Eine kleine Weihnachtsgeschichte von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Eine Geschichte, die ich für einen Adventskalender geschrieben habe... deswegen auch nicht sonderlich ausgereift oder so, aber ich mags irgendwie =3 Der warme Schein der Tischlampe beleuchtete sanft die Stapel an Büchern, die wackelig auf dem rustikalen Eichentisch aufgereiht standen. Dunkle, lange Schatten zogen sich über die Schränke, die sich nahezu an jeder Wand befanden und deren Regale von weiteren Büchern und hier und da von ein Porzellantierchen oder einer Figur aus Holz gefüllt wurden, die jedoch im schemenhaften Dunkel nur schlecht auszumachen waren. Schwere, staubige Vorhänge rahmten das einzige Fenster ein, das nur die Nacht und den Anblick von still fallenden Schneeflocken hineinließ. Die Stille im Raum wurde nur von dem Ticken der alten Kuckucksuhr und einem trockenen Husten unterbrochen, das ab und an ertönte. Der Ursprung war ein alter Mann, der sich mit einer tiefsitzenden Brille auf seiner großen Hakennase und den kleinen, dunklen Augen über ein Buch gebeugt hatte und langsam, mit langen, knöchernen Fingern die alten Seiten umblätterte. Eine Tasse mit bereits kalt gewordenem Tee stand neben ihm, aus der er immer wieder einen Schluck nahm, ohne die niedrige Temperatur überhaupt zu bemerken. Nach einiger Zeit hob er den Kopf und starrte einige Augenblicke auf die Zeiger der Kuckucksuhr, ohne sie richtig wahrzunehmen. „Schon so spät...“, murmelte er leise, mit krächzender Stimme, die selten benutzt zu werden schien. Mit langsamen und müden Bewegungen schloss er das Buch und legte es auf einen der Stapel, ohne darauf zu achten, das er bereits zusammenzubrechen drohte. Vorsichtig, als ob er seinem eigenen Körper nicht mehr trauen würde, stand er auf, machte das Licht aus und tastete sich im Dunkeln zur Tür. Er warf einen kurzen Blick noch in den Raum, der sein Heiligtum mit den geliebten, lange gesammelten und liebevoll gepflegten Büchern darstellte, seufzte leise und schloss die Tür hinter sich. Mit ächzenden Knochen schritt er zu seinem Schlafzimmer, an dem Wohnzimmer mit dem von seinen Enkelkindern herrlich geschmückten Christbaum vorbei, und legte sich in sein Bett. Lange Zeit starrte er an die Decke, ohne einschlafen zu können. Der morgige Tag, das Weihnachtsfest, spukte in seinem Kopf herum. Er würde ihnen, seinen Enkeln, das Gleiche schenken wie die letzten Jahre auch – ein sorgfältig und liebevoll ausgesuchtes Buch, abgestimmt auf die Interessen der Kinder, schön verpackt und mit einer Widmung versehen, die von einer zittrigen, alten Hand stammt. Und wie die letzten Jahre auch würden sie sich artig bedanken, das Buch zu Hause in irgendeine Ecke stellen und es nie wieder anschauen. In einem Zeitalter von Fernsehen und Internet, zu Zeiten, in denen man lieber möglichst viel Action in möglichst kurzer Zeit hatte, wurden diese altertümlichen Dinge, mit so langer Tradition und Geschichte, nicht mehr angesehen, geschweige denn in die Hand genommen. Ihm Tat es im Herzen weh, wie seine Lieblinge nach und nach aus dem Bewusstsein der Jugend verdrängt, mit neuen, schnelleren und teureren Dingen ersetzt wurden. Er seufzte erneut und drehte sich ächzend zur Seite. So war wohl die zeit. Irgendwann würden sie ganz vergessen werden. Veraltet. So wie er selber auch. Es dauerte lange, bis er schließlich einschlief. Doch war seine Nacht nur von kurzer Dauer, als er durch einen plötzlichen, dumpfen Laut aus dem Schlaf gerissen wurde. Erschrocken fuhr er auf und schaute sich verwirrt um. Nach einigen Augenblicken quälte er sich ächzend aus dem Bett und schaute in den Flur. Aus seinem Arbeitszimmer drangen leise Laute, die sehr an ein unterdrücktes Fluchen erinnerten, und ein Scharren, dann herrschte wieder Ruhe. Etwas hilflos starrte er für einige Momente die geschlossene Tür an, holte dann seine Brille vom Nachttisch und schlurfte zum Arbeitszimmer. Erst jetzt bemerkte er den leichten Lichtschein, der unter der Türritze hervordrang. Anscheinend befand sich jemand in dem Raum, doch er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer es sein sollte. Kein Einbrecher würde in seinem Haus etwas Wertvolles finden können, und auch ansonsten würde kaum jemand Interesse daran haben, hier einzudringen. Leicht frierend auf Grund seines dünnen Nachtgewandes und der winterlichen Kälte legte er sein Ohr an die Tür und versuchte etwas zu erlauschen, was ihm Aufschluss über die Quelle dieser Geräusche geben könnte, doch blieb es Innen drin still. Also drückte er vorsichtig die Türklinke nach unten und spähte hinein. Und langsam weiteten sich seine Augen vor Überraschung. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber gewiss nicht DAS. Das Innere seines Arbeitszimmers war komplett durcheinander gekommen. Aus einem Schrank, der anscheinend irgendwie umgefallen war, fehlten nahezu jegliche Bücher, die lose auf dem Boden verstreut lagen. Einige dieser Bücher waren jedoch zu einem Stapel aufgetürmt, auf dessen Spitze ein seltsam anmutendes Wesen thronte. Es wirkte wie ein Kind, ein Mädchen, jedoch sprachen die spitzen Öhrchen und die kleinen, reinweißen Flügel auf ihrem Rücken strikt dagegen, dass es ein Mensch sein könnte. In ihren schmalen, zartgliedrigen Händen hielt sie einen dicken Wälzer und blätterte immer wieder vorsichtig eine Seite um, ohne ihre Aufmerksamkeit jedoch davon zu lösen. Goldene Locken fielen ihr ab und an in die Stirn, wenn sie ihren Kopf von einer Seite zur nächsten bewegte, doch schien es sie nicht zu stören. Sie trug schwarze Stiefel, die ihr bis zu den Knien reichten, dicke, dunkelgrüne Strümpfe und ein warmes, rotes Kleidchen, dessen Ränder mit weißem Pelz besetzt waren. Komplett in ihre Lektüre vertieft schien sie den alten Mann überhaupt nicht wahrzunehmen, so dass er sie in aller Ruhe mustern konnte und schließlich zu dem Schluss kam, dass dies kein Traum sein konnte. Die Kälte war zu beißend, die Farben und Gerüche zu intensiv, die Präsenz des Mädchens zu real. Also räusperte er sich schließlich, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Erschrocken zuckte sie hoch und sah ihn aus leuchtend blauen Augen an, mit einer Miene der Reue, so als ob sie bei etwas Verbotenem ertappt worden war. Sie sog scharf die Luft ein, sprang von ihrem Stapel Bücher und wollte aus der Tür flitzen, bemerkte jedoch, dass sie dafür ja an dem Mann vorbei musste. Wie erstarrt blieb sie im Raum stehen, immer noch das Buch, in dem sie gelesen hatte, in der Hand, und sah sich panisch um, wohin sie wohl fliehen könnte. „Ganz ruhig, meine Kleine.“ Der alte Mann hob beschwichtigend seine Hand. „Ich tu dir nichts.“ Langsam drehte sie sich zu ihm um und musterte ihn von oben bis unten. „Es geht nicht darum, dass Sie mir etwas antun.“, meine sie schließlich mit glockenheller Stimme. „Sie dürften mich eigentlich gar nicht zu Gesicht bekommen.“ Er stutzte etwas. „Wieso nicht? Außer natürlich, weil du unerlaubt in mein Haus eingedrungen bist.“ „Eh... ja.“ Sie lachte kurz auf und verstummte dann mit einem schuldbewussten Blick. „Wissen Sie, Sie sehen doch, dass ich kein normales Menschenmädchen bin, nicht wahr?“ Mit einem Blick auf ihre Öhrchen und die Flügel nickte er stumm und lächelte sanft. „Ja, das sehe ich.“ „Ich bin, um genau zu sein, ein Weihnachtsengel.“ Sie nickte wie zur Bestätigung. „Jedes Jahr sendet uns der Herr aus, damit wir in die Häuser unseren Segen tragen. Wir sammeln die bösen Energien des alten Jahres auf und vernichten sie, während wir die guten Energien säubern, so dass sie wiederverwendet werden können. Das alles machen wir in der Nacht zu Weihnachten. Also in dieser Nacht.“ Während sie redete, tippelte sie im Zimmer hin und her, so als ob sie nicht ruhig stehen konnte, legte das Buch jedoch nicht einen Augenblick aus der Hand. „Und natürlich sollen die Menschen, die in dem Haus wohnen, nichts davon mitbekommen. Das geht auch meist ganz gut, weil sie entweder schlafen, nicht zu Hause sind oder ihre Anwesenheit auf einen einzigen Raum beschränken. Jedenfalls bemerken sie uns nicht, sollen sie ja auch nicht.“ Mit einem betretenen Blick wendete sie sich dem alten Mann zu. „Deswegen... ist es nicht so gut, dass Sie mich jetzt gesehen haben.“ „Ja, ich wurde durch einen dumpfen Laut geweckt.“ Er deutete auf die Bücher, die auf dem Boden verstreut lagen. „Was hast du denn gemacht?“ „Ich wollte dieses Buch sehen.“ Sie hob den dicken Wälzer in ihren Händen hoch. „Ich war gerade dabei, diesen Raum zu säubern, als es mir ins Auge stach. Also dachte ich, einen Blick werde ich ja riskieren können. Ich hab mich oben auf das Regal gesetzt und hab angefangen zu lesen. Nur...“, sie biss sich niedergeschlagen auf die Unterlippe, „ich hab die dumme Angewohnheit, hin- und herzuwippen, wenn ich etwas lese. Dabei ist der Schrank umgefallen. Ich weiß, ich hätte sofort alles aufräumen und verschwinden sollen, aber das Buch war so interessant.“ Sie sah ihn treuherzig an. „Sie werden doch dem Herrn nichts sagen, oder? Dass Sie mich gesehen haben, mein ich?“ „Hatte ich nicht vor.“ Mit einem sanften Lächeln betrachtete er die unschuldige Gestalt und sah auf das Buch in ihren Händen. „Du liest Märchen? Ein Wesen, das selbst nicht von dieser Welt ist?“ „Aber ja!“ Voller Freude sah sie ihn an. „Die Märchen der Menschen sind so wundervoll. So voller... Traum und Wirklichkeit, voller Poesie, voller Zauber und Glanz. Aber nicht nur die Märchen. Ich liebe die Geschichten der Menschen. Sie sind voller Magie, eine Magie, die wir himmlischen Wesen gar nicht vollbringen können. Eine Magie, der sich jeder unterwirft und die keiner in Frage stellt. Sowas gibt es bei uns nicht.“ „Nun, da irrst du dich.“ Müde schritt er zu seinem Stuhl und ließ sich nieder. „Heutzutage unterwerfen sich die wenigsten Menschen dieser Magie. Sie sind von einer anderen Art Magie gefesselt, der technischen. Die niedergeschrieben Geschichten interessieren sie nicht mehr.“ Sie legte den Kopf schief. „Denken Sie das? Aber es gibt doch so viele Bücher... und so viele Menschen, die sie lesen. Kaum ein Haus hat keine Bücher.“ „Zierde. Nur dazu da, um so zu tun, als ob man lesen würde. Tun tut es jedoch kaum einer.“ „Aber es verkaufen sich doch so viele Bücher. Und die Bibliotheken...“ Mit einem traurigen Lächeln schüttelte er den Kopf. „Alles nur Schein. Die Bücher sterben. Immer mehr und mehr.“ Der Weihnachtsengel trat zu ihm, kniete sich nieder, legte das Buch neben sich und berührte ihn mit ihren zierlichen Händchen am Knie. „Ich glaub, Sie irren sich. Ich sehe doch die, die lesen. Es sind so viele.“ „Und ich sehe die, die nicht lesen. Meine Enkel zum Beispiel. Jedes Jahr schenk ich ihnen Bücher. Aber sie beachten es nicht weiter. Sagen artig Danke und stellen es dann in eine Ecke. Vermutlich vergessen sie sogar, dass sie noch da sind.“ Vehement schüttelte sie den Kopf. „Das glaub ich nicht. Nein, das ist auf keinen Fall der Fall. Ich war auch bei Ihren Enkeln aufräumen.“ “Du weißt, wer meine Enkel sind?“ Sie nickte. „Wir sehen solche Verwandtschaften. Sie haben doch eine Enkelin, die ist jetzt... wie alt, achtzehn? Ich war heute bei ihnen aufräumen und sie hat in einem Buch geblättert. Ich glaub, ein Märchenbuch. Jedenfalls hatte es den gleichen Geruch wie die Bücher hier. Ihren Geruch. Haben Sie ihr jemals ein Märchenbuch geschenkt?“ „Ja.“ Unsicher sah er sie an. „Aber das ist Ewigkeiten her. Da war sie noch ein kleines Kind.“ „Sehen Sie, sie hat das Buch immer noch. Und im Zimmer standen noch weitere Bücher, die Ihren Geruch trugen. Im ganzen Haus standen welche, abgegriffen und oft gelesen. Sie werden nicht vergessen, die Bücher.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie sehen es nur nicht, weil Sie sich hier einsperren, bei Ihren Büchern, und sich nur mit ihnen umgeben. Haben Sie Ihre Enkel jemals gefragt, ob sie die Bücher gelesen haben?“ Überrascht verneinte er. Tatsächlich war er so fest der Überzeugung gewesen, dass sie es nicht getan hätten, dass er gar nicht auf den Gedanken gekommen war, sie danach zu fragen. „Also, wenn sie dann das nächste Mal kommen, fragen Sie sie. Ich bin mir sicher, sie werden antworten. Und das mit Freuden.“ Sie strahlte ihn über das ganze Gesicht an. „Schauen Sie nach draußen, und Sie werden sehr viele Menschen sehen, die Ihre Leidenschaft teilen, die genauso wie Sie die Bücher und die Geschichten in ihnen lieben. Sie dürfen sich nur nicht einsperren.“ „Ach...“ Er lächelte. „Dazu bin ich schon zu alt...“ Energisch sprang sie auf. „Man ist nie zu alt. Sie haben noch so viel Zeit. Nutzen Sie sie. Es ist doch viel interessanter, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, sich zu unterhalten, zu diskutieren, anstatt nur in der Stube zu hocken und vor sich hin zu brüten.“ Für einen Augenblick hielt sie inne und legte dann erschrocken ihre Hände auf den Mund. „Das sollte keine Kritik sein oder so... eigentlich sollte ich ja gar nicht mit Ihnen reden oder hier sein... Es tut mir leid.“ Er lachte leise, mit einem heiseren Krächzen auf. „Es braucht dir nicht leid tun.“ Für einen Moment hielt er überlegend inne und ließ seinen Blick zum Fenster schweifen, vor dem immer noch sanft der Schnee zu Boden fiel. „Ich denke, du hast sogar Recht. Ich sollte nach draußen, in die Welt, und mit den Menschen reden. Vielleicht finde ich dann auch die, die die Bücher genauso lieben wie ich. Und vielleicht werde ich dann auch mal mit meinen Enkeln reden und sie fragen. Ich habe wohl schon ganz vergessen, wie es da draußen aussieht. Ich bin blind geworden.“ Sie lächelte. „Das freut mich.“ Mit einem betrübten Blick sah sie auf das Buch neben sich. „Ach, ich muss jetzt aber weiter. Die Nacht ist nicht ewig lang und es gibt noch ein paar Häuser zu säubern. Und ich bin mit dem Buch gar nicht fertig geworden. Naja...“ „Dann nimm es mit.“ „Bitte?“ Erstaunt sah sie ihn an. „Nimm es mit. Du kannst es durchlesen und im nächsten Jahr bringst du es einfach wieder mit. Du kommst doch wieder, oder?“ Mit einem freudigen Aufblitzen in ihren Augen nickte sie. „Auf jeden Fall. Das Haus muss ja gesäubert werden.“ Freudig nahm sie das Buch in die Hand. „Ich danke Ihnen vielmals. Ich werde es nächstes Jahr bestimmt wieder mitbringen. Und.. tut mir leid wegen der Unordnung.“ “Mach dir darüber keine Sorgen. Das werde ich in der Früh schon wieder in Ordnung bringen.“ „Vielen Dank. Und ein schönes Weihnachtsfest.“ Der Weihnachtsengel richtete sich auf, warf die Locken nach hinten und schlug kurz die Hacken gegeneinander. Für einen Augenblick erstrahlte sie in hellem Licht, bevor sie mit einem „Puff“ verschwand. „Auch dir vielen Dank, mein Kind.“ Der alte Mann starrte noch einige Augenblicke auf die Stelle, an der sie gestanden hatte, und schüttelte ungläubig den Kopf. Vielleicht war es tatsächlich nur ein Traum gewesen. Aber ein sehr realer Traum. Müde schaltete er das Licht aus und schleppte sich zurück in sein Bett. Er lag wieder lange Zeit wach, doch bevor er schließlich in tiefen, ruhigen Schlaf viel, dachte er noch an den Weihnachtsengel und das, was es gesagt hatte. Und daran, dass er wohl zum Weihnachtsfest mit seinen Enkeln reden würde. Sie fragen, was sie von seinen Geschenken eigentlich hielten. Vielleicht würden sie seine Vorstellungen ja ändern. Ja, das würde er machen. Und seit langem freute er sich endlich mal wieder auf das Weihnachtsfest und den Heiligen Abend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)