Caileen, die Drachenprinzessin von FrozenHeart_Immortal ================================================================================ Kapitel 4: Ein Herbsttag ------------------------ Seit dem Vorfall im Schloss waren bereits mehrere Monde vergangen. So viel hatte sich seit dem zugetragen. Kazary kam es dennoch vor, als wäre es alles erst gestern geschehen. Sie war in die Gemeinde der Drachenreiter aufgenommen worden und mit allen Privilegien und Pflichten vertraut gemacht worden. Man hatte ihr die Aufgabe übertragen, ihr Dorf zu beschützen und Nachforschungen als Kundschafterin zu betreiben. Meist war sie tagelang gemeinsam mit Arsinoe unterwegs gewesen, um die Lage an den Grenzen zu überblicken und dann Bericht zu erstatten. Die wenige freie Zeit, die ihr da noch geblieben war, hatte sie genutzt, um in der großen Bibliothek Informationen über die Schattenkriege zu erhalten, in welchen sie ihr Gedächtnis verloren hatte. Doch nichts von dem, was sie fand, brachte sie auch nur einen Schritt weiter. Manchmal war sie dem Verzweifeln nahe gewesen, doch jedes Mal, wenn sie glaubte, ihre Suche wäre hoffnungslos, fand sie ein neues Licht im Dunkeln, einen neuen Stern am dunklen Himmelszelt. Unter der Gilde der Drachenreiter hatte sie viele Freunde gefunden, die sie nach allen Kräften unterstützten; sogar mit Shalawyn verstand sie sich mittlerweile prächtig! Sie hatte erfahren, dass das Haus, welchem Shalawyn entstammte, schon seit jeher in einem neutralem Verhältnis von Elfen und Dunkelelfen stand, und dass vor einigen Jahrhunderten sich einige der Dunkelelfen gegen den Herrn von Xu gewandt hatten, und nun im Bündnis mit Fürst Shindar standen. So war die große Stadt Mor Duin entstanden. Einmal hatten sie gemeinsam die großen Türme der Stadt überflogen, welche in ihrem Stil zwar denen von Xu nachempfunden waren, aber aus hellem und freundlichem Marmor, anstelle von düstrem Obsidian errichtet worden waren. Ob es auch in den anderen Fürstentümern und Hoheitsgebieten je so aussehen würde, wenn der Krieg vorbei war? Ob es jemals Frieden zwischen Dorien und Xu geben würde? Kopf schüttelnd wandte sich die Elfe wieder ihrer Arbeit zu. Es war Herbst und das Laub des Wäldchens nahe ihrem Dorf war nun golden gelb und rötlich geworden. Die Natur hatte ihnen ein fruchtbares Jahr beschert, und alle waren eifrig mit der Ernte beschäftigt. Bei Kazary wurde da keine Ausnahme gemacht. Sie war eine Bewohnerin der Siedlung und ein Mitglied der kleinen Gemeinde und musste –und wollte- genau wie alle anderen ihren Teil der Arbeit leisten. Seit Tagen war sie nun damit beschäftigt, ihre Familie zu unterstützen, und es wunderte sie, dass sie noch nicht zu einem neuen Dienst für Meleander gerufen worden war. Manchmal hatte sie das Gefühl, von ihren neuen Freunden vergessen worden zu sein. Oder war sie diejenige, die vergaß? Mittlerweile war sie es so sehr gewöhnt, zwei Leben zu führen, dass es ihr wie ein seltsamer Traum vorkam, in dem nur das eine, das alte existierte. „Was habt Ihr?“, holte Alyssa, die gerade dabei war, Schlehen und andere Beeren zu pflücken, sie aus ihren Gedanken zurück. „Ach, nichts…“, log die Elfe und wandte sich ebenfalls wieder ihrer Arbeit zu. Genau wie Alyssa hielt auch sie einen Eimer in der Hand und sammelte eifrig Beeren. Eigentlich war die Zeit der sonnigen Früchte ja bereits um, doch ein glücklicher Zufall hatte dafür gesorgt, dass dieser Herbst angenehm warm war, sodass sich jetzt noch eine letzte Gelegenheit bot, Mutter Erdes Gaben zu empfangen. „Was machen eigentlich die Jungen?“, wollte Kazary wissen. Ihre Augen suchten die Ebene nach Melvyn, Lomion, Jonah und Timander, Alyssas jüngeren Brüdern, ab. Sie wussten genau, dass sie nicht zu weit vom Dorf fortlaufen sollten. Aber wie immer waren die vier taub, wenn es um Verbote oder Regeln ging. Mit einem Seufzer stellte sie ihren Eimer ab und ging ein wenig umher, um sich zu vergewissern, dass sie keine Dummheiten anstellten. Alyssa folgte ihr. Gemeinsam gingen sie den gewundenen Feldweg entlang, der zurück zum Herzen der Menschensiedlung führte. Sie vermuteten, dass die Jungen sich wieder in der alten Eiche versteckten, einem dicken und knorrigen Baum, der vom Wetter hohl geworden war, sodass ein ausgewachsener Mann darin Platz fand, und welcher immer der liebste Spielplatz der Brüder gewesen war. Die Eiche selbst stand direkt am Wegesrand. So spendete sie im Sommer den Vorübergehenden sanften Schatten und hieß einem bei Regen willkommen, sich in ihrer Höhlung ein trockenes Plätzchen zu suchen. Da es hier in den Hochebenen nur wenige Bäume gab, bis auf die vereinzelten kleinen Misch- und Nadelwälder, zog die Eiche sofort seine Blicke auf sich. Als die beiden Frauen jedoch ankamen, mussten sie zu ihrer Enttäuschung feststellen, dass die Jungen nicht da waren. „Haben sie denn nicht erzählt, wo sie hin wollten?“, fragte Kazary nachdenklich. Alyssa schüttelte den Kopf: „Nein…“ Gemächlichen Schrittes gingen sie nach Hause, in der Hoffnung, die Jungen dort anzutreffen. Nach etwa der Hälfte des Weges fragte Alyssa: „Werdet Ihr uns verlassen? Wenn der Winter vorüber ist?“ Überrascht wandte sich die Elfe nach ihrer Freundin um. Die Frage kam so unerwartet, dass sie nicht wusste, wie sie antworten sollte. Wenn sie es recht überlegte, wusste sie es selbst nicht. Der Befehl des Königs lautete zwar, dass sie hier bleiben solle, um das Dorf zu schützen, solange die Kämpfe kein Ende gefunden hatten, doch könnte er sie jederzeit einberufen und an die Front schicken. So wie Lavinia… nur dass sie schon den ganzen Sommer über gewusst hatte, dass sie würde kämpfen müssen. Vor dem Blutvergießen selbst hatte Kazary keine Angst, schließlich hatte sie den größten Krieg in der Geschichte Doriens miterlebt, was ihr Sorgen bereitete, war, dass sie vielleicht für die falsche Sache kämpfte. Die Fehde zwischen den Beiden Reichen Dorien und Xu währte nun schon so lange, dass keiner mehr recht wusste, was der Grund für all den Hass war. Anscheinend konnte man ihrem Gesichtsausdruck genau entnehmen, was sie dachte und fühlte, denn Alyssa sah sie besorgt an. „Ich kann nicht genau sagen, was nach dem Winter kommen wird“, gab die Elfe letztlich zu, „Ich weiß nur, dass ich hier eingeschlossen bin, sollte der König mich nicht vor dem ersten Schnee zu sich rufen. Und mit Arsinoe fliegen kann ich dann wahrscheinlich nur noch selten. Die Hochebenen sind normalerweise zu kalt und die Drachen meiden sie, sofern es nicht dringend notwenig ist.“ „Ich verstehe…“, murmelte ihre Freundin und wandte das Gesicht ab. Den Rest des Weges herrschte getrübtes Schweigen. Keine der beiden Frauen wagte auszusprechen, was eben in ihren Köpfen vor sich ging, wenn sie auch dasselbe dachten. Sie erreichten die Holzhütte und traten in den großen Raum, in dem die Familie an langen Abenden zusammen saß, um ihre Erfahrungen miteinander zu teilen und die Feste des Jahreszyklus zelebrierten. Eilig durchschritten sie die Halle und betraten die Küche, wo sie die beiden Eimer mit den Beeren auf den schweren Holztisch stellten. Von der Treppe her hörten sie laute Schritte und Rufe. „Kazary, Alyssa! Da seid Ihr ja!“ „Schaut, was wir erlegt haben!“ „Das haben wir ganz alleine gemacht!“ Im heillosen Durcheinander kamen Alyssas Brüder die Treppe herunter gestürzt. Einer von ihnen hielt ein Paar Kaninchen in den Händen und schwenkte sie stolz durch die Luft. Als sie jedoch Alyssas erzürntes Gesicht sahen, hielten sie schlagartig in ihrem Lauf an, sodass sie ungeschickt übereinander fielen. „Wie oft habe ich euch Lausbuben bereits gesagt, dass ihr nicht immer fortlaufen sollt! Wo habt ihr euch denn nun schon wieder ´rum getrieben?“ „Lomion hat uns zum Jagen mitgenommen!“, antwortete Melvyn, ein kleiner Junge von 7 Sommern mit wilder brauner Mähne und frechem Grinsen. Hektisch deutete er auf seinen älteren Bruder. Alyssas Blick wanderte zu Lomion herüber. Mit seinen 14 Jahren war er der älteste der Brüder, weshalb sie gerade von ihm zumindest einen Funken Vernunft und Anstand erwartet hätte. Dieser zuckte jedoch nur unbeteiligt mit den Schultern. „Sei doch froh, Schwester, dass ich dafür gesorgt habe, dass sie dich nicht bei der Arbeit belästigen. Sonst wäret ihr heute Abend noch nicht mit dem Sammeln fertig geworden.“ Bei diesen Worten deutete er zu den beiden randvoll mit Beeren und Wildfrüchten gefüllten Eimern. „Sieht so aus, als hätte Lomion ausnahmsweise Recht“, sprach die Elfe beruhigend, „Und wenn wir die Sache von der positiven Seite betrachten, habe ich mir sogar die Arbeit sparen können, jagen zu müssen.“ Kopfschüttelnd seufzte Alyssa. Im Grunde wusste sie, dass ihr Bruder es nur gut gemeint hatte, aber dennoch änderte es nichts an der Tatsache, dass sie sich große Sorgen um die vier gemacht hatte. Nach einem Augenblick der Überlegung entschied sie, die Sache für heute auf sich beruhen zu lassen und sich stattdessen anderen Dingen zuzuwenden. Es war Marbon, die Zeit der zweiten Tag- und Nachtgleiche und sie erwarteten Gäste, um mit diesen die reiche Ernte zu feiern. Dies würde die letzte Gelegenheit sein, seine Verwandten aus ferneren Dörfern und Städten um sich zu scharen, ehe die verregneten Tage begannen. Kazary genoss diese letzten Augenblicke der leuchtenden Farben und noch warmen Sonnenstrahlen, denn sie wusste, dass sie nun den ganzen kommenden Winter über hier in diesem Dorf in den Hochlanden eingeschlossen sein würde. Arsinoe würde sicher wie all die Jahre zuvor sich einen Ruheort jenseits der Berge suchen oder sich zu ihren Artgenossen gesellen und der tiefe Schnee würde es bestimmt unmöglich machen, den langen Weg bis zum nächsten Dorf zu Fuß zurückzulegen. Mittlerweile war es für die Elfe undenkbar geworden, auf ihr neu gewonnenes Leben zu verzichten. Seit sie damals mit Lavinia in der Hauptstadt gewesen war, hatte etwas eine Flamme in ihr entfacht, die sich nicht mehr löschen ließ und ihr immer mehr das seltsame Gefühl gab, in diese Welt der Krieger und Helden, der Edlen und vor allem der der Drachenreiter gehören zu wollen. Manchmal glaubte sie, einige Gesichter wieder zuerkennen wie durch einen Schleier, doch wenn sie genauer hinsah, waren sie ihr wieder fremd. Aber was war mit ihrer Familie, mit den Menschen, die sie so großzügig aufgenommen hatten? War sie es ihnen nicht schuldig, ihnen zu helfen und bei ihnen zu bleiben, so lange sie sie duldeten? Wäre sie denn nicht eine Verräterin, wenn sie die Leute hier zurückließ, um ein Leben, das vergangen war, wieder von vorne zu beginnen? Vielleicht war es ja besser so, dass sie sich nicht erinnerte, wer mochte schon wissen, was sie einst getan haben könnte. Vielleicht war es ja auch besser so, dass der Winter sie hier gefangen halten wird. Und vielleicht war es ein Fehler gewesen, je die Tür zu ihrer Vergangenheit geöffnet zu haben und sie sollte alles vergessen und sich dem hier und jetzt zuwenden… Gegen Abend waren alle Vorkehrungen getroffen worden, sodass die Freunde und Verwandten nun ohne weiteres eintreffen konnten. Kazary nahm die freudige Stimmung jedoch nur schleierhaft war. Zumeist saß sie nur auf der hölzernen Bank und betrachtete das Geschehen in dem großen Wohnraum um sie herum. Sogar die etlichen Bitten der vier Jungen und der anderen Kinder, die sich eingefunden hatten, mit ihnen zu spielen und ihnen von ihren Ausflügen und Abenteuern zu erzählen lehnte sie höflich, wenn auch entschieden, ab. Einer der Verwandten hielt eine Rede auf das fruchtbare Jahr, doch sie hörte kaum zu. Selbst das Essen, das man ihr auftrug, rührte sie kaum an. Die trüben Gedanken des Tages hatten ihr den Appetit und die gute Stimmung geraubt. Später am Abend sah sie schweigend zu, wie Alyssa auf einer Panflöte zu spielen begann, während die anderen zu der Musik tanzten. Nach einer Weile jedoch kam Landal, Alyssas Vater und das Oberhaupt der Familie, zu ihr herüber und nahm neben ihr Platz. „Du bist so still heute, fühlst du dich nicht wohl?“ „Ich…ich weiß nicht…“, murmelte die Elfe zur Antwort. „Sag, was beschäftigt dich? Es ist wegen ‚ihnen’, habe ich Recht?“ Kazary nickte nur. Sie wollte nicht gerne darüber reden, doch Landal kannte sie einfach zu gut, als dass er sie mit ihren Gedanken alleine ließ. „Weißt du noch, wie wir dich damals fanden, vor über dreißig Jahren? Ich war damals ein kleiner Junge, der nichts von dem Leben außerhalb unseres Dorfes wusste. Elfen kannte ich nur von den Erzählungen meiner Verwandten, die gelegentlich zur Elfensiedlung im alten Wald reisten, um Handel mit ihnen zu treiben. Sie erzählten mal, die Elfen seien wunderschöne Wesen, von unendlicher Weisheit und unsterblich, ein anderes Mal hörte ich sie sagen, Elfen seien wegen ihrer Macht eitel und kaltherzig und sie seien es, die den Krieg zu verschulden hätten, denn die Dunkelelfen und die Elfen des Lichtes sein vom gleichen Schlag. Dann bist du aufgetaucht. Ich war verwundert, als ich dich sah. Nie konnte jemand, der so verletzlich aussah kaltherzig sein! In all den Jahren bist du mir eine teure Freundin und Schwester geworden, und ich bin froh, dass meine Kinder ebenso von dir denken. Doch ich wusste seit langem, dass es dich eines Tages fortziehen würde. Man kann ein Geschöpf wie dich nicht gefangen halten. Und du hattest die Kleidung der königlichen Armee, du musstest also früher oder später auf deine Artgenossen stoßen und in deine Welt zurückkehren…“ „Das weiß ich, aber du und deine Familie, ihr habt mich all die Jahre so großzügig aufgenommen und meine Wunden geheilt“, unterbrach Kazary ihn, „Ich fühle mich wie eine Verräterin, wenn ich euch für etwas verlasse, das in ein Leben gehört, welches nicht mehr das selbe ist.“ „Du hast schon so viel getan, womit du deine Dankbarkeit hättest zeigen können. Und es ist nicht falsch, wenn du dich nach deiner Vergangenheit sehnst. Schließlich gehörst du sowohl zu uns, als auch in dein altes Leben, welches das auch immer sein mochte. Warte den Winter erst einmal ab, denn solange der Schnee liegt, wirst du ohne hin nichts unternehmen können, außer zu überlegen und deine Entscheidung in aller Ruhe zu treffen. Und wer weiß, vielleicht musst du dich ja gar nicht entscheiden!“ Mit einer Geste der Ermutigung erhob er sich und schloss sich wieder der Gruppe Tanzender an. Vielleicht hatte Landal ja wirklich Recht, überlegte Kazary. Sie gehörte sowohl zu den Menschen hier, als auch zu den Drachenreitern. Eine übereilte Entscheidung wäre das Schlimmste, was sie machen könnte. Und da sie während des kommenden Winters ohne hin nicht mit Arsinoe reisen könnte, würde sie sich sie Sache in aller Ruhe überlegen können. Vielleicht gab es ja tatsächlich eine Möglichkeit, teil an beiden Welten zu haben. Endlich wieder erheitert begann sie, sich zu ihren Freunden zu gesellen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)