Caileen, die Drachenprinzessin von FrozenHeart_Immortal ================================================================================ Kapitel 9: Die Initiative ------------------------- Eilends mühte sich Alyssa ab, das unwegsame Gelände zu durchqueren, in welchem das Hochland endete. Dornengestrüpp hatte ihr Haut und Kleider zerrissen und ihre Füße in den Stiefeln taten weh. In ihrem Gürtel trug sie noch immer den Dolch, den die Elfe ihr gegeben hatte. Sonst hatte sie nicht viel bei sich: Nadel und Faden in ihren Taschen, ein zweites, sauberes Hemd und einen Rock in ihrem Reisegepäck sowie etwas Brot, ein oder zwei der ersten Äpfel des Jahres und einen Wasserschlauch. Ihr Aufbruch war so plötzlich gekommen, dass sie ihn nicht besser hatte vorbereiten können. Seit Kazary ihr Dorf verlassen hatte, hatte die junge Frau nicht mehr von ihr gehört. Es waren Monde gekommen und gegangen, aus dem Frühling war Hochsommer geworden, doch ihre Freundin hatte sie seit jeher nicht mehr gesehen. Anfangs hatte sie sich Vorwürfe gemacht. Hatte Kazary das Dorf verlasen, weil sie ihren Kameraden so angeherrscht hatte? Hatte sie ihre Gunst als Freundin verloren? Oder hatten sie Kazary gar gefangen genommen und nun war es Alyssas Schuld, dass ihre Freundin im Elend lebte, weil sie nicht in der Lage gewesen war, die Elfe von dem Drachenreiter mit dem langen braunen Haar zu bewahren? Ihr Vater hatte sie jeden Tag aufs Neue beschwichtigt, sie hoffen gemacht, dass die Elfe zurückkommen würde, dass sie nur Geduld haben müsste. Doch mit jedem Tag, den Alyssa gewartet hatte, war ihre Hoffnung geschwunden. Ihre Geduld schien ihr umsonst, vergeblich, ihr war klar geworden, dass Kazary nicht zurückkehren würde. „Ich fürchte, sie steckt in Schwierigkeiten“, hatte sie ihrem Vater ihre Sorgen geschildert. „Du sorgst dich unnötig, Tochter“, hatte dieser nur erklärt, „Kazary ist mutig und stark, sie wird schon nicht so töricht sein, sich Probleme einzuheimsen, die sie nicht zu lösen vermag. Nein… ich denke vielmehr, dass ihre Zeit gekommen ist, uns zu verlassen. Ich hatte mich schon gefragt, wann es endlich so weit sein würde…“ Alyssa hatten die Worte ihres Vaters entsetzt. Nicht nur, dass er ihrer besten Freundin zugetraut hatte, sie einfach so zu verlassen, sondern auch, das er nichts hatte unternehmen wollen, um herauszufinden, weshalb sie nicht zurückkehrte. Mit den Worten „Sie gehört doch zu unserer Familie! Sie würde nie einfach so verschwinden, ohne uns eine Nachricht zu schicken!“ war sie in ihren Schlafraum gestürzt und hatte ihre Sachen gepackt. Im Schutze der Nacht war sie dann aufgebrochen. Für war eines klar: Kazary musste etwas zugestoßen sein. Erschöpft machte Alyssa Halt. Drei Tage nun schon streifte sie durch das Land, und auch, wenn sie das Hochland bereits verlassen hatte, schien die Hauptstadt Tirganach, von der sie wusste, dass Kazary dort ihre Dienste als Drachenreiterin zu erfüllen hatte, nicht näher zu rücken. Tirganach, die Stadt zwischen den Felsen! Wie lange hatte sie schon davon geträumt, sie einmal zu sehen! Doch nun, da sie die Stadt unter solchen Umständen sehen sollte, war ihr unwohl zumute. Aber es blieb ihr keine andere Wahl. Wenn sie herausfinden wollte, was ihrer Freundin zugestoßen war, musste sie diese Hürde auf sich nehmen. Seufzend wandte sich die junge Frau südwärts und ging weiter. Eine Zeit lang wanderte Alyssa so durch die Wildnis, versunken in ihren Gedanken, dass sie nicht merkte, wie sie an eine Straße kam. Verwundert schreckte sie aus ihren Gedanken auf, als ihr Füße nicht mehr weichen irdenen Boden oder Grad berührten, sondern auf einen befestigten Weg traten. Ihr blick wandte sich dem Himmel entgegen. Die Sonne hatte ihren Zenit schon weit überschritten und die Schatten begannen langsam, sich in die Länge zu ziehen. Wie weit sie wohl gegangen war? Der Gebirgsring, der die Hauptstadt einschloss, verweilte immer noch fern am Horizont. War sie also doch nicht so weit gekommen, wie sie sich erhofft hatte? Sie kannte die Gegenden jenseits ihres Dorfes schlecht und konnte nicht sagen, wie weit die nächste Straße auf der anderen Seite der Narbe entfernt lag. Diese Straße mochte vielleicht ein oder zwei, oder gar unendlich viele Wegstunden fern der Narbe sein! Unmut machte sich in Alyssa breit. So würde sie Tirganach nie erreichen. „Wo warst du gestern Nacht, wir haben auf dich gewartet?“, sprach Daeron verwundert an Lavinia gewandt. Die Elfe lächelte fröhlich, wie so oft, doch etwas hatte sich in ihrem Gesichtsausdruck verändert. Sie wirkte, als wäre ihr ein Fels von Herzen gefallen. „Wieso, was sollte denn sein?“, gab Lavinia kokett zur Antwort und warf dann einen verschwörerischen Blick zu Kazary. Sie hatten die Heimreise erst am späten Vormittag angetreten. Es hatte lange gedauert, alle Krieger in der Stadt ausfindig zu machen. Viele von ihnen, vor allen die Menschenkrieger hatten in den Wirtshäusern mehr getrunken, als es ihnen gut getan hätte, und waren in übelster Laune, als man kam, um sie zu wecken. Nun jedoch bildeten sie einen langen Zug aus Fußsoldaten, Reitern, Schützen und Drachenkämpfern. Suchend ging Daerons Blick in die Höhe. Dort am Himmel hielten sich Falrach, Arsinoe, Silayn und die anderen Drachen auf. Einige Reiter hatten sich gemeinsam mit ihren Gefährten in die Lüfte erhoben. Er selbst und Kazary aber hatten sich entschieden, am Boden bei Lavinia zu bleiben, die trotz ihres gebrochenen Beines zu Fuß gehen wollte. Der Hauptmann war erleichtert zu sehen, wie schnell sich die Elfe nur innerhalb einer Nacht erholt hatte. Die Kopfverletzung hatte sich als nur halb so schlimm erwiesen, wie er gedacht hatte, als er sie noch während des Gefechts zu Elodris gebracht hatte. Die Blutung hatte schon längst aufgehört und es würde wohl kaum eine Narbe zurück bleiben. Auch ihrem Bein schien es etwas besser zu gehen. Manchmal fragte Daeron sich, woran das wohl lag: Daran, dass Elfen generell ihre Wunden schneller auskurierten als Menschen, oder aber, dass Lavinia ein nahezu unverschämtes Glück hatte? Suchend ging Daerons Blick zum Himmel. Wolken kamen auf. Bald schon würden die ersten Regengüsse über dieser Region fallen und damit den Beginn des Herbstes ankündigen. Er mochte die Gegenden nahe der Südwestgrenze Doriens nicht. Das Wetter war zu wankelmütig, die Sommer zu heiß, die Winter zu kalt. Seine Heimat lag in den Wäldern westlich Tirganachs. Dort war die Luft stets klar und angenehm kühl. Das dichte Blätterdach hielt den meisten Schnee auf und verbannte das grelle Licht der Sonne. Es war das Gebiet der Jäger und Waldläufer, denen er früher so oft Gesellschaft geleistet hatte. Doch seit er der Gilde der Drachenreiter angehörte, hatte er seine alte Heimat nur selten gesehen. Manchmal fragte er sich, ob es das wirklich wert gewesen war. „Tirganach über den Wolken, keine zwei Tagesmärsche mehr!“, rief eine tiefe, durchdringende Stimme in seinem Kopf. Unverzüglich wandte der Hauptmann den Blick nach Nordosten. Die Wolken verhüllten den Gebirgsring, der die Hauptstadt Doriens wie eine schützende Mauer umgab, doch von oben musste man die Stadt sehr gut sehen können. „Wir werden bis Sonnenuntergang weitergehen und in der Nacht eine Rast einlegen.“, gab Daeron dem Drachen in Gedanken zu verstehen, „Mit der Dämmerung werden wir unseren Weg fortsetzen. Halte dich in der Nähe, Falrach!“ Er fühlte, wie sein Gefährte sich wieder aus seinen Gedanken zurückzog. Auch er wurde aus dem Bewusstsein des Drachen zurückgedrängt. Auch, wenn er Falrach schon so lange kennte, war ihm in diesem Augenblick, in dem die Verbindung ihrer beider Gedanken zerriss, etwas unwohl. Es war jedes Mal so, als würde ihn tatsächlich ein Teil seines eigenen Geistes verlassen. Er Schüttelte den Kopf, um dieses Gefühl loszuwerden und machte sich dann auf die Suche nach den einzelnen Kommandanten, um ihnen die Befehle für die weitere Reise zu erläutern. Neugierig betrachtete Alyssa die kleinen Dörfer und Höfe zu ihrer Linken. Vom Baustil ähnelten die vielen Fachwerkhäuser sehr denen ihrer Heimat, doch waren diese hier viel sorgfältiger und feinfühliger errichtet worden. An vielen Türrahmen und Stützbalken erkannte sie filigrane Schnörkel- und Blumenmuster, die man ins Holz geschnitten hatte. „Du scheinst mir noch nicht sehr häufig elfische Kunst gesehen zu haben.“ Fragend blickte Alyssa den Alten an. Ein freundliches Lächeln lag auf seinem Gesicht. Am frühen Morgen war sie ihm auf der Straße begegnet. Er hatte ihr erzählt, dass sein Weg ihn durch die Siedlungen um Tirganach herum führte und er sie gerne ein Stück mitnehmen würde. Sie hatte den alten Mann mit dem grau-weißen Bart und seiner stets ausgelassenen Art vom ersten Augenblick an gemocht. Es erstaunte sie, dass immer noch jeden Tag, wie er erklärt hatte, mit seinem Ochsenkarren durch die Dörfer zog, um Lebensmittel und Stoffe einzutauschen. „Wo du herkommst, scheinen Elfen wohl eher die Seltenheit zu sein, nicht?“ Alyssa nickte: „Das Hochland wird fast ausschließlich von Menschen bewohnt.“ „Aber da frage ich mich doch“, lächelte der Alte warmherzig, während er auf den Dolch in Alyssas Gürten zeigte, „Woher du dieses Kleinod hast? Selbst unter den Elfen können sich nur wenige solch reich verzierte Waffen leisten.“ Gedankenverloren betrachtete sie die Klinge. Kazary soll sie schon bei sich getragen haben, als man sie ohnmächtig aufgelesen hatte, und dennoch war das Metal spiegelglatt und glänzend, als wäre sie eben erst gefertigt worden. Sie hoffte inständig, die Elfe in Tirganach zu finden. Ein freundliches Lachen rief sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Fragend sah sie den Alten an, der ihr daraufhin eine Hand auf die Schulter legte. „Ich sehe schon… du brauchst mir nicht zu antworten, aber sei vorsichtig, wenn du dich mit dem Elfenvolk abgibst! Nicht alle von ihnen sind gleichermaßen großherzig, wie sie wunderschön sind.“ „Da kennt ihr Kazary nicht…“, gab Alyssa im Flüsterton zur Antwort, „Mein ganzes Dorf… wir alle haben sie in unser Herz geschlossen. Sie ist Teil unserer Familie.“ Der Mann reagierte nicht darauf, stattdessen setzte er einen ernsten Gesichtausdruck auf und trieb seine Ochsen weiter an. Seine letzten Worte hatten Alyssa verwundert. ‚ Nicht alle von ihnen sind gleichermaßen großherzig, wie sie wunderschön sind.’ Was mochte er wohl damit gemeint haben? Die Siedlungen schwanden allmählich und wichen einem Netz aus etlichen Straßen. Aus allen Richtungen kamen ihnen Leute entgegen, einige mit Kutschen und Karren, andere zu Fuß oder Pferd. Sie wusste, dass es unhöflich erscheinen mochte, doch konnte sie nicht umhin, die Vorüberziehenden anzustarren, denn noch nie hatte Alyssa eine solche Vielfalt an Rassen gesehen. So oft hatte Kazary ihr von den anderen Völkern Doriens berichtet, wie sie aussahen, wie sie lebten. Als junges Mädchen hatte sie ihren Erzählungen gerne gelauscht und war jedes Mal aufs Neue erstaunt, wie schnell die Elfe sich in das Leben der Außenwelt eingewöhnte, wo sie doch ihr Gedächtnis verloren hatte. Damals hatte sie gehofft, Kazary würde sie eines Tages mitnehmen auf ihre Reisen, damit sie all die Dinge sehen konnte, von denen sie berichtet hatte. Dass ihr Wunsch auf diese Weise in Erfüllung gehen sollte, kam ihr fast schon wie ein übler Scherz vor. Das Klappern der Räder auf der Straße wurde leiser, so als würde der Boden selbst den Klang verschlucken. Ein Blick hinab verriet Alyssa, dass die Wege jetzt in Gräsern und weichen, weißen Sand verschwammen. Hatten sie etwa ein Gewässer erreicht? Suchend richtete sich die junge Frau von der hölzernen Sitzbank auf. Vor ihr erstreckte sich ein Dorf mit vielen Türmen aus hellem Kalkstein. Straßen aus Stein oder befestigter Erde, wie sie sie bisher gesehen hatte, gab es keine. Alle Gebäude waren von demselben dünnen Grasschleier auf weißen Sandboden umgeben, auf dem sie jetzt dahinfuhren. Allein einige Reihen aus Muscheln, Wasserschnecken und Kieselsteinen markierten die zu befahrenden Wege. Zwischen den Türmen erblickte sie die glitzernde Oberfläche eines gewaltigen Sees und dahinter einen Ring aus kalten grauen Bergen. „Dir scheint dieser Ort hier zu gefallen“, hörte sie den alten neben sich reden. Alyssa nickte und wies mit der Hand auf das Gewässer. „Der See dort, wie heißt er?“ „Nun…die Leute in dieser Gegend nennen ihn den Kristallsee, denn es heißt, als das Reich Dorien gegründet wurde, soll der erste König viele Juwelen auf den Grund des Sees geschickt haben.“ „Warum?“, fragte Alyssa. „Man sagt sich, Wassernymphen haben einst dies Gestade bewohnt. Und als die Elfen ihr erstes Reich errichteten, haben sich die Nymphen ihnen angeschlossen und ihrem König Treue und Dienste bis in alle Ewigkeit geschworen. Als Gegenleistung und Dank für dieses Bündnis soll er ihnen die Juwelen zum Geschenk gemacht haben.“ „Was er wohl den ersten Menschen gegeben haben mag, die in diese Lange kamen…?“ „Das weiß wohl keiner“, gab der Alte seufzend zur Antwort, „Außer vielleicht das Königshaus selbst…Ah, sieh mal einer!“ Ruckartig kam der Karren zum Stehen und brachte Alyssa, die immer noch stand, ins Wanken. Sie fragte sich, was der Mann wohl gesehen haben mochte, kam aber nicht mehr dazu, ihm die Frage zu stellen, da ihnen schon eine Gruppe von Leuten entgegen kam. An ihren langen, spitz zulaufenden Ohren und scheinbar alles sehenden Augen erkannte sie, dass es sich um Elfen handeln musste. „Ereon, mein Freund, wo ward Ihr?“, kam ihnen ein Elf mit weißblondem Haar und langer blauer Robe entgegen und breitete die Arme aus, „War Haben Euch bereits vor Zwei Tagen erwartet.“ „Bitt verzeiht, Orlander!“, entgegnete der alte Mann und stieg schwerfällig von dem Karren, „Ich wurde aufgehalten.“ „Und wie mir scheint kommt Ihr nicht ohne Begleitung.“ Der Elf, der offensichtlich eine hohe Machtposition genoss, hob prüfend eine Augenbraue, sein Lächeln aber verriet Alyssa, dass er dem Alten nicht böse war. „Kommt, meine Freunde, kommt! Seid für heute meine Gäste und zeigt mir, was ihr an Waren mitgebracht habt!“ Ereon nickte zustimmend, woraufhin die Elfen aus dem Gefolge des Blaugewandeten begannen, den Karren abzuladen und die Ochsen abzuspannen. Während dessen führte Orlander den Alten und die junge Frau zu einem nahe gelegenen, weitläufigen Haus. Wie alle anderen hier war es aus weißem Gestein erbaut, jedoch war der Turm mit dem Kuppeldach, der das Zentrum des Gebäudes bildete, von vielen Säulen und Gewölben umgeben, die dem ganzen den Anschein eines Wellenmusters verliehen. In die Decken der einzelnen Gewölbe waren verschlungene Muster geschnitten worden, sodass das Licht durch sie hindurch schien. Auch die Säulen wurden nicht etwas von Türen begrenzt, sondern von beinahe durchsichtigen, weißen Vorhängen, die mit dem Wind tanzten. Alyssa erinnerte sich, viele solcher Wohnstätten in diesem Dorf gesehen zu haben, doch diese hier war das weitaus imposanteste. „Bitte sehr, nehmt Platz!“, forderte Orlander die beiden auf, sich an einem langen, schmalen Tisch unter einem dieser Wellenkuppeln niederzulassen, „Und nun erzählt, Ereon, was habt Ihr dieses Mal von Euren Reisen zu berichten? Was geht draußen in der Welt vor sich?“ Lange und ausführlich schilderte der Alte, wie er einige Zeit lang in einem ruhigen Dörfchen nahe der Straße in Richtung Westen verbracht hatte, um feine Töpferarbeiten gegen Nahrungsmittel einzutauschen, die es in anderen Gebieten Doriens nur selten gab. An vielen Ortschaften war er vorbeigekommen und hatte die Leute stets mit jenen Dingen ausgestattet, die sie am dringendsten benötigten. Viele altbekannte Gesichter hatte er wieder gesehen und viele Freundschaften geschlossen und schließlich berichtete er auch, wie er auf Alyssa gestoßen war. Interessiert wanderte Orlanders Blick immer wieder zu der jungen Frau. Als Ereon seine Erzählung geendet hatte, nickte der Elf mit der Andeutung eines Lächelns und wandte sich dann an Alyssa, „Wie kommt es, dass Ihr Euch auf eine so beschwerliche Reise fern Eurer Heimat begebt?“ Erschrocken blickte Alyssa auf. Auch wenn sie sie bereits alle gehört hatte, war sie so sehr in die Erzählungen des alten Mannes vertief gewesen, dass sie nicht damit gerechnet hatte, direkt angesprochen zu werden. „Ich…Ich bin auf der Suche nach jemanden…“, setzte sie an, „Eine Elfe… eine Drachenreiterin.“ Orlander antwortete nur zögerlich: „Dann solltet Ihr am besten auf direktem Wege nach Tirganach weiterreisen… Aber macht Euch besser keine zu große Hoffnung.“ „Wieso?“ „Es gab wieder Schlachten an den Grenzen unseres geliebten Reiches. Es beunruhigt mich, dass die Heerführer noch keine Botenvögel oder gar einige Reiter vorausgeschickt haben, wie sie es sonst zu tun pflegen…Vielleicht müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen…“ Alyssa schwieg. Sie wusste, was Orlander damit sagen wollte. Kazary hatte ihr von den Kriegen erzählt, die Dorien mit einem Reich führte, das sich Xu nannte. Sie wusste, dass ihre Freundin ein gefährliches Leben führte, doch mochte sie nicht daran denken, geschweige denn auszusprechen, dass der Elfe etwas zugestoßen sein könnte. „Ich bitte Euch, nehmt dem Kind nicht alle Hoffnung!“, bemühte sich Ereon zum Optimismus. Der Elf nickte nur schweigend, als hätte er dem allen nichts mehr hinzuzufügen, sein Blick aber verriet, dass er sich zutiefst sorgte. Alyssa aber wollte nicht vom Krieg sprechen und versuchte das Thema zu wechseln. „Wie gelange ich denn von hier aus nach Tirganach?“ Beide sahen sie verblüfft an. „Ihr seid wahrhaftig nicht von hier…“, entgegnete Orlander kopfschüttelnd, „Stadt und Schloss Tirganach, beide, liegen sie auf der anderen Seite des Sees!“ Auf der anderen Seite? Alyssa glaubte sich verhört zu haben. Auf der anderen Seite des Sees erhoben sich Felsen und Berge, wo sollte da noch Platz für eine Stadt, geschweige denn für einen ganzen Palast sein? Ungläubig wandte sie den Kopf in die Richtung, in der sich die grauweißen Felswände erstrecken, und verstand plötzlich. Zuvor war ihr ja bereits aufgefallen, dass die Berge auf sonderbare Weise einen Ring bildeten. Lag die Stadt etwa dort verborgen und geschützt? „Gibt es eine Möglichkeiten, den See zu umrunden oder zu überfahren?“ „Wir haben eine Straße aufgeschüttet, die den Kristallsee der Breite nach überbrückt“, erklärten die beiden Männer, „Aber Ihr solltet Euch beeilen. Jetzt, wo wieder Krieg herrscht, darf keiner mehr die Straße bei Nacht passieren.“ „Dann darf ich nicht länger warten!“ Alyssa hatte sich bereits erhoben und wollte zum Gehen ansetzen, als Orlander sie am Handgelenk fasste. Eine sorgenvolle Strenge lag in seinem Gesicht. „Tirganach ist groß und Ihr seid hier fremd. Ihr solltet gut auf Euch Acht geben und Euch am besten nicht mit den Wachen anlegen. Wenn ihr könnt, so sucht als erstes im inneren Stadtring. Dort sind die Quartiere und Bruthallen der Drachenreiter. Sollte man Euch unangenehme Fragen stellen, so holt dies hervor!“, erklärte er eindringlich und reichte der jungen Frau eine Kette mit einem aufwändig gearbeiteten Silberanhänger, in dem ein tiefblauer Saphir ruhte. Ehrfürchtig ließ Alyssa das Band über ihren Kopf gleiten und verbarg das Siegel unter ihren Kleidern. Sie bedankte sich noch einmal bei den beiden Männern für all die Hilfe, die sie ihr hatten zukommen lassen, und machte sich dann auf den Weg. Die Sonne warf bereits lange Schatten, als sie durch das Dorf lief. Nun, da ihr Ziel so nahe war, konnte sie es kaum noch erwarten. So lange schon war sie in der Fremde umhergeirrt, zu lange, doch nun rückte der Ort, nach dem sie suchte, immer näher. Allmählich verfiel sie in einen unbeholfenen Laufschritt, der von dem weichen Sand des Seeufers verschluckt wurde, und kam erst wieder zum Stehen, als sich ihr ein gewaltiger Blick auftat. Der Kristallsee! Noch keuchend wanderten ihre Augen über die spiegelglatte Oberfläche. So gewaltig, so atemberaubend schön war dies Gewässer, dass sie glaubte, sich darin zu verlieren. Und für einen Augenblick fühlte sie sich wieder ganz klein. Nur für einen Augenblick, denn schon bald begann sie zu lächeln, ging über vor Freude, dass sie bald die Stadt betreten würde. Es dauerte nicht lange, bis sie die Straße fand, von der Orlander ihr berichtet hatte. Denn anfangs war sie nur ein sandiger Pfad, den man an der schmalsten Stelle des Sees aufgeschüttet hatte, doch zur Mitte hin wurde der Sand von Steinen abgelöst und eine Brücke ragte über das Wasser, so hoch, das kleine Boote darunter Platz fanden. Vorsichtig tat sie einen ersten Schritt. Die Brücke hatte kein Geländer und wirkte glatt und rutschig. Nur Elfen würden auf solch waghalsige Ideen kommen, dachte sie skeptisch. Doch war dem nicht so, im Gegenteil, der Stein war warm von der Sonne und ihre Schritte fanden besten Halt. Nach einigen noch recht unsicheren Bewegungen begann sie wieder zu laufen. Bald würde sie Sonne vollends untergegangen sein, und sie musste das Stadttor erreichen, ehe es dunkel war. Vereinzelt sah sie unter ihren Füßen noch einen kleinen Segler, der seine Fahrt zurück zu den Anlegestellen machte. Auch für Bootsfahrer galt im Krieg das Verbot, des Nachts ohne Erlaubnis abzulegen. Gerade noch rechtzeitig erreichte Alyssa die andere Seite und ehe die Wachen ihr den Weg versperren und sie fragen konnten, weshalb sie so spät noch in die Stadt wollte, hatte sie auch schon die Kette, die Orlander ihr geschenkt hatte, gezückt und hielt sie den beiden gepanzerten Wachposten hin. Schweigend ließen sie die junge Frau passieren. Unbeirrt eilte Alyssa weiter, auf der Suche nach jemandem, der ihr helfen konnte, doch nun, da die Nacht hereinbrach, waren die Straßen ruhig und nur noch wenige Leute gingen ihren Geschäften nach. Deutlich konnte sie auch das Geräusch wahrnehmen, das die großen Flügeltore von sich gaben, als die Wachen es schlossen. Heute würde niemand mehr die Stadt betreten oder verlassen. Die Schönheit Tirganachs ignorierend durchlief die junge Frau den unteren Stadtring, bis sie zu einem Gasthaus gelangte. Geld hatte sie kaum welches dabei, ein Zimmer konnte sie sich also nicht nehmen, aber vielleicht gab es ja dort jemanden, der ihr Auskunft über die Drachenreiter geben konnte und vielleicht sogar bereit war, ihr bei der Suche nach Kazary zu helfen. „Schönen guten Abend, junges Fräulein, was kann für Euch tun?“, hörte sie die tiefe Stimme des Wirtes, kaum dass sie den Schankraum betreten hatte. Sich neugierig umsehend trat Alyssa an den Tresen, wo ein Mann von etwa fünfzig Wintern einen Ansturm an Gästen bewirtete, die an ihrem Tischen sitzend laut redeten, lachten und Zechlieder sangen. Als sie näher trat, fiel ihr auf, dass dem Wirt ein Auge fehlte. „Mal nicht so schüchtern, junges Fräulein, nur zu, herein mit Euch!“, forderte er sie noch einmal freundlich auf. ~ WIRD FORTGESETZT~ Hosted by Animexx e.V. 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