Höllenqualen von Nochnoi (Rasia Reloaded - Fortsetzung zu "Pakt mit der Hölle") ================================================================================ Kapitel 1: Nervender Besuch, scheußliche Keramiktöpfe, Kinder ohne Namensschilder und ein dreckiger Bengel ---------------------------------------------------------------------------------------------------------- Die meisten Tage laufen in der Hölle völlig normal ab. Morgens, wenn sich die sengende Glut über das Land erstreckt und die ersten Insekten verbrutzelt, die nicht schnell genug gewesen sind, schält man sich gähnend aus seinem Bett, lauscht dem betörenden Gekreisch der winzigen Kobolde, die von irgendwelchen größeren Kreaturen gepiesackt, zertrampelt oder aufgefressen werden und setzt sich gemächlich an den Frühstückstisch. So wenigstens läuft im Grunde jeder Morgen ab. Und auch an diesem speziellen Tag schien alles seinen gewöhnlichen Gang zu nehmen. Aber unglücklicherweise war das mehr als trügerisch. „Du solltest dich endlich mal wieder bei ihm blicken lassen. Er vermisst dich furchtbar.“ Die drängende Stimme meiner Schwester machte es mir ausgesprochen schwer, das angsterfüllte Geschrei des frechen Kobolds zu genießen, der es sich vor ein paar Tagen in meinem Garten bequem gemacht hatte und nun von meinen Neffen und Nichten aus seinem Bau gezerrt wurde. Die Kinder lachten fröhlich, während sie hemmungslos an dem Geschöpf herumzogen und ihn somit fast auf die doppelte Länge brachten. Gespannt wartete ich darauf, dass dieser Dreckskerl in alle Einzelteile gerissen wurde … leider war das Geschwafel meiner Schwester im hohen Maße ablenkend. „Kannst du nicht mal deine Klappe halten, Alymara?“, beschwerte ich mich. „Ich kann das Schauspiel gar nicht genießen.“ Alymara warf einen missbilligenden Blick auf ihre Kinder, die vergnügt durch meinen Garten tobten und dabei schrien wie eine Horde wilder Affen. Dass sie dabei einige karge Bäume anrempelten und entwurzelten, schien sie noch zusätzlich zu verärgern, mir persönlich machte das nicht das geringste aus. Diese blöden, toten Pflanzen hatte vor langer Zeit mein Cousin dort eingebuddelt, weil er den Anblick meines trostlosen Gartens nicht hatte ertragen können. Meine Aussage, dass das rote Feuergras mehr als ausreichend für mich sei, hatte er nicht weiter beachtet, sondern sich stattdessen sofort tatkräftig an die Arbeit gemacht. Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass dieser Cousin aus meiner Familie väterlicherseits stammt … Somit hatte ich nun wirklich nichts dagegen, dass Alymaras Horde meinen Garten auseinander nahm. Je weniger mich an meinen geistesgestörten Vater erinnerte, umso besser. „Ihr solltet dem blöden Vieh ordentlich die Ohren lang ziehen, da geben sie so schöne Geräusche von sich“, rief ich den Kindern aufmunternd zu. Sofort befolgten sie meinen Ratschlag und der Kobold stieß einen jaulenden Schrei aus, der sich wirklich gewaschen hatte. Ja, das war wirklich der Beginn eines guten Morgens. Leider waren da noch meine nervige Schwester und ihre leidigen Ansichten. Unverhofft hatte sie heute Morgen mit ihrer Rasselbande vor meiner Tür gestanden und irgendwas von Überraschungsbesuch gesäuselt. Ehe ich mich überhaupt hatte zur Wehr setzen können, hatten die Kinder mich schon ins Haus gedrängt und mich plappernd bestürmt, sodass ich keinerlei Chance erhalten hatte, mich irgendwie rauszuwinden. Und nun saßen wir hier in unseren Garten und ich ließ mich von Alymara beschwatzen, während ihre kleinen Racker wie Berserker durch die Gegend hüpften. Ein lauter Knall war plötzlich zu hören, der mich aufschauen ließ. Eines der Mädchen war gegen einen überaus unansehnlichen Keramiktopf gestoßen, den mein wahnsinniger Onkel mir als Souvenir von seinem Besuch aus der Menschenwelt mitgebracht hatte. Ich hatte das Ding gehasst wie die Pest, mich aber nicht getraut, es zu zerstören oder in die nächste Grube zu werfen, da mein Onkel überaus reizbar und rachsüchtig war, was solche Dinge anging. Normalerweise kümmerte es mich wenig, was meine Familie von mir dachte, aber dieser besagte Onkel war der ältere Bruder meiner Mutter und nicht weniger grausam als sie. Deswegen hatte ich bloß gelächelt, als er mir diese Scheußlichkeit überreicht hatte, mich artig bedankt und ihm innerlich die Krätze an den Hals gewünscht. Bis heute war ich felsenfest davon überzeugt, dass er mir dieses furchtbare Ding nur gegeben hatte, um mir eins auszuwischen. „Tut mir schrecklich leid, Tante Rasia.“ Die kleine Übeltäterin trat zu mir und setzte eine überaus zerknirschte Miene auf. Ich tätschelte ihr behutsam über den Kopf, während ich mich redlich bemühte, mich an den Namen des Mädchens zu entsinnen. Verdammt, warum musste meine Schwester auch so unsagbar viele Kinder haben? An der Zahl waren es genau 47 … oder doch 48? Ach, keine Ahnung, im Grunde spielte es nicht die geringste Rolle. Auf jeden Fall waren es viele! Und Alymara hatte darüber hinaus etliche Drillinge, Vierlinge und Fünflinge auf die Welt gebracht, die sich ähnelten wie ein Ei dem anderen und es der armen Tante Rasia unglaublich schwer machten, die ganzen Blagen voneinander zu unterscheiden. Alymara hatte sie ja auch unbedingt einen Teufelsdrachen anlachen müssen! Diese bestimmte Art der Teufel war besonders für ihre Zerstörungswut und ihre hohe Fortpflanzungsquote bekannt. In einem Schwung ließen sie drei bis sechs Babys auf die Welt los und je mehr solche kreischenden Winzlinge man vorzuweisen hatte, desto höher stieg das Ansehen. Potenz war bei diesen Geschöpfen das A und O. Und ich hatte darunter zu leiden! Zumindest war ich mir sicher, dass die reumütige Topfzerstörerin zu einer Vierlingsgruppe gehörte, genauere Angaben konnte ich aber wirklich nicht machen. Diese Kinder sollten echt mal alle Namensschilder tragen! „Ist schon gut, Kleine, der blöde Topf war sowieso scheußlich“, erklärte ich dem Mädchen. „Du hast mir damit einen Gefallen getan.“ Meine Nichte strahlte mich an und rannte dann sofort wieder los, um ihren Geschwistern beim Drangsalieren des Kobolds behilflich zu sein. Ich lehnte mich seufzend in den knarrenden Holzsessel zurück, den ich meinem Nachbarn von der Veranda gestohlen hatte, und wandte mich wieder meiner Schwester zu. „Deine Brut wird immer agiler“, sagte ich. „Irgendwann werden die noch deine ganze Bude auseinander nehmen.“ Im Grunde hatten sie das schon getan, zumindest größtenteils. Die Wände und das Fundament waren noch intakt, das Innere von Alymaras Haus glich jedoch einem Schlachtfeld. Somit war es kein Wunder, dass sie so oft wie möglich die Kinder aus der Wohnung haben wollte und sich ‚überraschend’ bei Freunden und Familienmitgliedern einquartierte. Viele hielten sie für ausgesprochen kontaktfreudig und freundlich, in Wahrheit aber ließ sie ihre kleinen Monster lieber die Häuser von anderen zerstören. „Lenk jetzt nicht vom Thema ab“, erwiderte meine Schwester unwirsch. „Wir haben über Vater gesprochen, schon vergessen?“ Oh nein, das hatte ich gewiss nicht. Nur hatte ich gehofft, dass sie es inzwischen vergessen hätte. „Du solltest dich wirklich mal bei ihm melden“, fuhr Alymara unermüdlich fort. „Wie lange hast du schon nicht mehr ein ernsthaftes Gespräch mit ihm geführt? Ein Jahr?“ Um es mal gleich vorweg zu nehmen: Ernsthafte Gespräche hatte ich mit diesem Trottel noch nie in meinem Leben geführt! Und ja, es stimmte, seit diesem Debakel vor mehr als einem Jahr ging ich ihm aus dem Weg. Nun gut, seine Gesellschaft war mir schon davor mehr als nur unangenehm gewesen, aber meiner brutalen Mutter zuliebe hatte ich mit den senilen Idioten wenigstens noch ein paar Worte gewechselt. Nichts Weltbewegendes, meist hatte ich ihn beleidigt und ihm seine Kleingeistigkeit unter die Nase gerieben, während er sich darüber amüsiert und das Ganze für einen Scherz gehalten hatte. Inzwischen aber grummelte ich ihn nur noch an, wenn ich ihn sah, oder schenkte ihm giftige Blicke. Sticheleien waren mir für diesen Kerl, der mir so dermaßen das Leben schwer gemacht hatte, seit der Sache mit dem Beschwörungshorn viel zu gut geworden. Im Grunde war er es einfach nicht wert, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit schenkte. Alymara jedoch vergötterte Shimo und konnte es selbstredend nicht verstehen, wieso ich ihm die kalte Schulter zeigte. Unglücklicherweise war sie viel zu sehr nach unserem Vater geraten. „Du kannst doch nicht immer noch böse auf ihn sein.“ Alymara seufzte schwer. „Ein bisschen auf die Erde gehen, sich mit ein paar Dämonen streiten – was ist schon großartig dabei?“ Ich musterte sie funkelnd. Ich wurde wirklich nicht gerne auf dieses finstere Kapitel meines Lebens angesprochen und noch weniger konnte ich es leiden, wenn diese Tage des Schreckens mit einem belanglosen Schulterzucken abgetan wurden. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was ich alles hatte durchleiden müssen! Blamagen, Erniedrigungen und nicht zu vergessen die unerträgliche Dummheit der Erdenbewohner! Alymara hatte keinen blassen Schimmer, wie es wirklich war. Sie saß hier, umgeben von ihrer Heerschar blutrünstiger Teufelskinder, und lebte ihr zuckersüßes Leben ohne Kummer und Sorgen. Was wusste sie schon? „Shimo und ich haben uns noch nie besonders gut verstanden“, entgegnete ich zähneknirschend. „Eigentlich ist es sogar ein Fortschritt, dass ich ihm nicht mehr andauernd Beleidigungen an den Kopf werfe.“ Ich musste zugeben, im Grunde war das nicht mehr als eine billige Ausrede, aber vielleicht hatte ich ja Glück und Alymara würde dieses nervende Thema endlich fallenlassen. Auf eine gewisse Art und Weise war es schließlich gar nicht so unwahr. Meine Schwester jedoch ließ sich davon nicht einwickeln, weiterhin bedachte sie mich mit diesen furchtbar vorwurfsvollen Blicken, sodass ich mir glatt wie eine Schwerverbrecherin vorkam. „Du solltest dir wirklich angewöhnen, ihn ‚Vater’ zu nennen“, tadelte sie mich. Ich konnte daraufhin nur verächtlich schnauben. Shimo war in meinen Augen kein Vater, sondern vielmehr ein lästiger Parasit, den es zu zerquetschen galt. „Vater hat sich sehr für dich eingesetzt, nachdem man dich des Staatsstreichs angeklagt hat“, versuchte es Alymara wieder mit dieser alten Leier. „Ihm hast du es zu verdanken, dass du nicht im Gefängnis verrottest!“ Wie so oft überschätzte meine Schwester unseren alten Herrn viel zu sehr. Gut, es stimmte, er hatte sich auf meine Seite gestellt und mich verteidigt, aber es war ihm kaum eine andere Wahl geblieben, immerhin war er für den ganzen Schlamassel verantwortlich gewesen. Nach dem unerwarteten Tod der Oberteufel – na ja, vielleicht trudelten sie auch nur im Weltall dumm vor sich rum und nagten an ihren Fingernägeln, wer wusste das schon so genau? – waren die Bewohner der Hölle nicht besonders angetan gewesen. Als Sündenbock hatte man mich auserkoren, jene leichtfertige Teufelin, die die Erdlinge in unsere Welt gebracht hatte. Man hatte mich des Verrats bezichtigt und mir Machtgier vorgeworfen – ausgerechnet mir, die ihm im Grunde nur ein Opfer der Umstände gewesen war! Aber anfangs hatte niemand auf mich hören wollen. Ich hatte mich bereits als Gefängnisinsassin gesehen, mein Leben war an mir vorbeigezogen und ich hatte sowohl Shimo als auch Inuyasha Tag und Nacht verflucht. Wegen der Beschränktheit solcher Individuen bestraft zu werden, war mehr als nur schrecklich, es war einfach ungerecht. Zu meinem Glück hatten mir einige einflussreiche Personen bei beigestanden. Beispielsweise meine Eltern, die sich als Wächter beziehungsweise Henkerin einen gewissen Ruf hatten aufbauen können. Selbst Krytio, Bariums ehemaliger Assistent, hatte ein gutes Wort für mich eingelegt. Das Ableben der Oberteufel hatte ihn zwar schwer mitgenommen, aber sein Faible für meine Wenigkeit war mir zugute gekommen, sodass er seine Beziehungen hatte spielen lassen, um mich vor einer Haft zu bewahren und somit weiterhin mit seinen Avancen und Heiratsanträgen nerven zu können. Die wichtigste Stimme war aber von Lucifer höchstpersönlich gekommen, dem neuen Herrscher der Unterwelt. Schließlich hatte er es indirekt irgendwie mir zu verdanken, dass er nun diese hohe Position bekleidete und sich dort pudelwohl fühlte. Wahrscheinlich hätte er mir sogar liebend gern ein Präsentkörbchen überreicht und sich überschwänglich bei mir bedankt, hatte aber davon abgesehen, da dies vermutlich zu falschen Schlussfolgerungen geführt hatte. Somit hatte er sich bloß mit stolz geschwellter Brust vor mir aufgebaut, mir wie einem kleinen Kind die Hand auf den Kopf gelegt und mir Amnestie gewährt. War das zu fassen? Ich – Rasia, die Tochter der schrecklichen Tyaria, Zerstörerin von Städten und Welten – war nur durch die Hilfe minderbemittelten Gestalten wie Lucifer und Krytio vor dem Knast bewahrt worden. Irgendwie überaus beschämend … „Auf jeden Fall solltest du dankbar sein, dass du heil aus dieser Sache herausgekommen bist“, meinte Alymara. „Inzwischen lieben dich die Leute sogar.“ Ja, das war sogar noch verrückter. Anfangs hatte man mir Vorwürfe gemacht, mich gehasst und verachtet, während sie diesen dämlichen Oberteufeln heulend hinterher getrauert hatten. Diesen alten Knackern überhaupt nur eine Träne nachzuweinen, hielt ich persönlich für völlige Zeitverschwendung, aber die meisten beschränkten Teufel hatten in den Klappergestellen so etwas wie Könige und Götter gesehen. Inzwischen schien das aber alles vergessen. Lucifer war im Verlauf des letzten Jahres in der Beliebtheitsskala steil nach oben geschossen, mit einem Mal war er der strahlende Obermacker und kaum einer der Teufel war noch dazu imstande, die Namen der im Universum rungurkenden, ehemaligen Herren in sein Gedächtnis zu rufen. Tja, so schnell kann’s gehen. Von heute auf morgen haben dich deine Anhänger vergessen und man ist nichts weiter als „der Kerl, der vor dem großen Lucifer regiert hat“. Einerseits freute es mich natürlich, dass durch diese unerwartete Wendung der Dinge die anderen Teufel mich nicht mehr bis aufs Blut hassten, sondern mir sogar regelrecht zugetan waren. Aber andererseits konnte ich mich immer noch nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass ausgerechnet der Hirni Lucifer unser aller Herrscher sein sollte. Gut, zugegeben, die Oberteufel waren auch nur eine Bande seniler, altersschwacher Trottel gewesen, die nichts mehr ordentliches auf die Reihe bekommen hatten, doch ehrlich gesagt war Lucifer auch nicht viel besser. Er erließ alberne Gesetze – zum Beispiel durfte man Schnecken und Mücken auf keinen Fall die Vorfahrt nehmen oder während eines Kopfstands nicht rülpsen – und machte sich einen Spaß daraus, seine neugewonnene Macht gehörig auszunutzen. Er war im Grunde wie ein kleines Kind, dem man eine Bombe in die Hand gedrückt hatte. Noch war alles mehr oder weniger in Ordnung, aber schon bald könnte es eine heftige Explosion geben. „Hast du eigentlich schon von der Sache mit Krytio gehört?“, fragte Alymara. Offenbar hatte sie endlich begriffen, dass ich keinerlei Bock hatte, mich über Shimo zu unterhalten oder überhaupt nur an ihn zu denken. „Was ist denn mit ihm?“ Im Grunde interessierte mich das Thema ebenso wenig, aber wenn ich die Wahl hatte zwischen meinem geistesgestörten Erzeuger und diesen bunten Paradiesvogel, würde ich mich jederzeit für Krytio entscheiden. Er war zwar nervtötend und über alle Maßen lästig, aber wenigstens hatte ich eine ganz gute Chance, ihn mit meiner bissigen Art doch eines Tages für immer vertreiben zu können. Meinem Vater hingegen fehlten entscheidende Gehirnzellen, um die potenzielle Bedrohung überhaupt wahrzunehmen. „Er ist verschwunden.“ Alymaras Stimme hatte plötzlich einen verschwörerischen Tonfall angenommen, der mich wahrscheinlich dazu bringen sollte, vor Spannung zu zerplatzen. Um wenigstens ein bisschen Reaktion auf diese Enthüllung erkennen zu lassen, gähnte ich herzhaft. „Vielleicht hat ihn ja ein Drachen gefressen.“ Das hoffte ich wirklich von ganzem Herzen. Ich war immer noch sauer auf Miroku und sein dämliches Schwarzes Loch, dass sie diesen Idioten nicht auch eingesaugt hatten. Alymara jedoch achtete nicht auf meinen Kommentar. „Offenbar wird er schon längere Zeit vermisst, nun fast einen Monat. Lucifer hat versucht, es geheim zu halten, aber ich habe zufällig etwas aufgeschnappt, das durchgesickert ist.“ Wirklich überrascht war ich nicht. Alymara war die größte Klatschtante, die mir je untergekommen war, jedes Quäntchen an Information saugte sie auf wie ein Schwamm. Bevor man morgens überhaupt entschieden hatte, was man anziehen wollte, war sie bereits über die wichtigsten Themen informiert und kannte jedes auch noch so schmutzige Geheimnis. Vor ihr war wirklich nichts und niemand sicher. Im Grunde war es schon richtig unheimlich. Ehrlich gesagt wollte ich gar nicht so genau wissen, in wie vielen Gärten sie rumkrauchen und in wie viele Schlafzimmer sie spicken musste, um an ihre Informationen zu gelangen. „Wie lange hast du ihn denn nicht mehr gesehen?“, erkundigte sie sich interessiert bei mir. „So an die sechs Monate“, meinte ich mit einem schiefen Lächeln. Nur zu gerne erinnerte ich mich an diesen wunderschönen Tag, an dem mir Krytios Annäherungsversuche endgültig den Kragen hatten platzen lassen. Ich hatte ihn mit einem glühenden Feuerball beglückt und ihm im hohen Bogen aus meinem Haus geworfen. Seitdem hatte er nicht mehr nicht gewagt, sich persönlich bei mir blicken zu lassen, sondern hatte mir stattdessen nervige Briefchen und andere Aufmerksamkeiten zukommen lassen, die ich selbstverständlich allesamt dem Flammentod überantwortet hatte. Nachdem einige Wochen dann rein gar nichts mehr angekommen war, war in mir die vage Hoffnung aufgekeimt, dass er vielleicht endlich aufgegeben hatte. Offenbar hatte ich mich zu früh gefreut. Nun ja, wenn er in irgendein finsteres Loch gestolpert war, würde er mich wohl auch nicht mehr belästigen. Außer er hatte sich dazu entschieden, mir auch als Geist aufzulauern. Nicht gerade selten bei uns hier in der Hölle. Meine Nachbarin war nach dem unglücklichen Tod ihres Liebhabers – ihr war aus Versehen ein Messer in seine Brust gerutscht – noch monatelang von seinem Geist verfolgt worden. Er war ihr auf Schritt und Tritt gefolgt, hatte den Teufeln um ihr herum unanständige Grimassen gezogen und sich überdies einen Spaß daraus gemacht, in den unpassendsten Gelegenheiten lautstark und mit krächzender Stimme irgendwelche Volkslieder durch die Gegend zu grölen, sodass reihenweise Höllenvögel tot von den Bäumen gefallen waren. Sein Treiben hätte wahrscheinlich kein Ende genommen, wenn man ihm nicht einen Staatsgeist auf den Hals gehetzt hätte. Diese Seelen arbeiteten für die Regierung und hatten die Aufgabe, solch nervenden Poltergeistern dermaßen auf den Wecker zu gehen, dass sie irgendwann vor Wut platzten. Der damit beauftragte Staatsgeist hatte seine Aufgabe wirklich ausgesprochen gewissenhaft ausgeführt und den toten Liebhaber Tag und Nacht mit irgendwelchen langweiligen Geschichten zugelabert, bis dieser schließlich explodiert war. Immer wieder ein herrliches Bild, zu sehen, wie diese Idioten in die Luft flogen. „Man könnte ja denken, er wäre einfach mal abgehauen und hätte sich eine kleine Auszeit gegönnt“, fuhr Alymara munter fort. Dass mich das Thema so dermaßen interessierte wie ein Affenfurz, schien sie nicht weiter zu kümmern. „Wahrscheinlich wird Lucifer auch diese Version verbreiten lassen, damit keine haarsträubenden Gerüchte in Umlauf geraten. Fakt ist jedoch, dass man Krytios Tochter bei sich zu Hause völlig alleine vorgefunden hat, von ihrem Vater fehlte jede Spur.“ Nun gut, ich musste zugeben, das war wirklich ein wenig merkwürdig. Man mochte viel über diesen Volltrottel sagen können, aber er liebte seine kleine Prinzessin abgöttisch und hätte sie sicherlich nicht einfach so zurückgelassen. Tja, ganz eindeutig: Ein Drache hatte ihn gefressen! Der Tag schien doch noch ganz viel versprechend zu beginnen. „Ich seh schon, was du denkst, aber du tust dem armen Kerl Unrecht“, erwiderte meine Schwester schnaubend. „Ich kenne ihn auch ein wenig privat und glaub mir, er würde dir sicherlich gefallen, wenn du dir nur die Mühe machen würdest, ihn etwas näher kennen zu lernen.“ Ich rollte genervt mit den Augen. Kein Wunder, dass sie in ihm einen Traumprinzen sah, dieses Erbsenhirn erinnerte viel zu sehr an Shimo. Alymara mochte diesen Umstand ja sehr begrüßen, mich brachte es aber nur zum würgen. Bevor Alymara dieses quälende Gespräch weiter fortführen konnte, eilte plötzlich eine meiner Nichten zu uns herüber. Es war die Topfzerstörerin von vorhin … oder eine ihrer Vierlingsschwestern. Hatte ich schon erwähnt, dass die Gören unbedingt Namensschilder brauchten? „Tante Rasia, da hinten ist irgendwas Komisches in deinem Garten“, klärte sie mich auf. Ihre Wangen waren vor Aufregung ganz rot gefärbt, während sich ihr Stimmchen geradezu überschlug. Ich schaute auf. Die Rasselbande hatte sich etwas weiter entfernt zu einer Traube zusammengefunden und schnatterte wild durcheinander. „Dann tötet es“, meinte ich abwinkend. „Ihr könnt den Kadaver dann behalten und eurer Oma schenken, die freut sich bestimmt riesig darüber.“ Das Mädchen biss sich unsicher auf die Unterlippe. „Aber dieses Ding … es ist so komisch. Es sieht aus wie ein Teufel, aber es stinkt ganz furchtbar.“ Nun war meine Neugier geweckt. Ich schwang mich aus meinem Gartenstuhl und folgte meiner Nichte zu der großen Ansammlung. Die Kinder wichen ehrfurchtsvoll vor mir zurück und bildeten einen Gang, sodass ich einen wunderbaren Blick auf diesen ominösen Besucher hatte. Und das Ding war in der Tat merkwürdig. Äußerlich wirkte es wie ein Junge: blond, blass, spitze Nase, verkniffener Mund, kackbraune Augen und ausgesprochen mickrig. Eine Windböe hätte dieses Vieh wahrscheinlich in den nächsten Bezirk der Hölle geweht. Und hätte man ihn kurz angetippt, wäre er vermutlich in alle Einzelteile zerfallen. Der Bursche sah reichlich mitgenommen aus. Seine Haare standen dermaßen ab, dass man den Eindruck gewann, er wäre von einem Blitz getroffen worden, und seine Kleidung war zerrissen und dreckig, als hätte er sich zwei Wochen durch den Urwald geschlagen. Und er müffelte wirklich. Nach Schweiß, Asche, Dreck … und etwas anderem, das mir unheimlich bekannt vorkam, was ich aber nicht näher zu benennen wusste. „Was ist das, Tante Rasia?“, fragte einer meiner Neffen interessiert. Hingebungsvoll bohrte er in seiner Nase und starrte den Jungen mit großen Glubschaugen an. „Ich bin mir nicht sicher“, gab ich zu. Er beugte mich etwas herab, um den Besucher näher inspizieren zu können. „Was bist du, Kleiner? Kannst du sprechen?“ Einen Augenblick starrte mich der Junge mit einer undefinierbaren Miene an, dann aber öffnete er seinen Mund und fragte: „Bist du wirklich Rasia? Die Rasia?“ Irgendwas an seinem Tonfall gefiel mir nicht. Er erschien mir … lauernd. Wie ein Raubtier auf Beutezug. „Du meinst die Rasia, die die Oberteufel auf dem Gewissen hat?“, erkundigte sich der Nasenbohrer begeistert. „Ja, genau das ist sie!“ Ich warf dem Bengel einen vernichtenden Blick zu. Dieser Kommentar hätte wirklich nicht sein müssen … Zu ihren Namensschildern sollten diese Gören auch noch Fesseln und Knebel bekommen. Unser merkwürdiger Besucher war inzwischen auf mich zugewankt. Er bewegte sich wie jemand, der schon tagelang durchmarschiert war und dessen Füße mindestens zweihundert Blasen, sechsundzwanzig Furunkel und vierzehn Fußpilze befallen hatten. Das mag vielleicht seltsam klingen, ist aber gar nicht so abwegig. Mein Onkel Alfred hatte die unzähligen Knubbelchen auf seinen Füßen sogar liebevoll mit Namen versehen. Und er hatte dafür nicht mal Namensschilder gebraucht. Der Junge torkelte auf mich zu, als sei er besoffen, und schließlich stolperte er und konnte nur einen unerfreulichen Kontakt mit dem Boden vermeiden, da er sich an mir festkrallte. Ich stieß eine Verwünschung aus und schubste den Bengel unsanft von mir weg. Ich hoffte wirklich, dass dieses Ding keine ansteckenden Krankheiten mit sich rumtrug. Man konnte ja nie wissen, wo sich solche Viecher davor alles herumgetrieben hatten. „Tante Rasia, schau mal! Er hat dich angemalt!“, schrie plötzlich eins der Kinder aufgeregt. Im ersten Moment begriff ich nicht ganz, dann aber hob ich auf den Fingerzeig der kleinen Gören den rechten Arm und inspizierte meinen Handrücken. Dort, wo der Junge nur kurz meine Haut berührt hatte, befand sich nun ein merkwürdiges Zeichen, eine Art Kreis mit einigen eigenartigen Symbolen. Die rötliche Farbe, in der es gehalten war, wirkte etwas blass, sodass ich die Runen nicht zu identifizieren vermochte. Fluchend rieb ich über den Handrücken … nur um festzustellen, dass es nichts das Geringste brachte. „Was soll das, Kleiner?“, zischte ich den Bengel an. „Hast du denn keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast? Man malt mich nicht einfach an!“ Der Junge aber grinste nur breit und heimtückisch. „Jetzt gehörst du mir!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)