The Road von Polarfuchs (Street Soldier [SasuSaku]) ================================================================================ Kapitel 4: Andere Welten ------------------------ Davenport, Iowa Dezember 2008 Die Tage verschwimmen ineinander. Sie auseinanderzuhalten ist mir fast unmöglich. Rose hat den Kalender im Kopf. In der Hinsicht ist sie wie ein Pit Bull; lässt einfach nicht locker. Selbst bei der Kälte. Es fühlt sich täglich schlimmer an. Vor allem der Wind draußen zerrt an meinen Kräften. In den Nächten ist es kälter – auch ohne den Wind. Mittlerweile schlafe ich jede Nacht bei Rose. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, sie in den Arm zu nehmen – wegen der Körperwärme versteht sich. Aber Rose hat Angst. Nicht vor mir als Person, sondern mehr vor mir als Mann. Das ist mir aufgefallen. Ich denke mir, vielleicht hat man sie misshandelt; vielleicht vergewaltigt. Irgendwo steigt mir dabei immer wieder Hass auf. Ich mag Rose – irgendwie. Sie behandelt mich nicht besser als andere. Sie behandelt mich so, wie ich es in ihren Augen verdient habe. Und irgendwo will ich auch, dass sie so von mir denkt. Fast lache ich. Ein Mädchen. Sonst waren die Begegnungen meist oberflächlich. Nettigkeiten austauschen und sowas – alles um die Geschäfte nicht zu gefährden. Intim ist es nie so richtig geworden. Ein paar Küsse und ein bisschen Fummeln. Eine hat mich bis an ihre Titten gelassen. Riesen Dinger. Dann ist ihr Freund reingeplatzt. »Das wird Eisregen.« Rose friert. Ihre Lippen sind blau, teilweise auch lila. So dürr, wie sie ist, wundert es mich nicht einmal. »Ja. Vielleicht.« »Nein. Ganz sicher.« Sie deutet mit ihren schmalen Fingern in den Himmel. Dann zuckt sie mit den Schultern. »Im Wetterbericht kam’s auch.« Fast muss ich grinsen. Rose nimmt sich einen Moment, um einem hupenden Auto hinterher zu sehen. Nichts Besonderes. Hab es auch gar nicht richtig gesehen, da liegt Rose schon am Boden. »Kannst du nicht aufpassen, Schlampe?« So ein kleiner Möchtegern-Hip-Hopper schaut auf Rose runter, wie auf ein Stück Dreck. Er ist nicht älter als 16 und sieht mit seiner weiten Hose in den Kniekehlen mehr als lächerlich aus. Ich stelle mich vor Rose. »Reiß deine Fresse nicht so weit auf.« Reiner Instinkt. »Sonst was, Penner? Willst mich mit Müll bewerfen?« Seine beiden Begleiter lachen darüber. Es ist nicht witzig. Rose steht auf und versucht mich nach hinten zu ziehen. »Komm schon. Hör auf deine Hure. Zieh ab!« Irgendwo brennt mir eine Sicherung durch. Ich breche seine Nase mit einem sauberen Schlag. Es knackt eklig, aber es fühlt sich gut an. Seine Freunde brauchen einen langen Moment, bis sie verstanden haben, was los ist. Feiglinge, rede ich mir ein, als die den Wichser von mir wegzerren. Ich dreh mich um zu Rose. Sie hat Angst, dann schreit sie. Ich werde an der Schulter zurückgerissen und dann ist da der Schmerz, der sich von meiner Lippe über meinen Kiefer zieht. Kurz bin ich betäubt. Als er nochmal zuschlagen will, reiße ich ihn an den Schultern zu mir und trete ihm in den Magen. Er fällt. Ich trete nochmal zu. Er krümmt sich. Rose zerrt mich mit einer unglaublichen Kraft von ihm weg, immer weiter von der Straße weg, in der wir gerade noch waren. Irgendwann sind wir wieder in dem kleinen Zimmer im Lagerhaus. Rose zittert und starrt die Wand an. Ich sehe ihren Rücken. »Rose.« »Halt die Klappe!« Sie sieht mich aus ihren matten Augen an – irgendwo ist auch ein bisschen Wahnsinn. »Bist du verrückt? Völlig bekloppt?« Plötzlich laufen ihr Tränen über die Wangen. Erst zwei, dann vier, dann kommen keine mehr. »Die waren zu dritt. Die-Die hätten sonst was machen können.« Ihre Stimme überschlägt sich. »Rose.« »Nein! Verdammt, du bist nicht alleine. Du kannst nicht rumrennen und-und-« »Sakura!« Sie starrt mich an wie ein verschrecktes Reh, aber nicht weil ich sie angeschrien habe. Ich habe den Namen nicht mehr erwähnt, seit damals. Sie lässt die Schultern fallen; vergisst, was sie gesagt hat. »Ich hätte dich beschützt.« Sie schaut zu Boden, an die Wand, dann zu mir. »Du blutest.« Aus der Kommode zieht sie ein kleines Leinentuch. Es sieht mehr grau aus und etwas dreckig. Mich stört es nicht mehr. Rose wischt mir das Blut vom Gesicht. Sie ist vorsichtig, tut fast so, als wäre es ihre Schuld. Es erinnert mich an Mum. Der Gedanke tut weh. Das erste Mal seit langem frage ich mich, wo sie beerdigt wurden. »Ich hatte Angst.« Sie zögert einen Moment. »Nicht nur um mich.« Sie schenk mir einen Blick – offenbart mir ihre Angst und Sorge. Es beruhigt mich. Ich bin ihr nicht egal. Sie leckt das Tuch an, um das trockene Blut wegzubekommen. Ich starre sie einfach an, die kleine, süße Rose. Am Abend liegen wir wieder nebeneinander auf der Materatze unter den vielen Decken. Rose starrt an die Decke und denkt nach. Es ist nicht wie sonst. Sie denkt an etwas anderes. Plötzlich rollt ihr eine Träne über die Wange. Ich denke nicht nach. Mit einer Fingerkuppe fange ich den Tropfen auf. Sie dreht ihren Kopf zu mir und sieht mich an. Die Minuten verschwimmen wie zuvor die Tage. Irgendwann redet sie. »Meine Mutter hat auf der Straße gearbeitet, weißt du?« Sie flüstert. Ihr Blick heftet sich wieder an die Decke. »Sie hat’s versucht. Mich lieb haben, für mich da sein, eine gute Mutter sein eben. Irgendwann hat mich das Amt da weggeholt. Dachten, ich wär’n Opfer von Kinderhandel. Da war ich zehn.« Sie atmet tief durch. »Die Leute im Heim waren schlimm. Alle eigentlich, außer Heather. Sie war Studentin. Hat da Unterricht gegeben. Als ich 13 wurde, fand man sie tot im Mississippi River. Abgestochen wegen 15 Dollar 90. Ich bin dann weggelaufen. Ich wollte meine Mutter suchen. Ich hab sie nie gefunden.« Ich drehe mich in ihre Richtung auf die Seite. Meine Hand berührt ihre Schulter. Rose zuckt. Dann ist es okay. Meine Finger gleiten zu ihrem Hals, fühlen ihren Puls. Ihre Haut ist kalt, aber weich. Ich drehe ihren Kopf zu mir und lasse meine Hand auf ihrer Wange liegen. Wir sind uns so nah wie nie. Ihre Augen füllen sich mit Tränen und fangen an zu glänzen. »Ich bin schmutzig«, flüstert sie. »Ich bin ganz schmutzig.« Ich versuche sie zu beruhigen, aber die Tränen kommen und gehen nicht mehr. Ich ziehe sie zu mir, erinnere mich gleichzeitig, dass Mum das früher auch immer gemacht hat, um mich zu beruhigen. Sie weint laut, lässt sich gehen. Es ist okay. »Du bist nicht schmutzig.« »Doch, doch. Ganz dreckig.« »Du bist nicht dreckig.« Ich wiederhole es wie ein Mantra. Immer wieder. Küsse ihren Scheitel, als wäre sie das Wertvollste der Welt. Ich bin eingeschlafen. Keine Ahnung, wie spät es ist. Rose liegt zwischen meinen Armen. Ihr Gesicht hat sie meinen Pullover gepresst. Es ist ungemein angenehm, so mit ihr aufzuwachen. Mit einer Hand fahre ich ihr durch die Haare. »Tut mir Leid.« Dass sie wach ist, überrascht mich. »Was meinst du?« »Hab die Kontrolle verloren. Vergiss es einfach.« Ich ziehe ihr Gesicht hoch und lehne meine Stirn an ihre. »Nein.« Ich streichle ihr vorsichtig über die Wange. Will sie nicht verschrecken. Sie versucht ihr Gesicht runter zu drücken, aber ich lasse sie nicht. »Sasuke.« Es ist wie ein leises Flehen. Ich schüttle den Kopf. Es geht nur schwer, weil wir so nah beieinander liegen. »Wer hat dir wehgetan, Sakura?« »Nenn mich nicht so.« Sie weint nicht. »Erzähl’s mir.« Ich lasse zu, dass sie ihr Gesicht wegzieht. Es ist nicht leicht, rede ich mir ein. Sie hat Angst. »Sakura«, hauche ich rau. Plötzlich stößt sie mich von sich und es fühlt sich an, wie ein Tritt in den Bauch. Mir wird kurz schwindelig. »Fass mich nicht an!« Sie ist hysterisch und schubst mich von der Materatze, bevor sie sich an die Wand zwängt. »Lass das.« Der Boden ist kalt und mein Kopf tut weh. Bin wohl aufgeschlagen. Die Bilder drehen sich vor meinem Auge. »Sasuke?« Ich will antworten, weiß nur nicht so recht, was. Ich verstehe nicht, warum sie mich plötzlich weggeschubst hat. Es ergibt keinen Sinn. »Sasuke?« Ihre Stimme klingt fast weinerlich. Ihr Gesicht schiebt sich vor meine Augen. Sie zittert. Irgendwo neben mir knistert noch das letzte bisschen Holz in dem Zylinder. »Sag was«, fordert sie. Einen Moment glaube ich, dass sie Angst um mein Leben hat. Dann sehe ich sie direkt an. Ich nehme mir die Zeit, sie zu mustern. Ihre glatte Haut. Die matten Augen. Selbst ihre spröden Lippen. Sie ist alles andere als perfekt – auf eine merkwürdige Art und Weise aber trotzdem schön. »Sasuke?« Es ist nur noch ein Hauchen. »Der Boden ist kalt.« Sie schluchzt. »Tut mir leid. Tut mir leid.« »Hn.« Ich hebe meine Hand zu ihrem Gesicht. »Warum hast du sie nicht gefunden?« Ihr Wimmern verstummt fast ganz. Sie zieht ihren Kopf weg und starrt an die Wand. Mir ist nicht nach Aufstehen, auch wenn es kalt und unangenehm ist. »Sie war nicht da.« Wieder ein Schluchzen. »In ihrer Wohnung waren andere Leute.« Ich sehe an die Decke über mir. »Dann?« »Zwei Tage.« Sie wimmert lauter. »Zwei Tage, dann gab es keine Schulden mehr.« Ich frage nicht weiter. Zwei Tage Hölle. Vorstellen will ich mir nichts. Irgendwann stehe ich auf. Rose ziehe ich mit mir auf die Matratze, drücke sie fest an mich. Zuerst wehrt sie sich. Eine Umarmung ist ungewohnt – für uns beide. Dann ist es okay. Sie weint noch leise. Ich denke an Mum. Sogar an Vater. Zwischendrin sehe ich auch Itachi vor mir. Ich weiß nicht, wo er ist; warum er das alles getan hat. Ich sehe wieder das Blut vor mir und wie es an mir klebt. Es ist wie ein Wahn. Am liebsten würde ich irgendwas kaputt machen. Plötzlich schwenkt alles in Trauer um. Und ich halte Rose nur noch, um mit ihr zu weinen. 31. Dezember 2008 Plötzlich ist alles was wir tun und auf das wir hoffen auf eine Weise intim, die ich nicht verstehe. Jemanden zu halten und sich dabei selbst fallen zu lassen, mit ihm zu weinen und sogar mit ihm zu schweigen, hat plötzlich etwas von Fliegen. Ich habe mir nie Gedanken darum gemacht. Jetzt, wo dieses Jahr langsam zu Ende geht, lässt es mich aber nicht mehr los. Letzte Nacht habe ich von Mum geträumt. Sie hat gelächelt und mir durch’s Haar gestrichen und irgendwie war es mir nicht einmal unangenehm. Als ich aufgewacht bin hab ich Rose gesehen und ich hab mir gedacht, dass es okay ist, so aufzuwachen, auf diese intime Art. Ich habe sie beim Schlafen beobachtet und als sie dann wach wurde, hatte sie keine Angst. Jetzt stehen wir nebeneinander auf dem Dach des Lagerhauses, um dabei zuzusehen, wie etwas Altes zu Ende geht und etwas Neues beginnt. Irgendwo zwischen diesen beiden Dingen schwebt die Hoffnung auf ein neues Leben auf einer Seifenblase. »Meinst du, es wird besser?« Sie sieht mich nicht an. »Irgendwann?« »Weiß nicht.« »Und wenn?« »Weiß nicht.« Das Feuerwerk geht los. Es ist dunkel und einen Moment sieht es aus, als wäre es noch Tag. Dann sieht sie mich an. »Und jetzt?« »Irgendwann«, fange ich an. In ihren grünen Augen spiegelt sich das bunte Meer wieder. »Ich schwöre dir«, und ich sehe sie auf diese intime Art und Weise an. »Irgendwann bringe ich dich an einen sicheren Ort.« Ich verspreche es nicht nur ihr. Von einem Wir will ich noch nicht sprechen, aber sie weiß es. Irgendwann finden wir ein zu Hause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)