Bomb Run von KateFromHighburyPark (Eine US-Bomberbesatzung im 2. Weltkrieg) ================================================================================ Kapitel 10: Landmädchenarbeiten ------------------------------- „Soll der Skip wirklich diesen Orden bekommen?“ „Hat er schon. Dafür, dass er die Grünschnäbel nach Hause gebracht hat. Und die Mühlen der Kommandantur haben dieses Mal sogar erstaunlich schnell gemahlen.“ „Man, man. Ich hab mir fast in die Hose gemacht, als er gesagt hat, wir wollen bei denen bleiben. Ich dachte, er hatte einen Totalausfall.“ „Nich’ nur du dachtest das.“ Verge und Chase lagen auf dem Rücken auf einem Weizenfeld, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Aus den Augenwinkeln beobachteten sie Anne und Erica, die Landmädchen vom Bauernhof. Sie hatten sich mit ihnen angefreundet und die beiden Mädchen luden die Jungs gern zu sich ein. Arbeiten in Gesellschaft war viel netter, als alleine. Nicht, dass sie allein gewesen wären. Meggie und Sam waren ja da. Aber Verge und Chase waren ihnen lieber, als der alte Landarbeiter Reg, der sie sowieso meistens nur kritisierte und bemängelte. Außerdem waren die Jungs sehr nützlich, falls mal so richtig schwere Arbeit anfiel. Kühe fangen, zum Beispiel. „Treib’ sie doch hier rüber, du Idiot. Was soll ich da drüben mit den Viechern?“ Verge warf Chase einen Stock zu. „Nimm’ den!“ Chase hechtete nach dem Stock, stolperte über seine Füße und landete im Mist. „Verdammt!“ „Das kannst du laut sagen.“ Verge krempelte sich die Ärmel hoch und grinste dann. „Sollen wir es mit dem braunen Vieh da drüben versuchen?“ Verge zeigte auf ein kleines Kalb, das neben dem Zaun stand und sich so fest daran scheuerte, dass die ganze Konstruktion verdächtig wackelte und zusammenzubrechen drohte. „Nein. Nehmen wir das Schwarze. Das wo so lieb zu dir rüberguckt.“ Chase lachte, als Verge ihm mit einem weiteren Stock drohte. Nach einer weiteren Viertelstunde Kälberjagd hatte Chase genug. Ihm war warm. Es war Mitte Juli und die Sonne brannte erbarmungslos auf die Arbeiter auf dem Bauernhof herab. Vor vier Tagen hatten sie ihren dreizehnten Einsatz nach Bremerhaven hinter sich gebracht und waren nun für sechs Tage freigestellt worden. Meggie Winterbotham und ihr Mann Sam hatten sie eingeladen, die freien Tage auf dem Bauernhof zu verbringen. Die Mädchen hatten dabei ihre Hände im Spiel gehabt, das wusste Chase. Aber Verge war sowieso seit neuestem das halbe ‚Adoptivkind’ von Meggie, die aus Höflichkeit auch ihre Einladung an die anderen Besatzungsmitglieder ausgesprochen hatte. Doch die anderen schienen etwas Besseres zu tun haben, worüber Chase nicht ganz unglücklich war. Er fluchte unterdrückt, als er die restlichen zehn Kälber, die noch gefangen werden wollten, munter auf der Weide herumspringen sah. Sein letztes sauberes Uniformhemd war gerade in einem Haufen Kuhdung baden gegangen und sah dementsprechend aus. Er seufzte und zog sich das Hemd über den Kopf. Die Mädchen lehnten am Weidezaun und blinzelten unter ihren breiten Strohhüten hervor, die sie zum Heumachen trugen. Erica pfiff durch die Zähne, Chase grinste, drehte sich schwungvoll um, rannte auf sie zu und tat, als werfe er das dreckige Hemd nach ihr. Sie lief laut lachend davon. Der alte Farmarbeiter Reg beobachtete das ganze, solange bis es ihm zu bunt wurde. Mit erhobenem Zeigefinger kam er auf die vier zu. Drohend wie mein Lehrer der ersten Klasse, wenn ich wieder die Matheaufgaben verbockt habe, dachte Verge unwillkürlich. „Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?“ begann er auf die Mädchen einzuschimpfen. „Erst diese Männer hierher einladen und dann nur Unfug treiben? Die Kälber müssen markiert werden. Fangt gefälligst diese verdammten Kälber ein.“ Die Mädchen trollten sich in die Richtung der widerspenstigen Kälber. Reg wandte sich an Verge und Chase. „Und ihr Amerikaner wisst auch nicht, wie ihr euch zu benehmen habt! Immer am Späße treiben und den Mädchen nachstellen. Und dann bietet ihr ihnen ständig irgendetwas an. Nylonstrümpfe, Süßigkeiten, Schokolade.“ Verge glotzte Chase an, als hoffe er inständig, der würde das kleine Problem auf seine Art lösen. „Ich bin selbst auf ’ner Farm groß geworden, Mister, “ sagte Chase bestimmt. „Ich weiß, wie man mit den Tieren umgeht. Außerdem macht die Arbeit mehr Spaß, wenn es ein wenig lustig ist.“ Reg wollte zu einer scharfen Antwort ansetzen, doch da rief Meggie nach ihm. Er hob noch einmal drohend den Finger und setzte sich dann widerstrebend in Bewegung, nicht ohne ihnen noch ein paar drohende Blicke zuzuwerfen. Chase und Verge gesellten sich wieder zu den Mädchen, die sich mit einem weißen Kalb abmühten, das nicht gern zu den anderen getrieben werden wollte. „Und jetzt?“ „Weiterfangen“, sagte Anne und blinzelte Verge schüchtern an. Verge lachte sie breit an. Chase sah zuerst Anne an, dann Verge, dann seufzte er und drehte sich zu Erica. „Diese blöden Kälber.“ Erica prustete los vor Lachen und zog ihm an den Ohren. „Du alter Schelm.“ Chase wusste gar nicht, was er denn Falsches gesagt hatte. Anscheinend hatte sie den Satz auf Verge und Anne bezogen. Chase seufzte ergeben und klomm geschickt über den Weidezaun. Er warf über die Schulter einen Blick zu den anderen dreien, die es ihm jetzt auch nachtaten. Nach einer Stunde hatten sie alle Kälber eingefangen, markiert und wieder zu ihren Müttern gelassen, wo die Kleinen einen tröstenden Schluck Milch nahmen und kritisch zu ihren Menschen hinüberlinsten. „Was haltete ihr davon, wenn wir das kleine braune Kalb ‚Casey’ nennen?“ fragte Erica in die Runde und zeigte auf ein Kalb, das ihnen am nahesten stand. Es legte den Kopf schief, als wolle es verstehen, was da über ihn getratscht wurde. Chase zog eine Schnute, doch Anne und Verge stimmten lautstark zu. So wurde das Kalb Casey noch einmal herausgeholt und mit einer ordentlichen Ladung Wasser getauft. „Ein Maskottchen“, sagte Verge lächelnd. „Geht nur leider nicht ins Flugzeug ’rein.“ „Vielleicht muss es abspecken, so wie du.“ „Ich geb’ dir gleich“, rief Chase und stürzte sich spaßeshalber auf Verge. Später tranken die vier zusammen mit Meggie, Sam und Reg Tee, dazu gab es Kuchen. Meggie hatte extra diesen Kuchen gebacken, den sie nun mit Stolz anschnitt und jedem ein dickes Stück auf den Teller legte. Reg schimpfte auf ‚die Amerikaner’ und beschwerte sich, dass auf der Farm seitdem nichts Richtiges mehr voranging. Irgendwann hatte Sam dann doch genug und bat ihn, endlich still zu sein. Reg verschränkte schmollend die Arme. Nach dem Tee machten sie sich daran, das getrocknete Heu zusammenzurechen und dann in den Heuschober zu bringen. Verge, der aus der Großstadt Chicago kam, hatte so etwas noch nie gemacht und ihm taten bald alle Knochen weh. Dazu jammerte er über einen Sonnenbrand und Blasen an den Händen. „Du Armer“, sagte Anne. „Sollen wir Sonneschutzcreme holen?“ Verge nickte verdutzt, als Anne ihn packte und ins Haus zog. Erica und Chase blieben zurück, mit den Heugabeln in der Hand und einem Lachen auf den Lippen. „Die beiden verstehen sich gut“, sagte sie. Chase nickte nur. Dann sagte er: „Allerdings ist Verge ein wenig eigen mit Mädchen. Mir hat er gesagt, Anne erinnere ihn an seine Schwester. Ob da eine Chance auf eine Liebelei besteht…?“ Erica lachte. „Wer weiß, wer weiß.“ Dann sah sie ihm direkt in die Augen und lächelte. „Und wir? Verstehen wir uns auch gut?“ „Ich würde es so ausdrücken“, sagte Chase und lachte breit. „Und du hast noch niemals auf einem Bauernhof gearbeitet?“ fragte Anne, als sie Verge’s Schultern und Rücken mit einer dicken Schicht Schutzcreme einrieb. „Noch nie. Ich hab’ in der Stadt gelebt und da studiert. Hatte keine Gelegenheit auf einen Bauernhof zu gehen.“ „Was hast du denn studiert?“ „Mathematik.“ „Dann wirst du mal ein Lehrer?“ fragte Anne lächelnd. „Das kann ich mir bei dir gar nicht vorstellen. Viel mehr könnte ich mir bei dir Schriftsteller vorstellen. Du machst so den Eindruck. Irgendwie.“ Sie lächelte unbeholfen. „Ich kann auch schreiben“, sagte Verge leise und fühlte sich durchschaut. Woher wollte Anne denn das wissen? War sein Gesicht wirklich wie ein offenes Buch, wie es ihm seine Mutter immer gesagt hatte? Annes Augen wurden groß. „Was denn? Gedichte? Kurzgeschichten?“ „Ein paar Gedichte.“ Verge wurde rot. Keiner sonst wusste von seinem heimlichen Hobby, wenn er von den Einsätzen nach Hause kam, nahm er meistens seinen Notizblock und verzog sich nach draußen, da konnte er am besten nachdenken. „Trägst du mir eins vor?“ fragt Anne, ließ sich auf der Eckbank nieder und stützte ihr Gesicht in ihre Arme. Verge sah zu Boden. „Du musst nicht, wenn du nicht willst…“ „Doch“, sagte er. „Ich werde dir eins vorlesen.“ Er griff in seine Hosentasche und beförderte einen zerschlissenen Block zutage und schlug ihn auf. Dann sah er Anne an. In Bombern, benannt nach jungen Frauen, verbrannten wir Städte, über die wir in der Schule gelernt hatten. Bis unsere Leben verrannen, und unsere Körper mit denen lagen, die wir getötet und doch nie gesehen haben. Wenn wir lange genug blieben, gaben sie uns Orden, Wenn wir starben, sagten sie: Unsere Verluste waren niedrig. *) Er blickte auf und sah Anne wieder an. Sie blickte betreten zu Boden und Verge wurde auf einmal heiß. Er setzte sich zu ihr und legte ihr seine Hand auf die ihre. „Es tut mir leid. Vielleicht war es nicht das richtige.“ Sie blickte auf. „Es braucht dir nicht leid zu tun. Was du sagst, ist die Wahrheit. Und gerade deshalb ist es wohl so…“ Sie hielt inne und vervollständigte den Satz nach ein paar Sekunden „…schockierend.“ Verge schob das Notizbuch zurück in seine Hosentasche. Dort sollte es bleiben, solange bis das hier vorüber war. Er wollte Anne, oder auch niemanden anderen, damit belasten. Er würde seine Gedanken weiterhin aufschreiben. Solange bis sie heimkamen, und nicht dablieben, wie so viele andere. *) Der Originaltext des Gedichtes (von Randall Jarrell) In bombers named for girls, we burned The cities we had learned about in school — Till our lives wore out; our bodies lay among The people we had killed and never seen. When we lasted long enough they gave us medals; When we died they said , 'Our casualties were low.' Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)