Spezialeinheit A von kikidergecko ================================================================================ Kapitel 8: Das Kreuz -------------------- "Sag mal Niko, was trägst du da eigentlich für einen Anhänger?" Kyeran war das dünne Goldkettchen schon sehr früh aufgefallen, aber der daran befestigte Anhänger befand sich immer unter Nikolajs Kleidung, so dass er bis jetzt keinen Blick darauf werfen konnte. Er grübelte schon eine Weile darüber, denn unter Dämonen trugen die introvertierteren Männer für gewöhnlich nicht so etwas. "Was? Oh, das ist nur ein Kreuz.", antwortete er geistesabwesend. Joe sog nervös die Luft zwischen den Zähnen ein. Er überlegte fieberhaft, wie er nun die Situation entschärfen könnte, doch es war zu spät. Kyeran blieb entrüstet stehen. "Moment. Ein Kreuz? Ein KREUZ? Joe, hat er eben gesagt, er trägt ein verdammtes Kreuz mit sich rum?" Er schlug theatralisch die Hände über dem Kopf zusammen. "Dafür wandern wir alle in den Knast, sobald wir hier fertig sind! Wieso hat mir niemand gesagt, dass der Typ ein radikaler Fanatiker ist?" Nikolaj verstand die Welt nicht mehr. Natürlich trug er ein Kreuz, er war schließlich getauft. Seit diesem Tag trug er es ständig als Zeichen seines Glaubens... oder vielleicht auch eher um nicht aufzufallen, denn in seinem Umfeld war dezenter religiöser Schmuck halt üblich. Joe packte die Gelgenheit, um einzulenken. "Jungs, wir sollten eine Pause machen. Diese Sache ist etwas, nunja, heikel." Also hielten sie an und tranken zunächst etwas. Kyeran ließ Nikolaj für keinen einzigen Moment aus den Augen. "Die Menschen", fuhr er schließlich fort, "wissen nicht über Jesus Bescheid. Als die ganze Sache aufkam, entschied sich das damalige Ministerium dass es unproblematischer wäre, die Menschen weiterhin in ihrem falschen Glauben zu lassen. Es hieß, die christliche Religion würde in einigen hundert Jahren sowieso wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wenn Jesus nicht mehr selbst an ihrer Verbreitung beteiligt wäre." Kyeran und Nikolaj saßen beide mit offenen Mündern vor ihm, doch aus verschiedenen Gründen. Der junge Dämon konnte es einfach nicht fassen, dass Menschen selbst heute noch diesem Monster huldigten! Seit drei Jahrhunderten hingen sie noch immer diesem egoistischen Hochstapler an und verbreiteten seine Schriften vermutlich sogar noch weiter! Nikolaj hingegen wiederholte Joes Sätze noch einmal langsam im Geiste, doch auch dann wollten sie kein bisschen mehr Sinn ergeben als zuvor. Redeten sie vom selben Jesus? "Hm, ich sollte vielleicht noch etwas weiter ausholen. 'Jesus von Nazareth', wie die Christen ihn nennen, kam gar nicht aus Nazareth, sondern aus Alexandria. Er trieb sich einige Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung als Sohn eines Bibliothekars in der berühmten Bibliothek von Alexandria herum. Völlig ahnungslos stolperte er dabei über alte Zauberbücher, und durch irgendeine Begabung oder Empfänglichkeit fand er Zugang zu dieser Magie. Im Geheimen bildete er sich autodidaktisch zum Magier aus und träumte davon, die Macht die sie mit sich brachte zu seinem Vorteil zu nutzen. Er wurde also größenwahnsinnig. Leider war er aber auch wirklich begabt, und so gelang es ihm schließlich irgendwie seinen eigenen Geist in fremde Körper zu übertragen und so der Sterblichkeit zu entgehen. Jesus begann also, als mächtiger Herrscher Länder zu erobern, das antike römische Reich beispielsweise wurde unter seiner Führung zum wahren Imperium. Er war immer einen Schritt voraus und es gelang ihm jedes Mal, den zahlreichen Intrigen, Attentaten und Anschlägen zu entgehen. Sein ultimatives Ziel war natürlich die Weltherrschaft, doch nebenbei verlor er auch die Magie nicht aus den Augen. Er entwickelte gefährliche Zauber und schrieb sie nieder, versteckt in kryptischen Versen und erfundenen Geschichten über seine eigene Person, die ihn natürlich als den Messias darstellten, auf den die jüdischen Gelehrten schon seit Ewigkeiten gewartet hatten." Nikolaj konnte es nicht fassen. Das durfte nicht sein! Das war unmöglich! Das ganze Christentum sollte eine Lüge sein? Die Bibel ein Zauberbuch? Nein, er konnte es nicht glauben. Obwohl er sich nie sonderlich viel aus Religion gemacht hatte, überschritt dies eindeutig eine Grenze für Nikolaj. Die Grenze des gesunden Menschenverstandes. Wer war dieser Joe überhaupt? Irgendein Amerikaner, der woher auch immer zaubern konnte und jetzt versuchte, ihm die Welt zu erklären? Nein, das konnte nicht sein. "Als er schließlich als Napoleon Bonaparte erneut versuchte, Europa einzunehmen, schritt das vereinigte Reich ein. In den vernichtenden Schlachten wurden viele verdeckte Dämonen eingesetzt und in Waterloo kam auch unsere Einheit zum Zuge. Schließlich wurde er verhaftet und verurteilt und sitzt nun in einem der Gefängnisse hier." "Wieso haben sie ihn eigentlich nicht einfach hingerichtet? So ein für alle Mal?", hakte Kyeran nach. Nikolaj war noch nicht wieder in der Lage, zu sprechen. Er musste das Geörte erst einmal verarbeiten und sein Verstand war dabei nicht gerade hilfreich. "So hat man ihn wohl besser unter Kontrolle. Darüber hinaus würde man sich vielleicht nur den nächsten Tyrann herbei züchten, wenn man seine Seele wieder dem üblichen Wiedergeburtenkreislauf hinzufügen würde." Eine Weile überlegten die beiden noch über diese Gründe, dann fügte Joe schließlich hinzu: "Und ich habe schon öfters den Satz gehört, dass die Unsterblichkeit eine ungleich schlimmere Strafe sein soll als der Tod. Wie dem auch sei, die Bibel ist im vereinigten Reich ein verbanntes Buch. Ich hoffe, du hast keine dabei, Nikolaj, sonst müssen wir die heute Abend wohl verfeuern. Hey, Nikolaj?" Der angesprochene reagierte nicht, er hatte auch gar nicht gehört, was Joe zuletzt erzählt hatte. Er spürte wieder Tränen hinauf steigen, diesmal aus Verzweiflung und Ratlosigkeit. Und da war wieder diese Wut, dieses seltsame neue Gefühl. Nikolaj wollte wieder weg. Wollte zurück in die Ukraine, zu seiner Mutter - Ach, seine Mutter war ihm so langsam auch egal! - nach Hause, wo er sich verkriechen konnte. Doch statt dessen konnte er sich nur ein paar Meter von ihrer Raststätte entfernen und auf den Horizont starren, dorthin wo sich der graue, wolkenverhange Himmel und die rote Felswüste trafen. Langsam verschwomm diese zunächst klare Linie, als sich ein Schleier über seine Augen legte. Im Hintergrund klapperte etwas, doch das wollte ihm egal sein. Er versuchte auch die Schritte zu ignorieren, die hinter immer lauter wurden. Kyeran seufzte. Wie konnte der Typ nur so stur sein und so pessimistisch gegenüber allem, was er erfuhr? Er hätte sich freuen sollen, dass er endlich die schreckliche Wahrheit über seine komische Religion erfahren hat, doch statt dessen stand er wieder so apathisch rum und heulte. Und da Joe anscheinend keinen blassen Schimmer von sozialem Umgang hatte, war er nun wieder an der Reihe den blonden Typen zu beruhigen. Zunächst sagte er nichts, beobachtete nur wie Nikolaj in die Ferne starrte. Scharf umrissene Gesichtszüge, hohe Wangenknochen, eine leichte Stupsnase, die irgendwie nicht so recht zum Rest zu passen schien und etwas struppige, ohne einen Sinn für Ästhetik gestutzte blonde Haare rahmten die traurigen graublauen Augen ein. Eigentlich sah er ja schon recht gut aus, dachte Kyeran und erschrak beinahe ein wenig vor seinen eigenen Gedanken. Dann brach auf einmal der Schelm in ihm durch. Ohne auch nur einen Moment lang darüber nachzudenken, drückte er Nikolaj einen Schmatzer auf die Wange und beobachtete grinsend die Reaktion. Nikolaj erschrak gehörig und zuckte zusammen wie nach einem Peitschenhieb. So oder so ähnlich fühlte sich die seltsame Berührung auch an. Er blickte Kyeran an und öffnete den Mund, nur um ihn danach wieder zu schließen. Nach einigen Sekunden fielen ihm schließlich wieder Worte ein, doch der Dämon war schneller. "Muss ganz schön hart sein, jeden Tag so viel Neues zu erleben, was?", begann dieser das Gespräch. "Naja, wenn das alles komplett neu wäre, hätte ich wohl nicht so sehr ein Problem damit. Aber wenn innerhalb von zehn Minuten Überzeugungen zerschlagen werden, die die Grundlage meines Lebens bildeten, dann ist das hart." "Hm, ja, krass. Wenn du nachher oder so nochmal über den ganzen Kram reden willst, stehe ich auf jeden Fall zur Verfügung. Nur damit dus weißt." "Danke." Tatsächlich fühlte Nikolaj sich ein wenig dankbar. So ein Angebot hatte er bisher noch nie bekommen. "Und sag mal, was war das eben eigentlich?" Damit hatte Kyeran nicht gerechnet. Verlegen versuchte er, ein charmantes Lächeln aufzusetzen um irgendwie eine Erklärung einzuleiten. "Tjaa..." Plötzlich erschraken sie beide gleichermaßen, als sie jeweils eine schwere Hand auf ihrer Schulter spürten. "So Kinder, das Essen ist fertig. Onkel Joe hat diesmal was ganz besonderes gezaubert!" Erwartungsvoll schauten sie sich um, doch Joe legte bereits eine entschuldigende Miene auf. "Standardrationen." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)