fear von Oceanwhirl (past - present - and no future to be seen) ================================================================================ Kapitel 2: coffee ----------------- Jun sah zerzauster aus als sonst, als er am Morgen barfuß und noch in Shorts und seinem verknitterten Schlaf-Shirt in die Küche getapst kam. Yuuki, der nur in Shorts am Küchentisch saß und mit qualmender Zigarette in der Hand darauf wartete, dass der Kaffee endlich durchgelaufen war, bedachte ihn mit einem sehr aufmerksamen und fürsorglichen Blick. Shou schien etwas erschrocken, als er die unübersehbaren Ringe unter Juns geröteten und geschwollenen Augen entdeckte. „Du lieber Himmel, Jun, leg dich wieder hin, du siehst gar nicht gut aus!“, rief er aus und ließ sich von der Anrichte gleiten, wo er der Kaffeemaschine zuschauend gesessen hatte. „Mir geht’s gut“, murmelte Jun und machte eine abwehrende Handbewegung, als Shou seine Hand auf seine Stirn legen wollte, wodurch der sich allerdings nicht an seinem Vorhaben hindern ließ. „Fieber hast du keins“, pflichtete der Drummer ihm bei und blickte von Minute zu Minute ratloser drein. „Ich hab einfach nur nicht besonders gut geschlafen“, nuschelte Jun und setzte sich auf den Stuhl, der ihm am nächsten stand. Dann sah er auf und direkt in Yuukis besorgtes Gesicht. „Geht’s dir wirklich gut?“, fragte der und Jun nickte. Dennoch warf der schwarzblonde Sänger Shou, der unschlüssig neben Jun stand, einen kurzen Blick zu und bat ihn dann: „Können wir kurz alleine reden?“ Der Drummer wirkte etwas verwirrt, nickte dann aber und verließ, als Yuuki ihm versichert hatte, dass er Bescheid sagen würde, sobald der Kaffee fertig war, die Küche. Einen Augenblick lang herrschte noch Schweigen, in dem der Sänger sein Gegenüber aufmerksam musterte. Nur das leise röchelnde Geräusch der Maschine unterbrach die Stille. Jun, der unbehaglich auf die Tischplatte geblickt hatte, zuckte merklich zusammen, als Yuuki seine Stimme erhob. „Deine Augenlider sind ganz aufgequollen. Das sieht nicht gut aus. Du darfst nachts nicht mehr so viel weinen.“ Jun blickte gespielt verständnislos und vielleicht ein bisschen ertappt auf. „Wovon redest du?“ Yuuki zog, den Kopf leicht schüttelnd, an seiner Zigarette, bevor er wieder aufsah. „Du brauchst nicht so unwissend zu tun. Ich hab dir doch versprochen, keinem was zu sagen. Aber wenigstens mir solltest du dich mittlerweile anvertrauen können.“ Jun senkte den Blick wieder und verknotete seine Finger nervös unter dem Tisch. „Warum weißt du davon?“, murmelte er. Nun sah Yuuki etwas überrascht drein. „Weil ich jede zweite Nacht an deinem Bett sitze und dich tröste!“ Die Wangen des Bassisten nahmen eine ungewöhnlich rote Farbe an, als er Yuuki schockiert ansah. Dennoch war seine zitternde Stimme kaum mehr als ein ungläubiges Wispern, als er fragte: „Du tust was?“ Das Röcheln der Kaffeemaschine wurde mit einem Mal lauter, was bedeutete, dass das Wasser nun fast durchgelaufen war. „Woher sollte ich sonst davon wissen?“, fragte Yuuki zurück und drückte seine aufgerauchte Zigarette in dem kleinen braunen Aschenbecher aus, der zwischen ihm und Jun auf dem Tisch stand. „Du sagst ja keinem, was mit dir los ist.“ Jun war klar, dass das ein Vorwurf gewesen war und dementsprechend betreten senkte er den Blick wieder auf die Holzplatte. „Jede zweite Nacht?“, versicherte er sich und Yuuki nickte und fügte dann hinzu: „In der letzten Zeit noch ein bisschen öfter.“ Spätestens jetzt war ihm klar, dass Jun keinerlei Erinnerungen an seine alptraumgeplagten Nächte hatte, auch an die gestrige nicht. „Hör zu“, begann er und zündete eine Zigarette an, reichte sie Jun, der sie dankend annahm und zündete sich selbst dann eine zweite an. „Ich hab dir versprochen, dass die anderen nichts erfahren, solange du das nicht willst. Aber wir müssen zu einem Arzt. Jemand muss dir helfen.“ „Ich glaube, das stellst du dir ein wenig zu einfach vor“, flüsterte Jun nach einem Moment und lehnte seine Stirn in die Handfläche, während sein Blick sich irgendwo zwischen seinen Haaren und dem Nichts vor der Tischplatte verlor. „Wie meinst du das?“, hakte Yuuki nach und sah etwas deprimiert, wie Jun resignierend die Augen schloss. „Ich bin relativ sicher, dass mir kein Arzt der Welt helfen kann“, antwortete der Bassist leise und zögerlich. Von der Spitze der Zigarette, die er noch kein einziges Mal abgeascht hatte, fiel etwas verglühter Tabak auf den Tisch. Yuuki sann eine Weile über seine Worte nach, bevor er vorsichtig vorschlug: „Willst du vielleicht mit mir darüber reden?“ Die Antwort des Dunkelhaarigen kam sehr schnell und direkt und irgendwie machte Yuuki die Endgültigkeit seiner Aussage etwas bestürzt. „Auf gar keinen Fall.“ „Warum nicht?“, wollte der Schwarzblonde enttäuscht wissen. „Vertraust du mir denn nicht?“ „Doch“, wisperte Jun und zwei kleine Tropfen fielen auf die Tischplatte. Wahrscheinlich hatte er genau deshalb die Augen hinter Hand und Haaren versteckt. „Genau das ist doch das Problem. Ihr seid mir zu wichtig, als dass ich euch damit belasten wollen würde.“ Das ‚Ihr’ fühlte sich gut an und dann doch wieder nicht. „Aber dir ist schon klar, dass du in deiner jetzigen Verfassung eine Belastung für uns alle bist, nicht nur für dich und mich, sondern auch für Tetsu, Rai und Shou.“ „Wie kommst du darauf?“ Irgendwie klang das vorwurfsvoll. „Du bist meiner Meinung nach nicht in der psychischen… nicht mal mehr physisch in der Verfassung, dich auf die Band zu konzentrieren; du schläfst doch kaum noch.“ Das war zwar nur eine Vermutung, aber doch sehr plausibel. „Ich hab alles unter Kontrolle“, sagte Jun heftig und sah mit einem Anflug von Aufgebrachtheit, aber auch Unsicherheit in seinen hellbraunen und verweinten Augen zu dem Frontmann auf, der fast ein wenig erschrak. „Ich bin, egal, ob es um Proben, Songwriting oder Produktion geht, voll konzentriert und gewissenhaft, und das weißt du.“ „Klar weiß ich das!“, gab Yuuki mit zusammen gezogenen Brauen zurück, sich nicht darum scherend, dass er gerade seinem letztem Argument widersprach, denn da es nicht gewirkt hatte, spielte das nun keine Rolle mehr. „Aber glaubst du, dass ich dazu auch in der Lage bin?“ Das Röcheln, das in den letzten Augenblicken sehr viel lauter geworden war, erstarb mit einem letzten hoffnungslosen Aufkeuchen und mit einen kaum zu vernehmenden Geräusch schaltete sich die Kaffeemaschine ab. Jun sah mit einem Mal sehr verständnislos drein und Yuuki zog, effektvoll, um ihn ein wenig auf die Folter zu spannen, an seiner Zigarette. „Meinst du, es geht spurlos an mir vorüber, dich so zu sehen?“, gab er mit nun sanfter und samtiger Stimme zu bedenken und auch Jun zog zum wiederholten Male auf die Tischplatte starrend an seiner Zigarette und schwieg. „Ich mach nachts kaum noch ein Auge zu. Und was glaubst du, tut Shou jetzt? Glaubst du nicht auch, dass er jetzt völlig planlos im Wohnzimmer sitzt und sich weiß Gott was für Gedanken macht? Und das noch vor seinem ersten Kaffee.“ Es sollte ein kleiner Scherz sein, um Jun wieder etwas aufzumuntern, doch statt einem Lächeln schlichen sich stumme Tränen über seine bleichen Wangen. „Es tut mir Leid“, wisperte er und wischte sich mit der freien Hand über die Augen. „Ich wollte euch nie solche Scherereien machen.“ Er zuckte etwas erschrocken zusammen und sah auf, als Yuuki über den Tisch langte und sachte seine Hand ergriff. „Dann mach wenigstens deinem Doktor Scherereien“, bat der Schwarzblonde und schaffte es, sein Lächeln zugleich mitfühlend und aufmunternd aussehen zu lassen. „Bitte. Vergiss deinen Stolz. Lass es uns versuchen.“ Jun starrte auf das verbliebene Drittel der schmalen weißen Zigarette, die sich eigentlich selbst geraucht hatte und nickte dann vorsichtig. Zwei letzte Tränen tropften von seinen Wimpern und Yuuki beugte sich nach vorne und wischte mit seinen Fingerspitzen sanft über die feuchten Spuren auf Juns Wangen. Der sah wieder auf und zwang sich zu einem winzigen Lächeln. „Meinen Stolz…“, flüsterte er, wie um durch das Aussprechen zu überprüfen, warum es so falsch klang. „Na gut“, entschied er dann und jetzt war Yuukis Lächeln sichtlich erfreut. „Okay. Lass mich das alles regeln, okay?“, meinte Yuuki und drückte seine Zigarette aus. „Zumindest das kann ich dir abnehmen.“ „Wenn du darauf bestehst“, meinte Jun und tat es dem Sänger gleich. „Das tue ich.“ Erst jetzt ließ er Juns schlanke Hand los und sein Lächeln wirkte etwas gehetzt, als er im Aufstehen anfügte: „Und jetzt sehe ich zu, dass Shou seinen Kaffee bekommt, sonst ist er wieder den halben Tag schlecht drauf.“ Jun nickte und erhob sich ebenfalls. „Ich geh duschen.“ Yuukis Lächeln erstarb, kaum dass Jun in den Flur verschwand. Einen Moment lang stand er vor dem geöffneten Hängeschrank und starrte auf die bunten Tassen darin. Er machte sich verdammt große Sorgen. Dann besann er sich mit einem Kopfschütteln, zauberte ein unehrliches Grinsen zurück auf seine Lippen, griff zwei Tassen und rief nach Shou. Der Drummer war diskret. Er fragte nicht nach, als Yuuki nicht von sich aus berichtete, worüber die beiden gesprochen hatten. Er setzte sich an den Tisch, bedankte sich artig, als Yuuki ihm seine Tasse Kaffee und den Süßungsmittelspender vorsetzte und überlegte dann laut, ob er Tetsu und Rai lieber aufwecken sollte, oder ob er riskieren konnte, dass sie wieder verschliefen. Erst nach ein paar Minuten lockerer Konversation wagte er zu fragen, ob es Jun wieder besser ging und als Yuuki bloß nickte, ging er auch nicht näher auf das Thema ein. Er redete mit leiser Stimme mit Yuuki, zog die Brauen zusammen, wenn er nachdachte und verbarg sein Lächeln hinter seinen Fingerspitzen, so wie er es schon immer getan hatte. „Wie lange kennen wir uns jetzt schon?“, fragte Yuuki unvermittelt und Shou sah ihn überrascht an, bevor er anfing, die Jahre an den Fingern abzuzählen. Er blickte Yuuki kurz unsicher an, dann lachte er hinter vorgehaltener Hand kurz auf und antwortete: „Schon ziemlich lange. Wieso fragst du?“ „Ich wollte nur sicher sein, dass ich nicht der Einzige bin, der sich nicht genau erinnern kann“, grinste Yuuki und nahm einen Schluck des vorsorglich mit Wasser verdünnten Kaffees. Shous Kaffee war so unmöglich stark, dass Yuuki schon nach einer Tasse übermorgen noch hellwach wäre, von Rai ganz zu schweigen. „Im Prinzip spielt es ja auch keine Rolle“, fügte der schwarzblonde Sänger hinzu. „Es wird nur so langsam mal Zeit, dass wir den Durchbruch schaffen.“ „Ja“, meinte Shou und blickte in seine Tasse, um zu überprüfen, ob sie wirklich leer war. „Das ist mit CoЯe ja ziemlich schief gelaufen.“ Yuuki zuckte mit den Schultern. „Diesmal wird’s besser“, meinte er optimistisch. „Willst du noch?“ Er deutete auf Shous orangefarbene Tasse und der nickte dankbar, sodass Yuuki die Kaffeekanne hinter sich ergriff und sie über den Tisch reichte. Shou füllte die Tasse, drückte zusätzlich vier Teile Süßstoff hinein und wartete darauf, dass sich die kleinen weißen Pellets an der Oberfläche auflösten. „Immerhin bist du zum Großteil allein für die Songs verantwortlich“, meinte er indes, die braunen Augen weiterhin starr auf den Tasseninhalt gerichtet. „Wäre schade gewesen, wenn wir da juristische Probleme bekommen hätten.“ Er sah auf. „Schade um die Lieder meine ich.“ Yuuki grinste. „Ich nehme das als Kompliment“, meinte er, worauf Shou nur erwiderte: „Als ob dir nicht schon längst alles klar wäre.“ Jun kam mit T-Shirt und Hose bekleidet, aber noch immer barfuß in die Küche. Sein Haar war noch nass, aber dennoch hatte er sich schon geschminkt, was Yuuki mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm. Der Bassist zeigte keine merkliche Reaktion darauf. „Kaffee?“, fragte Yuuki und stand auf, um eine Tasse aus dem Schrank zu holen, weil er wusste, dass der Dunkelhaarige nicht ablehnen würde. „Danke, gern.“ Es waren nur zwei Worte, aber Juns Stimme klang so unsicher und brüchig, dass Yuuki zweifelsfrei sagen konnte, dass der Andere unter der Dusche geweint hatte. Während sich Jun nach einem leisen Räuspern und jetzt mit sichererer Stimme erkundigte, ob er vielleicht nach den beiden Gitarristen sehen sollte, die beide sehr ausgiebige Langschläfer waren, ließ Yuuki etwas Wasser in die Tasse und holte dann die Milch aus dem Kühlschrank, um beides schließlich vor Jun auf den Tisch zu stellen. Der bedankte sich mit einem sehr scheuen Blick und verließ dann wieder die Küche, um Tetsu und Rai aus dem Bett zu werfen. Yuuki ließ sich auf den Stuhl fallen, doch sein Versuch, unbeteiligt zu wirken, ließ Shou wie erwartet unberührt. Natürlich, wenn man bedachte, wie lange sie schon so eng befreundet waren. „Du machst dir große Sorgen, nicht wahr?“, vermutete der Schlagzeuger und umschloss seine Tasse mit beiden Händen. Yuuki nickte und fuhr sich mit der Hand durch die zum Teil blondierten Haare. „Gut“, antwortete Shou und nickte zufrieden. „Wenn du dich um ihn kümmerst, werde ich mich nicht weiter einmischen.“ Der Frontmann blickte verwundert auf, als er Juns Stimme aus dem Flur hörte, wie er lachend rief, dass man gefälligst aufhören möge, nach ihm zu werfen. Shou lächelte versonnen hinter seinen schmalen Fingern. „Rai hasst es, wenn man ihn nicht ausschlafen lässt.“ Yuuki war mit einem Mal froh, dass er noch nicht die Ehre gehabt hatte, den morgendlichen Weckruf zu übernehmen. „Ich denke, heute wird ein guter Tag“, murmelte der Drummer noch und widmete sich dann wieder seinem wahrscheinlich völlig übersüßten Kaffee. __ Danke für die Kommentare zum ersten Kapitel. Ich bin so happy und werde mir weiterhin alle erdenkliche Mühe geben, für euch, für UnsraW und für mich. *verneig* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)