Catrek-Chronik von Ace_Kaiser (Abenteuer in einer Fantasy-Welt) ================================================================================ Kapitel 3: Conrad 3 ------------------- „Was mache ich eigentlich hier?“, brummte Conrad Waldek unwillig. „Ich kann meine Zeit auch besser verwenden.“ Der Blick des zukünftigen Ministers ging über die Jahrgangsklasse eins, also jene zukünftigen Herrscher, Minister und Kanzler, vor denen er vor gar nicht allzu langer Zeit die Antrittsrede gehalten hatte. Dementsprechend war keiner der Menschen, Dämonen und Götter in diesem Raum älter als sechzehn Jahre. Für jemanden wie ihn, der schon im Kampf gestanden hatte und der fünf Jahre in Folge das Amt als Jahrgangssprecher ausgeführt hatte, war das schon ein wenig eine lästige Pflicht. Und er hatte wirklich Wichtigeres zu tun. „Du bist hier, weil dein Bruder Amrin vor genau vier Jahren an genau dieser Stelle stand und dir und uns anderen auch diesen Vortrag gehalten hat“, tadelte Selestin mit einem Lächeln. „Willst du nicht ein wenig von dem zurück geben, was die Akademie Catrek dir gegeben hat?“ „Erinnere mich nicht daran“, ächzte Conrad auf. An den Vortrag seines großen Bruders hatte er ebenso wenig gute Erinnerungen wie an das eine Jahr, das sie damit notgedrungen zusammen auf Catrek verbracht hatten. Himmel, Amrin war ja so... Anhänglich gewesen und hatte Conrad vor alles und jedem in Schutz genommen. Das war sogar so weit gegangen, dass er versucht hatte, dem kleinen Bruder das Reittraining zu verbieten, weil ihm das zu gefährlich erschienen war. „Wie wäre es denn damit, das du hier und jetzt die Gelegenheit hast, eine Brücke für all diese Kinder zu bauen?“, warf Mirk ein. „Eine Brücke über die Rassengrenzen hinaus, die diese Kinder dazu bewegt nicht mehr daran zu denken, ob der Nachbar Gott, Mensch oder Dämon ist? So wie dein Bruder es für uns getan hat?“ „Gut, gut“, wandte Conrad ein, und erinnerte sich daran, dass er tatsächlich die Worte seines Bruders zu Herzen genommen hatte und auf Mirk und Torandil zugegangen war. Daraus hatte sich eine stabile, herzliche und ehrliche Freundschaft entwickelt, die sicherlich auch noch andauern würde, nachdem sie Catrek verlassen hatten. „Versuchen wir es mal mit dem Brückenschlag.“ Logg Andei, der Philosophie-Lehrer, war ein Mensch. Und er war uralt. Spötter behaupteten, seine Falten hätten mittlerweile Falten, aber das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Für das Alter von einhundertneunzehn Jahren wirkte er bestenfalls wie einhundert. Solch ein Alter zu erreichen war schon eine große Leistung für einen Menschen, und man munkelte, dass Logg eine lange Zeit eine Beziehung zu einer Göttin gehabt hatte, was für seine Vitalität verantwortlich gemacht wurde. Im Moment sprach er mit klarer, sonorer Stimme zu den jungen Kadetten, die seinem Aussehen Hohn sprach. Sie schien eher zu einem stabilen Mittvierziger zu gehören und nicht zu dem Graubart vor ihnen. Aber wie er immer zu sagen pflegte: Sinnvolle Arbeit hielt jung. „Darum bitte ich euch, hiermit den Jahrgangssprecher des Fünften Jahrgangs zu begrüßen, der erst vor kurzem von einer Expedition gegen Piratengesindel zurück gekehrt ist: Conrad Waldek.“ Conrad konnte es kaum fassen, die Kinder standen für ihn auf und applaudierten. Musste man also einfach nur ein paar Menschen töten, um andere Menschen zu Begeisterungsstürmen hinzureißen? Was für eine kranke Welt dies doch war. Er gab sich einen Ruck und trat an das Rednerpult. Mirk und Selestin begleiteten ihn, blieben aber deutlich hinter ihm. „Guten Morgen, Erster Jahrgang“, sagte Conrad fest und ließ seinen Blick über dreiundvierzig hoffnungsvolle junge Menschen schweifen. „Guten Morgen!“, hallte es ihm begeistert entgegen. Damit konnte er nicht wirklich umgehen. Er war es gewohnt, wegen der eigenen kühlen Art auch selbst etwas kühl behandelt zu werden. Dem Glanz in den Augen dieser Kadetten nach zu urteilen konnte er von ihnen keine objektive Beurteilung erwarten. „Wie ihr schon gehört habt, ist mein Name Conrad Waldek. Vor ziemlich genau vier Jahren saß ich dort wo ihr sitzt, und ein anderer stand an dieser Stelle und wollte mir einen Vortrag über Ethik halten. Ich hätte ihn beinahe ausgelacht.“ Für einen Moment sah Conrad zur Seite, warf Selestin und Mirk je einen kurzen Blick zu und erntete von beiden ein Schmunzeln. „Ich war ein Idiot damals, und dieser Vortrag hat mir die Augen geöffnet. Er wurde der Schlüssel für die besten Dinge in meinem weiteren Leben.“ Ein leises Raunen ging durch die Reihen der jungen Leute. „Das Thema dieses Vortrags ist Rassenkunde. Unser größtes Problem auf dieser Welt ist, dass die Macht, die uns alle erschaffen hat, auch die Furcht erfunden hat. Versteht mich nicht falsch, Furcht ist wichtig. Sie warnt uns vor Gefahr, schützt uns davor, unsinnige Risiken einzugehen-“ „Meistens“, warf Mirk grinsend ein. „Meistens“, bestätigte Conrad und dachte an die eine oder andere Sünde, die ihm nicht passiert wäre, wenn er Furcht empfunden hätte. „Kurz und gut, Furcht ist wie ein auf beiden Seiten geschliffenes Schwert. Furcht nützt, aber sie schadet uns auch sehr. Was hat Furcht nun mit Rassenkunde zu tun? Was hat Rassenkunde mit Ethik zu tun? Ich will es euch sagen: Wir fürchten was wir nicht kennen. Wenn wir etwas kennen fürchten wir es vielleicht immer noch, aber in den meisten Fällen tun wir das eben nicht. Und das größte Übel, das wir auf dieser Welt haben, das ist, dass die Menschen, die Götter und die Dämonen einander oft überhaupt nicht kennen. Im Gegenteil. Sie fürchten sich oft vollkommen grundlos. Ganz einfach weil sie es nicht besser wissen. Sie hören Gerüchte, Märchen, Schauergeschichten, und nehmen sie als Wahrheit hin, weil sie nie die Gelegenheit haben, diese zu hinterfragen, zu korrigieren. Das ist vielleicht legitim in euren Heimatländern, weil ihr dort vielleicht niemals einem Menschen, einem Gott oder einem Dämon begegnen werdet, aber sicher nicht an dieser Schule. Hier, Herrschaften, lernt ihr einander kennen, und es ist gut wenn ihr dies tut, ohne vor Angst nicht schlafen zu können. Hinter mir stehen eine Göttin und ein Dämon. Ich selbst bin ein Mensch. Man kann wirklich sagen, das wir drei Freunde sind. Gute Freunde. Wie ist das möglich? Nun, wir kennen einander. Und wir fürchten einander nicht, im Gegenteil.“ Er deutete nach rechts. „Selestin Northim ist eine Göttin. Was ist ein Gott? Ich höre oft davon, dass man sagt, Götter seien sphärische Wesen von unendlicher Schönheit, die der Wirklichkeit entrückt sind, und die vor Arroganz pulsieren. Nun, in Selestins Fall haben sie zumindest mit der unendlichen Schönheit Recht.“ „Conrad“, tadelte die Göttin halbherzig und errötete. „Und mit der pulsierenden Arroganz“, nuschelte Mirk. „Hast du gerade irgendwas gesagt?“, fuhr Selestin mit blitzenden Augen auf. „Ich habe nur Conrads Redestil gelobt“, wiegelte der Dämon ab. „Wie dem auch sei“, sagte Conrad fest und riss die Rede wieder an sich, „Mirk Farem ist ein Dämon. Was weiß man über Dämonen? Oder besser gesagt was glaubt man über sie zu wissen? Es ist unglaublich, aber es gibt immer noch Menschen an dieser Schule, die denken, Mirk würde Blut trinken. Man nennt Dämonen düster, hässliche verwarzte Kreaturen, welche die Sonne scheuen, die sich vom Fleisch der Lebenden ernähren und die alles Schöne und Natürliche hassen.“ „Wäre dem so, dann wäre ich ja ein Verbannter“, sagte Mirk, ließ seine Zähne aufblitzen und warf dabei sein langes schwarzes Haar elegant nach hinten. Ein Seufzen ging durch die anwesenden Mädchen, und Conrad machte sich gerade klar, dass der Dämon wieder einmal ein Dutzend oder mehr Verehrerinnen dazu gewonnen hatte. „Was macht nun mich als Menschen aus? Was weiß man über uns? Wir sind faul, trampelig, leben nicht lange, wissen die schönen Dinge nicht zu schätzen, sind aber von einer Arroganz erfüllt, weil wir meinen, wir müssten unbedingt die Herren der Welt sein. Dabei töten und vernichten wir, wie es uns immer in den Kram passt. Wir Menschen sind mit Abstand die bösestes Rasse auf dieser Welt.“ Unruhiges Raunen ging durch den Saal. „Das ist natürlich alles Quatsch. Und ich bin heute hier, um mit Hilfe von Selestin und Mirk einige dieser Vorurteile gerade zu rücken.“ Conrad deutete in Selestins Richtung. Die Göttin trat einen Schritt vor. „Selestin kommt von der Götterinsel Turen, auf der es mehrere Nationen der Götter gibt. Götter leben sehr lange. Sie erreichen eine Lebensspanne von zweihundert bis vierhundert Jahren. Die meisten schaffen irgendetwas dazwischen. Für einen Menschen eine erstaunliche Zeitspanne. Was macht sie so besonders? Nun, es ist ein Gerücht, das alle Götter atemberaubend schön sind. Das stimmt natürlich nicht, und Selestin ist da eher die Ausnahme.“ „Gib dir keine Mühe“, murmelte Selestin in Conrads Richtung, während sie die Kadetten anlächelte, „ich bin dir schon verfallen.“ Der Jahrgangssprecher hüstelte verlegen, um seine Kehle wieder frei zu bekommen. „Darüber hinaus haben alle Götter eine gewisse Affinität zur Magie, die bei uns Menschen und den Dämonen eher selten vorkommt. Viele gute Magier sind Götter, wenn auch nicht alle. Was ist noch über sie zu sagen? Alle Götter tragen eine Aura, die sie dieser Magie verdanken, und diese Aura befähigt die Götter zu vielen kleinen Dingen, welche die Menschen und die Dämonen nicht beherrschen und sicher auch nie beherrschen werden. Zum Beispiel können sie Mineralien im Boden erahnen. Sie können eine Pflanze entweder zum Wachstum anregen oder sie verdorren lassen. Dies nur als Beispiel.“ Nun winkte er Mirk nach vorne. „Was macht einen Dämonen wir Mirk aus? Was ist besonderes an ihm, wenn er nun doch kein Blut trinkt? Tja, ich sage es offen heraus: Dämonen können noch einmal hundert oder mehr Jahre älter werden als die Götter.“ Ein leises Raunen ging durch die Reihen derjenigen, die damit gestraft waren, Götter oder Menschen zu sein. „Es gibt aber eine Sache, welche die Dämonen wirklich schrecklich macht. Irgendwie müssen sie ja zu ihrem Namen gekommen sein. Dies ist das Berserkertum.“ Conrad sah in die Runde. „Bevor ich dies genauer erkläre, möchte ich euch eine Frage stellen: Wann ist eine Waffe gefährlich? Wenn sie am Boden liegt, oder wenn ein starker Arm sie führt? Die Antwort ist eindeutig, oder? Außer, ihr rechnet damit, über die Waffe zu stolpern und euch alle Knochen zu brechen.“ Leise Lacher erfüllten den Raum. Conrad nickte Mirk zu. „Die Berserkerhaltung ist eine natürliche Waffe, welche die Dämonen besitzen. Mirk, bitte.“ Der Dämon lächelte im ersten Moment, dann aber verzerrten sich seine Züge, er zog die Lippen zurück und entblößte seine vier Eckzähne. Da diese durchaus länger als bei den Göttern oder Menschen waren, sah das schon furchtbar aus. Wenn man davon absah, dass sie in perfekt gepflegten weißen Zahnreihen saßen. „Mirk ist nun in Berserkerhaltung. Dies ist ein meditativer Zustand, den Dämonen erreichen können, wenn sie lange und hart an sich arbeiten. Bitte lass das mit den Zähnen, das ist peinlich, Mirk.“ Der Dämon schob die Lippen zurück, strahlte aber eine Aura der Kraft aus. „Was ist diese Berserkerhaltung? Ich will es euch erklären. Die Dämonen haben die Fähigkeit, im Berserkertum von zukünftiger Zeit zu borgen. Sie können ihren Körpern befehlen, mehr Kraft, mehr Ausdauer, mehr Energie zur Verfügung zu stellen als sie eigentlich haben. Dadurch werden sie schneller, stärker, mächtiger. Aber es kann durchaus passieren, das sie sich zu Tode steigern. Zudem neigen manche Dämonen dazu ihre Beherrschung zu verlieren, je länger, je stärker, je nachhaltiger sie die Berserkerhaltung benutzen, bis hin zum Wahnsinn. Soldaten fürchten Dämonen in Berserkerhaltung, aber sie begrüßen sie auch, denn in diesem Stadium weichen sie Pfeilen nicht mehr aus. Entschuldigung, ein schlechter Scherz meinerseits. Viele verlieren den Verstand, oder sie sterben lange vor ihrer Zeit an Entkräftung. Nur einige wenige erlernen in ihrem Leben die absolute Kontrolle über das Berserkertum. Allgemein setzen die Dämonen diese Fähigkeit nur noch selten ein, weil sie gefährlich ist. Danke, Mirk.“ Die Aura des Dämons erlosch, und zu seinem Entsetzen bemerkte Conrad, das die Mädchen ihn immer noch anhimmelten. Nun, wo er auch noch gefährlich erschienen war, schienen es sogar noch mehr zu sein. „Was macht nun die Menschen aus? Sie leben nicht lange, das ist wahr. Einhundert Jahre sind für uns schon eine sehr lange Zeit, die nur wenigen vergönnt ist. Dennoch sind sie nicht schlechter, nicht besser als die Götter und Dämonen. Im Gegenteil. Menschen sind ausdauernder, kräftiger und belastbarer als alle anderen. Dafür bezahlen wir mit einem kurzen Leben. Dennoch sind wir...“ Conrad stutzte. Da war plötzlich etwas wie... Torandil? Irritiert sah Conrad zur Seite. Mirk erwiderte den Blick, fassungslos, erstaunt. Conrad sah zu Selestin herüber, die erschrocken ihren Blick schweifen ließ. Und dann sahen alle drei zum Lehrer Logg Andei herüber. „Alle bleiben sitzen!“, befahl er mit lauter Stimme, als Unruhe die Klasse erfasste. Er sah Conrad an. „Beeilt euch.“ Der Jahrgangssprecher nickte dankbar und eilte auf den Gang, dicht gefolgt von Selestin und Mirk. „Was ist das? Was passiert da gerade?“, fragte die Göttin mit banger Stimme. „Ein Dämon“, fauchte Mirk wütend. „Sie beschwören einen Dämon, einen richtigen Dämon! Und es geht etwas vollkommen schief!“ „Das Gefühl habe ich auch! Beeilen wir uns lieber!“, rief Conrad und hetzte den Gang hinab. „Ah, Waldek. Ist deine Inkontinenz nun schon so schlimm geworden, dass...“ „Keine Zeit für dich, Jisathan!“, rief Conrad im Laufen, als er den Menschenprinzen passierte, der ausnahmsweise ohne Vasallen unterwegs war. „In der Taumatischen Abteilung geschieht ein Unglück!“ „Ach!“ Jisathan winkte ab. „Das hätte ich doch gesp...“ Für einen Augenblick wurde der Mensch bleich. Und dann beging er den größten Fehler seines Lebens. Anstatt von dem Unglück fort zu laufen, rannte er darauf zu. Mittlerweile hatten die drei den Forschungstrakt für Taumatismus erreicht. Hier wurde Magie manifestiert und hier wurden Beschwörungen vorgenommen. Im Moment jedoch wurde die schwere Tür zu Kleinholz zerschlagen, als ein Gott sie durchbrach und an der gegenüberliegenden Steinwand aufprallte. Mit einem lauten Fluch hielt er sich den schmerzenden Kopf. „Torandil! Lebst du noch?“, rief Conrad. „Sieht leider so aus. Autsch, tut das weh!“ „Wenn du dir den Kopf gestoßen hast, mach dir keine Sorgen, da kann nichts weh tun“, sagte Mirk. „Ich lache später drüber. Die Lage ist zu ernst.“ Mit Selestins Hilfe kam er auf die Beine. „Was ist passiert?“, hakte Conrad nach. „Ein Experiment ist schief gelaufen. Wir wollten Magie manifestieren. Stattdessen wurde ein gehörnter Dämon beschworen. Klarer Fall von Sabotage“, erklärte Torandil. Zwischen den Fingern seiner Rechten, die er auf die Stirn gepresst hielt, lief ein dünner Blutfaden herab. „Wie groß? Wie mächtig?“ „Groß und mächtig genug, um mich durch eine Eichentür zu schleudern!“, fauchte der Gott. „Was passiert hier gerade?“, fragte Jisathan aufgeregt. „Geh uns nicht auf die Nerven! Oder noch besser geh da rein und lass dich töten!“, blaffte Conrad. „Die haben einen gehörnten Dämon da drin!“ „Oh. Einen Richtigen, und nicht so einen Abklatsch wie Mirk?“, fragte der Prinz mit einem nervösen Lächeln. „Erstaunlich, dass du immer noch hier bist, anstatt dich auf dem Klo zu verkriechen“, spottete Mirk, während Schüler und Magielehrer durch die zerstörte Tür nach draußen flüchteten. „Egal was du von mir hältst, Dämon, ich brauche diese Akademie noch zwei Jahre. Wenigstens so lange muss sie noch stehen“, erwiderte der Prinz mit festem Blick. Langsam griff er an seine Seite und zog einen Dolch hervor. „Sieht so aus als würde er kommen.“ „Selestin, bring Torandil tiefer in den Gang, dann komm wieder. Mirk, Berserkerhaltung.“ Conrad fixierte Jisathan. „Pass du auf, dass er nicht in der Flanke durch bricht. Hinter dir ist der Gang zu den Schulräumen.“ „Ich hätte niemals gedacht, das wir mal für eine gemeinsame Sache kämpfen würden, Conrad Bauerntrampel“, erwiderte Jisathan mit einem leichten Grinsen. „Still jetzt. Wir müssen den Dämonen nicht mit Gewalt darauf hinweisen, wie viele Gegner ihn erwarten“, raunte Conrad. Burg Catrek verwaltete sich selbst. Das bedeutete, das in Fällen wie diesen keine bereitstehenden Wachen herbei eilen konnten. Die einzigen Helfer hier waren die Schüler der höheren Jahrgänge, die Lehrer und die Dienerschaft. Letztere übrigens nur in einem gewissen Rahmen, um ein Minimum an Komfort zu ermöglichen. Wenn also jemand so unergründlich dumm war, einen echten Dämonen zu beschwören, dann mussten sich die Schüler selbst darum kümmern. Die meisten Lehrer waren schon zu alt für eine solche Aufgabe. Kurz rekapitulierte Conrad, was er über beschworene Dämonen wusste. Sie standen in direktem Zusammenhang mit manifestierter Magie. Oft genug benutzten Magier ihre Kraft nicht direkt, sondern mit Hilfe eines Objekts. Dieses diente ihnen als Fokus oder als Definition ihrer Kraft. Das konnte ein Zauberstab sein, ein Schmuckstück, ja sogar eine alte Fruchtschale. Wichtig war nur, das sie entweder aus Magie manifestiert wurde, oder mit manifestierter Magie aufgeladen war. Dann konnte es benutzt werden, bis es verschwand. Die Gefahr, der sie sich hier gegenüber sahen, war beseelte Magie. Als die Manifestierung ihren Fortschritt genommen hatte, da hatte ein freier Geist Besitz von ihr ergriffen und sie dazu benutzt, um sich aus ihr einen Körper zu formen. Diese Geister konnten alles sein: Seelen verstorbener Menschen oder Tiere, beseelte Natur, sogar eine Form der Elemente – intelligent natürlich. Diese Begegnungen verliefen meistens harmlos. Nur wenn dieser Geist, banal gesagt, einen Groll hegte, entwickelte sich aus der manifestierten Magie ein kleines, böswilliges Biest, das nur das töten kannte. Dann kam es darauf an, wie viel Magie manifestiert worden war und wie stark der Geist war, was Kraft und Größe des Dämons bestimmte. Conrad wappnete sich für das Schlimmste. Ein Geist, der hier, im Herzen der taumaturgischen Abteilung manifestierte Magie übernehmen und sich einen Körper bilden konnte, ohne das die Lehrer Zeit zum eingreifen hatten, musste sehr mächtig sein. Auf jeden Fall war er stark genug, um Torandil durch eine massive Holztür zu schleudern. Zum Glück war der junge Gott ein wahrer Dickschädel, sonst hätte er das nicht überlebt. Eine Tür flog aus den Angeln, Mauergestein barst, und der Dämon ging mit wiegenden, gemächlichen Schritten auf die aufgesprengte Tür zu, die auf den Gang zu den wartenden Schülern führte. Conrad griff an seine Seite, aber natürlich hatte er keine Waffen mitgenommen. Musste er sich also auf seine Schnelligkeit und seine Kraft verlassen. „Das ist das erste Mal, das ich mir wünsche, deine Lakeien wären auch da“, scherzte Conrad nervös. „Nicht nur du“, erwiderte Jisathan. „Aber nenne sie nicht Lakaien. Es sind meine Freunde.“ „Du kennst den Begriff Freundschaft? Das glaube ich nicht.“ „Könnt ihr eure Streitereien ein paar Sekunden einstellen? Der Dämon kommt“, zischte Mirk. Die Gestalt war riesig, gewiss vier Meter hoch. Um halbwegs durch die Tür zu passen musste sie sich ducken. Die Haut war grün und geschuppt, die Stirn zierten zwei riesige Hörner. Ebenso hatte der Dämon gewaltige Klauen an den Armen. Einige von ihnen trieften vor Blut. Wie es aussah, hatten es nicht alle Schüler und Lehrer hinaus geschafft. Der Dämon witterte und drehte ihnen den Kopf zu. Seine Augenhöhlen waren leer, Blut und Wasser floss aus ihnen hervor. Ein sichtbares Zeichen dafür, das jemand da drin nicht nur im Unterricht aufgepasst, sondern hier auch richtig reagiert hatte. „Sehr gut. Er kann uns nicht sehen“, flüsterte Jisathan. „Wenn wir ihn angreifen, sobald er uns den Rücken zeigt, dann...“ „Bin wieder da!“, rief Selestin außer Atem. „Wo ist der Dämon?“ Die riesige Gestalt fuhr herum und fixierte sie. „Genau da“, hauchte der Menschenprinz und wurde blass. „Hättest du doch bloß die Klappe gehalten.“ Wütend wandte sich Selestin zu dem Menschen um. „Was denn? Ich habe doch nur gesagt, das ich wieder da bin, um an eurer Seite zu kämpfen! Und das ist der Dank?“ Der Dämon schoss vor, seine Hände schlugen nach Selestin, aber Conrad war schnell genug, in eine hinein zu springen und sie mit purer Kraft aufzuhalten. Die andere schoss weiter auf die Göttin zu, doch Jisathan stieß sie fort. Nun raste sie weiter auf den Prinzen zu, unaufhaltsam, mit Blutgetränkten Klauen – und traf. Ängstlich, den Dolch als einzigen Schutz vor sich gehalten, stemmte sich Jisathan nach vorne, um den Schlag abzufangen, der nun kommen würde. Doch da war nichts. Vorsichtig öffnete er die Augen. Vor ihm stand einer seiner Freunde, Kitram Lorhest. Der junge Mensch parierte die Klaue des Dämons mit seinem Schwert. Er sah hinter sich und lächelte dünn. „Bist du in Ordnung, mein Prinz?“ „Kitram“, hauchte Jisathan erstaunt. „Was machst...“ „Dazu ist später Zeit. Conrad, halte ihn fest! Mirk, greif seine Ohren an! Selestin, brenne ihm einen von den Feuerbällen auf den Pelz, die du im alten Warenhaus auf uns geschleudert hast, sobald Mirk wieder fort ist. Das dürfte uns zwei oder drei Sekunden geben, um sein Herz zu spalten.“ Conrad nickte. „So machen wir es.“ Er griff zu, bekam den Dämon zu fassen, und zog nun an ihm. Erstaunt machte der Koloss einen Schritt nach vorne. Kitram drehte seine Klinge ins Fleisch der Hand und rammte sie dann in den Boden. Jeder Versuch sich los zu reißen würde dem Dämon Qualen bereiten. Neben ihnen wurde Mirk noch blasser im Gesicht, seine Augen bekamen einen Blutunterlaufenen Ton, und ein wütendes Grollen kam aus seiner Kehle. „Jetzt!“, befahl Conrad. Mirk sprang, landete auf dem Arm den Conrad fixierte und rannte bis zum Kopf des Dämons. Er sprang, zog zwei Dolche und rammte sie der Bestie in beide Ohröffnungen. Dabei erwischte ihn eine unwillige Kopfbewegung und schleuderte ihn an die nächste Wand. Aber für den Moment war der Riese taub. „Ich bin dran!“, klang Selestins Stimme auf. Sie manifestierte ihre Feuermagie und jagte eine Flammenkugel auf den Kopf des Dämons. Die Bestie heulte und war nun in jeder Hinsicht aller Sinne beraubt. „Mein Prinz!“, rief Kitram. Jisathan zögerte nicht eine Sekunde, sprang zwischen seinem Gefolgsmann und Conrad vor und stürzte sich, seine Klinge voran gehalten, auf den Dämon. Von unten trieb er seine Waffe in den Brustkorb und spaltete das Herz des Riesen. Eine Zeitlang kämpfte und drehte sich der Dämon, versuchte Conrad und Kitrams Klinge abzuschütteln, aber dann erschlaffte er und fiel langsam nach vorne – genau auf die Stelle zu, an der Jisathan noch immer stand. „Das ist ein Witz, oder?“, hauchte der Menschenprinz, während der riesige schwere Leib des Dämons auf ihn herab fuhr. Eine Sekunde später machte er schmerzhafte Bekanntschaft mit dem harten Flurboden – und mit Mirks Umarmung. „Das ich dich mal retten würde hätte ich nie gedacht“, brummte der Dämon, während der Gehörnte hinter ihnen vollends zu Boden fiel. Immer noch auf die Stelle, an der Jisathan noch gestanden hätte, wenn Mirk nicht da gewesen wäre. „Das du mal Zärtlichkeiten für mich entwickeln würdest“, erwiderte der Menschenprinz. Kitram kam herbei geeilt. „Mein Prinz, bist du verletzt?“ „Ich nicht, aber mein Stolz!“, blaffte Jisathan, befreite sich aus Mirks Griff und kam hastig auf die Beine. „Was ist hier los? Wo sind die Lehrer?“, klang die Stimme des Direktors auf. Stumm deuteten die drei Menschen, die Göttin und der Dämon den Gang hinab. Dort hatten sich die Flüchtigen niedergelassen, Kadetten wie Lehrer. Baron Hygar Davon folgte den Händen und seufzte schwer. Dann ging sein Blick auf den toten Dämon. „Erstaunlich. Ein Gehörnter der Dritten Stärke. Wer hat ihn besiegt?“ „Es war eine Gemeinschaftsarbeit“, sagte Conrad und schob seine verrutschte Brille wieder die Nase hoch. „Allerdings hat Jisathan den Streich gegen sein Herz ausgeführt. Eine erstaunlich gute Arbeit für ihn.“ „Was soll das denn heißen?“, rief der Prinz aufgebracht. „Habe ich den Dämon nun getötet oder nicht? Habe ich sein Herz gespaltet oder nicht?“ „Ruhig Blut. Ich will deine Leistung nicht schmälern. Im Gegenteil. Ich will hervor streichen, das ich sie in dieser Qualität nicht erwartet habe.“ Unschlüssig sah Jisathan den Menschen an. Dann warf er sich herum. „Lass dich vom nächsten Dämon filetieren!“ Affektiert rauschte er davon. Er nahm nicht einmal seinen Dolch mit. Kitram Lorhest sah Conrad nachdenklich an. „Du musst Jisathan verzeihen. Er ist ein ehrliches Lob einfach nicht gewohnt. Schloss Tirit-Alem, sein Geburtshaus, ist eine Schlangengrube, in der jeder den anderen frisst. Er hat, bevor er nach Catrek geschickt wurde, sechzehn Jahre zwischen Intrigen, Mordanschlägen und dem Jähzorn seines Vaters überlebt. Er kennt keinen anderen Weg. Das ist vielleicht der Grund, warum er dich so beneidet, Conrad Waldek.“ „Beneidet?“, argwöhnte Selestin. „Neid sieht anders aus.“ Der junge Mensch, der in ferner Zukunft einmal einer von Jisathans Ministern sein würde, lächelte als Antwort. „KITRAM!“, brüllte Jisathan den Gang hinab. „Ich komme, mein Prinz!“ Hastig raffte er den Dolch Jisathans auf, nickte den dreien noch einmal zu und lief dem Prinzen hinterher. „Und wer“, brummte Mirk und trat leicht gegen die leblose Hand des gehörnten Dämonen, „räumt den ganzen Mist hier wieder weg?“ *** Die Magie-Dozenten, verstärkt durch die stärksten Kadetten des letzten Jahrgangs, waren damit beschäftigt die im Dämon gebundene Magie aufzulösen und sie vorsichtig wieder der Umgebung zu zu führen, ohne dabei einen weiteren Dämon zu produzieren. Der Direktor hingegen durchforstete mit wachen Augen und allen Sinnen den Lehrsaal für Magie für Anzeichen, was diese Tragödie ausgelöst hatte, die fünf Kadetten und Lehrer teilweise schwer verletzt und beinahe getötet hatte. Ihn begleitete Arith Tarnel, die zum Zeitpunkt der Beschwörung Mathematik für das dritte Jahr unterrichtet hatte, und nun den verletzten Erzmagus ersetzen musste. Die knapp einhundert Jahre alte Göttin runzelte unwillig die Stirn. „Etretan Hysol ist seit einhundertfünfunddreißig Jahren Erzmagus für Magie an dieser Schule, und auch wenn er die Beschwörung nicht angeleitet hat, er ist erfahren genug um zu sehen, wann eine Beschwörung schief geht. Verdammt, er ist sogar in der Lage, das letztliche Endergebnis einer Katastrophe richtig zu deuten.“ Wütend sah die rothaarige Göttin sich im Saal um. „Er ist kein verdammter Trottel, auch wenn er ein Dämon ist.“ Für einen Moment sah sie nach hinten, und mit einem Feuer, für das ihr Haar Synonym geworden war, rief sie: „Selestin, wenn du noch einmal so viel taumatische Energie auf einmal diffundierst, ziehe ich dich auf eine Streckbank, und zwar so lange, dass du in Zukunft ohne Treppchen auf ein Schlachtross aufsteigen kannst!“ Die derart getadelte Göttin zuckte heftig zusammen und gab mit selten kleinlauter Stimme ein zaghaftes „Verstanden“ von sich. „Diese Kinder heutzutage. Berauschen sich an dem, was sie eigene Kraft nennen, so wenig es auch immer ist, und ziehen sich daran hoch. Danach fallen sie richtig tief, und wenn sie dann keiner auffängt, sterben sie daran.“ Misstrauisch beäugte sie den Direktor, der sie hingebungsvoll anlächelte. „Was ist?“ „Oh, nichts, nichts“, beeilte sich Hygar Davon zu versichern. „Aber irgendwie glaube ich, diese Szene schon einmal erlebt zu haben. Nur warst du da die Schülerin, und Selestins Mutter die Lehrerin.“ Pures Entsetzen huschte über das Gesicht der Göttin. „Was? Bin ich wirklich so schlimm? Dabei hatte ich mir vorgenommen, alles besser zu machen als sie.“ „So schlecht ist sie nun auch wieder nicht. Etwas hart zu sich selbst und zu denen in ihrer Umgebung, aber sie regiert gut“, wiegelte der Baron im Plauderton ab. „Ich bin trotzdem froh hier zu sein, und nicht auf Turem.“ „Und ich bin froh, eine so hervorragende Feuermagierin als Lehrerin für Catrek zu haben.“ „Mein lieber Direktor, warum lobst du mich so sehr? Was willst du von mir?“, fragte sie mit einem Schmunzeln. „Nichts unmögliches zumindest, meine Lieblingsgöttin. Wir...“ Der Direktor stutzte. Dann warf er einen Blick auf die Mitte des Beschwörungskreises und trat näher. „Gut möglich, das Hysol einen Fehler gemacht hat, wenngleich auch nicht sehr wahrscheinlich“, murmelte der Dämon mehr zu sich selbst als zu der Lehrerin, „aber ich bezweifle doch stark, das er den alten Grundsatz durchbrochen hat, der da besagt, niemals zwei Beschwörungen zur gleichen Zeit durchzuführen.“ Davon bückte sich in der exakten Mitte des Kreises und hob einen kleinen, matten roten Stein auf. Arith Tarnel trat sofort heran, nahm ihm den Stein aus der Hand und runzelte die Stirn. „Kein Zweifel, das ist manifestierte Magie. Und sie ist noch keine Stunde alt.“ Der Dämon und die Göttin wechselten einen unwilligen Blick. „Eine parallele Beschwörung“, murmelte der Dämon. „Mit dem Ziel während der eigentlichen Beschwörung einen Dämon in diesem Raum entstehen zu lassen und sie alle zu töten. Lehrer wie Kadetten. Während der Dämon durch Burg Catrek tobt, wäre es ein Leichtes gewesen, diesen Stein verschwinden zu lassen und es als Fehler des Erzmagus abzutun. Das ist teuflisch.“ „Um alle zu töten? Sicherlich nicht“, entgegnete Hygar. „Dazu hätte die Zeit nicht einmal gereicht, wenn die Leute statt zu fliehen in Erstarrung stehen geblieben wären. Nein, ich denke, wir können den Kreis der potentiellen Opfer auf eine Handvoll eingrenzen, nämlich jene, die im Kreis standen. Und dann natürlich jene, die darüber hinaus attackiert wurden.“ Die Göttin wurde blass. „Torandil wurde als erster verletzt, oder?“ „Er wurde durch eine Eichentür geschleudert“, bestätigte der Dämon. „Was hatte er hier zu suchen? Er ist kein Magier.“ „Das ist eine gute Frage. Wenn ich mich recht entsinne, sollte nämlich der beste Kadett die Beschwörung anführen, und das ist...“ Nun ging auch ein entsetzter Blick von Davon aus. „Selestin Northim ist die beste Magierin. Aber sie war nicht anwesend und half bei der Eindämmung. Sie...“ Arith wandte sich zu der jungen Göttin um. „Selestin?“ „Ja, Meister?“ „Warum warst du nicht hier? Antworte, aber wage es ja nicht, deine Konzentration zu vernachlässigen“, schnarrte die Magielehrerin böse. Selestin nickte und strich sich eine verirrte Strähne aus der Stirn. „Kadett Waldek brauchte mich für den Vortrag über Ethik vor dem ersten Jahrgang. Er meinte, ein hübsches Mädchengesicht könnte einige Vorurteile abbauen und wäre ein guter Kontrast zu Mirks hässlicher Visage.“ Mirk, der diese Worte hörte, sah zu Conrad herüber. Dabei sah er ihn an wie ein verstoßener Hund seinen Herrn. „Hässliche Visage? Hast du das wirklich gesagt, Conrad? Wie fies. Ich dachte, wir wären Freunde.“ „Nur ein Scherz“, beschwichtigte Selestin den Dämon. „Jedenfalls hat Torandil meinen Platz hier eingenommen, denn alle anderen sind um einen Platz aufgerückt und es wurde noch ein erfahrener Zureicher gebraucht.“ „Danke, Selestin. Widme dich wieder deiner Arbeit. Und mach sie gut. Ich will kein Quäntchen freier Magie mehr spüren, wenn ihr fertig seid.“ „Ja, Meister.“ Die Lehrerin für Magie seufzte. „Sie ist ja ein nettes Mädchen, aber wenn man bei ihr nicht hinter sitzt, dann neigt sie dazu, nachlässig zu werden.“ Die beiden, die Lehrerin und der Direktor, gingen ein paar Schritte. „Denkst du es ist möglich, das sie Selestin erwischen wollten?“, hauchte Arith. „Nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich. Wir sollten die Räume über und unter diesem Saal sehr genau untersuchen und unauffällig nach den Tätern ermitteln.“ Arith lächelte dünn. „Ich denke nicht, dass wir dort noch was finden werden. Aber ich habe da eine Idee, wie wir uns dennoch ein wenig Erfolg sichern können.“ Hygar verdrehte die Augen. „Wird es gefährlich?“ „Natürlich wird es gefährlich.“ „Gefährlich für Selestin?“ „Vielleicht für Conrad und Mirk“, wiegelte sie ab. „Eventuell für Jisathan.“ „Oh. Das ist vertretbar“, erwiderte der Dämon mit einem wahrhaft dämonischen Grinsen. *** „Hey. Wie geht es dir?“, rief Mirk überschwänglich, als er das Zimmer von Torandil betrat. „Wie geht es dir, wie geht es dir... Wie wird es schon jemandem gehen, der durch eine massive Eichentür geschleudert wurde?“, erwiderte der Gott gereizt. „Meine Güte, was sind wir empfindlich. Ich mache mir hier Sorgen um dich, und du wirst patzig wegen... Wegen Dingsda.“ Torandil seufzte. „Drei gebrochene Rippen, ein gebrochenes Schlüsselbein, diverse Prellungen, Quetschungen und blaue Flecke, außerdem eine Gehirnerschütterung.“ Der Gott winkte ab, bevor Mirk etwas sagen konnte. „Gib dir keine Mühe. Ich bin auf alle Gehirnerschütterungswitze vorbereitet.“ „Ooch“, machte Mirk und ließ enttäuscht den Kopf hängen. Aber seine Miene hellte sich schnell wieder auf. „Und, wie lange musst du das Bett hüten?“ „Arith Tarnel kommt nachher vorbei und wendet einen Heilzauber auf mich an. Zumindest die gebrochenen Knochen sollten bis morgen wieder gut sein. Die Schmerzen und die Prellungen bleiben mir noch etwas erhalten. Hey, Mirk, ihr habt das Mistding doch besiegt, oder?“ „Wie kannst du das nur als Frage formulieren? Natürlich haben wir den Gehörnten besiegt“, prahlte Mirk. „Und wer hat den Todesstreich ausgeführt? Conrad? Du?“ Das Lächeln auf Mirks Gesicht erfror. „...“ „Was hast du gesagt? Du bist zu leise.“ „...“ „Mirk, könntest du bitte so reden, dass ich dich verstehe?“ „Ja, verdammt, Jisathan hat dem Gehörnten das Herz gespaltet, okay? Jisathan hat den Todesstoß ausgeführt! Bist du jetzt zufrieden?“, blaffte der Dämon. „J-Jisathan?“ Mirk nickte. „Dieser arrogante, überhebliche, egoistische und dümmliche Menschenprinz?“ Mirk nickte erneut. „Ging halt nicht anders. Wir hatten unsere Hände voll, und er war eben verfügbar und...“ Torandil streckte die Rechte aus und schirmte mit der Linken seine Augen ab. „Nein, Halt, sei bitte still. Du hast mein Weltbild gerade zum kollabieren gebracht. Ausgerechnet Jisathan. Was kommt als Nächstes? Verlässt er die Schule und zieht in ein Kloster?“ „Du meinst, er wird nett und nützlich? Setzt du deine Träume nicht etwas zu hoch an?“ „Etwas, vielleicht.“ Torandil grinste breit. Leider bereitete ihm das Schmerzen. „Autsch. Selestin und Conrad geht es gut?“ „Noch“, orakelte Mirk. „Sie sind schon seit einer Stunde im Raum des Direktors. Es geht da drin nicht gerade leise zu. Scheint heftig zu werden, und ich habe keine Ahnung wieso. Außerdem strolcht dein Onkel wieder auf Catrek herum. Irgendwas großes passiert hier.“ „Du meinst größer als ein gehörnter Dämon, der Amok läuft?“ „Punkt für dich“, brummte Mirk Farem. *** Livon Azet platzte genau zu dem Zeitpunkt ins Büro des Barons, als dieser gerade auf dem Höhepunkt seiner Strafpredigt mit dem Thema „Umgang mit beschworenen Dämonen und die Sicherheitsrichtlinien“ gekommen war. Der Gott kam ohne Gruß herein, warf sich in einen freien Sessel und rieb sich die schmerzenden Schläfen. „Was hast du raus gefunden, Livon?“ Der Gott sah den Dämon mürrisch an. „Es war eine ganz schöne Puzzlearbeit, aber ich konnte tatsächlich ein paar Spuren finden. Ich denke, es waren Menschen. Speziell zu diesem einen Zweck ausgebildet, einmal diesen Gehörnten zu erschaffen.“ „Also ein Attentat“, stellte Baron Davon fest. Der Gott nickte schwer. „Ein Attentat, Direktor.“ „Und auf wen?“ Livon räusperte sich, bevor er weiter sprach. Es klang etwas verlegen. „Nun, derjenige, der in dem Raum später einmal am meisten Macht haben wird, war Torandil. Torandil wurde auch prompt als Erster angegriffen, was diese These stützt. Und im Moment gibt es nur eine Fraktion an dieser Schule, die etwas gegen ihn hat – weil er ein Freund von dem da ist.“ „Was? Du meinst doch nicht etwa, dass...“, begann Selestin, besann sich aber und rief: „Herr Major, Sie glauben doch nicht, dass Jisathan befohlen hat, den Dämon zu erschaffen?“ „Er hätte das Geld, die Macht, die Leute und die Kenntnisse. Tirit-Alem ist eine Schlangengrube, ein Mördernest, und eine Viper ist dort giftiger als die andere. Ich sage nicht, dass der Prinz aus Agenfelt es war. Ich sage nur, dass er ein Motiv hatte, die Kenntnisse und die Mittel. Man sagt, er hätte ein großes Gefolge.“ „Das stimmt“, murmelte Conrad. „Außerdem sind wir schon öfters zusammengestoßen.“ „Nette Umschreibung für eine hinterhältige Falle“, flüsterte Selestin ihm zu. „Dann ist es beschlossen. Jisathan wird der Schule verwiesen. Ein Monat Suspension, die er Zuhause in Agenfelt verbringen muss“, bestimmte der Direktor. „Hygar, noch ist nichts bewiesen“, wandte der Major ein. „Auf Catrek hat es noch nie Tote gegeben. Und ich habe nicht vor dabei zu zu sehen, wie genau mit dieser Tradition gebrochen wird. Jisathan ist gefährlich. Er hat den Bogen weit überspannt, und nun bezahlt er den Preis. Sollte sich herausstellen das der Verdacht stimmt, müsste ich ihn weit schwerer bestrafen. Dann ist es besser, er ist bereits Zuhause und erspart uns allen Peinlichkeiten und diplomatische Verwicklungen. Es ist beschlossen.“ „Einwand“, sagte Conrad. „Jisathan hat den Gehörnten getötet und uns geholfen. Ich glaube nicht, dass er es war.“ „Du nimmst ihn in Schutz?“ „Er ist ein Dummkopf, ein Narziss, ein ungeschicktes Trampeltier, ein Ekelpaket und ein Idiot, aber in diesem Fall glaube ich wirklich daran, dass er unschuldig ist.“ „War es nötig, ihn bei deiner Verteidigung noch so runter zu machen?“, fragte der Major mit gerunzelter Stirn. Die Hand von Baron Davon sauste auf die Tischplatte. „Dennoch! Ich habe mich entschieden! Morgen früh muss Jisathan von Agenfelt abreisen. Ihr seid entlassen.“ Conrad und Selestin sahen sich kurz an. Dann verneigten sich beide leicht vor dem Direktor und dem Major und verließen gemeinsam den Raum. Hygar Davon lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Mit einem genüsslichen Ton in der Stimme sagte er: „Und das Spiel beginnt.“ „Hygar, glaubst du wirklich, das wird funktionieren? Kann das nicht eher in einem Blutbad enden?“ „Was hast du gegen Blutbäder? Apropos, ich sollte mich jetzt aufmachen und Jisathan von meiner Entscheidung unterrichten. Das wird mir ein Vergnügen werden.“ „Ich hoffe wirklich du behältst Recht, Hygar“, meinte der Gott und rieb sich beide Schläfen. „Komm, alter Freund. Habe ich mich jemals geirrt?“ Azet sah auf und sah den Direktor mit blitzenden Augen an. „Willst du eine exakte Liste deiner Irrtümer, Hygar?“ „In letzter Zeit?“, bot der Baron an. *** So richtig wohl fühlte sich Conrad Waldek nicht. Gewiss, der Menschenprinz hatte ihn mit einer fingierten Entführung ins alte Warenhaus gelockt, um ihn dort von seinen Leuten ordentlich durch trimmen zu lassen, aber er hätte nie die Hand an Selestin gelegt oder etwas so vollkommen hinterhältiges wie einen Mordanschlag versucht. Conrad konnte es nicht genau beschreiben, aber es wäre einfach nicht Jisathans Stil gewesen. Irgendetwas stimmte nicht, und der junge Mensch dachte lange darüber nach, wie er den Direktor davon überzeugen konnte, seine Entscheidung wieder zurück zu nehmen. Immerhin hatte Jisathan ihnen geholfen, und er hatte den Todesstreich ausgeführt. Als es an seiner Tür klopfte, hörte es der in seinen Gedanken versunkene Conrad erst, als aus dem zaghaften Klopfer ein kräftiges Bollern geworden war. „Herein.“ Der zukünftige Minister von Pars stützte sich mit dem Ellenbogen auf seinem Bett ab, auf dem er sich zum nachdenken hin gelegt hatte. Die Tür öffnete sich, und Selestin trat ein. Sie trug wie bei der Mission gegen die Piraten die Robe eines Magus, und deutlich konnte man das Symbol der Feuermagier auf ihrer linken Brust prangen sehen. Wobei prangen eine sehr gute Formulierung war. Conrad sah die Göttin erstaunt an, als diese die Tür hinter sich schloss und den jungen Menschen hinreißend anlächelte. „Es wird draußen schon dunkel, Selestin.“ „Ich weiß. Und es ist Schlafenszeit“, sagte sie und setzte sich ans Fußende des Bettes. Diese Worte irritierten Conrad. Wenn sie wusste, dass es Schlafenszeit war, warum saß sie dann hier in seinem Raum auf seinem Bett und lächelte ihn an? Langsam rückte sie näher, wie eine Katze, die sich an ihr scheues Wild heran pirschte, um es nicht vor dem Todesstoß zu verscheuchen. „Ich habe über Jisathan nachgedacht“, murmelte sie. „Eine Ungerechtigkeit ist das. Ich denke nicht, das er versucht hat, Torandil zu töten.“ „Ich glaube auch nicht, das er das getan hat“, erwiderte Conrad. „Ich denke hier schon die ganze Zeit nach, wie ich den Direktor überzeugen kann, seine Entscheidung zurück zu nehmen.“ Ihr Gesicht war dem seinen plötzlich so nahe, der Mensch hatte gar nicht gesehen, wie flink sie aufgerückt war. „Conrad, weißt du...“ Ein dumpfer Schmerz in seinem Rücken zeigte ihm, das hinter ihm nur die Wand war. Links und rechts von ihm hatte die Göttin ihre Hände auf das Bett gestützt. Sie hatte ihn ganz alleine eingekreist. „Weißt du, das man besonders gut nachdenken kann, wenn man...“ Sie lächelte schüchtern, errötete und sah für einen Moment fort. Schließlich krallte sie ihre rechte Hand in den Saum ihrer Robe. „Weißt du noch, damals, auf den Pferden, als wir gegen die Piraten gezogen sind?“ „Ja, ich erinnere mich. Du hast einen Lederharnisch unter der Robe getragen“, erwiderte Conrad. Die Göttin wollte doch nicht etwa... Sie hatte doch nicht vor, dass... Nicht, das ihm das unangenehm gewesen wäre, aber musste sie gleich die Sporen benutzen? Langsam zog sie den Saum hoch und entblößte nach und nach ihre Beine. „Diesmal trage ich keinen Lederharnisch, Conrad. Eigentlich trage ich gar nichts unter der Robe. Und all das gehört dir...“ Ihre Lippen näherten sich den seinen. Feuer stieg in Conrads Magen auf, seine Wangen schienen vor Flammen zu bersten, und im Rest seines Körpers schienen ein paar Dutzend Gehörnte zu wüten. Oh ja, Selestin stieß bei ihm auf offene Arme und... „CONRAD!“, rief eine Stimme von der Tür her. Die massive Pforte flog auf, und ein sichtlich aufgeregter Jisathan rauschte in den Raum. Der Jahrgangssprecher des fünften Jahrs erschrak zu Tode, pure Panik huschte von seinem Haaransatz bis zu den Zehenspitzen und wieder zurück. Selestins Haare schienen sich erschrocken aufzurichten, ihre Rechte zerrte am Saum ihrer Robe, aber sie verhedderte sich, und ihre Knie waren weiterhin gut zu sehen. Ihr Gesicht bekam eine tiefe Röte. „Jisathaaaaan...“, grollte sie wütend, während sie ihre Aura entfaltete. Doch der Mensch war viel zu aufgeregt, um Selestins Wut zu registrieren. „Conrad, sie schmeißen mich von der Schule! Ich habe nichts getan, ich schwöre dir, ich habe nichts getan!“ Aufgelöst, wütend und knapp davor in Tränen auszubrechen, ließ sich der Prinz aus Agenfelt auf einem Stuhl nieder. Er rieb sich die Stirn und sah verzweifelt zu Boden. „Ich war es nicht. Ich hätte den Dämon doch nicht getötet, wenn ich ihn hätte beschwören lassen! Ich wäre dann nicht mal in der Nähe gewesen!“ Selestins Aura erlosch. Beinahe mitfühlend sah sie den Menschen an. Ihr Blick ging um Hilfe heischend zu Conrad. Der seufzte tief und schwer. „Wir glauben auch nicht, das du es warst, Jisathan.“ Der Prinz sah erstaunt auf. „Conrad...“ „Du bist ein Weichling, ein Intrigant, ein Dummkopf der sich auf die Hilfe anderer verlässt und du lockst Leute, die du nicht allein besiegen kannst, in hinterhältige Fallen. Aber so dumm, einen Gehörnten beschwören zu lassen, das bist du nicht.“ „Danke für das Kompliment“, ächzte Jisathan auf seinem Stuhl. Mit einem wütenden Schnauben erhob er sich wieder. „Es tut gut zu wissen, dass du mir glaubst, Conrad. Letztendlich will ich nicht, das du mir so etwas zutraust.“ Sein Blick ging zu Conrad, und so etwas wie Wehmut trat in seine Züge. „Ich kehre in die Hauptstadt zurück. Ich denke nicht, das mir die Rückkehr erlaubt wird, jetzt wo der Direktor seinen Sündenbock hat. Ich dachte eigentlich ich hätte mehr Zeit, um mich darauf vorzubereiten, in dieses Schloss voller Intrigen und Meucheleien zurück zu kehren. Ich dachte, ich hätte noch zwei Jahre, aber...“ Wieder ließ der Menschenprinz den Kopf hängen. „Ich will nicht dahin zurück. Nicht so wie es jetzt dort ist. Aber... Aber ich kenne meine Pflicht. Ich weiß wie du es tun würdest, Conrad. Du würdest nicht aufgeben, im Gegenteil. Du würdest dir die Welt so formen wie du sie brauchst. Dein Beispiel wird mir vielleicht ein wenig helfen, auf Schloss Tirit-Alem zu überleben.“ Langsam ging Jisathan zur Tür. „Letztendlich habe ich dich immer verehrt und bewundert. Aber auch gehasst, weil es mir nie gelingen wird, so zu sein wie der großartige Conrad Waldek. Ich wusste, dass du Selestin niemals in Stich lassen würdest. Und ich wusste, das deine Freunde dir zu Hilfe kommen würden.“ Ein dünnes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Durch Selestins Körper ging ein gut sichtbarer Schauder. „Heißt das etwa, du hast das inszeniert, damit dieser Dickkopf hier...“ „Aber du bist und bleibst ein Bauersjunge, Conrad Waldek, und einem Bauern sollte man nicht zu nahe kommen, damit seine Derbheit nicht auf einen abfärbt. Gehabt euch wohl, ihr zwei“, sagte Jisathan und winkte mit der Rechten. Selestins Blick ging flehentlich zu Conrad. Der seufzte tief und sagte laut: „Ich überlege hier schon die ganze Zeit, wie wir die Meinung von Direktor Davon ändern können. Ich habe einen Plan!“ Jisathan, schon halb zur Tür raus, wirbelte herum und kam ans Bett gestürzt. „Wirklich? Du hast einen Plan? Du kannst meinen Hals retten? Danke, Conrad, danke!“ „Aber es wird dir nicht gefallen“, orakelte der Jahrgangssprecher, während er mit der Linken den Menschenprinz davon abhielt ihn zu umarmen und mit der Rechten Selestin davon abhielt, ihm für diesen Versuch bei ihrem Conrad mit den Fingernägeln über sein Gesicht zu fahren. *** „Was habe ich damit eigentlich zu tun?“, fauchte Torandil Azet wütend. „Ich bin schwer verwundet und muss das Bett hüten! Stattdessen sitze ich hier im Garten auf einer harten Steinbank, mitten in der Finsternis, und spiele Catt!“ Selestin gab ihm einen schmerzhaften Klaps auf den Hinterkopf. „Stell dich nicht so an. Es ist ja nicht so als wärst du am sterben. Die paar gebrochenen Knochen sind doch nicht weiter der Rede wert. Außerdem stören gebrochene Rippen nicht beim Catt.“ „Du hast ja auch nicht meine Schmerzen, Cousinchen!“, beschwerte sich der Gott. „Wenn dir so viele Rippen gebrochen worden wären, dann...“ „Du bist am Zug, Gott“, brummte Jisathan und deutete auf das Spielbrett zwischen ihnen. „Vergiss nicht, es geht hierbei darum, wer der zukünftige Catt-Hochmeister auf Burg Catrek sein wird.“ „Was? Oh, danke.“ Ärger huschte über Torandils Züge. „Warum gebe ich dir überhaupt diese Chance, Hm? Die Sache im Warenhaus ist nicht vergessen, hörst du?“ „Das hier war nicht meine Idee!“, fauchte der Menschenprinz zurück. „Conrad hat entschieden, das wir hier die Entscheidung suchen, solange ich noch auf der Burg bin! Und entschuldige, das ich heute dem gehörnten Dämon das Herz gespaltet habe, um dein Leben zu retten.“ „Das ist so nicht ganz richtig, Herr Prinz! Ich war da längst außer Reichweite!“, erwiderte Torandil heftig und machte seinen eigenen Zug. „Anhire vor den Toren. Deine Reiterei ist weit abgeschlagen. Wie willst du das wohl kontern?“ „Aber hätte ich den Dämon nicht getötet, hätte er dich und die anderen Verwundeten noch erreichen können, oder?“, konterte der Prinz und zog seinerseits. „Gepanzerte Kriegsochsen gegen deine Anhire. Drei Wurf darauf, ob die Rüstung hält!“ Der Gott ergriff die Würfel und ließ sie dreimal auf das Spielbrett fallen. Dann grinste er siegesgewiss. „Wir spielen doch drei Siege aus fünf Spielen, oder? Scheint so als wäre das hier mein Sieg.“ „Anhire vor den Toren sind noch kein Sieg!“, erwiderte Jisathan wütend, als er zwei Kriegsochsen vom Feld nehmen musste. „Ich habe immer noch die Plänkler in Reichweite!“ „Aber meine Kavallerie hat bald aufgeholt. Falls du nicht noch einen wirklich genialen Zug hast, dann steht es gleich zwei zu zwei.“ Selestin, die halb auf das Spiel und halb auf die Umgebung achtete, zischte eine kurze Warnung. Der Gott und der Mensch sahen auf. Alarmiert musterten sie die Umgebung, und tatsächlich, bedrohliche Schatten kamen näher. „Ich würde sagen, es ist ein doppeltes Matt“, sagte eine der Gestalten und trat in das Licht hinein. Er trug eine kunstvoll geschnitzte Maske aus Elfenbein, die aufwändig mit Goldfarbe bemalt war. „Ein turemischer Assassine“, stellte Jisathan staunend fest. Er zählte kurz die huschenden Schatten durch. „Sechs turemische Assassinen?“ „Das erklärt einiges“, brummte Torandil. „Euch habe ich also meine gebrochenen Rippen zu verdanken?“ „Ein Irrtum unsererseits, wenngleich kein bedauerlicher. Wir werden Euch gleich von Euren Leiden erlösen, junger Azet.“ Die Maske wandte sich Jisathan zu. „Wir haben dir zu danken, kleiner Mensch. Du hast unsere Beute an einen guten Platz gelockt. Der Preis hierfür ist ein schneller, schmerzfreier Tod.“ Die Maske ruckte nun in Selestins Richtung. „Und um sicher zu gehen töten wir Euch zuerst, Lady Northim!“ „Seid Ihr jetzt überzeugt, Direktor?“, klang Conrads Stimme aus der Dunkelheit auf. „Gut, gut, Jisathan hat wohl wirklich nichts mit der Beschwörung zu tun“, erwiderte die Stimme Davons irgendwo aus den Büschen heraus. „Seine Suspension ist aufgehoben.“ Die Attentäter sahen sich alarmiert um. Einer sprang fort, in die Büsche, wurde aber von einem Schlag gestoppt, der ihn mehrfach um die eigene Achse rotieren ließ, bevor er verdreht zu Boden ging. Mirk Farem trat ins Licht und rieb sich die schmerzende Faust. „Die Feier ist noch nicht vorbei.“ Ein anderer huschte auf die Gebäude zu. Der große Mensch Kitram Lorhest trat ihm in den Weg. „Nicht so eilig, guter Freund. Ich will noch meinen persönlichen Dank dafür aussprechen, das beinahe mein Prinz der Schule verwiesen worden wäre.“ Bedächtig und mit wütendem Blick zog er sein Schwert. Zwei versuchten ihr Glück mit einem Sprung in die Büsche. Es raschelte als sie zwischen den Zweigen landeten, und ein dumpfer Laut entstand, als sie wieder aus den Büschen heraus geschleudert wurden und hart zu Boden fielen. Livon Azet trat aus diesen Büschen hervor. „Das kommt davon, wenn man es zu eilig hat, seine Beute zu sicher glaubt und die Falle nicht erkennt, die einem gestellt wird.“ Ein düsteres Lächeln umspielte seine Züge. Der Anführer der Attentäter mit der kunstvollen Assasinenmaske sah sich umstellt, denn nun traten nicht nur der Direktor und Waldek vor ins Licht, sondern auch weitere Kadetten des letzten Jahrgangs sowie die Freunde und Mitläufer des Menschenprinzen. Hastig begann er mit einer magischen Formel, die ihn in Sicherheit bringen sollte, als ein merkwürdiger Feuerschein auf seine Maske fiel. Er sah zur Seite. Selestin schien in Flammen zu stehen, so kräftig war ihre Aura. In ihrer rechten Hand sammelte sich ein Feuerball, der immer größer wurde. „Es war ein großer Fehler, Torandil zu verletzen!“, knurrte sie angriffslustig. Dann entließ sie ihre geballte Magie. *** Mit einem flüchtigen Lächeln sah Direktor Davon von seinem Fenster aus in den Innenhof. „Die nächste Generation Herrscher wird wohl endlich eine Generation des Friedens einläuten.“ „Frieden!“, knurrte Livon Azet. „Frieden bedeutet unbezahlte Söldner, die dann anfangen zu plündern und zu morden. So wie unser feines Piratennest.“ „Was willst du denn? Während ihr sie zu Lande abgelenkt habt, während Conrad sie dezimiert hat, konnte die Marine Schiffe landen und mit dem Gesindel aufräumen.“ Hygar Davon lächelte. „Diese Strategie hätte Conrad sicherlich gefallen. Ich freue mich schon darauf, es ihm zu sagen. Was die andere Sache angeht, alter Freund...“ „Ich weiß“, murrte der Gott. „Die Attentäter waren natürlich hinter Selestin Northim her. Ihr Anführer, oder vielmehr das, was Selestin von ihm übrig gelassen hat, stammt aus dem Wildur-Clan, einer bedeutenden Familie, der Ambitionen auf den Thron nachgesagt werden. Wie sie hier rein kommen konnten, weiß ich allerdings nicht.“ Arith Tarnel fühlte sich verpflichtet, etwas dazu zu sagen. „Wie ihr alle wisst, schützt eine magische Sphäre Burg Catrek gegen Eindringlinge. Sie wurde nicht penetriert, also müssen sie ganz normal durch die Tore marschiert sein.“ „Wohl eher geschlichen als marschiert.“ Der Direktor sah Logg Andei an. „Weißt du, was geschehen ist, alter Freund?“ Der Philosophie-Lehrer nickte ernst. „Es scheint, das sie sich zwischen einer Warenlieferung versteckt haben. Diese Lieferung kam vor zwei Tagen an. Das ist gerade genug Zeit um ihre Spuren und die leeren Fässer, in denen sie sich versteckt haben, nicht zu entdecken. Danach machten sie sich sofort daran, die Falle aufzustellen. Als diese fehlschlug, waren sie schon auf dem Weg, die Burg zu verlassen, aber Conrad Waldeks Manöver präsentierte Lady Northim zu verlockend für sie, als dass sie widerstehen konnten. Eine großartige Strategie, und durch die Anwesenheit Jisathans wurde die Situation für sie glaubwürdig.“ „Und Conrad glaubt immer noch, die Attentäter waren hinter Torandil her?“, fragte der Major argwöhnisch. „Will ihn nicht mal jemand aufklären, worauf er sich eingelassen hat?“ Der Major bemerkte argwöhnisch, dass für die beiden Lehrer und den Direktor plötzlich Decken und Wände äußerst interessant waren. „Dann eben nicht.“ „Keine Sorge. Es wird sich bald alles von selbst erklären. Ich erwarte Besuch von einer Gastdozentin.“ Ein dünnes Lächeln lag auf den Zügen des Dämons. Livon Azet spürte, wie ihm kalter Angstschweiß auf die Stirn trat. „Oh nein, Hygar, alter Junge, bitte sag mir nicht, du hast... Sie eingeladen?“ „Was hast du gegen die schönste Frau auf dieser wunderschönen Welt?“, fragte der Dämon freundlich. „Wenn ich gleich anfange, bin ich gegen Mittag mit aufzählen fertig“, erwiderte er bissig. „Wie kannst du Conrad das antun? Bisher dachte ich, du magst ihn!“ Wieder sah der Direktor in den Innenhof hinab. „Oh ja, das tue ich. Sehr sogar, deshalb versuche ich ja auch ihn ab zu härten, wo immer ich kann.“ Mit wohlwollenden, freundlichen Augen sah er auf den jungen Menschen hinab, der mit seinen Freunden auf einer Steinbank saß und die Sonne genoss. Conrad fühlte sich beobachtet. Beobachtet, gelobt und getadelt gleichermaßen. Er sah auf, aber er konnte niemanden entdecken, der ihn heimlich musterte. Dafür erkannte er Jisathan samt Gefolge, die in ihre Richtung kamen. „Der schon wieder!“, zischte Selestin wütend. „Ich wünschte, die Erde würde sich auftun und ihn verschlingen.“ „Gestern hast du noch mit Tränen in den Augen darum gebettelt, das wir ihm helfen“, tadelte Torandil. „Wer hat gebettelt?“, rief sie aufbrausend. Abwehrend hob der Gott beide Arme. „Halt, halt! Meine Knochen sind gerade erst wieder geheilt, Mädchen!“ Halb besänftigt setzte sie sich wieder und rückte dabei so weit zu Conrad herüber, das sie sich an ihm anlehnen konnte. Mirk beobachtete die Szene mit einem Lächeln. Aber es wirkte nicht ganz echt und er war nicht wirklich ganz mit den anderen auf dieser Bank. „Zwei Assassinen zugleich. Ich weiß nicht wie er das geschafft hat. Der Mann gehört nicht nur der Götterrasse an, er ist auch einer.“ „Kannst du mal aufhören von Major Azet zu schwärmen? Das ist ja peinlich. Warum heiratest du ihn nicht gleich?“, bemerkte Conrad amüsiert. „Was? Ich und der Major? Heiraten? Oh, ganz in weiß, das wäre schön!“, quiekte Mirk vergnügt und legte dabei beide Hände vor seinen verzückt verzogenen Mund. Als er das Entsetzen der anderen bemerkte, grinste er sie wölfisch an. „Das liebe ich an euch. Man kann euch so leicht dran kriegen.“ Mittlerweile hatten Jisathan und Gefolge sie erreicht. Der Prinz hielt einem seiner Gefolgsleute auffordernd die Rechte hin, und der legte ein Catt-Brett hinein. Kitram auf der anderen Seite hielt einen Beutel, der die Figuren und Würfel enthielt. „Wir machen da weiter, wo wir gestern aufgehört haben, Torandil Azet! Du hast doch hoffentlich noch die Aufstellung im Kopf? Nicht das ich dir unterstellen würde, das du das Brett absichtlich umgeworfen hast, als Selestin ihren Feuerball geschleudert hast, damit ich meine Plänkler vergesse.“ „Wie kommst du denn darauf? Natürlich wusste ich, dass du das Spiel ebenso wie ich komplett im Kopf hast“, erwiderte der Gott mit einem gefährlichen Grinsen. Conrad als aufmerksamer Beobachter konnte allerdings von seiner Position sehr gut sehen, wie sich seine Hände verärgert zu Fäusten ballten. „Komm, wir machen ihnen ein wenig Platz zum spielen“, sagte Conrad und zog Selestin mit sich auf die Beine. „Kitram, auf ein Wort.“ Diese Worte zogen die Aufmerksamkeit des Menschenprinzen auf den Jahrgangssprecher. „Conrad Waldek, damit du es nur weißt! Was ich gestern gesagt habe war nur eine vorübergehende Schwäche! Das habe ich nicht ernst gemeint! Du bist und bleibst ein Bauersjunge, der...“ Conrad trat amüsiert einen Schritt vor und tätschelte den schwarzen Haarschopf des Prinzen ausgiebig. „Ich habe dich ja noch gar nicht dafür gelobt, was du gestern Abend geleistet hast, Jisathan. Das hast du sehr gut gemacht. Ich bin wirklich stolz auf dich.“ Der Prinz sah Conrad aus wässrigen, verzückten Augen an. „Großer Bruder...“ „Und jetzt habe deinen Spaß mit Torandil!“ „Ich werde gewinnen!“, versprach der Prinz von Agenfelt aufgeregt. Conrad nickte dazu wohlwollend, dann zog er Selestin und Kitram Lorhest mit sich. Schnell war er mit ihnen auf dem Kutschhof. „Kitram, mein Bester, was die Sache neulich im Alten Warenhaus betrifft... Hat Jisathan das Ganze vielleicht arrangiert, um mich mit Selestin zusammen zu bringen? Ich hatte die Schriftrolle jedenfalls bei mir, und trotzdem hatte sie ein eigenes Exemplar.“ Der große blonde Mensch mit den zerwühlten Haaren räusperte sich lautstark. „Du musst verstehen, Conrad, das Jisathan eine sehr schwere Kindheit hatte. Er ist einerseits ständig vom Tode bedroht gewesen, andererseits aber hatte er nie wirkliche Freunde. Er kann nicht so gut mit anderen. Und als ihr beide so oft aneinander geraten seid, obwohl er es gar nicht wollte, als er merkte, das seine eigene Arroganz ihm wieder und wieder im Weg war, da...“ Kitram hob seufzend die Schulter. „Es ist halt seine Art.“ „Oh, ich bin sicher, dass er in all der Zeit wenigstens einen Freund hatte.“ Conrad legte eine Hand auf Kitrams Schulter. „I-ich bin nicht würdig, mich seinen Freund zu nennen“, haspelte der zukünftige Minister hervor. „Das zu entscheiden überlasse deinem Prinzen“, tadelte der Jahrgangssprecher mit einem Lächeln. „Und was dich angeht, Selestin...“ „Mich?“, rief sie entsetzt. „Bei der Sache im Warenhaus, mein Schatz, warst du nicht sehr nachdrücklich mit Jisathan und seinen Leuten. Während der Schlacht mit den Piraten hast du gezeigt, dass du im Warenhaus nicht einmal einen Bruchteil deiner Kraft benutzt hast.“ „I-ich bin sanft mit ihnen umgegangen! Immerhin sind sie auch nur Kadetten und...“ „Und du hast gewusst oder zumindest geahnt, das Jisathan das ganze inszeniert hatte, oder?“ Aus tränenüberströmten Augen sah sie den Menschen an. „Ich habe es mir gedacht... Hasst du mich jetzt?“ Conrad ergriff ihre Hände und zog sie näher zu sich heran. „Ich liebe dich nicht weil du mich im Alten Warenhaus gerettet hast. Ich liebe dich, weil es dich gibt.“ „Conrad...“, hauchte sie und schmolz dahin wie Butter im Ofen. Kitram räusperte sich verlegen und begann damit, sich diskret zurück zu ziehen. Obwohl die beiden mitten auf dem Kutschhof sicherlich nicht wirklich alleine waren. Als die zweispännige Kutsche auf den Innenhof galoppiert kam und mit quietschenden Bremsen hielt, sah Conrad kurz auf. Sehr zum Ärger von Selestin, die beinahe einen Kuss erhalten hätte. „SELESTIN!“, rief eine freudige Mädchenstimme. Die Tür der Kutsche wurde aufgestoßen, lange bevor der livrierte Diener sie öffnen konnte, und ein junges Mädchen mit langem, blonden und glatten Haar sprang heraus. Sie trug die Kadettenkleidung, und sie stand ihr ganz hervorragend. Conrad bemerkte irritiert, wie Selestin zu zittern begann. Und wenn er genauer hinsah, dann ähnelte das herbei eilende Mädchen Selestin bis auf kleine Details wie ein Ei dem anderen. „Ist das deine große Schwester?“, riet Conrad. Ein Blitzen ging über die Augen der neu angekommenen jungen Frau. Sekunden darauf ruhte Conrads Gesicht auf ihrem Busen, während sie ihr Bestes tat, um ihn zu Tode zu umarmen. „Oh, große Schwester, was bist du nur für ein Schelm, Conrad Waldek. Wenn Selestin dich nicht so toll finden würde, dann würde ich dich als Freund haben wollen!“ „Was trägst du auch die Kadettenuniform!“, tadelte Selestin. „Da muss man dich ja verwechseln!“ Das neu angekommene Mädchen ließ Conrad fahren und sah die Göttin traurig an. „Steht sie mir etwa nicht? Und ich war so stolz darauf, das ich noch hinein gepasst habe.“ „Darum geht es doch gar nicht. Natürlich steht sie dir, aber du warst hier nicht nur Kadettin, sondern auch Lehrerin! Darfst du sie überhaupt tragen?“ „Ach, meinst du, nur ihr jungen Dinger dürft so viel Bein zeigen? Zu meiner Zeit hat man den Rock aber noch um einiges kürzer getragen, aber ihr werdet ja eher konservativer in diesen Tagen.“ „MUTTER!“, rief Selestin entrüstet. „Mutter?“, echote Conrad. „MUTTER?“ Als Ergebnis seines Ausrufs umarmte sie ihn erneut und drückte ihn wieder auf ihre Brust. „Du bist so ein süßer Junge, Conrad. Du nennst mich ja schon Mutter. Das finde ich so niedlich. Mein Halbjahr als Gastlehrerin fängt ja wirklich phantastisch an.“ „Halbjahr? Gastlehrerin?“, hauchte Selestin mit Angst in der Stimme. „Und vielleicht noch ein wenig länger, nicht wahr, Taramia Northim?“ „Und vielleicht ein wenig länger“, erwiderte die Göttin und ließ Conrad erneut fahren. Dann umarmte sie Direktor Hygar Davon und seine Begleiter herzlich. „Oh, es ist ja viel zu lange her!“ Davon raunte ihr leise zu: „Gefällt Conrad dir wirklich so gut? Machst du es ihm etwa leicht?“ Die Göttin verzog ihr Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. „Oh ja, er gefällt mir sogar sehr gut. Aber von leicht machen habe ich nie geredet.“ „Der arme Junge“, murmelte der Dämon. Aber es klang eher amüsiert als mitfühlend. Gut, das Conrad die geflüsterten Stimmen nicht hatte hören können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)