Die Magie der Musik 3 von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Kapitel 5 Am nächsten Abend befand Daniel sich in der Küche und kochte Essen. Er hatte die Portion für vier Leute abgeschätzt, da er davon ausging, dass Dustin und Ethan bestimmt wieder zurückkamen. Schließlich musste Dustin noch einiges für seinen Unterricht morgen vorbereiten und alle wichtigen Unterlagen dafür waren hier. Wehmütig wanderte Daniels Blick auf den leeren Hochstuhl. Er vermisste Jana jetzt schon total, wie musste es dann erst Serdall gehen? Der hatte sich übrigens zusammen mit den Hunden im Wohnzimmer verschanzt, nachdem er sie wieder ins Haus hineingelassen hatte. Dustins Mutter hatte Kimba und Mücke wohl ziemlich bald nach ihrer Ankunft aus dem Haus in den Garten verbannt, was bis heute Morgen keiner gemerkt hatte, da einfach zu vieles ihre Aufmerksamkeit erfordert hatte. Glücklicherweise hatte Serdall vor einiger Zeit eine Hundehütte gekauft, sodass sie es zumindest einigermaßen warm und bequem gehabt hatten. Jetzt saß Serdall mit beiden auf der Couch und fuhr ihnen wohl gedankenverloren durch das Fell. Daniel hielt es für das Beste, wenn er ihm erst einmal seine Ruhe ließ. Der Raum war auch wieder einigermaßen in Ordnung, bis auf diverse kaputte Möbel. Morgen kam auch dieselbe Handwerksfirma, die schon in Janas Zimmer gewesen war und tapezierte den Flur neu. Dann waren zumindest äußerlich alle Spuren vom Besuch von Dustins Mutter beseitigt. „Ach du heilige…“, rief Dustin plötzlich von der Küchentür aus und starrte Daniel überrascht an. Vielmehr seine kurzen Haare. Ethan ging geradewegs nach oben, ohne Daniel zu grüßen. Er war immer noch sauer. Dustin hingegen ging zu Daniel und strich ihm einmal über den rasierten Kopf. „Hat Serdall das getan?“, fragte er verwundert und warf einen Blick ins Wohnzimmer, wo Serdall seinen Geigenbogen einrieb. „Nein, ich in einem meiner Anflüge von spontanen Handlungen“, antwortete Daniel neutral und wendete die Seelachsfilets in der Pfanne. „Deine Mutter wurde übrigens nach draußen befördert, allerdings erst nachdem sie das Haus in eine Müllhalde verwandelt und das Jugendamt angerufen hat. Jana und Taki wurden mitgenommen.“ Mit leidvoller Miene sah Daniel Dustin an. „Was?“, schrie Dustin regelrecht und wunderte sich nun nicht mehr über die dreckige Tapete im Flur. „Oh oh“, meinte er aufgebracht und strich sich fahrig über die Haare. Das war gar nicht gut, absolut nicht gut. „Was hat Serdall dazu gesagt? Hat er Schluss gemacht?“, fragte er leiser und man sah ihm an, dass er ernste Schuldgefühle hatte. „Ich weiß es nicht“, murmelte Daniel unbehaglich. „Irgendwie ist er generell ziemlich ruhig geblieben. Er will wirklich erst am Montag zum Jugendamt und die Dinge bis dahin so lassen, wie sie sind. Schluss gemacht hat er auch nicht wirklich. Also eigentlich gar nicht. Ich habe momentan keine Ahnung, woran ich bei ihm bin. Er will sich nicht von mir trennen, aber die Sache geht ihm verständlicherweise schon ziemlich nah. Bis Montag will er auch in der Angelegenheit warten, glaube ich.“ Daniel seufzte und legte den Pfannenwender beiseite. „Und bei dir und Ethan scheint alles wieder einigermaßen okay zu sein?“, wollte er wissen. Dustin seufzte. „Ethan hat es nicht unbedingt gut weggesteckt, aber er hat mir verziehen. Gerade weil mein Vater gestorben ist und meine Mutter hier war“, murmelte er halblaut und sah schuldbewusst zu Daniel. War Serdall wirklich schon so abgehärtet, dass er Daniel einfach verzieh? Oder würde der große Knall noch kommen. Vom Herd aus konnte man ins Wohnzimmer sehen, aber nur wenn jemand durch den Raum ging. Dustin sah ziemlich verdutzt dabei zu, wie Serdall zur Schrankwand ging, die außerhalb von Dustins Einsicht lag und dann mit einem Scotchglas zurückkam. „Ich glaub er fängt an zu saufen“, murmelte er und sah Daniel beunruhigt an. Serdall hatte immer den Hang dazu, irgendwie extrem zu werden. Dustin befürchtete, dass er jetzt Alkoholiker werden könnte. „Wie zu saufen?“, fragte Daniel irritiert und ging zu Dustin, um ebenfalls einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen. Skeptisch sah er Serdall zu, wie er in schneller Folge zwei Gläser Scotch trank und sich dann vorerst erschöpft aussehend an den Barschrank lehnte. „Gestern hat er auch schon soviel getrunken, wobei er generell immer bei Aufregung trinkt. Ich hoffe, dass deine Vermutung falsch ist und er seinen Kummer nicht wirklich in Alkohol ertränkt. Allerdings sind wir ja da, um auf ihn aufzupassen. Vielleicht ist es echt nur mal wieder wegen des Ausnahmezustands.“ „Ich wäre da wirklich vorsichtig. Scotch ist nicht zu unterschätzen und du kennst Serdall, besonders in Ausnahmezuständen“, murmelte Dustin und sah dabei zu wie Serdall einmal mit dem Handballen gegen den Schrank schlug und wieder zum Sofa ging. „Ihn nimmt das ziemlich mit“, seufzte Dustin. Es war verständlich. Serdall legte auf Treue unendlich viel Wert. Allein in seiner Familie war die Loyalität Priorität, aber in der Liebe war es für den romantisch veranlagten Musiker wohl das höchste Gut. Daniel hatte ihn wohl ziemlich enttäuscht. „Du solltest versuchen bei ihm zu bleiben und ihn nicht mit sich allein zu lassen. Ich glaube, er brauch deine Nähe jetzt. Ohne Taki und dich geht er ein“, flüsterte Dustin ernst und sah Daniel in die hellblauen Augen. „Ja, scheinbar“, murmelte Daniel und sah dabei zu, wie Serdall als nächstes ein Kissen durch den Raum beförderte. „Ich dachte, dass es besser wäre, wenn er etwas für sich ist, aber scheinbar reicht das jetzt. Machst du das Essen fertig?“ „Mach ich“, antwortete Dustin und folget Daniel kurz mit den Augen, während der in Richtung Wohnzimmer ging, aus dem gerade ein erstickter Schrei von Serdall kam. Scheinbar schien sein Schwager jetzt wirklich zu realisieren, was Daniel getan hatte und dass das Jugendamt sein Kind hatte. „Hey!“, machte Daniel laut auf sich aufmerksam und nahm Serdall, der schon wieder am Barschrank stand, die Flasche Scotch aus der Hand. „Es ist gut, okay? Sowohl mit dem Alkohol als auch mit deinem Vandalismus. Das macht es auch nicht besser.“ Verwirrt, dass Serdall auf einmal so ausflippte, aber gleichzeitig wütend auf ihn, dass er sich so gehen ließ, drehte Daniel sich um, um den Alkohol woanders abzustellen. „Nichts ist okay“, fauchte Serdall und packte Daniel am Kragensaum, um ihn zurückzuziehen und die Flasche wieder an sich zu nehmen. Er stellte sie zurück in den Barschrank, nachdem er noch ein Glas eingeschenkt hatte und wortlos an Daniel vorbeiging, um sich auf das Sofa zu setzen. Serdall glaubte wahnsinnig zu werden. Die Situation war so bescheuert. Daniel hatte ihn betrogen und das Jugendamt hatte ihm seinen Sohn genommen. Er würde ausrasten, wenn er ihn nicht gleich Montag wiederbekam, das war sicher. Fassungslos starrte Daniel Serdall an. Seit wann war er so? War das jetzt Zeichen davon, dass es ihm alles zu viel wurde? Die verspätete Reaktion auf das, was er gestern erfahren hatte? Trotzdem brachte es nichts, sich jetzt zu betrinken. Daniel ging erneut auf Serdall zu und nahm ihm das Glas aus der Hand. „Wem ist damit geholfen, wenn du dir deine Gehirnzellen wegsäufst?“, fragte er. „Mir! Und jetzt nimm die Finger weg“, zischte er Daniel an und zog nachdrücklich das Glas in ihren Händen in seine Richtung. Wenn er jetzt nicht seinen Scotch trank, würde er seine letzte Beherrschung verlieren. Damit wäre dann niemandem geholfen, aber das verstand Daniel ja nicht. Er verstand nie was, er verstand Serdall erst recht nicht. Serdall hatte bereits eine leichte Alkoholfahne. Er hatte ja jetzt auch schon über eine halbe Flasche Scotch getrunken. „Sag mal merkst du noch was?“, raunzte Daniel ungläubig. „Du bist betrunken und dieses Glas wird bestimmt nicht dein letztes sein. Wenn du so weiter machst, trinkst du dich noch ins Krankenhaus und sag mir bitte mal, wer dann morgen alles mit dem Jugendamt regelt. Ich habe nicht deine Skrupellosigkeit, deine Erfahrung und dein Geld.“ „Ja und das ist wohl genau das, was dich noch bei mir hält, was? Mein Geld, nicht?“, erwiderte Serdall mit angewidertem Gesichtsausdruck und ließ nun das Glas los. „Du willst nur, dass ich Jana hole und dass ich dich dann rausschmeiße. Stimmt doch? So war das doch alles geplant, damit du ohne schlechtes Gewissen dann munter durch fremde Betten rutschen kannst. Serdall der Idiot lässt ja fast alles mit sich machen.“ „Das ist wohl das, was du dir wünschst, was?“, ätzte Daniel. „Damit du dich dann schön selbst bemitleiden kannst. Wahrscheinlich geilt dich das auf. Immerhin hast du das schon einmal durch. Ehrlich, wer trauert denn bitteschön zwei Jahre lang seinem verstorbenen Ehepartner hinterher, sodass er fast daran eingeht? Wenn ich nicht gekommen wäre, hätte das wohl noch jahrelang angedauert. Da passt es dir doch super in den Kram, wenn du mich wegen diesen falschen Gründen rauswerfen kannst, nicht wahr? Dann darfst du endlich wieder leiden.“ Serdall sprang auf, um Daniel wütend und verachtend zugleich ins Gesicht zu sehen. „Louise war seit der elften Klasse mit mir zusammen, bis zu ihrem Tod. Sie hat mich nicht ein einziges Mal betrogen in den vier Jahren unserer Beziehung. Du hast mich allein in den letzten fünf Monaten zwei Mal betrogen!“ Serdall gab Daniel einen harten Schlag gegen die Schulter. „Womöglich wäre es mir besser ergangen, wenn ich dich nie kennengelernt hätte. Dann wäre mein Sohn nicht vom Jugendamt mitgenommen worden und ich würde nicht ständig darunter leiden, dass ich dich liebe“, zischte er wütend, ehe er an Daniel vorbei stürmte. Getroffen blieb Daniel stocksteif im Wohnzimmer stehen. Serdalls Worte hallten noch lange in seinen Ohren nach. Sie waren berechtigt gewesen, nachdem was Daniel ihm an den Kopf geworfen hatte und leider waren sie auch wahr, doch es so direkt gesagt zu bekommen, war mehr als schlimm. Mit schwerem Herzen ging Daniel zum Fenster und sah hinaus in die Dämmerung. Wahrscheinlich wäre es tatsächlich besser gewesen, wenn sie sich nie kennengelernt hätten. Er hatte Serdall wirklich kontinuierlich nichts als Schmerzen bereitet. Im Vergleich zu Louise war er wohl für Serdall der Teufel in Person. Auf diese Art und Weise konnte man ihn am Meisten verletzen und Daniel tat es auch noch. Leicht schaudernd umfing er seinen Oberkörper mit den Armen. Ihm war auf einmal unsagbar kalt. „Du hättest das mit Louise nicht sagen dürfen“, sagte Dustin plötzlich laut und trat neben ihn. Er war unbemerkt zu Daniel getreten, nachdem er unweigerlich die Diskussion mitbekommen hatte. Serdall war nach oben gestürmt und hatte ihm einen tödlichen Blick zugeworfen, als er Dustin entdeckt hatte. „Warum hast du ihn überhaupt so angeschrien? Er war betrunken, das hast du doch gewusst.“ „Ja, ich weiß. Ich weiß auch, dass ich das nicht hätte sagen dürfen und ich habe keine Ahnung, warum ich ihn so angeschrien habe. Irgendwie hat es mich wütend gemacht, dass er seine Sorgen im Alkohol ertränken will. So löst man keine Probleme und erst recht Serdall löst so keine Probleme. Das passt einfach nicht zu ihm und es hat mich gereizt, dass ich nicht weiß, woran ich an ihm bin und überhaupt.“ Traurig sah Daniel zu Dustin. „Meinst du, es wäre vielleicht wirklich das Beste, wenn ich einfach ausziehe? Zumindest für den Moment?“ „Nein. Wenn du gehst, kann ihm niemand mehr etwas sagen. Allein beim letzten Mal haben wir nicht mit ihm sprechen können und wenn du jetzt ausziehst, wird er sich wohl verlassen vorkommen“, murmelte Dustin. Es polterte plötzlich auf der Treppe. Serdall schien wieder herunterzukommen und man sah ihn, wie er an der Tür vorbeistürmte. Wollte er frische Luft schnappen? Dustin ging in den Flur und sah mit Erschrecken, wie Serdall in seine Schuhe schlüpfte und seinen Wagenschlüssel griff. „Du willst doch nicht betrunken fahren!“, rief Dustin, doch als er Serdall an der Schulter fasste, um ihn zurückzuziehen, drehte der sich um. Eine Faust landete unerwartet in Dustins Gesicht und brachte ihn zum Taumeln. „Sprich mich nie wieder an, sonst bring ich dich um“, drohte Serdall und er meinte jede Silbe ernst. Sein Blick schweifte von Dustin zu Daniel, der im Türrahmen stand und geschockt zusah. Serdall wandte sich wütend um und lief zu seinem Wagen. Mit quietschenden Reifen fuhr er aus der Auffahrt und mit Vollgas dann die ruhige Straße entlang. „Scheiße, scheiße, scheiße“, fluchte Daniel aufgebracht und rannte als erstes in die Küche, um erneut für Dustin eine kalte Kompresse zu holen. Der Arme schien sich in letzter Zeit aber auch immer in sowas reinzureiten. Etwas unsanft presste Daniel ihm den kalten Beutel ins Gesicht und trat dann wütend und mit einer mordsmäßigen Angst im Bauch, begleitet von einem ganz schlechten Gefühl gegen die Haustür, bevor er ins Wohnzimmer rannte und sich das Telefon schnappte. Er wählte Serdalls Handynummer, doch das Klingeln drang von oben zu ihnen herunter. „Scheiße!“, schrie Daniel erneut. „Warum hat er denn noch nicht einmal das mit?“ Wenn Serdall etwas passierte war er Schuld. Er hatte Serdall so in Rage versetzt. Wenn er ihm nicht diese Dinge an den Kopf geworfen hätte, wäre Serdall erst gar nicht betrunken ins Auto gestiegen. Dustin zog Daniel in seine Arme, als der aufgebracht hin und her lief. „Keine Angst, er wird sich nichts tun und in ein paar Stunden wieder hier sein“, murmelte er nicht sehr überzeugt. Er spürte wie sein Auge zuschwoll, genau da, wo Serdall ihn getroffen hatte. Wie er das in der Reitling erklärte, war ihm jetzt schon ein Rätsel. Er betete, dass Serdall wirklich vernünftig fuhr und nichts passierte. „Lass uns erst einmal essen, in Ordnung? Es wird alles okay sein.“ „Hoffentlich“, seufzte Daniel nervös. „Hoffentlich.“ Leicht vor sich hin zitternd saß Daniel ein paar Stunden später neben Dustin auf dem Sofa im Wohnzimmer. Der Fernseher lief leise vor sich hin, doch das war das Letzte, was Daniel im Moment interessierte. Serdall war immer noch nicht da. Er hatte sich auch nicht gemeldet. Fröstelnd zog er die Decke um sich enger und warf einen weiteren Blick auf die Uhr, wie wohl alle drei Minuten in den letzten drei Stunden. Nervös folgte Dustin Daniels Blick und seufzte leise. Langsam schwand sein Optimismus. Plötzlich ging die Türklingel und Dustin riss die Augen auf. Einen Moment tauschte er mit Daniel einen Blick aus, bevor er aufstand und zur Tür ging. Zwei Polizeibeamte standen übermüdet vor ihm. Dustin rutschte das Herz in die Hose und seine Hände begannen nasskalt zu werden. „Guten Abend. Entschuldigen Sie, aber wohnt hier Serdall Agamie? Kennen Sie diesen Mann?“, fragte der etwas älter wirkende Polizeibeamte mit kleinem Schnauzbart. Dustin schluckte, bevor er antwortete. „Ich bin Dustin Canter, sein Schwager. Was ist mit ihm?“, fragte er mit zittriger Stimme. „Herr Agamie hatte einen Unfall. Er ist betrunken und mit zu hoher Geschwindigkeit gegen eine Leitplanke gefahren. Sein Wagen hat sich drei Mal überschlagen und ist auf einem Acker liegen geblieben und---“. Der Beamte wurde harsch unterbrochen. „Wo ist er jetzt?“, rief Dustin aufgebracht. „Er liegt auf der Intensivstation im städtischen Krankenhaus. Sein Zustand war kritisch, er liegt jetzt soweit ich weiß im Koma.“ Der Kollege des schnauzbärtigen Beamten reichte Dustin eine durchsichtige Tüte mit diversem Kleinkram. „Das sind die Dinge, die aus dem Auto geflogen sind. Wenn Herr Agamie wieder gesund wird, wird ein gerichtliches Verfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft wird ihn wegen fahrlässigem Fahren im Straßenverkehr und Trunkenheit am Steuer anklagen. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Abend, Herr Canter“, meinte der Polizist und Dustin knirschte mit den Zähnen. Dieser Mann war eindeutig jemand, der betrunkenen Fahrern den Tod an den Hals wünschte, genau das sagte sein Blick. Wütend und am Ende mit den Nerven warf er die Haustür zu und sah zu Daniel, der hinter ihm stand. „Lass uns hinfahren.“ Daniel konnte nur apathisch nicken. In seinen Kopf hallte immer wieder der Gedanke ‚Ich habe es gewusst‘ nach, begleitet von einem viel aufdringlicherem ‚und ich bin schuld‘. Er ließ sich von Dustin zum Auto schieben, nachdem der Ethan kurz Bescheid gesagt hatte, und setzte sich schwach auf den Beifahrersitz. Serdall lag im Koma. Was, wenn er nie wieder aufwachte? Wenn das Letzte, was zwischen ihnen gewesen war, dieser Streit sein sollte, das Fremdgehen davor. Schwer atmete Daniel ein und versuchte seinen rasenden Puls einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen und nicht zu hyperventilieren. Es brachte keinem was, wenn er jetzt umkippte. Dustin versuchte ebenfalls Ruhe zu bewahren. Was hatten sie nur angerichtet? Wenn Serdal starb, würde er sich das nie verzeihen. Langsam fuhr er die Einfahrt herab. Im Licht der Autoscheinwerfer sah man irgendwann schwarze Reifenspuren, die Serdall hinterlassen hatte. Der Wagen hatte wohl einen Totalschaden, das war sicher, aber das war auch unwichtig. Es kam im wie eine Ewigkeit vor, bis sie am Krankenhaus angelangt waren und es wirkte unreal, wie eine Ärztin sie zu Serdall führte. „Er ist überm Berg“, plapperte die Frau, während sie eine Glastür aufstieß, sich sicher, dass Daniel und Dustin ihr folgen würden. „Ein gebrochener Arm und ein gebrochenes Bein, eine mittelschwere Platzwunde am Hinterkopf und einen Zahn hat er sich ausgeschlagen, aber den hat man ihm schon wieder eingesetzt. Herr Agamie liegt jedoch leider im Koma und wir wissen nicht warum. Er hat keine Hirnblutungen und die Platzwunde ist auch nicht so gravierend, dass sie das Koma ausgelöst haben könnte. Mehr kann ich leider zurzeit nicht sagen“, meinte sie und hielt dann vor einer Tür in der dritten Etage an. Kurz aber extrem schmerzhaft krampfte sich Daniels Magen zusammen. Er fragte sich, warum er bei der ganzen Situation gerade als erstes daran dachte, dass Serdall der gebrochen Arm wohl beim Geige spielen behindern würde. Wenn er nicht wieder aufwachte, dann war der gebrochene Arm wohl das geringste Problem. Geschockt schnappte Daniel nach Luft, als ihn sein Gedanke gerade mit aller Macht traf. Serdall würde schon wieder aufwachen, ganz bestimmt. Er konnte ihn und Taki doch nicht allein lassen. Genauso wie Dustin, Ethan und Jana. „Stop“, sagte die Krankenschwester an der Tür zur Intensivstation. „Noch eine obligatorische Frage, bevor ich Sie zu Herrn Agamie lasse. Sind Sie mit ihm verwandt?“ Daniel schüttelte den Kopf, während Dustin knapp nickte. „Dann muss ich Sie leider bitten, hier draußen zu warten. Nur Angehörige haben Zutritt“, meinte sie entschuldigend zu Daniel. Geschockt starrte der sie an. Er durfte nicht zu Serdall? Er wollte ihn wenigstens einmal kurz sehen, sehen wie es ihm ging, auch wenn sie das eben schon erfahren hatten. Nach einem Augenblick nickte Daniel allerdings schlussendlich. Es war wohl besser so. Serdall hätte ihn wohl nicht bei ihm haben gewollt, wenn er wach gewesen wäre. Schließlich war er sozusagen vor ihm geflohen. Dustin ging dazwischen und sah kurz auf das Namensschild der Frau. „Frau Doktor, er ist der Lebensgefährte von Serdall. Er hat mehr Recht als ich bei ihm zu sein“, meinte er ernst und mit einem mitleidigen Blick. Die Ärztin seufzte und nickte dann. „Gut“, erlaubte sie es schlussendlich und ließ Daniel und Dustin in das Zimmer eintreten. Dustin atmete irgendwie beruhigt aus, als er sah, dass nur Serdalls rechter Arm gegipst war. Der Linke wäre eine Katastrophe für den Violinisten. Serdall sah schrecklich aus. Kleine Schnittwunden waren im Gesicht und der Kopf bandagiert. Das linke Bein war ein wenig hochgelagert und der Unterschenkel eingegipst. Man hätte meinen können, dass er schlief, doch die piepsenden Geräte und die Infusionsnadel in seinem Arm zeigten ihnen die Realität. Schweren Herzens sah er dabei zu, wie Daniel auf Serdall zuging. Leise setzte Daniel sich auf den Stuhl neben Serdall und nahm vorsichtig dessen unverletzte Hand in seine, die neben ihm auf dem Bett lag. Es konnte sein, dass er sich täuschte, aber die Haut sah irgendwie blass aus, furchtbar hell. Außerdem war sie eiskalt. Behutsam umschloss Daniel sie und hauchte seinen warmen Atem dagegen. Entschuldigend sah er kurz in Serdalls Gesicht, wandte den Blick dann allerdings ab. Seinen Freund so hier liegenzusehen war einfach unerträglich für ihn. „Es tut mir leid“, flüsterte er. „Das ist alles meine Schuld. Ich hätte all diese Dinge nicht sagen und dich schon gar nicht betrügen sollen.“ Dustin legte eine Hand auf Daniels Schulter und drückte sie leicht. „Ich geh mir einen Kaffee holen, okay?“, meinte er etwas heiser und verließ den Raum, um Daniel mit Serdall allein zu lassen. Ihm reichte allein der Anblick von Serdall. Wenn jetzt sein Schwager auch noch sterben würde, war Dustin sicher, dass er schlichtweg durchdrehen würde. „Taki braucht dich, Serdall“, flüsterte Dustin und schlug leicht gegen den Automaten, vor dem er nun geraume Zeit stand. Er schüttelte den Kopf, ehe er Geld in den Münzschacht warf. Serdall würde nicht sterben, aber würde er wieder aufwachen? Warum lag Serdall im Koma? Warum wussten die Ärzte nicht was los war? Dustin seufzte. Wahrscheinlich war Serdall selbst dann noch stur, wenn es gar nicht mehr ging. Vielleicht wollte er einfach seine Ruhe. Daniel fühlte sich etwas unbehaglich so ganz mit Serdall allein. Er wusste nicht, was er tun oder sagen sollte und das Piepen der Geräte raubte ihm jetzt schon den letzten Nerv. Serdall war am Leben und würde es auch bleiben, brauchte man dann noch so lästige Apparaturen, die einen Höllenlärm machten? Seufzend stützte Daniel sein Kinn auf seine zusammengefalteten Hände, in denen er immer noch Serdalls hielt. Er fühlte sich hundeelend, die Schuldgefühle nagten an ihm und er hatte einfach keine Ahnung, ob er gehen oder bleiben sollte, was in Serdalls Sinn gewesen wäre. Da er es nicht mit Sicherheit sagen konnte, beschloss er so zu handeln, wie er es für richtig hielt und würde wohl bleiben. Dustin kam wieder in den Raum und Daniel wandte seinen Kopf leicht, sodass er ihn ansehen konnte. „Ich brauche irgendwann mal Serdalls Handy“, meinte er leise, so als könnte er Serdall aufwecken, wenn er zu laut sprach. Die Hände in den Hosentaschen vergraben stellte sich Dustin neben Daniel. Er war verwirrt. Wieso fragte Daniel ihn nach Serdalls Handy? „Es liegt in eurem Zimmer, das weißt du doch“, murmelte Dustin und sein Blick blieb an Serdall hängen. „Ich weiß“, antwortete Daniel immer noch im Flüsterton und sah Dustin bittend an. „Aber ich will hier nicht weg und es wäre wohl das Beste, wenn wir Fei anrufen würden. Er will garantiert wissen, was mit Serdall los ist und vielleicht kann er dafür sorgen, dass Taki und Jana schnell wieder bei uns sind. Ich habe wahrscheinlich zumindest in nächster Zukunft schlechte Karten nach dem, wie deine Mutter mich dargestellt hat.“ „Daniel du brauchst Schlaf. Du kannst nicht Tag und Nacht bei ihm bleiben. Wir fahren jetzt nach Hause und ruhen uns aus und morgen kannst du wieder herkommen“, meinte Dustin ernst und vernünftig. „Komm, vielleicht ist er morgen schon wach.“ Dustin griff nach Daniels Arm. Widerstandslos ließ Daniel sich aus dem Raum ziehen und warf noch einen letzten Blick zu Serdall, bevor sie endgültig um die Ecke bogen. Auf der Rückfahrt sprachen sie nicht viel. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, die zumindest bei Daniel hauptsächlich von Schuldgefühlen dominiert waren. Eine Kette baute sich in seinem Kopf auf. Wenn er nicht mit Dustin geschlafen hätte, Serdall ohnehin nie untreu gewesen wäre, wenn er Dustins Mutter nicht unterschätzt hätte, Taki und Jana nicht vom Jugendamt mitgenommen worden wären und der Streit nie stattgefunden hätte, wäre das alles nicht passiert. Selbst ein Glied in dieser Kette, das fehlen würde, hätte das Ende garantiert nicht herbeigeführt. Warum hatte Daniel so viele Fehler in so kurzer Zeit machen müssen? Wie war das überhaupt möglich, so viel Dummheit auf einmal in sich zu vereinen? Wieder zuhause angekommen ging Daniel als erstes ins Schlafzimmer, griff sich Serdalls Handy und eilte dann wieder die Treppen nach unten. Er konnte nicht eine Sekunde in diesem Raum bleiben. Alles erinnerte ihn an Serdall und seine Fehler. Fahrig durchsuchte er das Adressbuch und wählte dann Feis Nummer. Es war hier schon weit nach Mitternacht, als musste es in Japan fast Nachmittag sein. Es dauerte einen Moment, bis die Leitung endlich das Freizeichen gab. Ein paar Mal klingelte es, bevor Feis tiefe Stimme am Telefon erklang, selbstverständlich auf Japanisch. Als Daniel dann ein kurzes Räuspern von sich gab, schien Fei zu verstehen, dass es nicht Serdall war, der anrief. „Wer ist da?“, meinte er in rauem Deutsch. „Hier ist Daniel“, kam die etwas schüchterne Antwort. Daniel hatte keine Ahnung, wie er Fei die ganzen Geschehnisse in den letzten Tagen am schonendsten beibringen sollte. Fei schien kurz überlegen zu müssen. „Gibt es einen besonderen Grund, warum du mich von Serdalls Mobiltelefon anrufst?“, fragte er nun misstrauisch. Er schien etwas zu ahnen und man hörte ihm an, dass er unruhig wurde. „Da war nun mal deine Nummer eingespeichert“, schoss Daniel zurück, seufzte dann allerdings und strich sich durch die Haare. Fei war an nichts von alledem Schuld, also musste er ihn gar nicht erst so dumm anmachen. Daniel holte tief Luft. „Serdall hatte diese Nacht einen schweren Autounfall. Er liegt momentan im Koma.“ Es trat eine kurze Stille ein, in der Fei einmal tief durchatmete. „Wie ist das passiert? War Taki dabei oder ist er wohlauf? Ich sollte wohl besser nach Deutschland kommen“, meinte er am Schluss halblaut, eher zu sich selbst, als an Daniel gewandt. „Ja, ich denke das wäre das Beste“, seufzte Daniel. „Du kannst zwar ihm nicht helfen, aber dafür Taki. Das Jugendamt hat ihn mitgenommen. Die genauen Umstände, wie es dazu gekommen ist, sind jetzt unwichtig. Jana ist auch weg und allein schaffe ich es wohl nicht, die beiden wiederzubekommen. Zumindest nicht in der nächsten Zeit.“ Etwas Verzweiflung hatte sich in Daniels Stimme gemischt, doch er versuchte einigermaßen ruhig zu bleiben. Fei schien zu überlegen. Er kannte Jana. Serdall hatte ihm von dem adoptierten Mädchen erzählt. „Ich nehme den nächsten Flug, sobald ich kann. Ich denke, dass ich morgen Nachmittag ankomme, aber versprechen kann ich das nicht.“ Er konnte als Oyabun, als Oberhaupt eines Yakuzaclans, nicht einfach das Land verlassen, ohne Vorkehrungen zu treffen. „Wenn ich da bin, erklärst du mir die genauen Umstände“, meinte er kalt und verabschiedete sich im nächsten Moment. Mit schwerem Herzen legte Daniel auf und lehnte sich dann in die Sofapolster zurück. Wenn Serdall ihn nicht kalt machen würde, wenn er wieder aufwachte, und Daniel weigerte sich auch nur eine Sekunde daran zu denken, dass er nicht aufwachen würde, dann übernahm Fei das bestimmt mit Freude, wenn Daniel ihm erzählte, warum Serdall so beschissen Auto gefahren war. Dustin kam gähnend ins Wohnzimmer, jeweils eine Tasse warmen Kakao in den Händen tragend. Er setzte sich neben Daniel und drückte ihm eine der beiden Tassen in die Hand. „Was sagt Fei?“, fragte er leise und sah Daniel mitleidig von der Seite an. Man sah ihm an, dass er schwere Schuldgefühle hatte und unglücklich war. „Er kommt“, murmelte Daniel und nahm dankbar die Tasse entgegen. Das konnte er zur Beruhigung jetzt echt sehr gut brauchen. „Wenn er da ist habe ich wohl meine letzten Atemzüge getan.“ Seufzend starrte Daniel in seinen Kakao. Fei war etwas wie Serdall. Das Temperament lag in der Familie genau wie die große Sorge um die Liebsten und die Überreaktion, wenn jemandem etwas passiert war. Das sah man allein an Serdalls Angriff auf Kai. Was Fei machen wollte, stellte Daniel sich lieber im Moment nicht vor. Dustin sog zischend Luft zwischen den Zähnen ein und seufzte dann tief. Fei würde sich nicht zurückhalten, gerade wenn es um seinen geliebten Bruder ging. „Ich würde ihm an deiner Stelle nicht sagen, dass du Serdall betrogen hast. Du musst ihn nicht anlügen, aber vorerst verschwiegen solltest du es. Er ist genauso konservativ wie Serdall“, meinte er ernst und nippte an seiner Tasse. Was das hieß war klar, nur liebte Fei Daniel nicht und würde sich deswegen in seiner Wut nicht zurückhalten. „Wie soll ich es denn sonst begründen, dass Serdall betrunken ins Auto gestiegen ist?“, fragte Daniel aufgebracht. „Auch Fei wird klar sein, dass Serdall mit seinem Einfluss die Kinder schnell hätte zurückholen können. Es kommt noch nicht einmal auf das Geld an, sondern allein auf die Tatsache, dass bei dem großen Serdall Agamie bestimmt schnell jemand vom Jugendamt vorbeikommt und die jetzt wieder entschärfte Lage begutachtet. Ein kurzer Besuch und es wäre vielleicht alles wieder gut. Deswegen würde er nicht so ausrasten.“ „Das ist richtig“, erwiderte Dustin. „Aber musst du ihm denn sagen, dass du ihn betrogen hast? Kannst du nicht einfach sagen, dass ihr euch gestritten habt, wegen der Sache von damals? Daniel, er wird uns beide die Hölle heiß machen und das wird schlimmer sein, als Serdall das je hätte tun können“, sagte er aufgebracht. Er gab zu, dass er Angst hatte. Fei würde darüber nicht so einfach hinwegsehen. Er hasste Schwule, zumindest wenn es um seinen Familienkreis ging und Verrat war noch schlimmer. Das hatte man gesehen, als er Daniel und Serdall auseinander bringen wollte. „Ich weiß“, murmelte Daniel. „Ich werde allein schon aus Rücksicht auf dich versuchen, die schlimmsten Fakten außen vor zu lassen. Ich werde sehen, wie sich das Gespräch entwickelt. Auch wenn ich Fei sagen werde, dass ich Serdall betrogen haben, lasse ich dich aus dem Spiel. Es reicht, wenn er seine Wut auf einen konzentriert.“ Daniel stürzte den letzten Kakao hinunter und stand dann auf. „Ich werde schlafen gehen. Du solltest dich auch hinlegen, immerhin musst du morgen zur Arbeit.“ „Ich glaub mit zwei Stunden Schlaf und einem blauen Auge werde ich morgen nichts zustande bringen“, murmelte er und leerte ebenfalls seinen Kakao, ehe er aufstand und Daniel folgte. „Einen Tag kann ich mal krank sein. Es ist einfach zu viel geschehen heut Abend.“ Er schlug Daniel leicht auf die Schulter. „Ich kümmere mich morgen um die Einkäufe, du kannst ins Krankenhaus fahren, ja?“ Daniel nickte dankbar und gemeinsam gingen sie in Richtung Treppe. „Lehrer sein ist schon ein schöner Beruf. Mit deiner Krankmeldung machst du sogar Dutzende von Menschen glücklich“, meinte er mit seinem schiefen Grinsen, bevor er vor Dustins Tür stehen blieb. „So?“, fragte Dustin verdutzt und zog eine Augenbraue nach oben. „Und ich dachte, ich sei der Schwarm der Schule und es bricht meinen süßen Schülern das Herz, mich nicht fünf Tage die Woche zu sehen“, hielt er dagegen und zwinkerte keck. „Oh ja, ihnen wird das Herz brechen, dass sie nicht nach der Siebten sondern nach der Sechsten aushaben. Unterricht mit dir, am besten noch eine Grammatikstunde, ist doch viel schöner als ein verfrühter Besuch im Kino.“ Daniel grinste kurz, doch schon kurz darauf fielen seine Gesichtszüge wieder in sich zusammen. „Kann ich heute hier schlafen?“, fragte er. „Ich halte es oben nicht aus und das Wohnzimmer ist dann doch noch etwas unwohnlich.“ „Klar“, meinte Dustin leichthin und nickte. „Ethan wird hoffentlich nicht noch eine Szene ma---“ Dustin wurde just unterbrochen, als besagter Rothaariger die Tür aufriss und sofort nach Dustins Arm griff. „Doch mache ich. Wie wäre es, wenn Daniel sich in seine Etage verzieht? Mein Zimmer bekommt er jedenfalls nicht.“ Im ersten Moment stand Daniel sprachlos im Flur, nickte dann allerdings ergeben. „Okay“, murmelte er mit beschlagener Stimme und wandte sich ab, damit keiner der beiden seine feuchten Augen sah. Er konnte Ethan verstehen. Es war klar, dass er wütend war. Trotzdem schmerzte es, so abgewiesen zu werden. „Warte!“, rief Dustin aufgebracht und hielt Daniel am Arm fest, wofür er von Ethan ein aufgebrachtes Schnauben bekam. „Ethan, Serdall hatte einen Unfall. Er liegt im Koma und Daniel erträgt es jetzt einfach nicht allein zu sein, ohne Jana und ihn. Kannst du deine Wut bitte beiseite schieben? Schließlich habe ich ihn gevögelt, nicht andersrum“, raunzte er und Ethans böser Blick traf nun Dustin. Doch als er in dessen hilflos bittende Augen sah, seufzte er leise. Er sah zu Daniel, dem die Tränen über die Wangen rannen und er strich sich fahrig durch die roten, wirren Haare. „In Ordnung. Daniel, du kannst drüben schlafen“, murmelte er. Unwirsch wischte Daniel sich über das Gesicht und sah dann schon am oberen Ende der Treppe, die zum Wohnzimmer führte, zurück. „Ethan, ich will mich in nichts reindrängen und ich schlafe lieber unten, als in einem unwillig überlassenen Zimmer.“ Ethan rollte nun mit den Augen, ging auf Daniel zu, obwohl er nur eine Unterhose trug und schnappte dessen Hand. „Du kommst jetzt mit“, meinte er ernst, zog ihn in sein Zimmer und überließ Dustin sich selbst. Ethan schloss die Tür hinter ihnen und sah dann abwartend zu Daniel. „Okay, du hast mit Dustin geschlafen, aber er war da wohl maßgeblicher Faktor bei, das sehe ich ein“, fing er an zu sprechen. „Und ich sehe auch ein, dass ihr beide euch wohl noch ein bisschen mehr mögt, als nur normale Freunde das tun, weil ihr nun einmal schon zusammen gewesen seid. Aber ich sehe nicht ein, dich jetzt hängen zu lassen, nur weil ihr beide miteinander geschlafen habt.“ Ethan ging auf Daniel zu und schloss die Arme um ihn, um tröstend über den zitternden Rücken zu streichen. „Du bist genug gestraft“, meinte er leise und hauchte sanft einen Kuss auf Daniels Wange, ehe er ihn fest und sichernd an sich zog. Schluchzend klammerte Daniel sich an ihn und presste seine schon wieder nasse Wange in Ethans Halsbeuge. Er fragte sich, womit er einen solchen Freund verdient hatte. Obwohl er mit Dustin geschlafen hatte und obwohl Daniel so ziemlich an dem ganzen Leid, das er gerade empfand, selbst schuld war, ließ Ethan ihn hier schlafen und vergab ihm in gewisser Art und Weise den ganzen Mist. „Danke“, nuschelte Daniel leise. „Schon okay. Hauptsache es gibt kein nächstes Mal und Serdall wird wieder gesund“, meinte Ethan leise und strich über den kurzgeschorenen Kopf. „Übrigens finde ich deine Frisur wirklich eklig“, murmelte er und lächelte schief in Daniels Gesicht. „Lass sie bloß wieder langwachsen.“ „Nun, eigentlich habe ich das genau aus dem Grund gemacht“, erklärte Daniel und fuhr sich selbst kurz über die durch das Scheren leicht empfindliche Kopfhaut. „Sollte dafür gut sein, dass mich keiner mehr ansieht oder so. Mal wieder eine Kurzschlussaktion von mir, die nicht unbedingt gut ankam. Von daher werde ich sie wohl wirklich wieder langwachsen lassen.“ Ethan gab Daniel eine Kopfnuss. „Und ich dachte da wäre was drin“, meinte er belustigt und schlug erneut gegen Daniels Kopf und tat so, als ob er dem Klang lauschen würde. „Langsam verstehe ich auch den ganzen anderen Mist, irgendwie. Du und Dustin nehmt euch in Dummheiten kaum etwas, kein Wunder das ihr euch so gut leiden könnt.“ „Oh, vielen Dank für das Kompliment, Mister Oberschlau“, erwiderte Daniel ironisch. Ihm ging es schon wieder einigermaßen gut, wobei er wusste, dass es damit spätestens vorbei war, wenn er wieder in Richtung Krankenhaus fuhr und seine gute Laune würde garantiert aus sein, wenn Fei ankam. „Ich denke, wir sollten jetzt alle echt schlafen gehen“, fügte Daniel noch hinzu. „Es ist fast halb vier und morgen gibt es noch ein wenig was zu tun. Allein die Handwerker kommen und müssen überwacht werden.“ „Ja“, erwiderte Ethan. Das Chaos im Haus war wohl mit Serdalls Unfall nahezu perfekt und man sah es Daniel an, dass es ihm schlecht ging. „Dustin und ich, wir kümmern uns um die Handwerker. Du möchtest sicher bei Serdall sein“, meinte er halblaut und strich Daniel aufmunternd über die Wange. Er lächelte noch einmal, ehe er Daniel gute Nacht sagte und zurück zu Dustin ging. Erschöpft parkte Daniel das Auto auf dem Hof und stieg aus. Er hatte seit er aufgestanden war so ziemlich den ganzen Tag bei Serdall gesessen, doch der hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Da er nach der langen Nacht gestern jetzt schon total müde und erledigt war und sogar zweimal kurz an Serdalls Bett eingeschlafen war, hatte er es für das Beste gehalten, jetzt schon nach Hause zu fahren und die Besuchszeiten nicht bis zum Ende auszunutzen. Außerdem hatte er angenommen, dass Fei demnächst irgendwann eintreffen würde, da es immerhin schon später Nachmittag war und er hatte gar nicht so falsch gelegen, denn ein schwarzer Wagen mit zwei ebenso dunkel gekleideten Männern parkte an der Straße. Seufzend schloss Daniel die Wohnungstür und machte sich auf ins Gefecht. Feis Stimme bellte durch den Flur, als er einen der Handwerker zurechtwies, die gerade dabei waren den gesamten Flur neu zu tapezieren. Er hielt sich dann wieder das Haustelefon ans Ohr. „Hören Sie, ich bin überzeugt davon, dass Sie wissen, dass Sie einen Fehler gemacht haben. Serdall Agamie ist ein bekannter Mann und in keinster Weise herrschen in seinem Haus asoziale Verhältnisse. Wissen Sie, ich wäre Ihnen sehr verbunden morgen mit Ihnen von Angesicht zu Angesicht zu sprechen.“ Fei wickelte die Frau ein und hatte am nächsten Morgen gleich einen Termin bei ihr. Er würde schon die richtigen Mittel bringen können. „Kikuchi!“, rief er nun und der Assassine erschien lautlos neben Fei. Der Oyabun gab ihm leise Anweisungen und der Assassine nickte, ehe er sich an Daniel vorbeischob, der noch im Flur stand, und dann mit den Bodyguards fortfuhr. Feis Blick traf Daniel und sein Mund wurde schmal. Er wies Daniel mit einem Kopfnicken in Richtung Wohnzimmer an, ihm zu folgen. „Ich hoffe du hast deinen Auftragskiller nicht dazu veranlasst, irgendwen vom Jugendamt zu bedrohen, denn ich denke, dass es im Interesse von Niemandem wäre, wenn Taki und Jana auf einer Bluttat aufbauend wieder zu und kommen“, zischte Daniel Fei zu, trotz dem großen Unbehagen, das er spürte. Allerdings wusste er, wie Fei drauf war, dass er in seiner Position im Laufe der Jahre gelernt hatte, skrupel- und gefühllos zu handeln und er wollte nicht, dass sich das auf ihre Familie auswirkte. „Nein“, antwortete Fei und wartet bis Daniel die Tür hinter sich zugemacht hatte. „Kikuchi erkundigt sich nur über Irene Weiß‘ Kinder. Nur zur Sicherheit, falls die Frau meint, meinen Neffen länger als nötig von seinem Zuhause fernzuhalten“, erklärte er ruhig und so, als ob es etwas Alltägliches für ihn wäre. Nun, es war etwas Alltägliches für ihn. Fei verschränkte die Arme und stellte sich vor Daniel, um ihm ins Gesicht zu sehen, so als ob er darin lesen könnte, was in den letzten Tagen geschehen war. „Also“, sagte er und eine leise Drohung schwang in seiner Stimme mit, „warum fährt sich mein Bruder fast in den Tod?“ „Müssen wir das jetzt klären?“, versuchte Daniel vom Thema abzulenken. „Bis um neun ist noch Besuchszeit. Du könntest erst zu ihm und wir reden später darüber. Außerdem will ich nochmal klarstellen, dass ich voll und ganz gegen irgendwelche kriminellen Handlungen bin. Wenn irgendwas davon rauskommt sehen wir die beiden vielleicht nie wieder und außerdem will ich mein Glück nicht auf dem Unglück anderer Menschen aufbauen.“ Herausfordernd sah Daniel Fei an. „Es geht nur um Taki. Ich kann Jana auch beim Jugendamt lassen, wenn du darauf Wert legst, jeden einzelnen Behördengang zu machen. Wie man mir gesagt hat, wird das Adoptionsverfahren von der Kleinen gerade geprüft, weil es erhebliche Mängel in den Formularen gibt. Für Taki müsste ich diesen Aufwand nicht betreiben“, erklärte Fei Daniel und seine braunen, dunkeln Augen fixierten sich mit Daniels hellblauen. „Also, entweder du bist zufrieden damit und erklärst mir was hier los war oder ich halte mich voll und ganz raus.“ Daniel starrte verbissen zurück. „Ich bin nicht zufrieden damit. Lieber mache ich jeden einzelnen Scheiß Behördengang und bekomme Jana zwei Wochen später wieder als die Kinder von irgendwem zu bedrohen, zu entführen oder was weiß ich. Allerdings erkläre ich dir gerne trotz unseren Meinungsverschiedenheiten was hier los ist, wenn du magst.“ „Du wirst Jana nicht nach zwei Wochen wiederbekommen, wenn die rausbekommen, was Serdall für Geld fließen lassen hat“, zischte Fei nun genervt von Daniels Ignoranz. „Wenn du deine korruptionsfreie Traumwelt aufrecht erhalten willst, musst du dann wohl oder übel auf deine Tochter verzichten.“ Fei wollte, dass Daniel einfach Einsicht zeigte. Er war jetzt kein unbescholtener Bürger mehr. Daniel hatte nun mal Verbindungen zur Yakuza, wenn er mit Serdall lebte und ihn liebte. Also hieß das es zu akzeptieren und nicht diese kindische Meinung aufrecht zu erhalten, die jetzt total unwichtig war. „Wenn du dir dann jetzt im Klaren darüber bist, dass deine Tochter kurz davor steht an eine andere Pflegefamilie abgegeben zu werden, könntest du mir die Freundlichkeit erweisen zu sagen, was hier geschehen ist“, knirschte Fei nun langsam mit der Geduld am Ende. Auch Daniel merkte, dass er ihn wohl nicht viel länger hinhalten konnte. Anstatt sich auf das Sofa zu setzen, blieb er allerdings lieber stehen. Das war ihm dann doch irgendwie… sicherer. „Serdall war ziemlich außer sich, als er nach draußen gestürmt ist. Sonst wäre er wohl kaum betrunken Auto gefahren. Wir hatten uns gestritten“, versuchte Daniel das Thema weitläufig abzuhandeln. Fei zog eine Augenbraue nach oben. Er kannte Serdall und sein Temperament, aber er war sich absolut sicher, dass Serdall nie wegen einem simplen Streit sein eigenes Leben riskieren würde. Skeptisch sah er in Daniels Augen. Da war noch etwas, was Daniel ihm verheimlichte. „Serdall hat sich also betrunken und ihr habt euch deswegen gestritten?“, behauptete Fei einfach, um eine Reaktion nach der anderen aus Daniel heraus zu kitzeln. Verwirrt sah Daniel ihn an. Hatte er es nicht andersrum gesagt? Also eher ziemlich neutral, aber Fei drehte die Tatsachen jetzt genau in die richtige Reihenfolge. „Nun“, begann Daniel zögernd, „ich mag es eben einfach nicht, wenn er zu viel von seinem Scotch trinkt.“ „Deswegen bringt sich Serdall nahezu um?“, fauchte Fei nun und packte Daniel am Kragensaum. „Eine ziemliche Lappalie, wenn man bedenkt, dass er deswegen auch hätte sterben können. Bist du dir sicher, dass es nicht doch etwas Anderes war?“, knurrte er ernst und sein Atem streifte Daniels Gesicht, so nah war er ihm. „Ich bin mir über die Umstände, die dazu geführt haben sicher, ja“, versuchte Daniel einen letzten Ausweg. Seine Aussage stimmte, auch wenn man sie in unterschiedlichen Sichtweisen betrachten konnte. So langsam rutschte ihm auch das Herz ziemlich in die Hose. Er hatte sich schon einmal mit Fei angelegt. Noch nicht einmal wirklich, sondern er hatte einfach einen dummen Kommentar gemacht und war dafür schon arg zugerichtet worden. Eigentlich hatte er jetzt weder Lust ihn noch weiter zu provozieren, noch ihm die Wahrheit zu sagen, denn alles wäre wohl nicht sehr gesund für ihn. Kurz glitten Feis Augen suchend über Daniels Gesicht und sein Mund verzog sich abschätzig. „Du verheimlichst etwas. Es steht dir ins Gesicht geschrieben. Du versuchst mir auszuweichen.“ Feis Stimme wurde bedrohlicher und sein Griff an Daniels Pulloverkragen festigte sich, ehe er Daniel mit voller Wucht gegen die Tür drückte. „Warum war Serdall so außer sich?“, fragte er Daniel jetzt und seine Körperhaltung verdeutlichte, dass er endlich die Wahrheit wissen wollte. „Spuck es aus“, knurrte er wütend. „Ich fürchte, dass es mir fast besser ergehen würde, wenn ich die Klappe halte, als wenn ich dir den Grund sagen würde“, ächzte Daniel und betete darum, dass irgendwer ins Wohnzimmer kommen würde. Dustin, Ethan, einer der Handwerker, egal wer. Fei schnaubte angewidert und nun packte er Daniel an der Kehle. „Glaub mir, ich habe keine Skrupel, es aus dir heraus zu quetschen“, flüsterte er und er erhöhte den Druck gegen Daniels Hals. Daniel schloss gepeinigt die Augen. Er hatte gewusst, dass er es Fei würde erzählen müssen, wenn er nach Deutschland kam. Trotzdem hatte er ihn angerufen, damit die Kinder wieder nach Hause kamen und weil Serdall den Beistand seines Bruders bestimmt auch gerne hatte, wenn es ihm so schlecht ging. Über Feis Reaktion ihm gegenüber hatte er allerdings nur hintergründig nachgedacht. „Ich habe mit jemand anderem geschlafen“, meinte er schließlich leise, innerlich mehr als angespannt und ängstlich in Erwartung von Feis Reaktion. Fei schien eine Sekunde wie versteinert, doch dann riss er an Daniels Kragen, zog ihn mit sich zum niedrigen Glastisch, setzte Daniel auf die eine und sich gegenüber auf die andere Seite auf den Teppich. Er langte nach Daniels rechter Hand und zog aus seiner hinteren Hosentasche ein Messer heraus. Fei hielt Daniels Hand mit ungeahnter Kraft fest und flach auf den Tisch gedrückt. „Für einen Verrat schneidet man in der Yakuza eine Fingerkuppe ab, um sich zu entschuldigen“, erklärte er und sah Daniel kalt ins Gesicht. „Liebst du Serdall nicht mehr?“, fragte er Daniel und legte das Messer gut sichtbar auf den Tisch, während er Daniels Hand weiterhin festhielt. „Natürlich liebe ich ihn noch“, gab Daniel zurück und konnte das Zittern nicht unterdrücken, das sich seines Körpers bemächtigt hatte. „Verdammt, wenn ich ihn nicht lieben würde, dann wäre ich nicht mehr hier oder würde mich ihm und seinem Geld gegenüber anders verhalten. Dann hätte ich dich gar nicht angerufen und diese ganze Scheiße hier riskiert.“ Daniel musternd zeigte Fei keine weitere Regung. Er musste sich zur inneren Ordnung rufen. Wenn sein Temperament jetzt mit ihm durchging, würde Serdall ihm das nie verzeihen. Aber Fei war sich sicher, dass Daniel eine Lektion verdient hatte und Serdall ihm gegenüber einfach zu weich war, um ihn anständig zu bestrafen. „Liebe ist eine Frage der Definition, findest du nicht auch? Was ist für dich Liebe?“, fragte er nun und sah Daniel unablässig kalt ins Gesicht. „Liebe“, murmelte Daniel mit zusammengezogenen Augenbrauen. Liebe war Liebe. Er hatte sich noch nie Gedanken über die Definition gemacht, wie Fei sie jetzt von ihm verlangte. Er rutschte ein Stück nach links, weil sein Arm auf Grund der unbequemen Position langsam anfing zu schmerzen und dachte nach. „Liebe ist Wärme“, fing er schließlich nachdenklich an. „Ein Gefühl des Schutzes bei der Person, die man liebt, ein Ruhepol. Man kann abschalten. Liebe ist gegenseitige Anziehung, sexuell wie auch emotional. Ziehen an einem Strang. Und Liebe ist… Vertrauen.“ Daniel stockte und sah auf einen kleinen Kratzer in der Glasplatte. Liebe war Vertrauen, was so ziemlich die wichtigste Eigenschaft war und das konnte man nicht haben, wenn man mit ihm zusammen war. „Ja, du hast es erfasst“, knurrte Fei nun und er zog schmerzhaft an Daniels Hand. „Liebe ist aber auch, nur eine einzige Person zu lieben. Sowohl körperlich, als auch geistig. Wenn du das nicht verinnerlicht hast, wirst du Serdall immer wieder betrügen, oder nicht?“, fragte Fei kalt und Wut kochte in ihm hoch. „Natürlich ist es kitschig so zu denken, vielleicht kennst du das als Homosexueller auch nicht, aber das bedeutet Liebe für Serdall. Willst du mit ihm zusammen sein, musst du dich auch nach seiner Vorstellung richten.“ Fei schnaubte im nächsten Moment. „Würde meine Frau mich betrügen, würde ich ihr die Hand abhacken, aber Serdall lässt dir alles durchgehen, weil er dich nicht verletzten kann.“ Es trat eine kleine Pause ein, in der Fei einen Moment nachdachte, bis er wieder zum Sprechen ansetzte. „Er redet viel über dich, wenn wir telefonieren“, erwähnte Fei und beobachtete Daniel weiterhin. Serdall schwärmte geradezu von Daniel und es brach Fei das Herz zu hören, dass Daniel ihn einfach betrog. Daniel senkte den Blick, weg von Fei, weg von dem Messer und seiner festgehaltenen Hand. Es tat unsagbar weh vor die Nase gehalten zu bekommen, dass Serdall ihn so extrem liebte, ja, schon fast vergötterte und Daniel, wie Serdall es auch schon selbst ausgeführt hatte, diese Liebe mit Füßen trat. Warum war er nicht in der Lage, Serdall genauso zurückzulieben? Warum suchte er sich Abwechslung in fremden Betten, obwohl er mit allem, was Serdall ihm bot, eigentlich zufrieden war? Und auch wenn er es nicht wäre, würde man das nicht hinnehmen können für all die schöne Zeit, die Serdall ihm gab? Außerdem war es auch keine Liebe, die er beispielsweise zu Dustin spürte. Eher eine tiefe Freundschaft und Verbundenheit. Gut, bei Dustin waren auch einige Fakten dabei, die Daniel Fei als Liebesdefinition aufgeführt hatte, aber im Vergleich zu Serdall war das nichts. Daniel wusste noch nicht einmal, warum er sich mit Dustin eingelassen hatte. Wenn er das nicht ergründen konnte, würde es vielleicht wieder passieren. Wenn nicht mit Dustin dann mit jemand anderem. Irgendwie, ganz versteckt in seinem Herzen, hoffte Daniel ein klein wenig, dass Serdall durch die Platzwunde am Kopf und den harten Aufprall vielleicht einen Teil seines Gedächtnisses verloren hatte. Dass er sich an die Zeit mit ihm nicht mehr erinnerte und er einfach gehen konnte, ohne Serdall zu verletzen. Denn er konnte nicht einfach so gehen, wenn alles intakt war. Serdall meinte selbst, dass das für ihn schlimmer sein würde, als ein erneuter Betrug. Wie sehr musste er ihn lieben? Wie wenig liebte Daniel Serdall? Verzweifelt ließ Daniel seine Stirn auf den Tisch sinken. Fei ließ Daniels Hand los und steckte das Messer wieder weg. Er hätte Daniel es lieber anders klargemacht. Ihm die Schmerzen gegeben, die Serdall wohl beim Unfall gespürt hatte, doch Serdall würde ihn ewig hassen, wenn er Daniel etwas antat. „Es gibt Dinge, bei denen man sich selbst Disziplin beibringen muss, Daniel. Wenn du Serdall liebst und nicht mehr verletzten willst, dann solltest du lernen, dich selbst im Zaum zu halten. Falls du das nicht kannst, musst du einen Weg finden, wie du es hinbekommst. Serdall wird dich nicht mehr gehen lassen können, das hat er mir selbst gesagt“, erklärte Fei und erhob sich dann. Ohne ein weiteres Wort ging er in den Flur und beaufsichtigte weiter die Handwerker bei der Arbeit. Etwas apathisch saß Daniel am nächsten Tag wieder bei Serdall im Krankenhaus. Es war jetzt schon - oder erst, das war Definitionssache - der dritte Tag, den er hier lag. Die Schwester draußen schien ihn schon zu kennen und ließ ihn ohne Fragen eintreten. Der mitleidige Blick, mit dem sie Daniel bedachte, machte ihn irgendwie leicht wütend. Es brachte ihm nichts, wenn sie Mitleid mit ihm hatte. Sie sollten lieber dafür sorgen, dass es Serdall so schnell wie möglich besser ging. Seufzend sah Daniel auf Serdall hinab. Der Kopfverband war immer noch dran. Zur Sicherheit, wie man ihm gesagt hatte und es war nicht so, dass er Serdall stören würde. Toller Kommentar, wie sich Daniel dachte. Vielleicht merkte Serdall doch unterbewusst irgendwas. Vielleicht spürte er auch unterbewusst eine Abneigung, dass Daniel hier war. „Es tut mir leid“, murmelte Daniel leise. „Weißt du, ich frage mich, wie du es überhaupt mit mir aushältst. Was war es überhaupt, was dich anfangs von mir überzeugt hatte? Du warst noch so auf deine Frau fixiert, warst eigentlich irgendwie nicht schwul. Und ein bisschen bohren und du fängst eine Beziehung mit mir an. Eine Beziehung, die dir auch noch scheinbar mehr Leid als Freude bringt, wenn man es mal gegeneinander aufwertet. Warum schmeißt du mich nicht einfach raus? Warum kannst du deine Gefühle nicht einfach abstellen und deine kalte Art rausholen, wie du sie am Anfang hattest? Das würde dir bestimmt besser tun als dein restliches Leben mit mir zu fristen und immer in Angst leben zu müssen.“ „Danniboy!“, rief plötzlich jemand von der Tür und ein Mann mit blonden Haaren kam herein, weiße Pflegerkleidung tragend und seine Pantoletten schlürften auf dem Linoleum, als er auf Daniel zuging. „Ha, ich wusste doch, das ich dich hier erwischen würde.“ Ende Kapitel 5 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)