Späte Worte von Stiffy ================================================================================ Späte Worte ----------- ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Genre: Shounen Ai / Yaoi Fandom: Original / Eigene Serie Disclaimer: Die Charaktere und alles Sonstige gehört mir (außer die drei Zitate ^^) ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Zur Entstehung: Dies ist die erste Geschichte, die ich zu einem Wettbewerb geschrieben habe. Eigentlich ist so was nicht mein Fall, aber dieses Mal hatte ich Lust dazu – einfach weil vor allem die Wortgrenze eine Herausforderung für mich war *grins* Ich habe mich also darangesetzt und es versucht. Ein klein bisschen bin ich über die Wortgrenze hinausgeschossen (um genau 62 Wörter) *lach* Zum Wettbewerb: Die Voraussetzungen waren eigentlich recht simpel, da ich ohnehin nur noch Eigene Serie und Shonen Ai schreibe. Eine weitere und die wohl wichtigste Voraussetzung war es, einen von drei Sätzen in die Geschichte einzubringen. Am Ende ist dies ganz anders geschehen, als geplant, aber es hat sehr gut funktioniert, wie ich finde… Ich habe die betreffenden Stellen in der Geschichte kursiv markiert ;-) [nicht der Brief! *lach*] Zur Länge: Das einzige, womit ich wie erwähnt ein Problem hatte, war die Länge. Ich fasse mich ungerne kurz und baue den Handlungsbogen lieber langsam und in sehr realistischer Geschwindigkeit auf. Dass ich nun alles auf gerade mal 8 Seiten quetschen musste, hat mir etwas widerstrebt. Daher musste ich sogut wie alle Szenen viel kürzer beschreiben als gewollt oder die frühzeitig abbrechen – so was bin ich nicht gewohnt *lach* Gerne hätte ich die Geschichte länger gemacht, um Ereignisse nicht so überstürzen zu müssen, aber was nicht sein soll… *schulternzuck* Ich hoffe sie gefällt dennoch mit nun 6562 Wörtern!! Und nun endlich viel Spaß beim Lesen!! :) ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ SPÄTE WORTE ~ „Sagen Sie, sind Sie glücklich?“ Ob ich glücklich bin? Wie oft schon wurde mir diese Frage gestellt? Ich hätte vielleicht eine Strichlichte anfangen sollen… spätestens beim neunten Mal hätte ich sie beginnen sollen, definitiv! Oder eine bestimmte Geldsumme weglegen, wann immer ich dies gefragt werde… das wäre ja fast rentabler als ein Gang zur Börse. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ob ich glücklich bin? Wieso wollen die Leute immer so etwas wissen? Ist es wirklich so spannend, zu hören, dass ich zufrieden bin, dass ich mir mein Leben so vorgestellt habe und dass ich nichts ändern will? Vielleicht sollte ich einfach mal die Wahrheit sagen… vielleicht sollte ich sagen, dass ich unzufrieden bin, dass ich mir nie gewünscht habe, berühmt zu werden, dass ich es lästig finde und dass ich so vieles anders machen würde, wenn ich eine zweite Chance bekommen würde, dass ich die Sache mit dir ganz anders angehen würde... Ich betrachte das ruhige Gesicht mir gegenüber, welches noch immer auf eine Antwort wartet. Wie würde es wohl blicken, wenn ich genau das sagen würde? Ob mich ein erschrockener Blick treffen würde? Wahrscheinlich, denn die Wahrheit kann sich keiner vorstellen, kann keiner verstehen… und doch sagt jeder, dass er sie hören will. Das allein ist doch alles schon eine riesengroße Lüge. Ich sehe noch immer in das Gesicht, welches jetzt tatsächlich langsam etwas unruhiger wird. Man erkennt, dass sich gefragt wird, wieso ich nicht antworte… Ich kann noch immer nicht aufhören zu grinsen und schweige noch ein bisschen mehr. Wenn du wüsstest… wenn du dich bloß erinnern könntest… Ist es denn wirklich so schwer? „Nein“, sage ich ruhig. „Wie… wie bitte?“ Ich richte mich etwas mehr auf, verschränke meine Hände ineinander und sehe in die dunklen Augen. Noch könnte ich meine Antwort ändern, und für einen Moment überlege ich tatsächlich, es auch zu tun, doch dann schüttle ich den Kopf und setze eine nachdenkliche Miene auf. Ich will sehen, wie du reagierst, was in dem Bericht stehen wird… Doch ist es bloße Neugierde, die mich treibt? „Ich bin nicht glücklich“, spreche ich meine Antwort aus. Meine Stimme ist tatsächlich immer noch ganz ruhig. „Ich…“ Unsicherheit, pure Unsicherheit, wie ich es erwartet habe. „Darf ich fragen… wieso?“ „Sie dürfen.“ Ich lächle. „Doch ich antworte nicht.“ Ich greife nach meiner Tasse und trinke sie leer. „Nur so viel sag ich Ihnen…“, lege ich meinen Kopf etwas schief. „Es ist nicht immer alles so, wie es scheint. Immer wieder begegnet man Dingen, die einen enttäuschen, die das Leben für immer verändern… es sind manchmal gute Dinge und oft sind es schlechte. Genauso ist es mit Menschen. Es gibt nur wenige Menschen, denen man vertrauen kann, und selbst diese Menschen schaffen es immer wieder, einen zu enttäuschen… und wenn sie es tun, vergisst man es nie… Ein Freund hat mich dies vor Jahren gelehrt.“ Ich stehe auf, mir gegenüber kommt Unruhe auf, es wird ebenfalls aufgestanden, doch ich spreche weiter, bevor etwas gesagt werden kann. „…und dann hat er es mir am eigenen Leib bewiesen.“ Ich fixiere die dunklen Augen. Ich begreife es nicht. Es sind nur neun Jahre vergangen und dennoch erkennst du mich nicht. Ich habe mich verändert, aber ich bin noch immer derselbe… doch du erkennst mich nicht. Dabei warst doch du es, der mich zerstört hat. Ich strecke meine Hand aus und überstürzt wird nach ihr gegriffen. „Lassen Sie uns aufhören für heute…“, sage ich. „Ich denke, dass Sie genug Antworten bekommen haben, um fünf Artikel zu schreiben, meinen Sie nicht?“ Ein schnelles Nicken. „Oh ja, natürlich. Vielen Dank und-“ „Schon okay. Schreiben Sie nur die Wahrheit.“ „Das… das werde ich.“ „Ich hoffe es.“ Ich lächle, doch mein Handdruck ist fest, nachdrücklich. Dann lasse ich los. „Ich wünsche noch einen schönen Tag, Michael.“ Ein Zucken fährt durch den Körper, im selben Moment drehe ich mich um. Ich gehe davon, schnell und ohne zurückzublicken, bin ich doch sicher, dass mir verdutzt nachgesehen wird. Doch du weißt es noch immer nicht… weiß nicht, wer ich bin… und du weißt auch nicht, wer der Freund war, von dem ich sprach… ~ * ~ „Pascal~… Was ist los mit dir?“ Arme werden mir um die Schultern geschlungen. „Du bist schon die ganze Zeit so still, seit du vom Interview zurück bist…“ Parfüm zieht mir in die Nase. Ein unangenehmer Schauer läuft mir den Rücken hinab. „Nichts.“ Ich drehe den Kopf und lächle sie an, lasse zu, dass die vollen Lippen mich auf die Wange küssen. „Bist du sicher?“ „Natürlich.“ Ich stehe auf und sie muss mich loslassen. „Können wir jetzt anfangen? Ich will heute nicht so spät nach Hause… Ich glaub, ich bin etwas übermüdet.“ Ein skeptischer Blick von der anderen Seite des Raumes. Ich erwidere Eugens Blick. Die Schultern zuckend steht er auf. „Meinetwegen.“ „Gut.“ Ich greife nach den Blättern auf dem Tisch und beobachte Sandra aus den Augenwinkeln. Sie ordnet ihre Zettel und wirkt abgelenkt. Schnellen Schrittes gehe ich zu Eugen hinüber. „Er war es“, flüstere ich ihm im Vorbeigehen ins Ohr. „Er war… du meinst Mic-“ „Psst!“, zische ich und halte mir den Finger vor die Lippen, deute mit dem Kopf auf Sandra. „Lass uns später darüber reden.“ Er nickt, doch es ist deutlich zu sehen, dass er gar nicht damit einverstanden ist. Ich weiß, dass er mich in diesem Moment am liebsten ausquetschen würde. „Bist du dir sicher?“, nimmt er die erste Gelegenheit wahr, als wir endlich alleine sind. „Ganz sicher.“ „Und er?“ „Er hat mich nicht erkannt.“ „Sicher?“ „Ganz sicher. So fremd wie er mir war, das kann man nicht spielen… nicht nach dem, was passiert ist…“ „Oh man, ich glaub’s nicht…“ Eugen schüttelt den Kopf, schüttet sein Getränk herunter. „Und was hast du jetzt vor?“ „Das, was ich immer vor hatte…“ Ich grinse und ich weiß, dass es kein fröhliches Grinsen ist. „Du willst dich also immer noch dafür-“ „Natürlich!“ Meine Stimme ist kalt. „Er hat mir damals gezeigt, dass man niemandem vertrauen sollte. Jetzt werde ich genau dasselbe tun! Und ich will, dass er es niemals vergisst!“ Ich krampfe meine Finger um die Kälte meines Glases, habe das Gefühl, ihn darin spiegeln zu sehen. „Und… wie willst du das anstellen?“ „Ganz einfach…“, versenke ich meinen Blick noch tiefer. „Ich habe aus sicheren Quellen erfahren, dass er tatsächlich schwul geworden ist… und ich denke nicht, dass sein Umfeld das weiß…“ „Du willst ihn outen?“ „Nicht nur.“ Ich grinse und führe mein Glas an meine Lippen. „Ich werde ihm das Herz brechen.“ ~ * ~ Es ist am Montagabend, als ich in der Geschäftszentrale einer der größten Magazine der Stadt ankomme. Allein meine Bekanntschaftsgrad reicht der Empfangsdame schon, mich weiter in den Komplex hineinzulassen. Minuten später stehe ich vor dem wahrscheinlich saubersten Schreibtisch im kompletten Bürogebäude. Von überall werde ich überrascht angesehen, doch nur eine Person stellt mir die offensichtliche Frage. „Was machen Sie denn hier?“, springt er auf, als er mich neben sich bemerkt. Sein Stuhl knallt gegen den Schreibtisch. „Ich wollte mit Ihnen sprechen.“ „Mit mir spre… Wieso haben Sie nicht angerufen? Sie hätten doch nicht extra hierher-“ „War grad in der Nähe“, lüge ich, innerlich belustigt über sein vollkommen nervöses Auftreten. So ganz anders als früher… was hat dies strickte Leben bloß aus dir gemacht? „Haben Sie Zeit?“ „Ich? Äh… ja, natürlich… Einen Moment!“ Er dreht sich um und kramt etwas aus einer Schublade hervor. Überrascht stelle ich fest, wie verwühlt in dieser alles ist – doch es passt vollkommen ins Bild, das er darstellt: Nach außen hin der vorzeigbare Mann, doch in Wirklichkeit voller Geheimnisse und Unordnung. Lächelnd lasse ich meinen Blick an ihm hinauf gleiten bis hin zu seinem Nacken. Ein winziges Zucken durchfährt meinen Magen, als ich die Narbe erkenne, die sich hell auf seiner Haut abzeichnet. Ob ich das… „Lass Sie uns gehen!“, fährt er zu mir herum und reißt mich so aus meinen Gedanken. Das Interview, das wir führen, ist dem vom Vortag sehr ähnlich. Die Fragen sind die üblichen und die Antworten, die ich gebe, sind nun auch wieder die üblichen, außer, dass ich ein klein wenig länger antworte oder überlege… Mein Blick schweift immer wieder zur Uhr ab. Die Zeit vergeht viel zu langsam. Als es endlich so spät ist, dass ich denke, dass mein Plan aufgehen könnte, leite ich das Gespräch zu einem Ende… und als er sich erheben und gehen will, frage ich ihn, ob er nicht noch etwas mit mir trinken gehen mag, ganz ungeschäftlich. Höflich wie er ist, stimmt er natürlich zu – wie erwartet. Die Bar, in die ich uns führe, liegt nur unweit von meinem Appartement entfernt. Ich weiß das – er nicht. Gemeinsam begeben wir uns in eine enge Nische, die ich ausgesucht habe, und lassen mehrere Getränke in uns fließen. Derweilen reden wir… Worüber? Nichts Besonderes… es sind sehr alltägliche Dinge, das Wetter, ein bisschen Politik und das Fernsehen. Zu meiner Person fragt er mich nichts mehr, auch ganz so, wie es sich gehört. Während die Zeit vergeht, rücke ich immer etwas näher an ihn heran. Ich betrachte ihn genauer, betrachte die müden Augen und die freundlichen Lippen. Seine Haare sind etwas kürzer als früher, strenger, doch wirklich stark verändert hat er sich nicht. Es ist so einfach gewesen, ihn wiederzuerkennen… keine Sekunde lang habe ich gezweifelt, ob er es ist. Wieso bloß erkennst du mich so gar nicht? Sind neun Jahre wirklich so viel? Habe ich mich in den Jahren so stark verändert? Es ist gegen elf Uhr, als ich direkt neben ihm sitze. Ich bin mir sicher, dass er es mittlerweile bemerkt hat, doch da er nicht zur Seite rutscht, bestätigt es meine Vermutung, dass ich ein leichtes Spiel mit ihm haben werde. Dan hat gesagt, dass Michael zwar oft in seiner Bar ist, aber er diese immer alleine besucht und auch wieder verlässt… Seine Vermutung, dass Michael sich sicher nach Nähe sehnt, war also gar nicht so verkehrt… Ich lege den Kopf schief und beobachte nun aus nächster Nähe, wie er spricht. Er erzählt mir gerade irgendwas von seiner Arbeit und ich habe längst aufgegeben, ihm zuzuhören. Mein Kopf ist auf andere Weise von ihm in Anspruch genommen, da ich nicht aufhören kann, ihn anzusehen. Schon damals habe ich das so gerne getan… und heute bist du noch viel hübscher, als du es damals warst. Eigentlich hatte ich gar nicht geplant, ihn jetzt schon zu küssen… dass ich es dennoch getan habe, realisiere ich erst, als sich unsere Lippen berühren. So habe ich das definitiv nicht geplant! Ich löse meine Lippen wieder von seinen mit einem komischen Gefühl des Unwohlseins… und als ich die Augen öffne, trifft mich ein Blick, als würde ich aus Neonfarbe bestehen oder mir plötzlich Bäume aus den Ohren wachsen. Ich lächle, auch wenn es mir gerade komisch schwer fällt, und komme ihm wieder etwas näher. „Lass uns irgendwo hingehen, wo es etwas gemütlicher ist…“, flüstere ich mit süßlicher Stimme. Ich lasse meinen Augen spielen und sehe, wie er sie einen Moment zu lange fixiert. Er nickt und ich lächle noch etwas mehr. Dass der gemütlichere Ort mein Appartement ist, scheint ihn fast noch mehr zu überraschen, als meine Einladung an sich. „Ist es wirklich okay, wenn ich…“ Unschlüssig steht er vor der Tür, die ich geöffnet habe, und scheint nicht hindurch treten zu wollen. Es ist eine Unsicherheit, die ich nicht erwartet habe, und fast würde ich sagen, dass sie niedlich ist… „Natürlich…“, grinse ich und greife nach seinen Händen. „Komm rein.“ Ihn zu mir gezogen, stoße ich die Tür ins Schloss… und dann ziehe ich ihn an mich. Der Kuss, der mit trifft, ist zunächst zurückhaltend. Vorsichtig nur berührt er meine Lippen, als habe er Angst, sie kaputt machen zu können. Doch in dem Moment, als ich mit dem Gefühl der Unebenheit unter meinen Fingern in seinen Nacken greife und ihn fester an mich ziehe, scheint er zu begreifen, dass ich wirklich das will, wonach es schon die ganze Zeit aussieht. Er schlingt die Arme um mich, greift in meine Kleider und lässt seine Zunge tief in meinen Mund hinein zu einem atemberaubend tollen Kuss. Ich streife ihm die Jacke von den Armen, streife unsere Schuhe ab und vollführe vorsichtige Schritte rückwärts, ihn mit mir ziehend und noch immer küssend. Seine Hände berühren mittlerweile meine bloße Haut unter meinem Shirt, das ich Sekunden später von mir schleudere. Heiß streifen seine Finger sich ihren Weg hinauf in meinen Nacken, über meine Schultern, meine Arme und meine Brust entlang… und als wir am Bett ankommen, tragen wir beide schon nichts mehr. Ich lasse mich hinunterdrücken und lasse zu, dass sein Körper sich über mich begibt. Erinnerungen sind da, für einige Sekunden… doch spornen sie mich in diesem Moment mehr an, als dass sie mich erschrecken. Ich schließe die Augen und werfe den Kopf zurück, lasse ein Stöhnen hören, als seine Finger tiefer gleiten. Ich nehme wahr, wie er vom Bett gleitet, wie er die Knie geht und meine Beine küsst, wie seine Finger meine Erektion berühren, dann seine Lippen… Ab diesem Punkt geht alles ganz schnell. Ich bäume mich auf, greife in seine Haare, reiße daran und halte mich nur schwer davor zurück, weiter zu drängen… Ich stöhne, schreie… bitte ihn, weiterzugehen, will zu ihm auf den Boden sinken, werde aufgehalten und weiter liebkost. Pure Lust durchfährt meinen Körper, pure Leidenschaft und ein Gefühl der Einsamkeit, da ich seinen Körper noch immer nur in einem beschränkten Bereich spüre, da ich ihn mehr berühren will, da ich etwas anderes von ihm will. Doch er hört meine Rufe nicht, lässt auch nicht nach, als ich ihn vor meinem Höhepunkt warne… und in dem Moment, in dem ich komme, weiß ich, dass das alles ganz anders gelaufen ist, als ich es mir vorgestellt habe. Noch erschöpft bleibe ich liegen. Ich höre Schritte, erwarte Berührungen oder wenigstens das Absenken des Bettes neben mir… und höre stattdessen eine Tür. Mit weit aufgerissenen Augen fahre ich in die Höhe. Erst Sekunden später wird mir klar, dass es nicht die Tür war, welche ich dachte. Meine Schultern sinken hinab, verwundert, überrascht, resignierend. Was war das denn jetzt?, frage ich mich und starre die Badezimmertür an, welche ihn von mir trennt. Meine Befriedigung… doch was ist mit ihm? Wieso ist er nicht weiter gegangen, obwohl ich ihn gebeten habe? Wieso hat er nicht… Nein, so habe ich mir das ganz und gar nicht vorgestellt! Ich stehe auf und gehe zögernd Richtung Badezimmertür. Ich fühle mich aus meinem Plan herausgerissen. Ich hatte gedacht, wir würden es wild treiben und danach erschöpft und glücklich in den Armen des anderen liegen… dann hätte ich ihm gesagt, wie unglaublich gut er gewesen ist… und ich hätte ihm gesagt, dass ich ihn mag, dass er mir gefällt, dass ich ihn gerne wiedertreffen würde. Das wäre der Anfang gewesen… doch wie fange ich jetzt an? Zögernd greife ich nach der Türklinke und drücke sie hinunter. Zuerst höre ich rauschendes Wasser, dann sehe ich es auch… und dann sehe ich ihn, am Boden der Dusche hockend, mit dem Kopf nun erschrocken zu mir gerichtet. Unsere Blicke treffen sich und ich habe das Gefühl, genau diesen Ausdruck schon mal in seinen Augen gesehen zu haben. Ich trete ins Badezimmer und schließe die Tür wieder. Einen Moment lang verspüre ich den Instinkt, die Situation ins Lächerliche zu ziehen, doch da sein Blick sich nicht verändert, lasse ich es sein. Das wäre kein guter Anfang. „Alles in Ordnung?“, frage ich stattdessen und gehe zu ihm hinüber. Er nickt und steht auf, was meinen Blick für Sekunden über seinen gesamten, sehr gut gebauten Körper gleiten lässt. Ich habe die Muskeln schon gespürt, doch dass sie ihm so gut stehen würden, hätte ich nicht gedacht. „Wieso bist du nicht bei mir geblieben?“, reiße ich mich selbst aus diesen Gedanken und trete zu ihm unter das laufende Wasser. Erst jetzt fällt mir auf, dass es eher kalt ist als warm. Sofort drehe ich an der Armatur, um das zu ändern. „Das kann ich nicht gut erklären.“ Er wendet den Blick ab und scheint flüchten zu wollen. Ich halte ihn am Handgelenk fest, mir plötzlich sicher, was der geeignete Anfang ist: nicht das Gespräch über irgendeinen guten Sex, sondern ein vertrautes Gespräch. Also ziehe ich ihn an mich. „Erklär es mir, ich wüsste es gerne.“ „Es ist peinlich.“ „Das macht nichts.“ Ich lächle. Es dauert ein paar Sekunden, in denen er zu überlegen scheint. Seine Finger streichen über meine Hüften hinweg und seine Augen scheinen irgendwas zu suchen. „Du erinnerst mich an jemanden…“, spricht er dann. Erschrocken versteift sich mein Körper. Hat er etwa doch- „An wen?“, frage ich nach. „Mein… bester Freund… Es war noch in der Schulzeit… ich hab ihm damals sehr weh getan…“ Mit jedem Wort wird mein Körper steifer. Ich verspüre das Gefühl, ihn unterbrechen zu wollen, doch ich tue es nicht. „Schon als ich dich in Zeitungen oder im Fernsehen sah, dachte ich manchmal, wie ähnlich ihr euch seid… und Live seid ihr es noch mehr…“ Ein Lächeln streift seine Züge. „Doch von der Persönlichkeit seid ihr komplett verschieden… daher hab ich den Gedanken schnell wieder vergessen… bis vorhin… bis wir…“ Er stockt und streift ein weiteres Mal meine Hüften entlang. „Es tut mir leid, ich konnte nicht weiter machen… denn ich konnte nicht aufhören, seine Narbe an deiner Hüfte zu suchen…“ Er lächelt als er den Blick hebt und mir stockt der Atem. Um meine Gesichtzüge nicht völlig zu verlieren, ziehe ich ihn zu einem Kuss an meine Lippen, während mein Herz gegen meine Brust hämmert und ich nicht weiß, was ich denken soll. Er hat mich erkannt… Doch er denkt, ich bin es nicht … Er erinnert sich noch an mich… Er sucht die Blinddarmnarbe, die er nicht finden wird, da ich sie sie vor einem Jahr kosmetisch habe entfernen lassen. Ich drücke ihn gegen die Wand, küsse ihn fester, löse mich von seinen Lippen und gleite tiefer, vollführe das bei ihm, was er zuvor bei mir getan hat, während mein Kopf nicht aufhören will, sich zu drehen. Michael denkt noch an mich… ~ * ~ Die ersten zwei Gläser, die ich mir zum Mittagessen bestellt habe, schütte ich unter dem forschenden Blick Eugens direkt herunter. Er hält meine Hand fest, als ich wieder nach der Flasche greifen will. „Das reicht“, zischt er. „Kotz dich lieber anders aus. Hat es nicht geklappt?“ „Es hat viel zu gut geklappt!“ Ich reiße die Flasche an mich und fülle das Gläschen erneut. „Hä?“ Ich zucke die Schultern, schütte den Alkohol hinunter und schüttle mich. Ekelhaft, einfach ekelhaft! Mit lautem Geräusch stelle ich die Flasche weg und lehne mich über den Tisch. „Er hat mich erkannt.“ „Jetzt doch?“, fragt er mäßig überrascht. „Nicht wirklich…“ „Hä? Hör auf Bahnhof zu sprechen!“ Ich lache und lasse meinen Kopf auf meine Arme sinken. Und dann versuche ich zu erklären. Natürlich beginne ich mit dem Trinken gehen, über meine Befriedigung, sein Geständnis und seine Befriedigung… und dann erzähle ich von dem vertrauten Gespräch, dass er mit mir geführt hat, als wir im Bett lagen. Ich erzähle davon, wie er sagte, dass er gleich ein sehr sympathisches Gefühl bei mir gehabt hat, was vielleicht durch die Ähnlichkeit kommt… „Er sagte, dass ich so viel Fröhlichkeit ausstrahlen würde, dass er mir gar nicht hatte glauben wollen, als ich sagte, dass ich nicht glücklich sei. Er sagte, dass er unser Gespräch in der Bar mochte und dass er so was gerne wiederholen würde… dass er mich gerne erneut treffen würde. Als ich dann gefragt hab, ob das auch an der Ähnlichkeit liegt, hat er gesagt, dass er es nicht weiß… und er hat mich geküsst und mir gesagt, dass ich ihm einfach mehr von mir zeigen solle… er würde mich gerne kennenlernen.“ „Und was hast du gesagt?“ „Totalen Scheiß! Es gäbe eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Welches von mir er kennenlernen wollen würde…“ Ich lasse meine Stirn gegen die Tischplatte knallen. Ein Lachen. „Hat er die Anspielung verstanden?“ „Natürlich nicht.“ „Dann ist doch gut!“ „Gut?“, fahre ich auf. „Etwa nicht? Wolltest du nicht, dass er sich in dich verliebt? Er scheint auf dem besten We-“ „Ja… schon… aber nicht… nicht mit der Erinnerung an früher… ich meine…“ „Aber glaubst du nicht, dass es so noch viel einfacher ist?“ „Ich-“ Ich breche ab, sehe Eugen an. „Du hast recht…“, höre ich mich sprechen. „Und wie recht du hast! Natürlich!“ Ein Lachen entfährt mir. „Das ist ja noch viel besser!“ ~ * ~ Am Abend treffe ich mich wieder mit Michael. Wir gehen essen in eines meiner Lieblingsrestaurants, in denen ich zwar gekannt, aber in Ruhe gelassen werde, und anschließend gehen wir in mein Appartement. Wir küssen uns, schauen einen Film… ich kuschle mich an ihn, berühre ihn… wir verbringen einen ruhigen, friedlichen Abend und wir haben keinen Sex. Erst im Bett wird mir das klar, dann nämlich, als er ruhig schlafend neben mir liegt und plötzlich wieder genauso jung aussieht wie vor neun Jahren. Leise setze ich mich im Bett auf und starre mich im Wandspiegel an. Ich fahre mir durch die Haare, die viel länger sind als damals. Damals wollte meine Tante nicht, dass ich sie wachsen lasse, da es sie zu sehr an ihre Schwester, meine Mutter erinnerte. Ich fand das doof, wollte keine dieser langweiligen Kurzhaarfrisuren und ärgerte mich daher immer öfter über meine Mutter, die ich nie kennengelernt hatte, weil sie mir ihre Gesichtszüge vererben musste. Michael hat immer gelacht, wenn ich mich mal wieder bei ihm beschwerte, und er sagte, dass ich ihm so oder so gefallen würde. Selbst in den späteren Jahren habe ich das immer als Scherz genommen… bis das passierte, was alles zerstörte... Ich lasse meinen Kopf sinken und schiele zu Michael hinüber. Wie kannst du jetzt nur so seelenruhig neben mir liegen und schlafen? Tagelang habe ich mir damals gewünscht, dich zu erwürgen, und nun hätte ich die Chance dazu… Natürlich bin ich mittlerweile schlauer, als eine solch dämliche Tat zu begehen. Ich weiß, wie man einem Menschen weh tun kann, ohne ihm körperlich zu schaden… und ich weiß, wie ich dir wehtun kann… warte nur ab, ich bekomme meine Rache, auf die ich neun Jahre gewartet habe! ~ * ~ Es vergehen zwei Wochen. Was in diesen zwei Wochen passiert? Sehr vieles und doch nichts wirklich Wichtiges. Ich verbringe wie geplant sehr viel Zeit mit Michael, der mir viel schneller viel näher kommt, als ich es erwartet habe. Er erzählt mir vieles aus seinem jetzigen Leben und ich erzähle ihm, wie ich Eugen und Sandra kennengelernt habe und wie unsere Karriere ihren Anfang nahm. Ich verschweige, dass es nur ein halbes Jahr war, nach unserem Vorfall, und ich schaffe es auch, nicht allzu überrascht zu wirken, als er mir seine Katze vorstellt, die den selben Namen trägt wie ich damals: Justin – doch einfach ist es nicht. Ich weiß nicht wieso, aber es wird jeden Tag schwerer, mit der Lüge zu leben. Dabei habe ich all das seit Jahren geplant, habe mich absichtlich äußerlich verändert, während die Charakteränderungen ganz von alleine damit und mit meinem „Beruf“ einher gingen. Ich habe einen anderen Klamottengeschmack entwickelt, habe meinen Namen geändert und habe den Kontakt zu meiner Tante abgebrochen… und ich habe mir immer eingeredet, dass ich niemandem etwas vormache, sondern mich einfach nur weiterentwickle, wie es jeder Teenager tut, wenn er erwachsen wird. Doch stimmt das wirklich? Wem mache ich etwas vor? Nur Michael? Und wieso versuche ich dann immer so eindringlich, alle Gedanken an früher zu verdrängen? Wieso halte ich immer diese Wut aufrecht, mit der ich mir all das erkläre? Wieso kann ich seit neun Jahren an nichts anderes denken als daran, wann ich ihn wiedersehen werde, um ihm wehzutun? Wen belüge ich wirklich? Dass mir solche Gedanken durch den Kopf gehen, erzähle ich Eugen nicht. Ihm erzähle ich ohnehin ausnahmsweise sehr wenig. Ich sage ihm zum Beispiel nicht, dass ich mich gerne von Michael berühren lasse oder dass ich die Gespräche mag. Eugen erzähle ich nur, dass ich bald am Ziel bin, dass sich Michael immer stärker in mich verliebt, und dass ich ihm bald so wehtun kann, wie er damals mir wehgetan hat. Und wenn ich allein bin? Dann schmiede ich keine Rachepläne sondern überlege, was ich mit Michael machen kann, wo wir gemeinsam hingehen können, ohne dass ich erkannt werde… oder was ich bloß sagen soll, wenn er mich mal wieder nach meiner Vergangenheit fragt. ~ * ~ „Ich hatte vor, nächste Woche meine Mutter besuchen zu fahren…“, dringt es aus dem Schlafzimmer zu mir ins Bad. „Aha?“, frage ich, nicht sicher, was er mir damit sagen will. „Naja…“ Er taucht in der Badezimmertür auf, grinst mich schief an. „Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht… mitkommen willst…“ „Zu deiner Mutter?“, entfährt es mir erschrocken, doch aus einem ganz anderen Grund, als er natürlich sofort annimmt. „Du musst nicht!“, hebt er die Hände. „Das war nur so eine Idee, ich dachte nur-“ Ich unterbreche ihn, indem ich ihn an mich ziehe. Ich lächle und küsse ihn fest, während mein Herz heftig schlägt. Seine Mutter… ich bin mir irgendwie sicher, dass sie mich erkennen würde, wenn ich erstmal vor ihr stehe… „Ich würde gerne mitkommen…“, sage ich, als ich den Kuss wieder löse. Ist dies nicht ein weiterer Punkt, ihn an mich zu binden? Bilde ich damit nicht eine Sicherheit, die ich dann zerstören kann? „Wirklich?“, schaut er mich fast schüchtern an und ich muss mal wieder daran denken, dass es früher irgendwie andersherum war. „Wirklich.“ Ich küsse ihn erneut fest. „Du schmeckst nach Zahnpasta…“, streckt er mir die Zunge raus und grinst. „Und du nach diesem ekelhaften Sirupzeug…“ Ich lecke über seine Lippen. „Ist noch was da?“ „Nur noch ein paar Tropfen…“, kommt es entschuldigend. „Soll ich noch was holen?“ „Quatsch, brauchst du nicht…“ Ich streife mit den Händen seinen nackten Oberkörper entlang. „Dusche lieber mit mir…“, küsse ich seine Schulter, seinen Hals, lasse meine Finger zum Bund seiner Hose gleiten. „Wenn Sie wünschen …“, kommt es amüsiert und er greift mir in die Haare, schiebt sie zurück, sieht mich an, mit einem festen Blick in meine Augen. „Ich liebe dich, Pascal“, spricht er… und während mein Herz stehen bleibt, küssen seine Lippen die meinen. Mit einem Mal schmeckt die Süße seines Mundes unglaublich bitter. „Ich geh uns Frühstück holen“, kitzelt es sanft an meinem Ohr. „Mhm…“, mache ich, ziehe die Decke etwas enger um mich, verkrieche mich im Kissen, als er meinen Nacken küsst. „Schlüsselkarte is im Portmonee…“, nuschle ich und presse meine Augenlider gegen das Licht herunter. „Gut… Bis gleich!“ „Mhm…“ Ich lausche auf seine Schritte, die zum Schreibtisch gehen, einen Moment ausbleiben… einen langen Moment. Dann, ein wenig später, gehen sie weiter zur Appartementtür, welche leise von außen geschlossen wird. Ich seufze zufrieden und drehe mich auf die andere Seite, ziehe die Decke noch etwas enger an mich heran und schnuppere an ihr, rieche seinen und meinen Geruch… Wärme umgibt mich, ein leichtes, schönes Gefühl… und langsam kommen die Worte wieder, welche er gestern zu mir gesagt hat. Er liebt mich. Ich wusste es, habe es gemerkt, wie er sich verhält… aber es zu hören war irgendwie… anders… Ich habe mein Ziel erreicht, das weiß ich… doch was tue ich nun? Wie soll ich weitermachen? Ich habe keine Ahnung… zum ersten Mal, habe ich gar keinen Plan… Ein Gähnen entweicht mir und ich schlage die Decke über meinen Kopf, damit es dunkler wird. Ich will nicht darüber nachdenken, nicht jetzt, nicht nachher… Im Moment will ich seine Nähe und dies Gefühl in mir einfach ein bisschen genießen. Als ich die Augen das nächste Mal aufschlage, bin ich mir sicher, dass nicht viel Zeit vergangen sein kann. Noch ein Mal gähnend schäle ich mich unter der Decke hervor und gebe dem Drang nach, aufs Klo zu gehen. Merkwürdigerweise habe ich plötzlich das Gefühl, voll und ganz ausgeschlafen zu sein, als ich zurück ins Schlafzimmer trotte, mich aufs Bett sinken lasse. Erst in diesem Moment fällt mein Blick auf die Uhr. Sofort stehe ich wieder. Drei Stunden? Meine Augen fahren herum, auf der Suche. Meine Schritte führen mich ins Wohnzimmer, welches ich leer vorfinde. Wo ist er? Wieso ist er nicht hier? Wieso hat er mich nicht geweckt? „Michael?“, frage ich, als ich durch die Tür in die Küche trete und auch hier nur von Stille empfangen werde… und von einem gefalteten Zettel auf dem Tisch. Sofort bin ich da, reiße das Blatt an mich, bekomme mit, wie etwas zu Boden fällt, doch hafte ich meine Augen auf die Worte, die mein Herz sofort stoppen. Lieber Justin Ich sacke in die Knie und halte mich am Tisch fest. Aber… wie… Ich erkenne das kleine, zerknickte und alte Kärtchen auf dem Boden… meine Erinnerung. Säure schießt mir in die Augen, während meine Hand wie auf Befehl anfängt zu zittern. Nur mit Mühe halte ich sie still und ich zwinge mich, weiter zu lesen. Ich habe gerade eine halbe Stunde lang an deinem Bett gesessen und dich beim Schlafen beobachtet. Die Ähnlichkeit ist mir wieder aufgefallen, wie auch jeden Tag seither… aber ich dachte wirklich, dass es nur Zufall ist. Ich habe nicht geglaubt, dass du es doch bist. Aber du bist es. Ich sage mir die ganze Zeit, dass du einen Grund haben musst, weshalb du es mir nicht gesagt hast… aber ich weiß keinen, keinen außer den, dass du mich hasst. Wieso sonst, solltest du schweigen? Ich kann dir nicht verdenken, dass du mich hasst. Nach dem, was ich getan habe, habe ich mich schließlich selbst gehasst – und doch habe ich dir das nie gesagt. Vielleicht hätte ich es heute tun sollen, aber ich kann es nicht. Ich kann im Moment nicht mal darüber nachdenken, was ich zu dir sagen würde. Du hast dich so verändert, bist ein anderer Mensch geworden… und hast doch so viele Sachen beibehalten. Du knetest noch immer deine Finger, wenn du nachdenkst, oder zeigst diesen leicht säuerlichen Blick, wenn dir etwas nicht schmeckt. War ich wirklich so naiv zu glauben, dass es zwei Menschen gibt, die sich dermaßen ähneln? Wahrscheinlich. Nun da ich die Wahrheit kenne, denke ich, dass es nicht gut ist, dich wiederzusehen. Ich kann dir nicht unter die Augen treten, nun, da ich weiß, dass du es bist. Ich darf dich nicht ansehen mit meinem begehrenden Blick, der dich schon einmal zerstört hat. Ich kann dich nicht berühren, nun, da ich weiß, wie ich dich einst berührt habe. Ich hasse mich dafür, bitte glaub mir das, und ich werde meine Schuld tragen, so wie ich sie seit neun Jahren trage. Ich hoffe, dass du es einigermaßen vergessen konntest… und dass du es jetzt wieder vergessen kannst. Ich hoffe, dass du mir eines Tages verzeihen kannst. Ich liebe dich, egal wie dein Name ist oder welches Gesicht du zeigst… denn Verwandlung ist nicht Lüge und du bist noch immer der Junge, den ich schon im Kindergarten heiraten wollte. Vergib mir, dass ich alles falsch gemacht habe. Michael ~ * ~ „Sie können da jetzt nicht rein!“, werde ich am Arm festgehalten. „Natürlich kann ich!“, fauche ich und versuche mich loszureißen. „Nein! Sie befinden sich grade in einer Besprech-“ „Das interessiert mich nicht! Ich muss da rein!“, schaffe ich es, meinen Arm grob zu befreien. „Aber Sie-“ Ich reiße die schwere, große Tür vor mir auf, während der Typ mich im letzten Moment wieder am Arm zu packen bekommt. „LASSEN SIE MICH LOS!“, schreie ich und schlage um mich, drehe mich um und blicke in all die vielen Gesichter, die mich vollkommen verwirrt anblicken. Nur eines nicht… eines ist weiß wie Schnee… und auf genau dieses Gesicht stürme ich zu. Als ich bei seinem Stuhl angekommen bin, steht er auf, doch sofort schubse ich ihn zurück ins Polster. Dann landet meine Hand in seinem Gesicht. Das Klatschen scheint den gesamten Raum zu durchfluten. „Was erlauben Si-“ „Du bist so ein verdammtes Arschloch!“, beachte ich den Einwand von irgendwoher nicht und mache Anstalten, Michael schon wieder zu schlagen. Stattdessen greife ich in meine Hosentasche, wirble das Blatt herum, bis es sich entfaltet hat und presse es ihm gegen die Brust. „Ist dir nichts Besseres eingefallen als der Scheiß?“ Ich spüre meine Augen brennen, kneife sie zusammen, öffne sie wieder zu Schlitzen und funkle weiter das schneeweiße Gesicht an, in dem der Mund wortlos offen steht. „Justin, das-“ „WAG ES NICHT!!“, schreie ich. „Nenn mich bloß nie, NIE wieder so! Du hast überhaupt kein Recht, mich überhaupt anzusprechen! Was bildest du dir bloß ein, wer du bist? Glaubst du, du kannst immer abhauen, wenn es dir reicht? Bin ich dir so verdammt egal, dass du mich einfach immer wieder im Stich lassen kannst?“ Ich schüttle den Kopf, kralle meine Finger in seinen Schultern und beuge mich näher zu ihm. „Aber weiß du was? Diesmal hatte ICH einen Plan! Diesmal werde ICH DIR wehtun! Ich werde dich zerstören, ich werde dir so wehtun, dass du nie wieder an jemand anderen denken kannst! Ich werde dir das Herz brechen, wie du es mir gebrochen hast, und ich werde…“ Meine Stimme versagt, ebenso wie meine Beine. Ich sacke hinunter, schnell nur gehalten durch seine Arme. Ich will sie abschütteln, will sie von mir schlagen und am besten sofort wieder auf ihn einprügeln… doch in dem Moment, als er vom Stuhl zu mir auf den Boden sinkt, seine Arme um meinen Körper fassen und seiner sich an mich drückt, kann ich es nicht mehr. Ich kann mich nur noch an ihn klammern. „Es tut mir leid!“, höre ich ihn an meinem Ohr. „Es tut mir so leid!“ Ich spüre wie meine Augen die Tränen nicht mehr halten können, welche ich versuche zu unterdrücken, seit ich den Brief gelesen habe. Ich wollte nicht weinen, wollte nur schreien und toben, wollte wütend sein und ihn verfluchen… doch als ich das einen Tag lang getan habe, konnte ich nicht mehr nur einen imaginären Michael anschreien. Und jetzt, da ich hier bin, gebe ich viel zu schnell nach… Ich will mich von ihm drücken, will mich nun doch wehren und will gerade wieder fauchen, dass er mich loslassen soll, als ein Räuspern darauf hinweist, dass wir nicht alleine sind. Der Körper in meinen Armen versteift sich, da scheinbar auch ihm unsere Öffentlichkeit für einen Moment entfallen ist. „Meine Herren, wären Sie bitte so freundlich, und führen das später fort?“, kommt nun ein kühl gesprochener Satz dem Räuspern nach. Michael entfernt sich von mir und während er an meinen Augen vorbeischaut, steht er auf. „Es tut mir leid“, verbeugt er sich leicht. „Bitte führen Sie die Besprechung ohne mich fort.“ Und damit greift er nach meiner Hand und zieht mich mit sich. Mir fallen die Blicke auf, die uns folgen. Die meisten sind schockiert, einige angeekelt… Natürlich, es ist ihnen allen vollkommen klar, was zwischen Michael und mir ist. Erster Teil meines Planes geschafft, würde ich sagen, wenn es in diesem Moment nicht sie vollkommen lächerlich und fehl am Platz klingen würde. Ich greife fester nach Michaels Hand, senke meinen Blick und folge ihm einfach, egal wohin. In einem anderen, leeren Besprechungsraum kommen wir an und hier lässt er mich los. Doch er tritt nicht von mir zurück, steht sehr nah vor mir und sieht mir in die Augen. Aus verschwommener Sicht erwidere ich seinen Blick, während ich nach Luft ringe. Mit einem Mal scheinen alle Sachen, die ich ihm seit gestern an den Kopf werfen will, vergessen zu sein… Mein Kopf ist leer, und er dröhnt, und er ist überfüllt mit so vielen Fragen… Was ist bloß los mit mir? Wieso ist es so schwer, zu denken? „Sag was!“, schluchze ich. Ich hebe meine Hände und schlage ihm gegen die Brust. Dann verkrampfe ich meine Finger in seiner Anzugjacke. „Bitte“, flüstere ich, „Sag irgendwas!“ Er greift nach meinen Händen und umschließt sie sanft. Dann senkt er seinen Kopf und seine Stirn berührt die meine. „Du hast mich da drin ganz schön blamiert…“, flüstert er mit einem kleinen Lächeln. „Das…“ Ich muss lachen. „Das hast du verdient!“ „Ich weiß.“ Er löst eine meiner Hände und legt sie mir ins Haar, streift mir dies hinter die Ohren und streichelt meinen Nacken. „Es tut mir leid, was ich dir damals angetan habe“, spricht er ganz leise und ganz sanft. „Es tut mir leid, dass ich nicht nur einfach dein bester Freund sein konnte… Es tut mir leid, dass ich dich mit anderen Augen gesehen habe, dass ich mich nach dir gesehnt habe und mir wünschte, dich küssen zu können…“ Er schluckt fest. „Und es tut mir leid, dass ich dich zum Sex gezwungen habe…“ Ich schüttle den Kopf, atme schwer auf, klammere mich fester an seine Jacke. „Das hast du nicht…“, schüttle ich ein weiteres Mal den Kopf. „Ich meine… ich hab damit nicht gerechnet, ich wollte es in dem Moment nicht… es tat weh… aber das war nur weil… weil…“ „Weil?“ „Weil ich es mir anders gewünscht habe!“, hebe ich meinen Blick. „Du bist einfach so über mich hergefallen, du hast mich einfach so niedergedrückt, ohne Vorwarnung… Wenn du doch einfach nur gefragt hättest, ich hätte doch… ich habe doch…“ „Was?“ „Ich habe dich auch geliebt!“ Tränen laufen meine Wangen hinab, als ich meine eigenen Worte überhaupt realisiere. Ich habe sie nie ausgesprochen, habe sie nie gedacht, habe immer nur daran gedacht, was er mit mir gemacht hat… ganz rational, nie so, wie es mein Herz wollte… dabei wusste ich es doch bereits damals, wusste in dem Moment, als er mich küsste, was mein Gefühl bedeutete, dass ich schon so lange mit mir herumtrug… Ich wusste es… und doch habe ich es verdrängt, denn am meisten fühlt man sich von der Wahrheit getroffen, die man sich selbst verheimlichen wollte. Also habe ich es weiter getan, habe es weiter vor mir verheimlicht und habe dies auch erfolgreich geschafft… bis heute… bis jetzt. „Wie konntest du mich nur verlassen?“, keuche ich. „Du hättest mir sagen müssen, dass ihr umzieht! Du hättest mit mir darüber reden müssen! Uns wäre schon was eingefallen… wir hätten schon… irgendwie… das…“ Ich schüttle verzweifelt den Kopf, hebe meine Hände, streiche ihm durch die Haare. „Neun Jahre, verdammt… wir haben neun Jahre verloren!“ Er dreht den Kopf etwas, küsst meine Hand, lässt nun seinerseits seine Hände über mein Gesicht gleiten, seine Daumen über meine Wangenknochen. „Ich hab dich nie vergessen, nicht einen Tag…“, spricht er leise, sacht, mit einem vorsichtigen Lächeln. „Ich dich auch nicht…“, schluchze ich. „Was glaubst du denn, warum ich diesen bescheuerten Glücksbringer von diesem bescheuerten Fest immer noch in meinem Portmonee habe?“ Ich strecke ihm unter Tränen die Zunge raus, grinse schief. „Ich hab dir damals versprochen, dass du einmal ein sehr glücklicher Mensch werden wirst…“, stellt er kleinlaut fest, mit roten Wangen. „Ziemlich peinliche Worte für einen Sechzehnjährigen…“ „Ja…“ Ich grinse noch etwas mehr. „Aber jetzt ist der Sechzehnjährigen erwachsen… und er muss dafür sorgen, dass sein Versprechen wahr wird!“ „Kann er das denn?“ Ich zucke die Schultern, komme ihm etwas näher. „Ich weiß nicht…“ Ich küsse ihn sanft und streichle zärtlich die Narbe in seinem Nacken, welche ich damals, in jener verhängnisvollen Nacht, hinterlassen habe. „Vielleicht hat er das ja schon getan. Frag doch einfach mal nach…“ Damit sehe ich ihm ganz tief in die Augen, während mir das Herz aus der Brust springen will. Michaels Züge werden von einem Lächeln durchzogen als ich den sanften Atem auf meinen Lippen spüre. „Sagen Sie, Sind Sie glücklich?“, haucht er hinauf… …und ohne eine Sekunde überlegen zu müssen, hauche ich zurück: „Ja.“ ENDE "Späte Worte" 06. Juli 2008 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)