Bomb Run von KateFromHighburyPark (Eine US-Bomberbesatzung im 2. Weltkrieg) ================================================================================ Kapitel 12: Italienisches Intermezzo ------------------------------------ Der Blick des jungen Nachrichtenoffiziers Nick Brandon war auf die zehn Männer vor ihm gerichtet. Der Pilot starrte ihn an, sein Blick direkt in seine Augen. Brandon senkte seinen Augen auf das Papier in seiner Hand, er schnaufte nervös. Das hier war erst sein drittes De-Briefing. Und die zehn Männer vor ihm machten den Eindruck, dass er ihnen mit seinem Gefrage gehörig auf die Nerven ging. Wer konnte es ihnen verdenken? Da schickte sie man ihn England los, auf einen Flug der eine verdammt lange Zeit dauerte, man ließ sie eine Stadt bombardieren, sich von der Flak beschießen, und sie während des Fluges auch noch von feindlichen Jägern traktieren zu lassen. Und danach setzte man sie, so wie sie aus ihrem Flugzeug kamen, verschwitzt und aufgerieben von den Erfahrungen, zitterig von den Nachwirkungen eines eventuellen Schocks, da ließ man sie in einem Raum Platznehmen und von einem Offizier ausfragen. Es war auf allen Flugplätzen dasselbe, auch, dass die Besatzungen sich nur zu gern davor drücken würden. Brandon sah den Pilot an. Dessen dunkelbraunes Haar klebte am Kopf, um seine Augen waren tiefe Falten eingegraben, die ihn älter wirken ließen, als er war. Aber das am meisten beängstigende waren seine Augen. Es waren die Augen eines alten Mannes, in einem Gesicht, das kaum älter als fünfundzwanzig war. Es waren Augen, die schon viel gesehen hatten. Zuviel. Und Dinge, die eigentlich niemand sehen wollte. Er hatte seine Kameraden, die Männer, mit denen er vielleicht in einer Baracke oder beim Briefing noch gesprochen und gescherzt hatte, sterben sehen. Er hatte Flugzeuge gesehen, die als brennende Feuerbälle von einem wolkenlosen Himmel fielen. Es passte nicht zusammen, seine Augen und sein Gesicht. Der Pilot knetete seine Mütze gedankenverloren in den Händen, während er Brandons forschenden Blick nun an sich abprallen ließ. Brandon senkte wiederum seinen Blick auf das Papier. Seine feuchten Finger ließen das Papier an den Rändern wellig werden. Der Einsatzbericht. Er nahm sich zusammen und setzte seine Befragung fort. „Lieutenant Davis“, begann er und sah den dunkelhaarigen Piloten an. „Erzählen Sie mir von dem Bombardement.“ Davis grummelte irgendetwas vor sich hin, dann räusperte er sich. „Was soll es da zu erzählen geben? Wir werfen die Bomben ab, fliegen eine Wende und dann fliegen wir heim. Meistens jedenfalls. Heute sind wir in Italien gelandet.“ Brandon brach der Schweiß aus, wieso nur mussten sie ihn immer hinstellen, als wäre er ein kompletter Idiot? Konnten sie nicht einfach reden? Ihre Berichte abgeben? Dann würde er sie ja in Ruhe lassen. Glaubten diese Männer, er machte diesen Job aus Jux? „Ich meine, die Situation über dem Ziel? Gab es viel Flak, oder Jäger?“ „Flak gab es nicht so viel“, meldete sich ein junger hochgewachsener Mann leise zu Wort, Brandon erkannte an dessen Ärmelabzeichen, dass er der Navigator war. Ein Sergeant. Er konnte nicht älter als einundzwanzig sein. „Aber Jäger waren da“, fuhr dieser fort. „Allerdings erst, als wir circa hundertfünfzig Meilen vom Ziel entfernt waren.“ Er warf dem Piloten einen Blick zu, der wohl heißen sollte, umso schneller wir antworten, umso schneller haben wir es hinter uns. Brandon gab dem Schreiber neben sich am Schreibtisch ein Nicken und der begann mit der Schreibmaschine zu klappern. Brandon sah wieder den Navigator an, der sich als ein wenig umgänglicher herauszustellen schien. „Wo begannen die Jägerangriffe?“ Der Navigator dachte kurz nach. „Sie kennen unseren Kurs?“ Brandon nickte. „Die markierten Kursangaben über Klagenfurt, Triest und Ancona?“ Brandon nickte wiederum. „Gut. Über Triest kamen mindestens fünfzig von den Kerlen auf uns zu. Über der Adria konnten wir sie abschütteln. Die nächsten kamen über Ancona und von da an im Minutentakt. Solange bis wir die Gustav-Linie bei Monte Cassino überflogen haben.“ Er nahm einen nervösen Zug an seiner Zigarette. „Dann kamen die Mustangs und Thunderbolts hier aus der Gegend und haben sie uns vom Leib gehalten. Weitestgehend. Es sind trotzdem noch zwei Maschinen abgeschossen worden.“ „Eine davon ist weiter nördlich notgelandet. Die andere im Meer gelandet. Alle Besatzungsmitglieder sind sicher, “ sagte Brandon. Der Navigator nickte. „Sehr gut.“ „Wie war die Wetterlage? Beim Anflug und über dem Ziel?“ Der Rest der Besatzung schien sich mittlerweile in einen Dämmerschlaf versetzt zu haben und ließ ihren Navigator reden. Der Pilot starrte ins Leere, zwei andere lehnten mit verschlossenem Gesichtsausdruck an der hinteren Wand. Einer hielt mit zitternden Fingern eine Tasse Tee in der Hand. Und der Mann neben dem Navigator starrte aus dem Fenster, wo eben zwei Mustangs zur Landung ansetzten. Es gab einen Höllenlärm, als die Maschinen direkt an der Hütte des Nachrichtendienstes vorbeizischten. Als der Lärm in der Ferne verklang, als die Maschinen sich in Richtung Hangar bewegten, fragte Brandon weiter. Nach gut zehn Minuten hatte er einige brauchbare Informationen aus ihnen herausbekommen und entließ die Männer, die es mit einem erleichterten Schnauben zur Kenntnis nahmen. Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken hinter ihnen. Er lehnte sich zurück und gab dem Schreiber seinen Notizzettel, auf dem er sich noch weitere Sachen notiert hatte. Dann nahm er seine Mütze vom Kopf und fuhr sich durch sein dichtes Haar. Er schwitzte. Italien war ihm mit Abstand zu warm und schwül. Dazu kam noch, dass über dem ganzen Flugplatz etwa vierzig Meilen östliche von Foggia eine dicke Staubwolke hing, weil ständig Flugzeuge starteten und landeten und dabei den feinen Sand und einen Haufen Staub aufwirbelten. Die Luft schien den ganzen Tag nur trüb zu sein. Und manchmal passte diese trübe Luft auch zu seiner Stimmung. Liberty Lillys Besatzung war frei. Vorerst. Den Rest des Tages hatten sie zur freien Verfügung und nachdem sie sich einen Snack in der Kantine geholt hatten, ihre Schlafbaracke besichtigt hatten, und ihr Gepäck abgeladen hatten, machten sie sich auf den Weg. Davis und Gunny fuhren auf einem Motorrad mit Seitenwagen ins Landesinnere. Beide wollten ein Stück italienische Landschaft sehen. Wenn sich schon mal eine Gelegenheit bot, meinte Gunny. Matt, Curtis und Verge wollten an den Strand. Zusammen mit eine zwei anderen Männern einer Besatzung besetzten sie einen Transporte und fuhren los. „Ihr Jungs wisst schon, dass beinahe noch der ganze Strand abgesperrt ist, oder?“ fragte einer aus der anderen Besatzung, Joe Murray war sein Name. Matt machte ein enttäuschtes Gesicht. „Wirklich?“ „Nun ja, “ sagte Murray und grinste. „Beinahe der ganze Strand. Wir kennen da eine Ecke, die nicht voller Stacheldraht ist.“ „Welches ist euer Flugzeug?“ fragte Curtis, als sie an den langen Reihen B-17 vorbeifuhren. „Eine B-17 G, eine neue Maschine mit einem vorderen Geschützturm. Sie heißt Heavens Above.“ „Wie viele Einsätze habt ihr denn schon?“ „Fünfzehn.“ „Hah“, sagte Matt. „Wir haben sechzehn.“ Murray grinste und zeigte dann aus dem Fenster. „Schaut mal.“ Drei Gesichter wandten sich um und blickten gespannt nach draußen. Durch trübe Luft, immer noch staubgeschwängert, blitzte in der Ferne das azurblaue Meer der Adria. Die Sonne flimmerte am Horizont und Matt glaubte einen Schatten gesehen zu haben. Knapp über dem Boden. „Achtung!“ rief plötzlich von vorne der Fahrer und stoppte abrupt das Fahrzeug. Hinten fielen alle durcheinander. Murray landete kopfüber auf der anderen Sitzbank, Matt rücklings am Boden. Über ihnen schien die Hölle loszubrechen, es donnerte und heulte, die Abdeckung riss durch den heftigen Pressdruck auf und gab den Blick auf den Himmel frei, wo ein paar einzelne Wolkenschiffchen einsam am Himmel hingen. Zwei dunkle Schatten huschten über das Loch hinweg. „Himmel!“ schimpfte Murray, als er sich wieder aufrappelte und den Staub des Lagerraums des Transporters aus seinen Haaren schüttelte. „Diese verdammten Kerle.“ Curtis hing über der Rückwand und starrte den vier Mustangs nach, die in den Himmel schossen. Eine zog eine Siegesrolle und Murray konnte die Kennzeichen sehen. „Andauernd machen die so was. Der Typ mit der Rolle ist MacNeil, ein Kanadier,“ erklärte Murray. „Er ist ein Ass.“ „So fliegt er auch“, sagte Verge. „Wie viele Abschüsse hat er?“ „Neunzehn.“ Die drei Männer von Liberty Lilly sahen sich an. „Und er hat einen ganzen Haufen Panzer in der Normandie erledigt, “ fügte Murray hinzu. „Wieso haben die ihn dann hier nach Italien versetzt?“ Murray grinste. „Er ist dafür bekannt, dass selten Flugzeuge, die ihn als Geleitschutz haben, abgeschossen werden. Klar, er kann nicht immer Glück haben. Aber seine Quote ist höher als bei anderen.“ „Scheint ein schwer beschäftigter Mann zu sein.“ „Vielleicht sollten wir ihn mal fragen, ob er uns in England besuchen kommt“, meinte Verge. Mit einer Handbewegung wies Murray auf den Strand. „Und? Hab ich zuviel versprochen.“ „Nein, hast du nicht. Stacheldraht ist wirklich genug da.“ Murray drehte sich grinsend um. Er bahnte sich seinen Weg durch das dicht bewachsene Stück Wiese, das den Strand von dem Trampelpfad, der sich dahinter verbarg, trennte. Die anderen vier stapften ihm nach. Murray führte sie durch eine Lücke im Stacheldraht, und zeigte ihnen, dass der Strand garantiert nicht vermint war. „Wir sind alles mit einem Minensucher abgegangen.“ Dann endlich spürten sie den ersten Sand unter ihren Schuhsolen. Sie krempelten die Hosenbeine nach oben und zogen die Schuhe aus. Matt konnte sich nicht halten. Noch auf dem Weg zum Wasser schmiss er sein khakifarbenes Hemd davon, dann das weiße Unterhemd. Mit einem Platschen landete er im Wasser. Das Sonnenlicht glitzerte in den aufspritzenden Tropfen. Davis’ und Gunnys Motorrad rollte langsam die serpentinenartige Straße herunter. Sie fuhren nicht schnell, dafür gefiel ihnen die Landschaft zu gut. Sie wollten soviel wie möglich davon einfangen. Die Gegend hier gefiel Davis mit Abstand besser, als die zerschossene Landschaft rund um Pescara, die sie noch ein paar Stunden zuvor sehr tief überflogen hatten. Die Gegend war in heftige Abwehrkämpfe verwickelt gewesen. Nicht so wie hier. Langsam gab Davis wieder Gas und das Motorrad wurde schneller, Gunny im Seitenwagen ließ sich den Wind um die Ohren wehen. Den warmen Wind Süditaliens. Es war Mitte Juli und sehr heiß. Sie fuhren nur in ihren Hemden, ohne Helme. Irgendwann, auf der Kuppe eines Hügels wo die Aussicht am schönsten war, hielten sie an und ließen sich ins weiche Gras sinken. Sie hingen ihren Gedanken nach. Ließen sich treiben, oder dachten an nichts. Die Landschaft hier war wild und einsam, nur schmale staubige Wege durchzog sie. In der Ferne an einem Hang konnten sie ein Haus sehen, von dort aus wohl man das ganze Tal überblicken konnte. In der Ferne türmte sich ein hoher Berg auf, an seiner Spitze hingen ein paar Wölkchen fest, wie weiche flauschige Küken, die sich an eine Glucke drängten. Auf ihrer Seite des Hügels fiel das Tal steil ab, der schmale Weg wand sich nach unten, von dort aus konnten sie sehen, durchzog er das Tal parallel zu den Hängen. Die Sonne sank tiefer, warf ihre letzten warmen Strahlen in das Tal. Die Wände des Hauses nahmen nun einen gelben Schimmer an. Das dünne Rinnsal eines Baches schien plötzlich silbern anzumuten und blitzte in der untergehenden Sonne. Davis setzte sich langsam auf. Die Sonne sank weiter tiefer, das Haus wurde nun dunkler, beinahe rötlich. Die Hänge überfielen dunkle Schatten. Nur der Hügel, auf dem sie saßen und in die Ferne blickten, schien im roten Abendlicht zu brennen. „Was würde ich dafür geben, ewig hierzubleiben“, flüsterte Gunny. Dumpfes Grollen schreckte ihn auf. Gorsky drehte sich um und drückte ein Kissen auf sein Gesicht. Das Grollen wurde lauter. „Herrschaft!“ schimpfte er und drehte sich wieder auf die andere Seite. Doch irgendetwas stimmte nicht ganz, da lag eine Hand auf seinem Bauch. Nicht seine Hand. Und das, was er da gerade auf sein Ohr gedrückt hatte, war auch kein Kissen. Es war ein Kleidungsstück. Dann traf ihn die Erinnerung wieder und er setzte sich auf. Hannah Molesworth, Rotkreuzschwester, stationiert östlich von Foggia auf dem Flugplatz, neben ihm regte sich, öffnete ihre Augen und blickte ihn verschlafen an. „Wie spät ist es?“ Gorsky sah auf sein Handgelenk, aber die Uhr war nicht da, wo sie sein sollte. Er blickte in den Himmel, aber auch da fand er keine Antwort. Es war dunkel. Nur in der ferne am Horizont fand sich noch ein schmaler heller Streifen, der kund tat, dass da vorhin die Sonne versunken war. „Keine Ahnung.“ „Sollen wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“ fragte sie unschuldig. Gorskys helle Zähne blitzen im Dunkeln auf. „Wo waren wir denn?“ Ihre Lippen fanden seine, seine Hände umschlangen ihre Arme und er zog sie an sich. „Da waren wir“, sagte sie leise. Später lagen sie nebeneinander im warmen Gras. Ein lauwarmer Wind blies vom Meer her und zerzauste ihre Haare. Sie schmiegte sich an ihn. „Du weißt, dass das hier einmalig ist…“ Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Er nickte. „Und du weißt auch, dass wir uns wahrscheinlich nie wieder sehen werden.“ Wieder nickte er und drückte ihren warmen Körper an sich. Dann sprach er leise: „Wir müssen nehmen, was wir kriegen können. Soviel Nähe wie es geht. Wir könnten morgen vielleicht schon nicht mehr die Chance dazu haben. Morgen könnten wir schon tot sein. Jetzt ist jetzt, und wir leben nicht für morgen. Wir leben heute.“ Er seufzte. „Tut mir leid.“ „Es muss dir nicht leid tun.“ Sie lehnte sich auf ihre Ellbogen und strich ihm ein paar widerspenstige hellbraune Locken aus der Stirn. „Ich weiß wie es ist. Meine beste Freundin hat es erlebt. Sie wollte heiraten, doch da kam er nicht mehr zurück. Auch ein Bomberpilot war er, weißt du. Sie flogen nach Deutschland. Einen Tag zuvor hatten sie sich noch geliebt. Am nächsten war er weg. Einfach gegangen. Alles was übrig war, war eine Kiste mit seinen Sachen. Sie haben sie ihr geschickt.“ „Seit ich und meine Besatzung in England angekommen sind“, sagte Gorsky leise. „ Da haben wir haben gemerkt, dass es uns morgen vielleicht nicht mehr gibt. Deshalb leben wir jetzt.“ Er blickte sie an. „Aber ich darf es trotzdem sagen, oder?“ „Was du willst.“ „Ich würde gern wieder zu Hause sein.“ Sie strich ihm über die Wange und küsste ihn sanft. „Heute bist du bei mir zuhause.“ Am nächsten Tag war sie weg und Gorsky lag alleine auf dem kleinen Fleckchen Wiese, seine Hand umklammerte die Krawatte ihrer Uniform, die sie bei ihm vergessen hatte. Oder dagelassen hatte. Er würde nicht verletzt oder gar gekränkt sein, wenn sie einfach verschwand, er hatte es ihr schon vorher gesagt. Sonst, wenn sie noch dagewesen wäre, hätte er womöglich nicht loslassen können. Aber wie sie, und er, gesagt hatten, sie lebten heute. Und heute war ein neuer Tag, egal was er bringen mochte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)