Caileen, die Drachenprinzessin von FrozenHeart_Immortal ================================================================================ Kapitel 1: Ankunft in der Stadt ------------------------------- Gähnend erwachte Kazary aus einem unruhigen Schlaf. Erneut hatte sie solch seltsame Träume, Nacht um Nacht, ein und dasselbe, immer wieder, doch wusste sie nie, was es bedeuten sollte. Sie schüttelte den Kopf, um wieder klaren Verstand zu fassen. Es war ein Traum, nichts weiter. Jemand rief ihren Namen. Mit einem Satz schwang sie sich aus ihrem Bett und ging zum Fenster ihres Zimmers hinüber. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, es versprach ein warmer und sonniger Tag zu werden, geeignet für einen kleinen Ausflug. „Kazary!“ Wieder hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Eilig zog sie sich an und lief die Treppe des kleinen Hauses hinunter in die Küche um zu sehen, wer sie rief. „Ihr seid heute aber recht spät auf, geht es Euch auch gut?“, es war Alyssa, die älteste und einzige Tochter des Hauses. Sie lächelte fröhlich. „Nein, alles in bester Ordnung…“, antwortete Kazary knapp und setzte sich an den rustikalen Holztisch. Alyssa reichte ihr Brot und Käse, welche sie dankend annahm. Dreißig Jahre lang lebte Kazary nun schon in der kleinen Menschensiedlung am Rande eines Wäldchens fernab der großen Städte. Sie war zwar eine Elfe, wurde aber von den Menschen hier als eine der ihren anerkannt. Wie sollte es auch anders sein, sie waren ihre Familie! Nur schwer konnte sie sich an das erinnern, was gewesen war, bevor sie die Dorfbewohner gefunden hatten. Alles, was sie noch wusste, war, dass Krieg gewütet hatte, dass sie verletzt wurde, dass sie gefallen war, ehe alles schwarz geworden war. Dann hatten sie die Einwohner der Siedlung gefunden und ihre Wunden versorgt. Ein Jahr lang hatte sie im Koma gelegen, ohne auch nur ein Lebenszeichen von sich zu geben. Als sie schließlich erwacht war, hatte sie keine Ahnung mehr, wer sie war, oder woher sie gekommen war. Dafür verfolgte sie ständig der Traum von diesem schrecklichen Krieg. Die Dorfbewohner konnten auch nicht viel Auskunft geben, lediglich an ihrer Kleidung, dem smaraktfarbenem Stoff und dem goldenen Harnisch, erkannte man sie als eine Kriegerin aus der Schlacht mit den Dunkelelfen. Was auch immer damals gewesen war, sie hatte beschlossen, ein neues Leben zu beginnen, und so gab man ihr den Namen Kazary und nahm sie in der Gemeinschaft auf. Seit dem wohnte sie im Hause dieser Familie und hatte Generationen verstreichen sehen. Auch Alyssa kannte sie schon seit ihrer Geburt. Äußerlich sah sie ihren Brüdern ähnlich, hatte kurzes, braunes Haar, Sommersprossen und ein freches Lächeln im Gesicht. Mit der Zeit waren Alyssa und Kazary Freunde geworden und standen sich so nahe wie es Schwestern waren. Als sie mit dem Essen fertig war, holte die Elfe ihren Köcher und lief hinaus ins Freie. Sonst hatte sie immer Zeit, mit den Leuten zu reden und sich nützlich zu machen, heute jedoch hatte sie eine wichtige Verabredung. Deshalb hielt sie sich nicht lange auf, sondern ging den Feldweg, der durch die Siedlung verlief, entlang in Richtung Wald. Während sie weiter geradeaus ging, glitt ihr Blick zum Himmel. An den ersten Ausläufern des kleinen Waldes machte sie Halt und lehnte sich gegen Stamm einer hohen Eiche. Sie warmen Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach fielen, blendeten sie, sodass sie sie Augen zu Schlitzen verengte, um etwas sehen zu können. Eine ganze Weile tat sich nichts. Die sanfte Brise des Hochlandes, in dem die Siedlung lag, spielte in den Ästen und in ihrem Haar, Vögel sangen das gewohnte Morgenlied und das Lachen der Kinder drang bis zu ihr hin. Ein gewohnter Klang, dem sie immer gerne lauschte. Sonst tat sich aber nichts. Bis schließlich ein Schatten am Himmel aufstieg und die Sonne für einen kurzen Augenblick verdunkelte. Kazary, die eben noch verträumt den Stimmen des nahen Dorfes gelauscht hatte, riss die Augen auf und folgte mit ihrem Blick dem Schatten, der immer näher zu kommen schien. Ihr Herz pochte vor Freude, während sie einige Schritte zurück in die Ebene lief, um besser sehen zu können. Mit kräftigem Flügelschlagen kam der Schatten auf sie zu, bereits jetzt konnte sie schon seine grünliche Färbung ausmachen. Freudig beobachtete sie, wie ein großes Drachenweibchen vor ihr landete. „Verzeih mir meine Verspätung!“, hörte Kazary die Stimme des Drachen in ihrem Kopf. „Es gibt nichts zu verzeihen, Arsinoe!“, entgegnete sie mit einer abtuenden Geste. Kazary kannte Arsinoe schon sehr lange. Sie war es gewesen, die ihren regungslosen Körper zu den Menschen gebracht hatte, und einer der Gründe, weshalb man sie sehr achtete. Nur wenige Wesen waren auserwählt, den Bund mit einem Drachen einzugehen, für solch eine Ehre und ein so hohes Schicksal musste man geboren sein. Es war überall bekannt, dass alle Drachenreiter des Reiches dem Befehl des Herrschers unterstanden und für die Sicherheit Doriens verantwortlich waren. Sie wurden verehrt und angesehen wie die Helden aus alten Legenden, doch dafür zahlten sie auch einen Preis: Ihre Freiheit. Ein Drachenreiter musste immer bereit sein, sein Leben für sein Volk hinzugeben und seine Heimat zu schützen ohne, dass er an sich selbst dachte. Ein solches Leben wirkte für Kazary fremd. Vielleicht mochte sie mal eine Drachenreiterin gewesen sein und war in den Krieg ausgezogen, doch nun erinnerte sie sich an nichts mehr. Sie hatte Arsinoe bereits öfter gefragt, ob sie auch vor dem Krieg in diesem Bündnis gestanden hatten, wollte wissen, ob Arsinoe etwas über ihre Vergangenheit wusste und wenn ja, wer sie war und woher sie kam, aber das Drachenweibchen schwieg jedes Mal. Letztendlich hatte die Elfe aufgegeben und ihr Leben einfach so hingenommen, wie es war. Vielleicht hatte sie jetzt ein besseres Leben als früher! Seufzend schnallte sie sich ihren Köcher mitsamt Bogen um und schwand sich mit einem Satz auf Arsinoes Rücken. Der Drache schlug ein paar Mal kräftig mit denn Flügeln, ehe er sich erhob und gemeinsam mit der Elfe davon flog. Eingehend betrachtete Kazary die Landschaft unter sich. Der Wald und das Dorf schwanden allmählich, wurden immer kleiner, je höher sie flogen. Sie folgten dem Lauf eines Bachs, der sich vom Gebirge her durch die saftigen wiesen der Hochebene schlängelte. „Ich habe Lavinia und Silayn bereits ausgemacht, sie warten bei der Narbe auf uns“, erklärte Arsinoes Stimme in den Gedanken der Elfe. Kazary nickte. Der Bach unter ihnen verband sich mit anderen Läufen und wurde immer breiter. An einer Stelle ragten Gesteinsnadeln von seinem Grund herauf, eine gefährliche Stromschnelle für Fährmänner und leichtsinnige Leute. Eine Zeit lang harrte der Blick der Elfe auf der spiegelnden Oberfläche des Wassers unter ihnen, dann wandte sie sich dem Schauspiel vor ihnen zu. Das Land wurde ebener, je mehr sie sich dem Gebirge entfernten. Bald ereichten sie ein weitläufiges Tal, das noch von einigen Hügeln umgeben wurde. Hier teilte sich der Fluss. Ein Arm sammelte sich in der Mitte des Tals zu einem See, der andere Arm bahnte sich weiter seinen Weg nach Südosten. Sie folgten ihm noch einige Meilen und wandten sich dann etwas weiter nach Westen. „Ich kann immer noch kaum glauben, dass der Krieg solch verheerenden Schaden angerichtet hat“, sprach Kazary beiläufig, als sie die Aschefelder überflogen. Hier hatte der Krieg gewütet, vor über dreißig Jahren. Die Wunden, die die große Schlacht in die Landschaft geschlagen hatte, begannen jetzt erst, zu verheilen. Vor zehn Jahren noch lag die gesamte Ebene als totes Land da und die meisten Leute mieden sie. Nun schienen die ersten Gräser zu sprießen und sich wie ein grüner Schleier über die Asche zu legen. Trotzdem bezweifelte Kazary, dass dieses öde Land je wieder so fruchtbar und schön sein würde wie einst. Manche Wunden verheilten nie. Zu diesen Wunden gehörte auch die Narbe, ein tiefer Abgrund, der durch das Wüten der Urgewalten während des Krieges in die Erde gerissen wurde. Jedes Mal, wenn Kazary in seine Nähe kam, wurde sie das seltsame Gefühl nicht los, dass sie hier schon einmal gewesen war, dass sich hier etwas zugetragen hatte, was ihr Herz zu vergessen versuchte. „Flieg tiefer, Arsinoe!“, rief sie gegen den Wind an, der durch das Schlagen der Flügel verursacht wurde. In Sturzflug eilte das Drachenweibchen dem Erdboden entgegen, bis sie nur noch wenige Meilen in der Luft waren. Nun eröffneten sich Kazary genauere Einzelheiten. Unter den Grasflecken auf dem trüben grau-braunem Boden fanden sich sogar vereinzelte kleine Wiesenblumen. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung, dass die Aschefelder wieder zu ihrer alten Schönheit gelangten. Jemand winkte ihnen zu und rief Kazary´ s Namen. Die Augen der Elfe suchten das Feld ab. Schließlich fand sie die rufende. Auf ein knappes Wort hin ließ sich Arsinoe weiter fallen, bis sie schließlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten. „Da seid ihr ja!“, kam ihnen eine Elfe mit schulterlangem, dunkelblonden Haar und Oliv- farbenen Augen entgegengelaufen, „Silayn und ich warten schon seid einer halben Ewigkeit!“ „Verzeih, Lavinia“, entgegnete Kazary kurz und begrüßte die Elfe herzlich. Dies war Lavinia, eine Drachenreiterin im Dienste des Königs und eine alte Freundin von Kazary. Sie hatten einander vor etwa zwanzig Jahren kennen gelernt, als Kazary einen Flug über die Hauptstadt von Dorien gewagt hatte. Lavinia selbst war erst nach dem Krieg als vollwertige Reiterin in der Armee aufgenommen worden, sodass sie nicht sagen konnte, ob sie Kazary aus der Zeit vor den Kämpfen mit den Dunkelelfen kannte. Doch Lavinia kannte sich gut aus und setzte alles daran, ihrer Freundin zu helfen. „Und was wolltest du mir so wichtiges sagen?“, fragte Kazary neugierig. Lavinia lächelte: „Ich habe gute Neuigkeiten. Heute findet eine große Veranstaltung im Palais des Königs statt, ein Fest. Ich habe mit meinem Hauptmann gesprochen und er würde dich gerne kennen lernen und am Hofe vorstellen. Vielleicht wirst du ja offiziell in der Garde aufgenommen!“ „Interessant…“ Während Kazary wieder zu Arsinoe herüber ging, stieß Lavinia einen lauten Pfiff aus. Wenig später ließ sich ein weiteres Drachenweibchen auf der Ebene nieder. Sie war etwas kleiner als Arsinoe und etwas gräulicher, doch immer noch deutlich als eine der Drachen von Dorien zu erkennen. „Dann mal auf, meine schöne!“, hielt Lavinia Zwiesprache mit ihrer Blutsschwester. Kazary hätte gerne gewusst, was die beiden so besprachen, aber die Fähigkeit, in Gedanken zu einander zu sprechen, beschränkte sich nur auf die Bündnisse zwischen Reitern und Drachen. Sie selbst konnte nur mit Arsinoe kommunizieren und jeder andere nur mit seinem Bündnispartner. Deshalb erzählten sich die Reiter oft untereinander, was sie beredeten, oder die Drachen berichteten ihren Partnern, was ihre Artgenossen erzählten. So waren sie alle immer auf ein gutes Verhältnis zueinander angewiesen. Beide schwangen sich auf die Rücken der Drachen und hoben ab. Sie flogen wieder etwas nach Norden, an dem Tal vorüber, das die rothaarige Elfe heute schon einmal passiert hatte. Dann wandten sie sich weiter nach Osten, tiefer ins Gebirge. Auf ihrem Weg überflogen sie Bergseen und düstere Nadelwälder, in denen der Nebel rauchte. Der schwere Geruch des Harzes stieg Kazary in die Nase. Allmählich wurden die Berge höher. Auf einigen Kuppen war bereits Schnee zu erkennen. In der ferne sahen sie bereits, wie sich das Gebirge wieder abflachte. Bald würde es sich zu einem Ring öffnen und ein Riesiges Tal frei geben, das an der einzigen Stelle, wo die Berge wichen, von einem kristallklaren See begrenzt wurde. „Schau, Kazary, das erste Tor!“, hörte sie Lavinia gegen den Wind anrufen. Und tatsächlich, inmitten des Tals erhoben sich steinerne Mauern und ein mehrere Mann hohes Tor. Für einen Augenblick hielten sie Zwiesprachen mit den beiden Drachen und setzten dann zur Landung an. Kaum, dass sie abgesessen hatten, kam ihnen eine Wache entgegen, genau wie die Drachenreiter trug auch er eine grüne und goldene Tracht, wenn sie auch anders geschnitten war und schwerer wirkte. „Eure Namen!“, forderte er sie auf. An seiner Stimme und seinem Akzent erkannte Kazary ihn als einen Menschen. „Lavinia vom Dorf am Kristallsee, im Bund mit Silayn“, stellte ihre Freundin zuerst sich selbst vor und nannte dann ihren Namen, „Und Kazary aus den Hochlanden, im Bunde mit Arsinoe.“ Wie es die Etikette und Tradition vorgaben, legte Kazary ihre Faust auf ihr Herz und verbeugte sich. Der Wachmann nickte und schritt wieder zurück zu seinem Kameraden, um den Befehl zu geben, das Tor zu öffnen. Die beiden Elfen verabschiedeten sich vorerst von ihren Blutsschwestern und betraten die Stadt. Die Stadt war so anders als das kleine Dorf, in dem Kazary lebte. Etliche Häuser mit mehreren Stockwerken reihten sich an den überfüllten, mit grauen Steinen gepflasterten Straßen auf, Marktplätze tummelten sich an einigen Ecken, Kinder verschiedenster Rassen spielten laut lachend und gelegentlich sah man einen Krieger in gold-grüner Rüstung. Kazary verstand nicht, wie Lavinia den nie anhaltenden Lärm ertragen konnte. Bereits jetzt musste sie sich die Ohren zuhalten. Aber Lavinia kam vom Kristallsee, dem großen Gewässer, das vor der Stadt lag, und kam schon seid ihrer Kindheit regelmäßig in die Hauptstadt. Sie war es daher schon gewohnt. Dankbar, dem Getöse zu entkommen, ließ die Elfe zusammen mit ihrer Freundin den ersten Ring der Stadt hinter sich und betrat den inneren Ring der Stadt. Dies war der Sitz der Adligen, der Ritter und des Herrschers. Auch hier eilten die Leute aus dem äußeren Stadtring umher, doch anders als weiter draußen, redeten sie hier leiser und bei weitem gepflogener. Der innere Ring bestand hauptsächlich aus Gärten, sauberen Wegen, Pavillons, weiß verputzten Wohnhäusern und Stallungen. Am hinteren Ende erstreckte sich eine Art Bogengewölbe über den unteren Ring, sodass das Schloss Tirganach, der Sitz des Herrschers, zum Teil ins Gebirge hinein verlief. Kazary´ s Blick fiel auf eine kleine Patrouille, die auf das innere Stadttor zustrebte. An ihrer Tracht erkannte sie, dass es ebenfalls Drachenreiter sein mussten. Lavinia nickte ihr kurz zu und führte sie sie zu der kleinen Gruppe herüber. Stramm legte die blonde Elfe die Faust auf ihre Brust und grüßte ihre Kameraden: „Lavinia vom Dorf am Kristallsee, im Bunde mit Silayn, meldet sich zur Bereitschaft.“ „Schön, dass du es noch geschafft hast, Lavinia!“, entgegnete ihr ein Elf mit Fasanenfedern geschmückten Helm; er hatte anscheinend das Kommando über die Truppe. „Und wie versprochen, habe ich sie mitgebracht, Hauptmann“, erklärte Lavinia, während der Hauptmann seine Reiter vorausschickte. Dann führte er sie etwas abseits des Weges, um nicht die anderen Passanten zu behindern. Langsam nahm er den Federn verzierten Helm ab. Strähnen dunkelbraunen Haares fielen ihn bis eben auf die Schultern. Ein warmherziges Lächeln lag auf seinen Lippen, obwohl seine Haselnuss braunen Augen von Trauer und Leid sprachen. Heiter und vergnügt machte Lavinia die beiden miteinander bekannt: „Hauptmann, dies ist Kazary aus den Hochlanden, im Bunde mit Arsinoe. Kazary, dies ist Daeron vom alten Wald, Hauptmann der Smaraktgarde und der ersten Wacht im Bunde mit Falrach.“ „Sehr erfreut, Herr“, Kazary legte, genau wie Lavinia vor ihr, ihre Faust auf die Brust und verneigte sich. Was der Hauptmann nun jedoch tat, verwunderte die Elfe sehr. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er sie an, als sähe er einen Geist. Er öffnete den Mund, so, als wollte er etwas sagen, schloss ihn aber wieder und schwieg, sie weiterhin anstarrend. Nur mit Mühe wandte er sich von ihr ab. „Wo…wo hast du sie aufgegabelt, Lavinia?“ „Ich habe sie vor einigen Jahren draußen vor der Stadt kennen gelernt, Silayn hat mich zu ihr geführt“, erklärte sie ihm, „Sie lebt bei den Menschen in der Siedlung nördlich der Narbe.“ Daeron nickte und blickte kurz zu Kazary herüber: „Sie sieht ihr zum verwechseln ähnlich.“ „Hauptmann, ich wollte um Erlaubnis bitten, dass Kazary mich auf die Festveranstaltungen begleiten kann, damit sie das städtische Leben besser kennen lernen kann. Sie ist eine der freien Reiter, die noch nicht an den Eid gebunden ist, doch sie ist überaus begabt und könnte uns eine Hilfe sein. Und außerdem…“ Die letzten Worte, nämlich dass Kazary herausfinden wollte, welches ihr altes Leben war, sprach Lavinia aus einem für die Elfe unverständlichem Grund nicht aus. Der Elf jedoch antwortete nicht, sondern blickte weiterhin unverhohlen die rothaarige Elfe an. Kazary war unwohl zu Mute dabei, so angestarrt zu werden. Vielleicht wäre sie besser nicht auf Lavinias Vorschlag eingegangen, ihren Bund mit Arsinoe öffentlich zu machen und nach dem Fest zu fragen. Doch Lavinia wiederholte bereits: „Hauptmann, habt Ihr gehört? Was sagt Ihr?“ „Ich… äh ja, Erlaubnis erteilt“, redete der Hauptmann wie aus den Gedanken gerissen, „Wir treffen uns dann heute Abend in Gasthaus zur alten Eiche noch vor den Festlichkeiten. Dann können wir ja den genaueren Verlauf bereden. Wenn ihr mich nun entschuldigt, die Pflicht ruft.“ Mit diesen Worten setzte er sich wieder seinen Helm auf und eilte davon. Überrascht sah Kazary ihm nach, bis er hinter dem inneren Stadttor verschwand. Als sie endlich unter sich waren, wagte sie wieder das Wort zu heben: „Weshalb hat er mich so seltsam angesehen, er wirkte völlig verstört…“ „Seid dem Krieg ist der Hauptmann sehr angeschlagen“, erklärte ihr Lavinia, „Seine Geliebte ist damals umgekommen. Es war ein schwerer Schlag für ihn, von dem er sich immer noch nicht erholt hat.“ „Und was habe ich damit zu tun?“ „Du siehst ihr scheinbar sehr ähnlich“, seufzte sie und schüttelte den Kopf. Gemeinsam liefen sie die sauber gefegten Straßen der inneren Stadt entlang und erfreuten sich der Aussicht. Eine Weile schwiegen sie, bis Kazary wieder zu fragen begann. „Wer war sie?“ „Seine Geliebte?“, wunderte sich Lavinia, „wieso interessierst du dich dafür?“ „Du weißt, ich war damals auch im Krieg, vielleicht habe ich sie ja gekannt, war mit ihr befreundet oder sogar mit ihr verwandt… ich habe das Gefühl, dass sich etwas in mir erinnern möchte, es aber noch nicht stark genug ist…“ „Ich glaube kaum, dass du sie gut gekannt haben konntest. Sie war Caileen, die Prinzessin von Dorien und die Schwester des dies zeitigen Herrschers. Normalerweise steckt der Hauptmann vieles weg, doch er verkraftet es nicht, dass er sie nicht hatte retten können.“ „Und wie stand es um die Prinzessin? So, wie er vorhin geschaut hatte, schien sie seine Liebe nicht erwidert zu haben.“ „Sie hat es nie erfahren“, sprach Lavinia betrübt, „Der Hauptmann war schon immer besessen von dem Gedanken, dass das Herrenhaus weit über einem gewöhnlichen Krieger steht. Für ihn wäre es undenkbar gewesen, dass Caileen etwas für ihn empfunden hätte. Er hat es vorgezogen, sie aus der ferne zu bewundern und ihr so gut zu dienen, wie es nur möglich war.“ Kazary lächelte schelmisch: „Höre ich da einen Anflug von Neid?“ „Na ja… vielleicht schon etwas…“, stammelte sie verlegen und lief dabei rot an, „Aber…aber das wärst du auch, wenn du ihn schon von klein auf kanntest!“ „Schon gut!“, versuchte Kazary ihre Freundin zu beruhigen. Die beiden Elfen beschlossen, dass sie den Hauptmann bis zum Abend hin nicht mehr erwähnen würden, und stattdessen den sonnigen Tag zu genießen. Glücklicherweise wurde Lavinia nicht zum Dienst berufen und konnte sich den Tag frei nehmen. Diese Gelegenheit nutzten sie, um endlich wieder einmal unter ihrem Lieblingsbaum am See zu sitzen und verträumt auf Wasser hinaus zu schauen. „Nicht mehr lange, und der Herbst wird kommen“, bemerkte Kazary beifällig, während sie ihre Beine anzog und die Arme um die Knie schlang. Lavinia nickte. Eine Weile lang schwiegen die beiden. Sie wussten beide, was der Herbst für Entscheidungen brachte. Es hatte wieder Kämpfe gegeben, es war nicht unbekannt, dass König Meleander bald mit einem neuen Angriff rechnete, und diesmal würde auch Lavinia an der Front kämpfen müssen, das erste Mal. Auf Kazary wartete jedoch die Erntezeit in ihrem Dorf. Sie würde dann wohl keine Zeit mehr finden, ihre Suche fortzusetzen. Ihre einzige Hoffnung war es, dass der König sie als Drachenreiterin anerkannte, damit sie zumindest während der hellen Hälfte des Jahres in der Stadt verkehren konnte, wie es ihr beliebte. „Ich weiß nicht warum, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass es das Schicksal gut mit uns meint“, seufzte ihre Freundin ohne den Blick von der spiegelglatten Oberfläche des Sees abzuwenden. In ihrem Tonfall lag ein Lachen, doch Kazary wusste, dass Lavinia den Tränen nahe stand. Normalerweise vermochte nichts ihr die Laune zu trüben, war immer voller Energie und Tatendrang, doch nun wirkte sie verändert. Lavinia hatte während des letzten großen Krieges ihre beiden Brüder verloren und fürchtete nun, selbiges zu erleiden. „Du weißt so gut wie ich, Kazary, dass ein Drachenreiter sich sein Leben nicht aussuchen kann. Der Bund hat mich erwählt, einige Zeit lang durfte ich seine Schönheit genießen und nun muss ich auch die dunklen Seiten in Kauf nehmen.“ „Da magst du wohl Recht haben“, stimmte sie Lavinia zu. „Vielleicht sehe ich das alles aber auch zu pessimistisch. Schließlich bin ich eine Drachenreiterin, eine der gefeierten und verehrten Hüter unseres Landes, und wenn jemand diese Unholde von Dunkelelfen besiegen kann, dann wir!“ Bei diesen Worten sprang sie auf und stolzierte laut lachend umher. Selbst Kazary musste lächeln. Lavinia war eine talentierte Kriegerin, für sie bestand kein Zweifel daran, dass sie den Angriff unbeschadet überleben würde. Sie jedoch würde in ihrem Dorf bleiben müssen, um ihre Familie zu unterstützen. Vielleicht war es ja auch eine glückliche Fügung des Schicksals, dass ihr weitere Blutbäder erspart bleiben sollten. Vielleicht brauchte sie auch gar nicht vor den König geführt und als Reiterin anerkannt werden. Sie hielt zwar viel von Pflicht und Ehrgefühl, aber bei dem wenigen, an das sie sich noch erinnerte, zog sie es vor, zumindest noch etwas länger die Freiheit mit Arsinoe genießen zu dürfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)