Traum, mit Entsetzen fuhr sie hoch, „André, wo ist André?“. War er wirklich im Gefecht gefallen? Konnte es möglich sein? Ihr langjähriger Weggefährte und Freund konnte sie doch nicht im Stich gelassen haben? Oder doch? Verwirrt blickte sie sich um. Wo lag sie bloß und warum schmerzte ihr Kopf und ihr linke Schulter so? Fragen, Fragen, nichts als Fragen, sie fühlte sich so hilflos und verlassen, sie konnte nicht mehr anders und brach in Tränen aus. Wenige Minuten später hörte sie eine vertraute Stimme, Rosalie, war es wirklich ihre junge Freundin, die sich auf sie zu bewegte? „Guten Morgen Lady Oscar, wie freut es mich, dass Ihr endlich aus der Ohnmacht und dem schrecklichen Fieber erwacht seid. Wie fühlt Ihr Euch?“ Oscar brachte unter ihren Tränen ein leichtes Lächeln hervor „Rosalie, wo bin ich und wo ist André?“ „Oscar, Ihr seid in einem Lazarett, eingerichtet von den Bürgern von Paris um den Kämpfern zu helfen, wie ihr es für sie getan habt. Doch bewegt Euch nicht, die Wunde an Eurer linken Schulter ist noch nicht verheilt und die Gehirnerschütterung verschafft Euch mit Sicherheit Übelkeit und Schwindel. Hier, trinkt etwas Wasser, das wird Euch gut tun!“ Rosalie hatte recht, jede Bewegung mit dem Kopf verursachte in ihr ein neues Übelkeitsgefühl. Doch wo war um Himmels willen André? Er wird sie doch nicht für immer verlassen haben? Sie machte sich nur noch Sorgen um André und hatte Angst, dass er sie in der „neuen“ Welt allein gelassen hätte. Am liebsten wäre sie gestorben. Dieses beklemmende Gefühl in ihrer Brust, die Tränen in ihren Augen und der Stich in der Magengegend sobald sie an André dachte, machten sie verrückt. Woher kamen diese Gefühle? Sie, die doch ihr Leben als Mann weiterleben wollte nach der Schmach mit Graf von Fersen, nach welcher sie alle Gefühle unterdrücken wollte und sich nur mehr auf die „wirklich“ wichtigen Dinge im Leben konzentrieren wollte, wusste nicht mehr wie ihr geschieht. Was sagte André damals zur ihr? Eine Rose wird immer eine Rose bleiben! Wie hatte sie sich damals über diese Worte geärgert und dann auch noch der Kuss und ihr zerrissenes Hemd... Sie wäre damals am liebsten geflohen. Und jetzt, wie sie daran zurückdachte, rannen ihr die Tränen übers Gesicht. Ihr tat es in der Seele weh, wenn sie daran dachte, wie sie ihn in dieser Nacht aus dem Zimmer geschickt und er geduckt und gedemütigt ihr Zimmer verlassen hatte. Natürlich war sie erzürnt gewesen, aber wenn sie jetzt darüber nachsinnte, fragte sie sich, was sie damals nur getan hatte. Sie wusste weder ein noch aus, die Gefühle und die Gedanken an André der sie schon so viele Jahre begleitete, sie taten weh und auch wieder nicht. Sie fühlte sich so zerrissen, wenn sie doch nur wüsste was mit ihm geschah, ob er noch lebte? „Rosalie, sag mir doch bitte, was mit André geschehen ist?“ „Lady Oscar, Ihr dürft Euch nicht aufregen, beruhigt Euch zuerst. André liegt im Bett neben Euch, er befindet sich noch immer im Koma, bereits seit drei Tagen. Er fing eine Kugel ab, die für Euch bestimmt war und sie traf ihn in die linke Brust. Er war sehr schwer verwundet, die Ärzte hier im Lazarett haben ihr Bestes getan um ihm zu helfen, jetzt liegt es in Gottes Hand ob er gesund wird oder nicht.“ Oscar traf es wie ein Schlag. Getroffen, von einer Kugel? „Warum traf ihn eine Kugel, die für mich bestimmt war?“, sie kannte sich kaum aus. „Bei dem Sturm auf die Bastille wurde Befehl gegeben nur auf Euch zu schießen. André hatte diesen Wahnsinn erkannt und sich auf Euch gestürzt. Ihr wurdet an der linken Schulter getroffen und André in die linke Brust. Er wollte sein Leben für das Eure geben...“ Dieser Satz wiederholte sich bei Oscar immer wieder. Liebte er sie wirklich so sehr, dass er sogar für sie sterben würde? War es denn wirklich möglich? Warum war sie all die Jahre über, die sie zusammen verbracht hatten so blind gewesen? Es gab keinen Menschen der sie so verstand wie ihr André. Oscar war froh darüber, dass er noch lebte, jedoch beängstigte sie der Gedanke, dass sie ihn doch noch verlieren könnte. Konnte dies denn Gottes Wille sein? Oscar wollte an seinem Bett wachen, die Schulter schmerzte unbarmherzig und jede Bewegung mit dem Kopf brachte ihr erneut einen Schwall an Übelkeit. „Rosalie, wäre es möglich mein Bett an seines heranzuschieben?“ „Natürlich Lady Oscar, wartet, ich rufe ein paar Männer die sich darum kümmern!“ Oscar war Rosalie dankbar, sie wollte nur nah genug bei ihm sein, vielleicht wurde er dadurch wieder schneller gesund? Wie lächerlich der Gedanke doch klang und doch sehnte sie sich danach ihn zu spüren. Es kamen die versprochenen Männer, lautstark lachende Männer und alle trugen Uniformen, die sie als Soldaten zu erkennen gaben. Da erkannte Oscar Alain wieder, der furchtlose Mann der mit seinen offenen Worten genauso gut umgehen konnte wie mit seinem Degen. „Kommandant, schön Euch auf den Weg der Besserung zu sehen, es freut uns, wieder einen von unserer Truppe bei uns zu haben!“, betroffen glitt sein Blick zu André, der auf dem Feldbett lag, als würde er nur schlafen „Wir hörten von Eurem Wunsch“, Alain setzte ein eindeutiges Grinsen auf „und wir denken, dass es genau die richtige Medizin für André sein wird!“. Lachend schoben die Männer Oscars Bett näher an das von André heran. Jetzt trennten die beiden nur noch wenige Zentimeter und Oscar konnte sein regelmäßiges, sanftes Atmen hören. Es beruhigte sie und verschaffte ihr ein wenig Normalität. „Kommandant, wenn Ihr etwas braucht oder wünscht, ruft nach uns, wir kampieren seit Tagen vor den Toren des Lazaretts. Wir gehen nicht ohne Euch zwei von hier fort!“ Alain salutierte vor Oscar und trieb seine Männer zur Tür hinaus. Oscar war gerührt von dieser Loyalität ihrer Männer. Sie hätte es sich nie träumen lassen, dass dieser verrückten Haufen jemals so hinter ihr stehen würde. Es überkam sie Müdigkeit, das Klopfen in ihrem Kopf wurde immer stärker und die überwältigenden Gefühle, die sie in der letzten Stunde für sich entdeckte, ermüdeten sie. Sie drehte sich zu André, sie konnte ihm direkt ins Gesicht blicken, wie friedlich er doch aussah. Oscar nahm seine Hand. Wenn sie nicht mehr für ihren langjährigen Freund tun konnte, so sollte er wenigstens spüren, dass sie für ihn da war. Etwas beruhigter und glücklicher, schlief sie ein und versank in eine Traumwelt. In André erwachte ein neuer Traum. Abwechselnd sah er seine geliebte Oscar in der Gardeuniform vor sich stehen, und dann das Bild von Graf von Fersen. Er wusste um die Liebe, die Oscar für den schwedischen Grafen empfand und es schmerzte ihn wie Tausend Kugeln in der linken Brust. Auch die Bilder der einen Nacht wo er Oscar geküsst und ihr seine Liebe gestanden hatte, kamen in seinen Träumen wieder hoch und er wäre dabei am liebsten gestorben. Wie konnte sie ihn so verletzen? Wieso konnte sie nicht einfach seine Liebe erwidern? Oscar bemerkte, wie sich André im Schlaf regte und wie sich kleine Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. Es war Nacht geworden und sie fühlte sich etwas besser als am Morgen wie sie erwachte. Jetzt erst bemerkte sie, dass André und sie ein Zimmer für sich hatten. Wie lange wussten die anderen bloß von Andrés Gefühlen für sie? Wie dumm war sie bloß gewesen. Als sie André so hilflos vor sich sah, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Dieser tapfere Mann wollte für sie sterben, sie schaffte es noch immer nicht die ganze Wahrheit zu realisieren. Ihr reichte es nicht mehr nur seine Hand zu halten. Sie setzte sich auf und schlich an die andere Seite des Bettes, die Schmerzen in ihrer Schulter ignorierte sie vollkommen. Sie huschte an die rechte Seite von Andrés Bett und dankte Gott, dass sie selbst so schmal und das Bett breit genug war. Oscar schlüpfte unter die Decke und schmiegte sich an in ihren langjährigen Freund. Ihr wurde regelrecht heiß, als sie seinen muskulösen Oberkörper berührte und seinen Duft wahrnahm. Sie konnte nicht anders und fing an verliebt seine Wangen zu streicheln. Glücklich schlief sie wieder ein. Als André am nächsten Morgen zu sich kam, wusste er nicht wie ihm geschah. Von draußen hörte er die Vögel zwitschern und rundherum war alles so weiß und irgendwie steril. Und dann sah er aus seinen Augenwinkeln einen blonden Haarschopf. Es traf ihn wie einen Blitz. Oscar, seine geliebte Oscar lag neben ihm im Bett. Aber warum bloß? Wollte sie sich lustig machen über ihn? Nein, so war Oscar nicht, aber was wollte sie dann, sie hatte ihn doch jenen Abend von ihr fortgeschickt. Er wusste weder ein noch aus und bewegen konnte er sich auch nicht, da alles schmerzte. Was war noch mal geschehen? Kampf, Kanonen, Schüsse.....?!?! Schüsse, sie wollten Oscar erschießen. Jetzt fiel ihm alles wieder ein, er wollte, nein, er musste seine Oscar retten. Und jetzt lag sie bei ihm im Bett.....Sein Atem ging schneller und er wusste nicht, was er tun sollte. Ratlosigkeit war in sein Gesicht geschrieben und er konnte leider diese für ihn wunderbare Situation nicht genießen. Zu viele Fragen kamen in ihm hoch. Oscar merkt wie Andrés Atem schneller ging, der Brustkorb hob sich viel deutlicher und sie glaubte einige Bewegungen seiner Hand zu spüren. Ganz langsam hob sie ihren Kopf in die Höhe. Sie traute sich fast nicht ihm in die Augen zu sehen und doch gierte sie danach in seine grünen Augen zu versinken. Als sich ihre Blicke trafen, durchfuhr es beide wie einen Blitz. André hatte so viel Liebe und Sehnsucht in seinen Augen, dass Oscar Tränen in sich aufkommen spürte „André,...André du lebst!“, mehr war sie nicht fähig in diesem Moment zu sagen. André konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Oscar seine große und einzige Liebe lag neben ihm, gekleidet in einem mädchenhaften Nachthemd, wie schön sie doch war. Oscar konnte sich nicht mehr zurückhalten. Alle Gedanken die ihr letzte Nacht durch den Kopf gingen, drangen aus ihr heraus. „André, wie konnte ich so blind und dumm sein, ich liebe dich und habe es nicht zugelassen es zu realisieren. Ich bin so froh und glücklich, dass du noch lebst, dass ich mit dir weiterleben kann, wenn du nur willst. Ach, bitte verzeih mir!“ Oscar wollte ihn küssen, doch André hielt sie davon ab und nahm ihre zarten Hände in die seinen. „Oscar ich liebe dich, das weißt du, aber willst du denn wirklich mit einem Krüppel zusammen sein. Du weißt doch sicher, dass ich auch bald mein rechtes Augenlicht verlieren werde.... So etwas will und kann ich dir nicht zumuten!“ André wusste selbst nicht wie ihm geschah als er diese Worte ausgesprochen hatte. Jedoch entsprachen sie nur der Wahrheit, in nicht allzu ferner Zukunft würde er sein Augenlicht für immer verlieren und wie sollte er sich dann um seine geliebte Oscar kümmern, sie beschützen? Er brach in Tränen aus. In Oscar brach eine Welt zusammen, was redete er hier? Ihr war es egal ob er zwei gesunde Augen hatte oder keines. Für sie würde er immer André bleiben und sie immer seine Oscar. Er war der einzige der ihr wahres Ich sah und sie so liebte wie sie war „André, was sagst du da? Willst du mich denn nicht mehr, war das alles von dir gelogen?“ Oscar verstand die Welt nicht mehr. „Bitte Oscar, versteh mich doch, ich würde für dich sterben und habe es fast getan aber was kann ich dir sonst bieten? Ich bin ein ehemaliger Stallbursche, von niederen Stand ohne Hab und Gut, der bald noch sein Augenlicht verlieren wird. Wie kann ich da für dich sorgen?“ Sie stand voller Entsetzen auf, Schwindel überkam sie, sie wollte nur noch in ihr Bett, wie konnte sie dieser Mann nur so verletzen? „Ich, ich liebe dich doch, aber deine Worte sind wie tausende Degenhiebe!“ Oscar legte sich in ihr Bett, am liebsten wäre sie fortgelaufen, hätte alles hinter sich gelassen, aber sie konnte sich nur schwer auf den Beinen halten. Man hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie kauerte sich in ihr Bett und schluchzte leise vor sich hin, auch André versuchte seine Tränen zu unterdrücken. Dann öffnete sich die Tür und Rosalie kam herein. „André, du bist aufgewacht! Mir fällt ein Stein vom Herzen, weiß Lady Oscar schon davon?“ Kurz nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte, stürmten Andrés Kameraden zur Tür herein. „André, alter Freund, Gott sei Dank bist du wieder unter uns! Na dann kann ja nichts schief gehen.“ Alain wunderte sich, warum Lady Oscar mit dem Rücken zu André lag und sie keines Blickes würdigte. Diese Frau war ihm einfach ein Rätsel. Nun, er wusste, er würde schon noch herausfinden, was zwischen den beiden vorgefallen war und er wusste, dass diese zwei Menschen für einander geschaffen waren und er sie - koste es was es wolle - zusammenbringen würde. Alain gab Rosalie ein Zeichen um mit ihr ungestört reden zu können. Sie verstand sofort und folgte ihm. „Rosalie, wisst Ihr was zwischen den Turteltauben vorgefallen ist? Ich wusste schon lange, dass die beiden füreinander sterben würden, so groß ist ihre Liebe, nur dem Kommandanten war es noch nicht bewusst!“ Alain lächelte leicht. Rosalie dachte sich bereits so etwas. Eine so aufopfernde Freundschaft wie diese beiden sie pflegten wäre für Mann und Frau unmöglich gewesen sie in der Art weiter zu führen. Aber sie konnte sich auch keinen Reim daraus machen, was vorgefallen war. „Alain, ich werde sehen was ich herausfinden kann. Ich denke, Lady Oscar ist heute schon stark genug aufzustehen und einen neuen Verband anzulegen. Vielleicht öffnet sie ihr Herz und lässt mich an ihrem Schmerz teilhaben!“ Alain nickte, er befand die Idee für ausgezeichnet und versprach dasselbe mit André zu tun. Zwei Stunden später, die zwei Verletzten schliefen bei dem ganzen Tumult und eigenem Gefühlschaos bald wieder ein, weckte Rosalie Lady Oscar zum Verbandswechseln. Sie sollte auch etwas essen und an die frische Luft gehen, um wieder etwas Lebensenergie zu erlangen. Oscar war froh einige Minuten von diesem für sie schrecklichen Raum zu entkommen. In der Nacht zuvor träumte sie davon mit André vor dem Altar zu stehen. Ihr wurde ganz warm bei diesem Gedanken. Sie trug ein leichtes Sommerkleid, sie, Oscar ein Kleid, es war so ungewohnt für sie und doch wollte sie nur für André einmal „ganz Frau“ sein. Die Haare hatte sie nur hälftig zusammengebunden und Rosalie hatte einen Blumenkranz hierfür geflochten. André war legere gekleidet aber doch von edlem Anblick. Er war so ein attraktiver Mann, das wurde ihr jetzt erst bewusst, auch nach dem Verlust seines linken Auges. Alles hätte so schön werden können, sie wären so glücklich geworden. Und jetzt, jetzt war alles aus. Rosalie führte Oscar zu einem Waschraum in dem sich Oscar frisch machen und ihr Haar bürsten konnte. „Ist Euch nicht gut Lady Oscar, Ihr wirkt so schwach?!“ Oscar schwieg für einen Moment, wussten die anderen von dem Vorfall, konnte sie sich Rosalie anvertrauen? Sie wusste diese junge Frau, die schon so viel mitgemacht hatte, war vertrauenswürdig bis in die Haarspitzen, nur war Oscar es nicht gewohnt über ihre Gefühle zu sprechen. Sollte sie über ihren Schatten springen? „Ich,... ich,“ Oscar brach erneut in Tränen aus. Rosalie sah sie erschrocken an. „Aber Lady Oscar was ist denn, alles wird doch wieder gut, André ist auf dem Weg der Besserung und Ihr könnt doch auch wieder das Bett verlassen.“ „Rosalie, ich weiß, ich sage dir jetzt etwas worüber ich sonst mit niemanden spreche, aber wenn ich es nicht tue, habe ich das Gefühl, dass mich dieser Schmerz zerreißen wird.“ Schmerz, Rosalie bekam es mit der Angst zu tun. „Sprecht Lady Oscar, wir sind ungestört!“ Und so begann Oscar über die Geschehnisse zwischen ihr und André zu erzählen. In der Zwischenzeit schlich sich Alain zu seinem kranken Freund ans Bett heran. Schlief er wirklich schon wieder tief und fest oder versuchte er seinen Schmerz vor ihm zu verbergen? Alain kannte André noch nicht lange, jedoch hatten die zwei Männer eine Verbindung zu einander wie Brüder. Der eine wusste vom anderen genau wann es ihm gut ging und wann nicht. André litt schon lange an der unerfüllten Liebe zum Kommandanten. Er wollte seinen Freund glücklich sehen, vor allem jetzt wo das schlimmste vorbei war und sie mit einem neuen Leben ohne Kampf und Krieg beginnen könnten. Alain wünschte sich für alle Frieden und Ruhe. Er war es leid seinen Kopf für andere hinhalten zu müssen. „André, André schläfst du?“ André zuckte mit dem Lid seines gesunden Auges. „Alain, was willst du denn?“, André wirkte wirklich etwas verschlafen. „Andre, was ist geschehen? Gestern noch schoben wir des Bett des Kommandanten an deines heran und heute dreht sie dir den Rücken zu? Ich versteh die Welt nicht mehr!“ André drehte seinen Kopf zur Seite und betrachtete lange Oscars Bett. „Sie liebt mich Alain, sie lag bei mir im Bett und sagte, dass sie mich lieben würde!“ „Aber das ist doch fabelhaft!“ Alain lachte, doch beim Anblick seines Freundes verstummte es sogleich wieder. „Wie ist das möglich, macht sie sich vielleicht doch nur was vor? Ich weiß es nicht. Und was kann ich ihr schon bieten? Ich werde bald vollkommen blind sein. Ich bin des ihren nicht wert.“ André wischte sich seine Tränen vom Gesicht. „Spinnst du jetzt vollkommen? Das ist doch der Tag, auf den du so lange gewartet hast und jetzt sagst du so etwas. Mich wundert es nicht, dass dir unser Kommandant die kalte Schulter zeigt. Ich denke, sie ist in Liebesangelegenheit sehr leicht verletzbar. Wer wäre das nicht in ihrer Situation? Jahrelang musste sie sich als Man beweisen, wurde als Mann großgezogen und dann kommst du und gestehst ihr deine Liebe. Und wie sie dann ihre Gefühle für dich entdeckt, lässt du sie im Regen stehen. André ich versteh dich nicht, was willst du wirklich?“ „Was ich will, fragst du?! Oscar natürlich, ich will mit ihr für immer zusammen sein...!“ „Na eben, dann tu was, du Holzkopf, ihr wird es egal sein ob du sehen kannst oder nicht und noch bist du nicht blind, vielleicht gibt es noch Rettung, genauso wie für dein geschundenes Herz.“ Alain grinste und ließ ihn mit diesen Worten allein. Nun wusste er, was geschehen war. André fühlte sich nicht gut genug für den Kommandanten und hatte sie deshalb abgewiesen. Nun ja, wenn die beiden nicht selbst zueinander finden würden, er würde schon dafür sorgen, das schwor er sich. Rosalie war von Oscars Geschichte betroffen. Sie, die im Armenviertel von Paris aufgewachsen war und auch das Leben der Adeligen und vor allem beider Liebenden kennt, konnte sich mit jeder Seite identifizieren „Aber Lady Oscar, liebe Oscar, gebt nicht auf. Ihr habt den Kampf überlebt, eine zweite Chance bekommen, wahrscheinlich braucht André nur Zeit um alles zu verarbeiten. Tut ihm nicht unrecht und gebt ihn nicht auf. Er war wahrscheinlich viel zu überfordert mit Eurer plötzlichen Offenheit.“ Oscar dachte über Rosalies Worte nach. Konnte sie Recht haben? Gab es noch Hoffnung für sie und André? Rosalie hatte Recht, gerade jetzt durfte sie nicht aufgeben, zu viel hatten sie zu zweit gemeistert und überstanden. Sie würde kämpfen, kämpfen wie sie es schon immer in ihrem Leben getan hatte. Mit neu aufkommenden Mut, frisch gewaschen, gekämmt und mit einem neuen Verband an der Schulter begab sich Oscar zurück in ihr Krankenzimmer. Als sie an der Tür stand und André im Bett liegen sah, erwachte ihr Kampfgeist erneut und ein wohliges Gefühl machte sich in ihr breit. Nie würde sie diesen Mann aufgeben, niemals! Hatte Alain vielleicht doch Recht? Gab es noch einen Chance für Oscar und ihn, er wünschte es sich, innerlich verzehrte er sich nach ihr. Er schloss die Augen als er bemerkte, dass sie zur Tür hereinkam. Oscar legte sich in ihr Bett, sie traute sich nicht André anzusehen, noch nicht. Sie beschloss ein wenig zu schlafen, es tat ihr sicher gut und vielleicht sah danach alles viel besser aus. Und wieder tauchte sie in die Welt der Träume ein. Sie war wieder im Anwesen ihrer Eltern. Doch konnte es wahr sein? Oscar sah sich nicht wie sonst in Hosen und einem praktischen Hemd. Sie trug ein Umstandskleid. Sie, Oscar Francoise de Jarjayes sollte im Traum ein Kind bekommen? Wie lächerlich der Gedanke doch war. Oder nicht? Erschrocken fuhr sie hoch. Es war bereits wieder Nacht geworden. Die Grillen zirpten draußen in der Sommernacht und der Wind hob sanft die Vorhänge an. „Oscar, was ist mit dir?“ Hatte André nicht geschlafen oder hatte sie ihn aufgeweckt? „Ach, ich habe nur geträumt, ein absurder Traum.“ Doch je länger sie darüber nachdachte, fragte sie sich, warum eigentlich. Ihre Zukunft war ungewiss. Man hatte sie damals dazu erzogen den Platz ihres Vaters als General einzunehmen, sie diente der französischen Königin in ihrer Leibgarde und dann als Kommandant der Söldner-Truppe, doch was würde sie in Zukunft tun? Die königliche Familie würde höchstwahrscheinlich interniert werden - früher oder später - und um den Adel selbst stand es ebenso schlecht. Sie könnte hingegen von nun an ein anderes Leben führen, wenn sie wollte. Doch was wollte André? „Oscar, was hast du denn geträumt?“ André wollte es unbedingt wissen, er wollte bei ihr sein, irgendwie, obwohl er die schrecklichen Dinge zu ihr gesagt hat. „Das geht dich nichts an“, fauchte sie zurück. Was bildete er sich nur ein, doch im selben Augenblick tat es ihr wieder leid, sie fing zu schluchzen an. „Oscar?“ André versuchte sich von seinem Bett zu erheben, er war zu schwach und fiel zu Boden. Oscar erschrak „Mein Gott André was tust du?“ Erschrocken sprang sie auf um ihren Freund zur Hilfe zu eilen. Mit leicht verzehrtem Gesicht lag André am Boden, er stöhnte ein wenig. Oscar kniete sich zu ihm und beugte sich über ihn, sie wollte ihm wieder ins Bett helfen, doch er dachte gar nicht daran. Er hob seinen Kopf und versuchte sich aufzusetzen, es kostete ihn alle Kraft, dann zog er Oscar mit einer Bestimmtheit zu sich heran, was sie an den Moment damals in ihrem Zimmer zurückerinnern ließ. André legte all seine Liebe, sein Verlangen und seine Stärke in den Kuss und hoffte dieser Moment würde nie vergehen. In Oscar stieg eine Welle der Hitze auf, die sie zuvor nicht gekannt hatte. Ihr wurde schwindlig und ihr Körper empfand Schmerz und Glück zugleich, dass der Mann den sie so sehr liebte, soeben küsste. „Aber, aber André!“ Oscar kannte sich nicht mehr aus, noch heute morgen wollte er nicht mit ihr zusammen sein und jetzt küsste er sie mit so viel Liebe. “Oscar, ich war so dumm, so dumm..“ er sprach nicht mehr weiter sondern zog sie wieder zu sich runter und küsste sie, jetzt immer fordernder. Oscar lief es heiß und kalt über den Rücken, sie wollte nur mehr mit André zusammen sein. Sie wollte seine Frau sein. André tastete ihren Körper entlang, er fühlte den dünnen Stoff ihres Nachthemdes, ihre langen blonden Haare und ihren geschmeidigen Körper. Er konnte nicht mehr anders, er nahm alle Kraft zusammen und kniete sich vor sie hin. Nun waren sie fast auf gleicher Augenhöhe. Es war zwar dunkel, doch die Umrisse die Andrés ganze Erscheinung abgaben, betörten Oscar ungemein. André nahm trotz Schmerzen Oscars Gesicht in seine Hände und küsste sie abermals, dann glitten sie ihren langen schmalen Hals hinunter und... In dieser Nacht waren sich Oscar und André so nah wie sich zwei liebende Mensch nah sein konnten. Es gab nur mehr sie und der Rest der Welt verschwand durch ihre Leidenschaft für einander. Sie hatten es geschafft, durch die Jahre hindurch gehörten sie wie Freunde zusammen und jetzt nach den schweren Schicksalen, die Frankreich erschütterte, hatten sie als Mann und Frau zueinander gefunden. Andrés Hände waren wie eine Droge für Oscar. Sie wollte immer mehr und so fing sie an behutsam seinen Rücken zu streicheln und seinen Körper Hals abwärts mit Küssen zu übersähen. Oscar war es stets gewohnt gewesen ihre Gefühle zu unterdrücken, in Adelskreisen war es nicht gern gesehen, wenn man seinen Empfindungen nachging und andere daran teilhaben ließ. Umso mehr genoss sie diese Augenblicke mit André. Er tastete nach ihrem Nachthemd und wenige Sekunden später verschwanden seine Hände unter ihrem Hemd. Sie fuhr kurz zusammen und blickte André erschrocken in die Augen, darauf war sie einfach nicht gefasst gewesen. Er aber beruhigte sie mit seinen grünen sanften und doch geheimnisvollen Augen und begann ihren Nacken zu küssen und ihren Oberkörper zu erkunden. Mit der Zeit taten den beiden die Knie weh und ihre Beine wurden durch den Steinboden immer kälter. Sie hatten anscheinend den gleichen Gedanken und zogen sich gegenseitig in die Höhe. Oscar wusste wohin sie diese Leidenschaft heute Nacht führen würde, doch sie hatte keine Angst. Ihr war klar, dass diese Nacht perfekt sein würde, da André und sie sich wirklich liebten und so lange aufeinander gewartet hatten. Sie hätte sich nie im Leben träumen lassen, dass sie zu solchen Gedanken je fähig gewesen wäre, doch sie wollte André so betrachten wie Gott ihn schuf. Sie machte sich daran die Bänder Andrés Hose zu lösen und konnte sich selbst dabei hören wie sie schwer atmen musste. André wusste nicht, wie ihm geschah, nie hätte er sich träumen lassen, dass Oscar so die Initiative ergreifen würde. Es ließ ihn angenehm erschaudern und so begann auch er die seidenen Bänder ihres Nachthemdes zu öffnen, schön behutsam, er wollte diese Momente bis ins Letzte auskosten. Sie konnten beide ihre Blicke voneinander nicht abwenden. Wie schön André doch war. Warum war ihr das nicht viel früher aufgefallen? Er vereinte all das, was sich ein Frau nur wünschen konnte. Er war sensibel und hatte doch seinen eigenen Kopf, loyal und immer ehrlich und er würde für einen geliebten Menschen alles geben. Er war so stark und doch so sanft. Oscar war von seinem Anblick hin und weg und bemerkte gar nicht wie sich André mit ihrem Nachthemd beschäftigte. Gleich war es geschafft, dachte er sich. Oscar legte ihre Hand in seinen Nacken und zog seinen Kopf zu sich ein Stück herunter. Jetzt wo sie nicht ihre Stiefel trug, die doch einen Absatz hatten, bemerkte sie, dass André gut und gerne fünfzehn Zentimeter größer war als sie. Sie küsste ihn, sie musste ihn küssen. Es war so notwendig wie das Wasser, welches sie gegen ihren Durst trank. André spürte wie sich bei ihm etwas veränderte, es war nun unübersehbar wie sehr ihn diese Frau die ihm gegenüberstand erregte. Ein leichter Windhauch hob nicht nur die dünnen Vorhänge an den Fenstern sondern auch Oscars bereits vollständig geöffnetes Nachthemd. Leicht schockiert über soviel Freizügigkeit ihrer selbst starrte sie André an. Er aber grinste nur anzüglich und zog sie zu sich aufs Bett. Er wusste, dass er sich nicht mehr lange zurückhalten konnte und doch wollte er die absolute Vereinigung mit Oscar noch etwas hinauszögern. Er zog die leichte Decke, die eigentlich ein Bettlaken war über ihre beiden Körper. Sie schlossen sich vor der restlichen Welt ein, wie eine schützende Höhle umgab sie die Decke. André begann sie wieder zu küssen, ganz langsam und sanft, wozu sollte er sich auch beeilen, es lag ihr ganzes Leben vor ihnen. Oscar war wie in einem Traum, konnte es wirklich real sein. Ihr war es egal und so zog sie André zu sich, sie wollte nicht mehr länger warten. „Willst du es wirklich?“ André konnte es noch gar nicht fassen. „Bitte...!“, sie flehte ihn regelrecht an. Für beide würde es die erste Liebesnacht sein und doch wusste jeder von ihnen was zu tun war. Oscar bemerkte ein leichtes Ziehen und einen kleinen stechenden Schmerz der aber auch gleich wieder vorüber war, als sie in Andrés große Augen sah. Sie fühlte sich vollkommen. In ihrem ganzen Leben hatte sie nie daran gedacht, dass ihr etwas fehlen könnte und jetzt wo sie die Liebe in ihr Leben gelassen und sie Andrés Berührung zugelassen hatte, wusste sie, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt nie vollkommen gewesen war. André hätte sich diesen Moment nicht schöner vorstellen können. Erschöpft und glücklich legte er sich neben Oscar. Oscar drehte sich zur Seite und schmiegte ihren Rücken an seine Brust. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl seine nackte Haut auf ihrer zu spüren. Sie verfiel in einem leichten Dämmerschlaf als ihr André etwas ins Ohr flüsterte. „Ich liebe dich!“ Oscar drehte sich mit dem Gesicht zu ihm. Sie war ganz nah an seinem Gesicht strich zärtlich über seine Wange und bemerkte dabei etwas, weinte André? „Ich liebe dich!“, antwortete sie ihm und drückte ihre leicht geschwollenen Lippen auf die seinen. Er umarmte sie und drückte sie an sich, so schliefen sie friedlich und erschöpft ein. Als Rosalie am nächsten Tag ins Zimmer trat um die beiden zu wecken und ihnen Frühstück zu bringen, traute sie ihren Augen nicht. Ein blonder und ein dunkelbrauner Haarschopf lugten unter der Bettdecke hervor. Sie ließ fast vor Schreck die zwei Suppenschüsseln fallen. Ein Grinsen machte sich in ihrem Gesicht breit und wohl wissend was sich in der letzten Nacht wohl zugetragen haben mag, schloss sie die Tür so leise wie möglich. Alain kam ihr entgegen und wollte sogleich das Krankenzimmer betreten als sie sich ihm in den Weg stellte. „Rosalie, lass mich vorbei, ich muss mit den beiden sprechen!“ „Ach Alain, lass ihnen noch ein bisschen Zeit die beiden sind doch verwundet obwohl sie den größeren Schmerz in ihrem Herzen doch letzte Nacht vertreiben konnten.“ Sie konnte ein Lachen nicht mehr zurückhalten. Alain blickte sie total verstört an. „Herz, Schmerz, letzte Nacht?“ Wie ein Blitz fuhr es ihm ein. „Was sagst du da? Letzte Nacht? Das ging aber schnell!“, auch er konnte sich ein Lachen nicht mehr verkneifen. Nun gut, dann ließ er den beiden noch eine halbe Stunde, darauf sollte es nicht mehr ankommen. André wurde als erster wach, er konnte vom Gang her Stimmen hören und ein Lachen, er wunderte sich. Neben sich spürte er, wie sich etwas regte. Es war also doch kein Traum gewesen, die letzte Nacht war die Wirklichkeit. Oscar lag mit dem Rücken zu ihm, ‚wie zart ihre Haut doch ist’ dachte er sich und fing an sie zu streicheln und im Nacken und an der Schulter zu küssen. Sie spürte seine warmen Hände und seine sanften Lippen auf ihrer Haut, ein Lächeln huschte ihr über das Gesicht. Sie drehte sich zu André und küsste ihn leidenschaftlich. Diesmal ergriff Oscar die Initiative und liebkoste Andrés ganzen Körper. Ihr war es egal ob jeden Moment jemand ins Zimmer kommen könnte oder nicht. Für sie gab es nur das Hier und Jetzt und diesen Mann, den sie ihr Leben lang kannte. Sie gaben sich ihrer Leidenschaft für einander hin und versanken erneut in einem Liebesspiel. Glücklich und lächelnd sahen sich die beiden an. Oscar musste lachen. „Was würde ich jetzt nicht alles für ein Stück Brot tun, ich sterbe fast vor Hunger!“ André ging es anscheinend nicht anders, denn sein Magen meldete sich heftigst, er grinste noch genauso verlegen wie damals als sie noch Kinder waren. Fast entschuldigend sagte André „Du hast mich aber auch gefordert!“ „Wo Rosalie wohl bleibt, normalerweise ist sie die Pünktlichkeit in Person, vor allem wenn es um den ‚Weckdienst’ geht?! Komisch.“ Oscar tastet nach ihrem Nachthemd, am liebsten wäre sie aus dem Bett gesprungen, doch was wäre, wenn gerade jetzt jemand das Zimmer betreten würde. Vor André schämte sie sich keineswegs. Vor ihm lag sogar ihre Seele blank. André fühlte sich wie neu geboren. Die Ärzte schienen recht zu behalten, wenn sie sagten, dass zur vollständigen Genesung auch die Seele von Nöten ist, wäre da nur nicht sein Auge. Er setzte sich neben Oscar im Bett auf, er konnte nur einen dunklen verschwommen Fleck erkennen, der sich als seine Hosen erweisen sollte. Er langte danach, konnte sie aber beim ersten Mal nicht richtig greifen. In der Früh war es besonders schwer für sein Auge sich an die Lichtverhältnisse anzupassen und Distanzen richtig einzuschätzen. Im Laufe des Tages wurde es dann besser und wieder mal schlechter, da das Auge schnell ermüdete. Es war wieder ein Dämpfer für sein Gemüt, welcher ihn zusammensacken ließ. Oscar reichte ihm sein Gewand und auch sie schlüpfte in ihr Hemd. Sie ergriff seine Hand und streichelte sie mit ihrer anderen. „André ich werde immer bei dir bleiben, egal was geschieht!“ Sie hatte seinen Versuch bemerkt seine Kleidung zu ergreifen. Auch sie hatte Angst, dass André sein Augenlicht vollkommen verlieren könnte, da kam ihr ein Gedanke. Sie hatte doch schon so oft von den arabischen Medizinern - die in Spanien lebten - gehört. Sie wurden zwar geduldet, doch niemand gab in der Öffentlichkeit zu erkennen ihre Fähigkeiten in Anspruch zu nehmen. Doch ihre Heilungen waren legendär. Schon vor Jahrhunderten erzielten sie bessere Heilungschancen als die europäischen Ärzte. Warum sollten sie nicht auch eine Behandlung für Andrés Auge haben? Ein Versuch war es wert. Sie wollte in einer ruhigen Minute mit André darüber sprechen, ihm neuen Mut geben für ein Leben mit ihr gemeinsam. Gerade als sich beide vom Bett erhoben hatten, ging die Tür auf und Rosalie und Alain traten ein. Rosalie hatte eine Tablett mit zwei Suppenschüsseln darauf aus denen Dampf empor stieg. „Guten Morgen. Oh, Ihr könnt das Bett schon verlassen, das freut mich!“ Rosalie stellte das Tablett auf den kleinen Tisch, der den zwei Betten gegenüberstand, ab. „Guten Morgen Rosalie, guten Morgen Alain, wie gut duftet diese Suppe bloß!“ Keine Sekunde später stürzte sich Oscar Francois de Jarjayes auf den Suppenteller. Gierig schlang sie die doch etwas dünne Fleischbrühe hinunter. Alain und Rosalie mussten sich wohlwissend angrinsen, André merkte dies und senkte fast beschämt seine Augen. ‚Sollen wir es ihnen sagen oder wissen sie es schon?’, seine Gedanken kreisten nur so umher. „Ach ja bevor ihr euch den Kopf zerbrecht, zwischen André und mir ist alles gut, mehr als das.“ „Dachte ich mir schon, na dann, herzlichen Glückwunsch, ich hätte euch sonst noch zu eurem Glück zwingen müssen.“ Alain lachte herzlich und umarmte André als Zeichen seiner Freude. André konnte es gar nicht fassen, dass Oscar ihre Beziehung so schnell offiziell machte. Auch Rosalie umarmte Oscar und die Tränen standen ihr in den Augen. „Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass doch noch alles so gut enden würde!“ „Enden Rosalie, warum denn enden? Nein, jetzt fängt erst mein richtiges Leben an. Ein Leben an Andrés Seite.“ Nun ging auch André auf den kleinen Tisch zu, er griff aber nicht nach der Suppenschüssel, sondern nach Oscar und umarmte sie. Am liebsten hätte er sie nie wieder losgelassen. „André du solltest jetzt etwas essen, bevor es kalt wird!“ Fürsorglich drehte sie ihren Liebsten zum Stuhl, damit er am Tisch Platz nehmen konnte. Sie behandelte ihn wie ein rohes Ei und das obwohl sie so eine Nacht hinter sich hatten, er grinste auf seinen Teller. „Alain, sagt den Männern, dass ich sie um zwölf Uhr Mittag sprechen möchte, ich habe ihnen einiges mitzuteilen.“ „Jawohl Kommandant. Wenn es recht ist, würden wir Euch auch gerne etwas erzählen.“ Alain wusste, dass seinem Kommandanten die Idee gefallen würde. Auch er machte sich seit geraumer Zeit Gedanken um Andrés noch relativ gesundes Auge. Alain hatte schon öfters bemerkt, dass er nicht mehr so genau zielen konnte, darum hörte er sich bei jeder Gelegenheit um, ob es nicht eine weitere Chance für seinen Freund geben könnte. Oscar drehte sich mit einer Bitte zu Rosalie. „Wäre es möglich, dass du mir meine Sachen bringst, dieses Nachthemd ist doch zu ungewohnt für mich und so kann ich doch unmöglich vor meine Männer treten.“ Rosalie machte einen bekümmerten Gesichtsausdruck. „Lady Oscar, es tut mir leid, aber Eure Uniform...“ Sie stockte. „Ja Rosalie, meine Uniform, was ist damit?“ „Sie war voller Ruß, Blut und Dreck, ich hab versucht sie zu säubern und sie war fast wieder tragbar, doch dann stahl sie jemand von der Wäscheleine, es tut mir so leid.“ Rosalie glaubte schon jeden Augenblick eine Schelte von Oscar zu erhalten, doch die musste nur gekränkt den Kopf schütteln. „Na ja, das Leben als Kommandant und Adelige ist dann somit endgültig vorbei. Daran muss ich mich erst gewöhnen. Aber was soll ich dann anziehen?“ „Wenn es euch nichts ausmacht, frage ich Bernard, ob er sich von einigen Stücken trennen kann, bis wir für Euch was neues gekauft haben.“ „Das ist sehr nett von dir Rosalie, danke!“ Rosalie nickte und machte sich gleich auf den Weg nach Hause um die gewünschten Sachen zu holen. Alain folgte ihr zur Tür hinaus. So waren Oscar und André wieder alleine. „Wie fühlst du dich?“ fragte Oscar André, der langsam begann seine Suppe zu löffeln. „Hm, eigentlich ausgezeichnet, vielleicht noch etwas schwach, aber kein Wunder nach dieser Nacht.“ Seine Augen blitzten dabei auf und hatten etwas verführerisches. „Es ist irgendwie auch alles so surreal. Wie ein Traum, ach, bitte lass mich nie mehr erwachen.“ Oscar zwickte ihn in den Handrücken. „Aua, wofür war das denn?“ André verzog sein Gesicht, hatte sie ihn wirklich zu fest gezwickt? „Ich wollte dir nur beweisen, dass das alles kein Traum ist sondern die Wirklichkeit. André, ich kann es selbst kaum fassen, gestern noch dachte ich, wir hätten keine Chance mehr und jetzt das. Ich bin so überglücklich. Wie dumm war ich bloß all die Jahre. Wir waren doch jeden Tag zusammen und doch meilenweit von einander entfernt. André, ich weiß, vielleicht ist es für dich jetzt alles zu schnell, doch die letzten Erlebnisse lassen einen nachdenken. Morgen könnte schon alles vorbei sein, ich meine, ich lebte mein Leben als Soldat und.....“ sie stockte, sie war bei vollem Verstand und wenn man ihr letzte Woche gesagt hätte, was sie in ihrem zukünftigen Leben noch tun werde, hätte sie diesen für verrückt erklärt. Und jetzt, jetzt tat sie es wirklich. Sie nahm Andrés Hand, im Vergleich zu ihrer war seine ganz warm. Sie hingegen war nervös, noch nie war sie in so einer Situation, nie hätte sie daran gedacht, doch die Träume der letzten Nächte und die Begebenheiten ließen sie zu einem anderen Mensch werden. Ein Mensch der sie wirklich war, eine Frau mit Gefühlen und eine Frau die eine Gruppe Soldaten befehligte. „André, wir wissen beide nicht, wie es nun weiter gehen soll, aber du siehst wie schnell unser junges Leben vorbei gehen kann. Und mein einziger Wunsch ist es mit dir verheiratet gewesen zu sein, falls ich irgendwann sterben sollte.“ Nun war es gesagt. Sie Oscar Francois de Jarjayes machte ihren besten Freund und Geliebten einen Heiratsantrag. ‚Wie wird er reagieren? Warum sagt er nichts? Will er mich nun doch nicht? Sag doch was, bitte.’ André verschlug es die Sprache. Hatte er gerade richtig gehört, sie Oscar die ihr Leben als Mann leben wollte, hatte ihn gerade gebeten ihn zu heiraten? Nicht in seinen kühnsten Träumen hätte er so etwas erwartet. „Aber Oscar, ich bin fast blind und ich kann dir nichts geben außer meiner selbst!“ Betrübt ließ er den Kopf fallen. Er war einfach keine gute Partie für sie in seinen Augen. Wie gerne würde er mit ihr vor dem Altar stehen. „André, bitte sag ja, ich brauche nicht mehr als dich, das ist schon mehr als ich zu hoffen wagte.“ Er blickte in ihre saphir-blauen Augen, die sich langsam mit Tränen füllten. „Aber meine Augen.....!“ Oscar wurde langsam traurig und wütend. Entweder er liebte sie und wolle bei ihr sein oder, nein diesen Gedanken wollte sie nicht weiterspinnen. „André Grandier“, leicht gereizt stand sie von ihrem Stuhl auf. „Sei nun Mann genug und sag mir was du willst. Ich liebe dich mit und ohne deinen Augen, sei dir dessen bewusst.“ André blickte sie an, dieses Temperament, so kannte und liebte er sie. Er musste gar nicht darüber nachdenken was er wollte oder nicht, er wusste es seit er letzte Nacht am Boden lag und sie sich über ihn gebeugt hatte. André stand auf, kniete sich aber sogleich vor Oscar nieder. „Lady Oscar Francois de Jarjayes, wollt Ihr mich zu Eurem Gemahl nehmen?“ Oscar lachte und fiel auf die Knie, sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und stammelte einige Liebesbekundungen, bevor sie in einem innigen Kuss versanken. ‚Was will uns der Kommandant bloß sagen?’ Alain konnte sich keinen Reim darauf machen. Wollte sie die Truppe verlassen? „Hm, diese Frau birgt ein Rätsel nach dem anderen.“ Rosalie brachte endlich die gewünschte Kleidung. „Es tut mir leid, die schönsten Stücke sind es nicht mehr.“ „Ach Rosalie, mach dir keine Gedanken, es ist doch nur vorübergehend, ich werde mir schon etwas eigenes besorgen, hab vielen Dank!“ Oscar streifte sich ihr neues geliehenes Gewand über und fühlte sich gleich mehr sie selbst. Doch irgendetwas passte ihr nicht. Die Haare, was war bloß mit ihren Haaren los. Sonst trug sie sie auch immer offen und sie störten keineswegs. Wie sich alles änderte, selbst solche Kleinigkeiten. Sie nahm den oberen Teil ihres Haarschopfes zusammen und mit einem kleinen Stück Verbandsstreifen war ihre neue Frisur, ein Halbzopf schon fertig. Warum kam sie nicht schon früher auf diese Idee, so störten die Haare viel weniger beim Fechten und Schießen. Auch André bekam eine frische Hose und ein einfaches Leinenhemd. Er sollte mit Oscar etwas an die frische Luft, außerdem wollte sie sowieso mit der ehemaligen Söldner-Truppe reden. Er fragte sich nur, worum es sich handeln könnte. Oscar stützte André ein wenig, eigentlich brauchte er diese Hilfe nicht, aber es war eine Möglichkeit für beide die Nähe das anderen zu spüren und ihn zu berühren. Die Männer der Söldnertruppe, besser gesagt, der Rest der davon übrig war, hatten es sich auf den Stufen vor dem Lazarett gemütlich gemacht. Es war ein sonniger Tag und die Wärme der Sonnenstrahlen luden zum Faulenzen ein. Als Oscar mit André nach draußen trat, ging ein Jubelschrei durch die Truppe. Alle freuten sich die beiden wohlauf zu sehen, trotz der Blessuren. Oscar hob beschwichtigend die Hände, sie wollte nun zu ihren treuen Soldaten sprechen. „Männer, habt Dank für euren Mut und eure Treue, dank Euch ist es uns gelungen die Bastille einzunehmen und ein wichtiges Zeichen für die Bevölkerung zu setzen.“ Die Männer nickten ihr zustimmend zu. „Trotz allem, oder gerade deswegen möchte ich Euch sagen, dass ich meine Pflichten als Kommandant ablegen werde. Ich habe mich, trotz meiner adeligen Herkunft, gegen die Monarchie gestellt, entweder hält mich die königliche Garde für tot oder sie suchen mich um mich wegen Hochverrats zu töten. Darum möchte ich Euch aus eurem Eid entlassen. Jeder soll sein Leben so führen wie er es für richtig hält und hierfür möchte ich keinem im Wege stehen. Ich selber bin mir noch nicht ganz sicher wohin mich der Wind treiben wird.“ Bei den letzten Worten hatte Oscar Tränen in den Augen. Alain hatte doch recht behalten, sie wollte die Truppe verlassen. Sie wollte ihn verlassen. Keiner der Söldner wusste, ob sie noch Familie hatten nach den furchtbaren Kämpfen die in Paris wüteten. Er wusste, dass er alleine da stand. Er hatte nur mehr die beiden Menschen die auf der Treppe standen und gerade zueinander gefunden hatten. Nun, er würde alleine mit Oscar und André über seinen „Plan“ sprechen müssen. Die anderen Soldaten waren über die Worte von Oscar überrascht und doch freuten sie sich über die Freistellung. Viele von ihnen wollten Paris verlassen und wo anders neu anfangen. André griff nach Oscars Hand und sagte „Lass uns zusammen ein paar Schritte machen.“ „Ja, sehr gerne“. Sie gingen einige Meter und fanden einen schattigen Platz unter einer alten Linde. „Oscar, wenn es immer noch dein Wunsch ist mich zu heiraten, meiner ist es auf jeden Fall, hätte ich eine Bitte an dich.“ Oscar sah ihn verblüfft an, eine Bitte?!? „Ja André, was möchtest du denn?“ „Lass uns in der Nähe von Arras, auf einem der sanften Hügel außerhalb der Stadt heiraten.“ Oscar zuckte zusammen, was sagte er da? In der Nähe von Arras, Hügel. Genauso sah es in ihrem Traum aus. Wie war es möglich? „André, genau davon habe ich geträumt.“ „Wie meinst du das?“ „Na vorletzte Nacht.“ „Was, du auch? Ich dachte, es kam von meiner Verletzung, dass ich so etwas träumte und jetzt sagst du, du hättest dasselbe geträumt? Das ist unheimlich, unheimlich schön.“ Er grinste und zog sie zu sich heran, das hatte er sich immer gewünscht, sie küssen zu können wann immer er wollte. „André ich hätte auch eine Bitte oder besser gesagt eine Verpflichtung.“ „Wir sind noch nicht verheiratet und du willst mich zu etwas verpflichten?!“ Er lachte, ja so hatte er sich das vorgestellt. „Also Oscar, verpflichte mich.“ Sie blickte ihn ernst an. „Nachdem wir geheiratet haben möchte ich mit dir nach Spanien reisen. Du hast doch sicher auch schon von den arabischen Medizinern gehört, ihre Methoden unterscheiden sich erheblich von denen der europäischen Ärzte. Vielleicht gibt es noch Hoffnung für dein Auge.“ Doch das war nicht alles was sie ihm sagen musste. Sie selbst hätte es fast vergessen, nein, vergessen war das falsche Wort, verdrängt, traf es besser. Sie litt an Tuberkulose, es ging ihr dank des Aufenthaltes im Lazarett und die Ruhe der letzten Tage viel besser, doch sie wusste, wenn sie sich nicht schonen würde, sah es für eine gemeinsame Zukunft nicht gut aus. Das trockene spanische Klima und die neuen Behandlungsmethoden, ließen sie vielleicht schneller genesen. „André, ich habe dir etwas verheimlicht, es ist nicht mehr so schlimm, aber es könnte schlimmer werden.“ Was war geschehen, war das der Grund warum sie ihn so schnell heiraten wollte, weil mit ihr etwas nicht stimmte? „Sprich Oscar, bitte, sag es mir, was ist los?“ Er hatte einfach Angst, Angst ins Bodenlose zu fallen. „Es ist so, ich leide an Tuberkulose, das schlimmste ist überstanden, doch wenn ich nicht aufpasse, könnte sich mein Zustand verschlechtern.“ Sie blickte zu Boden, würde er sie jetzt verlassen? André hatte schon so etwas in der Art befürchtet. Der Husten den sie noch hatte als sie noch zu Hause waren, war furchtbar. Er zog sie zu sich heran und hielt sie einfach nur fest. Er vergrub seine Nase in ihrem dichten lockigen Haar und sprach leise, „und wenn du die Pocken und die Pest gleichzeitig hättest, nichts wird mich von dir trennen.“ Jetzt musste sie schmunzeln. Hieß das, dass er damit einverstanden war? „Ich kann zwar nicht spanisch Oscar, aber wenn es dein Wunsch ist und so unsere Chance größer wird, dann auf in ein neues Abenteuer!“ Sie war einfach nur glücklich. „Kommandant, André, ich muss mit Euch sprechen, es ist sehr wichtig!“ Alain konnte seine Pläne jetzt nicht mehr für sich behalten, er musste ihnen davon erzählen. Die zwei Turteltauben waren überrascht wie aufgeregt, als Alain vor ihnen stand. „Aber Alain, was ist denn los, man könnte glauben der Teufel wäre hinter dir her.“ Der Teufel, nein, der war es nun wirklich nicht. „Nun, es geht um André, wir wissen doch alle wie schlecht es um sein Auge steht und dass er Angst hat jenes zu verlieren.“ „Ja Alain, darum....“ „Nein, lasst mich bitte aussprechen. Während ihr im Lazarett lagt, habe ich mich, na wie soll ich es umschreiben, etwas umgehört. In der Kneipe „Zum tanzenden Bären“ habe ich dann einen Mann kennen gelernt, einen Spanier und er hat mir von Ärzten erzählt, maurischen Ärzten und da dachte ich.....“ André und Oscar fingen an zu lachen, was fanden die beiden jetzt so lustig an seinen Erzählungen? „Versteht mich doch, Andrés Auge....“ „Ach Alain, Oscar hatte mir eben genau den selben Vorschlag unterbreitet. Nach unserer Vermählung werden wir nach Spanien aufbrechen und diese berühmten Ärzte aufsuchen!“ Er tätschelte Alains Gesicht. Er wusste nicht wie ihm geschah, sie hatten schon Pläne nach Spanien zu gehen und hatten ihm diese nicht mitgeteilt. Er ließ traurig den Kopf hängen. „Aber Alain was ist denn los mit dir, wir dachten die Reise wäre in deinem Sinn.“ Oscar runzelte die Stirn. „Das schon, es ist nur so, nachdem ihr uns freigestellt habt, sind die anderen schon abgehauen um ihre Familien zu suchen. Und wie Ihr wisst, hat sich meine geliebte Schwester erhängt und meine Mutter ist vor Gram gestorben. Ich will nicht aufdringlich sein, aber ich wollte Euch auf diese Reise begleiten. Ihr könnt doch jeden kräftigen Mann gebrauchen, oder nicht?“ Hoffnung flammte in seinen Augen auf. Er würde sein Leben für diese beiden Menschen geben, besonders für seinen ehemaligen Kommandanten. „Kräftige Männer, wozu braucht ihr kräftige Männer?“ Eine Stimme wie aus dem Nichts. Perplex drehten sich die drei Köpfe in Richtung aus der die Stimme gekommen war. Auf einem verschwitzten Rappen saß ein etwas müder und in zerschlissener Uniform gekleideter Graf de Girodelle. Oscar vergaß Etikette und Stand und rannte auf den Grafen zu. „Viktor, wie schön euch gesund zu sehen.“ ‚Viktor’, hallte es in Graf de Girodelles Kopf, ‚noch nie hatte sie mich so genannt’. Er lächelte und stieg vom Pferd, er salutierte vor ihr, doch Oscar umarmte in aufs Herzlichste. Es war nicht gern gesehen in ihren Kreisen, doch wen würde es stören. Girodelle war sich seiner Lage bewusst. Noch vorletzte Nacht versuchte er die Aufstände in Paris niederzuschlagen. Doch als er bei einem Erkundungsritt eine Gruppe halbverhungerter Kinder sah, wusste er, dass seine Aufgabe nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbar war. Es musste etwas geschehen. Unbemerkt lauschte er den Erzählungen der Bevölkerung und der Einnahme der Bastille. Er hörte wie die Leute von einer Frau sprachen, einer Frau in Uniform. Da wusste er, dass sein Schicksal mit dem von Oscar verknüpft war. Er begab sich auf die Suche nach ihr. Und jetzt stand er vor ihr. Er musste sich die Nacht über gegen eine kleine Gruppe von Männern verteidigen die ihm das letzte Hemd auszuziehen versuchten. Adelig oder nicht, Menschen die nach Geld aussahen, hatten einen schlechten Stand in Paris. Auch André bewegte sich auf Graf de Girodelle zu und verbeugte sich. „Nicht doch André, nach dem was ich über Euch gehört habe, muss ich mich vor Euch verbeugen. Wir wissen doch beide, dass man als Adeliger zur Zeit einen schlechten Stand in Frankreich hat.“ Viktor reichte ihm die Hand. „Bitte, lasst uns den Standesunterschied vergessen. Wir sind zwei Männer die sich für die gerechte Sache entschieden haben und für das Gleiche kämpfen.“ Sein Blick wanderte zu Oscar. „Girodelle, was ist mit Euch passiert? Mit Sicherheit wollt ihr Euch frisch machen und Euch ein wenig ausruhen. Ich werde gleich Rosalie bitten Essen und Waschzeug bringen zu lassen. Ihr müsst uns alles erzählen.“ Er nickte nur und war erleichtert hier auf Freunde gestoßen zu sein. Die kleine Gruppe machte sich auf den Weg zum Lazarett. Nachdem sich Graf Viktor Clemente de Girodelle einigermaßen gestärkt und frisch zurecht gemacht hatte, begann jeder seine Geschichte zu erzählen. Es wurde eine lange Nacht. Auch Rosalie und ihr Mann Bernard Chatêlet, ein Freund von Robespierre und ehemals der „Schwarze Ritter“ gesellten sich zur der Gruppe und lauschten den Erzählungen. Die Geschichten endeten mit dem Zusammentreffen der Personen an diesem Ort. Von Andrés und Oscars Absichten wurde aber bisher nicht gesprochen. Sie saßen nebeneinander. Oscar hatte sich an André gelehnt und genoss seine Anwesenheit und zog seinen Geruch gierig auf. Konnte es nicht immer so sein? Sie griff nach Andrés Hand hielt sie einfach nur fest. Auch Graf de Girodelle war es nicht entgangen, was sich zwischen den beiden ereignete. „Nun Lady Oscar, was gedenkt Ihr zu tun? Wie sehen Eure nächsten Pläne aus?“, er blickte auf die zwei verschlungenen Hände, danach lächelte er Oscar direkt ins Gesicht. Ihr stieg die Röte ins Gesicht. Offen zu ihrer Liebe zu stehen und darauf angesprochen zu werden, noch dazu von einem ehemaligen Offizier, das waren zwei verschiedene Dinge. „Nun, vielleicht sollten wir unsere Pläne nicht mehr länger für uns behalten, was meint Ihr Mademoiselle Jarjayes?“ André sprach sie absichtlich so an, er wollte sie ein wenig necken. Sie boxte ihn in die Seite und meinte „wie Ihr meint Monsieur Grandier oder doch Jarjayes?“, sie lächelte ihn an. Die anderen in der Runde blickten sich verdutzt an. „In ein paar Tagen, wenn André und ich uns wieder stark genug fühlen, werden wir uns auf den Weg nach Arras machen. Wir haben vor, dort in aller Stille und abseits der Kämpfe zu heiraten. Nachdem wir dann alles vorbereitet haben, reisen wir nach Spanien um dort Ärzte aufzusuchen, die André...“ sie stockte, sollte sie die ganze Wahrheit preisgeben? Hatten ihre Freunde nicht ihre vollste Offenheit verdient. Sie atmete tief durch und sprach weiter „...die André und mich von unseren Leiden befreien sollen.“ Nun war es heraus. Auf den Gesichtern ihrer Freunde zeichneten sich große Fragezeichen ab. Alain fand seine Stimme als erster wieder. „Leiden, natürlich wissen wir um Andrés Auge, aber Kommandant was fehlt Euch?“ „Ich, ich war oder bin an Tuberkulose erkrankt. Mein Arzt riet mir mich zu schonen und mich vom Armeedienst fern zu halten.“ Sie lächelte „Was mir jetzt mehr als leicht fällt!“ Rosalie sprang vor Freude in die Höhe. „Oh, wie schön, eine Hochzeit, eine Hochzeit im Sommer. Ach wie wunderbar, wir dürfen doch der Trauung beiwohnen.“ Oscar schaute André erstaunt an, dran hatten sie bis jetzt noch nicht gedacht. Aber natürlich, wie könnten sie den Menschen, die in den schweren Stunden beigestanden hatten, so einen Wunsch verwehren? „Ach ja André, lass uns im kleinen Kreis feiern, mit unseren engsten Vertrauten.“ Auf einmal dachte Oscar an ihre Familie und ihr Kindermädchen, Andrés Großmutter. „Viktor, ist euch vielleicht bekannt wie es meiner Familie in den letzten Tagen ergangen ist?“ „Nun, was ich erfahren habe, zog es Eure Mutter vor Paris zu verlassen und eine Eurer Schwestern zu besuchen. Der General steht immer noch dem König zur Seite, mehr ist mir nicht bekannt.“ „Wir müssen irgendwie zum Anwesen gelangen, wer weiß wie es Sophie ergangen ist. Hoffentlich finden wir sie und wenn ja nehmen wir sie mit in das Haus in Arras.“ André war froh, dass sich Oscar immer noch Sorgen um seine Großmutter machte, somit war er mit seiner Sorge um sie nicht allein. „Am besten wir legen uns jetzt alle schlafen und morgen reiten wir zum Anwesen der Jarjayes.“ Es war beschlossene Sache. Die anderen verließen das Zimmer von Oscar und André und begaben sich zur Nachtruhe. „Aber Oscar, wie sollen wir nach Spanien kommen, geschweige denn eine kleine Hochzeitsfeier ausrichten, wir haben kein Geld, ich meine, ich hab einen Teil meines Verdienstes monatlich gespart, aber wer weiß, ob sie nicht auch schon die Bank geplündert haben?“ André machte einen traurigen Eindruck, er wollte so gerne Oscar ein Brautkleid schenken, ob dies nun möglich war, stand in den Sternen. Oscar sah ihn liebevoll an und streichelte beruhigend über sein Gesicht. „Ach André mach dir nicht so viele Gedanken, ich haben meinen Sold jahrelang auf eine Bank in Arras überweisen lassen. Frag mich nur nicht, warum ich das tat, mein Herz zog es immer wieder dorthin.“ Er küsste sie dankbar, dankbar dafür, dass sie seine Liebe endlich erwiderte und für ihn da war. „Warst du nicht auch überrascht als auf einmal Graf de Girodelle vor uns stand?“ André nickte und zog Oscar zu sich aufs Bett. Sie kuschelten sich aneinander und blieben so liegen. Aufgeregt was der nächste Tag wohl bringen würde, schliefen die beiden endlich nebeneinander ein. Graf Girodelle war einer der ersten die vom Vogelgezwitscher geweckt wurden. Er hatte tief und fest geschlafen, die Anstrengungen und die Aufregung der letzten Tage war anscheinend doch zu viel für ihn gewesen. Ein Schatten legte sich über sein Gemüt, als er an die gestrige Begegnung mit Kommandant Jarjayes dachte. Sie hatte sich also doch für einen Mann entschieden. Seinen Heiratsantrag lehnte sie noch vor wenigen Wochen ab. Es war eine Schmach für ihn, jedoch respektierte er ihre Entscheidung. Er war ein Mann, der daran glaubte, dass vieles von einer höheren Macht bestimmt wird. Gott, Schicksal, er wusste nicht wie genau er es betiteln sollte, jedoch war er sich dessen sicher, genauso sicher war er sich die beiden nach Spanien zu begleiten. Ihn hielt nichts mehr in Frankreich. Vom Königspaar war er enttäuscht worden, alles nur wegen ihrer Starrsinnigkeit. Und für den Adel gab es keine Zukunft mehr, das wusste er mit Bestimmtheit. Sein Vater war vor ein paar Jahren gestorben und seine Mutter hielt sich bei seiner Schwester in Nizza auf. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung für ihn, nein, es war unwahrscheinlich dass der Kommandant seine Meinung ändern würde und André wegen ihm verlassen würde. Aber ein Abenteuer kam ihm gerade recht. Sie würden sowieso jemanden zur Verstärkung brauchen, André war nun doch geschwächt durch sein Auge. „Sogar heiraten wollen die beiden.“ Er sprach etwas wehmütig, konnte es sich dann aber doch nicht ein Lächeln verkneifen als er daran dachte, dass Oscar und André beide in Hosen vor dem Altar standen. Besser gelaunt als ein paar Sekunden zuvor schöpfte er frisches Wasser mit seinen Händen und wusch sich sein Gesicht. Er blickte in den kleinen Spiegel der über der Waschschüssel hing. Auch er hatte im Laufe der Jahre einige Kratzer an seinem Oberkörper sammeln können. Obwohl er zu den besser gestellten gehörte, scheute er niemals einen Kampf. Er war nicht einer von den Adeligen die nur im Hintergrund die Befehle erteilten, er kämpfte stets vorne mit dabei. Und obwohl er doch um drei bis vier Jahre älter war als die anderen war er doch ein ansehnlicher attraktiver Mann. Die Frauen hatten ihn jahrelang in Versailles bewundert nur waren ihm diese Frauen zu langweilig, zu gewöhnlich. Wer weiß, vielleicht würde er in Spanien eine passende Frau finden? Kommt Zeit, kommt Rat. Er musste sich bei diesen Gedanken selbst belächeln. Er legte seine Uniformjacke zusammen und verschnürte diese, damit sie keinen Schaden nahm. Viktor befand es für besser und sicherer, wenn er alle offensichtlichen Anzeichen eines Adeligen verschwinden ließ. Doch was unternahm er mit seinen Haaren? Sie offen zu tragen wie er es jahrelang tat, würde zu sehr auffallen. Abschneiden, nein, er wollte nicht so aussehen wie André noch dazu hing er viel zu sehr an seinen Haaren. „Hm, was könnte ich mit ihnen anstellen.“ Er entschied sich dafür sie zu flechten. „Na dann, auf zum Frühstück, wenn ich welches bekomme!“ Draußen vor dem Lazarett traf er auf Alain. Viktor wusste nicht, wie er sich richtig verhalten sollte. Konnte er diesen Mann aus dem Volk als seinen Freund betrachten oder nicht? „Ah, guten Morgen Graf de Girodelle, gut geschlafen?“ Alain war sich auch nicht sicher wie er diesem Mann begegnen sollte. „Vielen Dank Alain, sehr gut, aber bitte nennt mich Viktor, ich möchte meinen Kopf noch ein paar Jahre behalten.“ Er lachte und reichte Alain die Hand. ‚Der Händedruck wird sicher genauso weibisch sein wie sein Haar,’ dachte sich Alain. Doch er wurde getäuscht. Nie hätte er sich träumen lassen, dass dieser sehnige Mann vor ihm über solch eine Kraft verfügte. Nachdem sich alle aus ihren Betten erhoben, sich zurecht gemacht und gefrühstückt hatten, sattelten sie ihre Pferde. André hatte sich am Vorabend noch um Diablo, den Rappen von Graf de Girodelle gekümmert. Hier ging seine Leidenschaft für Pferde wieder mit ihm durch. Er hatte noch nie so ein temperamentvolles und starkes Pferd gesehen wie eben dieses vom Grafen. Beim Satteln bemerkte Viktor Andrés Liebe zu den Pferden, liebevoll blickte er sein Pferd von der Seite an und meinte „auch wenn du so wild wie der Teufel bist, du hast mich noch nie im Stich gelassen.“ „Ihr habt ein prächtiges Tier Viktor, da kann ich mit meiner Selle Francais-Stute nicht mithalten.“ „Wer weiß wofür es gut ist, André, wichtig ist die Beziehung zum Tier und nicht seine Abstammung.“ Man könnte glauben die zwei Männer unterhielten sich über Politisches. Oscar war froh über die gute Stimmung und freute sich wieder ihren Schimmel reiten zu können. Sie liebte ihren Andalusier-Hengst, den sie seit ihrer Jugend ritt. „Nun beeilt euch doch etwas, je früher wir Paris verlassen desto besser, es muss ja nicht jeder mitbekommen, dass ich mit zwei Adeligen unterwegs bin!“ Alain lachte laut auf und galoppierte davon. Die anderen drei nickten sich lächelnd zu und folgten Alain. ‚So müsste es immer sein’, dachte Oscar. Lange hatte sie sich nicht mehr so frei gefühlt wie an diesem Tag, als sie Paris und den Kämpfen die darin tobten, den Rücken kehrte. Sie erreichten ohne große Vorkommnisse Oscars ehemaliges Zuhause. Es war ein ruhiger Tag und man konnte die Bienen summen hören, die sich auf den Weg zur nächsten Blüte machten. Es war fast zu ruhig, man hörte keine Hausmädchen aufgeregt umherschnattern, keine klappernden Geräusche aus der Küche und keine Befehle des Generals. Die vier Reiter blickten sich überrascht an, was würde sie wohl im Inneren der Villa erwarten? Zaghaft stiegen sie vom Pferd. „Oscar, André, ich denke das Beste wird wohl sein, wenn Alain und ich das Gelände begutachten. Wer weiß, vielleicht treffen wir noch auf jemanden!“, Graf de Girodelle blickte Alain aufmunternd zu. „Ja Viktor, eine gute Idee, André und ich werden uns das Hauptgebäude vornehmen. Kommst du André?“ Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend betraten Oscar und André Hand in Hand das Gebäude. Wieder nichts, kein einziges Geräusch. „Großmutter, Großmutter, seid Ihr hier? Sagt doch etwas!“ André ließ Oscars Hand los und stürmte in die Küche. Die Küche, es war ihr Refugium und er hoffte sie dort wie üblich anzutreffen, doch er betrat einen menschenleeren Raum. Er traute seinen Augen nicht, alle Töpfe und Pfannen befanden sich auf dem Boden, Gläser lagen in Scherben auf dem Küchentisch und die Vorratskammer war leer, komplett leer. Er wohnte jetzt schon mehr als zwanzig Jahre auf dem Anwesen, aber solch einen Zustand hatte er hier noch nie gesehen. Die Panik packte ihn, er rannte schnurstracks zu seinem ehemaligen Zimmer, auch dies befand sich in keinem besseren Zustand. Die wenigen Bücher die er sein eigen nennen konnte, lagen zerrissen am Boden, sein Bett komplett zerstört. ‚Vielleicht war sie in ihrem Zimmer?’ André ging zwei Türen weiter und fand wieder einen leeren Raum vor. ‚War ihr etwas geschehen, haben die Diebe sie mitgenommen?’, seine Gedanken drehten sich um seine geliebte Großmutter. „Oscar, hast du sie gefunden?“ „Nein, André leider, außer diesem Chaos hier hab ich nichts gefunden.“ Betreten vom Zustand in dem sie ihr ehemaliges Zuhause vorgefunden hatte, ging sie in das Arbeitszimmer von ihrem Vater. Das Gemälde, welches sie für ihren Vater vor den Tumulten anfertigen ließ, hing immer noch an der Wand mit dem kleinen Unterschied, dass es in Streifen geschnitten war. Doch hinter dem prachtvollen Bilderrahmen entdeckte sie etwas Weißes hervorblitzen. ‚Hatte ihr Vater eine Nachricht hinterlassen.’ Neugierig ging sie auf das Bild zu und wie von ihr angenommen befand sich dahinter ein Kuvert. Nervös riss sie es auf und begann zu lesen, ihre Augen weiteten sich bei dem Geschriebenen. Währenddessen erkundeten Viktor und Alain die Stallungen. Gerade als sie den friedlich daliegenden Stall den Rücken kehrten wollten, hörten sie ein Rascheln, das aus einer der Pferdeboxen zu kommen schien. Beide Männer drehten sich blitzschnell um und warfen sich verständigende Blicke zu. Graf de Girodelle riss die Tür auf und Alain gab ihm Deckung. In der Box, auf Stroh kniend und mit Tränen in den Augen fanden sie Andrés Großmutter vor. „Bitte, bitte tut mir nichts, ich habe nichts was ich Euch geben könnte...“ Sie hatte ihre Brille nicht mehr und durch die Tränen in ihren Augen nahm sie nur Umrisse von Männern wahr. „Madame Grandier, ich bin es Graf de Girodelle, keine Angst wir tun Euch nichts, beruhigt Euch. Doch was macht Ihr hier im Stall?“ Die alte Frau atmete erleichtert auf. „Graf de Girodelle, ach was fällt mir ein Stein vom Herzen, verzeiht, dass ich Euch nicht erkannt habe, aber meine Brille ging zu Bruch als ich mich vor dem Mob in Sicherheit brachte. Sie haben alles durchwühlt und geschrieen, dass sie alle Adeligen umbringen würden. Sie kamen in der Nacht und schlugen alles kurz und klein.“ Jetzt mischte sich auch Alain ein, „und wie konntet Ihr fliehen, wenn man fragen darf?“ „Oh seid Ihr es Alain, wie schön Eure Stimme zu hören. Ach, es gibt einen geheimen Fluchtweg der unterirdisch vom Haupthaus zu den Stallungen führt. Die meisten haben ihn schon vergessen, doch Lady Oscar und André flüchteten so immer vor meinen Bestrafungen.“ Sie musste kurz über die Vergangenheit lächeln und fragte dann ängstlich, „Lady Oscar, wie geht es ihr und was ist mit meinen Enkel, könnt Ihr mir Auskunft geben?“ „Madame, beruhigt Euch, die zwei befinden sich im Haupthaus, wir sollten uns nun auf den Weg zu Ihnen begeben!“ Obwohl André öfters nach Oscar rief, erhielt er keine Antwort. War ihr etwas zugestoßen? Nein, sie stand nur wie angewurzelt im Arbeitszimmer ihres Vater. „Oscar? Oscar geht es dir nicht gut?“ Wieder kam keine Antwort. „Ähm, ah André, ich bin nur etwas verwirrt, dieser Brief, ich habe einen Brief von meinem Vater gefunden der sich an mich richtet.“ André ging auf sie zu und sah ihr über die Schulter. „Noch nie in meinem Leben war ich meinem Vater so nahe wie jetzt.“ „Was schreibt er dir denn, möchtest du es mir erzählen?“ „Ich kann nicht, André, es ist so unfassbar, lies bitte selbst.“ Das ließ sich André nicht zweimal sagen und nahm den Brief in seine Hände. ‚An Oscar, mein geliebtes Kind und Tochter! Viel zu schnell überschlugen sich die Ereignisse der letzten Tage um uns eine klärende Aussprache zu ermöglichen. Während ich diese Zeilen an dich verfasse, bin ich mir im vollen Bewusstsein wie sich die politische Situation in Frankreich und vor allem in Paris zuspitzen wird. Deswegen möchte ich dich von meiner dir auferlegten Pflicht entlassen, ich selbst kann das Handeln des Königs nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und trotzdem werde ich bis zu meinem Tod zu ihm stehen, da mir König Louis XV damals an seinem Sterbebett dieses Versprechen abnahm. Dir, Oscar, möchte ich die freie Wahl überlassen. Ich habe dich seit deiner Geburt so erzogen wie ich es wollte und wie ich es für richtig hielt, doch jetzt, in den Wirren der Revolution, würde es mir das Herz zerreißen, wenn du dein Leben lassen müsstest. Wenn du die Chance hast, nutze sie und fange ein neues Leben an, fernab von Paris und vielleicht fernab von Frankreich. Auch einer Heirat mit André würde ich zustimmen, wenn es dein Wunsch wäre. Er ist zwar kein Adeliger, aber er hat oft Mut bewiesen und war immer an deiner Seite gestanden. Ich weiß um seine Gefühle für dich seit langem und habe mich mit dieser Tatsache abgefunden. Mein liebes Kind, verzeih’ mir alle meine Fehler, ich weiß, dass ich bei der Revolution ums Leben kommen werde und ich möchte für so manch falsche Entscheidung um Vergebung bitten. Pass’ auf dich auf und höre immer auf dein Herz, dann kann dir, meine liebe Oscar, nichts geschehen. In Liebe dein Vater. André war genauso fassungslos wie Oscar. ‚Der General wusste von seinen Gefühlen, aber wie war das möglich, war es für alle andern denn so offensichtlich?’ Trotzdem fiel ihm ein Stein vom Herzen, dass sie sogar vom konservativen Familienoberhaupt den Segen für diese Verbindung erhielten. Stumm standen Oscar und André sich gegenüber. „Nun müssen wir nur noch deine Großmutter finden!“ „Diese Aufgabe könnt Ihr zu den Akten legen Kommandant!“, lachend brachten Graf de Girodelle und Alain Oscars langjährige Kinderfrau zur Tür herein. „Sophie, was bin ich glücklich dich gesund zu sehen!“ „Lady Oscar, ich würde vorschlagen, dass wir die heutige Nacht hier auf dem Anwesen verbringen werden. Jetzt noch eine andere Unterkunft zu finden wird sich mit Sicherheit als schwieriges Unterfangen herausstellen. Und die Vandalen werden sicher nicht noch ein zweites Mal hier auftauchen.“ „Ihr habt recht Viktor, lasst uns einen Raum suchen, der nicht zu stark verwüstet wurde, und dann Sophie, werden wir dir von unseren Erlebten erzählen und was wir uns für die Zukunft dachten!“ „Zukunft Lady Oscar? Ich verstehe nicht ganz?“ „Ach Großmutter, beruhigt Euch erst mal, Ihr werdet schon sehen, es wird alles gut werden!“ Als er dies sagte, legte er beschützend seine Arme um die Frau die ihn über die Jahre großgezogen und für ihn gesorgt hatte. Madame Grandier war gespannt darauf, was denn noch alles auf sie zukommen würde. Sie folgte der Gruppe in die Küche und ließ sich alle Begebenheiten bis ins kleinste Detail erzählen. Sie konnte nur schwer ihre Tränen zurückhalten, als sie von Andrés und Oscars Verletzungen hörte. Dafür war sie umso verzückter, als sie die Nachricht von einer baldigen Vermählung vernahm. Von der Absicht nach Spanien zu reisen erzählten sie der alten Dame noch nicht. Sie wollen sie zuerst in Sicherheit im Haus in Arras wissen. Sie würde es früh genug erfahren. Und so legten sich die Freunde schlafen. Sie wussten, dass morgen ein anstrengender Tag anbrechen würde. Kapitel 2: Aufbruch! -------------------- Früh am Morgen erwachte André, er tastete nach Oscar, doch das restliche Bett war leer. ‚Aber sie lag doch neben mir’, dachte sich André. Er richtete sich auf und rieb sich die Augen, langsam klärte sich sein Bild und er erkannte Oscar auf dem Balkon stehend. „Guten Morgen André!“, just in diesem Augenblick drehte sie sich zu ihm um und warf ihm eines ihrer wunderbaren Lächeln zu. „Guten Morgen Oscar, was machst du denn um diese Uhrzeit draußen auf dem Balkon?“ André ging verwundert zu ihr ins Freie, er umarmte und küsste sie sanft. Es hatte den Anschein, als brauchte er jeden Morgen erneut die Bestätigung, dass sie doch bei ihm war. „Ach André, es ist so viel passiert in den letzten Wochen und so viel liegt noch vor uns, ich musste mal wieder meine Gedanken ordnen, ein wenig meine innere Ruhe wiederfinden.“ „Ja, ich kann dich gut verstehen, doch das einzige was mich noch aus der Bahn werfen würde, ist, dass du nicht mehr da wärst, mich einfach verlassen würdest.“ Er sah sie ernst an, „tu das bitte nie!“ „Ich verspreche es dir, zumindest, dass ich dich nicht freiwillig verlassen werde.“ Oscar lächelte ihn verliebt an und zog ihn zu sich heran um ihn einen ihrer unvergesslichen Küsse zu schenken. So standen die zwei Verliebten eng umschlungen im Schein der aufgehenden Sonne, alles hätte so schön sein können, würde ihre Umgebung nicht im Chaos versinken. Sie kleideten sich an und machten sich auf den Weg ins Erdgeschoss, überlegten wo ihre Freunde heute wohl geschlafen hatten. Sie hatten sich am Vorabend darauf geeinigt, dass sich jeder ein noch brauchbares Bett suchen würde. Als sie die Marmortreppe hinunter gingen, knurrte Andrés Magen laut auf. Oscar fing schallend an zu lachen, „also wirklich, gewisse Dinge ändern sich wohl nie“, sie piekste ihn in die Magengegend und lief lachend davon. „Na warte, dir werde ich es schon noch zeigen, was es heißt sich über einen Grandier lustig zu machen“, auch er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, denn sie hatte schon recht was seinen Magen betraf, hatte sich dies doch seit ihrer beider Kindheit nicht verändert. André holte sie auf der Treppe vor der Villa ein, beide standen verblüfft auf den Stufen, als sie Alain und Viktor auf sich zukommen sahen. Sie hatten Gewehre in der einen Hand und in der anderen ein paar Rebhühner. „So Madame, das Frühstück kann beginnen.“ Alain rieb sich über seinen Bauch und dachte schon daran wie er die knusprig gebratenen Rebhühner verspeisen würde. „Aber Alain, wir können doch nicht zum Frühstück so etwas essen?!“ „Wieso denn nicht Kommandant? Es ist sonst nichts mehr da, der Mob hat alles Essbare mitgenommen und bevor ich mit knurrenden Magen aufs Pferd steigen muss, rupf ich mir so ein Huhn.“ Viktor nickte zustimmend. „Lasst uns nur machen Oscar, Eure Großmutter, André, hat schon das Feuer vorbereitet, vielleicht helft Ihr uns diese geschmackvollen Geschöpfe richtig zuzubereiten.“ Er lächelte André an. „Nichts lieber als das, Graf, ähm, Viktor.“ Die drei Männer begaben sich in die Küche, wo schon Sophie alle weiteren Vorkehrungen für ein ‚feudales’ Frühstück getroffen hatte. „Ach, Lady Oscar,“ Graf de Girodelle wandte sich ihr zu, „vielleicht solltet Ihr damit beginnen darüber nachzudenken, was Ihr noch alles mitnehmen wollt auf den Weg nach Arras. Oder besser gesagt, was von diesen Trümmern noch brauchbar ist.“ Sie musste ihm Recht geben. Vielleicht fand sie noch nützliche Gegenstände oder Unterlagen, die ihr in Zukunft hilfreich sein könnten. Sie begab sich ins Arbeitszimmer, sie wusste, dass ihr Vater wichtige Unterlagen und Dokumente unter einer losen Marmorfliese verstaut hatte. Kein Mensch würde jemals auf den Gedanken kommen die Fliesen aufzubrechen. Wie erwartet, fand sie eine Schatulle in der alle Geburtsurkunden und Adelsnachweise ihrer Familie aufbewahrt wurden. Auch die Kaufverträge vom Haus in Arras und der Villa in der Nähe von Paris waren vorhanden. Sie befand es für besser alle Dokumente nach Arras mitzunehmen, sie würde aber eine geheime Nachricht verfassen, falls ein Familienmitglied zurückkommen und danach suchen würde. Die Bücher ihres Vaters lagen durcheinander am Boden. Er besaß hauptsächlich Atlanten, Bücher über die klassische Kriegsführung und die Werke jener Autoren die zur derzeitigen Bildung gehörten. ‚Europäische Landkarten’, jetzt war ihr der Titel des Buches wieder eingefallen, welches sie noch dringend benötigen würden. ‚Ich werde wohl Sophie nach geeigneten Reiseboxen oder Rucksäcken bitten müssen. Würden wir alles in eine Kutsche packen, wären wir nicht flexibel genug und viel zu leicht verwundbar.’ Obwohl sie ihre Reise noch gar nicht angetreten waren, machte sich Oscar schon wieder Sorgen. Sie wollte eben, dass alles ruhig und ohne Komplikationen verlief. Auf irgendwelche Konfrontationen mit aufgebrachten Bürgern die sie lieber heute als morgen am nächsten Bäum hätten hängen sehen, konnte sie verzichten. Wie einen Blitz durchfuhr es sie, ‚wie hieß nochmals das hohle Buch, welches als Versteck für kleine Wertsachen diente?’, sie grübelte. ‚Ach ja, Utopia!’ Ihr Vater hatte nicht viel von diesem Werk gehalten, deshalb hatte er es als weiteres Versteck genutzt. Ein bisschen Bargeld im Haus zu haben, schadete nie, hatte er stets gemeint. Sie atmete erleichtert auf, in dem Buch war genug Geld verborgen um ihnen alle fünf eine Reise nach Arras zu finanzieren. „Lady Oscar, das Frühstück steht bereit, kommt nur, sonst wird es noch kalt!“ Sophies Stimme hallte durchs ganze Haus. Erst jetzt bemerkte sie wie groß ihr Hunger war, innerlich dankte sie Alain und Viktor für ihren kleinen Jagdausflug. Schnell begab sie sich in die Küche zu den anderen, die schmatzend und mit glücklichen Gesichtern bei Tisch saßen. „Sophie, besitzen wir noch ein paar Rucksäcke wo wir etwas Proviant und diese Unterlagen verstauen können für die Reise?“ „Rucksäcke Lady Oscar? Wieso denn keine Reisekoffer die wir auf der Kutsche transportieren können?“ Sophie konnte sich darauf keinen Reim machen. „Nein Sophie, wir nehmen keine Kutsche nach Arras, das wäre erstens zu auffällig, viel zu gefährlich und wir wären an Straßen und Wege gebunden. Ich ziehe es vor, wenn wir reiten würden!“ Sophie wurde ganz bleich, „reiten, ich auf einem Pferd? Nein, das kann nicht Euer Ernst sein!“ Sophie wollte am liebsten hier bleiben, Pferde, schon immer hatte sie großen Respekt vor diesen Tieren. „Madame macht Euch keine Sorgen, Alain und ich werden auf Euch Acht geben und mein Pferd Diablo kann Euch sicher mit Leichtigkeit tragen, Ihr reitet bei mir mit.“ Graf de Girodelle tätschelte Sophies Hand und setzte sein unwiderstehliches Schwiegersohn-Lächeln auf. Sophie blickte ihn dankbar an und war erleichtert sich in die Obhut dieses erfahrenen Mannes begeben zu können, der Rest der Truppe musste sich ein Schmunzeln verkneifen. „Na dann hätten wir alles geklärt, ich würde vorschlagen, dass jetzt jeder seine Sachen zusammenpackt und wir in einer Stunde los reiten. Je früher wir unterwegs sind, desto besser.“ Alain war schon wieder mit dem Essen fertig als er diesen Vorschlag brachte, für ihn war die Sache erledigt, er sprang auf und begab sich nach draußen, vielleicht befand sich im Stall oder im Geräteraum noch etwas Brauchbares für die Reise. „André, du kommst bitte mit mir mit, du musst mir helfen mein armseliges Hab und Gut einzupacken!“ Sophie streifte ihren Enkel mit einem ihrer strengen Blicke die keine Widerrede duldeten. „Ja Großmutter, ich folge Euch“, er trottete hinter ihr her. In ihrem Zimmer angekommen lächelte Sophie ihren Enkelsohn geheimnisvoll an. André kannte sich nun gar nicht mehr, was wollte seine Großmutter von ihm? „André, Ihr habt doch gestern von eurer bevorstehenden Hochzeit gesprochen. Damit habt Ihr mir die größte Freude auf der Welt bereitet, naja Urenkel wären die größte Freude aber man kann ja nicht alles auf einmal haben.“ Sie sprach schon fast so als wäre sie alleine im Raum. Sie ging auf ihr zerwühltes Bett zu und zog ihre große Tasche hervor in der sie all ihre Näh- und Strickwaren aufbewahrte. „Großmutter, bei allem Respekt, aber Ihr wollt doch nicht euer Strickzeug mitnehmen, wir kaufen Euch….!“ „Du Dummkopf,“ sie gab ihn einen Klaps auf den Hinterkopf, „ich weiß selbst, dass man Nadeln und Zwirn nicht unbedingt auf einer Reise benötigt. Vor einigen Jahren, als Oscar ihren 25. Geburtstag feierte habe ich ihr ein Sommerkleid angefertigt. Ich hoffte immer wieder, dass sie sich doch für ein Leben als Frau entscheiden würde. Ich hätte sie irgendwann einmal gerne darin gesehen, nur leider bot sich mir nie eine Gelegenheit ihr dieses Kleid anzubieten. Es ist ein weißes Sommerkleid aus Musselin mit aufgestickten Veilchen.“ Jetzt erst kapierte André worauf seine Großmutter hinaus wollte. Oscar sollte das Kleid als Hochzeitskleid tragen. Sophie kramte in ihrer Tasche und nahm ein sorgfältig verschnürtes Paket heraus. André musste und wollte das Päckchen nicht öffnen. Erstens wusste er, wie gut seine Großmutter nähen konnte, sie hatte bis jetzt immer guten Geschmack bewiesen und zweitens brachte es doch Unglück das Kleid der Braut vor der Hochzeit zu sehen. Er küsste seine Großmutter auf die Wange und dankte ihr. Schnell half er ihr einige ihrer neueren Kleidungsstücke zusammen zu packen und verschwand dann selbst in sein ehemaliges Zimmer in der Hoffnung noch ein paar schöne Hosen oder ein Hemd zu finden, welches er auf die Reise mitnehmen konnte. In der Zwischenzeit stöberte auch Oscar in ihrem Zimmer. Sie dachte angestrengt nach, irgendwie hatte sie das Gefühl, etwas Wichtiges suchen zu müssen. Es konnte doch nicht alles sein, dass sie mit nichts außer ein paar Kleidungsstücken dieses Haus verließ. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, alle Schieber standen offen und in dessen Inneren sah man, dass darin gewühlt wurde. In der untersten Schublade fand sie wonach sie gesucht hatte, ganz hinten ertastete sie etwas Weiches. Sie zog eine kleine Puppe aus Stoff hervor, man sah dem Spielzeug die langen Jahre der Ingebrauchnahme an. Wie alt war sie gewesen, wie sie diese Puppe bekam? Sieben oder Acht Jahre? André war damals noch nicht lange im Hause Jarjayes, sie hatte damals gedacht André bei einer Rauferei zu besiegen, doch er hatte sie eines Besseren belehrt. Damals war sie so traurig und wütend auf sich selbst gewesen, da sie verloren hatte. Daraufhin hatte André seine Großmutter gebeten eine Puppe für Oscar anzufertigen, die er ihr dann als Wiedergutmachung geschenkt hatte. Damit hatte ihre wunderbare Freundschaft begonnen. ‚Komisch’, dachte Oscar ‚seit diesem Vorfall habe ich André immer besiegt.’ Jetzt wurde ihr alles klar, schon damals nahm er Rücksicht auf sie und ließ sie schlussendlich immer gewinnen. Sie liebte ihn dafür noch mehr, wenn das überhaupt möglich war. Sie packte die Puppe mit ein und verließ mit etwas Wehmut ihr ehemaliges Zimmer. Die anderen warteten bereits bei den Pferden auf sie. Graf de Girodelle saß schon mit Großmutter Grandier auf seinem Ross, Sophie fühlte sich noch etwas unbehagt, doch man sah es ihr an, dass sie die Gegenwart des Grafen genoss. „Na dann, lasst uns los reiten“, rief Oscar ihren Freunden zu. „Oscar, was ist mit Bernard und Rosalie, sie wollten doch mit nach Arras!“ „Ach André, das hab ich schon alles geklärt, wir vereinbarten uns in zwei Wochen dort zu treffen.“ André nickte Oscar beruhigt zu und gab seinem Pferd einen leichten Tritt in die Seite. Die nächsten fünf Tage verliefen fast problemlos. Sie legten den Weg zügig zurück und da sie die großen Städte auf den Weg nach Arras vermieden, gab es nur kleinere Zwischenfälle die aber mit etwas Geld mühelos beseitigt werden konnten. Die Nächte verbrachten sie in kleinen unscheinbaren Gasthöfen oder bei Bauern die ihnen nicht sonderlich feindlich gesinnt waren. Mit Geld machte man sich eben auch in dieser Zeit Freunde. Oscar atmete erleichtert auf als sie in der Ferne den Kirchturm von Arras erblickte. Sie war alleine einige Meter vorausgeritten um die Lage zu erkunden. Das Städtchen lag friedlich vor ihnen. Nie wäre man hier auf den Gedanken gekommen, dass zur selben Zeit Kämpfe in Paris stattfanden. Um an ihr endgültiges Ziel anzukommen, mussten sie durch die Stadt durch und dann Richtung Norden. Das Haus, welches ihrer Familie gehörte, lag etwas außerhalb, ruhig und abgelegen, genau das was sie jetzt brauchte. Oscar fühlte sich sehr rastlos. Die Aufregungen und die Sorge der letzten Tage hatten sie sehr mitgenommen. André hatte schon während der Reise versucht sie zu unterstützen so gut es eben ging, doch ihre Ängste die sie sich vor allem um ihre Begleiter machte, setzten ihr zu. Was hätte sie bloß getan, wenn jemanden auf ihrer Reise etwas zugestoßen wäre. Sie mochte gar nicht daran denken. Sie wartete auf die anderen auf einen der sanften Hügel und genoss die starken wärmenden Strahlen der Spätnachmittagssonne. Oscar drehte sich um, da sie leise Hufgeräusche hörte. André näherte sich ihr, er ergriff ihre Hand und küsste sie sanft „Was beschäftigt dich, ma chérie?“ Er ließ dabei ihre Hand bewusst nicht los. Zu oft war es ihr gelungen in den letzten Tagen seinen Fragen auszuweichen. Er merkte es ihr an der Nasenspitze an, wann sie etwas beschäftigte, er kannte sie einfach zu lange. Sie wusste, dass sie sich ihm öffnen musste. „Ach André, ich habe einfach Angst, ich habe sogar Angst über meine Ängste zu sprechen. So viel hat sich in so kurzer Zeit geändert und doch bleiben die wirklich wichtigen Dinge bestehen.“ Sie blickte ihm tief in die Augen. Bei allen wichtigen Ereignissen war er bei ihr gewesen, er hatte sie nie im Stich gelassen und er würde es in Zukunft nicht tun. Er war ihr Fels in der Brandung, sowohl Freund als auch Geliebter. Oscar lächelte ihn an „Na dann Monsieur Grandier, beginnen wir unser neues Leben!“ Sie gab Andrés Pferd einen Klaps damit das Tier sich in Bewegung setzte und trieb ihr eigenes voran. Nun gab es kein Zurück mehr. Endlich war es geschafft, die fünf Freunde standen vor dem Haus, welches ihnen für die nächsten Monate Unterkunft geben sollte. Es war zwar nicht so groß wie das Hauptanwesen der Familie Jarjayes, aber doch groß genug um jeden ein eigenes Zimmer zu bieten. Hinter dem Haus befand sich ein nicht allzu großer Stall für die Pferde, jedoch war genügend Auslauf für die braven Tiere vorhanden. Sie hatten sich nun auch Ruhe verdient nach dem anstrengenden Ritt. Die nächsten Häuser lagen einige Kilometer von ihnen entfernt. Somit konnten sie beruhigt davon ausgehen von irgendwelchen Tumulten oder Unruhen verschont zu bleiben. „So Herrschaften, dann sucht sich jeder mal ein Zimmer und richtet es dementsprechend her um heute in den wunderbaren weichen Betten zu schlafen.“ Wie immer nahm Sophie das Regiment in die Hand. Wenn es um die Führung des Haushaltes ging, konnte man der alten Dame nichts vormachen. Oscar und André sahen sich verführerisch an und dachten anscheinend das selbe, nämlich, dass sie sich das gleiche Zimmer aussuchen würden. Seit Tagen mussten sie in getrennten Betten übernachten, da es Andrés Großmutter nie ihm Leben zugelassen hätte, dass diese zwei erwachsenen Menschen in einem Bett liegen würden. „André, du wirst die Nächte bis zur Hochzeit bei Alain verbringen.“ Verblüfft sah André seine Großmutter an „Aber Großmutter, ich wollte…!“ „Ich weiß schon, was du wolltest, aber das kommt doch nicht in Frage, das wird ein anständiges Haus sein und bis zur Hochzeit gibt es getrennte Betten. Ich habe es schon in Paris verabsäumt dies klarzustellen, was mir auch äußert zuwider ist. Schluss aus!“ Somit war das letzte Wort in dieser Angelegenheit gesprochen. Alain konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und erhielt dafür von André eine Kopfnuss. „Na warte, dir werde ich es schon zeigen, halb blind hin oder her, aber so was lass ich nicht auf mir sitzen.“ Alain sprang auf André zu und die zwei verfielen in eine freundschaftliche Rauferei. „Nun dann Madame“, Viktor verbeugte sich vor Oscar und zeigte damit an ihr den Vortritt beim Betreten des Hauses zu überlassen. Der Abend verging schnell mit Aufräumarbeiten in den jeweiligen Schlafzimmern. Zu essen gab es den restlichen Proviant, den sie mitgebracht hatten. Morgen würden sie in die Stadt reiten und einige Besorgungen erledigen. Man sah es allen fünf Menschen deutlich im Gesicht an, wie froh sie doch waren aus der Hölle die zur Zeit den Namen Paris trägt geflohen zu sein. Es wurde immer dunkler und die spärlichen Kerzen, die sie noch gefunden hatten, gaben nicht genug Licht, sodass beschlossen wurde die Betten aufzusuchen. Der Tag war anstrengend genug und mit dem Einschlafen hatte wohl keiner der Anwesenden Probleme. Sie wünschten sich gegenseitig einen gute Nacht und verschwanden in ihre Zimmer. André folgte Alain in seine Kammer. Wie die zwei Männer alleine waren, seufzte André, er hatte sich schon sein Hemd ausgezogen und wollte sich noch waschen bevor er sich in sein provisorisches Bett begab, für ihn gab es nur eine Matratze und Bettzeug „Das ist jetzt aber nicht dein Ernst oder?“ „Was soll nicht mein Ernst sein, ich bin müde und möchte zu Bett, wir haben in der Kaserne auch in einem Saal geschlafen, du hattest das Bett über mir. Was stört dich jetzt dran?“ „André, mein Freund, befolgst du eigentlich immer die Regeln deiner Großmutter?“ Jetzt dämmerte es André worauf sein Freund hinaus wollte. „Ja, aber ich kann doch nicht…?!“ Oder konnte er doch? Er dachte kurz nach und Alains Grinsen gefolgt von einem leichten Nicken bestätigten nur noch seinen Entschluss. Es war für André ein Leichtes unbemerkt in das Zimmer von Oscar zu gelangen. Seine Großmutter bewohnte einen Raum im Erdgeschoss, nahe der Küche. André gab Alain ein Zeichen, dass er sich für diese Nacht verabschieden würde und schloss die Tür hinter sich. Er schlich, nur mit seiner Hose bekleidet in den ersten Stock, selbst seine Schuhe hatte er in Alains Zimmer zurückgelassen. ‚Kein Mensch wird mich hören’, doch während ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, stieß er fast mit Graf de Girodelle zusammen. ‚Jetzt ist alles vorbei’, dachte sich André. „Ah, André, Ihr wollt doch sicher nochmals nach den Pferden sehen, oder nicht?“, der Graf zwinkerte ihn zu und ließ ihn stehen. Viktor konnte André gut verstehen, er war auch nur ein Mann und wenn er sich der Liebe einer solchen Frau wie Oscar sicher sein könnte, würde er sie auch keine Nacht allein lassen. Andrés Puls beruhigte sich kurzweilig wieder. Er drückte die Türklinke von Oscars Zimmertür hinunter und schloss sie genauso leise. Das Zimmer war dunkel, er wartete einen kleinen Moment, damit sich sein Auge an die minimalen Lichtverhältnisse im Zimmer gewöhnen konnte. Durch den einfallenden Mondschein konnte er die Umrisse von Oscars Bett erkennen. Er schlich leise zu ihr hinüber, sie lag wie immer auf der rechten Seite und schien zu schlafen, die Knie hatte sie leicht angezogen. André stützte sich auf ihrem Bett ab und berührte sanft mit seinen Lippen ihre Wange. Er strich so langsam ihre Wange bis zum Hals hinunter wo er sie sanft und doch bestimmt küsste. Oscar verspürte bei seinen Berührungen einen angenehmen kalten Schauer. Sie blinzelte, es überraschte sie aber keineswegs André über sich zu wissen. Sie drückte ihm einen Schmatzer auf und rutschte zur Seite um ihm Platz zu machen. Er legte sich zu ihr und stützte sich mit seinem rechten Arm den Kopf um sie besser betrachten zu können. „Aber André hast du nicht gehört was deine Großmutter heute gesagt hat?“ Sie wollte ihn damit aufziehen, jedoch wurde sie augenblicklich ernst, „vielleicht sollten wir jetzt wirklich warten bis wir verheiratet sind, ich meine….“ Er fiel Oscar ins Wort „Aber wir müssen doch nicht miteinander schlafen“, während er ihr das sagte zog er sie zu sich heran und griff ihr an ihren kleinen Po. “Lass mich dir was ganz anderes zeigen“, wie er ihr diese Worte ins Ohr flüsterte, sah sie ihn überrascht und doch neugierig an. Oscar küsste ihn, was für ihn ein Zeichen der Zustimmung war. Er gab ihr zu verstehen, dass sie sich auf den Rücken legen und die Augen schließen sollte, er beugte sich über sie, seine Hände stützten sich neben ihrem Kopf ab. „Vertrau’ mir einfach“, flüsterte er ihr ins Ohr und begann ihr Ohrläppchen zu liebkosen. Oscar wusste nicht was auf sie zukommen würde und doch ließ sie sich fallen. André gab sich aber nicht mit ihrem Ohr zufrieden, ganz langsam küsste er ihren Hals und eine Hand tastete ihren Körper ab, wieder konnte er ein störendes Hemd fühlen, das weg musste. Er band es auf und fühlte ihre nackte Haut. Auch er hielt seine Augen geschlossen. Er wollte sich nur auf die Berührungen und ihr Reaktionen konzentrieren, alles andere war jetzt nebensächlich. Unter seinen sanften Küssen an Schulter und Hals streichelte er Oscars Oberschenkel, dabei bemerkte sie nicht, wie ihre Beine leicht zur Seite nachgaben. Unter Andrés Berührungen wurde sie willenlos, sie wünschte sich immer mehr. André ging einen Schritt weiter liebkoste ihre Brustwarzen mit seinen Lippen. Er spürte wie sie härter wurden entnahm Oscar ein leichtes Stöhnen, welches in widerrum nur bestätigte. Er fuhr mit seinen gefühlvollen langen Fingern an der Innenseite ihrer Oberschenkel entlang nach oben, an eine Stelle ihres Körpers, die er in dieser Art und Weise noch nicht berührt hatte. Er bemerkte wie sie sich verkrampfte, er flüsterte ihr erneut zu, „ich sagte doch, dass du mir vertrauen sollst.“ Mit diesen Worten küsste er sie leidenschaftlich und spürte, dass sie bereit war. Er begann wieder dort wo er geendet hatte und fühlte wie sie sich ihm hingab. André weckte Gefühle und Empfinden bei ihr, die sie bisher noch nie in ihren Leben erlebt hatte. Es war alles intensiv, die Welt um sie herum verschwand, es waren nur mehr Andrés Berührungen wichtig. Oscar fühlte, wie sich eine Spannung in ihrem Körper aufbaute die sie schier zu zerreißen drohte. André spürte ihre Erregung und machte unbeirrt weiter, er wollte, dass sie die Kontrolle über sich selbst verlor. Oscar glaubte unter seinen Berührungen zu beben, sie atmete schneller und tiefer, konnte ihr leises Stöhnen nur schwer zurückhalten. Sie hatte nur mehr das Bedürfnis André zu küssen. Er erwies ihr gern diesen Gefallen und als Ihr Körper vor Erlösung zitterte konnte sie sich nicht von seinen Lippen lösen. In Oscars Körper machte sich Müdigkeit gepaart mit absoluter Zufriedenheit breit. „André, wie….“, sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte. Noch nie hatte sie sich so auf einen Menschen eingelassen und diese eben erlebten Empfindungen waren ihr bis vor kurzem mehr als fremd. „Hat es dir gefallen?“, er grinste bei seiner Frage, denn an sich kannte er die Antwort, doch er wollte sie bewusst von ihr hören. ‚Gefallen’, schoss es Oscar durch den Kopf. Dieser Mann brachte sie um den Verstand, sie nickte zur Antwort leicht und schmiegte sich an ihm. Sie wollte nur noch schlafen und André war es nur recht, denn ihn hatte die Szene auch nicht ganz kalt gelassen. Früh am morgen schrak André aus seinen Träumen ‚Verdammt, ich muss doch ins Erdgeschoss zurück’. Er wollte seine Großmutter nicht derart enttäuschen. Er verließ Oscars Zimmer so lautlos wie er es die letzte Nacht betreten hatte, sie sollte weiterschlafen und sich von der anstrengenden Reise erholen. Er entschloss sich gleich nach draußen zu gehen um nach den Pferden zu sehen. André hatte nur seine Hose an und es fröstelte ihn etwas da es hier in Nord-Pas-de-Calais doch eine Spur kühler am Morgen war als in Paris. Er entschied sich dafür sich gleich beim Brunnen hinter dem Haus zu waschen. Das Wasser war eiskalt, aber genau das brauchte er jetzt. Er tauchte mit seinem ganzen Kopf in den Bottich mit frischem Wasser und als er sich wieder aufrichtete nahm er mit seinen halblangen Haaren einen Schwall Wasser mit, der ihm kurz darauf den Rücken runter rann. Es war ein guter Morgen, er fühlte sich nur glücklich. Selbst sein Auge ließ ihn kalt. Es war ihm fast egal geworden. Das was er immer wollte, hatte er bekommen. Die Frau die er über alles liebte, lag zufrieden in ihrem Bett und würde ihn in wenigen Tagen heiraten. ‚Verdammt, jetzt wo Großmutter mir ihr Kleid für Oscar gegeben hat, brauche ich noch ein Geschenk für sie’, André wollte am Tag seiner Hochzeit nicht mit leeren Händen vor Oscar treten. Nachdem er die Pferde versorgt hatte und sich wieder ins Haus begab, bemerkte er, dass Leben in die alten Gemäuer kam. Er vernahm wohl vertraute Geräusche aus der Küche und war sich sicher dort auf seine Großmutter zu stoßen, die damit beschäftigt war, die Küche nach ihren Vorstellungen herzurichten. Sicher schrieb sie ihm auch eine Liste aller Dinge, die er heute besorgen sollte. Er trat in den Raum und begrüßte die alte Dame „Guten Morgen Großmutter, wie war die Nacht für Euch?“ „Ah, guten Morgen André, den Umständen entsprechend, es ist eben doch noch alles sehr gewöhnungsbedürftig. Ich hätte dann eine Aufgabe für dich, wie du siehst, bin ich damit beschäftigt hier Ordnung zu schaffen. Auf dieser Liste habe ich dir schon alle notwendigen Lebensmittel und Haushaltsgeräte aufgeschrieben die wir brauchen. Du hast doch Geld oder?“ André nickte, er hatte es noch vor ihrer Abreise in Paris geschafft, ohne größeres Aufsehen zu erregen seinen Verdienst der letzten Jahre von seinem Bankkonto aufzuholen. Vorerst würde es reichen. Graf de Girodelle und Alain gesellten sich zu ihnen in die Küche. „Guten Morgen Madame Grandier, André, ich nehme doch an, dass das Frühstück heute ausfallen wird. Ich würde gerne in die Stadt reiten um einige Angelegenheiten zu erledigen.“ „Graf, es tut mir außerordentlich leid, aber gestern hatten wir das letzte Stück Brot verzehrt, aber ich habe André schon aufgetragen einkaufen zu gehen.“ „Das passt ja hervorragend, dann komme ich mit dir oder besser gesagt euch mit, sonst wird es mir hier eh zu langweilig.“ Alain klopfte André aufmunternd auf die Schulter. „Dann lasst uns nicht länger hier herumstehen, satteln wir die Pferde.“ Graf de Girodelle wollte keine Sekunde verlieren. „Wo ist eigentlich Lady Oscar? Ist sie schon wach?“ Seine Frage richtete sich bewusst an André, der augenblicklich leicht errötete. „Ich habe sie heute noch nicht gesehen. Vielleicht möchte sie uns in die Stadt begleiten? Ich sehe mal nach ihr.“ „Nicht nötig André“, Oscar kam gerade zur Tür herein. Sie sah blendend aus, strahlend und wunderschön. „Also wir wollten doch in die Stadt oder? Sophie können wir dich alleine lassen? Wir werden auch alles zu deiner Zufriedenheit erfüllen.“ Die Gruppe begab sich nach draußen, doch Oscar hielt etwas Abstand zu Alain und Girodelle. Sie blieb kurz stehen und hielt André fest „Vielen Dank für heute Nacht.“ Sie küsste ihn, in der Hoffnung nur ein kleines Bisschen dessen zurückgeben zu können, was ihr André letzte Nacht geschenkt hatte. André schmunzelte „Ich danke dir, ma chérie, du hast mir nur gezeigt, dass ich doch etwas richtig gemacht habe.“ Die Pferde waren schnell gesattelt und die vier Freunde, die unterschiedlicher nicht sein konnten, lieferten sich ein kleines Rennen bis kurz vor der Stadt. Es war schnell klar, dass André und Alain mit ihren Pferden nicht mithalten konnten. Oscar machte es dem Grafen nicht gerade leicht, doch schlussendlich siegte Graf de Girodelle mit Diablo. Die Vier beschlossen sich aufzuteilen. André kam es ganz gelegen, dass der Graf und Oscar zur Bank wollten. So konnte er sich in Ruhe um ein Geschenk für Oscar umsehen. Alain kam mit ihm mit und wenn er noch ein paar Pakete für André tragen würde, es wäre auf jeden Fall interessanter als irgendwelchen Gesprächen über Geld zu lauschen, welches ihm nicht gehörte. André erzählte Alain von seinen Absichten und die zwei Freunde vereinbarten zuerst die aufgetragenen Sachen zu besorgen, um dann in aller Ruhe nach einem passenden Geschenk zu suchen. André wusste nur eines, es musste etwas ganz Besonderes sein, was er Oscar schenken wollte. Entweder sollte es in Verbindung mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit oder mit ihrer gemeinsamen Zukunft stehen. Währenddessen betraten Oscar und Viktor die Bank von Arras. „Lady Oscar, ich kann Euch doch alleine lassen, ich würde gerne mit dem Leiter dieser Bank ein kurzes Wort wechseln. Auch ich muss mich um meine finanziellen Belange kümmern.“ „Natürlich Viktor, falls es länger dauern sollte, warte ich draußen vor dem Eingang.“ Oscar hatte zur Sicherheit ihre Geburtsurkunde und ihren Adelsnachweis mitgebracht. Sie wusste, dass es möglich sein könnte, dass man sie nicht erkannte, obwohl der Bankdirektor ein guter Freund ihres Vaters war. Sie atmete erleichtert auf, als sie den Mann am Schalter entdeckte, es war Monsieur Delon, er arbeitete hier seit sie denken konnte. „Bonjour, Monsieur Delon, wie geht es Euch?“ Der Mann der kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag stand, blickte auf und traute seinen Augen nicht. „Lady Oscar, seid Ihr es wirklich? Ihr steht leibhaftig vor mir, wie schön Euch gesund bei uns zu wissen. Jeden Tag erreichen uns nämlich schreckliche Nachrichten aus Paris. Furchtbar was dort vor sich geht.“ „Ja, Monsieur Delon, deswegen sind Freunde von mir und ich hierher nach Arras gereist. Wir wollten uns in Sicherheit wissen, sollte sich die Lage in Paris weiter zu spitzen.“ „Und Euer Dienst bei Hofe? Wieso konnte man Euch so einfach gehen lassen?“ Oscar überlegte kurz, sie wollte jetzt nicht mit der ganzen Geschichte rausrücken. Es ging den Bankangestellten auch so gut wie gar nichts an. Sie entschied sich für eine Notlüge. „Ach wisst Ihr, ich habe den Dienst quittiert, ich verspürte den Drang die Welt zu bereisen. Schlussendlich konnte ich Vater dazu überreden mir dies zu erlauben.“ ‚Eine etwas unglaubwürdige Geschichte’, dachte sich Oscar, sie war eben nicht zum Lügen geboren. Und doch genügte Monsieur Delon diese Antwort. „Nun was kann ich für Euch tun?“ „Etwas Geld wäre nicht schlecht, ich habe doch seit Jahren meinen Sold hierher überweisen lassen. Nun würde ich gerne eine gewisse Summe abheben.“ „Natürlich, einen Moment.“ Der Angestellte staunte nicht schlecht, als er die Aufzeichnungen der Kontobewegungen studierte, in all den Jahren hatte sich ein kleines Vermögen angehäuft. Wenn sie damit vernünftig umging, konnte sie sich davon ein schönes sorgenfreies Leben machen. In der Zwischenzeit bat Graf de Girodelle mit dem Bankdirektor sprechen zu können. „Mein Herr, was kann ich für Euch tun?“ „ Mein Name ist Viktor Clemente de Girodelle. Widrige Umstände zwangen mich Paris überstürzt zu verlassen. Ich bin jetzt in der Hoffnung in Eurem Bankhaus Hilfe zu bekommen, zu Euch gereist. Mir war es in den letzten Tagen nicht möglich meine Geschäfte zu regeln. Da es für Adelige zur Zeit etwas gefährlich ist auf Frankreichsstraßen, möchte ich Euch bitten dieses kleine Geheimnis für Euch zu bewahren. Und ich hätte noch eine Bitte, nehmt doch bitte mit meinem Notar in Paris Kontakt auf und regelt alles Notwendige, damit ich hier in Arras über mein Vermögen verfügen kann. Der Bankdirektor nickte, dieses Anliegen waren nichts neues in solchen Kreisen, es war sein Kredo, dass solche Angelegenheiten nicht nach draußen dringen würden. „Da ich kein Bargeld bei mir habe und ich doch darauf angewiesen bin, bitte ich Euch diesen Ring als Pfand anzunehmen und mir eine gewisse Summe auszubezahlen. Ich wäre Euch sehr dankbar.“ „Natürlich Graf de Girodelle. Wir werden uns sofort bemühen Euch Eure Wünsche zu erfüllen.“ Nachdem alles geklärt war, gingen Oscar und Viktor mit vollen Geldbeuteln aus der Bank. „Nun Madame Jarjayes, was wollt Ihr jetzt tun.“ Oscar blickte in Viktors Gesicht. Er wirkte irgendwie gelöster, freier und sie konnte es nicht leugnen, dass er ein attraktiver Mann war, obwohl er nur unscheinbar gekleidet war. „Was haltet Ihr davon, wenn wir einen Büchsenmacher aufsuchen würden, ich würde mich wohler fühlen wenn mir waffentechnisch besser ausgestattet wären.“ Er musste ihr wohl oder übel zustimmen. Mit dem Degen konnten sie sich im Zweikampf gut verteidigen, sollten jedoch einmal Einbrecher ins Haus einsteigen, waren Gewehre oder Pistolen geeigneter sich zu verteidigen. „Ja, ich stimme Euch zu, doch danach möchte ich einen Schneider aufsuchen. Ich brauche doch etwas zum Wechseln und etwas für Eure bevorstehende Hochzeit.“ Er lächelte sie freundlich an. Ihre Hochzeit hätte Oscar glatt vergessen. Sollte sie sich wirklich um ein Hochzeitskleid kümmern? Sie hatte in dieser Beziehung keinerlei Erfahrung. Sie beschloss sich einmal ein normales Sommerkleid anfertigen zu lassen. Was das Hochzeitskleid anging, da wartete sie auf Rosalie. Sie sollte ihr bei der Auswahl helfen. Die Zeit verging wie im Fluge, und schon schlug die Kirchglocke Mittagszeit. Die vier Freunde fanden sich wie verabredet am Hauptplatz ein. Alain und André konnten alle Punkte die Sophie ihnen aufgeschrieben hatte erfolgreich abarbeiten. Alles war erledigt, nur das Geschenk für Oscar fehlte André. Es stimmte ihn etwas traurig, aber er wusste, dass ihm noch ein paar Tage blieben um etwas passende zu finden. Mit genügend Geld und frischen Lebensmitteln in den Taschen traten sie den Heimweg an. Die Tage vergingen schnell, sie schafften es in windes Eile das sonst so verlassen wirkende Haus so herzurichten als würde man das ganze Jahr darin wohnen. Als Alain auf den Stufen vor dem Eingang eine kleine Pause machte und sich mit frischem Brunnenwasser erfrischte, glaubte er eine Fata Morgana zu sehen. In der Ferne erkannte er zwei Reiter, der eine mit dunkelbraunen Schopf der andere blond. ‚Können das wirklich schon Rosalie und Bernard sein?’ Sie kamen immer näher und Alain sollte Recht behalten. Freudig sprang er auf um die anderen davon in Kenntnis zu setzen. André und Oscar stürmten zu Alain hinaus vor das Haus. Es folgte ein freudiges Wiedersehen. „Rosalie, du kannst dir gar nicht vorstellen wie ich mich freue euch gesund wieder zu sehen!“ Oscar umarmte sie, was Rosalie widerrum überraschte. ‚Wie sie sich doch verändert hatte, sie lässt die Menschen um sich herum viel mehr an ihrem Gefühlsleben teilhaben als früher.’ Rosalie hatte recht, Oscar wurde immer offener ihren Mitmenschen gegenüber. Nicht, dass sie jetzt mit jedem über alles reden würde, doch ließ sie es immer mehr zu ihre Gefühle zu zeigen auch die Schwachen. Diese Wandlung hatte sie André zu verdanken, durch ihn wurde ihr klar, dass nichts verwerfliches daran war einmal nicht stark zu sein oder einmal keine Antwort auf eine Frage zu wissen. Sie war schließlich auch nur ein Mensch, ein Mensch der eine zweite Chance erhalten hatte. Sie wollte das Beste daraus machen. „Nun kommt endlich herein, ihr seid genau richtig zum Tee gekommen.“ Das junge Ehepaar ließ sich dies nicht zweimal sagen. „Ach Lady Oscar, könnt Ihr uns eine kleine Pension in der Nähe empfehlen? Ich würde mich wohler fühlen wenn wir ein Bett für die heutige Nacht hätten.“ Man merkte Bernard eine gewisse Unsicherheit an. „Oh Ihr nächtigt doch sicher bei uns, einen Moment wie regeln wir das am Besten?“, die Zimmer wurden nämlich langsam knapp. „Nun Kommandant, wie wäre es wenn wir die Zimmer tauschen würden, da Eures etwas größer ist und Graf Girodelle würde sich dann zu André und mir gesellen.“ „Wo ist Viktor eigentlich?“ Oscar blickte fragend umher. Soeben hatte er sich in der Tür eingefunden. „Ich hätte ja nichts dagegen, aber ich muss Euch dann doch für zwei bis drei Tage verlassen. Die Bank in Arras hatte Probleme damit von der Bank de Paris mein Vermögen zu übernehmen. Ich muss zurück um meine finanzielle Zukunft abzusichern.“ „Aber Graf de Girodelle, das könnt Ihr nicht tun, es ist doch viel zu gefährlich für Euch, zu mal ihr auf keine Freunde in Paris treffen werdet.“ Oscar hatte nicht ganz Unrecht. Die königliche Garde würde sehr wahrscheinlich nach ihm suchen und die aufgebrachten Menschenmengen und mögliche Diebe und Einbrecher erhöhten die Risiken. „Es nützt alles nichts, wenn wir alle einen Neuanfang wagen wollen, muss ich zurück und einiges klären.“ „Ach was soll’s, ich werde Euch begleiten Graf.“ Alain erhob sich und stellte sich zu Viktor um ihn seine Unterstützung zu demonstrieren. André wollte sich der Truppe schon anschließen, jedoch winkte der Graf und Alain sofort ab. „Nein André, Ihr kümmert Euch darum, dass diesen bezaubernden Geschöpfen nichts geschieht und bereitet bitte ein Fest vor, von dem wir noch im Hohen Alter sprechen werden.“ André fühlte sich in seiner Ehre gekränkt, wie stand er denn vor Oscar da, wenn man ihn wie einen altersschwachen Hund zurück ließ. Oscar war es insgeheim ganz recht, ansonsten hätte sie sich mit den Männern auf den Weg begeben und sie war noch nicht bereit dazu in die Stadt zurückzukehren, die sie beinahe das Leben gekostet hatte. „Aber, Ihr könnt doch nicht ohne“, weiter kam André nicht, da ihm Oscar ins Wort fiel. „André, lass es gut sein, außerdem müssen wir noch einiges für die Hochzeit vorbereiten. Wir wollten doch draußen heiraten, da sollten wir doch zuerst den Pfarrer fragen ob er dies für uns tun würde. Noch dazu brauche ich ein Brautkleid und“, jetzt fiel André ihr ins Wort. „Schon gut, ich habe verstanden, aber um das Kleid kümmere ich mich, wärst du damit einverstanden?“ Natürlich war sie das, sie war nur froh darüber, dass jemand anders diese Aufgabe übernehmen würde. Nun gut, es war beschlossene Sache, Viktor und Alain würden nochmals nach Paris reiten und Oscar und André würden sich um die Feierlichkeiten kümmern. Rosalie und Bernard baten, wie konnte es anders möglich sein, ihre Hilfe an. Auch sie wollten, dass es der schönste Tag in ihrem Leben sein sollte. „Alain, mir wäre es lieber wenn wir heute noch aufbrechen würden, je früher wir Paris erreichen desto besser, ich möchte diese leidige Angelegenheit ein für alle mal vom Tisch haben.“ „Mir soll es nur recht sein Graf, lasst uns nur das Nötigste zusammenpacken und die Pferde satteln!“ „Das werde ich für euch tun, wenn ihr mich schon nicht dabei haben wollt, so will ich wenigsten dafür sorgen, dass die braven Tiere nicht gequält wurden.“ André grinste, er wusste um seine Gabe. Es lag in seinem Wesen, dass ihm jedes Tier mit dem er arbeitete, vertraute. Er hatte nie Probleme ein fremdes Pferd zu berühren, geschweige denn zu reiten. Eine halbe Stunde später verließen zwei Pferde das Ferienhaus der Familie Jarjayes. André blickte ihnen mit etwas Wehmut hinterher. Die zwei Männer kamen gut voran. Sie beschlossen ihr Zelt für die Nacht aufzubauen und machten ein Lagerfeuer. Schweigend saßen sie davor und blickten in die kleine Flamme, die gegen das Ausgehen ankämpfte. „Wenn ich so das kleine Feuer betrachte, erinnert es mich an Lady Oscar.“ Überrascht von so viel Offenheit drehte sich Alain zu Viktor. „Was für ein treffender Vergleich“, er schmunzelte. „Alain, was schätzt Ihr an unserem ehemaligen Kommandanten?“ Was wollte Graf de Girodelle damit bezwecken? Alain war sich nicht sicher, ob er auf diese Frage überhaupt antworten sollte. Warum sollte er auch mit diesem ihn fast fremden Menschen über sein Innerstes sprechen, wenn er es nicht einmal mit seinen Kameraden tat denen er sein Leben anvertraute. Da er nicht wusste was er tun sollte, schwieg er und starrte weiter in die Flammen. „Verzeiht meine indiskrete Frage, doch bei einem Lagerfeuer gerate ich manchmal in so manch Melancholie. Sagt, was habt Ihr für die Zukunft geplant, ich meine, wenn wir aus Spanien zurückkehren?“ Das war wirklich eine gute Frage, denn soweit dachte Alain nun wirklich nicht. Was würde es ihm auch bringen sich seine Zukunft in den schimmerndsten Farben auszumalen, wenn er am nächsten Tag sein Leben lassen könnte? „Nun Graf de Girodelle, genaue Pläne habe ich nun wirklich nicht, doch sollte ich einmal zu Ruhe kommen können, versuche ich mein Glück als einfacher Bauer. Und vielleicht ist mir das Glück hold und ich werde eine Frau finden die dieses einfache Leben mit mir teilen will. Und Ihr?“ „Ich bin mir da noch nicht ganz sicher, natürlich könnte ich in einem fremden Land als Offizier in einer Armee anfangen, doch ich weiß nicht ob man noch auf einen Mann meines Alters wartet, wir werden nun mal alle nicht jünger. Wahrscheinlicher ist es doch, dass ich versuchen werde eine Pferdezucht aufzubauen, mit Diablo hab ich doch einen guten Zuchthengst, noch ist er wendig und schnell aber auch an ihm kratzt die Zeit. Wir werden sehen.“ Sie legten sich schlafen, morgen würde wieder ein anstrengender Tag beginnen. Die Kirchturmglocken schlugen neun Uhr. Alain und Viktor waren schnell vorangekommen und hatten ihr Ziel schneller erreicht als erwartet. Nun hieß es nur mehr in den Wirren der Revolution zum Palais de Girodelle zu gelangen. Die Hauptstraßen quollen vor Menschenmassen über, doch Alain und der Graf waren beide in der Hauptstadt Frankreichs aufgewachsen und wussten um einige Schleichwege. Vor den Toren des Palais war es ruhig, so ruhig als wäre nie etwas geschehen. „Na, das ging ja erstaunlicherweise ohne Probleme über die Bühne.“ „Alain, noch haben wir nicht alles erledigt, ich möchte den Tag nicht vor dem Abend loben.“ Beide Männer steuerten ihre Pferde in die Richtung der großen Eingangstür. Ein beklemmendes Gefühl erwachte in Viktors Brust. ‚Irgendetwas ist hier anders, hier stimmt etwas nicht.’ Und als sie die Tür erreicht hatten, gab Viktor Alain ein Zeichen leise zu sein. Die Tür war aufgebrochen und nur angelehnt. Vielleicht waren die Einbrecher noch im Haus. Man konnte nie vorsichtig genug sein. Mit ihren Degen und den Pistolen bewaffnet begaben sich die Zwei ins Haus. Sie betraten die große Eingangshalle, die nur spärlich von den zwei schmalen Fenstern neben der Eingangstür mit Licht versorgt wurde. Es war ruhig im Haus, zu ruhig. Hatten denn alle Dienstboten und Haushaltsangehörige das Palais verlassen? Flüchteten sie wie die Ratten vom sinkenden Schiff? Graf de Girodelle wollte das obere Stockwerk auf hausfremde Personen durchsuchen und gleichzeitig seine Dokumente mitnehmen. Alain gab zu verstehen, dass er damit einverstanden wäre und sich hier im Untergeschoss umsieht. Viktor verschwand die Treppe hinauf. Langsam öffnete er die Türen der einzelnen Zimmer, alle waren leer und an manchen Stellen erkannte man, dass auch hier gewütet worden war. Jedoch versank das Palais nicht in einem solchen Chaos wie das der Familie Jarjaye. Er ging in sein Schlafgemach. Dort befand sich eine Truhe, in welcher er für sich alle wichtigen Dokumente und Gegenstände aufbewahrte. Erschrocken stand er vor seinem Bett. Die Truhe war aufgebrochen worden und lag nun umgedreht und durchwühlt auf seinem Nachtlager ‚Verdammt, jetzt bin ich wahrscheinlich zu spät gekommen’, schoss es ihm durch den Kopf. Papiere lagen wild durcheinander, Teile davon verweilten sogar am Boden. Mit großer Erleichterung stellte Viktor fest, dass alle wichtigen Unterlagen noch vorhanden waren. ‚Was sollte der Pöbel auch mit solchen Dokumenten anfangen?’ Ein wichtiger Teil seiner Truhe fehlte jedoch, das Erbstück seines Vaters, eine Pistole mit persönlicher Gravur. Die hatten sie mitgenommen, denn dieses Stück konnte man verkaufen und wenn dies nicht gelingen würde, so konnte man doch noch mit ihr schießen. Er versank kurz in seine Gedanken als er Stimmen hörte. ‚Alain, er wird nicht alleine sein’, Viktor packte alle für sich wichtigen Sachen in seinen Rucksack und schlich ins Erdgeschoss. Er konnte währenddessen drei für ihn unbekannte Stimmen ausmachen. Waren es vielleicht mehr Männer, wenn ja, wird es für sie zwei unmöglich sein diese zu überwältigen. Oder vielleicht lag Alain schon tot am Boden, nein, daran durfte er nicht denken, noch dazu war Alain ein erfahrener Soldat, aber vielleicht war er bewusstlos? „Verdammt, bindet mich los, was soll das. Sehe ich etwa aus wie einer von diesen verfluchten Adeligen?“ Viktor atmete erleichtert auf, zumindest konnte er sicher sein, dass Alain noch am Leben war. Er musste es wagen, wenn er nicht den Überraschungsmoment für sich nutzen würde, hätte er keine Chance Alain zu befreien. „Entweder alles oder gar nichts Viktor!“, Graf de Girodelle sprach sich selbst noch einmal Mut zu und schritt auf die Tür des Salons zu, aus der die Stimmen drangen. Er hatte seine Pistole gezogen und die andere Hand am Degen, jederzeit bereit einem Mann die Kehle aufzuschneiden. Er schlich sich an die Tür heran und trat sie mit solch einer Wucht auf, dass der dahinter stehende Mann bewusstlos geschlagen wurde. Vier weitere Männer bildeten einen Halbkreis um Alain der auf einen Stuhl vor ihm gefesselt war. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und Viktor wusste, dass ihn die Männer bewusstlos geschlagen hatten, ansonsten hätte er früher etwas von Alain hören müssen. Nun musste schnell gehandelt werden, es war keine Zeit um Reden zu schwingen, denn sonst hätten sie keine Chance die Stadt lebend zu verlassen. Viktor rannte auf Alain zu, dabei zielte er mit der Pistole auf den Mann der in der Mitte hinter Alain stand. Er drückte ab, keine zwei Sekunden später fiel der Mann tot zu Boden. Jetzt war er nah genug an Alain herangekommen um die Fesseln mit dem bereits gezückten Degen zu zerschneiden. Die anderen drei Männer starrten fassungslos auf ihren am Boden liegenden toten Kollegen. Alain streckte sich kurz nachdem die Fesseln von ihm gefallen waren und griff nach dem Schürhaken der neben dem Kamin stand. Die drei überlebenden Einbrecher zückten ihre Degen und ein heftiges Gefecht begann. Der jüngste der Eindringlinge, er konnte nicht älter als zwanzig sein, verlor als erster seinen Degen, woraufhin Graf de Girodelle gezwungen war ihm mit der Faust niederzustrecken. Viktor wollte so wenig Blut wie möglich vergießen, noch dazu bei so jungen Menschen die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten. Alain war inzwischen mit den anderen zwei Gegnern beschäftigt, die er auf Grund seiner ‚Waffe’ nur schwer in Schach halten konnte. „Alain, fang auf!“, Viktor warf Alain den soeben erkämpften Degen zu, der ihn dankbar auffing. Der Graf wandte sich dem zweiten Gegner Alains zu und er musste zugeben, dass dieser Bursche etwas mehr Erfahrung zu haben schien und einen guten Fechtstil hatte. In diesen Momenten des Kampfes konnte keiner sagen welche Seite gewinnen würde. Alain war noch etwas schwindlig durch den Schlag auf den Kopf den er vorhin erhalten hatte. Er musste ein paar mal schnell auf die Seite springen um den Degenhieb rechtzeitig auszuweichen. Selbst Graf de Girodelle kam in die Bredouille, da er über den umgeworfenen Stuhl von Alain rückwärts stolperte. Er lag am Boden und sein Gegner warf ihm ein hämisches Lächeln zu und hob die Arme um zum Todesstoß auszuholen. Es war seine einzige Chance, er nahm alle Kraft zusammen und stieß seinen Gegner den Degen in die Brust. Speichel gemischt mit Blut drang aus dem Mund der vor Erschrecken und Staunen im Todeskampf offen blieb. Der Einbrecher verdrehte noch die Augen bevor er tot vornüber umfiel. Alain war von seinem Gegenüber bereits in die Ecke gedrängt worden und die Degen beider Kontrahenten kreuzten sich vor ihren Gesichtern unter dem Kinn. Trotz seiner misslichen Lage fand es Alain nicht fair seinen Gegner in die empfindlichsten Teile eines Mannes zu treten, darum entschied er sich für den Kopf und streckte ihn mit einem gezielten Hieb seines Kopfes in dessen Gesicht nieder. Mit einem leichten Stöhnen fiel sein Gegner zu Boden. Alain atmete erleichtert auf, sein Kopf schmerzte jetzt noch mehr und ihn plagte der Durst, so ein Kampf war doch Kräfte raubend. Er ging hinüber zu Viktor und bot ihm die Hand, damit dieser aufstehen konnte. „Alain, Ihr seid ein guter Kämpfer, meine Hochachtung!“ „Graf ich muss Euch danken, nur wenige Männer hätten das Zimmer so gestürmt und sich in eine unüberschaubare Situation gebracht wie ihr. Was haltet Ihr davon, wenn wir uns auf diesen Schrecken hinauf in die nächste Kneipe begeben und uns ein Bier gönnen, dafür wird mein Geld wohl noch reichen“, Alain grinste verlegen, er war der einzige der vier Freunde der in letzten Jahren nichts zur Seite legen konnte, da er seine Familie mit allen Mitteln unterstützt hatte. „Alain, lasst nur, Ihr habt mich hierher begleitet und nun möchte ich Euch einladen, das ist das mindeste. Was würdet Ihr davon halten, wenn wir die Höflichkeiten vergessen würden und wir uns beim Vornamen nennen. Würdet Ihr es annehmen?“ Alain war von so viel Höflichkeit ihm gegenüber verblüfft. „Sehr gerne nehme ich dieses Angebot an, Viktor.“ Die beiden Männer reichten sich die Hände und gingen lachend aus dem Zimmer. Sie merkten nicht, dass der Jüngste der Bande wieder zu Bewusstsein gekommen war und Rache schwor als er seine zum Teil getöteten zum Teil bewusstlosen Freunde sah. Viktor und Alain saßen schon im Sattel, als der Jüngling mit einer geladenen Pistole hinter ihnen her rannte. Er zielte auf Viktor, doch er kam nicht dazu abzudrücken, da Diablo die Gefahr bemerkte und hoch ging. Das Pferd wirkte auf den jungen Mann wahnsinnig, da es seine Mähne wild schüttelte und die Augen etwas Teuflisches in sich bargen. Viktor meinte nur „Lass es gut sein, mein Junge, gegen Diablo würdest du selbst mit deiner Pistole den Kürzeren ziehen“, er trieb sein Pferd an und Alain und er verschwanden in den Straßen von Paris. „Lasst uns in die Bar „Zum tanzenden Bär“ gehen, dort kenne ich den Wirt, er wird uns keine Schwierigkeiten machen.“ Gesagt, getan, eine Viertelstunde später saßen die zwei Männer die gerade um ihr Leben gekämpft hatten bei einem Humpen Bier. Das erfrischende Getränk zeigte bald seine Wirkung, der Alkohol und das zuvor ausgestoßene Adrenalin vermischten sich zu einer Droge die die zwei Gefährten lockerer werden ließ. „Viktor, du hattest mich doch gefragt, was ich so an unseren Kommandanten schätze.“ „Ja Alain, das wollte ich wissen“, Viktor grinste und nahm einen Schluck von seinem Krug. „Nun, wie du sicher selbst bemerkt hast, ist sie eine Schönheit und wenn sie nicht immer in Männerkleidung herumrennen würde……“, Alain verdrehte bei dieser Bemerkung anerkennend die Augen. „Aber Alain, wie denkst du nur vom Kommandanten“, Viktor konnte sich die spitze Anspielung nicht verkneifen. „Ich verstehe dich und obwohl sie doch so kühl und abweisend wirkt, merkt doch jeder Mann welches Feuer in ihr lodert. Was sie sich in den Kopf setzt, vollzieht sie mit Herz und Seele. Sie zeigt ihre Leidenschaft im Kampf, doch etwas untypisch für Frauen.“ Alain konnte nur zustimmend nicken. Viktor hatte es auf den Punkt gebracht. „Alain, du weißt wahrscheinlich nicht, dass ich vor Monaten um die Hand von Lady Oscar angehalten habe.“ „Da muss ich dich enttäuschen Viktor, André und ich hatten eine kleine Auseinandersetzung wegen des Kommandanten, schon damals verteidigte er sie bis aufs Letzte, sie kam zwischen unsere Prügelei und André flehte sie an euch nicht zu heiraten. Sie sollte niemals heiraten. André würde alles für sie tun.“ „Darum denke ich, dass er der beste Mann für Oscar ist, ganz egal was wir fühlen. André weiß ganz genau mit seiner besonnenen Art, wann er in ihrem Schatten stehen und wann er ihr den Weg weisen muss. Ach, Alain vielleicht finden wir passende Frauen die das Leben mit uns teilen wollen, wenn wir in Spanien angekommen sind.“ Nun mussten beide lachen. Sie beschlossen noch das ein oder andere Bier zu nehmen und sich dann auf den Weg zu machen. Da Rosalie und Bernard jetzt bei Oscar, André und Sophie waren, gingen die Arbeiten am Haus noch schneller voran und auch die Hochzeitsvorbereitungen liefen gut. André war sich zwar noch nicht ganz sicher, ob er seine Idee für die Hochzeit verwirklichen sollte. Darum fragte er Rosalie und Bernard, was sie von seinem Einfall hielten. Nachdem André mit seinen Ausführungen fertig war, hatte Rosalie Tränen in den Augen und nickte heftig. „André, das ist eine wunderbare Idee und so romantisch. Wir werden alles tun um dir zu helfen, nicht wahr Bernard?“ „Natürlich, ich war nur so erstaunt über deine Idee. Lass uns gleich morgen in die Stadt reiten um alles notwendige zu besorgen.“ Sie hatten nicht mehr viel Zeit; in drei Tagen sollte das kleine und doch große Fest stattfinden, am 27. August, einen Tag nach Andrés Geburtstag. Auch Oscar dachte verbissen nach, was sie André zu seinem Geburtstag schenken sollte. Natürlich wusste sie etwas, doch war es auch das richtige, würde er sich darüber auch freuen? Sie war sich nicht sicher. Bei ihren Gedanken musste sie schmunzeln, sie stellte sich sein Gesicht vor wenn er das Geschenk öffnen würde. Doch, sie beschloss ihrer inneren Stimme zu folgen, so wie es ihr Vater in seinem Abschiedsbrief geschrieben hatte. Morgen würde sie in die Stadt reiten und das Präsent besorgen. Am 26. August 1789 wachte André mit einem einfachen und guten Gefühl auf. Es würde der schönste Geburtstag seit Jahren werden. Einzig die Abwesenheit von Alain und Viktor bereiteten ihm Sorgen, doch er wusste, solch erfahrenen Männern konnte so schnell nichts zustoßen. Er freute sich auf das Frühstück, heute würden sie eine kleine Feier abhalten und morgen war der Tag der ihm viel wichtiger war. In der Küche erwartete ihn seine Großmutter mit seinen Lieblingsfrühstück, Crépes mit Marmelade und ein großer Becher frischgemahlener Kaffee. „Guten Morgen André, ich wünsche dir alles Gute zu deinem Geburtstag, nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich den noch erlebe!“ Sie lächelte ihn liebevoll an, ihr Enkel war die einzige Verbindung zu ihrem verstorbenen Sohn. Sie war Gott dafür so dankbar, dass wenigstens er ihr geblieben war. Nach und nach kamen Rosalie und Bernard zum Frühstück. Sie wussten von Andrés Geburtstag und gratulierten ihm von Herzen. „André, du weißt, Rosalie und ich haben zur Zeit nicht so viel Geld, aber wir wollten dir etwas schenken und jetzt ist es eben dieses Buch geworden. Wir hoffen, du hast etwas Freude.“ André nahm dankbar das kleine Päckchen entgegen. „Wenn es euch nichts ausmacht möchte ich mein Geschenk heute beim Abendessen öffnen, vielleicht sind dann Alain und Viktor auch wieder bei uns.“ „Natürlich André, du kannst damit machen, was du möchtest“, Rosalie wandte sich bei diesem Satz ihren Pfannkuchen zu, so etwas schmackhaftes und zuckersüßes hatte sie schon lange nicht mehr gegessen. „Ah, was hab ich da gehört, Geschenke werden am Abend ausgepackt? Gut, dann behalte ich noch mein Geschenk für dich!“ Oscar lachte, als sie die Küche betrat. „Geliebte, du bist mir Geschenk genug“, André stand auf um ihr den Stuhl zurechtzurücken. Oscar gab ihm einen Kuss und flüsterte „Alles Gute zu deinem Geburtstag.“ Sie würden heute nur das nötigste machen, es würde untertags viel zu heiß werden, um irgendwelche gröberen Arbeiten zu erledigen. Nachdem Sophie und Rosalie die Küche fertig aufgeräumt, Bernard und André die Pferde versorgt hatten und Oscar einige Briefe geschrieben hatte, entschieden sie sich den Tag getrennt von einander zu verbringen. Andrés Großmutter zog es vor sich in ihrem kühlen Zimmer auszuruhen. Die ständige Hitze, zuerst in der Küche und dann noch durch die stetig steigende Augustsonne machte ihr zu schaffen, Sie war eben keine dreißig Lenze mehr. Bernard und Rosalie nutzten die Gelegenheit und entschieden sich für einen Spaziergang im nahe gelegenen Wald. Wie lange waren sie nicht mehr als Ehepaar zusammen gewesen, zu viel war in letzter Zeit passiert um ihr junges Eheglück zu genießen. André nahm sich eine Decke und ein Buch und machte es sich unter der großen Kastanie, die etwas abseits vom Haus stand, gemütlich. Er setzte sich unter den riesigen alten Baum, lehnte sich an dessen knorrigen Stamm und schloss die Augen. Es war ruhig, er hörte nur das Rascheln der Blätter der mächtigen Baumkrone im Wind. Dieser Moment ließ ihn noch klarer denken, alles ergab für ihn einen Sinn, er fühlte sich ausgeglichen und zufrieden. Als er die Augen öffnete, stand Oscar vor ihm. „Wie ist das möglich, ich habe dich nicht kommen hören?!“, André war etwas verdutzt, sein Gehör war doch in Ordnung, oder doch nicht? Als er an ihr hinunterblickte, sah er, dass sie barfuss im Gras stand; darum keine Geräusche. „Ist hier noch ein Platz frei bei dir auf der Decke?“ „Nun, kommt ganz drauf an, was Madame wünschen!“, er grinste Oscar ins Gesicht. „Frieden, Geborgenheit und dich.“ André streckte ihr seine Hand entgegen als Zeichen zu ihm zu kommen. Sie legten sich beide hin, den Blick in die Krone des Baumes gerichtet. „Wie die Zeit doch vergeht André“, Oscar wirkte etwas melancholisch. „Ja, aber wir haben noch unser ganzes Leben vor uns.“ Er drehte sich zu ihr und sah sie an, wie engelsgleich sie doch ist, immer schon war sie die Schönste und morgen sollte sie seine Frau werden. „Ist etwas mit dir, du wirkst auf einmal so betrübt?“, André konnte seinem Instinkt vertrauen wenn es um Oscars Emotionen ging. „Vielleicht ist es für gewisse Sachen schon zu spät.“ Wovon sprach sie jetzt, von ihrer Krankheit, von seinem Auge. „Oscar, du verwirrst mich, worauf willst hinaus?“ „Nun ja, ich werde auch nicht jünger und durch die Tuberkulose wurde mein Körper sehr geschwächt und….“, André wusste immer noch nicht, worauf sie hinaus wollte und irgendwie war es ihm auch egal. „Ach Oscar, mach dir nicht immer Gedanken, es kommt wie es kommen muss.“ Er beugte sich zu ihr und küsste sie mit einer Zärtlichkeit, die ihr Innerstes zum Brennen brachte. Er hatte ja Recht, es würde sich zeigen ob sie sich umsonst Sorgen machte oder nicht. André schmiegte sich an sie und versank mit der Hand auf ihren Bauch in einen leichten Dämmerschlaf. Der Boden erschütterte durch das Hufgetrampel. Oscar und André fuhren hoch, wie lange hatten sie wohl geschlafen, die Sonne stand tief am Himmel, es würde so gegen vier Uhr nachmittags sein. Sie blickten sich überrascht an und wussten, dass es nur Alain und Viktor sein konnten, die sie in der Ferne entdeckten. Sie sprangen auf und liefen ihnen entgegen. „Alain, Viktor, wie schön, Euch ist nichts geschehen.“ „Oh, Kommandant, nicht so laut, mir brummt der Schädel“, Alain sah wirklich etwas mitgenommen aus. „Aber Alain, kommt das jetzt vom Schlag auf den Kopf oder dem Bier, welches du gestern hinuntergestürzt hast?“ Viktor fragte extra schnippisch, da Alain glaubte ihn beim Trinken besiegen zu können. Viktor lachte laut und sah Oscar und André belustigt an „Man traut dem Adel einfach nichts zu. Nun komm schon Alain, mach vorwärts, ich habe Hunger und freue mich schon auf Madame Grandiers gute Küche.“ „Wie kannst du jetzt ans Essen denken, wenn es mir so schlecht geht?“ „Tja, als erwachsener Mann sollte man seinen Grenzen kennen.“ Nun mussten sie alle lachen. „Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen, nicht wahr Alain?“ Selbst André konnte nicht anders und zog seinen Kameraden auf. Nachdem sie die Pferde versorgt hatten, begaben sich alle vier ins Haus, Bernard und Rosalie, die es sich im Salon gemütlich gemacht hatten, hörten den Lärm und gingen nachsehen, wer denn ihre Ruhe störte. „Ah, da wir jetzt alle hier versammelt sind, können wir doch Andrés Geburtstag richtig feiern, was meint ihr“, Rosalie blickte fragend in die Runde. „Das denke ich auch, länger sollte mein Kuchen auch nicht herumstehen.“ Andrés Großmutter kam gut gelaunt aus ihrem Zimmer und rieb sich die Hände. „So wer von Euch möchte auch Kaffee? Alain, du siehst so aus, als hättest du ihn bitter nötig!“ Alle lachten. „Ja Großmutter Grandier, das wäre genau das Richtige für mich.“ „Na dann, auf zu Kaffee und Geburtstagskuchen!“ Sie machten sich auf in die Küche. „André, wenn ich gewusste hätte, dass Ihr heute Euren Geburtstag feiert, dann hätte ich….“, Viktor blickte etwas beschämt zu Boden. „Viktor, es ist mir schon eine Ehre, dass Ihr mit mir an einem Tisch sitzt und feiert. Was brauchen wir mehr?“ Graf de Girodelle sah in dankend an „Alles Gute André, mögen sich all Eure Wünsche erfüllen. Da fällt mir noch ein, ich habe es Alain während unserer Reise angeboten, wollen wir uns nicht auch bei den Vornamen nennen? Das macht vieles einfacher.“ „Euer Angebot ehrt mich und ich nehme es dankend an.“ „Doch nun lass uns nicht länger warten, sonst verspeist Alain den Kuchen ganz alleine.“ Nachdem sie alle ihren Kuchen mit Genuss verschlungen hatten, öffnete André sein Geschenkpäcken von Bernard und Rosalie. „Ein Wörterbuch, Französisch – Spanisch, wunderbar, es wird uns sicher sehr nützlich sein. Habt Dank.“ „Wofür soll es nützlich sein André, sag schon.“ „Ach, das war nur so gesagt Großmutter, wir wissen doch alle nicht was die Zukunft bringen mag, hab ich nicht recht?“ Er versuchte sich noch herauszureden, seine Großmutter wusste doch noch nichts von ihren Plänen und sie wollten sie nicht verstimmen so kurz vor der Hochzeit. „Nun gut André, du weißt ich habe nicht so viel Geld, aber ich wollte dir auch etwas schenken, darum bekommst du etwas von mir, das du auf jeden Fall brauchen wirst“, mit diesen Worten legte Sophie ihm ein mittelgroßes Paket auf den Küchentisch. „Alles Gute mein Junge!“ André war überrascht, er hatte seit er ein Junge war nichts mehr von seiner Großmutter zum Geburtstag geschenkt bekommen. „Ach Großmutter, das wäre doch nicht notwendig gewesen.“ „André, rede nicht so viel, pack es lieber aus, ich bin doch so neugierig.“ Oscar hatte zwar eine Ahnung, was sich in der Verpackung befand, doch wollte sie ihren Verdacht bestätigt haben. „Ein Anzug, ich kann mir schon denken wofür der sein soll, habt vielen Dank, den kann ich gewiss brauchen.“ Vor ihm lag eine neue Kniebundhose aus einen schwarzen leichten Baumwollstoff, ein neues Hemd aus feinster Seide welches schon allein ein Vermögen wert war und ein neuer Gehrock, es war ein sehr feiner, leichter Stoff und doch passend für einen Gehrock, durch die dunkelgraue Farbe wirkte er sehr edel und elegant und hob sich von dem Schwarz der Hose ab. Oscar stellte sich André in diesem Gewand vor und verlor sich in ihrer Welt. „Oscar, Oscar, träumst du, dein Kaffee wird doch kalt!“ André tätschelte ihre Hand, nicht nur der Kaffee wurde kalt, auch sie hatte doch ein Geschenk für André. Sie sprang auf und lief in ihr Zimmer. Mit einer kleinen Schachtel kehrte sie zurück zur Gruppe. „André, auch ich habe etwas für dich, aber ich weiß nicht, ob es ein richtiges Geburtstagsgeschenk ist?“ „Oscar, das war nicht notwendig, mit dir habe ich alles was ich brauche“, er strahlte sie an. Oscar schob ihm die kleine Schachtel hinüber und wie er sie öffnete, schluckte er einmal kräftig. „Oscar, das kann ich nicht annehmen, das geht nicht.“ „André, die sind für uns beide, ich war mir zuerst nicht sicher ob wir Eheringe brauchen oder nicht, doch als ich sie sah, fühlte ich, dass es genau das richtige Geschenk ist. Die ganze Welt soll auch durch diese Ringe sehen, dass wir zwei zusammengehören. Bitte nimm sie an, damit wir sie morgen bei der Trauung tauschen können.“ André war sprachlos, er wusste nicht, ob er etwas sagen sollte. Es betrübte ihn ein bisschen, dass er nicht selber auf den Gedanken gekommen war und doch war er über die Idee dankbar. „Danke, ma chérie“, er küsste sie und hielt ihre Hand. „Nun wenn wir schon beim Thema Trauung sind, planen wir den morgigen Tagesablauf“, wieder nahm Sophie die Führung in die Hand „Lady Oscar, Ihr werdet morgen in der Früh zur Beichte gehen, ich werde in der Zwischenzeit mit Rosalie alles notwendige herrichten. Den größten Teil des Essens haben wir ja schon vorbereitet. Ihr werdet dann ein Bad nehmen und die Haare richten. Dann könnt Ihr Euch bis kurz vor vier ausruhen. Um vier Uhr Nachmittag ist die Zeremonie, dass mir das keiner vergisst. André du wirst eine Stunde später in die Stadt zum Pfarrer reiten, um zu beichten und vergiss nicht ihm eine Kutsche zu reservieren, damit er nicht zu spät kommt. Alles andere wird erledigt sobald es anfällt. Hat noch jemand eine Frage? Nicht, na dann ist es ja gut!“ Sie lächelte zufrieden, keiner würde es wagen Sophie wegen der Planung dagegen zu reden. Sie öffneten ein paar Flaschen Wein und hörten gespannt den Ausführungen von Alain und Viktor. Wie sie von ihrem kleinen Kampf erzählten, blieben den anderen der Mund offen. Sie waren nur froh, dass sie gesund zurückgekommen waren. Sophie begab sich nach dem Abendessen bald in ihr Bett. Sollten die jungen Leute ruhig noch zusammen sitzen, morgen war ein wichtiger Tag, den sie auf keinen Fall verpassen wollte. Kurz vor Mitternacht beschlossen die Freunde sich ins Bett zu begeben, jeder wollte frisch und erholt den morgigen Tag beginnen. Oscar war nach Sophie die erste, die sich zum Frühstück in die Küche begab, sie wollte so schnell in die Stadt wie nur möglich und diese leidige Beichte hinter sich bringen. Nach einem Stück Brioche und einem Milchkaffee machte sie sich auf den Weg. Sie war doch etwas verwundert, dass sie noch keinen der anderen begegnete. Währendessen waren André und Bernard schon fleißig am Handwerk, Oscar sollte doch nichts von ihrer Überraschung mitbekommen. Die Zeit verging wie im Flug und André musste sich beeilen nicht zu spät in die Kirche zu kommen. „Bernard kannst du das alleine auch fertig machen, bitte?“ „Aber ja doch, geh ruhig, wenn ich Hilfe brauche, frage ich Alain oder den Grafen, ob sie mir helfen können. Los beeil dich!“ André spurtete los. Da jeder etwas zu tun hatte, dachte keiner an die Zeit und als sie sich versahen, war es zwei Uhr nachmittags. Oscar ruhte derweil in ihrem Zimmer, sie bemerkte, wie sich die Nervosität in ihr breit machte, sie war aufgeregt und ihre Hände wurden feucht. Doch es war keine Angst, sie freute sich, sie selbst hätte sich nie denken können, dass sie sich über eine Hochzeit freuen würde und jetzt war sie kurz davor einen Mann zu ehelichen. André inspizierte noch ein letztes Mal seine Überraschung für Oscar und konnte beruhigt feststellen, dass alles so geworden war, wie er es sich vorgestellt hatte. Er beschloss sich am Brunnen zu waschen, das ging erstens schneller und zweitens freute er sich schon auf das erfrischend kalte Wasser aus der Tiefe. Er zog sich bis auf seine Unterhose aus und schüttete sich sogleich einen Kübel Wasser über den Kopf. Er glaubte sein Herz würde für einen Moment aussetzen, so kalt war das Wasser. Schnell griff er zur Seife und schäumte seinen Kopf und Körper ein. Ein Hauch von Rosenduft umgab ihn. ‚Noch schnell den Schaum abwaschen, die Feinheiten erledige ich in meinem Zimmer. Verdammt, Oscars Kleid, sie hat es noch gar nicht in ihrem Zimmer.’ André beeilte sich und packte seine sieben Sachen zusammen. Er rannte los, holte das Paket aus seinem Zimmer, legte es vor Oscars Tür und klopfte. Er verschwand gleich wieder, so sollte sie ihn an diesem wichtigen Tag nun wirklich nicht sehen. Oscar war überrascht, als sie die Tür ihres Zimmers öffnete und noch überraschter blickte sie auf das Paket. Jetzt kam es ihr auch in den Sinn. ‚Mein Kleid, ich wollte doch heute ein Kleid anziehen’, neugierig riss sie das Papier auf, in dem sie etwas Weiches spürte. Und wirklich, da war es, ein Traum aus Weiß mit kleinen, zarten Blumen in blau-violett gehalten. Es war kein typisches Kleid für eine Hochzeit und doch musste sie zugeben, dass es ihr gefiel, sehr sogar. Sie öffnete die Tür und rief nach Rosalie. „Lady Oscar, Ihr habt gerufen?“ „Rosalie, würdest du mir bitte helfen, ich würde gerne mein Kleid anziehen.“ „Es wäre mir eine Ehre“, Rosalie selbst hatte für die Feier ein schlichtes Kleid an, es war aus einem zartrosafarbenen Stoff, sie wirkte damit noch mädchenhafter als sonst. „Ich glaube, um das dazugehörende Korsett kommt Ihr heute nicht herum“, Rosalie war es bewusst, wie sehr Oscar ein Korsett verabscheute. „Na dann Rosalie, jeder muss doch Opfer bringen, nicht wahr?“, sie zwinkerte ihr zu. Als Rosalie damit fertig war Oscar zu schnüren, war Oscar froh nur den restlichen Tag im Mieder verbringen zu müssen. Zeitweise kam es ihr so vor, als würde sie ersticken doch nach und nach gewöhnte sie sich an die Enge und wusste wie sie zu atmen hatte. „Lady Oscar, habt Ihr eine Vorstellung welche Frisur ihr dazu tragen wollt oder bleibt Euer Haar offen?“ Darüber hatte sich Oscar auch keine Gedanken gemacht. „Was sagst du Rosalie, hast du eine Idee?“ „Nun um ganz ehrlich zu sein hab ich mir da schon ein paar Gedanken gemacht. Es sollte etwas Natürliches sein, ich finde, Ihr solltet Euer Haar offen tragen. Ich war doch gestern mit Bernard spazieren und da hab ich mir erlaubt euch einen Blumenkranz aus den Wiesenblumen zu flechten, nur weiß ich nicht, ob er euch gefallen würde“, sie sah Oscar verlegen an. „Rosalie, was würde ich ohne dich machen, das ist eine fabelhafte Idee. Bringst du ihn gleich hoch, bitte?“ Rosalie nickte erleichtert und machte sich auf in ihr Zimmer. Als sie zu ihrem und Bernards Zimmer ging um den Blumenschmuck zu holen, kam sie an der Kammer von Alain und André vorbei. Sie hörte mehrere Stimmen aus dem Raum ertönen. „André, nie würde man vermuten, dass du ein ehemaliger Stallbursche bist mit diesem Gewand!“ „Danke Alain, danke, dass du mich immer wieder an meine Herkunft erinnern musst.“ André stand etwas kritisch vor dem kleinen Spiegel und betrachtete sich. Konnte er so vor Oscar treten? Was würde sie denken? „Ach André, hör nicht auf diesen Schwätzer, du siehst fabelhaft aus. Deine Großmutter weiß, was dich kleidet.“ Graf de Girodelle sprach einige aufmunternden Worte, sicher war der junge Mann vor so einem wichtigen Einschnitt in seinem Leben ziemlich nervös und brauchte seelische Unterstützung. „André, glaube mir, Oscar würde dich auch im Kartoffelsack heiraten, da bin ich mir sicher“, Bernard meinte diese Worte todernst. Er hatte noch nie zwei solche Menschen getroffen, die alles für einander tun würden wie diese beiden. Rosalie lauschte belustigt an der Tür ‚also geht es doch jedem gleich vor so einem Ereignis’, sie dachte an ihre eigene Hochzeit mit Bernard, auch sie hatte kurz davor Angst den Erwartungen nicht gerecht zu werden, aber sie wurde eines besseren belehrt. Schnell ging sie das gewünschte Schmuckstück holen und eilte rasch in das obere Stockwerk. Als Rosalie Oscar fertig vor sich sah, war sie gerührt. Noch nie war Oscar so schön wie jetzt. Dieses Gewand spiegelte Oscar wieder und wurde ihrem Wesen gerecht. Die Blumen im Haar repräsentierten das Wilde und die Liebe zur Natur, das einfache und doch wunderschöne Kleid ihre Klarheit, Bodenständigkeit und Geradlinigkeit und ihre Schuhe… „Lady Oscar, Ihr habt keine Schuhe an!?“ „Ich habe auch nicht vor welche zu tragen, erstens habe ich keine passenden, zweitens ist es viel zu warm für Schuhwerk und drittens will ich spüren dass doch alles kein Traum ist. Vielleicht hilft es mir wenn ich barfuss gehe“, sie strahlte einfach nur noch. Von draußen hörte sie ein Rattern der Kutsche die den Pfarrer brachte. Nun war es soweit. „Lady Oscar, wo seid Ihr, seid Ihr noch nicht fertig?“ Sophies Stimme hallte durch das ganze Haus. „Ich komme schon“. Unten am Treppenabsatz wartete bereits Sophie und Graf de Girodelle. Er hatte einen neuen Anzug an, den er sich in Arras hatte schneidern lassen. Wie immer gab er eine imposante Erscheinung ab. Er stutzte, als er Oscar und Rosalie von oben herunterkommen sah. Nie hätte er sich gedacht, dass sie noch schöner sein konnte als in ihrer Uniform, er musste zugeben, dass er sich getäuscht hatte. „Lady Oscar, da Euer Vater nicht anwesend ist und ich der Älteste der hier anwesenden Männer bin, würde ich euch gerne zum nicht vorhanden Altar geleiten.“ Oscar gefiel die Idee und willigte ein. Hinter dem Haus war schon alles fertig aufgebaut. Etwas abseits vom Haus waren die Tische für das danach stattfindende Fest hergerichtet, die anderen warteten bereits unter dem großen Lindenbaum, der in der Augusthitze wunderbar Schatten spendete. Sophie räusperte sich etwas, damit alle ihre Aufmerksamkeit auf Oscar richteten. Als André sich in ihre Richtung drehte, glaubte er jeden Moment umzukippen. War es denn wirklich seine Oscar? Die Oscar, die am liebsten Hosen trug und jedes Ziel beim Tontaubenschießen traf? Als sie bei ihm angekommen war, überreichte Graf de Girodelle ihm ihre Hand. André würde sie nie wieder loslassen. Oscar flüsterte „Und Monsieur Grandier, möchtet Ihr mich so immer noch zur Frau nehmen?“, er sah sie fast hypnotisierend an und sagte „Du bist bezaubernd, danke“, er küsste ihr Hand. Nun fing der Pfarrer mit der Trauung an. „Bevor ich Euch nun frage, ob Ihr diesen Mann zu Euren Ehemann nehmen wollt, möchtet Ihr noch etwas sagen?“ „Ja, das möchte ich. André, wir kennen uns seit wir Kinder sind, haben Höhen und Tiefen gemeinsam durchgestanden. Jetzt stehen wir hier vor unseren Freunden und vor Gott als Liebende und ich weiß, dass wir gemeinsam alles schaffen werden, denn durch dich fühle ich mich vollständig.“ „Oscar, mein einzige Liebe, nichts kann mich mehr erschüttern, denn ich habe deine Liebe gespürt. Und selbst im Tod bin ich mir sicher, dass unsere Seelen vereint sein werden.“ Beide hielten die Hände des Anderen bei diesen Worten und Oscar entflammte wieder ein Gefühl, welches nur André auszulösen wusste. „Wollt Ihr, Oscar Francois de Jarjayes, André Grandier zu Eurem Mann nehmen?“ „Ja, ich will“, Oscar rann eine Träne über ihre Wange, verlegen wischte sie sie fort und lächelte. „Und wollt Ihr, André Grandier, Oscar Francois de Jarjayes zu Eurer Frau nehmen?“ „Ja, ich will“, André sah sie in diesem Moment so ernst aber trotzdem mit so viel Liebe und Zärtlichkeit an, dass sie sich eine weitere Träne nicht verkneifen konnte, doch diesmal trocknete André sie. Nachdem sie diese wenigen und doch wichtigen Worte ausgesprochen hatten, steckten sie sich gegenseitig die Ringe an um ihrer Verbundenheit noch mehr Ausdruck zu verleihen. „Dann erkläre ich Euch vor Gott für Mann und Frau. Ihr dürft die Braut nun küssen.“ Gott sei Dank kam der Pfarrer bald zum Ende, denn länger hätte André nun wirklich nicht warten können. Alle Anwesenden klatschten gerührt, als sich Oscar und André das erste Mal als Ehepaar küssten. „Madame Grandier, Ihr nehmt doch den Namen eures Gatten an?“ „Ähm, natürlich.“ „Dann bitte ich euch nur noch diese Papiere die mir der Stadtbeamte mitgegeben hat zu unterzeichnen, ich werde sie dann, wenn es euch recht ist, beim Rathaus abgeben. Somit wäre dann alles erledigt.“ Der Pfarrer lächelte, noch mehr lächelte er wie er ein kleines Säckchen mit Münzen von Oscar in Empfang nahm. „Ehrwürden, ein kleines Zeichen meiner Dankbarkeit, wir wissen es sehr zu schätzen, dass ihr zu unser gekommen seid und uns vermählt habt. Wollt ihr nicht noch den Feierlichkeiten beiwohnen?“ „Habt Dank, aber ich habe einer alten Witwe versprochen sie heute noch zu besuchen und ihr Trost zu spenden. Dann verabschiede ich mich. Adieu!“ Die kleine erlesene Gesellschaft sah ihm nach, insgeheim waren sie doch alle froh gewesen, dass der Pfarrer wieder ging. So waren sie unter sich. „Na dann, lasst uns zu den Feierlichkeiten schreiten“, Alain war natürlich der erste, der ein von Bernard gefülltes Glas mit Wein in Empfang nahm. „Ich möchte als ehemaliger Untergebener und Kamerad eine kleine Rede halten. Darf ich?“ „Tu dir keinen Zwang an, Alain!“ „Danke André. Wie ihr wisst kenn ich euch noch nicht so lange wie all die anderen Anwesenden und doch seit ihr mir in der kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen und das obwohl wir solche Anfangsschwierigkeiten hatten.“ Er sah dabei Oscar an, die ihm zustimmend anlächelte. Wie hatte sich doch dieser Mann gegen sie gewehrt und ihren Befehlen getrotzt? Und jetzt zählte er zu ihren engsten Vertrauten. „Als ich Euch, Kommandant“, er stutzte, denn ihm kam der Titel Kommandant lächerlich vor, so wie sie vor ihm stand, „Lady Oscar und André das erste Mal gemeinsam erlebte, wusste ich welch unsichtbares Band euch beide verbindet. Ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, wann ihr beide zueinander findet und jetzt dürfen wir mit euch dieses Fest eurer Liebe feiern. Habt Dank und auf das diese Ehe ewig währt! Salut“, Alain erhob sein Glas und prostete dem Paar zu. „Salut“, stimmten die anderen mit ein und man entschied sich an der im Garten gedeckten Tafel Platz zu nehmen. Unbemerkt von den Feiernden ging die Sonne unter und die Kerzen wurden entzündet. Es wurde viel gelacht und gescherzt, es war eine ausgelassene Stimmung und die Gesellschaft vergaß schnell, welche Kämpfe und Unruhen zur selben Zeit in Paris stattfanden. Es war, als wären sie alle auf ihren eigenen kleinen Planeten die nichts von der Welt um ihnen rundherum wahrnahmen. Als es schon finster war und der Mond nur spärlich Licht spendete wurden die ersten von der Müdigkeit übermannt. „Bernard, wollen wir nicht zu Bett gehen? Ich bin schon so müde, die Arbeit am Vormittag und die Hitze hier heraußen, der Wein und das gute Essen, ich kann einfach nicht mehr“, Rosalie war nicht ganz ehrlich zu ihrem Mann, sie wollte einfach noch ein paar ruhige Stunden mit ihm verbringen. „Wenn du meinst, mein Schatz und wenn uns die anderen entschuldigen.“ „Heute soll jeder das machen, was er für richtig hält und wonach es ihn durstet.“ André blickte Oscar mit so einer Eindringlichkeit an, dass sie wusste, worauf er hinaus wollte. Auch sie wollte mit ihm endlich alleine sein. Zu lange waren die letzten Nächte, die sie getrennt von ihm verbracht hatte. „Ich begebe mich auch zu Bett, Adieu“, Sophie wartete auf keine Bemerkung, der Wein zeigte bei ihr heute besonders seine Wirkung und nur mit Müh und Not wankte sie ins Haus. „Na dann, glückliches Ehepaar, Alain, Viktor, wir wünschen Euch eine gute Nacht“, Bernard zwinkerte André bei diesen Worten zu, der wiederum nur nickte. „Viktor, was hältst du davon, wenn wir uns noch ein Fläschchen von diesem ausgezeichneten Wein genehmigen würden, allerdings im Salon, die Mücken hier heraußen machen mich noch wahnsinnig.“ „Eine ausgezeichnete Idee Alain, du nimmst die Flaschen und ich die Gläser. Au revoir Oscar, André!“ Oscar und André wussten gar nicht, wie ihnen geschah, so schnell verschwanden ihre Freunde im Haus. „Wollen wir nun auch zu Bett gehen“, Oscar sah André fragend an. „Hm, nicht ganz, ich habe nämlich eine kleine Überraschung dich!“ ‚Eine Überraschung’, schoss es Oscar durch den Kopf, sie hatte doch auch noch ein Geschenk für André. „Warte hier kurz, ich muss nur schnell etwas aus meinem Zimmer holen“, und weg war sie. Oscar ließ André einfach im Kerzenschein zurück. Er stand auf und streckte sich durch. Was würde sie wohl sagen, wenn sie seine Überraschung sah, würde sie sich freuen? Es würde nicht lange dauern, dann bekam er seine Antwort. So schnell Oscar davon gerannt war, so schnell kam sie wieder. Sie war außer Atem, so hatte sie sich beeilt. „Komm Oscar, ich will endlich wissen, was du von meiner Idee hältst“, André nahm eine Kerze in die eine Hand und Oscars Arm in die andere. Sie gingen durch das Grün, welches sich hinter dem Haus erstreckte, das Gras reichte ihnen bis knapp zur Hüfte und es roch nach den wild wachsenden Blumen. Sie konnte nur Umrisse erkennen und wunderte sich, dass André so selbstsicher voranschritt. Sie konnte etwas großes erkennen, und dann, es war ein Zelt. Es sah sehr orientalisch aus, wie aus Tausend und einer Nacht. Im Inneren des Zeltes brannten kleine Lichter. „André, hast du das Zelt hier aufgebaut?“ André nickte „Ich wollte etwas besonderes für unsere Hochzeitsnacht, und wir sollten alleine sein und als ich in Arras dieses Zelt gesehen hatte, wusste ich, dass es genau das Richtige war.“ Beide betraten das Zelt, es war hoch genug, dass beide aufrecht stehen konnten, das Innere war mit Matratzen, Decken und unzähligen Polstern ausgestattet. Zwei größere Windlichter spendeten etwas Licht, es war alles sehr stimmig. „Gefällt es dir“, André war sich nicht schlüssig über Oscars Meinung. „André, es ist wunderbar, danke“, sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen um ihren Mann zu küssen. ‚Mein Mann’, es fühlte sich einfach nur richtig an, als sie das dachte. „So, was wolltest du mir zeigen?“ André erinnerte sich an das Päckchen, welches Oscar in ihren Händen hielt. „Ach André, wenn ich das hier alles sehe, komme ich mir so lächerlich vor, ich weiß nicht mehr, ob ich es dir wirklich geben soll?“ „Oscar, du weißt doch, dass ich dich liebe und alles was von dir kommt. Bitte zeig es mir!“ Er setzte sich erwartungsvoll auf die Matratze und wartete darauf, dass Oscar neben ihm Platz nahm. Sie legte ihr Paket in seinen Schoß. Gespannt machte André die Schnüre auf und öffnete das Papier. Er sah auf das Geschenk und dann auf Oscar „Soll das heißen?“ „André, lass mich bitte erklären, ich wollte dir damit zeigen, dass ich in den letzten Wochen sehr viel nachgedacht habe und zu dem Entschluss gekommen bin, dass es noch etwas anderes in meinem Leben gibt als das Heer und Kämpfe. Ich will dir damit zeigen, dass ich mich auch auf meine weibliche Seite einlasse und wenn du es möchtest, können wir eine richtige Familie werden. Ich kann dir nicht versprechen ganz mit dem Fechten oder dem Schießen aufzuhören aber“ weiter kam sie nicht. André fiel ihr ins Wort „Danke, das ist mehr als ich mir hätte vorstellen können. Natürlich wünsche ich mir auch Kinder mit dir, nur war ich mir nie sicher, wie du zu diesem Thema stehst, da es für dich den größeren Einschnitt in deinem Leben birgt“, André hatte in dem Paket ein Kindertaufkleid erhalten. Nie hätte er gedacht, dass Oscar auch über diese Möglichkeit in ihrem Leben nachdachte und sie wusste nicht wie glücklich sie André mit diesem Geschenk machte. „Auch ich habe noch eine Kleinigkeit für dich. Er griff unter die Matratze auf die er saß und reichte Oscar eine kleine Schachtel. „Ich wollte dir etwas sehr persönliches schenken, zuerst wusste ich auch was es genau werden sollte, doch dann hab ich dieses Stück im Laden gesehen!“ Oscar wurde neugierig, wie sie die Schachtel öffnete, blitzte ihr ein silbernes Medaillon an einer Kette entgegen. „Den Anhänger kannst du öffnen und…..“, Oscar tat es, sie öffnete den Anhänger und fand eine winzige Phiole mit einer roten Flüssigkeit darin. „Ist das dein Blut, André?“ Er senkte seinen Blick „Ich wusste nicht wie ich es anders hätte symbolisieren sollen, es soll dir klar machen und immer wieder zeigen, dass ich mein Leben für dich geben würden, dass ich nur dir meine Seele schenke und keinem anderen Menschen.“ Oscar, nahm die Kette aus der Schachtel und hängte sie sich um, noch nie hatte sie so ein Schmuckstück besessen, vor allem mit so einem Inhalt. „Ich liebe dich“, Oscar wollte nun nicht mehr länger reden, durch Andrés Geschenk und seine Gedanken die er sich dazu gemacht hatte, entflammte wieder in ihr dieses Verlangen ihn zu berühren, im Nahe zu sein, in die Welt seiner Berührungen einzutauchen, nur seine grünen Augen zu sehen und rundherum die Welt zu vergessen. Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn. Sein Geruch und seine sanften Lippen brachten sie um den Verstand. Oscar löste die Bänder seines Hemdes, sodass es nur mehr locker an seinem Körper lag. André streifte es ab und widmete sich Oscar. Sie betrachtete ihn kurz, seine Haut war von der Sonne gebräunt und er wirkte noch muskulöser als sonst. Verloren blickte sie an sich hinab, um von ihrem Gewand los zu kommen, benötigte sie Hilfe. „Darf ich Euch behilflich sein, Madame Grandier?“ André grinste sie auf Grund ihres verlorenen Gesichtsausdruckes an. Sie standen beide auf, Oscar stand mit dem Gesicht zu André gewandt, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte während er das Kleid und das Korsett öffnete. „Monsieur Grandier, ich wusste zwar von Eurer Fähigkeit mit Pferden umzugehen, aber das Ihr mit Frauen ein ebenso großes Geschick an den Tag legt, ist mir neu“, nun begann Oscar ihn zu necken. Als er fertig war und schlussendlich auch das Korsett zu Boden fiel, beugte er sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr „Da gibt es weniger Unterschiede, als du glaubst, du brauchst es nur mit Liebe und Hingabe tun“, mit diesen Worten hob er sie auf seine Arme und trug sie auf die Matratzen. Sie versanken in einen innigen Kuss. Sie vergrub ihre Hände in seinen vollen, schwarzen Haaren. Obwohl es nicht die erste Nacht war, die sie miteinander verbrachten, war es für beide doch etwas ganz Neues. Alles fühlte sich noch intensiver, viel realer an. Sie waren beide bis auf ihre Unterwäsche entblößt, als Oscar André plötzlich etwas zuwisperte „Lass uns nach draußen gehen“, André sah sie verstört an „Was sollen wir draußen?“, André brauchte eine Sekunde länger um zu verstehen, was Oscar wollte. „Willst du wirklich raus? Und was ist, wenn uns jemand sieht?“ „Wer soll uns schon sehen André, hier ist keine Menschenseele, außerdem reicht uns das Gras fast bis zur Hüfte“. Als er es sich versah, war Oscar schon aufgesprungen und rannte hinaus. Sie blieb vor dem Zelt stehen und atmete tief ein worauf sie Husten musste. „Komm wieder rein Oscar, du verkühlst dich vielleicht und das verstärkt deine Tuberkulose.“ „Ach was André, ich hatte etwas im Hals. Wenn du willst, dass ich dir gehorche, musst du mich schon fangen“, worauf sie losrannte, nur in ihrer spärlichen Unterwäsche bekleidet. André wusste nicht, was mit ihr los, er beeilte sich, um sie nicht zu verlieren, denn je weiter sie sich von ihm entfernte desto schwerer tat er sich sie zu erkennen. „Oscar, lass mich nicht hier stehen“, er rannte, als ginge es um sein Leben. Er griff nach ihrer Hand und blieb stehen, „Was ist nur mit dir los? So kenne ich dich gar nicht?“ „André, ich lebe und ich lebe mit dir! Ich fühle mich plötzlich so frei.“ Sie küsste ihn, wild, leidenschaftlich und fordernd. André gab ihr nach und glitt mir ihr zu Boden. So bestimmend sie ihn küsste, so bestimmend wies sie ihm an sich hinzulegen und die restlichen Kleidungsstücke abzulegen, Oscar tat es ihm gleich und doch wollte sie die Oberhand behalten. André lag im Gras und ein paar Halme stachen ihn in den Nacken, auf ihm saß Oscar und über ihr das Himmelszelt mit Tausenden von leuchtenden Sternen, es war ein unvergesslicher Anblick. Oscar starrte auf seinen entblößten Oberkörper und nahm erst jetzt die Narbe auf seiner linken Brust bewusst wahr. Sanft strich sie über das Stigma, wieder kamen ihr die schrecklichen Bilder in den Sinn und das André sein Leben für sie opfern wollte, sie beugte sich vor und küsste das Wundmal. „Ich würde es wieder tun“ sagte André zu ihr, als könnte er ihre Gedanken lesen und küsste sie. Sie liebten sich im Dunkel der Nacht, verloren dabei jegliches Raum- und Zeitgefühl, der Rest der Welt verschwand für sie. Kapitel 3: Die Wende -------------------- Ein Monat war seit der Hochzeit vergangen. In Arras spürte man den herannahenden Herbst. Die Blätter der Kastanie färbten sich langsam braun und die ersten Äpfel der Obstbäume konnten gepflückt werden. Rosalie und Bernard verließen Arras vier Tage nach der Hochzeit. Ruhe war eingekehrt im Hause Jarjayes. Obwohl Oscar Andrés Namen angenommen hatte, war man sich bewusst wem man das Haus und den Wohlstand zu verdanken hatte. Jeder im Haus genoss die Abgeschiedenheit des Landsitzes. André konnte in einer ruhigen Minute seiner Großmutter von ihrer Absicht nach Spanien zu reisen erzählen. Sie war außer sich und sie versuchte ihr Bestes ihre Kinder von dieser wahnwitzigen Idee abzubringen. Jedoch biss sie auf Granit, somit fand sie sich damit ab und betete inständig jeden Abend zu Gott, dass er sie ihr heil zurückbringen werde. An einem stürmischen und verregneten Septembernachtmittag saßen Oscar, André, Alain und Viktor im Salon vor dem Kamin. Es hatte stark abgekühlt und der Nordwind frischte die von den Regentropfen getränkte Luft noch mehr auf. Das Feuer loderte im Kamin und verzauberte mit seinem Knistern und Knacken seine vier Zuhörer. Oscar brach als Erste die Stille, sie musste dieses Thema ansprechen, auch wenn sie die innere Ruhe der Anderen damit zerstörte. „Wie ihr wisst, hatte ich vor, mit André nach Spanien zu reisen, ich verfolge noch immer diese Idee und habe mir schon Gedanken darüber gemacht. Ich bin mir aber nicht mehr sicher, ob Ihr uns noch begleiten wollt?“ Sie blickte Alain und Viktor erwartungsvoll an. „Ich dachte schon, Ihr habt diese Idee wieder verworfen, Kommandant! Also ich bin immer bereit für ein neues Abendteuer. Wie sieht es bei dir aus, Viktor? Schließt du dich uns an, oder willst du dich hier in Arras in den Ruhestand begeben?“ „Alain, mein Freund, wie kommst du darauf, dass ich mich zur Ruhe setzen möchte? Spielst du etwas auf mein Alter an? Dich steck ich noch in zwanzig Jahren in die Tasche. Lady Oscar, natürlich kommen wir mit. Nun, wie sehen Eure Pläne aus?“ Sie schenkten sich noch jeder eine Tasse Tee ein und warteten gespannt auf Oscars Ausführungen. „Mein Plan erscheint im ersten Moment vielleicht etwas ungewöhnlich, jedoch sollt Ihr wissen, dass ich so schnell wie möglich nach Spanien kommen möchte. Meines Erachtens sollten wir nach Calais reiten und ein Schiff nach San Sebastian nehmen. Von dort reiten wir Richtung Süden und suchen nach einem passenden Arzt. Nun, was haltet Ihr davon? André, du bist so still, stimmt etwas nicht?“ André starrte stumm und geistesabwesend ins Feuer. Es war also soweit, für André hätte das Leben so weitergehen können. Aber es wurde ihm auch wieder bewusst, dass er sich behandeln lassen musste, um sein so gewünschtes Leben mit Oscar verwirklichen zu können. „ Oh entschuldigt bitte, ich war in Gedanken. Um wie viele Tage wären wir schneller? Wir dürfen das Wetter nämlich nicht vergessen, je schneller wir Spanien erreichen desto besser, zu dem wir nicht wissen, ob wir im Herbst die Pyrenäen passieren können.“ „Genau diesen Risikofaktor wollte ich mit der Schiffsüberfahrt ausschließen.“ Wiedereinmal hatten André und Oscar denselben Gedanken. Die Seelenverwandtschaft zwischen ihr und André kam Oscar seit der Hochzeit noch stärker vor. „Mit dem Schiff nach Spanien?“ Alain sah Oscar entsetzt an. „Muss das denn wirklich sein, ich werde doch immer so leicht seekrank!“ Alain schüttelte enttäuscht den Kopf, er konnte viel ertragen, doch es musste ihm wirklich keiner dabei zusehen, wie er sein Innerstes nach außen brachte. „Alain, möchtest du vielleicht irgendwo in den Pyrenäen eingeschneit werden und vielleicht noch erfrieren?“ Gegen dieses Argument konnte Alain wirklich nichts dagegen halten. „Die Reise per Schiff dauert höchstens vier Tage, mit dem Pferd wären wir mindesten drei Wochen unterwegs.“ „Lady Oscar, wann gedenkt Ihr aufzubrechen?“ „Sobald wie möglich, am liebsten nächste Woche, sofern wir hier alles geklärt haben.“ Die Männer nickten zustimmend. „Ich bitte Euch Eure persönlichen Gegenstände zusammen zu packen. Für den Ritt nach Calais benötigen wir zwei Tage. Heute in sieben Tagen reiten wir los, dann erreichen wir das Schiff welches uns nach San Sebastian bringt.“ Oscar stand mit diesen Worten auf und zeigte ihren Freunden damit, dass das Gespräch für sie beendet war. Eine plötzliche Müdigkeit überkam sie und Oscar begab sich auf ihr Zimmer. Sie merkte wie ihr Körper noch immer mit der Tuberkulose zu kämpfen hatte. Oscar legte sich auf ihr frisch bezogenes Bett und lauschte den Regentropfen, die an die Fensterscheiben trommelten. Je kälter und feuchter es hier im Norden von Frankreich wurde, desto mehr machte sich ihre Krankheit wieder bemerkbar. ‚Ob ich je wieder gesund werde?!’ Sie wollte es unbedingt, schon allein um Andrés Willen. Ein Leben ohne ihn konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Als sie so gedankenverloren in ihrem Bett lag, öffnete sich leise die Tür, André kam durchnässt ins Zimmer. Seit ihrer Vermählung bewohnten sie Oscars Räumlichkeiten. „André, warum bist du so nass, warst du etwa draußen?“ Oscar blickte ihn an, einerseits fürsorglich anderseits unverständlich. André sah bedrückt aus und er schwieg. „André, was ist los mit dir? Wieso antwortest du mir nicht?“ Oscar erhob sich aus dem Bett und bewegte sich auf André zu. „Zieh’ doch deine nassen Sachen aus, du erkältest dich noch.“ Sie wollte ihm die nasse schwere Jacke abstreifen, als er ihre Hände ergriff „Ist es schon so schlimm geworden?“ In Andrés Augen sah man pure Angst. „Ehrlich gesagt weiß ich es nicht, André. Seit es öfter regnet und die Luft immer kühler wird, muss ich vielmehr husten und ich fühle mich ab und zu etwas matt. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich nach Spanien will.“ Oscar strich sanft über Andrés Haarschopf, der sein verletztes linkes Auge verdeckte. „Wer weiß, wie lange wir noch so eine Reise antreten können?!“ André seufzte, ihm war bewusst, dass er eine Belastung für alle darstellte. Schuldgefühle kamen in ihm hoch und Oscar spürte, wie er innerlich zusammensackte. Sie trat noch einen Schritt näher an ihn heran und fuhr mit ihrer zuvor begonnenen Arbeit weiter. Sie hängte die Jacke über einen Stuhl damit diese trocknen konnte, dann öffnete sie sein Hemd, der Stoff klebte regelrecht auf seiner Haut. Seine Muskeln fingen vor Kälte an zu zittern und die kleinen feinen Härchen, die seinen Körper übersäten, stellten sich auf. „Du frierst ja schon“, mit diesen Worten drückte Oscar ihren Körper an Andrés. Sie legte ihren Kopf an seinen Oberkörper und hörte sein Herz schlagen. Sie lächelte und begann seinen Rücken zu massieren, damit das Blut mehr zirkulierte. André vergrub seine Nase in ihrem Haar, er wirkte noch immer sehr nachdenklich, aber er genoss auch Oscars Nähe und war froh, dass sie da war, bei ihm. „André zieh dich um und leg’ dich zu mir ins Bett, jetzt wird mir nämlich auch etwas kalt.“ Oscar huschte darauf hinüber zum Bett und schlüpfte unter die Decke. Ein paar Sekunden später folgte ihr André. Beide genossen die Zeit, die sie als frisch Vermählte zusammen verbringen konnten ohne Alain und Viktor oder Sophie, denn schon bald war ihnen dies nicht mehr möglich. André legte sich zu Oscar ins Bett, er war froh über die Ruhe, denn sein Auge machte ihn zu schaffen. Kam es ihm nur so vor oder sah er wirklich schlechter, wenn er sich Sorgen machte? Ob es für ihn überhaupt noch Hoffnung gibt? Gedankenverloren starrte er an die Decke. Oscar kuschelte sich an ihren Mann, sie legte ihren Kopf an seine Schulter und streichelte seinen Bauch. „Woran denkst du gerade André?“ „An die Zukunft.“ „Hast du Angst vor der Reise?“ „Nein, ich meinte nicht die Reise, ich meinte unsere Zukunft.“ Jetzt wurde auch Oscar nachdenklich. „Oscar, glaubst du, ich werde jemals einer Tochter oder einem Sohn das Reiten beibringen können? Ich meine, ich sehe jetzt schon sehr schlecht und...“, André stockte, er hatte sich alles so schön ausgemalt, doch es kam doch immer anders als man dachte. „André, ich kann dir nicht versprechen, dass sich alles zum Guten wenden wird. Aber ich kann dir versprechen, dass ich nichts unversucht lasse um dich glücklich zu machen.“ Oscar drückte ihn an sich. „Danke Oscar, du machst mir wieder einmal klar, dass ich mein oder besser gesagt unser Schicksal selbst in die Hand nehmen muss.“ André küsste die junge Frau neben sich und schmiegte sich an sie. Beruhigt und gelöst verfielen beide in einen erholsamen Schlaf. Die folgende Woche verging wie im Flug. Oscar war damit beschäftigt alle finanziellen Belange zu klären. Auch Sophie musste während ihrer Abwesenheit versorgt sein. André und Alain kümmerten sich um die sonstige Ausstattung wie Zelte, Decken, Geschirr der Pferde, Satteln und was sonst noch notwendig für ihre weite Reise war. Viktor besorgte noch zwei weitere Tiere die als Gepäcksträger fungieren sollten. Er schrieb auch einen Brief an seine Mutter, der ihr alles genauestens erklären sollte. Es beruhigte ihn zu wissen, dass seine Mutter in Nizza weilte. Oscar packte ihre letzten Kleiderstücke ein. Sie überlegte, ob sie wirklich das Kleid mitnehmen sollte, welches sie sich damals hatte anfertigen lassen. ‚Naja, wer weiß wofür man es noch brauchen kann.’ Sie stopfte es zu ihren restlichen Kleidungsstücken die sie bereits in ihren Rucksack gesteckt hatte. Zum Schluss streifte sie ihr Medaillon, welches sie von André geschenkt bekommen hatte, über und küsste den silbrigen Anhänger. ‚Wohlan Oscar, es wird schon alles gut gehen.’ Es klang so, als wolle sie sich selbst beruhigen und Mut zusprechen. Als sie die Treppe hinunter ging, sah sie Sophie am Treppenabsatz stehen. Ihre alte Kinderfrau hatte Tränen in den Augen, sie musste schon zuvor geweint haben, da sie ein ganz gerötetes Gesicht hatte. „Ach Sophie, mach dir nicht so viele Sorgen. Es hilft doch alles nichts und du bekommst davon nur weitere Falten.“ Oscar streichelte ihr bei diesen Worten liebevoll die Wange. Seit sie denken konnte, war Sophie da und Oscar hoffte, dass Sophie auch bei ihrer Rückkehr hier auf sie warten würde. „Kommandant, wo bleibt Ihr, wollten wir nicht so früh wie möglich los?“ Alain wirkte ungeduldig, insgeheim wünschte er sich etwas Neues zu erleben, andererseits graute es ihm vor der Überfahrt. Die Pferde merkten die innere Anspannung ihrer Reiter und fingen zu tänzeln an. Nur Diablo blieb ruhig und gelassen stehen, so fest wie ein Fels, es schien als würde dieses kampferprobte Pferd Nerven aus Stahl besitzen eben so wie sein Herr. Selbst Alain wunderte es, dass Viktor fast schon gleichgültig wirkte. Es schien, als wäre es ihm egal was passieren würde. Alain nahm sich vor, während der Überfahrt ein paar Worte mit ihm zu wechseln, Zeit genug hätten sie ja. Oscar stieg auf ihr Pferd und nickte den Männern zu. Irgendwie fühlte sich Oscar in die Zeit zurückversetzt in der sie persönlich für die Sicherheit der Königin sorgte und ihre ihr aufgetragenen Missionen erfüllte. „Lebt wohl Großmutter, und dass Ihr mir hier auf alles Acht gebt.“ André hob seine Hand zum Gruß und gab seinem Pferd das Zeichen sich in Bewegung zu setzen. Sophie blickte ihnen nach und zwei Minuten später waren sie verschwunden. Auf ihren Weg nach Calais trafen sie auf viele Handelsleute die noch vor dem Wintereinbruch ihre Waren verschifft wissen wollten. Die Route, die sie gewählt hatten, führte die Gruppe durch dünn besiedelte Gebiete. Darum schlugen sie rechtzeitig ihr Lager an einem geschützten Platz im Wald auf. Die zwei kleinen Zelte waren schnell aufgebaut und ebenso rasch brannte ein wärmendes Feuer. Sie packten ihren Proviant aus und bei der Fülle an Köstlichkeiten die sich ihnen darbot, dankten sie still Sophie für ihre Fürsorglichkeit. Genüsslich ließen sie es sich schmecken, als Viktor als erster das Wort ergriff, „Lady Oscar, wir sollten uns nun überlegen, wie wir am Besten in Zukunft Fremden gegenüber auftreten werden. Ich meine, würde es nicht etwas seltsam und vielleicht auch anrüchig erscheinen wenn eine junge hübsche Frau mit drei Männern reist? Mein Vorschlag wäre es, wenn Ihr Euch als Mann ausgebt. Fremde Gestalten würden auch dann nicht auf die Idee kommen Euch zu nahe zu treten.“ „Viktor, keine Angst, ich hatte nicht vor in Damenkleidung übers Schiff zu laufen. Aber Ihr scheint vergessen zu haben, dass ich mich sehr gut selbst zu verteidigen weiß. Ihr musstet doch selbst einmal eine Niederlage hinnehmen, oder irre ich mich da?“, Oscar grinste, sie spielte auf jenes Duell an, welches vor fast zwanzig Jahren stattgefunden hatte. Viktor gab ihr Recht, damals hatte sie ihn mit dem Degen besiegt. Doch wie würde es im Faustkampf aussehen? „Lady Oscar, ich stimme Euch zu, aber seid Ihr auch stark genug einen Mann mit den bloßen Händen zu besiegen, einen Mann der mindestens so groß ist wie ihr es seid und der nach nichts anderen verlangt als Euch zu berühren?“ Oscar sah nachdenklich ins Feuer. Alain und André waren bisher sehr still gewesen. Ihr kam die Erinnerung jener Nacht in den Sinn, als sie sich mit André gestritten hatte. Die Ohrfeige die sie ihm damals gegeben hatte, schien ihm nicht im Geringsten zu interessieren und als er ihre Hände festhielt und sie küsste, hatte sie keine Chance sich zu befreien. An Stärke wird sie einem Mann immer unterlegen sein, dass musste sie sich endlich bewusst machen. André blickte derweilen beschämt zu Boden, auch er erinnerte sich and die Szene und es tat ihm leid seine Frau damals in diese Situation gebracht zu haben. „Sie wird sich nicht gegen andere Männer verteidigen müssen, solange ich bei ihr bin.“ Wütend stand André auf und ging ein paar Schritte. „Viktor, behandelt mich nicht wie ein krankes Kind, ich bin durchaus in der Lage Oscar zu beschützen, so wie ich es immer getan habe und tun werde. Dies habe ich in meiner Jugend geschworen und diesen Schwur bei meiner Hochzeit mit ihr erneuert.“ Alle starrten André überrascht an. Vor allem Oscar war über diese plötzliche Reaktion erstaunt. André war sonst der ruhige und besonnene Pol von ihnen. Und trotzdem musste sie sich eingestehen, dass ihr diese Seite an ihrem Mann gefiel. André verschwand im Wald, er musste alleine sein und sich beruhigen. Von der Angst gepackt, blieb er stehen, schon wieder ein Moment wo alles vor seinem Auge verschwand. Konnte dies möglich sein, vorhin war es noch ganz normal. Auf einmal hörte er ein Knacken und wie er sich umdrehte, konnte er Alain erkennen. „Hm, das Heranpirschen muss ich wohl noch üben! André, was sollte das gerade eben?“ Alain wartete auf eine Erklärung. „Viktor möchte mich einfach immer wieder runterputzen. Er hat es früher schon getan. Unser Herr Graf will Oscar immer noch und er verkraftet es nicht, dass sie sich für mich entschieden hat. Seinen Heiratsantrag lehnte sie einst ab und obwohl so viel Zeit vergangen war, konnte er diese Ablehnung nicht verkraften. Nun lässt er seine Eifersucht an mir aus.“ „Teilweise kannst du schon Recht haben. Vielleicht kann ich etwas zur Klärung dieses Problems beitragen, darf ich?“ „Versuch es Alain, ich höre dir zu!“ „Du hast Recht, wenn du sagst, dass Viktor den Kommandanten noch immer liebt. Jedoch ist ihm genauso bewusst, dass er sie nie gewinnen kann, da er weiß, dass sie nur dich liebt. Er hat es mir selbst gesagt, sogar unser Graf findet, dass du der Einzige bist und sein wirst, der sie glücklich machen kann.“ „Ach und dann macht er mich vor Euch schlecht und das nicht zum ersten Mal? Das will und kann ich dir nicht glauben, Alain!“ „Glaubst du denn wirklich, er will dich fertig machen, du nimmst das alles viel zu persönlich, Viktor macht sich halt auch seine Gedanken, besonders um den Kommandanten, da sie die einzige Frau ist, die mitreist. Sei also bitte nicht eingeschnappt und komm zurück!“ „Alain, ich weiß nicht, was ich denken soll, ich empfinde eben so, bitte lass mich noch etwas alleine, damit ich in Ruhe nachdenken kann.“ Alain konnte seinen Freund verstehen und ließ ihn zurück. „Verliebte, ich hoffe nur mir passiert so ein Chaos einmal nicht.“ Als Alain zu Oscar und Viktor zurückkehrte, sahen sie ihn fragend an. „Er braucht noch eine Weile, André muss über einiges nachdenken.“ Oscar fing an zu husten, nur schwer konnte sie sich wieder beruhigen „Ich gehe wohl besser schlafen, morgen müssen wir früh weiter, gute Nacht zusammen!“ „Gute Nacht Kommandant“, tönte es ihr entgegen. „Alain, was ist bloß mit André los? Habe ich ihn wirklich so beleidigt, es war auf jeden Fall nicht meine Absicht.“ „Tja Viktor, er empfindet dich als Konkurrenz würde ich sagen.“ „Als Konkurrenz, jetzt wo er mit ihr verheiratet ist? Verstehe ich irgendwie nicht.“ „Nun hast du ja genug Zeit um darüber nachzudenken. Gute Nacht Viktor.“ Alleine saß Graf de Girodelle vor dem Lagerfeuer, er konnte es sich nicht erklären, warum André so reagierte. Als Viktor ein Rascheln hörte, blickte er auf und Sekunden später nahm er die Umrisse von André wahr. André würdigte ihm keines Blickes, er steuerte direkt auf Oscars und sein Zelt zu. „André wartet doch, lasst uns reden. Erklärt mir, womit ich Euch so getroffen habe!“ „Da fragt Ihr noch? Ihr lasst es mich immer wieder spüren, dass ich schlechter sehe und für Euch scheine ich irgendwie nicht zu existieren. Für Oscar würde ich mein Leben geben und Ihr zieht es gar nicht in Erwägung, dass ich sie beschützen könnte. Für Euch bin ich doch noch immer der Stallbursche, der nichts wert ist.“ Bei diesen Worten vergaß Viktor jeglichen Anstand und verabreichte André eine saftige Ohrfeige. „Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen, André?! Sie hat Euch geheiratet und schon damals als ich um ihre Hand angehalten habe, hat sie mir klar gemacht, dass sie nie etwas tun könnte, das Euch verletzen würde. Ja, auch ich habe Euch damals gedemütigt und dafür möchte ich mich hier entschuldigen. Aber könnt Ihr mich nicht verstehen, warum ich so agiere? Mir ist aus meiner Vergangenheit nichts mehr geblieben außer Euch zwei, Euch kenne ich seit fast zwanzig Jahren, wenigsten eines soll nach so vielen Jahren konstant bleiben.“ „Ach, lügt mich nicht an, Ihr seid doch noch immer hinter ihr her. Vergangenheit hin oder her, Ihr könnt es nicht ertragen, dass sie sich für mich entschieden hat und nun wollt Ihr mich vor ihr schlecht machen.“ Als André den Satz beendet hatte, stürzte er sich auf Viktor, beide Männer fielen zu Boden und eröffneten eine wilde Rauferei. Durch den überraschenden Angriff von André lag Viktor unten am Boden. Es war eine sichtlich schlechte Ausgangsposition um sich gebührend verteidigen zu können. Der Lärm den die zwei Raufbolde verursachten, weckten Alain und Oscar, die verwundert die Köpfe aus den Zelten steckten. Viktor hatte gerade seine Hände freigekämpft und verpasste André einen ordentlichen Kinnhaken. Durch die vom Fausthieb verursachte Benommenheit musste André sich zusammenreißen um nicht die Oberhand zu verlieren. Viktor nutzte die Chance und wälzte André von sich, er rappelte sich auf und wartete, dass es André ihm gleich tat. Oscar traute ihren Augen nicht, ihr sonst so ruhiger Mann prügelte sich mit einem ehemaligen Hauptmann der königlichen Leibgarde. Als sie gerade auf die Kämpfer zustürmen wollte, stellte sich Alain ihr in den Weg. „Kommandant, lasst die Zwei, vielleicht ist es besser so, sie können ihren unterdrückten Gefühlen freien Lauf lassen.“ Beide Männer schlugen sich gegenseitig ins Gesicht, durch die raschen Bewegungen und Ausweichmanöver wirbelten sie Erde und Schmutz auf. Aus Viktors Nase rann Blut und sein Haar war vollkommen zerzaust. Andrés Gesicht war leicht verschwitzt wodurch der Schmutz noch besser haften konnte und seit dem letzten Hieb von Viktor war Andrés Lippe blutig. Oscar hatte genug gesehen, bei solchen Sturköpfen wie es die beiden waren, konnte es ewig dauern bis sie sich beruhigt hatten. „Halt, es ist genug!“ Oscar trat mit gezogenen Degen zwischen sie, worauf Viktor und André erstarrten. Hatte sie wirklich die Waffe gehen sie erhoben? „Seid ihr beide verrückt geworden? Was soll denn dieser Unfug?“ Oscar schüttelte verärgert ihr Haupt. Nun kam auch Alain dazu, er zog Viktor mit sich und murmelte etwas davon zum nahegelegenen Bach zu gehen um die blutende Nase von Viktor zu versorgen. Als die zwei Männer verschwunden waren, schritt Oscar auf André zu. „Was sollte das gerade eben? Wieso schlagt ihr euch die Köpfe ein?“ Sie sah ihren Mann verständnislos an. „Das fragst du noch? Glaubst du denn wirklich, dass ich es nicht bemerke, dass unser werter Herr Graf dich immer noch liebt?“ Oscar verstand die Welt nicht mehr und fing an zu schmunzeln. André war also eifersüchtig. Nach all den Jahren die sie zusammen verbrachten. Hegte er denn früher auch solche Gefühle? Zumindest konnte er sie nie öffentlich zeigen, aber jetzt wo sie verheiratet waren, durfte er seine Emotionen zeigen. Oscar war einerseits geschmeichelt, andererseits wusste sie wie dumm sich die beiden Männer verhalten hatten. „Findest du das etwa lustig?“ Oscars Lächeln brachte ihn nur noch weiter in Rage. „André, beruhige dich doch, es kann dir doch egal sein ob Viktor oder halb Frankreich mich liebt, ich habe dich zu meinem Ehemann genommen und für mich ist das Wichtigste, dass du mich liebst!“ André atmete tief durch, Oscars Worte beruhigten ihn etwas und wie er darüber nachdachte, empfand er seine Reaktion selbst etwas lächerlich. Oscar strich ihm durchs Haar und wollte ihn einen kleinen Kuss geben, doch André zuckte zusammen als sich ihre Lippen berührten. „Das hast du Dummkopf nun davon“, Oscar zog eines ihrer weißen Stofftaschentücher aus ihrer Hosentasche und machte es mit etwas Wasser aus dem Ledertrinkbeutel nass. Vorsichtig tupfte sie das eingetrocknete Blut von Andrés Lippe. „André, du wirst dich bei Viktor entschuldigen müssen“, Oscar sah ihn ernst an. In André entfachte ein neues Feuer der Wut. „Den Teufel werde ich tun“, trotzig und gekränkt, drehte er sich auf der Stelle um und marschierte auf das Zelt zu um sich schlafen zu legen. Oscar wusste beim besten Willen nicht, was sie tun könnte um bei André diese Gefühle verschwinden zu lassen. Still betete sie zu Gott. Ohne ein Worte zu verlieren begab sie sich zu ihrem Mann der anscheinend schon schlief, er rührte sich nicht, als sie sich zu ihm legte. André lag noch wach und zum ersten Mal nachdem sich André und Oscar sich ihre Liebe gestanden hatten, spürte André eine Mauer zwischen seiner Frau und ihm. Seine Ängste beschäftigten nicht nur ihn sondern übertrugen sich auch auf Oscar und seiner Beziehung zu ihr. „Glaubst du, dass deine Nase gebrochen ist?“, Alain sah den Grafen fragend an. „Ach was, er hat zwar einen unglaublich harten Schlag, aber da braucht es doch mehr um die Nase eines Girodelle zu brechen.“ „Hatte die Schlägerei denn unbedingt sein müssen? Vor allem gerade jetzt wo wir länger unterwegs sind?“ „Soll ich jetzt an allem Schuld sein? Er ist doch auf mich losgegangen, ich habe ihm zwar eine Ohrfeige verpasst, aber das was er mir ins Gesicht sagte.....“, Viktor blickte traurig zu Boden, „Alain ich weiß, ich habe in der Vergangenheit Fehler gemacht und ja, ich habe sie geliebt oder ich liebe sie noch immer, aber bin ich deswegen so ein schlechter Mensch?“ „Eines muss dir klar werden, André tat schon früher alles nur, damit ihr nichts geschieht und jetzt verstärkt sich sein Instinkt umso mehr, da sie seine Frau ist. Hinzu kommt noch, dass er glaubt, noch mehr Mann sein zu müssen als zuvor, da er die durch sein Auge verursachte Benachteiligung auszugleichen versucht.“ Alain war selbst über seine Ausführung überrascht. Eine andere Erklärung kam jedoch für ihn nicht in Frage. „Ihr müsst beide erst lernen, dass ihr nur zwei Männer mit Schwächen seid“, er blickte Viktor dabei starr in die Augen. „Und du bist unfehlbar Alain, oder was?“ Seinen Humor wieder gefunden klopfte Viktor Alain auf die Schulter, „komm, lass uns schlafen gehen, morgen sieht sicher alles ganz anders aus.“ Schweigend suchten die Männer ihr Zelt auf und legten sich schlafen. Den nächsten Tag verbrachte die Gruppe schweigend. André fühlte sich noch immer von Viktor beleidigt und von Oscar unverstanden. Viktor widerrum war enttäuscht darüber, dass es soweit hatte kommen müssen. Alain befand es für besser sich aus der ganzen Angeleigenheit herauszuhalten, falls sie seine Meinung hören wollten, würden sie ihn schon danach fragen. Er wollte nicht zwischen den Fronten stehen. Am Nachmittag erreichten sie endlich Calais. Es war ein beschauliches Städtchen, welches wirtschaftlich äußerst gut da stand. Durch den regen Schiffsverkehr und dem Handel der dort betrieben wurde, ging es den Einwohnern nicht schlecht. Am Hafen und in den umliegenden Lokalen wuselte es nur so von Menschen, dass man glauben konnte in einem Bienenstock gelandet zu sein. Oscar wusste zwar, wie das Schiff hieß auf dem sie mitgenommen werden konnten, doch hatte sie keine Ahnung wo es ankerte. Sie befand es für das Beste zuerst einmal den Hafenmeister zu befragen. Er kassierte ja schließlich auch die Miete für den Anlegeplatz der Schiffe. „Oscar, wo willst du denn hin und welches Schiff suchen wir eigentlich? André versuchte seine Frau noch aufzuhalten, die ihr Pferd schon gewendet hatte. „Ich will zum Hafenmeister, der wird doch wissen, wo welches Schiff stationiert ist. Ihr könnt euch derweilen auch etwas umsehen, das Schiff heißt „Velaje curento“. Am Besten wir treffen uns in einer Stunde wieder hier.“ Fast nebensächlich hob sie die Hand zum Gruß und verschwand auch schon im Getümmel des Hafens. „’Velaje curento’? Na hoffentlich ist hier nicht Nomen das Omen!“ André musste zugeben, dass ihn der Name des Schiffes doch etwas beunruhigte. „Hey, was meinst du damit?“ Alain war fast nicht wieder zu erkennen, der Anblick der Kähne schüchterten ihn dermaßen ein, dass er sich zusammenreißen musste um überhaupt ein Wort heraus zu bringen. „Ich habe doch zu meinem Geburtstag dieses Wörterbuch von Rosalie und Bernard geschenkt bekommen. Und in den letzten Tagen vor unserer Abreise hab’ ich etwas darin gelesen. Wenn mich nicht alles täuscht, heißt ‚Velaje curento’ blutiges Segel!“ Viktor folgte der Konversation nur mit einem Ohr, er musste zugeben, dass ihn der majestätische Anblick der riesigen Gefährte beeindruckte. Das Holz der Schiffswände knarrte etwas und die kleinen Wellen peitschten dagegen. In seiner Kindheit gab es für ihn nichts Interessanteres als über Piraten zu lesen, wie oft hatte er davon geträumt mit einem Segelschiff und starken Männern die sieben Weltmeere zu befahren. In der Ferne konnte Viktor etwas Rotes aufblitzen sehen. Was wäre, wenn die ‚Velaje curento’ ein blutrotes Segel hatte? Würde das dann nicht den Namen erklären? Von seiner Neugier getrieben, bahnte sich Viktor mit Diablo einen Weg durch die Menschenmengen. Alain und André sahen ihm verdutzt nach, sie wussten auch ehrlich gesagt nicht, was sie in dem Moment tun sollten. André wollte nicht unbedingt dem Grafen hinterher trotten, noch immer war sein Stolz verletzt gewesen und Alain konnte sich nicht recht entscheiden bei wem er bleiben sollte. Am liebsten wäre es ihm gewesen mit Oscar mitzureiten. Als Freund der beiden Streithähne stand er genau in der Mitte und er wollte sich zu keiner Seite bekennen, er hoffte inständig, dass sie ihren Disput während der Fahrt überwinden könnten, denn auf eine Reise mit andauernden Spannungen innerhalb der Gruppe konnte er beim besten Willen verzichten. Sie warteten und bestaunten die Güter, die die Matrosen der einzelnen Schiffe in den dicken Bauch der schwimmenden Kolosse hievten. Nach einer halben Stunde etwa kehrte Oscar zu ihnen zurück, erstaunt darüber, dass Viktor fehlte und keiner der beiden wusste, wo er war, atmete sie einmal tief durch. „Wo ist Girodelle hin? Habt ihr euch wieder gestritten?“ „Nein, das haben wir nicht, er ist einfach ohne ein Wort zu sagen davon geritten, er wirkte eher etwas geistesabwesend.“ „Entschuldige André, aber ich konnte ja nicht wissen..., also unser Schiff legt heute Abend noch ab und es soll am unteren Ende des Hafen vor Anker liegen. Der Hafenmeister meinte, dass es leicht zu erkennen wäre durch das rote Segeltuch.“ „So und welches Ende des Hafens ist das Untere?“, Alain drehte seinen Kopf abwechselnd nach links und nach rechts. „Da, er meinte Norden!“ Oscar nahm die Zügel der Packpferde und setzte sich in Bewegung. ‚Viktor wird uns mit Sicherheit finden, lesen kann er ja und den Namen des Schiffes kennt er.’ Die Sonne stand schon tief am Himmel und bot den Menschen in Calais ein wunderbar romantisches Bild. Auch André genoss den Anblick, wer wusste schon wie lange er sich noch am Anblick der Sonne erfreuen konnte. Die drei Reisenden näherten sich dem Schiff mit dem roten Segeltuch und waren etwas überrascht als sie Viktor davor stehen sahen. Wie gefesselt starrte er auf den Drei-Mastschoner der vor ihnen lag. „Ihr habt es also gleich gefunden“, Oscar sprach ihn an, doch er zeigte keine Regung. „Viktor? Was ist denn los?!“ Wie aus einem Trancezustand erwacht, nahm Viktor nun seine Mitreisenden wahr. „Oh entschuldigt bitte, aber irgendetwas fesselt mich bei diesem Anblick. Ob es das rote Großsegel ist?“ „Viktor, hast du vielleicht schon den Kapitän des Schiffes gesehen, meinen Informationen nach läuft das Schiff noch heute Abend aus und ich möchte alles erledigt haben, nicht das wir am Ende doch nicht mitgenommen werden.“ „Oscar, ich bin mir nicht sicher, aber ich habe schon einige Personen auf und ab laufen sehen. Fragen wir doch einfach.“ Als Viktor mit Diablo die Planke hinaufreiten wollte, schrie ein Matrose von der Reeling herunter, „No, no caballos“. Verdutzt sahen sie sich an. Sie stiegen von ihren Pferden und gingen den schmalen Steg hinauf aufs Schiff. Das Schiff wirkte nicht sehr beladen und auch sonst hielten sich nicht viele Menschen darauf auf. „Entschuldigung, wo kann ich den Kapitän diese Schiffes finden?“, Oscar hoffte eine Antwort zu bekommen und blickte hilfesuchend umher. Da, plötzlich öffnete sich die Tür einer Kabine, heraus trat ein stattlich anzusehender Mann Anfang vierzig. Er war sehr schlicht gekleidet und doch wirkte dieser Mann so elegant und vornehm wie die herausgeputzten Adeligen am Versailler Hof. Sein glattes pechschwarzes Haar reichte ihm bis zum Kinn und seine ebenso dunklen Augen hatten die Form von zwei Mandeln. Seine Haut hatte einen ebenmäßigen hellbraunen Teint und an den freiliegenden Unterarmen erkannte man den starken Haarwuchs dieses Mannes. Er lächelte und wirkte in seiner unaufdringlichen Art sehr freundlich und offen. „Buenas Tardes, Ihr wolltet den Kapitän sprechen, nun womit kann ich Euch dienen“, mit einer eleganten Verbeugung schritt er auf die vier Männer zu. Der blonde, etwas schmächtig und feminin auf ihn wirkende Mann trat als erstes hervor und erhob das Wort. „Guten Tag Kapitän, mein Name ist Oscar Jarjayes und meine drei Freunde und ich suchen ein Schiff welches uns mit nach San Sebastian nimmt. Wie ich hörte, legt Ihr heute Abend noch ab um in den Orient zu reisen. Würdet Ihr uns, natürlich gegen Bezahlung, bis an die nördliche Küste Spaniens mitnehmen?“ Der Kapitän war erstaunt, sehr selten kamen Personen auf ihm mit so einem Anliegen zu. Man handelte gerne mit ihm, da er einer der wenigen war die sich bis in den Orient vortrauten, näher wollte jedoch keiner etwas mit ihm zu tun haben. Seine fränzösisch-spanisch-arabische Abstammung ließ die Leute doch etwas abschrecken und das blutrote Segeltuch tat ihr übriges. „Nun, ich bin doch etwas überrascht, es liegt doch einige Jahre zurück, wo ich Passagiere mitnehmen durfte. Ach, wo bleibt mein Anstand, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Alejandro Zeen Molieré. Nun, ich würde mich sehr freuen, wenn ich Gäste auf meinem Schiff willkommen heißen darf.“ Oscar musste sich selbst ehrlich eingestehen, dass sie von diesem Mann sehr beeindruckt war. Er wirkte so männlich, war sehr höflich und man hatte das Gefühl, dass keines seiner Worte aufgesetzt war. Sie richtete sich auf um auch ihre Gefühle wieder ordnen zu können. Was würde es denn für einen Eindruck machen, wenn sie diesen Mann fast anhimmelnd gegenüberstand, noch dazu wenn es André bemerken würde. Ja André, jetzt fiel ihr das Wort ein welches sie als Beschreibung für Kapitän Moliere die ganze Zeit suchte, weltmännisch. „Kapitän Molieré, es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen. Wie viel würde es uns kosten, wenn wir zu viert mit sechs Pferden reisen würden?“ „Pferde wollt Ihr auch mitnehmen? Das wird mein Purser nicht gerade gefallen. Normalerweise transportieren wir keine Tiere und haben daher auch kein Futter für sie dabei. Lasst uns zuerst alle Details klären und dann werde ich einer meiner Matrosen losschicken um noch Heu und Hafer zu besorgen.“ Oscar nickte ihm dankbar zu und folgte ihm in seine Kajüte. Schnell waren sie sich über den Preis einig und die Vereinbarung wurde per Handschlag besiegelt. „Gut Monsieur Jarjayes, dann bringt Eure Pferde und Euer Gepäck an Bord, in zwei Stunden werden wir ablegen. Ich werde einen meiner Leute um Futter für die Tiere schicken. Benötigt Ihr sonst noch etwas?“ „Vielen Dank, vielleicht wenn Ihr uns dann noch unsere Unterkunft zeigen würdet.“ „Natürlich“, Alejandro war froh darüber wieder einmal Menschen mitnehmen zu können, jedoch fühlte er sich doch etwas unbehaglich wie er Oscar betrachtete. ‚Das kann doch kein Mann sein, diese Hände und erst das Gesicht, andererseits welche Frau würde in Herrenkleidung reisen noch dazu mit drei Männern ohne weibliche Begleitung.’ Er wusste nicht, was er denken sollte, war es wirklich ein Mann oder doch eine Frau in Männerkleidung. Nun er würde es schon noch herausfinden in den nächsten Tagen. Sie betraten wieder das Deck des Schiffes, man konnte Oscars Begleitern anmerken, dass sie sich in der Zwischenzeit langgeweilt hatten. „André, Alain, Viktor, würdet Ihr bitte die Pferde an Board bringen, Kapitän Moliere möchte uns dann noch unsere Unterkunft zeigen.“ Die drei Männer sprangen auf und taten wie ihnen geheißen. Die Packpferde und Alains und Andrés Pferd ließen sich ohne Probleme auf das Schiff führen und im untersten Teil des Schiffsbauches unterbringen. Nur Diablo und Agrios, Oscars Pferd machten Probleme, sie scheuten davor die Planke zu betreten, auch Lockversuche stimmten sie nicht um. „Verdammt Diablo, was ist mit dir los? Du zierst dich doch sonst nicht so?“ Oscar hielt ihren Schimmel fest an den Zügeln, auch für sie war es vollkommen neu, dass ihr Pferd ihr nicht gehorchte. „Wartet bitte“, als André die Szene mitbekommen hatte, beeilte er sich zu den zwei übrigen Pferden zu gelangen. Er steuerte zuerst auf Diablo zu und nahm Viktor die Zügel aus der Hand, „Ihr erlaubt doch“, ohne eine Antwort abzuwarten, ging er ein paar Schritte mit Diablo vom Schiff weg. André strich ihm dabei beruhigend über den samtig schwarzen Hals und als er mit dem Rappen stehen blieb, flüsterte er ihm einige Worte ins Ohr. André hielt dabei immer Körperkontakt zum Pferd und als er mit ihm auf die Planke zusteuerte war es wie ein Wunder. Zaghaft aber doch betrat Diablo das knarrende Holzbrett. Ohne ein weiteres Problem ließ sich Diablo im Inneren absatteln und striegeln. Nachdem Agrios gesehen hatte wie Diablo fast leichtfüßig auf das Schiff schritt, tat er es ihm gleich. Anscheinend ließ sich Agrios nur von Diablo beeinflussen, ein Mitläufer eben. André versorgte die Pferde mit etwas Heu und Hafer und ließ jeden noch ein paar Streicheleinheiten zukommen. Von der anfänglichen Nervosität der Pferde war danach nichts mehr zu spüren. Oscar betrachtete ihn heimlich bei seiner Arbeit, bei der André aufzublühen schien. Sie selbst fand es faszinierend, welches Vertrauen die Tiere in ihren Mann hatten. Als er mit seiner Tätigkeit fertig war und sich zur schmalen Treppe wandte, erschrak er leicht. „Oscar, was tust du denn hier unten, stehst du etwa schon länger da?“ Sie nickte nur, ihr war nicht nach Reden, es genügte ihr, wenn sie ihn einfach nur ansehen konnte. André wusch sich die Hände in einem Kübel mit Salzwasser, womit er vorher die Pferde abrieb. Als er damit fertig war, ging er zu ihr hinüber. „Was ist mit dir, du bist so still heute? Bist du mit immer noch böse wegen dem Vorfall mit Girodelle? Daran hatte Oscar gar nicht gedacht. „Oscar ich verspreche dir, ich werde mit ihm sprechen, aber jetzt noch nicht ansonsten sage ich etwas was......“ Sie küsste ihn, sie küsste ihn so, dass es den Anschein hatte, dass sie ihm gar nicht zugehört hatte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie das auch nicht wirklich getan, sie war fasziniert von ihm und die Tatsache, dass sie schon länger nicht mehr allein waren, verstärkte ihr Gefühl. Ein brennendes Verlangen stieg in ihr hoch, welches ihr nur befahl bei André zu sein, ganz nahe, doch so sehr sie ihren Körper an den seinen drückte, sie konnte ihr Begehren nicht erfüllen. „Oscar, was wenn uns jemand erwischt, sollten wir nicht deine Tarnung aufrecht erhalten?“ André konnte sich selbst nur schwer von ihren Lippen lösen, zu lange musste er auf ihre berauschenden Küsse verzichten und der Streit letztens trieb sie ein Stück voneinander weg und die Distanz zwischen ihnen konnte er nicht ertragen. Oscar schloss ihre Augen, sie fuhr André durch sein dichtes, starkes Haar und küsste ihn mit so viel Gefühl und Verlangen, dass es André heiß wurde. Er konnte nicht anders, sein Körper und seine Seele verlangten nach ihr, er hob sie hoch und stolperte mit ihr zur Schiffswand, Oscar stand mit dem Rücken zur Wand und André verdeckte sie komplett mit seinem breiten Rücken. Beide waren voneinander berauscht, hastig öffnete Oscar Andrés Hosenband, „André, schlaf mit mir.“ Wie oft hatte sich André gewünscht diese Worte aus Oscars Mund zu hören. Er hätte sich auch nicht mehr länger zurückhalten können und die Gefahr erwischt zu werden, erregte ihn durchaus. Er öffnete den Gürtel ihrer Hose und streifte sie ihr von ihren langen Beine ab. Gefühlvoll glitten seine wohlgeformten Hände ihre Oberschenkel entlang und waren erst am Ziel angelangt als er ihre hinteren Rundungen fühlte. Er hob sie hoch und Oscar schlang ihre langen Beine um seine Körpermitte. Als sie ihn in sich fühlte, steigerte es ihre Lust in ein ungewohntes Ausmaß. Sie vergrub ihr Gesicht in Andrés Beuge zwischen Hals und Schulter und gab sich dem neu gewonnen Gefühlen hin. Ihre Vereinigung war anders als sonst, instinktiver, bewusster und vertrauter. Beide gaben sich ihren Gefühlen füreinander hin und erschafften sich daraus eine neue gemeinsame Ebene. Sie gestanden sich beide ihr Verlangen ein, das Verlangen den anderen zu spüren, ihm so nah zu sein wie es keinem anderen Menschen möglich war. Als sie die Welt um sich herum nur mehr am Rande wahrnahmen, erklommen beide den Höhepunkt ihrer Lust. Für Oscar war dieser Moment fast noch schöner als wenn sie diesen Moment für sich alleine hätte auskosten müssen. Sie war sich nicht immer sicher ob sie in Liebesangelegenheiten alles richtig machte und sie wusste auch nicht, ob es André so sehr gefiel bei ihr zu liegen wie sie bei ihm. Sie wusste, dass er diesbezüglich nie etwas sagen würde, wenn es nicht der Fall wäre. „Und war es schön für dich?“ Sie konnte sich diese Frage einfach nicht verkneifen und flüsterte sie ihm ins Ohr. „Oscar, ich liebe dich, für mich ist es schon schön, wenn du mich nur ansiehst, aber das war….“, er wusste nicht wie er es beschreiben sollte. „Wie war es André, sage es mir bitte“, Oscar sah ihn an wie ein kleines Mädchen, das etwas angestellt hatte. „Es war einfach nur unglaublich und nicht von dieser Welt...“ Oscar war gerührt und es machte sie glücklich, wenn ihr Mann so empfand. Und nachdem sie sich ihre noch vorher am Boden liegende Hose übergestreift hatte, küsste sie ihn sanft auf seine Lippen. Beide hörten schwere Schritte die die kleine Treppe heruntertönen. Oscar fingerte nervös an ihrem Gürtel herum und ärgerte sich warum das nur so lange dauerte. Einer der Matrosen stand in der Türe und war sichtlich verwundert, dass diese zwei Männer so eng und vertraut nebeneinander standen. „Ähm, der Kapitän bittet Euch in die Offizierskabine zum Diner.“ „Vielen Dank, wir werden sofort erscheinen.“ Oscar sah ihn direkt in die Augen, sie wusste, selbst wenn sie sich selber unsicher fühlte, ein klarer Blick in die Augen ihres Gegenübers ließen den ihre Unsicherheit nicht spüren. Als der Matrose verschwunden war, atmete sie erleichtert aus. „Das war knapp, stell dir vor, er wäre zwei Minuten früher heruntergekommen!“ „Tja Oscar, das war das Risiko dabei, aber das war es wert“, André grinste und drückte ihr einen heftigen Kuss auf die Lippen. „Komm lass uns rauf gehen, nicht das sie noch einen Suchtrupp nach uns losschicken.“ Mit etwas Abstand zueinander verließen sie den Laderaum. In ihrem Rausch der Gefühle hatten Oscar und André es gar nicht bemerkt, dass das Schiff längst abgelegt hatte. Einige Matrosen hingen in den Seilen um die Segel zu setzen und der Kapitän stand beim Steuermann um mit ihm die wenigen Details zu besprechen. Alejandro war schon Jahre mit Piere unterwegs, Piere war einer der erfahrensten Steuermänner, die er kannte und er konnte ihm voll und ganz vertrauen. Als sie gerade die letzten Koordinaten durchgegangen waren sah Alejandro auf und erkannte seine neuen Gäste. „Monsieur Oscar, sehr schön, wir wollten gerade zu Tisch.“ Alain und Viktor gesellten sich zu André und Oscar, sie hatten dabei zugesehen wie die Matrosen das Schiff klar zum Auslaufen machten und waren beeindruckt von der Kraft des Windes der diesen Koloss in Bewegung brachte. „Alain, wie geht es dir? Willst du überhaupt bei uns am Tisch sitzen?“, Oscar sah ihn besorgt an. Alain versuchte sein Bestes, aber die leicht aufkeimende Übelkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er war blass und er ungewohnt ruhig. „Kommandant, noch ist es erträglich, lasst mich heute noch am Tisch sitzen, wer weiß wie es morgen um mich bestellt sein wird.“ Er versuchte zu lächeln, aber es sah sehr gequält aus. „Mein Herr, leidet Ihr unter der Seekrankheit, wenn ja habe ich ein ausgezeichnetes Hausmittel dagegen. Ich werde gleich meine Schwester darum bitten es auch zum Diner zu servieren.“ Alain, André, Viktor und Oscar horchten überrascht und interessiert auf. „Pardon, Ihr habt eine Frau auf dem Schiff?“ Oscar glaubte sich verhört zu haben. „Aber natürlich, ich werde Euch, wenn es gestattet ist, Eure Fragen beim Abendessen beantworten. Lassen wir das gute Essen also nicht länger warten. Ich freue mich schon darauf Näheres von Euch allen zu erfahren und ich möchte Euch auch sehr gerne meine geliebte Schwester vorstellen.“ Oscar nickte zustimmend und folgte dem Kapitän der ‚Velaje curento’. Alle vier waren überrascht über den Komfort, den dieses Schiff anscheinend zu bieten hatte. Am Esstisch standen zwei schwere silberne Kerzenständer und das Porzellan hätte genauso gut von einer alteingesessenen Adelsfamilie von Frankreich stammen können. Das Silberbesteck lag frisch poliert daneben und auch die Kristallgläser funkelten im Kerzenschein. „Kapitän, wegen uns hättet Ihr Euch nicht so viele Umstände machen müssen. Wir kommen durchaus auch ohne diesen Luxus aus.“ „Verzeiht Monsieur Oscar, aber meine Schwester und ich legen sehr großen Wert auf eine gewisse Etikette und da wir uns nicht jeden Luxus auf hoher See gestatten können so erlauben wir uns doch diesen Aufwand.“ Alejandro fühlte sich fast etwas angegriffen, wieso glaubten diese Landratten auch immer, dass es auf Schiffen immer rau, grob und ungeschliffen zuging. Die Unwissenheit und die Voreingenommenheit sind wohl die größten Probleme der Menschheit. „Ich bitte Euch Platz zu nehmen. Meine Schwester wird gleich das Essen auftragen.“ Just in diesem Moment betrat eine Erscheinung wie aus Tausend und einer Nacht den Raum. Sie trug, wie sich später herausstellte ein Salwar Kamiz, eine Bekleidung aus dem Orient bestehend aus einer Hose und einem Hemd welches der Trägerin bis zu den Knien reichte. Das kohlrabenschwarze glatte Haar war zu einem langen Zopf geflochten. Ihre Augen waren noch größer und noch dunkler als die ihres Bruders, ihre Haut war ebenmäßig, glatt und milchkaffeefarben. Ein Detail fiel ganz besonders auf, sie trug ein kleines goldenes Schmuckstück auf dem linken Nasenflügel. Sie lächelte freundlich, aber doch etwas zurückhaltend und stellte sich neben ihren Bruder. „Meine Herrschaften, ich darf meine Schwester Haydee vorstellen, sie ist seit Jahren an meiner Seite und kümmert sich hervorragend um mich.“ Er nahm sie bei diesen Worten in den Arm und lächelte. Alejandro war froh, dass ihn seine Schwester auf seinen langen Reisen begleitete. Auch wenn er die See liebte, er war ein Familienmensch der auch einen familiären Anker brauchte. „Es ist mir ein Vergnügen Euch kennen zu lernen, ich bin Oscar Jarjayes und meine Freunde sollten sich wohl selbst vorstellen.“ Oscar deutete eine leichte Verbeugung bei ihrer Vorstellung an und trat danach einen Schritt zurück. „André Grandier, Madame“, auch er tat es Oscar gleich. „Alain Soisson“, Alain nickte nur kurz, Alain wollte nicht unhöflich erscheinen, jedoch befürchtete er, dass, wenn er sich nach unten beugen würde, er sich noch schlechter fühlen würde. Fasziniert von ihrer Person schritt Viktor hervor und verbeugte sich tief. „Viktor de Girodelle, es ist mir ein Vergnügen Eure Bekanntschaft zu machen.“ Um seine Vorstellung gebührend zu beenden, hauchte er ihr einen Kuss auf ihren zarten Handrücken. Sie war sichtlich überrascht von so viel Zuwendung und rügte sich innerlich zur Selbstbeherrschung. „Meine Herren, es ist mir eine Ehre Euch kennen zu lernen, jedoch sollten wir nicht länger mit dem Essen warten, da es nicht mehr besser wird.“ Sie lächelte allen freundlich zu und verschwand aus der Offiziersmesse. „Bitte nehmt doch alle Platz“, Alejandro deutete auf die Stühle. Seine Gäste wurden für ihn immer interessanter und er freute sich darauf Zeit mit ihnen verbringen zu können und mehr von ihnen zu erfahren. Kurz darauf kam Haydee herein, in ihren Händen hielt sie eine riesige, schwer aussehende Pfanne. „Da wir gerade erst abgelegt haben, dachte ich mir, wir sollten die Variationen unseres Proviants ausnutzen, deswegen gibt es heute Paella!“ Sie stellte die große Pfanne in die Mitte des Tisches. Noch einmal verschwand sie in die Kombüse und kehrte mit einer Tasse Tee zurück. Haydee blickte kurz in die Runde und stellte die Tasse direkt vor Alain. „Monsieur, ich glaube dieses alte Hausmittel wird Euch gut tun.“ Er sah sie überrascht an, konnte man ihm seine Übelkeit an der Nasenspitze ansehen? „Vielen Dank, ich bin um jede Hilfe dankbar.“ Er lächelte schwach und nahm zugleich die Tasse in die Hand. Der Geruch und die Farbe waren ihn gänzlich unbekannt. Alain nippte kurz, der Tee war noch heiß und er war über den Geschmack verblüfft. Es war stark, würzig, hatte eine gewisse Schärfe, eine Medizin, die Alain sogar schmeckte. Genüsslich trank er den Tee und merkte, wie sich die Krämpfe in ihm lösten. Alejandro griff zur Kelle und nahm den Teller seiner Schwester, „sie verstehen doch sicher, dass ich zuerst der einzigen Dame am Tisch serviere“, bei diesen Worten sah er Oscar an und hoffte eine auffällige Regung wahrzunehmen. Doch er wurde enttäuscht, sie nickte ihm zustimmend zu. Als jeder mit der Paella versorgt war, klirrte das Besteck und die kleine Gesellschaft begann mit dem Essen. Bei jedem Bissen entdeckten Alain, Oscar, André und Viktor einen neuen Geschmack. „Darf ich fragen, wie es Euch schmeckt?“, Haydee warf einen Blick in die Runde. „Es ist vorzüglich Madame, darf ich fragen, was wir hier eigentlich essen, noch nie hatte ich so viele Geschmackserlebnisse auf einmal wie bei diesem Gericht.“ Oscar sah sie fragend an, sie hatte sich nie viele Gedanken darüber gemacht wie man Nahrungsmittel zubereitet, geschweige denn, hatte sie jemals selbst gekocht, dafür gab es bei ihnen zu Hause Angestellte. „Die Paella ist ein traditionelles Gericht aus Spanien, bestehend aus Reis, Huhn, Kaninchen und Schweinfleisch. Außerdem werden noch ein paar Gewürze und Gemüsesorten hinzugefügt. Ach und bevor Ihr fragt, was in dem Tee drinnen ist. Ingwer, einfach Ingwer mit heißem Wasser übergießen und ziehen lassen.“ Jetzt meldete sich Viktor zu Wort, „Madame, wir danken Euch aufs Herzlichste, dass Ihr uns an diesem Geschmackserlebnis teilhaben lasst.“ Viktor starrte Haydee regelrecht an, so als wolle er ihre Seele erkunden. Alejandro war es nicht entgangen, dass sich Girodelle seit der Anwesenheit seiner Schwester verändert hatte. Er selbst wusste noch nicht, ob er dieses Verhalten für gut befinden sollte. Er sagte zu sich selbst, dass er Viktor im Auge behalten werde. „Nun Kapitän Molieré, Madame, wenn Ihr erlaubt, würde ich nur zu gerne mehr über Euch wissen. Schon die unterschiedlichen Namen die Ihr tragt, machen mich neugierig.“ Oscar war ehrlich neugierig, schon wie sie mit dem Kapitän Bekanntschaft machte, war sie über seinen Namen überrascht gewesen. „Darf ich Euch alle beim Vornamen nennen, so fällt es mir leichter auf Eure möglichen Fragen einzugehen. Sehr gerne werde ich die Geschichte von Haydee und mir erzählen.“ Er schenkte allen ein Glas von dem dunkelroten Wein ein, er schwenkte sein schweres Glas und inhalierte das Bouquet das Weines. „Nun unsere Familiengeschichte ist vielleicht nicht so aufregend, wie Ihr es Euch erhofft. Wie Ihr bestimmt alle einmal gehört oder gelernt habt, wurde Spanien im 8. Jahrhundert von Arabern erobert und besiedelt. Natürlich schwand die Anzahl Araber in Spanien durch die Jahrhunderte durch, aber noch heute kann man auf sogenannte reinrassige Araber treffen. Wisst Ihr, früher lehnte man es ab sich mit Spaniern oder umgekehrt mit Arabern abzugeben, geschweige denn mit ihnen zu verkehren. Nun unsere Großmutter war eine dieser reinrassigen Araberinnen, sie wohnte in einem kleinen Bergdorf, ihre Familie lebte von der Landwirtschaft und von dem was sie mit ihrer Heilkunde dazuverdienten. Während eines starken Winters durchquerten spanische Soldaten die Gegend, sie waren auf der Suche nach einem Betrüger der mindestens fünf Menschen ermordet hatte, doch die Schneefälle und die schlechte Ausrüstung machten es für die Soldaten unmöglich ihre Suche fortzusetzen. Kurz bevor sie im Wald bei ihrem Nachtlager erfroren, hatten meine Großmutter und ihr Vater sie gefunden und unter Müh und Not nach Hause geschleppt und versorgt. Und wie Gott es wollte, hatte sich meine Großmutter in einen der spanischen Soldaten verliebt und er in sie. Sein Name war Alejandro.“ Der Kapitän machte eine kurze Pause und befeuchtete seine Kehle mit einem Schluck Rotwein. „Verzeiht Kapitän, aber war Euer Nachname nicht Molieré? Der klingt für meine Ohren nicht gerade sehr spanisch.“ Es hatte fast den Anschein, dass Alain von den Toten auferstanden war. So still er die letzten Stunden am Schiff war, so hatte er doch durch den Ingwer-Tee zu seiner alten Form zurückgefunden. „Verzeiht, aber ich war noch nicht mit meinen Ausführungen fertig.“ Alejandro lächelte und seine schneeweißen Zähne kamen zum Vorschein. „Alejandro, iss du fertig zu Abend und lass mich die Geschichte weiter erzählen.“ Haydee nahm ihr Rotweinglas und lehnte sich in ihren Stuhl zurück. „Wie Ihr Euch alle sicherlich vorstellen könnt, war die Liebe zwischen meiner Großmutter und dem Soldaten überhaupt nicht gerne gesehen. So mussten sie ihre Konsequenzen ziehen. Großmutter verließ das kleine Bergdorf und ihre Familie und begann ein neues Leben mit Alejandro in der Nähe von Barcelona. Alejandro lebte für seine Familie, aber sein Herz hing auch an der Armee, er hatte nie den Dienst quittiert. Nun ja, einige Monate nach der Hochzeit erblickte unsere Mutter das Licht der Welt. Sie soll schon als Kind eine Schönheit gewesen sein und sie vereinte alles Gute beider Kulturen. Als unsere Mutter sechs Jahre alt, war verstarb ihr Vater bei einem Einsatz seiner Truppe. Unsere Großmutter kam nur schwer über den Verlust hinweg, sie hatte ihm ihr Herz geschenkt, aber sie wusste, dass sie für ihre kleine Tochter da sein musste. Die Jahre vergingen und unsere Mutter wuchs zu einer bildhübschen jungen Frau heran die mehr von der Welt sehen wollte als nur Barcelona. Wie ihre Mutter verließ auch sie ihre Familie und stillte ihr Fernweh, ihre erste Reise führte sie nach Frankreich wo sie unseren Vater kennen lernte, den Rest könnt Ihr Euch vermutlich denken. Auf Grund unserer äußeren Erscheinung werden wir oft mit Argwohn bedacht, doch gerade wegen unserer Herkunft können wir für uns sehr gut leben und wir sind sehr glücklich.“ „Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche, aber ich stelle es mir äußerst schwierig vor von allen Seiten angefeindet zu werden.“ Man konnte es Viktor an der Nasenspitze ansehen, dass er von dieser Frau fasziniert war. „Nun Viktor, wir sind des Arabischen, Spanischen und Französischen mächtig. Den meisten Handel betreiben wir im vorderen Orient und auf Grund unserer Hautfarbe unterscheiden wir uns nicht sonderlich von den dort Ansässigen.“ Sie warf ihm ein Lächeln zu. Haydee spürte, wie ihr eine leichte Röte ins Gesicht stieg, als sie ihn ansah. Sie war eine stolze Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben stand und die so schnell nichts aus der Bahn warf, aber bei Viktor war das anders. „Und wie seid Ihr zu diesem riesigen Drei-Mast-Schoner gekommen?“, André hatte sich bis jetzt sehr still verhalten aber die Familiengeschichte der beiden Gastgeber erinnerte ihn etwas an seine eigene mit Oscar. Alejandro räusperte sich, „Nun unser Vater war erster Offizier auf diesem Schiff, er nahm Mutter überall auf seine Fahrten mit, sie kümmerte sich um die restlichen Männer an Bord, kochte und pflegte sie, wenn es ihnen nicht gut ging. Als der alte Kapitän an Altersschwäche starb, vermachte er sein Schiff unseren Eltern. Er vertraute und achtete unsere Eltern und er wusste, dass sie das Schiff in seinem Sinn weiterführen würden. Haydee und ich sind hier auf dem Schiff zur Welt gekommen und auch aufgewachsen. Für uns gibt es nichts anderes. Nun Haydee, wie wäre es jetzt mit dem Nachtisch?“ Er sah seine Schwester fragend und zugleich bittend an. Sie nickte leicht genervt und verschwand in die Küche um sogleich mit sechs kleinen Schüsseln aufzutauchen. „Zum Dessert gibt es heute Flan, das ist ein Pudding aus Karamell. Ich hoffe er schmeckt euch.“ Für alle war es eine willkommene Abwechslung die Süßspeise zu verzehren. „Und Eure Namen sind eine Hommage an eure Vorfahren, verstehe ich das richtig“, Oscar kam wieder zum eigentlichen Thema zurück. „Ja, ganz recht, Alejandro wurde nach unserem Großvater und Urgroßvater mütterlicherseits benannt und ich erhielt den Namen meiner Großmutter mütterlicherseits und den zweiten Vornamen von der Großmutter väterlicherseits.“ „Madame, würdet Ihr uns Euren zweiten Vornamen auch verraten?“ Viktor richtet das Wort an Haydee, er musste mehr von ihr erfahren, obwohl sie sich bis jetzt sehr zurückhielt und nicht viel von ihren Gefühlen preis gab, spürte er, dass er eine sehr temperamentvolle und leidenschaftliche Frau vor sich sah, die er unbedingt näher kennen lernen wollte. Noch nie hatte ihn eine Frau, abgesehen von Oscar, so interessiert wie diese hier. Nicht nur ihr Äußeres sprach ihn an, ihr Wesen war so geheimnisvoll und von ihr ging eine Aura aus, welcher er sich nicht entziehen konnte. „Meinen zweiten Vornamen wollt Ihr wissen Viktor, nun es ist nichts besonderes, ich heiße Mercedes. Ihr seht etwas ganz gewöhnliches.“ Für Viktor war es überhaupt nichts gewöhnliches, am liebsten hätte er dieser Frau all jene Komplimente zugeflüstert, die ihm jetzt gerade in den Sinn kamen. Wie gerne würde er mit ihr alleine draußen am Deck spazieren gehen und den Anblick des Sternenhimmels genießen. „Liebe Freunde, würdet Ihr mich kurz entschuldigen, jeden Abend mache ich am Schiff einen Rundgang, doch würdet Ihr meiner Einladung folgen und euch in einer halben Stunde am Heck einfinden? Haydee und ich lieben es am Abend noch einen Schluck Cognac an Deck zu nehmen. Das Himmelszelt und das sanfte Rauschen des Meeres tun ihr übriges bei um entspannt und ruhig schlafen zu können.“ Während seiner Worte hatte sich Alejandro auch schon erhoben. Die Pflicht rief nach ihm, aber er wollte die Gelegenheit des ersten Abends nutzen und seine Passagiere näher kennen lernen. Die Vier blickten sich überrascht an, darauf waren sie wahrlich nicht gefasst gewesen, doch sie nickten sich einstimmig zu. Diesmal übernahm Viktor die Führung und nahm die Einladung dankend an. Haydee hielt einige warme Wolldecken für alle bereit und die entzündeten Laternen spendeten ein sanftes Licht. Es war Oktober und die Nächte am Meer waren deutlich kälter als an Land, sodass sich jeder der Gesellschaft genüsslich in seinen Überzug kuschelte. Oscar hätte sich am liebsten an André gelehnt und seine Wärme gespürt, doch sie wusste, dass sie dies in der Gegenwart der Anderen nicht tun dürfte, ihre Tarnung musste aufrecht erhalten bleiben. Jedoch wählte sie den Platz rechts von André, Gegenüber von ihr saßen Alain und Viktor und zu ihrer Rechten hatten Alejandro und Haydee Platz genommen. Alejandro verzichtete beim Cognactrinken auf Gläser und so saß man in der Runde und ließ die Flasche wandern. „Ihr wisst nun einiges über Haydee und mich und wenn ich ehrlich bin, interessiert es mich brennend mit wem ich hier sitze und trinke.“ Alejandro war ein direkter Mann, er wusste, dass, wenn man gewisse Informationen erhalten möchte, es am besten war, direkt danach zu fragen. Oscar war keineswegs darüber überrascht, sie hatte sich schon so etwas gedacht. „Nun Kapitän, wir alle vier hier sind ehemalige Soldaten aus Paris, Söldner wenn ihr es genau wissen wollt, doch mit dem Sturm auf die Bastille und den Aufständen in der Stadt wurden wir verletzt. Nachdem wir uns einigermaßen erholt hatten, beschlossen wir einen anderen Weg in unserem Leben einzuschlagen und jetzt sitzen wir hier auf Eurem Schiff.“ Sie wollte bis zu einem gewissen Grad ehrlich zu dem Mann und seiner Schwester sein, die sie so freundlich auf ihr Schiff aufgenommen hatten. Oscar fand es für richtig ihre Wahrheit etwas ungenau zu erzählen. „Verzeiht meine Direktheit, jedoch scheint es mir, als würdet Ihr mir noch etwas verschweigen“, Alejandro lächelte sie bei diesen Worten wohlwissend an. Er war in seinem Leben vielen Leuten aus allen möglichen Gesellschaftsschichten und Kulturkreisen begegnet und er erkannte es sofort, wenn ihm jemand nicht die ganze Wahrheit erzählte. Oscar wurde langsam nervös und ihre Hände wurden feucht, sie wischte sich ihre Handflächen mehrmals an ihren Hosenbeinen ab und überlegte krampfhaft, was sie darauf antworten sollte. André spürte ihre Nervosität und übernahm deshalb das Wort, „Wie kommt Ihr darauf, dass wir Euch etwas verheimlichen würden?“ André sah Alejandro direkt in die Augen. „Nun, ich finde es schon interessant, dass zwei Männer die gleichen Ringe am rechten Ringfinger tragen“, in der Stimme des Kapitäns lag Triumph. In den Moment als sich Oscar und André überrascht und überrumpelt anstarrten, war ihre Tarnung aufgeflogen. „Madame, lasst mich raten, der Herr zu Eurer Linken ist Euer Gemahl, habe ich nicht Recht?“ Selbst Haydee war über die Worte ihres Bruders überrascht, auch sie ahnte so etwas in der Art, doch hätte sie es nicht auszusprechen gewagt, doch die Ringe an deren Finger waren eindeutige Indizien. Nach einem kräftigen Schluck von der Cognacflasche meldete sich Alain zu Wort, „Seid uns bitte nicht böse Kapitän, doch wir dachten, dass es besser und sicherer sei, wenn wir den Kommandanten als Mann ausgeben würden.“ ‚Kommandanten?!’, schoss es Alejandro durch den Kopf. „Ich denke, es wird heute eine lange Nacht werden, bis ihr dies aufgeklärt habt.“ Oscar nickte ihm zu. „Kapitän, Ihr habt unser Vertrauen verdient, mein Name ist aber wirklich Oscar Francois Jarjayes, nein, wenn ich ehrlich bin jetzt Oscar Grandier und ihr hattet Recht, André hier ist mein Mann. Es stimmt auch, dass ich eine Frau bin und dass ich ein Söldner war oder besser gesagt der Kommandant der Truppe.“ Oscar atmete noch einmal tief durch und begann dann ihre Geschichte von Anfang an zu erzählen. Von zu Hause, ihrem Vater dem General und seinem Wunsch nach einem Stammhalter, von ihrer Erziehung und von der Aufgabe Hauptmann der Leibgarde zu werden. Sie erzählte alles, sie ließ nichts wichtiges aus und als sie mit ihrer Geschichte geendet hatte, war es, als fiele ihr ein Stein vom Herzen. Erschöpft vom vielen Reden und von der Last die von ihr fiel, lehnte sie sich an André, der sie zärtlich in die Arme nahm. Erst jetzt bemerkten sie, dass sich Haydee Tränen wegwischte, Alejandro dagegen saß mit offenen Mund vor ihnen. Unter einem leisen Schluchzen wandte Haydee einige Worte an Oscar, „Madame, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich Euch um Euren Mut und um Eure Stärke beneide. Ihr habt wohl wissentlich alles riskiert und so viel gewonnen.“ „Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche, ich habe für mich einfach alles gewonnen“, wie Oscar dies gesagt hatte, drückte sie Andrés Hand und sah ihn verliebt an. Alejandro war wie erschlagen, nicht nur ihre Offenheit sondern auch die Geschichte selbst machten ihn sprachlos. Wieder machte die Cognacflasche ihre Runde und jeder nahm einen ordentlichen Schluck. Nachdem sich Alejandro wieder etwas gefasst hatte und auch realisierte, dass er den ehemaligen Kommandanten der königlichen Leibgarde und ihren Stellvertreter Graf de Girodelle neben sich sitzen hatte, fragte er nach ihren weiteren Vorgehen. „Nun Madame, was begehrt Ihr in Spanien, reist Ihr mit einer bestimmten Absicht dorthin oder wolltet Ihr nur weg von Frankreich?“ Oscar hatte bei dieser Frage das Gefühl, dass jeder für sich selbst sprechen sollte. Und so geschah es auch. Oscar erzählte von ihrer Tuberkulose und von dem damaligen Rat ihres Arztes sich zu schonen und dass sie sich eine neue Behandlungsmethode erhoffte. André berichtete von dem damaligen Auftrag den „Schwarzen Ritter“ zu stellen und das Unglück, dass ihnen damals widerfahren war, auch über seine Angst sein zweites Auge endgültig zu verlieren, teilte er ihnen mit. Für Alejandro und Haydee waren das zwei sehr nachvollziehbare Gründe solche Strapazen auf sich zu nehmen. Doch was bewegte Viktor und Alain sich dem Ehepaar anzuschließen? Als Alain an der Reihe war seine Absichten kund zu tun, wusste er nicht wirklich, wo er anfangen sollte, einen so triftigen Grund wie Oscar und André hatte er nun nicht. „Hm, wenn ich ehrlich bin wollte ich einfach nicht alleine sein. Ich habe meine Schwester und meine Mutter verloren und als uns der Kommandant aus unserer Pflicht entließ, stand ich alleine da. Mir sind die Zwei ans Herz gewachsen und da man auf so einer Reise doch jede Hand gebrauchen konnte, schloss ich mich einfach an.“ Er nickte zufrieden, für ihn waren seine Ausführungen mehr als plausibel. Alejandro nickte Alain verständnisvoll an, er konnte ihn voll und ganz verstehen. Jeder Mensch brauchte einen Ort oder Menschen an dem er sich Zuhause fühlte. Er selbst hatte diesen Platz auf seinem Schiff mit seiner Schwester Haydee. Kurz dachte Alejandro daran, wie er fühlen würde, wenn es ihm so ergangen wäre wie Alain, er konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen. Viktor starrte unterdessen aufs Meer. Er hatte den anderen nur mit einem Ohr zugehört, darüber was er erzählen sollte, hatte er noch nicht nachgedacht. Das Einzige was er spürte, war eine Sehnsucht, doch er konnte beim besten Willen nicht erklären wonach er sich sehnte. Zeitweise fühlte er sich alleine, verlassen, wie wenn er der einzige Mensch auf der Welt wäre und dass obwohl er jeden Tag mit Oscar, André und Alain verbrachte. Der Streit zwischen ihm und André hatte ihn vermehrt zum Nachdenken gebracht. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass er unheimlich eifersüchtig auf André war. Nicht auf Grund der Tatsache, dass Oscar André gewählt hatte, damit konnte sich Viktor langsam aber doch abfinden und er wusste, dass es das Beste für alle war. Er beneidete André darum, dass er einfach geliebt wurde, er wurde so von einer Frau geliebt, die sich sogar für ihn in den Tod begeben würde. Viktor wurde immer mehr seine Einsamkeit bewusst, je mehr Zeit er mit Oscar und André verbrachte umso mehr wurde ihm sein eigenes Schicksal klar. Musste er etwas ändern, musste er sich ändern um wieder glücklich sein zu können? Es war ihm bewusst gewesen, dass er bei seinen Soldaten als arrogant und unterkühlt galt, damals musste er diese Mauer aufrechterhalten, er war schließlich ihr Vorgesetzter, doch war es jetzt noch für ihn möglich diese Mauer zu durchbrechen? Die Gedanken die in seinen Kopf Purzelbäume schlugen, deprimierten ihn und er wollte in diesem Moment nur alleine sein. „Entschuldigt mich bitte, ich fühle mich etwas unwohl...“, Viktor erhob sich schnell und verschwand unter Deck. Er ging zu den Pferden, vielleicht gab ihm Diablo seine innere Ruhe wieder. Viktor hielt Diablos Kopf und lehnte seinen dagegen, er streichelte sanft den Hals des Rappen. Der Rest der Gruppe sah Viktor verstört hinterher. Keiner wusste, was genau Viktors Reaktion ausgelöste hatte, noch dazu kannte keiner von ihnen solch ein Handeln. „Am Besten ist es wohl, ich gehe ihm hinterher.“ Alain wollte gerade aufstehen und in den Bauch des Schiffes gehen, da meldet sich Haydee zu Wort, „Alain, lasst ihn vielleicht noch etwas alleine und dann werde ich zu ihm gehen. Ich habe das Gefühl, dass ihn etwas bedrückt, das hiermit zu tun haben könnte und da ist es wahrscheinlich besser, wenn er mit einer außenstehenden Person darüber spricht.“ Alain nickte Haydee dankbar zu, er war erleichtert, selbst Alain kam ab und zu an seine Grenzen und auch er wusste bei Viktor nicht immer was er ihm raten könnte. Haydee erhob sich und ließ Alejandro, Alain, Oscar und André zurück. Als würde sie einem roten Faden folgen, führte sie ihr Weg direkt in den Frachtraum, in dem die Pferde standen. Sie blieb kurz am Treppenabsatz stehen und betrachtete Viktor eingehend, er hatte sie bis dahin nicht bemerkt, er war zu sehr in die Streicheleinheiten, die er seinem Pferde schenkte, vertieft. In Haydee entflammte das Gefühl, dass ihr Schicksal irgendwie mit diesem Mann verbunden war. Erst als sie ihm gegenüber stand bemerkte Viktor, dass er nicht alleine war. „Ihr habt ein wunderschönes Tier, Monsieur.“ Haydees Finger glitten langsam über das schwarze Fell des Tieres. „Ja, das ist er, auf ihn kann ich mich immer verlassen, er lässt mich nicht im Stich.“ Haydee ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor sie erneut zu sprechen anfing. In der kurzen Zeit musterte sie den Grafen gründlich. Er war groß gewachsen, hatte aber nicht allzu breite Schultern, im Vergleich zu Alain oder André wirkte er fast etwas schmächtig, er war etwas feingliedriger als die zwei Männer, drahtiger. Sein braunes Haar enthielt alle möglichen Nuancen, selbst dünne blonde Strähnen ließen sich darin erkennen. Seine wohlgeformten Augenbrauen waren um einiges dunkler als sein Haar und sie verliehen seinen hellen Augen noch mehr Ausdruck. Wie wahr war doch der Spruch, dass die Augen die Spiegel der Seele seien. Haydee konnte darin Enttäuschung, Einsamkeit und Traurigkeit erkennen. Sie verspürte einen leichten Stich in ihrem Innersten, der Ausdruck seiner Augen berührte sie, Haydee hatte das Bedürfnis ihm nahe sein zu wollen. Sie wollte ihn trösten, Kraft geben, sie wollte doch nur, dass es ihm besser ging. Warum sie so empfand, konnte sie noch nicht richtig deuten. Als Viktors Hand erneut Diablos Hals hinunterglitt, nahm Haydee allen Mut zusammen und ergriff seine Hand. Er war sichtlich erstaunt über ihr Handeln, doch ließ er ihre Nähe zu. „Viktor, was bedrückt Euch, Ihr seid doch nicht ohne Grund einfach so davon gelaufen? Haben wir Euch in irgendeiner Weise beleidigt oder verletzt?“ Sie machte sich wirklich Sorgen, das spürte er und er war dankbar für ihre Anteilnahme und ihr Interesse. „Mademoiselle, ich weiß nicht, ob ich Euch mit meinen Problemen belasten darf. Vielleicht erscheinen sie sogar lächerlich, wenn ich sie laut ausspreche.“ Sein Blick richtete sich gen Boden. „Graf, so dürft Ihr nicht sprechen, es hat jeder Mensch einen guten Grund warum er so fühlt, dafür braucht Ihr keine Entschuldigung.“ Sie lächelte ihn aufmunternd an und hoffte, dass er ihr sein Herz öffnen würde, um sich seine Last von der Seele zu reden. Viktor atmete tief durch, vielleicht war es gar keine schlechte Idee einmal mit einer außenstehenden Person darüber zu reden. „Nun, es ist gar nichts Weltbewegendes und für einen Mann vielleicht auch etwas untypisch zuzugeben, aber nach all den Jahren des Dienstes in der Leibgarde, der Kämpfe und der Verluste fühle ich mich einfach nur einsam. Ja, ich bin tagtäglich mit Alain, Oscar und André zusammen und ich danke Gott dafür, dass ich sie begleiten kann, aber.“ Er stockte, sollte er vor der Frau mit der ganzen Wahrheit herausrücken oder merkte sie vielleicht schon etwas? „Graf, sprecht doch weiter, bitte, habt keine Scheu.“ Sie hielt immer noch seine Hand und es fühlte sich gut an, nicht nur um seinetwillen lag sie noch dort, sondern auch um ihretwillen. „Auch ich habe um die Hand von Oscar angehalten, doch sie wollte damals nie heiraten. Wahrscheinlich wusste sie insgeheim um ihre Liebe zu André. Ich finde es auch sehr gut so wie es gekommen ist, André ist der richtige Mann für sie. Aber wenn ich ehrlich bin, nagt die Eifersucht an mir. Ich beneide André um seine Liebe und darum, dass er von einer Frau so geliebt wird. Wisst Ihr, ich bin an einem Punkt in meinem Leben angelangt, wo andere Dinge einen höheren Stellenwert bekommen. Vereinfacht gesagt, auch ich wünsche mir eine Familie, eine Frau an meiner Seite, die mich liebt und die ich lieben darf.“ Viktor schüttelte den Kopf, seine Worte kamen ihm so dumm vor, noch mehr als es ihm bewusst wurde wem er sie gesagt hatte. Viktor konnte gar nicht erahnen, wie er Haydee aus der Seele sprach. So lange sie mit dem Schiff unterwegs waren und sich vor ihnen nur das offene Meer darbot, war für sie alles in Ordnung. Doch so bald sie an Land ging wurde sie von der Realität eingeholt. Sie war gerade dreißig geworden, ihr Bruder und sie trennten ein großer Altersunterschied, da ihre Mutter einige Fehlgeburten erlitten hatte. Auch sie sehnte sich immer öfter nach einem Mann an ihrer Seite. Haydee betrachtete bei ihren Landgängen immer wieder die jung vermählten Paare wie sie glücklich und zufrieden am Hafen entlang schlenderten. Oder die vielen Familien die in den vielen Geschäften ihre Besorgungen erledigten. Ja, sie verstand Viktor sehr gut, viel zu gut. Am liebsten hätte sie ihm übers Haar gestrichen und sich an ihn gelehnt, bei dem Gedanken erschrak sie selbst ein bisschen. Sie ließ sonst solche Gefühle nicht zu. „Monsieur, eure Gefühle sind mir nicht fremd und dennoch vertraue ich darauf, dass das Schicksal mir dieses Glück noch bereit hält. Ich glaube fest daran, dass jeder Mann oder jede Frau sein Gegenstück auf dieser Welt hat und finden wird. Und Ihr solltet ebenso daran glauben.“ Ihre Worte überraschten ihn, nie hätte er gedacht so offene Worte von ihr zu hören und er dankte ihr mit einem zart gehauchten Kuss auf ihre Hand. „Madame, wenn ich Euch so betrachte bin ich mir sicher, dass Euch das Glück noch hold sein wird.“ Er konnte tun und machen was er wollte, aber die Frau die ihm gegenüber stand hatte einfach die dunkelsten und geheimnisvollsten Augen die er je gesehen hatte. „Viktor, lasst uns wieder zu den anderen gehen, sie werden sich sicher schon Sorgen machen.“ Er nickte, doch es tat ihm leid wieder zu der Gruppe zurückzukehren, da er ihre zarte Hand wieder loslassen musste. Alejandro sah als erster wie seine Schwester und Graf de Girodelle der Gruppe wieder näher kamen. Er stand auf, streckte sich und gähnte. „Es ist wohl das Beste wenn wir uns jetzt zu Bett begeben, es war ein langer, aufregender Tag.“ Den Anderen ging es nicht anders, der anstrengende Ritt, das aufregende Abendessen und der Nachttrunk hatten das ihrige getan und alle waren froh, müde in ihre Betten zu fallen. Oscar war erleichtert Viktor wieder bei ihnen zu sehen, sie würde morgen mit ihm über das Vorgefallene sprechen, obwohl sie sich nicht viel davon erhoffte. André zog fast ungeduldig an ihrer Hand, er wollte mit ihr etwas alleine sein, er wollte einfach neben ihr einschlafen, sie dabei umarmen, ihren Atem hören und den Duft ihres Haares einatmen. Er war sichtlich erleichtert darüber die Besatzung des Schiffes nicht anlügen zu müssen, er mochte keine Versteckspiele. Als Oscar und André in ihrer Kabine verschwunden waren, der Kapitän noch die letzten Worte mit seinem Steuermann gewechselt hatte, standen nur mehr Alain und wenige Meter von ihm entfernt Viktor und Haydee an Deck. Alains Blick schweifte aufs schwarz schimmernde Meer, er wartete noch ein paar Minuten, vielleicht würde Viktor noch mit ihm reden wollen, er selbst hatte das Gefühl, dass noch etwas besprochen werden musste. Alain hörte leise Schritte hinter sich, Viktor stellte sich zu ihn an die Reling und blickte aufs Wasser. „Danke Alain.“ Der Ex-Söldner wandte verwundert sein Gesicht zum Grafen „Wofür dankst du mir?“ „Dass du mein Freund bist, obwohl wir uns nur so kurz kennen.“ „Viktor, was ist mit dir los, du kamst mir schon bei unserer Abreise so komisch vor, bedrückt dich etwas? Du weißt, du kannst es mir sagen, ich werde es keinem erzählen.“ „Wenn du es wirklich wissen willst, ich fühle mich einsam, ich will ehrlichgesagt dasselbe wie André Nicht wie du denkst, ich will eine Frau, die mich liebt, ich will ein zu Hause und vielleicht Kinder, ist das denn so falsch?“ Alain verstand seinen Freund nur zu gut. Durch Oscar und André wurden beide unmittelbar klar, was ihnen bisher gefehlt hatte. In ihren Leben gab es bisher nur Krieg und Kampf, Leben oder Tod, natürlich hatten sie alle Damenbekanntschaften gemacht, Bezahlte und Unbezahlte, doch das Herz sehnte sich nach Wärme, das konnte der noch so härteste Soldat nicht abstreiten. „Viktor, ich verstehe dich voll und ganz, seit dem Tod meiner geliebten Schwester Diane und meiner Mutter verspüre ich diese Sehnsucht immer mehr. Aber wenn mich meine Augen nicht täuschen, bist du, mein Freund, auf dem besten Wege dorthin deine Sehnsüchte zu stillen. Er schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und lachte herzhaft. „Denkst du wirklich?“ Viktor zwinkerte seinem Freund zu „Dann lass uns sehen, was der nächste Tag wohl bringen mag.“ Es war ein ungewohnt sonniger Morgen für einen Tag Anfang Oktober. Oscar rieb sich verschlafen die Augen als sie und André an Deck gingen. Keiner von ihren Freunden hielt es für wichtig sie zu wecken. Nach dem Stand der Sonne musste es bereits gegen halb zehn Uhr sein. „Ah, guten Morgen Kommandant, André. Euer Frühstück steht schon bereit und André, du musst dir keine Sorgen machen, Viktor und ich haben die Arbeit bei den Pferden schon erledigt, du kannst dir also genügend Zeit lassen.“ André war überrascht über die gute Stimmung, die Alain erfasst hatte. Man könnte glauben, er empfand die Schiffsüberfahrt als Vergnügen. „Alain, wo ist denn Viktor, ich kann ihn nirgends entdecken?!“ „Der, der hängt dort oben in den Seilen.“ Alain zeigte zur Verstärkung seiner Aussage hinauf zum Hauptmast und wirklich, geschickt hangelte sich der ehemalige Kommandant der königlichen Leibgarde von einem Tau zum Nächsten. Oscar konnte zu ihrer Verwunderung nur den Kopf schütteln. So etwas hatte sie noch nicht gesehen und wenn sie ehrlich war, konnte sie es fast nicht glauben als nach ein paar Minuten Viktor strahlend vor ihnen stand. „Guten Morgen Lady Oscar, André“, er nickte den beiden zu, „ich möchte mich für mein Verhalten von vorgestern entschuldigen, mir ist klar geworden, dass ich mir einiges angemaßt habe.“ Er streckte seine Hand André entgegen und hoffte darauf Vergebung zu finden. „Graf, auch ich muss mich entschuldigen, mit mir sind wohl die Pferde durchgegangen, es tut mir leid.“ Erleichtert darüber, die Konflikte gelöst zu haben, gaben sich die beiden Männer die Hände. „Wie ich gesehen habe, werdet Ihr wohl eure Bestimmung wechseln, wenn man das überhaupt kann. Wollt Ihr vielleicht Seemann werden?“ Oscar erlaubte sich einen kleinen Scherz, doch wie sie den Grafen am Mast herumturnen sah, wirkte er auf sie glücklich. „Nun Madame, sagt niemals nie, wer weiß was das Leben noch bringen wird.“ Nachdem sie ausgiebig gefrühstückt hatten, widmete sich Oscar wieder ihrer Landkarten um die nächste Route genauestens zu planen. Sie tat sich dabei etwas schwer, da sie keine Anhaltspunkte hatte, wo sie nach geeigneten Ärzten Ausschau halten könnten. Alain half währenddessen den Matrosen bei ihren Arbeiten an Deck und Viktor ließ sich vom Steuermann in die Schiffsfahrt einweisen. Jeder hatte etwas zu tun, nur André wusste nicht so recht, was er machen sollte, seine Arbeit bei den Pferden wurde schon erledigt und so blieb ihm nichts anderes mehr übrig als in seinem Wörterbuch zu lesen. Er saß draußen an Deck und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen in seinem Gesicht. Seit er sich mit Viktor vertragen hatte, spürte er um wie viel er wieder besser sah. Die Schwankungen seiner Sehstärke brachten ihn zum Nachdenken. Noch mehr sorgte er sich aber um Oscar. Er merkte in der Nacht wie unruhig sie schlief und dass ihr Körper eiskalt durch den Schweiß auf ihrer Haut war. Sie hustete zwar nicht mehr so oft wie früher, doch man sah es ihr regelrecht an, wie ihr Körper aus dem Gleichgewicht geraten war. „André, bald ist das Mittagessen fertig, würdet Ihr Euch dann bitte zu Tisch begeben?“ Aus seinen Gedanken gerissen, bemerkte er wie Haydee neben ihm stand, er hatte sie gar nicht kommen sehen. „Natürlich Mademoiselle, habt vielen Dank.“ Er klappte sein Buch zu und wie er es beiseite legte, fiel Haydees Blick auf das Werk. „Oh André, lernt Ihr Spanisch? Das ist eine wundervolle Idee und Ihr werdet es sicher brauchen können. Wenn Ihr wollt, können wir am Nachmittag eine kleine Übungsstunde abhalten!“ „Sehr gerne, wenn es Euch keine Umstände macht, ich habe schon einige Fragen bezüglich der Aussprache.“ Haydee hatte sich in ihrer kleinen Kombüse wieder selbst übertroffen. Oscar fühlte sich fast wie zu Hause und hätten sie nicht schon ihre Pläne, wäre sie am liebsten mit der ‚Velaje curento’ weiter bis in den Orient gesegelt. Sie saß mit ihren Freunden am Mittagstisch als sie ein leichter Schwindel überkam und ein Schmerz, der Oscar bis dato unbekannt war, in ihr aufging. Sie hielt sich verkrampft am Tisch fest und wartete bis ihr Leid vorbei war. Ihr war auch aufgefallen, wie schlecht sie in den letzten Nächten geschlafen hatte, obwohl es keinen ersichtlichen Grund dafür gab. ‚Es wird wohl mit der Tuberkulose zusammenhängen oder habe ich gestern zu viel getrunken?“ Der Cognac war sehr stark und gut, nachdem sie gestern aufgestanden war, hatte sie gemerkt, wie sehr sie den Alkohol spürte. André bemerkte ihre verkrampfte Körperhaltung und wie angestrengt sie nachdachte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. „Lady Oscar, geht es Euch nicht gut, kann ich etwas für euch tun?“ Auch Haydee war der schmerzverzehrte Gesichtsausdruck nicht entgangen. Oft brauchte sie nur einen Menschen ansehen und sie wusste womit sie ihm helfen konnte. So war es ja auch mit Alain, sie hatte es ihm damals ansehen können, wie schlecht er sich am Tisch gefühlt hatte. „Habt Dank Haydee, aber es geht schon, ich werde mich wohl besser etwas hinlegen.“ Sie stand auf und als sie bei der Tür stand, wandte sie sich um und fragte Alejandro, ob er ihr vielleicht etwas später helfen könnte ihre Route zu planen. Natürlich würde er ihr helfen, das war eine Selbstverständlichkeit. „Oscar, soll ich dich begleiten?“ André wollte sich schon von seinem Platz erheben und seine Frau zur Kajüte begleiten, aber sie winkte ab. „Lass es gut sein André, genieße noch das restliche Mittagessen und in mein eigenes Bett werde ich wohl noch finden.“ Sie trat hinaus an die frische Luft, es waren vermehrt Wolken am Himmel und die Windböen blähten die Segel in ihre volle Größe auf. Der untypische sonnige Morgen war einem normalen Herbstwetter auf See gewichen, die Wellen schlugen höher und das Schiff fing an zu schaukeln. Oscar musste sich an der Reling festhalten, denn ein neuer Anfall von Schwindel und das schwankende Schiff ließen sie fast hinfallen, ihre Augen taten weh, vor allem wie sie von der noch ab und zu durchscheinende Sonne getroffen wurden. Ihr wurde übel und ein unerwarteter Schmerz in ihrem Kopf ließ sie aufstöhnen. Kopfschmerzen kannte sie nur von durchzechten Nächten. Sie wollte nur mehr in ihr Bett, am liebsten würde sie sich in das dunkelste Eck des Schiffes verkriechen und sich eine Decke über den Kopf ziehen. Sie kniff die Augen zusammen und machte sich, geplagt von der Übelkeit und den Kopfschmerzen, auf den Weg in ihre Kajüte. Währenddessen kämpfte André mit sich ihr nicht zu folgen. Oder sollte er doch? Er sorgte sich um sie. Was wenn sich ihr Zustand während ihrer Reise noch weiter verschlechtern würde? Was wenn sie noch kränker wurde und... Er schüttelte seinen Kopf, am liebsten hätte er diese Gedanken aus sich herausgeschüttelt. André wollte nicht daran denken, was alles Schreckliche passieren konnte. Wenn sie ihn für immer verlassen würde, er würde ihr folgen, das hatte er sich geschworen. Ohne Oscar machte sein Leben keinen Sinn. „André, würdet Ihr es gestatten, wenn ich Eure Frau in Eurer Kajüte aufsuche? Ich habe das Gefühl, dass es ihr nicht sonderlich gut geht, vielleicht kann ich ihr helfen?“ Haydee hatte sein betrübtes Gesicht bemerkt und nach dieser unglaublichen Geschichte die sie von den beiden Liebenden erst gestern erzählt bekommen hat, fühlte sie Andrés Schmerz und Sorgen. „Ja, sehr gerne, ich werde Euch begleiten.“ Haydee nickte ihm zu und so verschwanden die beiden um Oscar aufzusuchen. Das Zimmer war dunkel, es war keine Kerze angezündet und auch die kleine Luke, die als Fenster diente, war verhangen. Haydee war etwas überrascht, als sie keine Antwort erhielt, wie sie klopfte und wie sie das abgedunkelte Zimmer sah, hatte sie schon eine Vermutung worunter Oscar litt. „Lady Oscar, seid Ihr hier?“ André und Haydee orteten nur ein leichtes Brummen, das vom Bett zu kommen schien, als sie sich diesem näherten, sahen sie, wie ein Körper unter der Bettdecke lag. „Oscar, was ist mit dir, geht es dir so schlecht?“ André kniete sich besorgt nieder und lüftete die Bettdecke, der blonde Haarschopf lugte hervor und die Augen waren fest verschlossen. „Ich hab solche Kopfschmerzen und mir ist so übel. Ich kenne so etwas gar nicht.“ „Dann weiß ich was euch fehlt, ihr habt Migräne, doch normaler weise leiden die Personen häufiger darunter.“ Sind euch diese Symptome gänzlich unbekannt?“ Oscar nickte nur kurz. Sie fühlte sich, wie wenn ihr Pferd auf sie gefallen wäre. Sie wollte sich so wenig wie möglich bewegen und auf keinen Fall die Augen öffnen. „Wartet hier einen kleinen Moment, ich werde Euch etwas bringen, vielleicht haben wir Glück und Ihr fühlt Euch danach besser.“ Haydee verschwand in die Küche und setzte Wasser auf, dann huschte sie in ihr Zimmer und holte ein kleines Fläschchen. Als sie mit ihren Erledigungen fertig war, brachte sie Oscar eine Tasse Kaffee und eben dieses Fläschchen. „So Lady Oscar, trinkt dies bitte. Das einzige was jetzt noch passieren kann, ist, dass Eure Kopfschmerzen sich verschlechtern.“ Haydee öffnete derweilen das Fläschchen und träufelte einige Tropfen davon auf ihre Fingerspitzen. „Ihr erlaubt doch?“, ohne eine Antwort abzuwarten, begann Haydee die Schläfen von Oscar zu massieren „Spürt Ihr schon eine kleine Besserung?“ Oscar verneinte. Daraufhin massierte sie ihren Nacken. In Oscar löste sich eine Verspannung nach der anderen. Die Kopfschmerzen waren zwar nicht ganz weg, doch hatten sie an Intensität verloren. „Legt Euch nun wieder hin, ruht Euch aus, die Stellen die ich jetzt massiert hatte, werden wahrscheinlich ganz kühl werden, das ist ganz normal.“ Oscar kam der Geruch des Öls sehr bekannt vor, nur konnte sie es noch nicht richtig zuordnen. André der die Szene still beobachtet hatte, dachte auch angestrengt nach, wonach es sich hier handeln könnte. „Pfefferminze und, ach was war denn da noch beigemischt?“ Er kam einfach nicht darauf. „Eukalyptus, der Baum aus Australien. Die kühlende und erfrischende Eigenschaft von Pfefferminze und Eukalyptus helfen, dass sich die damit behandelten Körperregionen entspannen. Beim Kaffee weiß ich leider nicht, warum er wirkt, aber er hilft oft bei Kopfschmerzen. André würdet Ihr bitte so nett sein und noch eine Karaffe mit frischem Wasser holen, Flüssigkeit ist überaus wichtig.“ André nickte und war froh, wenn er helfen konnte. Bisher konnte er nur tatenlos zusehen und hoffen, dass es seiner Liebe bald besser ging. Als die Tür hinter ihm zufiel, beugte sich Haydee zu Oscar hinunter und sah sie fragend an. „Verzeiht mir meine Neugier, aber Menschen die sonst nicht unter dieser Krankheit leiden, erwischt es meistens nicht so stark. Ist Euch vielleicht sonst noch etwas aufgefallen? Ich meine, Ihr seid verheiratet Lady Oscar, könnte es möglich sein, dass Ihr schwanger seid?“ Schwanger? Oscar wurde zum ersten Mal richtig bewusst, dass die Möglichkeit bestünde schwanger zu sein. Nie hatte sie sich darüber Gedanken gemacht, diesen Teil ihres weiblichen Daseins hatte sie wohl vollkommen verdrängt. Auch das Ausfallen ihrer Regelblutung war für sie normal, schon früher hatte sie diese Unregelmäßigkeiten auf Grund ihres Lebensstil. Stress und Ärger, ihre kräfteraubende Arbeit und die Dienst bei jeglichem Wetter taten das ihrige zu diesem Umstand bei. Die Möglichkeit bestünde auf jeden Fall, da sie das Bett mit André teilte. „Ähm, möglich wäre es ja, mein Gott, darüber hab ich gar nicht nachgedacht.“ „Ich würde sagen, Ihr beobachtet Euren Körper etwas eingehender in den nächsten Tagen. Es wird sich bald zeigen, was Euch fehlt.“ Haydee grinste, sie fand es fast schon belustigend wie sorglos Oscar mit körperlicher Liebe umging und das obwohl sie eine erwachsene Frau war. Just in dem Moment als die beiden Frauen ihr Gespräch beendet hatten, ging die Tür auf und André kam mit der gewünschten Karaffe mit Wasser herein. „Ich lasse Euch jetzt allein, falls Ihr noch etwas braucht, meldet Euch bitte!“ „Danke Haydee.“ Als die zwei alleine waren, kniete sich André vor Oscars Bett. „Kann ich noch etwas für dich tun, bevor ich dich wieder alleine lasse?“ „Bleib bitte bei mir.“ Sie rutschte zur Seite, um ihren Mann Platz zu machen und zog ihn zu sich aufs Bett. Der Gedanke einer Schwangerschaft verunsicherte sie ungemein, Oscar wusste noch nicht, ob sie André diese Vermutung erzählen sollte oder nicht. Sie wollte ihn nicht unnötig hoffen lassen, denn was wäre, wenn sie doch kein Kind erwartete. Sie beschloss für sich noch zu warten, Haydee hatte Recht, am Besten war es, wenn sie mehr auf ihren Körper achten würde. Doch diese Unsicherheit nagte an ihr und sie war froh André neben sich zu spüren. Sie hatte ihren Kopf an seine Brust gelehnt und er umschloss sie mit seinen Armen. „Dich bedrückt doch etwas, aber du wirst es mir hoffentlich sagen, sobald du so weit bist, oder?“ André drängte Oscar gar nicht dazu mit ihren Problemen herauszurücken. Er wusste, wenn die Zeit reif war würde sie selbst auf ihn zukommen, so war es immer. „Lass mir noch ein bisschen Zeit, aber ich verspreche dir, dass ich mich dir als erstes anvertraue.“ Sie schenkte ihm einen zärtlichen Kuss auf seine weichen Lippen und schmiegte sich an ihn. André streichelte ihren Rücken und durch das Schwanken des Schiffes wurden sie langsam in den Schlaf gewiegt. Haydee war in Gedanken versunken. Auf ihren Weg in die Küche; sie musste noch das Chaos beseitigen, welches sie jedes Mal veranstaltete, wenn sie kochte; stieß sie mit Viktor zusammen. Sie war zuerst sehr erschrocken wegen des Aufpralls, aber wie sie sah, mit wem sie zusammenstieß, wurde es ihr regelrecht heiß und sie errötete. Er nutzte die Gelegenheit und hielt sie an ihren Oberarmen fest, für Außenstehende vielleicht eine Spur zu lange, doch die beiden genossen diese unschuldig anmutende Geste sehr. „Mademoiselle, verzeiht mir bitte mein Unachtsamkeit.“ Viktor sah ihr dabei fest in die Augen, ehrlichgesagt tat es ihm überhaupt nicht leid, sondern er dankte Gott dafür mit ihr zusammengestoßen zu sein. Auch Haydee war mehr als erfreut über dieses Zusammentreffen. Nur selten war es hier am Schiff möglich mit dem Grafen ein vertrautes Wort zu wechseln. „Ihr müsst mich entschuldigen, ich war in Gedanken und sah Euch nicht kommen.“ Viktor nahm all seinen Mut zusammen, er wusste, wenn er jetzt nichts riskierte, würde er auch nichts gewinnen können. Die Abweisung, die ihm damals Oscar gezeigt hatte, nagte lange an ihm, damit hatte er wahrlich schwer zu kämpfen. „Haydee, würdet Ihr mir heute die Ehre zuteil werden lassen und mit mir nach dem Abendessen einen kleinen Spaziergang an Deck unternehmen?“ Jetzt war es heraus, mit dieser Einladung tat er sein Interesse an dieser Frau kund. Die Sekunden zu ihrer Antwort kamen Viktor wie Stunden vor, er hatte schon die Befürchtung, dass er wieder abgewiesen werden würde, er blickte zu Boden. Haydee hingegen war so perplex, nichts hätte sie sich sehnlicher gewünscht, als mit Viktor alleine zu sein und so dauerte es etwas bis sie ihre Antwort herausstotterte. „Sehr, sehr gerne Graf.“ Ein erleichtertes und freundliches Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. „Nun Mademoiselle, dann werde ich Euch nach dem Abendessen in Eurer Kabine abholen, wenn Ihr gestattet.“ Wieder hauchte er ihr einen Kuss auf ihre Hand und verschwand sogleich unter Deck. Viktor hätte lügen müssen, wenn er seine Schmetterlinge im Bauch verleugnet hätte. Alain war gerade in der Kabine um sich etwas hinzulegen, das gute Essen und die wenige Arbeit am Schiff verleiteten ihn etwas zur Faulenzerei. Früher in der Kaserne hatte er in solchen Momenten mit seinen Kameraden Karten gespielt und sich gegenseitig derbe Witze erzählt. Nun würde er halt seinem Körper etwas Erholung gönnen. Er hatte sich gerade seine Jacke ausgezogen und aufs Bett gelegt, als sich die Tür der Kabine öffnete und eine strahlender Graf de Girodelle eintrat. „Viktor, mein Freund, was ist denn mit dir los, die Sonne ist ein harmloser kleiner Stern gegen dich. Dir ist wohl anscheinend der weibliche Kapitän dieses Schiffes über den Weg gelaufen?“ Alain konnte sich seine Bemerkungen nicht verkneifen, er meinte es aber nicht wirklich böse. Er freute sich, wenn Viktor so gut aufgelegt war und es ihm gut ging. Viktor musste ihm insgeheim ja Recht geben, seine Laune besserte sich einfach, sobald er Haydee begegnete. „Alain, dir kann man wohl nichts vormachen, du bist einfach ein zu guter Menschenkenner.“ Viktor begegnete seinem Freund mit dem selben Unterton den er zuvor gebrauchte, nämlich etwas sarkastisch. „Nun Viktor, habe ich jetzt vor dir meine Ruhe oder wirst du mir den restlichen Nachmittag etwas vorsäuseln?“ Alain liebte es seinen Freund etwas aufzuziehen, jeder von ihnen wusste, wie etwas gemeint war und so konnten sie dieses Spiel ins Unermessliche ziehen. „Alain, es tut mir leid, aber bis zum Abendessen musst du mit meiner Anwesenheit vorlieb nehmen.“ Viktor legte sich mit diesen Worten zu Bett. Er musste sich selbst immer wieder beruhigen, denn der Gedanke an heute Abend verursachte in ihm eine angenehme Nervosität. Auch Haydee wurde immer aufgeregter. Es kam noch nicht so oft vor, dass sich ein Mann um sie bemühte. Durch ihre kurzen Aufenthalte in den Häfen dieser Welt und ihr fremdländisch wirkendes Aussehen waren nicht sehr förderlich, wenn es darum ging heiratsfähige Männer kennen zu lernen. Umso mehr freute sie sich darüber, dass gerade so ein Mann wie Graf de Girodelle auf sie aufmerksam wurde. Damit ihr nachher noch etwas Zeit blieb sich etwas herzurichten, gab es an diesem Abend eine Auswahl an kalten Speisen wie Schinken, Brot, Käse, eingelegtes Gemüse und geräucherter Fisch. Trotz der Einfachheit der Speisen schmeckte es jeden. Sogar Oscar gesellte sich zur Runde und aß etwas Brot und Käse. Die schlimmen Kopfschmerzen waren vergangen, doch die Übelkeit und der Schwindel blieben vorerst, sie hoffte innerlich, dass morgen alles vorbei sein würde. André genoss es ein wenig sie zu umsorgen. Es machte ihn glücklich, wenn er sich um sie kümmern konnte, wenn er von ihr gebraucht wurde. ‚Er wäre ein guter Vater’, schoss es dabei Oscar durch den Kopf, ‚ganz anders als meiner’, sie liebte zwar ihren Vater, aber ein richtig herzliches Verhältnis hatten sie nie zueinander entwickelt, keine seiner Töchter hatte das zu ihm. Es schickte sich auch nicht sonderlich in ihren Kreisen, die Herzlichkeit blieb dem Bürgertum überlassen. Plötzlich erinnerte sie sich an das Verhältnis von Marie Antoinette zu ihren Kindern und wie traurig sie war, wie ihr Sohn gestoben war. Wäre sie auch so eine liebende Mutter wie die Königin? Würde sie ihren Kindern genug Liebe schenken können? War das überhaupt möglich, würde es noch einen Platz in ihrem Herzen geben, jetzt wo sie André liebte? Die Fragen verwirrten sie selbst, so konnte sie nicht dem Gespräch am Tisch folgen. „Liebling, es ist wohl besser wenn du dich wieder hinlegst, du wirkst noch nicht sehr erholt auf mich.“ André strich ihr dabei die Haare aus der Stirn. Wie schön sie doch war, selbst wenn es ihr nicht so gut ging und man ihr ansah, dass sie litt, war sie schön wie der Erzengel Gabriel in seiner strahlenden Rüstung. Oscar nickte ihrem Mann zustimmend zu, sie fühlte sich wirklich etwas schlapp und gerädert. „Geh schon vor, ich bringe dir dann noch etwas zu trinken nach.“ Oscar wünschte allen eine gute Nacht und machte sich auf den Weg in ihre gemeinsame Kajüte. André half unterdessen Haydee mit dem Aufräumen der Kombüse und des Verräumen des Geschirrs. Er war es noch von zu Hause gewohnt bei den Aufräumarbeiten in der Küche zu helfen, seine Großmutter hatte ihn dementsprechend erzogen. Wie André mit Haydee den Abwasch erledigte, brach er das Schweigen und überraschte sie mit seiner Aussage. „Er ist ein ehrenvoller Mann.“ Haydee war sprachlos und sie war so überrascht, dass sie fast einen Teller fallen ließ. „Wie, wie kommt Ihr darauf?“ „Mademoiselle, auch wenn ich auf einem Auge blind bin und ich vielleicht andere Sorgen habe, nehme ich doch meine Umwelt war. Und so versteckt sind Eure Gefühle nicht, um sie nicht zu entdecken. Nehmt es mir nicht übel, aber weiß Eurer Bruder davon?“ „Ja, ich habe ihm etwas in der Richtung angedeutet. Sehr erfreut war er darüber nicht gerade, doch es ist ihm wichtig, dass ich glücklich bin. Er würde es auch nie von mir verlangen meine Bedürfnisse hinter seine zu stellen.“ Sie waren fast mit ihrer Arbeit fertig und André trocknete sich seine Hände in einem der Küchentücher ab. „Mademoiselle, ich wünsche Euch noch einen schönen Abend.“ Haydee nickte dankbar und lächelte ihn an. Es erleichterte sie etwas, dass ihre Einschätzung von Viktor doch richtig war. Schnell begab sie sich in ihre Kajüte um sich noch etwas frisch zu machen, es würde ja nicht mehr lange dauern bis er kam um sie abzuholen. Sie entkleidete sich um sich mit einer feinen Rosenseife zu waschen. Das kalte Wasser auf ihrer Haut und der leicht sinnliche Duft der Rose waren eine Wohltat nach dem arbeitsreichen Tag. Sie öffnete ihren Zopf und ihr langes schwarzes Haar fiel über ihren Rücken, sie war froh darüber, Haydee wollte nicht nur schön aussehen, es tat ihr auch schon der Kopf weh von dem streng zusammengenommen Haaren. Flüchtig strich sie ein paar Mal mit ihrer Bürste durch das seidene Haar und betrachtete sich im Spiegel. Ob sie ihm wirklich so gefallen wird? Sie konnte es kaum glauben, sie dachte an die Erzählungen über den abgelehnten Heiratsantrag von Oscar und sah ich dabei immer eingehender an. ‚Wir sind doch so verschieden, warum sollte er sich für mich interessieren?’ Just in diesem Moment klopfte es an der Tür, Haydee wurde aus ihren Gedanken gerissen öffnete die Tür. Da stand er vor ihr, auch er hatte sich nach dem Abendessen noch gerichtet. Er hatte sich extra umgezogen, das Gewand war zwar nicht so aufwendig gearbeitet wie es man sich von einem Grafen hätte erwartet, doch es war doch um einiges edler als das Gewand welches er untertags trug. Der Schnitt der Kleidung brachte seinen wohlgeformten Körper zur Geltung und sein sowohl freundlicher als auch etwas nervöser Gesichtsausdruck vervollständigte seine attraktive Erscheinung. Haydee wäre am liebsten in seine Arme gesunken, doch ihr Anstand und ihre Unsicherheit hielten sie davon ab. Viktor war sichtlich überrascht als er sie sah, nie hätte er gedacht, dass sie noch schöner für ihn sein könnte, doch er hatte sich getäuscht. Draußen an Deck hatte der Wind aufgefrischt und der Mond schien sichelförmig auf die Welt. Es war eine sternenklare Nacht und sie versprach sehr kalt zu werden, doch den zwei Menschen die gemeinsam am Rumpf der Velaje curenta standen, schien dies völlig egal zu sein. Man sah es ihnen an wie sehr sie die Zweisamkeit genossen, durch unschuldige, schon zufällig anmutende Berührungen versuchten sie sich näher zu kommen. Sie setzten sich auf eine der kleinen Bänke die entlang der Reling befestigt war und Haydee zog ihre Wolldecke, die sie vorausschauend mitgenommen hatte, fester um sich. Bis jetzt hatten sie nur Höflichkeiten ausgetauscht und Viktor hoffte inbrünstig auf eine intime Atmosphäre wie einen Tag zuvor im Frachtraum. Sie blickte mit ihren schwarzen Mandelaugen direkt in die seinen, zu gefangen war sie von seinem Blick um ein Wort herauszubringen, doch war ihr bewusst, dass sie nicht den ganzen Abend schweigen nebeneinander saßen konnten. „Monsieur, darf ich euch eine sehr persönliche Frage stellen?“ „Natürlich, aber bitte sprecht mich mit Viktor an, sonst fühle ich mich noch älter als ich wirklich bin“, Viktor lachte und hielt sich dabei den Kopf. Obwohl sie nur einige Jahre jünger als er war kam sie ihm so wild, eigensinnig und doch auch schüchtern wie ein junges Mädchen vor. „Was war es was euch an Lady Oscar faszinierte, oder warum liebt ihr sie?“ Er hatte vieles erwartet, aber diese Frage verwunderte ihn und trotzdem wollte er ihr keine Antwort schuldig bleiben. „Ich weiß ja nicht welchen Eindruck ihr von Lady Oscar erhalten habt, doch ich denke sie wirkt auf fremde Personen etwas kalt, vielleicht arrogant und sehr in sich gekehrt. Sie ist aber ein Mensch mit Prinzipien, Werte stehen sehr hoch bei ihr und man kann sich auf sie verlassen wie auf keinen zweiten Menschen. Sie ist eine Frau die als Mann erzogen wurde und trotzdem wirkte sie auf mich sehr weiblich. In Paris und Versailles schätzte man sie sehr und sie hob sich dementsprechend von den anderen Damen wenn nicht sogar von der ganzen Gesellschaft dort ab.“ Haydee starrte Löcher in die Planken des Decks, er sprach in den höchsten Tönen von ihr, da konnte sie sich gar keine Chancen ausrechnen. Der Graf bemerkte ihre angespannte etwas abweisende Haltung und wollte sich schon selber für seine Formulierungen schelten, hatte er sie denn schon verloren bevor er sie sein nennen konnte? Er ergriff ihre Hand die auf ihren Schoß lag, so musste sie ihr Gesicht zu ihm wenden und er konnte Tränen in ihren Augen erkennen. „Mademoiselle, verzeiht mir meine Worte wenn ich euch damit verletzt habe und doch möchte ich euch eines sagen, ich bin sehr froh Lady Oscar kennen gelernt zu haben, denn nur durch sie darf ich heute hier Abend mit euch sitzen.“ Haydee musste schlucken, damit hatte sie nun wirklich gerechnet. Noch nie hatte sie so das Bedürfnis einem Mann zu berühren, ihm nahe zu sein wie diesem Mann. Obwohl sie ihn erst so kurz kannte wusste sie in dem Moment, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Sie löste ihre Hand aus der seinen und wie hypnotisiert berührte sie seine Wange, wie ihr bewusste wurde was sie getan hatte, sprang sie auf und wollte nur noch weg. Was musste er jetzt bloß von ihr denken? Dass sie komplett verrückt war? Viktor selbst fühlte sich nur frei und gelöst, da er jetzt um ihre Gefühle für ihn wusste und er würde sie nicht so einfach gehen lassen, nicht jetzt. Er war einfach zu schnell für sie und er hielt sie an ihrem Handgelenk fest und zog sie sanft zu sich. Er ließ sie nicht los, zu groß war die Gefahr sie würde ihm wieder davon laufen. Eine Windböe zerzauste das Haar von beiden und Viktor strich gefühlvoll einige Haarstränen aus ihrem Gesicht. Bei dieser Berührung brannte es in ihrem Innersten, ein Brennen für das es sich zu sterben lohnte. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und beugte sich langsam zu ihr hinunter. Haydee spürte seinen warmen, gleichmäßigen Atem auf ihrer Haut und seine Hände. Wie gebannt stand sie da und wartet darauf was als nächstes passieren würde. Fast so als würde sie Halt suchen, wanderten ihre Hände an seine Hüfte. Viktor nahm all seinen Mut zusammen und küsste sie auf ihre dunklen Lippen. Es fühlte sich einfach nur richtig an, wie wenn zwei Puzzelteile zueinander gefunden hätten. Ihre Lippen waren weich und warm und sie machten ihn süchtig, süchtig sie immer wieder zu küssen. Haydee’s Knie wurden weich und sie glaubte jeden Moment zu Boden zu stürzen wenn sie sich nicht an Viktor festhalten würde. Auch als er seine Lippen wieder von den ihren genommen hatte, hielt sie ihre Augen weiterhin geschlossen, vielleicht um den Moment noch weiter zu genießen. Langsam öffnete sie ihre Augen und sah ihm ins Gesicht, er wirkte fast etwas verlegen. „Verzeiht wenn ich euch überrumpelt habe, dies war nicht meine….“, weiter kam er gar nicht, denn Haydee verstärkte ihren Griff um seine Hüften und zog ihn zu sich heran, sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen um ihn küssen zu können. to be continued... Kapitel 4: Hilfe! ----------------- Hilfe! Je mehr sie ins Landesinnere ritten, desto mehr merkten sie den herannahenden Winter. Vor fünf Tagen verließen sie das Schiff, welches sie von Calais mit nach San Sebastian genommen hatte und an manchen anstrengenden Tag wünschten sie sich zurück in die gemütlichen Betten der Velaje curenta. Bevor sie den Schoner verließen, wurden sie von Alejandro und Haydee noch instruiert, wo sie entlang reiten mussten und wo sie vielleicht einen Mediziner finden könnten. Oscar, André, Alain und Viktor waren nur mehr wenige Kilometer von Pamplona entfernt. Es kam ihnen sehr gelegen, denn der Proviant musste erneuert werden und alle sehnten sich danach ein paar Nächte in normalen Betten zu schlafen. Auch wenn sie noch nicht lange unterwegs waren und die Etappen eher langsam angingen, waren sie doch alle sehr erschöpft. Nicht nur die Anstrengungen der letzten Monate, nein, auch die der letzten Jahre, die Kämpfe, der Stress, die tägliche Konfrontation mit dem Tod und die Intrigen bei Hofe hatten allen zugesetzt. Auch wenn sie einander hatten und auf ihre Freundschaften untereinander bauen konnten, wollte jeder von ihnen zur Ruhe kommen. Die Kopfschmerzen an denen Oscar auf See leiden musste, traten zum Glück nicht mehr auf, sie befolgte Haydees Rat mehr auf ihren Körper zu achten, damit mögliche Signale nicht unerkannt blieben. Doch das Einzige was ihr auffiel, war ihre zunehmende Müdigkeit. Früher machte es ihr nichts aus Tag für Tag auf dem Pferd zu sitzen, aber jetzt freute sie sich jeden Abend regelrecht in einem erholsamen Schlaf hinüber zu gleiten. Wie gerne würde sie jetzt in eine Wanne, gefüllt mit heißem Wasser steigen und den ätherischen Ölen verfallen. Oscar wirkte ruhiger als sonst, sie ging jetzt auch öfters ihren Gedanken nach. Was, wenn sie wirklich ein Kind erwarten würde? Würde sie damit fertig werden? Wie sollte das nur funktionieren, jetzt wo sie doch unterwegs waren? Und was würde André denken? Sie hatte sich bis jetzt noch nicht durchringen können, ihm ihren Verdacht zu schildern. Vielleicht würde es Realität werden, wenn sie es laut aussprechen würde? Sie war so ratlos in diesen Momenten und wieder wurde es ihr bewusst, wie sehr sie von Andrés Rat und Meinung abhängig war. Eine scharfe Windböe riss sie aus ihren Gedanken. Sie zog ihren Umhang enger an sich und obwohl die Sonne auf sie herab schien, fröstelte sie und rief ihr ins Gedächtnis, dass nun bald die dunkle Jahreszeit hereinbrechen würde. „Wenn wir die Stadt erreicht haben, sollten wir uns als erstes um eine Unterkunft kümmern und die Pferde versorgen.“ André hatte Oscars Geistesabwesenheit bemerkt und wollte, dass sie sich so schnell wie möglich ausruhen konnte. Alle stimmten André zu. Auch Viktor merkte man es an, dass er mit seinen Gedanken wo anders war. Ihn traf es am härtesten als sie das Schiff verließen. Natürlich hätte er bei Haydee bleiben können, doch er fühlte sich seinen Freunden verpflichtet und er sah es als Probe ihrer beider Zuneigung. Die Nacht damals an Deck, wo sie sich zum ersten Mal küssten, war für ihn unvergesslich. Die Leidenschaft die er in der Nacht spürte, ihre Berührungen die ihn willenlos machten und ihr Geschmack auf seinen Lippen, er wollte sich auf diese Frau einlassen und nun konnte er prüfen, ob sie ihn nach einer längeren Abwesenheit immer noch wollte. Sie fehlte ihm ganz entsetzlich, doch freute er sich jetzt schon auf den Tag, an dem er sie wieder sehen würde. Falls alles gut ging, würden sie sich zum Jahreswechsel in Barcelona wiedersehen. Es hatte den Anschein, dass sich nur Alain freute wieder heil vom Schiff heruntergekommen zu sein. Auch wenn er mit den Hausmitteln von Haydee seine Seekrankheit hatte bewältigen können, war ihm fester Boden unter seinen Füßen tausendmal lieber als ein schwankendes Schiff. Er freute sich regelrecht darauf, was sie erwartete, welchen Leuten sie begegnen würden und ob es Hilfe für Oscar und André geben wird. Alain konnte sich nicht helfen, aber der Kommandant wirkte seit Tagen verändert auf ihn. Er wusste nicht was es war, doch konnte er mit Sicherheit sagen, dass etwas anders geworden war. Sie erreichten Pamplona, als die Glocken der Kirche zur fünfzehnten Stunde läuteten. Die Gruppe war sich nicht ganz sicher, welchen Weg sie einschlagen sollten um eine Unterkunft zu finden und darum beschlossen sie einfach ihrem Instinkt zu gehorchen und ihrer Nasenspitze zu folgen. Die Vier durchquerten kleine Gassen und Straßen, die von Geschäften und Lokalen gesäumt wurden aus denen lautes Geklapper, Lachen und Stimmen schallten. Die Wege führten sie zu einem großen Platz, an dessen Kopf eine imposante gotische Kathedrale thronte. Vor der Kathedrale waren kleine Marktbuden aufgebaut, an denen Bauern ihre Waren feil hielten. André beschloss, sich nicht mehr auf den Zufall zu verlassen und entschloss sich bei einem Einheimischen nach einer Bleibe zu erkundigen. Jetzt würde sich erweisen, inwieweit sich seine Studien des Wörterbuches bezahlt machen würden. Die etwas ältere, nett lächelnde Bauersfrau zeigte die Straße entlang und sagte etwas ‚la calle tercera a la derecha‘. „Freunde, wenn mich nicht alles irrt, finden wir in der dritten Gasse rechts eine Pension.“ André war sichtlich stolz auf seine Fremdsprachenkenntnisse. Er sollte recht behalten, es war eine kleine Pension die von einem freundlichen Mann Mitte fünfzig geführt wurde, er sprach auch Französisch, wenn auch etwas gebrochen. Er erzählte den Reisenden, dass Pamplona eine der Stationen auf den Camino de Santiago, dem Jakobsweg sei. Um sein Geschäft zu forcieren, beschloss er vor Jahren ein paar Brocken Französisch und Deutsch zu lernen, um sich mit seinen Gästen unterhalten zu können. Da sich zu dieser Jahreszeit nicht besonders viele Pilger auf ihrem Weg befanden, hatten sie das Glück zwei helle und freundliche Zimmer mieten zu können. Während sich Oscar aufmachte, um das Zimmer zu inspizieren und sich etwas auszuruhen, gingen André und Alain hinaus um die Pferde zu versorgen. Viktor mühte sich derweilen mit dem Gepäck ab, welches sie nicht unbedingt im Stall lagern wollten. Das Zimmer von Oscar und André hatte ein südwestseitiges Fenster, durch das die Sonne schien und den Raum angenehm erwärmte. Das Bett war einfach gearbeitet und man konnte die frischen Laken regelrecht riechen. Oscar war überrascht über so eine saubere und freundliche Pension. Die Herbergen die sie bisher kennen lernen durfte, waren meist schmierig und dreckig, da die meisten Wirte Männer waren, die mit wenig Aufwand viel Geld verdienen wollten. Umso mehr war sie erstaunt darüber ein so schönes Zimmer bekommen zu haben, da sich die Gastwirte in Pamplona doch sicher keine Sorgen um ihre Auslastungen machen mussten. Nun, ihr sollte es recht sein, auf der Kommode gegenüber des Bettes war eine weiße Waschschüssel aus Porzellan und der dazu passende Krug; in einer Ecke des Raumes stand sogar ein mannshoher Spiegel. Wie lange hatte sie sich nicht mehr eingehend in einem Spiegel betrachtet? Sie wusste es nicht mehr, auch als sie noch zu Hause war, noch vor der Revolution, nie hatte sie es wirklich bewusst getan. Hatte sie sich verändert, sah sie sich jetzt anders als früher und konnte ihr Spiegelbild ihr all diese Fragen beantworten? Oscar ließ es drauf ankommen und nutze die Minuten die sie alleine im Zimmer verbrachte. Wie früher sah sie eine blonde, schlanke und hoch gewachsene Frau vor sich, ihre Haare waren jetzt noch länger und reichten ihr bis zu den Ellenbogen. Sie knöpfte sich ihre Jacke auf und legte sie unachtsam aufs Bett, hätte Sophie dies gesehen, wäre ein Donnerwetter über sie zusammengebrochen. Bei diesen Gedanken musste sie schmunzeln, ja ihre alte Kinderfrau, erst jetzt merkte sie, wie sehr sie sie vermisste. Oscar drehte und wendete sich um irgendeine Veränderung an sich feststellen zu können. Fühlte sich ihr Bauch nicht zunehmend härter an, nein, das bildete sie sich wahrscheinlich nur ein. Sie sah aus wie eh und je, nein, sie sah perfekter aus, das hatte sie nur André zu verdanken. Dieser Mann der sein Leben für das ihre opfern wollte, vervollständigte sie und machte sie zu dem, was sie war. Oscar war zu sehr in ihren Gedanken versunken gewesen, als dass sie bemerken hätte können, wie André sie still beobachtete. Er war verwundert darüber, dass sie sich so ausführlich im Spiegel betrachtete. Und wieder schoss es ihm durch den Kopf wie schön Oscar doch war, keine andere Frau könnte je so schön für ihn sein. Als er sie so stehen sah, spürte er diese Sehnsucht nach ihr, dieses Gefühl als würde es einem zur gleichen Zeit zerreißen und innerlich verbrennen. Er liebte sie, er hatte sie schon vor zwanzig Jahren geliebt und er würde sie bis ans Ende seines Lebens lieben. André war sich sicher, dass nichts und niemand dieses Empfinden abschwächen oder verebben lassen könnte. Seine Stiefel hatte er schon vor der Zimmertür abgestreift, leise betrat er den Raum, er wollte sich nicht an sie heranschleichen, aber ebenso wenig wollte er sie erschrecken. Erst als er hinter ihr stand nahm sie ihn wahr und lächelte in den Spiegel. Behutsam legte er seine Arme von hinten um sie und zog sie zu sich heran. Wie an einem rettenden Seil hielt er sich bei ihr fest und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. André sog den Duft ihrer Haare auf und machte sich mit einem leichten Druck auf ihren Hüften wieder einmal bewusst, dass es kein Traum war. Durch seinen Atem kitzelten Oscars Haare in ihrem Nacken, worauf sie sich lachend umwandte und André direkt ins Gesicht blickte. „Habe ich dich gestört, meine Schöne?“ „André, du störst mich doch nie, wie kommst du nur auf so eine absurde Idee?“ Neckisch schüttelte sie den Kopf. Wie sie ihren Mann sorgfältig musterte, fing sie schallend an zu lachen. André hingegen sah sie verstört an. Was konnte sie bloß so belustigen? „Oscar, was hast du denn auf einmal, was findest du so lustig?“ „André, hast du wieder ein Nickerchen im Stall gemacht?“ Nur schwer brachte sie die Worte unter ihrem Lachen heraus. André wusste noch immer nicht, was sie meinte, wie kam sie nur auf so eine Idee, als Oscar ihm dann zwei Strohhalme aus dem Hemdkragen zupfte, wurde ihm einiges klar. Nun konnte er sich ebenfalls nicht mehr zurückhalten. „Madame sind heute ganz schön frech“, er grinste sie an, „Euch ist doch klar, dass ich so etwas nicht auf mir sitzen lassen kann?“ „Und was gedenken der Herr nun zu tun?“ Oscar nahm die schelmische Herausforderung an und blickte ihn frech an. „Nun Herzchen, lass dich überraschen!“ Das war genug für Oscar, wieder verfiel sie in einen Lachanfall, sodass es für André ein leichtes war sie zu schnappen und sie über die Schulter zu werfen. Unter dem Gekicher verlangte Oscar wieder Boden unter ihren Füßen zu spüren. „Ach, Madame wollen wieder herunter? Nun nichts lieber als das!“ Mit diesen Worten legte André sie auf die weichen Kissen am Bett und blieb über ihr gebeugt. Sie lachten sich gegenseitig an und wie André Oscar so unter sich liegen sah, kam ihm nur eines in den Sinn „Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr“, schlagartig verstummte sein Lachen und er küsste sie, tief und leidenschaftlich, er küsste sie, als wollte er ihr sein inneres Brennen zeigen, sie daran teilhaben lassen. Oscar spürte seine Liebe und wie sie den Kuss beendeten, nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und strich gleichzeitig sein langes dunkles Haar aus dem Gesicht, mehr als sie wollte, denn Andrés verletztes Auge kam zum Vorschein. André war es äußerst unangenehm und er drehte sich vom Bett weg. Er saß am Bettrand und umklammerte einen der Pfosten. Oscar wusste, dass sie ihn nur durch das Wegstreichen der Haarsträhnen, die sein verletztes Auge verdeckten, gekränkt hatte. Sie kniete sich vor ihm hin und nahm seine Hände in die ihren. Es schmerzte sie selbst, wenn sie an damals dachte, wie er sein Auge verloren hatte. Sie hatte sich doch damals eingebildet den Schwarzen Ritter schnappen zu müssen. Es war kein ausdrücklicher Befehl an sie ergangen, doch hatte sie damals das Gefühl es tun zu müssen. Nur durch ihre absurde Idee konnte André jetzt nur noch auf einem Auge sehen. Nur weil er sie wieder einmal beschützen wollte. „Es tut mir so leid André, so leid!“ Langsam rannen ihr Tränen die Wagen hinunter und sie küsste seine Hände. „Dir tut es leid? Aber wieso, ich muss mich doch entschuldigen, dafür, dass ich dir solche Umstände mache…“ Oscar sah ihn entsetzt an, war das gerade sein Ernst? Sie stand auf und setzte sich auf seinen Schoß, liebevoll sah sie ihn an und strich ihm sanft über das Gesicht, bis ihre Finger das besagte Auge erreichten. „Du hast in deinem Leben so viel für mich geopfert, André, wie kannst du da nur von Umständen reden. Du hast mich bis jetzt immer beschützt und ich weiß, du würdest es immer wieder tun. Ich werde für dich einmal dasselbe tun, das schwöre ich.“ Er war durch ihre Worte gerührt, doch sie brauchte sich für ihn nicht in solch eine Gefahr begeben. Sie war bei ihm, mehr konnte sie nicht für ihn tun. „Bleib einfach immer bei mir, mehr brauch ich nicht.“ Oscar lehnte ihren Kopf gegen seinen und küsste ihn sanft auf die Wange. Sie wussten nicht wie lange sie so auf dem Bett gesessen und einfach nur einander gespürt hatten, als es plötzlich an der Tür klopfte. „Lady Oscar, André wollt ihr uns vielleicht bei einem kleinen Stadtrundgang begleiten?“ Viktor war sich nicht ganz sicher, ob er die beiden hätte fragen sollen, doch fand er es unhöflich es nicht zu tun. Oscar sah André fragend an und er nickte ihr aufmunternd zu. „Ein bisschen Bewegung wird uns gut tun. Außerdem können wir doch nicht andauernd in unserem Zimmer bleiben.“ Von neuer Lebenslust gepackt, stand er auf und griff unerwartet nach Oscar und legte sie sich wieder über die Schulter. „André, lass mich runter!“, sie trommelte mit ihren Fäusten leicht auf seinen Rücken. „Du glaubst doch nicht, dass ich deine Frechheit von vorhin schon vergessen habe?“, er wusste ganz genau wie er sie ärgern konnte und nicht Herrin über die Lage zu sein, das wurmte sie am meisten. Oscar gab es auf, sie begann wieder zu lachen, zu gerne hätte sie Viktors Gesicht gesehen als André ihm die Tür mit der auf seiner Schulter liegenden Oscar aufmachte. „André warte, vergiss ja nicht meine Jacke oder soll ich draußen etwa frieren?“ „Verzeih meine Schöne.“ Er drehte sich noch einmal um und nahm ihre Jacke mit. Während er dies tat, konnte Oscar Viktor begrüßen in dem sie ihm freundlich zuwinkte. Viktor war erstaunt, selten hatte er sie so ausgelassen gesehen, wie zwei Kinder wirkte das junge Ehepaar auf ihn. „Oh André, da hast du ja einen guten Fang gemacht, aber nun lasst uns gehen, Alain ist sicher schon ganz ungeduldig, er wartet schon etwas länger unten beim Hauseingang.“ „Da seid ihr ja endlich, ich steh mir hier schon die Füße in den Bauch“, Alain schüttelte leicht den Kopf vor allem als er den Kommandanten und ihre Lage sah, wie zwei Kindsköpfe dachte er sich, „André, hast du dein Wörterbuch mit, vielleicht werden wir es heute noch brauchen?“ „Natürlich, ich habe es immer in meiner Jackentasche.“ „André, bevor du dich hier weiter über Wörterbücher unterhältst, wärst du vielleicht so gütig und würdest mich wieder herunterlassen?“ Es war nicht gerade sehr bequem auf Andrés Schulter, da sich seine Knochen langsam aber doch in ihren Magen bohrte. Langsam glitt sie wieder zu Boden und als Oscar wieder fest am Boden stand, küsste André sie zärtlich. Verliebt lächelte sie ihren Mann an „Nun Alain was willst du dir jetzt ansehen?“ „Ich würde zuerst gerne in die Kathedrale gehen und eine Kerze entzünden und beten. Ich denke, wir sollten dem Herrn danken, bis jetzt ist es uns ja gut ergangen auf unserer Reise.“ Auch wenn keiner von ihnen überaus religiös war, hatten sie doch Gottvertrauen und fanden die Idee nach Langem wieder in Kirche zu gehen und zu beten sehr schön. Wie sie die Kathedrale betraten, gingen sie alle zuerst zum Bassin gleich neben der Tür um sich mit Weihwasser zu bekreuzigen. Die Kathedrale machte auf alle vier einen übermächtigen Eindruck. Kirchen an sich hatten etwas magisch-mystisches, doch diese hier flößte ihnen Ehrfurcht ein. Besonders vorsichtig und leise gingen sie das Kirchenschiff entlang um vorne etwas abseits des Altars eine Kerze zu entzünden. Nach einer kleinen Spende für die Kerzen, knieten sie sich in die erste Reihe der Kirchenbänke und beteten still, jeder für sich. Der schwere Duft des Weihrauchs und die kalten, dicken Kirchenmauern, die Augen der Heiligen die auf sie herunterstarrten, dies alles ließ sie zu einer inneren Ruhe finden. Die vier Freunde fühlten sich sicher in Gottes Schoß. Oscar begann leicht zu frösteln und die Knie taten ihr weh, jetzt wusste sie wieder warum sie so ungern einer klassischen Messe beiwohnte. Sie gab den anderen zu verstehen, draußen vor der Kathedrale auf sie zu warten. Nachdem sie so leise wie möglich versucht hatte die schwere Kirchentüre zu schließen, lehnte sie sich an die Kirchenmauer und schloss die Augen um die letzten wärmenden Strahlen der untergehenden Sonne zu genießen. „Ja Madame, die göttliche Schönheit findet man nicht nur in der Kirche, hinter Mauern sondern vor allem hier heraußen.“ Oscar blinzelte, wer sprach sie da an, noch dazu im besten Französisch? Nachdem sich ihr Bild geklärt hatte, erkannte sie einen alten Mann in einem schwarzen, schlichten Anzug mit einem großen schwarzen Hut. „Verzeiht Monsieur, dass ich Euch nicht sofort geantwortet habe, doch war ich sehr überrascht hier auf französisch angesprochen zu werden. Nun, Ihr habt recht, wenn ich ehrlich bin, ist mir jeder Baum mehr Beweis für seine Göttlichkeit als jede Kirche, doch ist es ab und zu schön eine zu besuchen.“ „Madame, was Kirchen anbelangt, so habe ich hierfür keine Erfahrungen, doch kann ich Euch was den Baum betrifft nur beipflichten.“ Erst jetzt bemerkte Oscar die auffälligen Beikeles, die das Äußere des Mannes abrundeten. Er lächelte ihr freundlich zu und hob den Hut als Zeichen, dass er sich verabschieden würde. Diese Begegnung ließ Oscar keineswegs kalt, woher wusste dieser Mann, dass sie eine Frau war und warum sprach er sie gerade in Französisch an. Sie war perplex und langsam beschlich sie das Gefühl, göttliches Handeln wäre hier im Spiel. Doch warum sollte sie gerade einen Juden kennen lernen? Die Kirchentür öffnete sich und Viktor trat heraus „Meine Güte, exerzieren in der prallen Sommersonne ist mir zehn mal lieber als hier drinnen eine halbe Stunde lang zu knien“, er streckte sich durch und sprang sogar ein paar mal in die Höhe um seine Gelenke und Bänder zu lockern. Als er dies tat und dabei sein offenes Haar, welches er jetzt wieder öfter so trug, hoch flog, erinnerte er Oscar an einen jungen Mann von knapp 20 Jahren. André hatte ihr etwas von möglicher Liebelei zwischen Haydee und Viktor erzählt und sie freute sich für Viktor wenn dieses Gerücht wahr wäre. Sie selbst hatte ihn noch nicht darauf angesprochen, doch musste sie eine Veränderung in Viktors Auftreten zugeben. „Alain und André werden noch etwas länger brauchen, sie begutachten gerade die Heiligenbilder und die Fresken an der Decke. Es ist mir gänzlich neu Kunstinteressierte unter uns zu haben.“ Oscar war auch erstaunt, sie wusste, André interessierte sich für alles Mögliche und er sog jegliche Information wie ein Schwamm auf, aber Alain hätte sie so eine Vorliebe wahrlich nicht zugetraut. So konnte man sich täuschen. „Anscheinend muss André etwas von meinem nächtlichen Treffen mit Haydee mitbekommen haben, ansonsten hätte er mich sicher nicht mit Euch hier draußen alleine stehen gelassen, oder was sagt Ihr, Lady Oscar?“ Wie, wenn er es geahnt hätte, sprach er sie auf das Thema an, welches ihr durch den Kopf schwirrte. „Ich glaube, André hat eingesehen, dass seine Eifersucht völlig unbegründet war. Aber Viktor sagt mir doch, wie viel ich dem Gerücht Glauben schenken kann? Habt Ihr Euer Herz an Haydee verloren?“ Es hatte sich wirklich viel geändert, der Ex-Kapitän der königlichen Garde sprach mit seinen ehemaligen Stellvertreter über die Liebe. Oscar redete über Gefühle, sie, die doch eigentlich immer als Mann leben wollte und somit alle weibischen Gefühle abstreifen wollte, sie, die doch eher einen aussichtlosen Fechtkampf wählen würde als über Gefühle zu plaudern. Wie verrückt die Welt doch war. Viktor wusste, welche Überwindung sie dies gekostet haben musste und wollte diesen freundschaftlich intimen Moment nicht ungenutzt vorbeistreifen lassen. „Ich möchte ehrlich mit Euch sein, ja, diese Frau hat mein Herz berührt. Wenn ich an sie denke, beflügelt es mein ganzes Sein und Tun. Aber vielleicht sollten wir dieses Thema in einer ruhigeren Minute besprechen und nicht auf den Stufen dieser Kathedrale.“ Er sah sie bei seinen letzten Worten freundlich an, Oscar musste ihm zustimmen, so ein vertrauliches Thema sollte man nicht offen auf der Straße bereden. Nachdem sie noch ein paar Minuten schweigend nebeneinander in der Sonne verbracht hatten, öffnete sich die Kirchentür und André und Alain kamen ruhig, ja fast bedrückt heraus. Erst jetzt bemerkte Oscar Andrés Hand an Alains Schulter, er musste ihn aus der Kirche heraus führen. „André, was ist los mit dir?“ Besorgt trat Oscar an ihren Mann heran. Sie ergriff seine Hand und mit der anderen streichelte sie seine Wange. „Es ist nichts, es geht schon wieder, in der Kathedrale war mir nur auf einmal schwindlig und für einen kurzen Moment sah ich nichts mehr, aber mach dir keine Sorgen.“ André wollte sie beschwichtigen, auch jetzt noch sah er alles verschwommen und das Bild vor seinem Auge klärte sich nur langsam. Die Situation machte ihm selbst Angst, doch wollte er nicht, dass noch irgendjemand anderer sie spürte. „Was haltet ihr davon, wenn wir uns die Geschäfte in den Seitengassen ansehen und dann etwas speisen gehen?“ Viktor hatte André genauestens beobachtet und ihm fiel auf, wie sehr sich André bemühte die Fassade aufrechtzuerhalten. Doch er wusste, dies war Andrés und Oscars Angelegenheit und so sollten die beiden es regeln, er wollte die Gruppe deswegen auf andere Gedanken bringen. André glaubte den großen Stein, der gerade von seinem Herzen fiel, gehört zu haben und sah Viktor dankend an. Viktor legte kameradschaftlich den Arm um Alain und sagte „Nun mein Freund, vielleicht finden wir hier was Passendes für dich“, er zwinkerte ihm zweideutig zu und Alain war so perplex über Viktors offensichtliche Dreistigkeit, dass ihm der Mund offen stehen blieb. „Alain, lass dich ja nicht blöd von einem Grafen anreden.“ André versuchte etwas Heiterkeit in die Situation zu bringen und nahm zärtlich Oscars Hand in die seine. Er küsste sie und Hand in Hand schlenderten sie die Gassen entlang. Sie kamen an Büchsenmachereien, Schneidereien, Apotheken und Lebensmittelläden vorbei. Sogar ein Spielzeuggeschäft gab es in Pamplona, überrascht von dieser Abwechslung blieb ihre Aufmerksam länger am Schaufenster hängen. Oscar blieb anscheinend mit ihren melancholischen Blick eine Minute zu lange an dem Schaufenster mit ausgestelltem Spielzeug haften, als dass der unbemerkt bliebt. Alain wunderte sich, der Kommandant interessierte sich sonst nicht so für Kinder und vor allem nicht für Spielzeug. Nachdem sie sich die Stadt etwas näher angesehen hatten, kehrten sie in ihre Unterkunft zurück und ließen sich von ihrem Wirt verköstigen. Als Oscar einen Schluck vom blutroten Wein nehmen wollte, sträubte sie sich und jedes noch so kleinste Härchen richtete sich als Zeichen der Abscheu in die Höhe. Angewidert stellte sie das Glas zu André und bat den Wirt um einen frisch gepressten Saft. „Aber Madame, schmeckt Euch mein Wein nicht?“ „Er ist mit Sicherheit vorzüglich, doch gelüstet es mich heute nicht danach, nehmt es bitte nicht persönlich.“ Die Männer am Tisch waren verwundert, noch nie hatten sie Oscar feinsten Wein ablehnen sehen. Selbst André war dieses Verhalten fremd, natürlich trank sie ab und zu ihre geliebte heiße Schokolade, doch das sie einen vorzüglichen Wein gegen Saft eintauschte, das war neu. Der Wirt stellte ihnen ein würziges, geschmackvolles Kaninchenragout vor, zu der genügend Polenta gereicht wurde. Sie waren alle erstaunt, wie ausgezeichnet dieses einfache Gericht schmeckte. Als der Wirt die Schüsseln und Teller wieder abgeräumt hatte, stellte er einen weiteren Krug Wein und ein Glas Saft auf den Tisch und fragte, ob er sich zu ihnen setzen dürfte. Der Wirt war ein geselliger Mann, der in den Herbst- und Wintermonaten unter der rückläufigen Anzahl seiner Gäste litt. „Monsieur, sagt, gibt es in Pamplona viele Juden?“ Oscar kam die heutige Begegnung wieder in den Sinn und wollte mehr von diesem Mann erfahren. „Viele würde ich jetzt nicht gerade sagen, aber für manche eben zu viele. Wisst Ihr, Pamplona ist eine katholische Stadt oder besser gesagt ganz Spanien ist erzkatholisch, aber wie überall mischen sich die Kulturen und der Glauben und die Geschichte kann man nicht vollkommen wegwischen. Aber warum stellt Ihr mir so eine Frage?“ „Ach, heute sprach mich ein Mann vor der Kathedrale im besten Französisch an und er war Jude.“ „Das war dann sicher David Rosenblatt. Er ist in erster Linie Geldverleiher, aber seine große Leidenschaft ist die Medizin. Bei seinen Schuldnern ist er natürlich nicht gern gesehen, aber handelt es sich um ein Wehwehchen lassen sie es lieber von ihm und seinen befreundeten jüdischen Arzt heimlich behandeln, als dass sie zum Bader gehen. David ist viel in der Welt herumgekommen, er hat alle möglichen Länder bereist und ihre Kulturen und Sprachen kennen gelernt, deswegen war es ihm möglich Euch anzusprechen.“ Alle vier lauschten seinen Erzählungen. „Aber woher wusste er bloß, dass ich Französin bin?“ „Hm, manche Menschen haben einfach ein drittes Auge oder einen sechsten Sinn, ich würde mir darüber nicht all zu viele Gedanken machen. So, ich werde mich nun in die Küche auf machen um zu sehen ob alles zu meiner Zufriedenheit verrichtet worden ist. Ich wünsche Euch eine geruhsame Nacht und schöne Träume.“ Sie nickten dem Wirt zu und sahen ihm nach wie er die Stube verließ. „Was meint ihr, sollen wir morgen diesen David Rosenblatt aufsuchen? Ich meine, wenn er sich in der Medizin auskennt?“ „Oscar, denkst du wirklich es hat einen Sinn?“ „André, irgendetwas sagt mir, dass es Schicksal war diesen Mann zu treffen. Lasst uns einfach mal hingehen und sehen wohin uns dieser Weg führt.“ „Ich denke der Kommandant hat recht, was haben wir denn zu verlieren, wir sind schon einmal hier und kurz bei ihm vorbeigehen macht doch keine Umstände.“ So beschlossen sie am nächsten Tag den Geldverleiher David Rosenblatt aufzusuchen. Oscar ging als erste von ihnen auf ihr Zimmer, sie war zuvor noch in der Küche gewesen um eine der Küchengehilfinnen um heißes Wasser zu bitten, sie wollte sich mit dem Stückchen Maiglöckchenseife das ihr noch übrig geblieben war und dem heißen Wasser so gut es ging waschen. Für ein Bad bot sich ihr bisher keine Gelegenheit. Die Kerzen in der Kammer spendeten ein warmes, sanftes Licht und der gemauerte Abzug des Kamins strahlte eine angenehme Wärme aus. Die Nächte waren schon erstaunlich kalt und die Häuser erwärmten sich nur mehr schwer untertags, doch hier in der Kammer war es wohlig warm. Oscar mischte sich in der Waschschüssel das Wasser so zusammen, wie es für sie am angenehmsten war. Sie nahm ihre Haare zusammen, zwirbelte sie einige Male um ihre Finger und band sie mit einem einfachen Lederband zu einem lockeren Knoten damit ihr Nacken frei war. Sie entledigte sich ihrer Kleidung und tauchte das saubere Tuch, welches ihr die Magd auf die Kommode gelegt hatte in die Schüssel. Vorsichtig schäumte sie die Seife darin auf. Der leichte Duft der Maiglöckchenseife erinnerte sie an ihre Mutter, die zu Hause immer diese Seife verwendete. Es war eine Wohltat, das warme, feuchte Tuch auf ihrer Haut zu spüren und zu wissen, dass der Schmutz und die Last des Alltags abgewaschen werden konnte. Als sie dann auch mit ihren Füßen fertig war und das Tuch ein letztes Mal in die Schüssel tauchte um es von Seifenresten und Schmutz auszuwaschen, wunderte sie sich darüber wo André so lange blieb. ‚Wahrscheinlich wird er sich mit den anderen noch einen Krug Wein bestellt haben.’ Bei diesen Gedanken schüttelte sie den Kopf, auch sie war dem Wein nicht abgeneigt doch ewig und drei Tage wollte sie nun auch nicht in der Stube unten hocken und sich die Sinne vernebeln lassen. Oscar ließ zwei Kerzen brennen und legte sich nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet in ihr warmes Bett. Leise döste sie vor sich hin, sie genoss einfach die Stille, die Wärme des Bettes und die weichen Kissen. Sie wusste nicht wie lange sie schon dagelegen hatte, als die Bewegung der Matratze wahrnahm. André war zur Tür hereingeschlichen, hatte diese abgesperrt, seine Sachen die er bereits über dem Arm gelegt hatte hängte er über den Stuhl. Er schlüpfte unter die Decke und spürte wie spärlich bekleidet Oscar war. Zart fuhr er mit seiner Hand über ihre Hüfte hinauf zu ihrer Taille, dann beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Wange. Er liebte das Gefühl ihrer nackten Haut auf der seinen. Oscar hatte damit gerechnet, dass ihr Mann nach Wein und nach Rauch roch, doch seine Haut war eine Spur kühler als sonst und die Haarspitzen die sie im Gesicht streiften waren nass. Anders als erwartet roch André wie er selbst, kein unangenehmer Geruch der Gaststube haftete an ihm, er verströmte einfach seinen für Oscar unwiderstehlichen Duft. Er legte sich zu ihr, den Kopf auf einen Arm gestützt und mit der anderen Hand strich er immer wieder sanft über ihren Körper. Zarte Haarsträhnen hatten sich aus ihrem Knoten gelöst und umschmeichelten ihr Gesicht, er konnte seine Augen einfach nicht von ihr abwenden. Wie er sie so daliegen sah, konnte er nicht glauben, dass er noch vor einem halben Jahr keine Hoffnung für seine Liebe sah. Mit einem Mal fühlte er ihre Hand auf seinen Oberschenkel, sie streichelte ihn sanft und zeichnete mit ihrem schlanken Finger kleine Kreise auf seiner Haut, immer wieder kam sie gefährlich nah an seinen Po. Diese sinnlichen Berührungen erregten André mehr als wenn sie offen seine intimste Stelle berührt hätte. Die eine Hand die ihre Taille bisher gestreichelt hatte, umfasste ihre Hüfte und zog sie näher an André heran. Erst jetzt hatte Oscar ihre Augen geöffnet und lächelte ihn an. Ganz zart küsste sie ihn zuerst auf die Lippen und dann am Hals. Ein Wassertropfen löste sich aus seinem Haar und landete direkt auf Oscars Busen. Vorsichtig verwischte André die klare Flüssigkeit mit nur einem Finger hinunter bis zu ihren Bauchnabel. Oscar drückte sich näher an André heran und umschlang mit einem ihrer langen Beine seine Hüfte, erst jetzt merkte er die Wirkung seiner Berührung. Ihr ganzer Körper erschauderte bei der Berührung und André waren die erregten Brustwarzen nicht entgangen. Der Gedanke, dass Oscar ihn anziehend fand und ihn begehrte, verstärkte sein Verlangen ins Unermessliche. André presste seinen Körper gegen Oscars, er strich ihr sanft übers Haar und löste das Lederband worauf ihre Haare in seidigen Wellen über ihren Rücken fielen. Oscar bewegte sich auf einer Gefühlsebene die sie nur selten betrat doch mit André immer öfter. Diese Zweisamkeit mit André, wie er sie berührte und ansah, sie selbst fühlte sich dadurch befreit, gelöst von ihrem Ich das ihr jahrelang Zurückhaltung und Schicklichkeit geboten hatte. Sie empfand nichts Schlimmes oder Verwerfliches daran ihre Gefühle zu zeigen, vor allem nicht dem Mann gegenüber der sie zur Frau genommen hatte. Sie liebte ihn und empfand ihn als hocherotisierend und dadurch nahm sie sich selbst viel sinnlicher wahr. André strich ihr Haar aus ihrem Gesicht, streichelte zärtlich ihre Wange und ihren Hals, wie er sich auf den Rücken legte, zog er sie mit sich, sodass sie auf ihm zum sitzen kam. Fürsorglich legte er ihr die Decke um die Schultern damit ihr nicht kalt wurde und begann gleichzeitig sie intensiv und feurig zu küssen. Seine Erregung war ihr nicht mehr verborgen geblieben und so entledigten sie sich schnell ihrer letzten Kleidungsstücke. Versunken in den Berührungen liebkoste er ihre empfindsamsten Körperstellen. Immer wieder entnahm er ihr ein leises Stöhnen, bis er sich ihrer sicher war. Wie von selbst fanden ihre Körper zu einander und gaben sich dem Liebesspiel hin. Langsam und sachte fing Oscar an sich über André zu bewegen, sie musste darüber nicht viel nachdenken, und der genüssliche Gesichtsausdruck verriet ihr, dass sie es richtig machte. Immer wieder unterbrach André sie in ihren Bewegungen um sie heftig zu küssen und um dieses wunderschöne Erlebnis länger auskosten zu können. Kurz bevor André den Höhepunkt seiner Lust erklomm, wechselte er so die Position dass er auf ihr zum liegen kam. Ihre langen blonden Haare waren wir ein Fächer auf dem Bett ausgebreitet und Oscar sah für ihn wie eine Göttin aus. Er wollte ihr ganz nahe sein und wie er sie küsste, konnte er den Schwall der Emotionen und Reize nicht mehr zurückhalten „Ich liebe dich, mein Gott wie sehr ich dich liebe“, flüsterte er ihr zu, auf seinem Hals zeigten sich große rote Flecken, die aber so schnell sie aufgetreten waren auch wieder verschwanden. Oscar hatte bisher kein einziges Wort gesagt und auch jetzt genoss sie nur ihr wunderbares Körpergefühl und die Zeit die sie mit André verbrachte. Liebevoll legte er sich zu ihr, zog ihr die Decke über ihren schlanken Körper und umschlang sie mit seinen Armen. Entspannt und friedlich schliefen sie nebeneinander ein. „André war ziemlich schnell fertig mit seiner Körperpflege, was meinst du, Alain?“ „Viktor, grins doch nicht so dämlich, würdest du dich nicht auch so beeilen wenn deine Haydee schon oben im Bett liegen würde?“ Das hatte gesessen, Alain war mit seinen Aussagen beinhart und gerade Viktor schonte er nicht mit seinen Worten. Er wusste, der Graf konnte dies vertragen. Die zwei Freunde waren noch eine Spur länger in der Gaststube gesessen und hatten André den Vortritt beim Waschzuber gelassen, flink wie ein Wiesel war er gewesen als es darum ging sein Haar zu waschen und sich zu rasieren. Alain und Viktor genossen in der Zwischenzeit ihren Wein, auf sie wartete ja doch keine Frau, leider. „Alain, wie sieht es denn nun mit dir aus, willst du ewig alleine bleiben?“ „Hä, glaubst du denn ich bin gerne alleine, das Schicksal war mir gegenüber noch nicht so gönnerhaft wie zu dir.“ Alain leerte sein Glas in einem Zug, stand auf und schritt in Richtung Tür um sich zur Abendpflege zu begeben. „Warte mal, du willst mich doch hier nicht alleine sitzen lassen?“ Viktor hatte gerade seinen Kopf in den Bottich gesteckt um die Seife aus seinem Haar zu spülen als Alain sich im kleinen Spiegel, welchem ihm der Wirt geborgt hatte, rasierte. Gefiel ihm, was er sah? Sein Gesicht war bei weitem nicht so fein wie dies von André oder Viktor, es war viel markanter und die Koteletten ließen ihn noch männlicher erscheinen. Seine ausdrucksstarken dunklen Augen wurden von schwarzen, fein geschwungenen Augenbrauen umrahmt. Vielleicht war er kein Schönling, doch sicher attraktiv genug um eine Frau zu finden, die ihn so mochte wie er war. Doch was könnte er ihr auch schon bieten? Er hatte kein Geld, kein Zuhause und wenn er ehrlich war auch keine Perspektive. Das einzige was er konnte war kämpfen, er war ein ausgezeichneter Fechter und mit der Pistole konnte er auch vortrefflich umgehen. Aber welche Frau würde sich schon mit einem Mann einlassen der nichts vorzuweisen hatte und dem seine einzigen Fähigkeiten in der Armee dienlich waren. Er stützte sich am Waschzuber ab, blickte ins Wasser und seufzte tief. Nie hätte er sich gedacht an diesen Punkt zu gelangen, aber selbst er wurde von Zeit zu Zeit von Selbstzweifeln gepackt. „Alain, mein Freund, was ist mit dir?“, Viktor war sichtlich überrascht, noch nie hatte er den Ex-Söldner so verloren gesehen. „Ach nichts, es ist nichts.“ „Willst du mich auf den Arm nehmen, ich weiß, ich kenne dich noch nicht lange, doch so habe ich dich noch nie gesehen, richtig verzweifelt. Willst du nicht einmal mir dein Herz ausschütten? Selbst du brauchst ab und zu jemanden der dir zuhört.“ Ermutigend klopfte ihm Viktor auf die Schulter. Sollte er es wirklich wagen, würde es im etwas bringen? „Deine Worte von vorhin trafen mich wirklich hart. Wie kann man bloß annehmen, dass ich gerne alleine wäre. Aber wahrscheinlich werde ich nie so eine Frau treffen mit der mich so ein starkes Band wie den Kommandanten und André verbindet. Manche Menschen teilen eben das Schicksal des Alleinseins.“ „Diesen Schwachsinn glaubst du doch nicht im Ernst? Überleg doch mal, wann hatte sich denn wirklich die Gelegenheit ergeben sich nach einer Frau umzusehen. In Frankreich warst du einer Familie und dem Söldnerheer verpflichtet und auf unserer Reise durftest du André und mich voneinander abhalten uns an die Gurgel zu gehen. Du hast Recht Alain, es wird Zeit, dass wir uns mehr um deine Angelegenheiten kümmern.“ Viktor klopfte ihm auf den Rücken, reichte ihm ein Glas des Rotweins, welchen sie mitgenommen hatten, und prostete ihm zu. Leicht beduselt vom Wein fielen sie in ihr Bett und es dauerte keine drei Minuten bis ein leichtes Schnarchen aus ihrer Kammer ertönte. Ein lautes Klappern von Geschirr und Hufgetrampel das von der Straße herauf hallte, weckte André auf. Er hatte tief und fest geschlafen und wenn es nach ihm gegangen wäre, würde er sich noch für ein weiteres Stündchen aufs Ohr hauen. Seine Hand glitt zur anderen Seite des Bettes doch widererwarten fand er nur die verlassenen Kissen vor. Er setzte sich auf, atmete tief durch und wartete kurz bis sich sein Auge geklärt hatte. Jeden Morgen dasselbe ungewisse Warten, ob sich der Schleier verflüchtigte oder nicht. „Guten Morgen, gut geschlafen?“, erst jetzt erkannte er Oscar auf dem Stuhl vor dem Bett sitzen, sie war schon wieder fertig angezogen und gerichtet, sie war im Gegensatz zu ihm ein richtiger Morgenmensch. „Guten Morgen Oscar, natürlich habe ich gut geschlafen, du etwa nicht?“, wissend grinste er sie an. Zur Strafe für dieses freche Grinsen warf sie ihm ein nasses Tuch ins Gesicht. Lachend setzte sie sich zu ihm aufs Bett „hast du dich für mich so nobel angezogen?“, André bewunderte ihre feine Jacke aus Samt mit den silbrigen Knöpfen. „Ach, ich dachte, wenn wir heute den Juden aufsuchen, kann es nicht schaden, wenn wir etwas nach Geld aussehen oder denkst du etwa anders?“ André streckte sich noch einmal hin „Ehrlich gesagt weiß ich es nicht, da ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht habe, aber ein Kaffee am Bett wäre mir lieber gewesen als dieses nasse Tuch im Gesicht.“ Angewidert, mit zwei Fingern hielt er ihr es vor das Gesicht. „Wenn du Kaffee möchtest, rate ich dir endlich aufzustehen und dich zu richten, ich werde dir sicher keinen Kaffee bringen.“ Fast empört erhob sie sich vom Bett und ging zur Kommode hinüber, sie streifte die Halskette von André über und sah ihn ungeduldig an. „Jawohl Kommandant“, gerade als er salutieren wollte, traf ihn schon wieder der kalt-nasse Lappen im Gesicht. „So jetzt reicht es“, entrüstet sprang er auf, wusch sich, kämmte sich sein Haar und zog, um neben Oscar eine passable Erscheinung abzugeben seinen braunen Anzug den er früher immer bei Hofe getragen hatte, an. Zufrieden musterte er sich im Spiegel und war sichtlich zufrieden. „Deine Chance einen Guten-Morgen-Kuss von mir zu ergattern, hast du hiermit vertan“, neckisch sah er sie an und wartete gespannt ihre Antwort ab. „Auch gut André, ein Frühstück ist mir sowieso lieber“, sie drehte sich zur Tür und wollte gerade den Raum verlassen. Sein Gesichtsausdruck spiegelte echte Empörung wieder, gerade als er dieser Luft machen wollte, drehte sie sich ruckartig um und drückte ihm einen kräftigen Kuss auf seine Lippen Oscar und André saßen schon in der Stube bei einer Tasse Kaffee als Alain und Viktor verschlafen die Treppe herunter stiegen. Zwischen einem lauten Gähnen und einem Augenreiben brachten sie gerade noch ein „Guten Morgen“ heraus. „Na ihr zwei, wohl zu lange und zu oft ins Glas geschaut?“ „Hm ehrlich gesagt nein, wir hatten uns schon noch einen Krug Wein bestellt wie du uns verlassen hast, aber es war im Rahmen des Normalen. Der Wein muss hier einfach stärker sein oder einfach beruhigender, nicht wahr, Viktor?“ „Ähm, ich brauche erst mal ein ordentliches Frühstück. Ach was ich fragen wollte, bleibt ihr bei eurem Plan den Juden aufzusuchen und wenn ja, sind Alain und ich dann von Nöten? Ansonsten würde ich gerne mit Alain etwas besorgen gehen.“ Alain sah Viktor fragend an, hatten sie gestern etwas Wichtiges besprochen, was er wieder vergessen hatte? Nein, ihm fiel beim besten Willen nichts ein. „André und ich können auch alleine diesen Rosenblatt aufsuchen, aber was wollt ihr denn besorgen gehen?“ „Ich dachte mir, es wäre nicht schlecht, wenn wir unsere Gardarobe etwas aufbessern würden. Die alte Jacke kann Alain doch wirklich nur mehr zum Reiten anziehen oder was meint Ihr, Lady Oscar?“ „Moment mal, ich bin noch anwesend und ich mag es gar nicht wie du so abfällig über meine Jacke sprichst, Viktor. Sie mag zwar alt und abgetragen sein, doch gehört sie zu mir und hat mir schon gute Dienste erwiesen.“ „Mein Freund, sei doch nicht immer gleich so eingeschnappt, ich nehme sie dir schon nicht weg. Doch denke ich mir, dass es für ein neues Stück an der Zeit wäre. Und wegen der Bezahlung mach dir keine Sorgen, die geht auf mich, als Dank für deine Dienste in der französischen Armee und für deine Unterstützung.“ Alain war nicht wohl bei den Gedanken so reich beschenkt zu werden. Natürlich würde er sich über ein neues Gewand sehr freuen, er fühlte sich, was das Äußere betraf den anderen immer unterlegen. „Gut Viktor, dann nehme ich deinen Vorschlag dankend an!“ Der 9. Oktober 1789 war ein sonniger Tag, doch die leichte Brise erinnerte die Bewohner von Pamplona wie schnell die Zeit vorüber strich und der Herbst eingekehrt war. Gemeinsam schlenderten die Vier zum Platz vor der Kathedrale, dort trennten sie sich und gingen jeweils ihre eigenen Wege. Sie hatten sich alle vom Wirt die Wegbeschreibungen zu den gewünschten Zielen geben lassen und hofften nun ohne Umschweife dorthin zu gelangen. André hatte Alain sein Wörterbuch geliehen, er hatte es sicher dringender nötig beim Einkauf von neuem Gewand, ansonsten konnten sie sich mit Oscars Lateinkenntnissen über Wasser halten. Oscar und André gingen die Calle de la Curia hinunter und bogen in die Calle de la Manueta ein. Dort sollte sich zur rechten Hand eine kleine Gasse zeigen, die sie direkt zu David Rosenblatt führen sollte. Die Häuser in dieser Gegend waren sehr eng aneinander gebaut und man sah es den Fassaden an, dass es sich hier um eine eher ärmliche Wohnsiedlung handeln musste. Anscheinend war das hier das Judenviertel, da sie an den Türen jeweils einen Davidsstern ausmachen konnten. Es sollte das letzte Haus in dieser Gasse sein, welches sein Besitzer ihnen weiterhelfen sollte. Oscar wurde nervös, immerhin konnte dieser Mann ihr Leben verändern, wie sie über diesen Satz nachdachte, kam er ihr fast zu dramatisch vor, doch so war es. Sie lebte ihr Leben wie sie es für richtig gehalten hatte, doch sollte es sich bald zu Ende neigen. Nein, sie wollte unbedingt mit André alt werden, koste es, was es wolle. Auch André schluckte. In seinen Händen bildeten sich kleine Perlen von Schweiß, er legte mehr Hoffnung in diese Begegnung als er je zugeben würde. Aus Angst sie würde den Boden unter den Füßen verlieren, griff sie nach Andrès Hand. Im Gleichschritt bewegten sie sich auf das Haus zu. Als sie die kleinen Stufen zur Tür hinaufsteigen wollten, öffnete sich diese und ein junges Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren stürmte ihnen entgegen. „Oh verzeiht mir bitte, Großvater, du hast Besuch.“ Mit einem leichten Knicks und einem wissenden Lächeln verabschiedete sich von Oscar und André und lief die schmale Gasse entlang. Verwundert blieb das Paar stehen und wartete darauf bis sich jemand zeigte. Es sollte auch nicht allzu lange dauern bis der kleine ältere Herr in der Türe stand. „Warum überrascht es mich nicht Euch hier zu sehen“, schmunzelnd wies er sie an einzutreten und ließ behutsam das Schloss einrasten. „Ich würde mich doch schwer täuschen, wenn Ihr mich wegen Geldangelegenheiten aufgesucht hättet“, er warf ihnen einen auffordernden Blick zu. „Nun Monsieur Rosenblatt, wir hörten bereits von Euren Geschäften, doch handelt es sich wahrlich nicht um Geld weswegen wir Euch aufsuchen.“ „Nun denn, tretet näher und nehmt doch Platz in meiner Stube.“ Gerne folgten sie der Aufforderung, die Inneneinrichtung versprach mehr als das Äußere des Hauses zu hoffen wagte. Die Möbel waren von bester Qualität, dunkles Holz und kunstvoll geschnitzte Intarsien verliehen den Stücken ihren wahren Wert. David Rosenblatt geleitete die junge blonde Frau und den dunkelhaarigen großgewachsenen Mann, den er zuvor nie gesehen hatte, in sein Arbeitszimmer und Bibliothek. Vor dem Kamin standen ein Sofa, ein kleiner Salontisch und zwei große Ohrensessel. Die Wände waren gesäumt von Bücherregalen die vor Literatur nur so überquollen. Ein Sekretär aus Mahagoniholz stand nah am Fenster und einige Papiere befanden sich darauf. „Darf ich ihnen eine Tasse Tee anbieten?“ „Sehr gerne Monsieur Rosenblatt.“ David Rosenblatt schickte seine Haushälterin Esther um Tee und Gebäck zu holen und lehnte sich in seinen großen Ohrensessel genüsslich zurück. „Nun Madame, wie kann ich Euch helfen?“ „Wo soll ich bloß anfangen?“ Oscar geriet wirklich ins Grübeln, wie viel sollte oder konnte sie erzählen? „Da Ihr so ausseht, als würdet Ihr keinen Kredit von mir brauchen, gehe ich recht in der Annahme, dass es sich um meine zweite Passion handelt und Ihr einige Fragen beantwortet haben möchtet.“ David wollte ihnen den Einstieg in ihre Erzählung etwas leichter gestalten. Er konnte sich sehr gut vorstellen, wie schwierig es für diese jungen Menschen sein musste, ihm, einem Fremden, private Inhalte zu erzählen. Oscar nickte, André tätschelte leicht ihre Hand und gab ihr zu verstehen, dass er den Anfang machen wollte. „Monsieur Rosenblatt, Ihr scheint mir ein außerordentlich guter Menschenkenner und Beobachter zu sein, darum wird es Euch nicht entgangen sein, dass Äußerlichkeiten von mir nur mehr mit einem Auge erfasst werden können. Dessen nicht genug plagen mich seit geraumer Zeit Sehausfälle auf meinem eigentlich gesundem Auge. Ich fürchte, ich werde in nicht allzu langer Ferne mein zweites Auge verlieren. Als meine Frau mir von ihrer Begegnung mit Euch erzählt hatte und wir von Eurer Kenntnis zur Medizin erfahren hatten, beschlossen wir Euch, in der Hoffnung hier Hilfe zu finden, aufzusuchen.“ David Rosenblatt nickte ihnen freundlich zu „ward Ihr mit der Absicht einer Pilgerreise nach Pamplona gekommen?“ Oscar hatte nun wieder ihre Fassung gefunden und mischte sich in das Gespräch ein „Nein, wir dachten an die Fähigkeiten eines fremdländischen Medicus. Verzeiht, aber André hat Euch nicht die ganze Geschichte berichtet. Auch ich bin krank, der Arzt in Frankreich diagnostizierte Tuberkulose und meinte, wenn ich mich nicht schonen würde, erlebe ich die nächsten sechs Monate nicht mehr.“ Um die schlechten Gedanken über den Tod aus ihrem Bewusstsein zu streichen, nippte sie an ihrer Tasse mit Tee und hoffte auf eine Antwort des Juden. Der alte Mann sah sie immer noch lächelnd an. Bevor er mit seinen Ausführungen begann, räusperte er sich und nahm seine Lesezwicker von der Nase um ihn mit seinem reinweißen Taschentuch zu säubern. „Madame, wann hat man diese Diagnose gestellt?“ Überrascht über diese Frage rechnete sie schnell in ihren Gedanken nach und meinte, dass dies vor ungefähr vier oder fünf Monaten gewesen sein musste. „Habt ihr auch Blut gespuckt?“ Stumm nickte sie, David platzierte seine Gläser wieder auf die Nase und ganz nüchtern erklärte er ihr, dass es sich hier nicht um Tuberkulose handeln könnte. Das war ein Schlag ins Gesicht, Oscar wusste nicht ob sie diese Aussage für gut oder schlecht halten sollte? Zuvor hatte das Bedrohliche einen Namen gehabt aber jetzt? „Madame, wenn Ihr wirklich an Tuberkulose erkrankt wärt und wenn Ihr dabei schon Blut gespuckt habt, dann hättet Ihr den Weg von Frankreich nach Pamplona nicht lebend überstanden. Sagt, leidet Ihr immer noch am Blutspucken?“ Es war eine berechtigte Frage, sie überlegte, wann es das letzte Mal gewesen sein musste, wie sie entsetzt in ihr blutiges Taschentuch starrte „Nun ja, dies muss vor unserem Lazarettaufenthalt gewesen sein. Danach wurde mein Körper nur von schrecklichen Hustenanfällen gequält.“ Oscar sank erschöpft in das Sofa. „Im Lazarett? Mein Gott, Rebecca hatte Recht!“ In Oscar und Andrés Gesichtern konnte man nun mehr Verwunderung erkennen. „Entschuldigt, bevor wir uns jetzt weiter in Eure Krankengeschichte vertiefen, sollten wir uns doch einmal vorstellen.“ Dem jungen Ehepaar stieg eine leichte Röte ins Gesicht. Sie waren in ein fremdes Heim eingedrungen und hatten vergessen sich dementsprechend vorzustellen. „Verzeiht Monsieur, wo sind bloß unsere Manieren. Meine Name ist Oscar Francois Grandier, ehemals Capitaine der königlichen Leibgarde ihrer Hoheiten Louis XVI. und Marie Antoinette und ehemaliger Commandant der Garde Francais.“ „André Grandier“, nun was konnte er schon sagen, ehemaliger Stallbursche der Familie de Jarjayes, nein wirklich nicht. Oscar war sein Stocken nicht entgangen und sie beendete den Satz für ihn „ehemals Soldat der Garde Francais und mein bester Freund.“ „Und Gemahl habt Ihr vergessen, Madame und Monsieur Grandier, sie sind eine gelungene Überraschung, obwohl Überraschung nicht wirklich stimmt. Wenn ich ehrlich bin, haben meine Enkeltochter und ich sie bereits erwartet.“ Ungläubig sahen sich Oscar und André an. „Ja ja, Ihr habt schon richtig verstanden, wir haben Euch erwartet. Nicht nur Ihr werdet von Schicksalsschlägen und Problemen malträtiert. Auch wir haben mit den uns auferlegten Aufgaben zu kämpfen, die unsere Fähigkeiten oft überschreiten. Wir hatten auf Eure Hilfe gehofft in dieser auswegslosen Situation.“ Oscar und André folgten jedem seiner Worte und doch verstanden sie nichts. Man hatte sie erwartet? Hilfe war von Nöten? War das alles ein schlechter Scherz? David Rosenblatt rügte sich, da er wirres Zeug von sich gegeben hatte, wenn er nicht gleich seine Geschichte erzählte, würden ihn diese Leute als geisteskranken Alten abstempeln. So begann er von seinem Leid zu berichten und Oscar und André waren sehr gefesselt von seinen Ausführungen. Sie lebten damals in Madrid und David Rosenblatt liebte seine Familie über alles, mit Geld- und Warenhandel schaffte er es, ein beträchtliches Vermögen anzuhäufen. Doch wie es nun mal so war, kamen mit dem Erfolg auch die Neider. David Rosenblatt war ein gerechter Mann und ebenso ein fairer und charaktervoller Geschäftsmann, doch sein Glaube und der seiner Familie standen seinem Glück im Weg. Als jüdischer Geschäftsmann im katholischen Spanien hatte er einen schweren Stand und seine Widersacher wussten, wie sie ihren Konkurrenten in die Knie zwingen konnten. Seine Frau, seine Schwiegertochter und seine Schwester wurden der Hexerei angeklagt. Die großen Hexenverfolgungen waren zwar vorüber, aber die spanische Inquisition ließ es sich nicht nehmen immer wieder und wenn sich der Verdacht auf einer noch so ungereimten Anschuldigung stützte, Frauen zu foltern und hinzurichten. Sein Sohn, ein kluger Kopf mit einem großen Herzen kam bei dem Versuch seine Frau vor den Bütteln der Stadt zu beschützen ums Leben. David selbst befand sich zu dieser Zeit auf einer seiner Geschäftsreisen und war kurz davor heimzukehren. Er wusste damals, dass mit Geld viel zu richten und zu retten war, doch die Inquisitoren waren unbestechlich und so ihrem religiösen Fanatismus verfallen, dass ihm jede Rettung verschlossen blieb. Einzig seine Enkeltochter Rebecca und seine Nichte Simona konnte er vor den Fanaten schützen und zu sich nehmen. Rebecca war damals gerade ein Jahr alt und Simona acht. Gebannt lauschten André und Oscar seiner Erzählung, konnten sich aber noch keinen Reim darauf machen, warum man sie bereits erwartet hatte oder was sie für den alten Mann tun konnten. Die Erklärung folgte zugleich. David Rosenblatt bat seine Haushälterin um eine Karaffe mit Wein und eine mit frischem Brunnenwasser. Nachdem er seinen Gästen und sich ein Glas Wein, seines war verdünnt mit Wasser, eingeschenkt hatte, setzte er seine Erzählung fort. Fluchtartig verließ er mit den zwei Mädchen Madrid und suchte hier in Pamplona Schutz bei alten Freunden. Hier in dem kleinen jüdischen Viertel wurde er sehr herzlich aufgenommen und seine Nachbarn halfen ihm mit der Erziehung der Kinder. Schon seit er denken konnte beschäftigte er sich mit der Medizin und auf seinen zahlreichen Reisen durch die ganze Welt hatte er viel Wissen zusammengetragen. Sein Handel begann wieder zu florieren und so konnte er beginnen eine umfangreiche Bibliothek anzulegen. Seiner Nichte lehrte er nicht nur lesen, schreiben und rechnen, auch die Geheimnisse der Medizin, Kräuterkunde und Geburtshilfe brachte er ihr bei. Schon bald merkte er, dass es in ihrer Gabe lag Menschen zu helfen und wenn sie nur tröstend mit ihrer Hand über den Kopf strich. Es war ein Geschenk von Gott. Er wusste, dass sie vorsichtig sein mussten, denn es war nicht gerne gesehen, wenn Juden die Medizin ausübten und die Mythen und bösen Zungen über Hebammen und Kräuterkundige kannte man zugenüge. Simona war eine talentierte junge Frau, die aber auf Grund ihrer Gutherzigkeit und Hilfsbereitschaft ins Verderben gerissen wurde. Rosenblatt legte eine Pause ein, sein Mund war trocken geworden und so nippte er an seinem Glas. Oscar seufzte, sie konnte erahnen, um was es sich handelte und wobei sie helfen sollten. „Ich weiß zwar noch nicht warum und wieso, aber ich habe den leisen Verdacht, Eure Nichte wurde festgenommen und der Hexerei oder Ketzerei, was in diesem Fall ja das selbe ist, angeklagt. Und Ihr meint, dass wir ihr helfen könnten.“ David war über den Scharfsinn der gegenüber ihm sitzenden Dame überrascht. „Ja so ist es, vor drei Wochen hatte sie einer der Frau eines Ratsherrn heimlich bei der Geburt ihres Kindes geholfen. Das kleine Bündel war schon lebensunfähig auf die Welt gekommen und überlebte nur wenige Stunden. Die Frau des Ratsherrn, benebelt durch den Schmerz des Verlustes, bezichtigte sie als Hexe und Engelmacherin, woraufhin Simona festgenommen und eingesperrt wurde. Die feinen Herren der Inquisition wurden natürlich sofort informiert und in einer Woche soll ihr der Prozess gemacht werden. Nicht auszudenken was sie bis jetzt mit ihr im Kerker angestellt haben. Ich bin einfach nicht mächtig genug ihr zu helfen, geschweige denn sie zu retten.“ Seine Hände zitterten und er nahm einen kräftigen Schluck um sich zu beruhigen. „Nun gut Monsieur Rosenblatt, doch verratet mir eines, wieso hattet Ihr uns bereits erwartet?“ André war sichtlich erregt und die Geschichte hatte ihn emotional mitgerissen. Er konnte es nicht ertragen, wenn anderen Leuten Ungerechtigkeit widerfahren war. „Wie erkläre ich das nur am Besten, meine Familie vererbte nicht nur das goldene Blond der Haare, sondern auch gewisse Begabungen. Meine Enkeltochter ist in der Lage wichtige Ereignisse oder bedeutende Einschnitte im Leben eines Menschen vorherzusehen. Auch die Gefühle anderer Menschen bleiben vor ihr nicht verborgen. Sie hat die Fähigkeiten einer Seherin und einer Empathin. Jedoch kann sie diese Gabe nicht richtig lenken, es ist ein Geschenk Gottes. Auch ich hatte in jungen Jahren diese Fähigkeit, die aber mit der Zeit wieder verblasste und nun im Alter würde ich mich nur mehr als Menschenkenner bezeichnen. Sie erschienen meiner Enkeltochter im Traum und sie trug mir auf in den nächsten Tagen am späten Nachmittag an der Kathedrale vorbeizugehen um nach einer blonden jungen Frau in Männerkleidung und einen dunkelhaarigen Mann Ausschau zu halten. Ihr seid mir gleich aufgefallen, da ich in Pamplona noch nie eine Frau in Männerkleidung gesehen habe, doch war ich mir nicht ganz sicher, denn Ihr standet alleine vor der Kirche.“ Sprachlos saßen sie sich gegenüber, sie waren anscheinend vom vielen Erzählen und von den Neuigkeiten etwas überfordert und müde. „Nun Monsieur Rosenblatt, aus Eurer Geschichte schließe ich, dass Ihr Euch von uns Hilfe erhofft?“ „Rebeccas visionäre Träume offenbaren sich ihr nicht ohne Grund und meine Enkelin versicherte mir mit solcher Inbrunst, dass nur Ihr imstande sein uns zu helfen und ich glaube und vertraue ihr.“ Sollten sie ihm helfen, konnten sie ihm vertrauen? Das Schicksal hatte sie zu ihm geführt, für Oscar war es fast selbstverständlich dieser Familie zu helfen. Doch würde André sie dabei begleiten? Und was würden Viktor und Alain dazu sagen, würden sie ihr Leben riskieren wollen? „Monsieur Rosenblatt, ich vertraue Euch, weil ich auf Gott vertraue und ich mir sicher bin nicht ohne Grund Euch begegnet zu sein. Und sofern es mir meine Gesundheit ermöglicht, werde ich Euch helfen.“ André hatte sich nichts anderes gedacht, er kannte sie jetzt fast sein ganzes Leben und wenn sie anderes reagiert hätte, wäre sie nicht die Frau gewesen, die er liebte. Er seufzte zwar leise, doch laut genug damit es für die anderen vernehmbar war. „Oscar, meine Liebe, ich werde dir folgen und dich unterstützen, mein Wort darauf.“ „André, mein Freund, mein Geliebter, nichts anderes habe ich erwartet.“ Der Alte war erleichtert und glücklich, endlich gab es für ihn wieder Hoffnung. „Madame, auch ich möchte Euch meine Dienste anbieten, kommt morgen früh zu mir, dann will ich Euch gründlich untersuchen und befragen. Ich werde einen gut befreundeten Arzt dazu bitten und dann werden wir für Euch, Oscar und André, eine Diagnose erstellen und hoffentlich auch eine geeignete Therapie. Danach, sofern es Euch möglich ist, möchte ich Euch mehr von meiner Enkelin und meiner armen Nichte erzählen.“ Oscar und Andrés Gesichter hellten sich auf, morgen würden sie mehr wissen. Sie stimmten diesem Vorschlag zu und verabredeten sich für morgen. Unterdessen standen Viktor und Alain vor dem Schaufenster eines Schneiders. „Los mein Freund, lass uns etwas Geld ausgeben und danach werden wir einen Barbier aufsuchen, eine ordentliche Rasur und ein Haarschnitt wird uns ganz gut tun.“ Viktor war der erste der das Geschäftslokal betrat und die junge Dame, die ihnen freundlich zulächelte, grüßte. Vergeblich versuchte er ihr auf Französisch zu erklären, was sie eigentlich wollten. Hilfe suchend deutete sie den beiden Männern hier zu warten und verschwand dann gleich ins Nebenzimmer. Zwei Minuten danach kam ein hagerer Mann um die vierzig heraus und verbeugte sich vor ihnen. Mit einem ziemlich schlechten und gebrochenen Französisch und den paar Brocken Spanisch aus Andrés Wörterbuch gelang es ihnen dem Schneider zu erklären, was sie wünschten. Er nahm Maß, notierte die Größe und den gewünschten Stoff und meinte, dass alles in zwei Tagen fertig sein werde. Die zwei Freunde waren für das erste einverstanden, zwar wussten sich nicht wie lange sie in Pamplona bleiben würden, doch nahmen sie an, dass es doch länger sein würde. „Willst du nach dieser Schmach der Verständigung wirklich zum Barbier gehen, Viktor? Ich weiß nicht recht. Es war doch ziemlich anstrengend, meinst du nicht?“ „Du hast vielleicht recht, verschieben wir es bis morgen, aber was hältst du davon, wenn wir uns eine Karaffe Wein bei unserem Wirt besorgen und auf Lady Oscar und André warten?“ Alain grinste, diese Idee gefiel ihm viel besser und so machten sich die zwei auf den Nachhauseweg. Sie saßen an die Hausmauer gelehnt vor dem Gasthof und genossen jeden Schluck des dunkelroten Getränks. Die Sonne schien ihnen ins Gesicht, und gelegentlich konnte man ein lautes Lachen durch die Gassen Pamplonas vernehmen. „Na das hätten wir uns denken können, euch so vorzufinden“, schulmeisterisch schüttelte Oscar den Kopf, nahm aber gegenüber von Alain Platz und nahm ihm sein Glas aus der Hand. „Alain wie oft habe ich Euch gesagt, Soldaten sollen nicht dem Wein verfallen.“ Viktor und Alain warfen sich überraschte Blicke zu, irrten sie sich oder war Lady Oscar zu spaßen aufgelegt. „Meine Freunde, viele Abenteuer haben wir schon gemeinsam bestritten und oft haben wir uns gegenseitig aus der ein oder anderen Misere befreit. Bevor ich euch nun um etwas bitte, möchte ich mit euch Bruderschaft trinken.“ Viktor hatte gerade einen kräftigen Schluck von seinem Weinglas genommen und sich dabei kräftig verschluckt. André klopfte ihm einige Male auf den Rücken, da die kleinen Tropfen in der Luftröhre ihm einen Hustenanfall bescherten. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren ging Oscar in die Stube um zwei Gläser zu holen. Nachdenklich goss sie den funkelnden Wein in die Gläser und erhob ihres. Sie blickte zu Alain, sie erinnerte sich daran wie sie sich kennen gelernt hatten, wie hatte er ihr Leben bei den Söldnern erschwert. Doch war er immer ehrlich zu ihr, auch sie musste damals erst sein Vertrauen erkämpfen und sich bewähren, jetzt gehörte Alain de Soisson zu ihren wichtigsten Freunden und Vertrauten. „Alain, zu Beginn unserer Bekanntschaft haben wir es uns nicht leicht gemacht, doch gestanden wir uns doch noch unsere Menschlichkeit ein. Auf unsere Freundschaft.“ Sie prosteten einander zu und umarmten sich „aber beim Kommandanten bleibe ich weiterhin, da kannst du tun und machen, was du willst.“ „Dir, mein Freund, sei es gestattet.“ Nun wandte sie sich zu Viktor „Viktor unsere Freundschaft hat damals nicht minder schwierig begonnen, wir haben doch beide einen ziemlichen Dickschädel. Umso mehr freute ich mich über deine Loyalität und Ehrlichkeit“, lächelnd dachten sie beide an das Duell vor 20 Jahren, wie hochmütig ihm damals die junge Oscar gegenüber getreten war und wie eitel sie ihn empfand. Sie ließen die Gläser an einander klingen und umarmten sich ebenfalls. „Oscar, sei mir nicht böse, doch hinter dieser Geste steckt doch sicher mehr als du uns vermuten lässt, nicht wahr?“ „Viktor, deinem Scharfsinn entgeht doch nichts.“ Sie setzten sich alle in die wärmende Nachmittagssonne, baten dem Wirt um eine Jause und lauschten interessiert den Erzählungen von Oscar und André. Zeitweise blieben Alain und Viktor vor lauter Erstaunen der Mund offen. „Kommandant, das hört sich doch sehr abenteuerlich an und gerade deswegen komme ich morgen gerne mit.“ „Und ich dachte schon, wir könnten uns hier ein paar angenehme Tage gestalten, aber bevor ich alleine hier herumsitze und mir den Wein schmecken lasse, werde ich euch natürlich begleiten.“ Oscar fiel ein Stein vom Herzen, sie hatte gehofft, dass sich ihre Freunde ihr anschließen und dieser Familie so gut es ging helfen würden. Noch lange saßen sie an diesem Tag zusammen und diskutierten, ob es wirklich möglich war die Zukunft vorherzusehen. Welch Unheil, Kämpfe und Kriege könnte man damit verhindern und tausende von Menschenleben retten. Die vier konnten es nicht recht glauben und gerade deswegen waren sie umso neugieriger die Familie Rosenblatt am nächsten Tag kennen zu lernen. Pünktlich um acht Uhr morgens standen Oscar, André, Alain und Viktor vor der Tür des jüdischen Händlers. Dreimal mussten sie klopfen bis sich die Tür öffnete und die rundliche, ältere Haushälterin von gestern ihnen entschuldigend entgegen lächelte. „Verzeiht, ich war gerade im Hinterhof“, sie bat die Gäste einzutreten und in der Bibliothek Platz zu nehmen. Sogleich stellte sie Tee und Gebäck auf den Tisch und bat die Verspätung ihres Herren zu entschuldigen. Es verging keine Minute als das 15 jährige Mädchen von gestern den Salon betrat. Die düstere Mine die sie zuvor noch gezeigt hatte, verschwand augenblicklich als sie André und Oscar auf dem Sofa sitzen sah. „Seid gegrüßt Oscar und André“, höflich vollbrachte sie einen Knicks und lächelte das Paar freundlich an. „Wie ich sehe, habt Ihr noch ein paar Freunde mitgebracht, wie wunderbar. Mein Name ist Rebecca Rosenblatt und ich soll meinen Großvater entschuldigen, er müsste sofort bei uns sein. Er ist zur Zeit unterwegs um seinen Freund Doktor Stern zu holen. Ein sehr liebenswürdiger Mann und eine Koryphäe auf seinem Gebiet doch etwas schusselig.“ Sie waren überrascht wie vertraut dieses junge Ding mit ihnen umging und absolut keine Scheu zeigte. Viktor war sie fast zu perfekt im Umgang mit Fremden und erlaubte sich deswegen einen kleinen Scherz, bewusst um seine Wirkung bei Frauen, stand er galant auf, schritt zu ihr hinüber, nahm ihre kleine Hand und hauchte einen Kuss darauf „Graf Viktor de Girodelle, zu Euren Diensten Mademoiselle Rosenblatt.“ Sie errötete, noch nie hatte ein Mann sie so begrüßt, bis jetzt war sie immer die kleine Enkelin von David Rosenblatt gewesen. Zu guter Letzt, zwinkerte er ihr auch noch zu, ‚ach was hat dieser Mann nur Augen’, Oscar hingegen warf Viktor einen tadeligen Blick zu, sie mochte es nicht, wenn er jungen Damen den Kopf verdrehte. Alain hingegen stand zackig auf, schlug die Hacken zusammen und salutierte vor ihr, sodass es Rebecca aus ihren Tagträumen riss. Wie ihre leichte Röte wieder zu versiegen drohte, öffnete sich die Haustür und David Rosenblatt kam in Begleitung eines Mannes in seinem Alter herein. „Ah liebe Freunde, Ihr seid schon hier, ich habe anscheinend die Zeit vergessen. Verzeiht mir bitte. Dafür habe ich meinen guten Freund und vor allem auch Mentor Doktor Elias Stern mitgebracht. Er hat mich auf vielen meiner Reisen begleitet und war in den schweren Stunden meines Lebens an meiner Seite und half mir, wo er nur konnte.“ Der Doktor war ein drahtiger kleiner Mann, um keinen Zentimeter größer als Rosenblatt, sein Haar war schon ergraut, sehr dicht und kurz geschnitten. Er machte auf die vier Freunde einen sehr sympathischen Eindruck. Freundlich reichte er jedem die Hand und nahm auf einem der Ohrensessel Platz. „Nun, David hat mir schon ein wenig von Euren Problemen erzählt, ich würde mir gerne selbst ein Bild davon machen. Wer möchte sich zuerst meiner Untersuchung unterziehen?“ Fragend blickte er in die Runde. „André, geh du zuerst, ich werde mich mit Viktor, Alain und Monsieur Rosenblatt noch weiter beraten.“ Auffordernd nickte sie ihrem Mann zu, der nun etwas zögernd aufstand und dem Doktor ins obere Geschoss des Hauses folgte. Er brauchte Ruhe für seine Untersuchung und er wollte nicht, dass sich sein Patient peinlich berührt fühlte, falls er ihm eine pikante Frage stellen würde. Rosenblatts Wirtschafterin Esther hatte schon eine kleine Kammer für die Begutachtung hergerichtet. Doktor Stern öffnete gemütlich seine schwarze aus Leder gefertigte Tasche und André glaubte schon er würde jeden Moment ein unliebsames medizinisches Instrument herausnehmen um ihn dann damit zu behandeln. Unerwarteterweise zückte er Papier und Bleistift und nahm an dem kleinen Tisch vor ihnen Platz. Er deutete auch André sich hinzusetzen und dachte kurz nach. „Monsieur, ich habe gehört, dass Ihr unter dem Verlust Eurer Sehkraft leidet. Erzählt mir doch bitte, wie es dazu gekommen ist.“ André nickte und stockend fing er an von jenen Geschehnissen in Paris zu erzählen. Auch seine Dummheit den damaligen Rat des Arztes nicht befolgt zu haben, ließ er nicht aus. Er erzählte alles, vom schwarzen Ritter, seiner Angst um Oscar und ihre Gefangenschaft ihm Palais Royal und wie er sie hatte retten können. Alles sprudelte nur aus ihm heraus und der Arzt erwies sich als geduldiger Zuhörer. „Verletzt war also nur ihr linkes Auge, das rechte war vollkommen in Ordnung nach dem Angriff?“ André nickte zustimmend. „Nun gut, dann lasst uns mit der eigentlichen Untersuchung beginnen.“ Er tastete beide Augen bei geschlossenem Lid ab, dann wies er André an sein noch recht gesundes Auge zu öffnen und träufelte ihm eine Substanz in das Auge. Es war nicht gerade angenehm aber gut auszuhalten. „So am besten ist es, Ihr haltet die Augen geschlossen, natürlich könnt Ihr auch weiterhin normal sehen, doch etwas zu lesen würde ich abraten, da sich die Pupille durch das Mittel weitet und Ihr dann verschwommen seht und Euch davon schlecht werden könnte. Sagt, habt Ihr Unterschiede beim Sehen? Ich meine, gibt es Momente, wo es ganz schlecht ist oder ihr überhaupt nichts mehr seht und dann in den nächsten Momenten ist es wieder normal?“ „Ja Herr Doktor, genauso ist es. Vor allem am Morgen nach den Aufwachen, ich muss immer einige Sekunden warten bis sich mein Blick geklärt hat und ich bete jeden Tag, damit ich noch weiter sehen kann.“ „Wo sonst noch Monsieur, gibt es sonst noch Situationen?“ André ließ in seinem Kopf die vergangenen Monate Revue passieren und kam auf einen Nenner. „Ja, immer wenn ich mich über etwas ärgere oder meine Gefühle aufwühlt.“ Verstehend nickte der Arzt, „das bestätigt meinen Verdacht, aber um ganz sicher zu gehen werden wir in einer Stunde das Auge noch mal untersuchen. Ihr könnt jetzt hinunter zu Euren Freunden gehen und schickt mir gleich die junge blonde Frau herauf.“ Doktor Stern lächelte ihn freundlich an und notierte sich das eben besprochene. Elias wusste wie wichtig jeder Punkt der Anamnese war und er konnte sich nicht erlauben auch nur ein Detail zu vergessen. Von jedem seiner Patienten hatte er solche Papiere angelegt und war schon oft froh darüber gewesen, so war es ihm möglich etwaige Unverträglichkeiten oder Vorerkrankungen in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Kurze Zeit später trat Oscar ein. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe, dann räusperte sie sich und wartete auf irgendeine Anweisung des Arztes. Dieser nahm ein weiteres Blatt Papier zur Hand und zeigte auf den Stuhl worauf sie Platz nehmen sollte. Er befragte sie über ihren Krankheitsverlauf, wann die ersten Symptome auftraten, wie sich ihr Erscheinungsbild über die Wochen hinweg veränderte, alles wurde von ihm detailliert aufgeschrieben und dokumentiert. Sie erzählte auch davon wie sie angeschossen wurde und die Tage im Lazarett verbracht hatte. Auch von den Hustenanfällen die sie noch zeitweise plagten, die aber stets ohne Blut verliefen. „Madame, wäre es wohl möglich, wenn Ihr Euch oben frei machen würdet. Ich würde Euch gerne abhören und perkutieren.“ Oscar war alles recht und wenn sie sich splitterfasernackt vor dem Arzt stellen müsste, sie würde alles tun um nur einen Strohhalm für ihre Rettung zu finden. Doktor Stern packte nun einen kleinen Trichter aus, den er an sein Ohr hielt und dann auf Oscars Rücken. Klar und deutlich konnte er nun ihre Lunge abhören. Bis vor kurzem hatte er sein Ohr direkt an den Körper seines Patienten gelegt, doch er sagt sich, dass es doch einen Grund gab warum sein Ohr eine Ohrmuschel hatte. So benutzte er diesen Effekt nun für seine Untersuchungen. Er musste seinem Freund Rosenblatt gedanklich recht geben, Tuberkulose konnte diese Frau nun wirklich nicht haben. Wenn der französische Arzt richtig diagnostiziert hätte, würde diese junge Frau nicht vor ihm stehen können. Die Strapazen der Reise und das Auflösen der Lunge hätte sie schon in ihr Grab gebracht. Jedoch konnte er ein leises Rasseln vernehmen.Er legte den kleinen Trichter beiseite und klopfte nun sorgfältig Oscar’s Rücken mit seinen Knöcheln ab. Immer wieder schüttelte er seinen Kopf. „Sagt Madame, wurdet Ihr von Fieber geplagt, ist Euch sonst noch etwas Auffälliges untergekommen außer dem Blut?“ Natürlich hatte sie auch Fieber, vor allem in der Nacht vor dem Sturm auf die Bastille. An diesem Abend hatte sie sich elendig gefühlt, damals war sie bereit zu sterben. Schweißausbrüche und die plagenden Hustenanfälle zwangen sie das höchstmögliche aus ihrem Körper herauszuholen. Wäre sie danach nicht zur Krankenbehandlung im Lazarett gewesen, wäre sie wahrscheinlich daran gestorben. Auch die Schmerzen in ihrem Bauch, die sie von der ewigen Husterei herrührte, schwächten sie. Er fühlte ihren Puls, testete ihre Reflexe und war sehr zufrieden damit. „Habt Ihr in der Zeit auch abgenommen und worauf begründete der damalige Arzt seine Diagnose? Hat er Euch auch abgehört, so wie ich eben?“ „Ja Monsieur, dass hat er, aber er hat meinen Rücken nicht so abgetastet wie sie eben.“ „Ich habe langsam das Gefühl, dass viele Ärzte ihre Diagnosen rein auf den Aussagen der Patienten stellen und nicht mehr auf die Symptome eingehen. Madame, ich kann zwar ein Rasselgeräusch bei Eurer Lunge vernehmen, doch wenn Ihr wirklich Tuberkulose hättet, würdet Ihr nicht so vor mir sitzen und Ihr würdet noch mehr von quälenden Hustenanfällen mit Blutauswurf geplagt werden.“ In diesem Moment glaubte Oscar ein riesiger Felsbrocken würde von ihrem Herzen fallen. Doch im nächsten Moment quälte sie die Frage, worunter sie litt. Elias Stern konnte haargenau ihre Gemütsschwankung mitverfolgen. „Was genau Euch fehlte oder besser gesagt fehlt, weiß ich noch nicht, doch ich kann mit Sicherheit sagen, dass Ihr daran nicht sterben werdet. Ich werde mich nun mit David beraten und nachher noch Euren Gefährten untersuchen. Verzeiht, wenn ich das sage, aber ich denke Euer Arzt in Frankreich ist entweder ein Quacksalber oder ein sehr nachlässiger Mann.“ ‚Quacksalber’ schoss es Oscar durch den Kopf, er hatte die höchststehenden Adeligen behandelt, zwar nicht immer mit Erfolg aber er genoss ein hohes Ansehen. Sie war in dem Moment so froh und glücklich darüber mit André diesen Schritt gewagt zu haben und in ein fremdes Land gereist zu sein. Diese Nachricht ließ sie einfach aufatmen. Dankbar schüttelte sie dem Mann die Hand und verschwand wieder ins Erdgeschoss. Meister Rosenblatt und sein langjähriger Freund Elias Stern berieten über eine Stunde welche Krankheit den beiden zu schaffen machen konnten. Auch untersuchten sie zu zweit Andrés Auge und nach einer weiteren halben Stunde kamen sie zu einem Entschluss. Sie gingen hinunter ins Wohnzimmer, worauf sich vier Augenpaare gespannt auf sie richteten. „Nun, soll ich unsere Diagnosen vor Euren Freunden sagen oder wollt Ihr mit uns alleine sprechen?“ „Monsieur, ich habe derart keinerlei Geheimnisse vor meinem Mann und meinen Freunden.“ „Nun gut Lady Oscar, fangen wir gleich mit Euch an. Doktor Stern und ich sind auf Grund der Untersuchung und der Anamnese zu dem Entschluss gekommen, dass Ihr, wie Ihr noch in Frankreich im Dienste Ihrer Majestät standet an einer heftigen Lungenentzündung gelitten habt.“ „Aber das Blut, wo kam das Blut beim Husten her?“ „Nun das kann eine ganz andere Ursache haben, wisst Ihr, manche Menschen sind sehr sensibel, können aber mit ihren Gefühlen nicht offen umgehen und machen so manches Problem mit sich heimlich aus. Daher kann es schon des Öfteren vorkommen, dass sich seelischer Ballast in körperlichen Mängeln oder Krankheiten äußert. Euren Erzählungen zufolge tippen wir auf ein Geschwür im Magen. Durch Euer Ausscheiden aus dem militärischen Dienst und die darauf eintretende Ruhe, die Ihr Eurem Körper und Eurer Seele gegönnt habt, bildete sich das Geschwür zurück, aber ob es nun ganz weg ist, können wir leider nicht sagen. Wir werden für Euch ein paar Mittelchen zusammentragen und dann wird sich herausstellen, ob eine Verbesserung Eures Zustandes eintritt. Natürlich auch für die Lunge, sie muss gestärkt werden. Aber Euer Leben ist derzeit nicht bedroht. Jetzt zu Euch, André. Wir können verhindern, dass Ihr Euer Augenlicht vollständig verliert, dafür müssen wir aber sofort mit der Therapie beginnen.“ „Doktor Rosenblatt, was fehlt meinem Auge?“, auch André wollte eine Erklärung. „Wie erläutere ich das nun am besten? Es ist so, einfach gesagt, das Auge besteht aus verschiedenen Kammern und Nerven, in den Kammern befindet sich Flüssigkeit, die sowohl zu- als auch abgeleitet werden muss. Bei Euch wird aber das Ableiten erschwert, wodurch es zu Sehstörungen kommt. Es hängt in keinem Zusammenhang mit Eurem damaligen Unfall. Natürlich wird Euer noch aktives Auge zeitweise überanstrengt, doch daran hätte es sich mit der Zeit gewöhnt. Wir müssen es schaffen Euer Blut und Euer Augenwasser wieder ins richtige Verhältnis zu bringen. Vor allem Euer Blut, es muss ausgeglichen und ruhig sein wie die jungfräuliche See. Wir nennen das, was Euch zu schaffen macht, Bluthochdruck. Auch Ihr bekommt von uns die richtige Medizin dafür.“ Nun war es heraus. Oscars und Andrés Leiden hatten einen Namen. Die Ungewissheit der letzten Monate hatte ein Ende und wenn sie wollten, hätten sie am nächsten Tag wieder aufbrechen können und ein ruhiges Leben zu Hause in Arras verbringen können. Doch Oscar hatte David Rosenblatt ihre Hilfe versprochen, sie würde nicht nur sich selbst sondern auch ihre Vertrauenswürdigkeit und ihre neue Bekanntschaft verraten, wenn sie sich jetzt aus diesem Versprechen herauswinden würde. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht ließ Alain seinen Blick durch die Runde schweifen und meinte, dass dies doch der rechte Grund für eine kleine Feier wäre. „Alain, ich würde dir nur allzu gerne beipflichten, doch stehe zumindest ich noch in Monsieur Rosenblatts Schuld.“ David nickte „Rebecca, holst du bitte noch ein paar Stühle und bitte Esther um Wein, Wasser und Gebäck, rasch“, Viktor hatte sich in der Zwischenzeit von seinem Platz erhoben und war zum Fenster getreten. Mit einem gedankenverlorenen Blick starrte er aus dem Fenster, wieder einmal dachte er an Haydee, sie fehlte ihm so sehr, dass es ihm weh tat. Normalerweise schaffte er es seine Gedanken auf das Wesentliche zu fokussieren, doch ab und zu flüchtete sein Verstand in seine Phantasiegespinste. Oscar musste ihn dreimal ansprechen bis er überhaupt reagierte, sie bat ihn wieder Platz zu nehmen und Rosenblatts Ausführungen zu lauschen. Wieder erzählte er von seiner gefangen genommenen Nichte und seiner auswegslosen Situation. „Lassen wir doch einmal die Art der Befreiung beiseite, was gedenkt Ihr zu tun, wenn wir sie tatsächlich retten können? Versteht mich nicht falsch, ich bin sicher der letzte der nicht gegen die Ungerechtigkeit ankämpft, doch zu Hause zurück werdet Ihr bestimmt nicht gehen können.“ Alain brachte es wieder einmal auf den Punkt. Weder mit der Kirche noch mit der Inquisition ist zu spaßen und die Familie Rosenblatt musste mit einem erneuten Ortswechsel rechnen. „Ihr habt Recht, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, wenn dann müssten Rebecca und ich mit Simona flüchten“, Tränen standen in den Augen des alten Mannes, man sah es ihm im Gesicht an, dass er des Kämpfens müde war. Zu viel hatte er in seinem Leben mitmachen müssen. Er hatte gehofft, hier in Pamplona seinen Lebensabend verbringen zu können, aber dem war anscheinend nicht so. Angespannt rieb er sich die Augen und dachte angestrengt nach. „Nun, ich möchte mich da nicht großartig einmischen, aber wie wäre es, wenn wir sie alle mit nach Frankreich nehmen würden, die Sprache beherrschen sie ja und Geld besitzen sie auch. Vor allem wäre es am sichersten, vorausgesetzt meine Freunde verfolgen noch immer den gleichen Plan und wollen wieder nach Frankreich zurückkehren.“ Hatte sich Viktor schon einen passenden Plan zurechtgelegt? Überrascht sahen sie ihn an und warteten auf weitere Einzelheiten. „Falls es uns wahrhaftig gelingen sollte die junge Dame aus den Fängen der Inquisition zu befreien, und ich schätze dies wird uns friedlich nicht gelingen, benötigen wir einen ausgefeilten Fluchtplan. In einer Woche beginnt doch die Gerichtsverhandlung, wie lange müssen wir dann auf ein Urteil warten? Ein oder zwei Wochen? Mein Plan wäre auf jeden Fall, Simona gewaltsam zu befreien, um dann mit ihr unterzutauchen. Inkognito machen wir uns dann auf den Weg nach Barcelona und treffen dort Ende des Jahres auf Alejandro und Haydee, die uns dann wieder mit nach Frankreich nehmen. Ich schätze, die Pfaffen denken, dass wir den schnellsten Weg aus Spanien heraus nehmen werden, somit lenken wir sie auf eine falsche Fährte und können bedenkenlos nach Hause reisen. Nun was haltet ihr davon?“ Viktor war sichtlich stolz auf seinen Vorschlag, es hatte bis jetzt keiner Einwände vorgebracht und sein Plan war für ihn selbst schlüssig. Oscar wirkte nachdenklich, schlecht war der Plan wirklich nicht von Viktor, doch was würde geschehen, wenn man sie doch verfolgen würde und wie sollten sie unerkannt weiterreisen? Sie äußerte ihre Bedenken und vernahm ein zustimmendes Gemurmel. Darüber hatte selbst Viktor sich keine Gedanken gemacht, doch daran sollte ihr Vorhaben nicht scheitern. To be continued… Kapitel 5: Verwirrung --------------------- Nachdenklich kratzte sich André am Kinn. Die immer länger werdenden Bartstoppeln raubten seinen letzten Nerv „Alain, glaubst du, das Schießpulver reicht? Sollten wir nicht lieber noch zwei Fässer mitnehmen?“ „ Hm, das habe ich mich gerade selbst gefragt, ach was, du hast wahrscheinlich Recht, nehmen wir die anderen zwei Fässer auch noch mit. Sicher ist sicher, falls etwas passieren sollte, was nicht in unserer Absicht lag“, wieder zeichnete sich Alain’s hämisches Grinsen auf seinen Lippen ab. Zustimmend nickten sich die zwei jungen Männer zu und schafften die letzten zwei Fässer in den Verkaufsraum. Dem Büchsenmacher gingen fast die Augen vor lauter Freudentränen über, als er sah, wieviel die Herrschaften gedachten zu kaufen. „ Pst, André, leg noch ein Extragoldstück oben drauf, nicht, dass das Vögelchen vor Freude unverhofft zu singen beginnt. Das wollen wir doch nicht.“ „ Nein, das wollen wir wirklich nicht.“ Alain belud schon einmal die zwei Packpferde, die unruhig und fast unsicher unter der schweren Last zu tänzeln anfingen. Als André seinen Freund bei der Arbeit betrachtete, kam es ihm vor, als würde ein riesiger Bär die zarten Pferde beladen. Auch Alain ließ sich jetzt einen Bart wachsen und die dunklen Haare im Gesicht verstärkten sein bedrohlich wirkendes Äußeres. „ Gut André, haben wir dann alles?“ „ Lass mich mal die Liste kontrollieren, wir haben zwei neue Gewehre, vier Pistolen, und vier Fässer Schießpulver statt zweien. Ich schätze, das wär’s. Lass uns zurück reiten.“ Oscar war in der Zwischenzeit mit ganz anderem beschäftigt. Rebecca fuhr mit dem großzackigen Kamm immer und immer wieder durch Oscars kräftige blonde Locken. Nachdem das Haar ihres Erachtens gut durchgekämmt war, nahm Rebecca eine Schere und schnitt sorgfältig cirka zehn Zentimeter der goldigen Mähne ab. Vorausschauend hatten sie ein Laken auf den Boden gelegt, denn die soeben geschnittenen Haare dienten einem guten Zweck. Oscar tat es zwar weh, die gefallenen Zentimeter am Boden zu betrachten, doch war sie auch froh nicht ihr ganzes Haar der guten Sache opfern zu müssen. „ So Madame, wir wären fertig!“, spielerisch wischte Rebecca Oscar mit einem feinem Pinsel über das Gesicht um vermeintliche Haarreste wegzufegen. Oscar musste durch das kitzelnde Gefühl dabei so schrecklich lachen, dass es ihr sehr schwer fiel ein paar Wörter zu sagen „Hör auf Rebecca, ich bin doch so kitzelig.“ „ Ich weiß, darum mache ich es ja“, bei diesen Worten gelang es Oscar sich wieder etwas zu beruhigen und sah Rebecca fragend an. „ Du willst wissen, wie das so ist, wenn man Zukünftiges sehen kann, es erfühlt und miterlebt, bevor es andere tun?“ Stumm nickte Oscar, obwohl die Enkelin von David Rosenblatt erst fünfzehn Jahre alt war, legte sie ein Verantwortungsbewusstsein und eine Stärke an den Tag, wie es Oscar selten erlebt hatte. In Gedanken versunken lehnte sie sich an den kleinen Tisch, der vor Oscar stand und fixierte einen nicht vorhandenen Punkt. Rebecca ordnete zuerst ihre Gedanken und Gefühle, wie konnte sie auch jemanden plausibel von ihren Erfahrungen erzählen „Oft sehe ich es als Bürde an diese Gabe zu besitzen, doch ich muss mir immer wieder in Erinnerung rufen, dass ich viel Gutes damit bewerkstelligen kann. Oft lassen mich meine Visionen nicht schlafen und ja, ich habe auch oft Angst. Doch andererseits wurde mir die Möglichkeit geschenkt das Schicksal herauszufordern und die Zukunft positiv zu beeinflussen. Auch wenn ich es nicht immer alleine schaffe“, dabei sah sie Oscar so freundlich und dankbar in die Augen, dass es Oscar wieder bewusst wurde wie sehr sie dieses Mädchen in den wenigen Tagen, die sie hier bei der Familie Rosenblatt verbracht hatten, ins Herz geschlossen hatte. „ Rebecca, kannst du deine Visionen steuern? Kommen sie auf Wunsch?“ „ Nein, bisher traten die Bilder willkürlich vor mein geistiges Auge.“ Der Gedanke, Zukünftiges vorherzusehen und zu verändern, faszinierte Oscar immer mehr und je mehr sie darüber nachdachte, war sie froh, dass ein Mädchen wie Rebecca diese Gabe inne hatte. Sie wollte gar nicht daran denken, was manch anderer Mensch böswilliges damit beabsichtigte. Rebecca riss Oscar aus ihren Gedanken und erinnerte sie daran, welche Arbeit noch vor ihnen lag. Die Haare mussten aufgelesen und fein sortiert werden. Den Plan, den sie für die Befreiung von Simona erarbeitet hatten, war riskant, doch war es die einzige Möglichkeit die junge Frau vor dem sicheren Tod zu bewahren. Sorgfältig sammelten sie die Haarbüschel auf und legten sie auf den Tisch. Oscar machte sich gleich daran die Büschel zu sortieren und ein wenig zu kämmen, sodass sie wie dünne Pinsel wirkten. Rebecca hatte schon alles hergerichtet. Das etwas gröbere Tuch unterschied sich in der Farbe nur leicht von Oscar ’s heller Haut. Geschickt nahm Rebecca einen Haarpinsel auf und knüpfte ihn sorgfältig in das Tuch „Dein Haar werden wir am besten hochstecken und unter einen gigantischen Hut verstecken, dann können wir auch die Krempe etwas ins Gesicht ziehen.“ „ Meinst du, der Bart steht mir?“, Oscar musste lachen, jahrelang lebte sie als Mann und trug Herrenkleidung und jetzt fertigten Rebecca und sie einen Bart für ihr nächtliches Unternehmen an. „ Ich denke, als Frau gefällst du mir besser.“ Fast empört sah Oscar sie an „du hättest einmal sehen müssen wir mir die Frauen in Versailles zu Füßen lagen, ich konnte mich vor Angeboten kaum retten“, lauthals prustete sie los. Doch wenn sie an ihre Zeit in Versailles dachte, an ihre Eltern und Sophie dann legte sich etwas Wehmut über ihr Gesicht. „ Und doch hast du dich für André entschieden.“ „ Ja, er war und wird der Einzige sein der mich versteht, auf ihn kann ich mich verlassen. Ich kann ohne ihn einfach nicht leben!“ Mitfühlend tätschelte Rebecca Oscars Hand, blitzartig durchfuhr es sie und schemenhafte Bilder zeigten sich vor ihrem geistigen Auge. „ Was hast du Rebecca, ist dir nicht gut?“ „ Nein, nein, ist schon alles in Ordnung“, doch lächelte sie wohl wissend in sich hinein. Viktors Finger waren schon klamm vor Kälte, seit Stunden stand er sich die Beine in den Bauch ‚Wirklich gut organisiert sind diese Wachen nicht, sollte sich nichts ändern, werden wir kein Problem damit haben, Simona zu befreien.’ Graf de Girodelle beobachtete seit Tagen, abwechselnd mit André und Alain das Gefängnis, in dem Simona untergebracht worden war. Untertags wirkten die Wachen aufmerksam und vorsichtig, doch sobald die Nacht hereinbrach, bewachten zwielichtige Gestalten die Insassen. Viktor wusste nicht, was er davon halten sollte. Er beschloss wieder zum Haus der Rosenblatts zu gehen um sich aufzuwärmen, interessanter wurde es wieder am Abend. Wie er die engen Gassen hindurch ritt, drifteten seine Gedanken zu Haydee ab. Wie es ihr jetzt wohl erginge? Ob es ihr gut gehe? Die Ungewissheit machte Viktor sehr zu schaffen, er fühlte sich hilflos und er war sich nicht sicher, ob sie ihn nicht schon längst vergessen hatte. ‚ Ach verdammt Viktor, reiß dich zusammen, die Grübelei bringt doch nichts.’ „ Mein Gott André, was sollen wir denn mit vier Fässern Schwarzpulver?“, unschlüssig stand Oscar vor dem Einkauf und sah ihren Mann fragend an. „ Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es besser wäre den ganzen Bestand aufzukaufen. Lieber zu viel als zu wenig.“ „ Nun, was soll es, ändern können wir es nicht mehr. Sieh mal, glaubst du, der Bart wirkt echt?“ André staunte nicht schlecht, als sich Oscar das mit Haaren beknüpfte Stück Stoff vor das Gesicht hielt. Für ihn würde sie immer als Frau erkennbar bleiben, doch Unbekannten würden ihr den bärtigen Jüngling sofort abnehmen. „ Sehr gut, wenn wir mit unseren Vorbereitungen so vorankommen, kann es bald los gehen.“ Zustimmend nickten die anderen André zu, als sich auf einmal die Tür öffnete und die Haushälterin der Familie Rosenblatt hereinkam „Meine Herrschaften, es wäre wieder Zeit für den Tee“, klirrend stellte sie die Teetassen und zwei kleine Kännchen mit dampfenden Flüssigkeiten auf den Tisch. Angewidert verzog André sein Gesicht, dreimal täglich musste er dieses abscheuliche Gebräu trinken, damit sich sein Blutdruck senkte. Natürlich war er dankbar dafür, dass ihm geholfen wurde und oft dachte er daran, was er wohl getan hätte, wenn er vollkommen erblindet wäre, und dennoch schmälerten diese Gedanken seinen Ekel vor dem Tee nicht. Oscar musste bei seinem verzehrten Gesicht lachen, als Kind hatte er genau den selben Gesichtsausdruck, wenn er genötigt worden war Milch zu trinken. Damals wurde ihm schlecht und man konnte fast meinen, er würde grün im Gesicht werden, sobald er einen Schluck Milch trank. Mitfühlend strich Oscar ihm über seinen breiten Rücken und redete auf ihn ein wie auf ein krankes Tier „ Ach André, so schlimm kann es wirklich nicht sein, vor allem denk daran, wofür du es tust.“ „ Oscar, du hast leicht reden, dein Tee schmeckt ja nicht so abscheulich wie meiner.“ Still musste sie ihm Recht geben. Glücklicherweise harmonierten die Kräuter die für sie ausgesucht wurden viel eher als die von André. André atmete tief durch und leerte die dampfende Tasse in einem Zug. Somit hatte er bis zum Abendessen ein wenig Ruhe vor dem Trank. „ Heute Abend werden wir die restlichen Dinge besprechen und einen Tag für unseren Plan festlegen, was haltet ihr davon? André? Viktor? Alain?“ Alle stimmten Oscar zu, je länger sie ihr Vorhaben hinauszögerten, desto angespannter würden ihre Nerven werden. Jeder von ihnen konnte den Tag nicht erwarten, ob es aus Abenteuerlust oder Nervosität war, wagte sich keiner zu sagen. David Rosenblatt saß studierend über seinen Papieren und rechnete alles noch mal nach. Wenn er sich nicht täuschte, musste ein Neuanfang in Frankreich oder Deutschland ohne gröbere Probleme ausgehen. Wohin es ihn und seine kleine Familie verschlagen würde, darüber hatte er nicht nachgedacht, viel Wichtigeres hatten bisher seine Gedanken beschäftigt. Wie verabredet hatte er zwei Planwägen gekauft, ein befreundeter Tischler hatte ihm Geheimfächer im Inneren des Wagens gefertigt, wo er seine wichtigsten Dokumente und Geld mitführen konnte. Er dankte Gott für Rebecca ’s Gabe, die ihnen half seine Nichte zu retten. Denn nur durch diese Fügung machten sie Bekanntschaft mit den erfahrenen ehemaligen Soldaten der französischen Garde und Armee. „ Großvater kommst du? Das Essen ist fertig und nachher wollen wir unseren Plan besprechen.“ Jedes Mal wie er seine Enkelin sah, fragte er sich, wie schön sie noch werden würde und er wunderte sich wie unterschiedlich doch seine Nichte Simona und seine Enkelin Rebecca waren. War doch Rebecca von zierlicher Statur, blauäugig und blond und eher in sich gekehrt so war Simona hingegen brünett mit einem rötlichen Glanz im Haar mit dunkelbraunen Rehaugen und einer eher stämmigen Gestalt mit viel Temperament. Jede seiner Töchter, wie David sie nannte, denn sie waren das wichtigste auf der Welt für ihn, waren auf ihre Weise etwas ganz besonderes und wunderschön. „ Ja natürlich mein Täubchen, ich komme gleich.“ Gemütlich saßen sie alle beim Essen und schwiegen. Jeder hing seinen Gedanken nach. Als Esther endlich das Geschirr abgeräumt hatte und den Tee im Arbeitszimmer serviert hatte, entwickelte sich langsam aber doch das gewichtige Gespräch „Freunde, die Zeit drängt und wir müssen uns endlich auf einen Tag einigen, an dem wir unseren großen Clou begehen möchten“, ohne Umschweife sprach Viktor das an, was ihm schon länger auf der Zunge brannte. Für ihn gab es keinen besseren Plan und die Warterei brachte ihn um den Verstand. „ An den Hilfsmitteln sollte es nicht scheitern, André und ich haben heute das Schießpulver und die notwendigen Gewehre besorgt. Von mir aus kann es auch losgehen.“ Oscar nickte verständig zu „Monsieur Rosenblatt, wie sieht es aus, habt Ihr alle Vorbereitungen getroffen? Ihr hattet doch am meisten zu erledigen. Wer wird sich um Euer Haus kümmern und habt Ihr schon alle notwendigen Unterlagen und Papiere besorgt? Wie sieht es mit den Planwagen aus?“ Bedacht nickte er. Es war eine klare Nacht und der Mond stand sichelförmig am schwarzen Himmel. Es hatte gerade zur achten Stunde am Abend geläutet und die Straßen waren wie leergefegt. Den Verschwörern sollte es recht sein, je weniger Menschen sie wahrnahmen, desto besser war es für sie. Die vier Reiter waren schwarz gekleidet und nur schemenhaft konnte man sie in der dunklen Nacht wahrnehmen, allein das Geräusch der Hufeisen auf den gepflasterten Straßen und der Atem, der bei jedem Stoss kondensierte, verrieten ihre Anwesenheit . Der Wachwechsel hatte, wie schon die Tage zuvor, kurz vor acht Uhr stattgefunden, die Männer, die die Gefangenen diese Nacht bewachen sollten, wirkten schon bei ihrem Eintreffen nicht mehr ganz nüchtern, vor allem aber waren es weniger als sonst. Mit Sicherheit fehlten mindestens vier von ihnen. Doch darauf konnten sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Wie sich die Tür zum Gefangenenturm schloss, warteten sie noch ein paar Minuten um sich der Ruhe sicher zu sein. Oscar saß angespannt auf ihrem Pferd, auch ihren sonst so strahlenden Schimmel erkannte man dank der auf dem Tier verteilten Asche nur schwer in der Nacht. Ihr langes blondes Haar befand sich zusammengebunden unter einem großen Hut der ihr zartes Gesicht zur Hälfte verdeckte. Dank Hut und aufgeklebten Bart war sie für Fremde nie im Leben als Frau erkennbar. Falls sie entdeckt wurden, würde man vier Männer suchen und nicht drei Männer und eine Frau. Nervös tänzelten die Pferde vor sich hin. Viktor nickte André und Alain zu, worauf diese vom Pferd sprangen und die Fässer mit Schießpulver von den Packpferden lösten. Gerade in diesem Moment kamen die bezahlten Damen von einer einschlägigen Schenke mit zwei großen Krügen, gefüllt mit Wein. Es folgte ein energisches Klopfen an der Tür des Gefängnisturmes und schnurstracks befanden sie sich im Inneren. Oscar widerstrebte es die Dienste der Frauen, die sich sonst für Geld verkauften, in Anspruch zu nehmen, doch sah sie sonst keine Möglichkeit die Wachen betrunken zu machen. Sie wollte so viele Verletzte als auch Tote wie möglich vermeiden, doch dafür mussten gewisse Opfer gebracht werden. Lautlos schlichen die drei Männer zum Turm hinüber und platzierten zwei der Fässer geschickt und wohlüberlegt an den Seiten der schweren Gefängnistür. Die anderen zwei hatten sie vorsorglich an der Mauer, die zum nahe gelegenen Wohnviertel grenzte, postiert. Es dauerte nicht lange, als die zwei Frauen wieder den Turm verließen. Nun war die Stunde gekommen, auf die sie gewartet hatten. Viktor, André und Alain gaben sich ein Zeichen und André blickte kurz zu Oscar zurück. Sie sollte Wache halten und die anderen warnen, falls es zu einem Zwischenfall kommen sollte. „ Nun Monsieurs, lasst die Spiele beginnen“, Alain war vom Kampfgeist gepackt und wenn er ehrlich war, freute er sich über die Abwechslung. Die Aufregung stachelte ihn nur noch mehr an. Viktor klopfte kräftig zweimal gegen die Türe. „ Die zwei Täubchen waren aber schnell, hätte mir nicht gedacht, dass sie wirklich ihr Wort halten würden und so schnell neuen Wein bringen würden“, den abschätzigen Worten folgte ein hämisches Lachen und kurz darauf öffnete sich die Tür. „ Na mal sehen, ob dir dieser Wein schmecken wird“, verwirrt sah einer der Wachen den diabolisch grinsenden Alain ins Gesicht, es blieb ihm kaum Zeit zu reagieren, denn mit einem Mal hatte er Alains Faust im Gesicht. Die rechte Gerade hatte ihre Wirkung nicht verfehlt, Blut rann aus der Nase des Mannes, der schwer benommen am Boden lag. Sofort sprangen die drei Anderen auf um ihrem Freund zu helfen. Der Wein hatte seine Wirkung nicht verfehlt, denn es dauerte, bis sie es schafften die Degen zu ziehen. Gekonnt hechtete André auf einen der Männer, mit dem er gemeinsam zu Boden fiel. Die Wache roch nach Schweiß und eine Alkoholfahne kam André entgegen. Ein paar Mal schlug er zu, bis der Mann bewusstlos am Boden lag. Alain hatte sich in der Zwischenzeit dem Mann gewidmet, der ihm einen der leeren Weinkrüge entgegen geworfen hatte. Der Krug zerschellte an der steinernen Mauer und kleine rote Tropfen rannen an ihr herunter. „ Verdammt noch mal, ich hatte doch mein Haar erst gewaschen“, verärgert grub Alain seine Faust in die Magengrube seines Gegenübers, woraufhin der stöhnend in die Knie ging. Um ganz sicher zu sein, setzte Alain noch einen Kinnhaken obendrauf und ließ damit seinen Feind zu Boden sinken. Viktor’s Gegner hatte es wider Erwarten geschafft seinen Degen zu zücken und stürzte sich auf den Grafen. Mit einer geschickten Drehung wich er aus und rammte den noch in der Scheide steckenden Degen seinen Konkurrenten in den Oberkörper. Es schien als würde der Rivale auf Grund des Schlages für einen Moment keine Luft mehr bekommen, worauf ihm Viktor den Schaft des Degens seitlich gegen den Kiefer stieß. Ohnmächtig und verwundet lagen die vier Wachen am Boden und man konnte nur mehr ein leises Stöhnen vernehmen. „ Habt ihr die Schlüssel schon gefunden? Verdammt, die müssen doch hier irgendwo sein?“, Viktor wurde langsam nervös, vier Männer der Wache fehlten noch und es wusste keiner von ihnen, wann diese auftauchen würde. Je schneller sie ihren Job erledigten, desto besser war es für alle. Triumphierend hielt André dem Grafen die Schlüssel vor’s Gesicht „Man könnte meinen, du wärst zum Waschweib mutiert, Viktor“ „ Ja, ja André mach nur blöde Witze, beeilt euch lieber, ich werde hier warten und die dreckigen Kerle im Auge behalten. Seht zu, nicht zuviel Aufmerksamkeit auf euch zu ziehen.“ „ Mein Gott André, du hast Recht, er hört sich jetzt schon an wie deine Großmutter“, selbst Alain konnte es sich nicht nehmen lassen Viktor aufzuziehen. Dank ihres Ausspähens wussten sie, dass Simona im zweiten Stockwerk untergebracht war, flink wie zwei Wiesel rannten sie die sich immer wieder kehrende Treppe empor. Der Gang wurde nur spärlich von drei Fackeln beleuchtet, immer wieder schoben sie den Riegel des Guckloches zur Seite und blinzelten hinein. „ Simona Rosenblatt, seid Ihr es?“, ein leises Grummeln bestätigte sie, dass diese Türe falsch war. Als André an die dritte Türe herantrat, kam ihm ein Klopfen entgegen „Hallo, ist da jemand, hallo wer ist denn da?“, eine weibliche Stimme mit einer angenehmen Klangfarbe schallte ihnen entgegen. „ Volltreffer, André, los sperr endlich auf“, in diesem Moment hörten sie Viktor laut fluchen und sogleich löste sich ein Schuss „Los beeilt euch, die restlichen Wachen sind aufgetaucht und die sind weniger betrunken als ihre Freunde.“ Einen konnte Viktor mit seiner Pistole niederstrecken, ein weiterer stürzte sich mit dem gezückten Degen auf ihn und es entfesselte sich ein harter Zweikampf, die anderen zwei Wachen rannten wie Bluthunde, die eine Fährte gewittert hatten in den zweiten Stock, wo sie auf André, Alain und die junge Frau stießen. „ Mademoiselle, Ihr müsst uns vertrauen, Euer Onkel David Rosenblatt schickt uns, er sorgt sich sehr um Euch und bat uns Euch zu helfen.“ Sie nickte, denn der Mann dessen Haar zwar die Hälfte seines Gesichtes verdeckte, wirkte auf sie vertrauenswürdig und seine Stimme beruhigte sie. Oscar hatte draußen alles genauestens beobachtet, doch wusste sie auch, dass es ihnen nichts bringen würde, wenn sie ihren Posten verlassen würde. Die drei Männer mussten einen kleinen Moment noch selber mit der Situation fertig werden. Noch zwei Minuten, dann konnte sie ihren sicheren Platz verlassen und mit den Pferden vor dem Gefängnis auf sie warten. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken ihre Freunde in solch einer Gefahr zu wissen, vor allem um André sorgte sie sich. Falls ihm nur ein Haar gekrümmt wurde, sie würde Rache üben. Auf einmal hörte sie einen Schuss aus dem Inneren des Turmes, dieses Mal war er nicht so laut wie der von Viktor, also musste er aus dem zweiten Stock stammen. „ Verdammte Stümper, ich werde euch zeigen wie man zielen muss um einen Mann zu töten“; wütend darüber von einem der Spanier getroffen worden zu sein, griff Alain nach seiner Pistole und ohne lang zu zielen, drückte er ab und schoss dem, der seine Verletzung verantworten musste, zwischen die Augen. Die nächste Sekunde sank der Getroffene zu Boden. Den Schmerz der Verletzung spürte Alain nicht so sehr wie seinen verletzten Stolz, wie ferngesteuert wandte er sich dem Zweiten zu, der mit erschreckten Augen vor ihm stand. Der Junge konnte nicht älter als siebzehn gewesen sein, darum reichte es zu, dass ihm Alain seinen Stiefel ins Gesicht drückte. „ Alain, beruhige dich doch und lass uns verschwinden, du erschreckst Mademoiselle Simona noch so sehr, dass sie uns nicht vertraut“, André hatte den besorgten Gesichtsausdruck der jungen Frau bemerkt, die froh war, Schutz hinter Andrés Rücken zu erlangen. Sie war sonst nicht so zurückhaltend, doch die Tage in Gefangenschaft und die nächtliche Befreiung mit diesem Ausgang hatten ihr wahrlich zugesetzt. „ Na dann los, kommt schon.“ Sie liefen die Treppe hinunter, wo sie auf Viktor trafen, der schon ungeduldig auf sie wartete „Beeilt euch, die anderen erholen sich schon langsam von ihren Prügeleinheiten.“ Just in diesem Moment vernahm Viktor das leise Wiehern seines Hengstes. Erleichtert sahen sie Oscar mit den Pferden vor der Türe stehen. „ Mademoiselle, Ihr reitet mit mir“, mit einem leichten Ruck beförderte Viktor die verdatterte Simona auf sein mächtiges Ross. Ihr war es fast unangenehm so nah bei einem Mann zu sitzen, da sie die letzten Wochen keine Gelegenheit hatte sich zu pflegen. Oscar war froh, dass keiner ernsthaft verletzt worden war, vor allem freute sie sich über André der ihr aufmunternd zulächelte „Los, lasst uns hier verschwinden“ Sie wendeten die Pferde und sprinteten davon. Schüsse fielen durch die Nacht, worauf Oscar stoppte. „ Oscar, was hast du vor?“ „ Schon gut André, reite nur weiter, lass mich das nur erledigen“, sie ergriff das Gewehr, welches in ihrer Satteltasche ruhte und legte es an „Ruhig Agrios, nicht erschrecken“, sie drückte ab und die Kugel durchschnitt die Luft, keine zwei Sekunden später explodierte das erste Fass mit Schießpulver und eine Sekunde darauf die Zweite. „ So, damit hätten sie genug zu tun“, zufrieden mit ihrem Schuss gab sie ihrem braven Pferd die Sporen und folgte den Anderen. So gut sie die vorherige Situation gemeistert hatten, ein Problem war noch zu lösen, sie mussten ungesehen die Stadt verlassen. Oscar übernahm die Führung des kleinen Trupps, gekonnt manövrierte sie ihre Freunde durch die Gassen von Pamplona. Sie hatte sich ihre Umgebung Tage zuvor genauestens eingeprägt, damit sie selbst mit verbundenen Augen den richtigen Weg raus aus der Stadt fand. Sie ritten zum westlichen Tor, es war nur ein kleiner Einlass im Vergleich zum riesigen Süd- und Nordtor. Das Gitter war so groß wie selbiges was damals in ihrer Villa in der Nähe von Versailles gebaut worden war. Nacheinander konnten sie gut mit den Pferden hindurch reiten. André hatte sich vorsichtshalber ein Tuch vor das Gesicht gebunden, als sie das Tor erreichten, von dem kleinem Wachposten, den sie erspähten, sollte keine Gefahr ausgehen. Oscar zog sich ihren Hut tiefer ins Gesicht und Viktor und Alain warfen sich weite Umhänge mit Kapuzen über ihren Leib. Simona selbst verschwand unter dem großen Mantel und zitterte im Verborgenen. „ Zehn Goldstücke für den Durchlass und für dein Schweigen“, im schönsten Spanisch machte André der verschlafenen Wache sein Angebot und warf ihm ein kleines Säckchen zu. Der grinste und öffnete die Türe, von der Explosion hatte er anscheinend nichts wahrgenommen oder sie hatte ihn zuvor aus dem Schlaf gerissen. Traum und Wirklichkeit lagen doch oft nah beieinander. Das Geld steckte er ein, Münzen konnte man schließlich immer gebrauchen und ob vier zwielichtige Reiter in der Nacht die Stadt verließen, würde wohl keinen interessieren. Wie er hinter ihnen das Tor wieder verriegelte, schnauften sie alle einmal kräftig durch und traten ihren Pferden in die Flanken. So sagten sie jener Nacht der Stadt Pamplona Adieu. Die Stadt mit den vielen kleinen Lichtern in ihrem Rücken wurde immer kleiner. Die Nacht wurde immer kälter und trieb sie immer mehr an sich zu beeilen. Langsam begann der aufgeklebte Bart von Oscar an höllisch zu jucken, das Kratzen machte es nicht besser und mit der Zeit löste sich der Klebstoff von ihrer Haut. Wenn sie dieses Tempo hielten, würden sie in knappen zwei Stunden ihr Ziel erreicht haben. Dann lag es wieder einmal in Gottes Hand, ob ihr Plan wohlwollend aufging oder nicht. Alain ’s Puls normalisierte sich langsam aber doch und umso mehr spürte er die pulsierenden Wunden, die ihm der Spanier zugefügt hatte. Ein kleiner Rinnsal an Blut bahnte sich einen Weg über seine Wange und sein Ohr war höllisch heiß. Erst als er über seine Wange strich, bemerkte er die offene Wunde, doch nicht genug, dass er wahrscheinlich eine Narbe im Gesicht davon tragen würde. Nein, an seiner Ohrmuschel fehlt ein Stück. Der verfluchte Spanier hatte ein Stück seines Ohres weggeschossen, nicht viel, aber doch ein bemerkbares Eck „Kommandant, warte mal, ich müsste mir einmal meine Wunde säubern.“ Wie auf Befehl stoppten sie die Pferde „Was sagst du, Alain? Du hast eine Wunde? Warum hast du nicht schon eher etwas gesagt?“, wieder einmal typisch für einen Mann, nur keine Schwäche zeigen, dachte sich Oscar. „ Es ist ja nicht schlimm, aber es brennt so höllisch.“ Alle stiegen von den Pferden, nur Simona wusste in diesem Moment noch nicht so recht, was sie tun sollte. Sie fasste sich ein Herz und hüpfte von Diablo. „ Los André, schütt’ mir ein bisschen Wasser drauf, dann geht es wieder.“ „ Einen Moment, wartet…“, Simona eilte zu den Vieren und riss André die Flasche mit Wasser aus der Hand „Verzeiht, aber lasst es mich zuerst ansehen.“ Überrascht von ihrem forschen Auftreten wichen sie zurück und Simona trat etwas näher an Alain heran. Er überragte sie um ein paar Zentimeter. Wie alt sollte sie noch einmal sein? Zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre? Sie wirkte irgendwie älter. Bestimmend drehte sie sein Gesicht ins fahle Mondlicht. Sie spürte seine Ablehnung ihr gegenüber, was sie noch mehr anstachelte „Monsieur, es gibt zwei Möglichkeiten, entweder Ihr seid so freundlich und kniet Euch hin, damit ich mir die Wunde genauer ansehen kann oder Ihr werdet den Rest eures kurzen Lebens mit einer hässlichen Narbe herumrennen. Und wollt Ihr wissen, warum Euer Leben eher kurz sein wird? Weil Menschen wie Euch der Stolz im Wege steht.“ Alain blieb der Mund offen stehen, er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit so einer klaren Ansage. Viktor und André sahen sich grinsend an, insgeheim freuten sie sich darüber, dass Alain einmal einer besonderen Schlagfertigkeit gegenüberstand, noch dazu die von solch einer jungen Frau stammte. Völlig verdutzt sank er auf die Knie, damit sich Simona die Wunden ansehen konnte. Sie trat ganz nah an sein Gesicht heran um besser sehen zu können, ihr Dekolleté war direkt vor seinen Augen, die er sogleich schloss. Jeder anderen Frau hätte er wahrscheinlich ungeniert hineingegiert, doch ihr vorheriger Auftritt hatte ihn vollkommen aus dem Konzept geworfen. Hatte sie im Gefängnisturm noch eingeschüchtert und zurückhaltend auf ihn gewirkt, so strotzte sie jetzt vor Tatendrang und Selbstbewusstsein. Ihre Finger glitten gefühlvoll über seine Wange und über sein Haar, damit sie sich auch das geschundene Ohr ansehen konnte. Konzentriert erfasste sie jede Stelle seines Gesichts, ehe sie sich zu den anderen umdrehte „Hat jemand von euch Alkohol dabei und ich meine damit Schnaps, Hochprozentiges?“ Alain bewegte sich unter ihren Händen und stand auf „Ja, ich habe welchen, aber wozu braucht Ihr den?“ „ Warum überrascht es mich nicht, dass gerade Ihr etwas zu trinken dabei habt?“, auf ihren Lippen zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab, allmählich fand Simona zu ihrer alten Form zurück und der Schreck der letzten Tage wich aus ihren Knochen. Alain reichte ihr den kleinen Lederbeutel, der mit dem Teufelszeug gefüllt war. Kurz roch Simona daran und kurzer Hand nahm sie einen kräftigen Schluck. Verdutzt sahen sich die anderen an. Fast entschuldigend meinte sie „Ich muss doch wissen, was ich meinem Patienten ins Gesicht tupfe.“ Vorsichtig leerte sie einen Schluck des Hochprozentigen auf ein sauberes Tuch. Mit einer bittenden Geste forderte sie Alain wieder auf sich hinzuknien. Geschickt und mit viel Gefühl säuberte sie die Wunde unterhalb des linken Auges und die am Ohr „So, mehr kann ich erstmal nicht für Euch tun. Vielleicht wird es Euch in den nächsten Tagen möglich sein etwas Aloe Vera zu besorgen?“ „ Nun Mademoiselle, in wenigen Stunden werden wir auf Euren Onkel treffen. Ich bin mir sicher, dass er etwas Medizin mitgenommen hat.“ Simonas Gesicht erhellte sich „Onkel David? Geht es ihm gut und wie geht es meiner kleinen Cousine Rebecca?“ „ Beruhigt Euch erstmal“, Oscar konnte die Aufregung der jungen Frau verstehen, doch wollte sie keine Zeit verlieren. Reden konnten sie später ausführlicher „verzeiht Mademoiselle, aber ich würde es für besser erachten unseren Weg sofort weiterzuführen, damit der Plan nicht in Gefahr gerät.“ „ Ja natürlich, ich verstehe.“ Schnell saßen sie wieder auf ihren Pferden und galoppierten davon. Simona war nervös, wie sehr freute sie sich darauf ihren Onkel und ihre Cousine wieder zu sehen. Und wer waren diese Leute? Wieso retteten sie gerade vier Franzosen. Gottes Wege sind wahrlich unergründlich. Sie hatte ihn an seine kleine Schwester erinnert, Diane, die sich immer um Alain sorgte, Diane, seine kleine Diane. Ihr Tod war nun fast ein Jahr her und trotzdem schmerzte es wie damals. Der Verlust war auch für ihn zu groß gewesen. Unbemerkt von den anderen wischte er sich eine Träne aus dem Gesicht, er musste nach vorne sehen, weiterleben auch für Diane und vor allem musste Alain dieser Familie helfen. Es war fast Mitternacht als sie das kleine Lager in einem dichten Wald erreichten. Ein größerer und ein kleinerer Planwagen boten eine schützende Mauer für das lodernde Lagerfeuer. „ Rebecca, wach auf, da kommt jemand“, sanft rüttelte David Rosenblatt an der zarten Schulter seiner Enkelin. Sie war doch wirklich auf dem Boden vor dem Feuer eingeschlafen. „Ja Großvater, ich weiß, dass sie kommen“, verschlafen rieb sich Rebecca die Augen. Mechanisch setzte sie sich in Bewegung um Wasser aufzusetzen. Es war kalt und sie war sich sicher, dass sich alle über heißen Tee freuen würden. „ Endlich haben wir es geschafft“, André stieg vom Pferd und nahm die Zügel von Oscars edlem Tier in die Hand. Viktor half Simona vom großen Diablo herunter. Sie war froh wieder Boden unter ihren Füßen zu spüren, dieses Pferd hatte doch eine Ausstrahlung, die ihr nicht ganz geheuer war. „ Warte André, ich helfe dir gleich mit den Pferden, dann geht es schneller und wir können uns gemeinsam etwas ausruhen“, Alain blieb wie immer im Hintergrund. „ Simona, mein Kind“, mit offenen Armen eilte David seiner Nichte entgegen. „ Onkel David, wie schön dich zu sehen“, erleichtert fiel sie in die Umarmung. „ He, He, vergiss mich ja nicht“, forderte Rebecca ein. „ Wie könnte ich, Cousinchen! Wie schön es ist, euch alle gesund und munter zu sehen!“ „ So, nun lasst uns alle am Feuer Platz nehmen und erzählt, wie es euch ergangen ist“, David forderte, mit der Kanne heißen Wassers in der Hand, alle auf sich einen Platz zu suchen. „Ach Onkel, bevor ich es vergesse, habt Ihr ein paar Salben und Tinkturen mitgenommen?“ „ Aber natürlich, genauer gesagt, ich habe deine ganze Truhe mit Kräutern, Tinkturen und Säften mitgenommen. Das sind doch die wahren Schätze, die gehütet werden müssen, sie sind im kleinen Wagen verstaut.“ Ihr Gesicht hellte sich auf. Gerade in dem Moment tauchten André und Alain auf „Monsieur, würdet Ihr mir bitte gleich folgen? Und nehmt einen Lampe mit“, flink huschte sie in den Wagen und kramte emsig in ihrer Truhe, Alain stand außerhalb und leuchtete mit der Laterne. Was sollte er hier, konnte sie sich nicht selber leuchten? Gerade als er gehen wollte, drehte sie sich zu ihm und lächelte ihn an „So, da hab ich es ja und diesmal müsst Ihr Euch nicht einmal hinknien“, sorgsam entfernte sie den Deckel von der Dose, tauchte den Finger in die cremige Masse und nahm sanft Alains Gesicht in ihre Hände. Fast schämte er sich dafür, dass sie sein bärtiges Gesicht berühren musste. Er selbst freute sich schon darauf die lästigen Haare aus dem Gesicht rasieren zu können. Vorsichtig tupfte Simona die leicht duftende Creme auf die offene Stelle, auch das Ohr wurde sorgfältig eingecremt „So Monsieur, bitte nicht mehr auf die offenen Stellen greifen, lasst die Salbe einfach einziehen. Morgen werden wir sie frisch auftragen“, zufrieden schloss sie die Dose und verstaute sie in ihrer Truhe. „ Habt Dank, Mademoiselle“, sie kehrten sich beide den Rücken zu als Simona die Stimme erhob „Nein Monsieur, ich habe zu danken, Ihr habt Euer aller Leben riskiert nur um mich zu befreien und Ihr musstet diese Verwundung meinetwegen hinnehmen. Ich werde ewig in Eurer Schuld stehen.“ „ Das ist nicht der Rede wert.“ Endlich war Oscar von diesem scheußlichen Bart befreit. Einige Stellen in ihrem Gesicht waren noch leicht gerötet von dem aggressiven Kleber doch dank einer beruhigenden Salbe, die ihr Rebecca gereicht hatte, war alles schnell vergessen. André beugte sich zu Oscar und drückte seine hungrigen Lippen auf die ihren „So ist es doch viel besser“, flüsterte er ihr zu. „ Ich hoffe, dass kann ich morgen auch behaupten, dein Bart sticht einfach viel zu sehr André“ Simona, die sich gerade der Szene zugewandt hatte, erstarrte zur Salzsäure „Aber, aber Ihr könnt’ doch keinen Mann küssen“, sie war vollkommen perplex. „ Mademoiselle, das kann ich doch, sogar mit göttlichem Segen“, um seine Aussage zu unterstreichen hielt er Simona den rechten Ringfinger unter die Nase, ein freches Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. „ André sei doch nicht so keck. Simona, ich denke wir müssen einiges aufklären“, Oscar lachte sie freundschaftlich an. Schwungvoll nahm sie den riesigen Hut vom Kopf, zog eine Haarnadel nach der anderen aus dem Knoten, sodass sich ein Schwall langer, blonder Locken über ihren Rücken verteilte. Jetzt musste auch Simona lachen „Wie konnte ich so blind sein? Verzeiht. Anscheinend habt Ihr mir wirklich einiges zu erzählen. Onkel David, wie soll es mit uns eigentlich weitergehen? Hast du einen Plan?“ Ihr Onkel reichte Simona einen Becher mit heißem Tee „Ja, wir haben einen Plan, aber nun setzt dich erstmal und erzähl uns, wie es dir ergangen ist.“ Das Holz knackte in den Flammen und unterstrich die Erzählungen von Simona in ihrer Dramatik. Als Rebecca an der Schulter ihres Großvaters eingenickt war, beschlossen sie alle sich etwas schlafen zu legen. Morgen war ein wichtiger Tag an dem viel getan werden musste und dies sollte früh erledigt werden. Alain war als erster wach, seine Wunde im Gesicht schmerzte und daher hielt er es für besser aufzustehen um sich abzulenken. Nicht allzu lange dauerte es bis auch Simona wach war. Die Dämmerung des Morgens war ein Schauspiel, welches sie sich nach mehrwöchiger Gefangenschaft nicht nehmen lassen wollte. Umso überraschter war sie, als sie Alain so früh auf den Beinen vorfand. Sie sammelte ein paar Äste und entfachte mit der vor sich glimmernden Glut ein kleines Feuer. Als sie seinen nervösen Gang und sein schmerzverzerrtes Gesicht bemerkte, fasste sie sich ein Herz und ging auf ihn zu ‚Warum können Männer nie sagen, wenn sie Hilfe brauchen? Ich verstehe das einfach nicht.’ „ Guten Morgen - ich weiß nicht einmal Euren Namen, verzeiht.“ „ Alain Soisson, einen guten Morgen.“ Sehr gesprächig war er nicht, jede Bewegung in seinem Gesicht schmerzte höllisch. „ Monsieur, dürfte ich mir gleich einmal Eure Wunde ansehen? Je schneller wir die Behandlung fortsetzen, desto besser wird die Wundheilung sein.“ Er zuckte nur mit den Schultern, aber sein Blick verriet etwas anderes. Simona zog Alain hinüber zum Wagen, öffnete die hintere Rampe und kletterte in das Innere des Gefährts. Diesmal holte sie aber zwei Dosen, eine Tinktur und saubere Tücher aus ihrer Truhe hervor. Alain wies sie an, auf der heruntergeklappten Rampe Platz zu nehmen. Erst jetzt in den frühen Morgenstunden musterte Simona ihr Gegenüber eingehender „Den Bart solltet Ihr Euch lieber abrasieren, im Haar kann viel mehr Staub und Schmutz hängen bleiben, das wiederum die Wunde infizieren könnte.“ - ‚Ohne Bart wäre er vielleicht ein ansehnlicher Mann. Mein Gott Simona, wo sind bloß deine Gedanken? Wer will schon so einen eigensinnigen Mann?’ „ Mademoiselle, nichts anderes hatte ich gerade vor, dieses Gestrüpp im Gesicht diente rein zum Schutz und als Tarnung für Eure Rettung.“ „ Nun dann würde ich sagen, rasiert Ihr Euch erstmal und danach werde ich Euch verarzten. Auch wenn Ihr keine Schmerzen habt, ich werde Euch einen Tee kochen, der die Schmerzen lindert und Entzündungen hemmt“, Simona wusste nur allzu gut, wie man mit Kranken und Verletzten umgehen musste, vor allem wenn es sich um Männer handelte. Nach und nach erwachten die Anderen und erweckten das kleine Lager zum Leben. Bevor gefrühstückt wurde, begaben sich André, Viktor und Alain zum Rasieren. Simona war froh, als sie Rebecca mit einem Kübel warmen Wasser und ein großes Stück Seife kommen sah. Wie sehr hatte sie sich wieder danach gesehnt sich zu pflegen, dachte sie an den ekelhaften Kerker mit den dreckigen Binsen auf dem Boden und den nasskalten Steinmauern, juckte es sie am ganzen Körper. „ Komm Cousinchen, ich werde dir ordentlich den Rücken schrubben.“ „ Oh ja, das ist eine fabelhafte Idee.“ Sie begaben sich in den kleinen Planwagen und schützten die Öffnungen vor ungebetene Zuschauer. Auch wenn keiner der Männer es gewagt hätte in den Wagen zu spähen, so fühlten sie sich doch sicherer. Schnell entkleidete sich Simona von ihrer dreckigen Wäsche und genoss das heiße Wasser auf ihrer Haut. Es dauerte keine zwei Minuten, als es an der Rampe des Wagens klopfte und sich eine Frauenstimme bemerkbar machte „Verzeiht, darf ich mich zu Euch gesellen? Ich müsste noch etwas erledigen!“ Die baldige Zustimmung abwartend, begab sich Oscar mit ihrem Reisegepäck in das Innere des Wagens. Oscar kramte in ihren Sachen, bis sie das Kleid hervorzog, welches sie damals in Arras anfertigen lassen hatte. Es war ein einfaches Kleid, aus grünem Wollstoff. Etwas wehmütig sah sie es an. „ Ach Oscar, so schlimm wird es schon nicht werden und in ein paar Wochen kannst du wieder deine geliebten Hosen anziehen“, Rebecca war der Stimmungswechsel nicht entgangen und sie wusste, welches Opfer es für Oscar darstellte ein Kleid zu tragen. „ Ja, du hast ja Recht.“ Simona war dabei sich mit einem neuen Gewand anzukleiden und ihre frisch gewaschenen Haare zu zwei dicken Zöpfen zu flechten. Aufmerksam betrachtete sie Oscar dabei, wie sie sich umkleidete. Die zarte, blasse Haut Oscars wurde von kleinen und größeren Narben in ihrer Ebenmäßigkeit durchbrochen. Simona schätze Oscar auf ca. zweiunddreißig Jahre und dafür hatte diese Frau einen wunderschönen Körper. Als ihr Blick Oscars Bauch streifte, musste sie schmunzeln „Ich denke, dass Ihr das Kleid etwas länger als ein paar Wochen tragen müsst oder Ihr definiert ein paar Wochen etwas anders als ich…“ Fragend sah Oscar Simona an. Was konnte sie bloß meinen? Oscar hatte sich gerade ihr Unterhemd übergestreift, wie Simona an sie herantrat und ihre Hand auf Oscars Unterbauch legte „Ich schätze, Ihr seid im dritten Monat? Ist Euch denn bisher nichts aufgefallen?“, Simona sah den Schock in Oscars Augen, sofort strich sie ihr beruhigend übers Haar. Irgendetwas sagte Simona, dass sie keine normale Frau vor sich stehen hatte „Ich kümmere mich jetzt um Alain und wenn wir alles erledigt haben, werden wir über alles reden, was Euch auf dem Herzen liegt.“ Simona drückte Oscar einen ehrlichen, freundschaftlichen und fürsorglichen Kuss auf die Stirn und strich liebevoll über ihren Haarschopf. Oscar nickte ihr dankbar zu, sie wollte sich am liebsten im Wagen versteckt halten. Was hatte Simona gerade gesagt? Dritter Monat? War sie tatsächlich schwanger oder bildete sich diese junge Frau dies nur ein? Andererseits, was hatte David vor ein paar Wochen erzählt? Simona hätte dafür ein Gespür, Simona war eine der besten Hebammen in der Umgebung? Die Erfahrung musste sie einiges gelehrt haben. Simona tat es leid, Oscar mit dieser Neuigkeit alleine lassen zu müssen. Aber es war sicher besser, wenn sie sich zuerst alleine mit dieser Tatsache abfand. Jetzt wollte sie Alain verarzten und ihm den Tee verabreichen, erst dann konnte sie sich voll und ganz Oscar zuwenden und ihr helfen. Suchend blickte sie sich um, als ihr Viktor über den Weg lief „Verzeiht Monsieur, habt Ihr Alain gesehen? Ich suche ihn um ihn erneut verarzten zu können“ „ Nicht so förmlich, Mademoiselle. Mein Name ist Viktor und Alain findet Ihr dort drüben bei drei mächtigen Schwarzföhren.“ „ Habt Dank, Viktor!“, schnellen Schrittes holte sie den vorbereiteten Tee aus Weidenrinde, die Tinktur und die Salben um Alain gründlich versorgen zu können. „ Ihr macht es mir nicht gerade leicht Euch zu helfen, wenn Ihr Euch vor mir versteckt.“ Überrascht drehte sich Alain ruckartig um. Er dachte alleine zu sein, als ihn die sanfte Frauenstimme aus seinen Gedanken riss. Simona sah in ein frisch rasiertes, markantes Männergesicht mit traurigen Augen und einer auffälligem Wunde unter dem linken Auge. Der Ausdruck in seinen Augen riss ihr Herz in Stücke, welchen Schmerz musste dieser Mann mit sich tragen und warum hatten sich gerade ihre Wege in dieser Weise gekreuzt? Alains Blick musterte sie von oben bis unten, ihre dicken, braunen Zöpfe schimmerten rötlich in der Morgensonne und ihre Augen waren so dunkel wie die Nacht. Er wusste nicht, wie er ihren Körper beschreiben sollte. Sie hatte eine weibliche Figur, eine schmale Taille und ein ausladendes Becken, ihre Brust jedoch war im Vergleich etwas klein geraten. Das Funkeln in ihren Augen und ihre Wortgewandtheit weckten jedoch Alains Interesse. Ihr Wissen und ihr neu erwachtes Selbstbewusstsein hatten in der Nacht sein Feuer entfacht. Ihr Herz klopfte schneller. So adrett wie er gerade aussah, trotz der Wunde im Gesicht, musste er reihenweise Frauen in seinen Bann ziehen. Simona war sich ihrer Wirkung bei Männern bewusst. Bisher waren ihr die Männer nur freundschaftlich gesinnt und innerlich sank sie in sich zusammen, da ihre Vergangenheit sie gelehrt hatte nicht die Männer zu bekommen, die sie sich gewünscht hatte. Im selben Moment schallt sie sich einen Narren, denn wer wollte schon so einen Mann? Sie musste sich zusammenreißen, wie sie sich Alain näherte. Je länger sie Alain betrachtete, desto anziehender wurde er für sie. Seine Stärke, Entschlossenheit und auch diese leicht abweisende Haltung, die sie an einen einsamen Wolf erinnerte, beeindruckte Simona. Und es passte ihr gar nicht, da sie wusste, so einen Mann nie für sich zu gewinnen. Mit entschlossenen Schritten ging sie auf Alain zu und wies ihn an sich einen geeigneten Platz zu suchen. Er streckte ihr sein geschundenes Gesicht entgegen und hoffte die zärtliche Berührung zu erfahren, die ihm letzte Nacht zu Teil geworden war. Sie reichte ihm den Becher mit dem Tee, wartete einen Moment bis er davon getrunken hatte und tupfte die Wunden mit der nach Alkohol riechenden Tinktur ab. Leicht zuckte er unter ihren Händen zusammen, die Flüssigkeit auf seiner verbrannten Haut schmerzte mehr als angenommen. „ Es tut mir leid“, flüsterte sie ihm leise zu, doch ihre Finger auf seiner Haut ließen ihn jeden Schmerz vergessen. Immer wieder nahm er ihren wunderbaren Geruch in sich auf, bis ein Rascheln die Ruhe störte. Reflexartig drehte sich Alain um, als ihm Simona gerade die Creme auftragen wollte. Ihre Finger streiften sein Auge, Alain sprang auf, kniff es zusammen und rieb fest daran „Verdammt noch mal, könnt Ihr nicht besser aufpassen?“, sein Auge brannte und die Tränen liefen ihm über die Wange, immer zu versuchte er das Lid zu heben um wieder klar sehen zu können, doch der Schleier der sich über sein Augenlicht gelegt hatte, hinderte ihn daran. Empört stemmte Simona ihre Hände in die Hüften „Was heißt denn hier besser aufpassen, ich höre wohl schlecht! Wenn Ihr Euch nicht bei jedem Rascheln bewegen müsstet, wäre gar nichts passiert. Ach, macht es doch allein, wenn Ihr so geschickt und klug seid“, sie raffte ihre Röcke und ließ ihn stehen ‚So etwas Stures und selbstgerechtes, wie, wenn ich es mit Absicht getan hätte’, der Ärger überkam sie, langsam versuchte sie bis zehn zu zählen „Er ist es nicht wert sich so zu echauffieren.“ Viktor stupste André leicht in die Seite „André, du hattest ja Recht, die Kleine hat ihm den Kopf verdreht, vielleicht sollte man Alain ein paar Tipps geben, wie man am Besten mit Frauen Konversation betreibt, was sagst du?“ „ Komm Viktor, lass uns zu ihm gehen.“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht näherten sie sich Alain. Sie konnten nur schwer ein Lachen unterdrücken, vor allem als Alain sie wirsch ansprach. Immer noch rieb er an seinem Auge. Langsam stoppte der Tränenfluss, sein Augapfel war rot wie Feuer. „ Tja Alain, damit musst du leben, Liebe macht blind und ich muss es ja wissen“, dass André so eine Aussage tätigte, überraschte sie alle, doch Viktor konnte sich nicht mehr halten, er brach in schallendes Gelächter aus und André stimmte ein. „ Was soll das heißen, André? Du glaubst doch nicht, dass ich mir etwas aus dieser selbstgefälligen Gans mache?!“ „ Oh doch, mein Guter“, Viktor wischte sich gerade noch ein paar Tränen aus den Augen, lange hatte er nicht mehr so gelacht „Gib es doch zu, sie hat dich in ihren Bann gezogen, der starke Alain wurde schwach.“ „ Nimm das sofort zurück, du aufgeblasener Gockel! Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man mir vorschreiben will, wie ich zu fühlen oder zu denken habe.“ „ Keinesfalls werde ich das zurücknehmen. Warum stehst du nicht einfach dazu, es ist doch nichts dabei.“ „ Ich warne dich Viktor, revidiere deine Aussage!“ „ Nein Alain, lieber beiße ich mir die Zunge ab“, herausfordernd, mit hochgezogener Augenbraue wartete Viktor Alains Reaktion ab. „ Nun gut, du hast es nicht anders gewollt“, Alain entledigte sich seiner Jacke, krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und zog den Degen. „ Aber Freunde, so beruhigt euch doch, es war doch nur ein Scherz“, fast hilflos versuchte André die Situation vor der Eskalation zu bewahren. „ Nein, nein, lass es gut sein, wenn der Ex-Söldner glaubt, er braucht eine Tracht Prügel, dann soll er sie haben.“ Die beiden Männer traten zueinander, kreuzten die Degen und ein Schwall klirrender Geräusche brach über sie herein. „ Ich halt das im Kopf nicht aus, letzte Nacht versuchten wir noch alles um nicht kämpfen zu müssen und jetzt gehen sie aufeinander los“, André lief zum Wagen zurück und rief nach Oscar, er war sich sicher, sie würde die Einzige sein, die diesem Treiben ein Ende machen konnte „Oscar, Oscar wo bist du denn? Ich brauche dich!“ Sie hatte sich eben die letzten Tränen von der Wange gewischt, war aufgestanden und strich ihr Kleid zurecht „Ja André, ich bin ja da, was hast du denn?“, sie steckte ihren Kopf aus dem Planwagen und sah ihren Mann fragend an. „ Komm schnell, Viktor und Alain gehen aufeinander los.“ „ Was?!“, ungeschickt sprang sie vom Wagen, sie hatte vergessen, dass sie jetzt ein Kleid trug und sich anders bewegen musste. Wäre André nicht zur Stelle gewesen, hätte sie im nächsten Moment im Staub gelegen. Sicher gefangen in seinen Armen, lächelte sie ihn dankbar an. „ Ich wusste gar nicht, dass Engel so tief fliegen“, André ließ sie herunter und blickte sie anerkennend an „dieses Kleid könntest du öfter tragen, nicht nur als Verkleidung, es steht dir nämlich ausgezeichnet.“ Oscar war es unangenehm, wenn ihr André solche Komplimente machte, doch freute sie sich auch darüber, dass sie ihrem Mann auch im Kleid gefiel. Kampfgeräusche drangen an ihre Ohren und ab und zu verfluchte einer den anderen. Auch David, Rebecca und Simona war der Lärm nicht entgangen. Sie alle nahmen die Beine in die Hand und liefen zum Ort des Geschehens. „ Nimm endlich zurück, was du gesagt hast, Viktor!“ „ Niemals, es muss anscheinend was dran sein, wenn du dich so aufregst, mein Guter“, Viktor verstand einfach nicht, warum Alain so reagierte. Es war doch nichts Schlimmes dabei, nein, es wäre doch wunderbar, wenn er sich für jemanden interessieren würde. Immer härtere Schläge trafen Viktors Degen, die er geschickt und schnell parierte. Es war ganz klar, dass Alain der Stärkere war und seine Technik war auch sehr gut, doch Viktor konterte mit jahrelangem Fechttraining, Schnelligkeit und ein paar Tricks. Oscar konnte nur den Kopf schütteln ‚Wie die Kinder’, schoss es ihr durch Gedanken und wieder stiegen die Tränen in ihre Augen ‚Nein, Oscar, reiß dich zusammen, du darfst dir jetzt keine Blöße geben. Es ist schon eine Zumutung in diesem Fetzen vor den Männern zu stehen’, Stockgerade stand sie neben André, räusperte sich kurz und erhob ihre Stimme. André sah den Glanz in ihren Augen, der auch damals bei Befehlsäußerungen des Dienstes bei der Leibgarde und auch bei der Garde Francaise geschimmert hatte. Er wusste, worauf sich die Beiden jetzt gefasst machen konnten. „ Soldaten der französischen Armee, still gestanden und die Augen gerade aus“, ihre Stimme hatte an Nichts verloren, es war der Ton, der keine Widerrede duldete, der Ton der eine Erklärung verlangte und den beide Männer schon so oft vernommen hatten. Viktor und Alain hatten noch soeben ihre Degen vor ihren Gesichtern gekreuzt und sich derbe Flüche zugeflüstert, als sie reflexartig voneinander abließen und salutierten. Oscar schmunzelte bei dem Anblick, würdevoll trat sie vor die Beiden und als diese sahen, in welchem Aufzug Oscar vor ihnen stand, prusteten sie laut los. „ Verzeih Kommandant, aber so wurde bei mir noch nie ne Truppeninspektion durchgeführt.“ Viktor und Alain stützten sich gegenseitig, denn das Bild war einfach zu köstlich. Oscar musste selbst lachen „Gott sei Dank gab mir mein Vater früher eine Uniform“, die Vorstellung damals im Seidenkleid zu exerzieren erheiterte sie ungemein „Habt ihr jetzt alles geklärt oder müsst ihr euch gegenseitig noch weiter die Köpfe einschlagen?“ „ Ich denke, wir haben alles bereinigt, nicht wahr, Alain?“ „ Ja, das haben wir, komm, lass uns was trinken gehen!“ „ Typisch, diese Männer. Aber beeilt euch, wir müssen bald aufbrechen.“ „ Jawohl, Kommandant“, riefen ihr die Beiden entgegen. Der Wagen ruckelte auf dem unebenen Weg. Es waren schmale Feldwege, die sich wie eine Schlange zwischen den Feldern und Weingärten schlängelten. Gemächlich ging die Fahrt dahin, nur kein Aufsehen erregen und nur keine Hast, sie hatten schließlich nichts zu verbergen. Graf de Girodelle war auf Diablo ein Stück voraus geritten um die Umgebung zu erkunden, David Rosenblatt saß mit seiner Enkeltochter Rebecca am Kutschbock des kleineren Wagens, in dessen Inneren Oscar mit Simona sprach. André und Alain kümmerten sich um den großen Planwagen. André war diesmal so freundlich gewesen und hatte Alain versorgt. Er hatte zuvor unauffällig Simona gefragt, worauf er denn achten sollte, denn er wollte beim besten Willen nicht, dass Alain wegen seinem Stolz schlimme Narben davon trug. Gekonnt lenkte André das große Gefährt, während Alain sein Gesicht der Herbstsonne entgegenstreckte und leicht vor sich hindöste. André wäre es lieber gewesen, wenn Oscar neben ihm gesessen hätte, doch diese verhielt sich seit ihrem Aufbruch etwas komisch und zurückhaltend. Simona bemerkte die Anspannung in Oscars Stimme. Sie versuchte so ruhig wie möglich die junge spanische Frau vor ihr in ihren Plan einzuweihen. Ihre erste Station hieß Logroño, von dort würden sie Richtung Süden reisen. Ihr Ziel hieß Barcelona und wenn alles gut ging, würden sie dort die Velaje curenta besteigen und sorglos gen Frankreich segeln. „ Mit welcher Tarnung wir unterwegs sind, fragt Ihr Euch? Nun, wir sind natürlich Schausteller. Euer Onkel hat mir eine Violine besorgt auf der ich die Leute unterhalten werde, Eure Cousine wird vielleicht ein bisschen Wahrsagen, obwohl wir diese Kunst eher selten zur Schau stellen sollten. Viktor könnte seine Zielgenauigkeit mit ein paar Messerwürfen vorführen und - ach, am besten Ihr lasst Euch überraschen“, zufrieden über den ausgeklügelten Plan lehnte sie sich zurück. „ Verzeiht meine Frage, Lady Oscar, doch was machen wir mit Alain? Er hat eine auffällige Narbe im Gesicht, die sich schwer verbergen lässt. Auch wenn sie schnell abheilt, sichtbar wird sie auf jeden Fall sein.“ Das hatten sie wirklich nicht bedacht. „ Dürfte ich Euch etwas vorschlagen?“ Natürlich durfte Simona dies, Oscar kam jeder Gedanke recht. „ Wie wäre es, wenn er Aussatz hätte? Bei der Gefahr entdeckt zu werden wickeln wir ihm ein paar Tücher um den Kopf und um die Hände, nur seine Augen dürfen frei bleiben. Mit Sicherheit lässt man uns dann ohne Probleme weiterreisen und keiner wird ihn erkennen. Wir hätten zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Nun, was sagt Ihr?“ Freudig klatschte Oscar in die Hände „Die Idee ist einfach wunderbar, dann hätten wir wohl alles besprochen.“ „ Seid Ihr da wirklich sicher, Lady Oscar? Ich denke, wir haben noch sehr viel zu besprechen!“ Oscar hatte gehofft, sie würde das Thema von sich anschneiden, sie selber hätte es sich nicht getraut. Zärtlich nahm Simona Oscars Hände in die ihren „Erzählt mir zuerst von Euch, erzählt mir das, was Euch wichtig ist und was Ihr glaubt, gesagt haben zu müssen. Vielleicht fällt es Euch dann leichter über das Jetzige zu sprechen. Und mit Sicherheit kann ich auf Euch besser eingehen.“ Oscar nickte dankbar, doch wusste sie nicht so recht, wo sie anfangen sollte. Ihre Jugend, ihre Hochzeit, die Revolution, ihre Gefühle für André. Alles war so kompliziert, doch fing sie an zu erzählen, zuerst nur wirres Zeug, doch Simona wusste mit ihr umzugehen und so fügten sich die kleinen Puzzleteile immer mehr zusammen. Noch nie hatte jemand so offen mit ihr gesprochen. Oscar war sehr froh eine Vertraute in Simona gefunden zu haben, die so heikle Themen so ungezwungen und natürlich behandelte. Kein kindisches Gekicher, keine unnötige Schwarzmalerei durchkreuzten ihre Ausführungen. Simona beruhigte Oscar so gut es ging, erklärte zunächst die weiteren Schritte und bestätigte noch einmal, dass sie an ihrer Seite bleiben würde, so lange Oscar sie brauchen würde. Oscar fiel ein Stein vom Herzen, wer hätte sonst ihre Fragen beantworten können. Keiner in ihrer näheren Umgebung hatte Erfahrungen mit Schwangerschaften, außer ihre Mutter und Sophie, doch die waren weit weg und Oscar wusste nicht einmal, ob es ihnen gut ging. Tausend Fragen schwirrten der blonden Frau durch den Kopf, doch konnte sie sich genauestens an das Gefühl erinnern, als sie ihre kleine Nichte zum ersten Mal im Arm gehalten hatte. Sie war damals allein im Raum gewesen, nicht das noch jemand dieses rührselige Bild mitbekommen hätte, sie hatte sich alles genauestens angesehen, die kleine Stupsnase, die kleinen Hände und Zehen. Es konnte sich keiner, nicht einmal Oscar Francois de Jarjayes, dem Charme dieses kleinen Geschöpfes entziehen und jetzt sollte sie selbst Mutter werden. „ Ihr werdet sehen Lady Oscar, es hat alles seine Richtigkeit und Euer Instinkt wird Euch leiten, wie er Euch in der schwersten Schlacht geleitet hat.“ Die Wagen stoppten, fragend sahen sich Oscar und Simona an. Was hatte dies zu bedeuten? Viktors Stimme klang aufgeregt und Diablo wieherte ungeduldig „Drei Meilen voraus ist ein kleiner Wachtrupp von vier Soldaten, wir sollten vorsichtig sein, wer weiß, in welchem Auftrag sie hier sind.“ Oscar stieg vom Wagen und rief Rebecca zu sich „Komm mit mir zu André, es ist Zeit für unser Schauspiel“, aufgeregt verscheuchte sie Alain von seinem Platz auf dem Kutschbock „Alain, du wechselst in den hinteren Wagen, lass dich von Simona in ein paar Tücher einwickeln, wir müssen verhindern, dass sie deine Wunden erblicken, Simona weiß Bescheid. Los mach schon!“ Genervt verdrehte Alain die Augen, tat aber wie ihm geheißen wurde. Als er hinten in den Wagen kletterte, konnte Simona wieder einmal nicht ihre Zunge zügeln „Ah, ich wusste gar nicht, dass sture Esel im Wagen mitfahren dürfen“, sie reizte ihn aufs Blut. Zähne knirschend sah er sie an, am liebsten hätte Alain ihr ein paar Worte an den Kopf geworfen, die sie ihren Lebtag nicht mehr vergessen hätte, doch die Situation verbot es ihm. Gleichgültig warf die vor Selbstbewusstsein strotzende Frau ihm ein paar ältere Tücher über den Kopf und über die Hände „So, jetzt erkennt man nicht einmal den Esel - ach und wenn Ihr wollt, dass ich Euch weiter behandle, so rate ich Euch Eure Nerven zu stärken, nicht das Euch in Zukunft ein Hase der aus Gebüsch hoppelt, erschreckt und ich Euch, weiß der Kuckuck was, ins Gesicht schmiere“, nun, das hatte gesessen, der Triumph war ihr ins Gesicht geschrieben. Alain hatte bisher nur still dagesessen und innerlich hoffte sie auf eine Reaktion seinerseits. Durchdringend sah er sie an, konzentriert versuchte er die Geräusche um ihn wahrzunehmen und als er ihr deutete still zu sein, hörten sie fremde Stimmen. Rebecca musste für Oscar, André und Viktor übersetzen, denn diese verstanden mit keinem Wort, was der Soldat von ihnen wollte „Nein, nein Señor, wir sind Schausteller, so sehen doch keine Verbrecher aus.“ „ Rebecca, mein Schatz, sag dem Señor doch bitte, sie sollen nicht zu nahe an den hinteren Wagen herankommen, dein Onkel Alain ist doch so krank.“ Für die anderen nicht erkennbar, zwinkerte Oscar Rebecca zu, die sofort von der unheilbaren Krankheit ihres „Onkels“ erzählte. Erschrocken sahen sich die Soldaten an, nun, zwei Planwägen mit Frau, Kind und einem alten Mann, diese Leute würden mit Sicherheit nichts zu verbergen haben. Ruckelnd nahmen die Wagen ihre Fahrt wieder auf. Konzentriert und in die Geräuschkulisse vertieft, brachte die plötzliche Bewegung Alain ins Wanken und es kam wie es kommen musste - er verlor das Gleichgewicht, stürzte auf Simona und riss sie mit zu Boden. Seine unerwartete Berührung ließ ihren Puls schneller schlagen. Auch wenn seine Mimik immer noch finster war, seine Augen verrieten ihr etwas anderes, als sie unter ihm begraben lag. Ihr warmer Atem streifte seine Haut und wie Alain in ihre dunklen Augen blickte, wusste er, was Unendlichkeit bedeutete. Die Stimme vom Kutschbock riss beide aus ihren Gedanken „Simona, Alain, sie sind weg, es ist gut gegangen. Ach und Simona, weißt du, was wir Monsieur Alain noch geben könnten? Arnica! Simona? Hast du mich gehört?“, verwirrt weil David keine Antwort erhalten hatte, drehte er sich um und konnte gerade noch sehen wie sich die Beiden wieder aufrappelten. Es würde ihn nicht wundern, würde seine Nichte wieder einmal der glühenden Schwärmerei verfallen. Schon oft hatte er gehofft, sie würde sich ernsthaft für einen Mann interessieren, der sie von ganzem Herzen liebte. David Rosenblatt wurde schließlich mit jedem Tag, wie alle anderen, älter. Er machte sich Sorgen, wie es weitergehen würde, falls er nicht mehr da wäre um seine Kinder zu beschützen. Simona war schon längst im heiratsfähigen Alter, doch bisher konnte kein Mann wirklich ihr Herz erobern und ihre Berufung und ihr daraus resultierender Charakter schreckten doch so manchen Werber ab. „ Natürlich Onkel, das ist eine fabelhafte Idee“, ihr Gefühlschaos konnte man ihr an ihrer Nasenspitze ansehen, woraufhin David in sich hineinlächelte. Simonas Wangen waren leicht gerötet und als ob sie kein Wässerchen trüben konnte, fragte sie nach Alains Befinden. Froh über die Wirkung des Weidentees, kletterte sie nach vorne zu ihrem Onkel und lauschte seinen Erzählungen. Sein Gesicht tauchte stetig vor ihrem geistigen Auge auf und ließ sie den Schilderungen nur schwer folgen. Das Lager für die Nacht hatten sie schon am späten Nachmittag aufgeschlagen. Heute sollte ordentlich gekocht werden und jeder sollte sich so richtig ausschlafen können. Vor allem aber wollten sie die Wagen noch so herrichten, dass nicht einmal dem listigsten Soldaten etwas anderes in den Sinn kam, als das er fahrende Leute, die sich ihr Brot mit kleinen Kunststücken verdienten, vor sich hatte. Das Feuer loderte kräftig vor sich hin und David machte sich mit seiner Nichte daran das Essen zuzubereiten. Wieder kramte Simona in ihrer geheimen Truhe und stellte kleine Dosen und Tonbehälter auf die heruntergeklappte Hinterwand des Wagens „So, hier haben wir die getrocknete Weidenrinde für Alains Tee und hier die Kräuter die du, Onkel David, verlangt hast. Brachst du sonst noch etwas?“ „ Nein mein Kind, danke, kümmere du dich doch bitte um die Getränke, ich habe dir doch von dem Tee von Lady Oscar und Monsieur André erzählt, der muss auch noch zubereitet werden.“ „ Natürlich, ich kümmere mich sofort darum“, Rebecca suchte in der Zeit das Essgeschirr zusammen und polierte noch einmal darüber, nur um sicher zu gehen, dass kein unerwünschter Dreck das Abendmahl verdarb. David spießte das mit den getrockneten Kräutern aus den Tongefäßen eingeriebene Fleisch auf mehrere Metallstäbe und steckte diese, so nah wie möglich ans Feuer in den Boden. Nun hieß es Acht geben, denn schnell konnte es passieren und das ganze Fleisch war verbrannt. Simona wartete schon mit den dampfenden Bechern auf Oscar, André und Alain, die alle mithalfen die Pferde so schnell wie möglich zu versorgen. Die braven Tiere mussten einiges ertragen und auch wenn sie sehr gut ausgebildete Pferde waren, einen Wagen zogen sie nicht alle Tage. „ Ach, Ihr seid schon fertig, Onkel David hat mir aufgetragen Euch Euren Tee zu bringen.“ „ Den hätte ich bei der Aufregung glatt vergessen, vielen Dank, Simona“, Oscar schnappte sich ihren Becher und nahm einen Schluck. Je öfter sie ihn trank, desto lieber hatte sie ihn. Der Geschmack war eigen aber keinesfalls schlecht, was André natürlich nicht behaupten konnte. Sein leidvolles Gesicht brachte Simona zum Lachen „Probiert erstmal Monsieur André, vertraut mir doch“, auffordernd hielt sie ihm seinen Becher vor die Nase. Andrés Gesichtszüge entspannten sich, konnte das denn wirklich sein Tee sein? Er roch so ganz anders als sonst „Wie?“ „ Ach, ich habe noch etwas Zitronenmelisse dazugetan, mich wundert es, dass Ihr den Tee sonst getrunken habt. Ich hätte es bei dieser Mischung nicht geschafft.“ „ Habt vielen Dank, Mademoiselle Simona.“ Zum Schluss übergab sie Alain sein Getränk und verschwand wieder zu ihrem Onkel. Die Sonne war im Begriff gerade unterzugehen und es zeichnete sich ein orangefarbener Streifen am Horizont. André trat näher an Oscar heran und legte den Arm um sie, während sie weiter gespannt dem Naturschauspiel zusah. „ Geht es dir gut Oscar?“ „ Ja“, sie atmete tief durch „aber ich denke, wir sollten in Ruhe miteinander reden“, sie nahm seine Hand und zog ihn langsam mit, Oscar wollte etwas Abstand zum Lager, um nicht von irgendjemand im unpassendsten Moment gestört zu werden „André?“, sie wusste einfach nicht, wie sie am Besten anfangen sollte. Sie war ja noch nie in der Situation gewesen und sie wollte einfach die richtigen Worte finden. Angestrengt dachte sie nach, nestelte an ihrem Kleiderärmel herum und blickte zu Boden. „ Was hast du denn? Du machst mir ja schon fast Angst, was ist denn los?“ Ein tiefer Seufzer, dann begann sie zu sprechen „André, wenn… wenn alles gut geht und nichts passiert, dann… dann wirst du nächsten Frühling Vater“, nun war es laut ausgesprochen und ihr fiel ein Stein vom Herzen. André war sprachlos, oft hatte er daran gedacht mit Oscar einen Familie zu gründen, doch meistens waren dies Träume, Träume die er schon vor Jahren hatte „Ist das die Wahrheit?“, er konnte es immer noch nicht ganz glauben, sie nickte sanft zur Bestätigung. Mit einem Mal hob er sie hoch und wirbelte mit ihr herum „Du weißt ja gar nicht, wie glücklich du mich machst!“, sein Herz schlug so schnell, als hätte er einen Sprint hinter sich. Glücklich schloss er sie in seine Arme. Sein Traum von einer kleinen Familie mit der Frau, die er über alles liebte, sollte wahr werden. Oscar schmiegte sich an seine Brust und flüsterte „Das wird ganz sicher die schwierigste Aufgabe in meinem Leben und ohne dich werde ich sie mit Sicherheit nicht bewältigen.“ „ Liebste, hab keine Angst, vertraue dir selbst, so wie ich dir vertraue“, sanft strich er ihr über ihren schmalen Rücken, es war so gut sie zu spüren, sie bei sich zu wissen. „ Aber ich habe doch überhaupt keine Ahnung, wie man mit einem Kind umgeht.“ „ Das hat damals bei deiner Nichte aber ganz anders ausgesehen.“ Erstaunt sah sieh ihm in die Augen „Woher weißt du-?“ „ Oscar, nicht dass du glaubst, ich hätte dir hinterher spioniert, damals schickte dein Vater nach dir und wie ich dich im Haus gesucht habe, hatte ich Glück diese Szene mitzuerleben. Damals hatte ich mir gewünscht, dass das unser Kind wäre und das du mich lieben würdest.“ Ihr tat es weh, wenn sie daran dachte wie viel Zeit sie verloren hatten und auch wieder nicht „Ich habe dich schon damals geliebt, nur anders als du es dir gewünscht hattest. Jetzt ist diese Liebe um das tausendfache gewachsen. Du bist mein bester Freund, mein Vertrauter, mein Geliebter und du bist der Vater meines Kindes. Kein anderer Mann wäre jemals in der Lage all dieses bei mir auszufüllen, außer du“, sie hatte sich ihm wieder einmal emotional komplett geöffnet. Er wusste nicht, was er schöner finden sollte, die Tatsache, dass er bald Vater werden würde oder dass sie so zu ihren Gefühlen stand „Ich liebe dich, Oscar!“, sanft berührten seine Lippen die ihren. Wie weich sie doch waren und so gefühlvoll, das war einfach ihr André. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)