Another Precious Rainbow von abgemeldet (Nothing's like it seems to be) ================================================================================ Kapitel 14: Prosjektuke Teil 1 ------------------------------ Kapitel 6 Prosjektuke ~Projektwoche~ I Ein dunkler Montag Die Herbstferien gingen schnell zu Ende. Schneller als es Juudai lieb war und ohne, dass er Johan oft zu Gesicht bekommen hatte. Zu seinem Leidwesen waren Helene und Harald Andersen unerbittlich geblieben und hatten Johan zum strengen Lernen verurteilt. Von Tag zu Tag war Juudai allerdings unruhiger geworden, es kam ab und zu vor, dass er so einem schwarz gekleideten Mann begegnete und er genau wusste, dass niemand bei ihm war, der ihn beschützen konnte. Oftmals saß er in seinem Zimmer auf dem Bett und dachte nach. Es waren aber nicht nur die Schwarzgekleideten, die ihm zu denken gaben, es waren auch Ereignisse in der Vergangenheit, die er eigentlich hätte wissen müssen ohne lange nachzudenken. Die einzige Gesellschafterin, die Juudai blieb, war Ruki gewesen, die ihm tatsächlich so manches Mal vom Grübeln abhalten konnte. Zusammen lernten sie Norwegisch und Japanisch, für Außenstehende sah es sicher lustig aus, wenn die beiden in einen Laden gingen und Juudai seiner Freundin auf Norwegisch antwortete, während sie sich in Japanisch übte. Die endlosen Herbsttage schritten dahin und auch das kurzzeitige Aufleben der sommerlichen Temperaturen schwand mit den aufkommenden Herbststürmen. Statt eines azurblauen Himmels befanden sich dicke, unheilsträchtige Wolken dort oben am Firmament und drohten jedem, der sich nach draußen wagte, mit einem kräftigen Regenschauer. Juudai war an diesem Montagmorgen pünktlich wach geworden und hatte nun sehr viel Zeit um sich mental auf die Schule vorzubereiten. Er saß wie so oft auf seinem Bett und starrte zum verschleierten Himmel hinauf, dessen Wolken in einem schnellen Tempo vorbei zogen und doch kein Ende nehmen wollten. Jeden Moment würde Johan an der Tür klingeln. Sicherlich war er wieder darauf eingestellt Juudai erst einmal wecken zu müssen, bevor sie sich auf den Weg zu Ruki machen konnten, doch diese Gewohnheit mussten sie heute einmal auslassen. Seine Mutter hatte das Haus zur Frühschicht schon verlassen und so ging der Junge allein in die Küche und machte sich eine Tasse Kaffee bevor Johan kam. Er setzte sich an das Fenster um hinaus sehen zu können. In letzter Zeit sah er viele Male über seine Schulter, wenn er allein auf der Straße ging und wenn er in seinem Zimmer saß, beobachtete er das Geschehen draußen um sicher zu gehen, dass ihn auch niemand beobachtete. Dabei wusste Juudai insgeheim, dass die wachsamen Augen der dunkel gekleideten Männer immer auf ihm ruhten. Was der Grund für dieses Interesse war, konnte er sich nicht erklären. Er hatte noch nie die Augen dieser Männer gesehen, vielleicht würde ihm eventuell einfallen, ob er sie schon einmal gesehen hatte. Juudai verfolgte gerade einen Tagtraum und nahm nur die Hälfte von dem war, was um ihn herum geschah. Als ob er in Trance war, folgten seine Augen einem schwarzen Schatten, der zwischen den Büschen umher flüchtete um nach einem geeigneten Versteck zu suchen. Juudai war sich ganz sicher, dass es sich wieder um einen der Stalker handelte. Sie waren lästig, allerdings wollte er auch nicht riskieren, dass seine Mutter in Panik geriet. Ein schrilles Klingeln ertönte und ließ Juudai erschrocken hochfahren, wobei er beim Aufrichten seiner Selbst den Stuhl umwarf. Donnernd und klappernd kam dieser auf dem Parkettboden der Küche auf. Juudai hatte die Hände auf den Tisch gestemmt und dabei aus versehen die Kaffeetasse umgeworfen. Das braune Getränk hatte sich den Weg über seine Finger gesucht und dampfte noch stark als es ein weiteres Mal an der Tür klingelte. Mit klopfendem Herzen wagte der Japaner einen Blick zur Haustür. Er spürte es stärker werden. Langsam. Langsam kam es immer höher. Kriechend und kribbelnd wie eine Feder über seinem Rücken. „Nein...“, er wimmerte leise. Er hatte es noch nie so deutlich gespürt. Angst. Angst war in seinem Körper aufgestiegen, er konnte durch die matten Glasscheiben nur Schemen erkennen. Es war nichts zu sehen. Von seinem jetzigen Standpunkt aus, konnte sein Auge nicht erfassen wer vor der Tür stand. Konzentriert darauf, seine Atmung nicht noch schneller werden zu lassen, als sie ohnehin schon war, aber sein Herz hämmerte wie wild gegen seinen Brustkorb. „Juudai!?“, eine helle, kristallklare Stimme drang durch das solide Holz der Tür. Eine wunderschöne Jungenstimme die der, eines Vogels glich. Erleichtert atmete Juudai aus. Die Anspannung wich aus seinem Körper und er konnte sich wieder regen. Aus der Starre erwacht ging der Junge mit schnellen Schritten auf die Tür zu und öffnete Johan. Ein paar helle smaragdgrüne Augen musterten den noch immer vor Aufregung schnell atmenden Juudai. Seine Erscheinung war ein wenig wüst nachdem er sich den Kaffee über gekippt hatte und ein wenig davon seine Hose benetzt hatte. Johan warf ihm einen verwirrten Blick zu. Natürlich hatte er den kurzen Krach und die lange Stille im Hause vernommen, doch warum Juudai so nervös wirkte konnte er sich nicht erklären. „Johan!“, kam es aus dem Munde des Japaners. Er klang wie immer heiter, doch heute lag noch mehr in Juudais Stimme. Etwas Erleichtertes lag darin, dass Johan nicht genau einzuordnen wusste. Nur einige kurze Sekunden des Schweigens vergingen und schon spürte Johan wieder die sanfte Umarmung seines Freundes. Juudai wusste selbst nicht, was er gerade tat, er spürte einfach, dass er Johans Nähe brauchte. Er wollte beschützt werden. Er wollte... Juudai dachte kurz nach und wurde sich innerhalb weniger Sekunden darüber bewusst, dass er gern wieder in Johans Schoß liegen wollte. Johan lächelte seicht und fuhr seinem Freund mir einer Hand durch den Haarschopf: „Was ist denn los, Juudai-kun?“ Langsam drängte der Norweger seinen Gegenüber ins Haus um die verbliebene Zeit dort zu verbringen. Er hatte wirklich damit gerechnet, dass er Juudai erst wecken musste und so hatten sie noch über eine Stunde Zeit. Juudai verschloss sicherheitshalber die Tür und wirkte etwas betrübt, als er in die Küche sah. „Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was in letzter Zeit mit mir los ist“, antwortete Juudai geknickt. Johan folgte seinem Blick wobei er ein wenig stutzte. Der umgestoßene Stuhl und die umgekippte Tasse genügten ihm zum Schlussfolgern. Langsam trat Johan näher an Juudai heran und sah ihn ernst an: „Was ist denn passiert?“ „Ich weiß nicht genau. Ich glaube ich war einfach ein bisschen erschrocken“, antwortete er. „Ein bisschen!?“, wiederholte Johan ungläubig, „Für mich sieht das nach einer regelrechten Panikattacke aus!“ „Tut mir leid!“, entgegnete Juudai noch einmal. Johan schüttelte den Kopf und führte seinen Freund in die Küche. Juudai setzte sich und folgte jeder von Johans Bewegungen mit seinen Augen. Verwirrt darüber, dass er die Initiative ergriff um Juudais Verbrechen zu beseitigen, sah er ihn unentwegt an. „Das brauchst du doch nicht machen!“, meinte der Brünette in protestierendem Ton. „Ich tu’ s aber!“, entgegnete Johan lächelnd, „Das ist doch nur eine Kleinigkeit, Juudai-kun. Sag mal, was hat dir so Angst gemacht?“ Es war lediglich eine rhetorische Frage um ganz sicher zu gehen. Johan ahnte schon, dass die merkwürdigen Männer in Schwarz daran schuld waren. Juudai holte tief Luft. Jetzt da Johan bei ihm war, kam ihm seine Panik lächerlich vor und vor allem kindisch. Langsam schüttelte er den Kopf und antwortete: „Es war dumm. Nichts wichtiges, ehrlich.“ „Lüg mich nicht an, Juudai-kun, das mag ich nicht. Es ist wegen dieser Kerle, richtig?“, hakte Johan nun nach und sein Blick verriet Juudai, dass er nun besser die Wahrheit sagte. Er rang sich zu einem Nicken durch. „Ich weiß, dass sie noch immer in der Nähe sind“, erklärte Johan, „Ich sehe sie oft genug. Glaub mir, ich würde gern wissen was das für Leute sind, aber ich denke so lange sie nicht mit uns sprechen und nichts tun, ist es besser wenn wir auch nichts machen. Juudai-kun ich beschütze dich, okay?“ „Ja“, stimmte er zu. Es war ihm anzusehen, dass er glücklich über Johans Angebot war. Juudai wusste sich zwar durchaus selbst zu wehren, allerdings kam Johan ihm wie ein schützender Schild vor und diesen wollte er gebrauchen. Er wollte sich an Johan halten so lange er konnte und so oft er dazu Gelegenheit bekam. „Danke, Johan-kun!“, fügte er schließlich hinzu, bevor er sich von seinem Stuhl erhob um seine Schultasche zu holen. Johan nickte ihm zu, er konnte verstehen, dass es Juudai aufregte. Es ging ihm selbst schließlich auch nahe, dass sein sonst viel mehr heiterer Freund wieder so niedergeschlagen war, und dass nur weil ein paar wildfremde Leute es nötig hatten ihm Angst einzujagen. Mit langsamen Schritten folgte er Juudai ins Wohnzimmer und sah ihm zu, wie er langsam die Tür zu seinem Zimmer öffnete und plötzlich wieder erstarrte. „Juudai!!“ Mit schnellen Schritten stand Johan auch schon hinter seinem Freund und erkannte den Grund seines Schreckens. Juudai, der sich im Augenblick seines Schreckens schon wieder umgewandt hatte, ließ sich erneut von Johan in den Arm nehmen. Johan starrte aus dem Fenster, das ihm Ausblick in den Nachbarsgarten bot. Noch immer sah er die leichten Schemen eines schwarzen Mantels. Der Norweger festigte seinen Griff um Juudais Schultern. Er war sich nun sicher, dass sie etwas von ihm wollten, oder gar von der ganzen Familie, die sich zurzeit nur auf Juudai und Reiko beschränkte. Johans Augen weiteten sich vor Überraschung. Etwas Heißes drang durch den Stoff hindurch auf seine Haut und bereitete ihm wohlige Gänsehaut. Einen Augenblick lang musste er sich sammeln um zu verstehen was eigentlich los war. Nach kurzem Zögern löste er Juudai sanft von sich und hob sein Kinn an: „Nicht weinen, Juudai-kun.“ „Ich...“ „Komm, sonst sind wir wieder spät dran“, meinte Johan und trocknete ihm sanft die Tränen, die Juudai noch auf den Wangen standen, „Du vertraust mir doch, nicht wahr?“ „Tut mir leid!“, entschuldigte er sich wieder, „Bitte verrat’ s nicht!“ Johan entließ den etwas verstörten Jungen entgültig aus seiner Umarmung und wartete bis Juudai mit seiner Schultasche aus dem Zimmer kam. Aus den Augen würde er Juudai nicht mehr so schnell lassen, erst recht nicht, im Laufe dieser Woche, die eine ziemlich spezielle für die Schüler an der Schule darstellte. So machten Juudai und Johan sich wieder auf den Weg zur Schule, der nun grau und trist aussah. Die Blätter der Bäume und Sträucher hatten sich begonnen zu lösen und schmückten Straßen sowie Wege mit unansehnlichen gelblichen und braunen Farbtönen. Die feurigen roten und orangefarbenen Blätter zierten nun keine einzige Pflanze mehr. Auch Ruki war durch die kälteren Temperaturen nun gezwungen ihre Kleider im Schrank hängen zu lassen und sich in gewöhnliche schwarze Kleidung zu hüllen. Ihre Laune war an diesem Morgen heiter wie immer, obwohl es nach Regen aussah. Sie war allerdings ein wenig verwirrt, als sie Juudais Trauermiene erblickte. „Juudai?“, fragte sie vorsichtig, als sie sich den beiden Jungen anschloss. Johan schüttelte kurz den Kopf: „Es ist nichts.“ Er sah sich wachsam aber mit Bedacht um damit er nicht den Anschein erweckte, dass er nach etwas oder jemanden Ausschau hielt und fügte leiser auf Japanisch hinzu: „Nicht hier, Ruki-chan!“ Sie nickte wobei sie sich schon denken konnte um was es sich handelte. Wie jeden Morgen legten sie die kleine Strecke zu ihrer Schule innerhalb von fünfzehn Minuten zurück. Auf dem Schulhof nahmen die drei nicht wie üblich für kurze Zeit Abschied, sondern gingen gemeinsam ins Hauptgebäude. Johan war derjenige der, den Klassenraum mittels Lichtschalter erhellte. Mit schnellen Schritten ging er auf die Fenster zu und zog die langen Vorhänge zu, damit niemand hinein sehen konnte. Ruki betrachtete die Szene mit gerunzelter Stirn und hochgezogenen Augenbrauen. Sie hatte zwar richtig erkannt um was es ging, jedoch konnte sie diesen Schritt ihres Freundes weniger nachvollziehen. Das Mädchen setzte sich auf ihren Platz und auch Juudai machte es sich auf seinem Stuhl bequem. Nachdem Johan sich vergewissert hatte, dass alle Fenster verriegelt und mit Vorhängen versehen waren, ging er auf seine Freunde zu und setzte sich selbst auf einen Stuhl. Seine Augen waren ernst, die Smaragde die Juudai so mochte drückten hintergründigen Zorn und einen Hauch von Bitterkeit aus. Nach einer kleinen Weile ergriff er schließlich das Wort: „Du weißt warum ich nichts sagen wollte, oder?“ „Jedenfalls nicht, so lange wir da draußen waren?“, murmelte Ruki leise, „Na klar weiß ich das. Aber sagt schon, was ist passiert?“ „Definitiv haben wir es mit Stalkern zutun, Ruki-chan“, antwortete Johan ebenfalls mit gedämpfter Stimme. Er hielt kurz inne wobei er einen Blick zu Juudai hinüber sandte um seine Gesichtszüge zu studieren. Im Augenblick schien er ziemlich ruhig zu sein, was Johan ebenfalls beruhigte. Es sah so aus als fühlte Juudai sich zumindest in der Schule sicher. Mit wenigen Sätzen erklärte er seiner Freundin, was sich soeben in Juudais Wohnung abgespielt hatte und jagte selbst dem unverwüstlichen Mädchen einen kalten Schauer über den Rücken. „Du meinst... er war so richtig nahe am Fenster?“, fragte sie noch einmal. Juudai nickte: „Keinen Zweifel. Ich weiß auch nicht was diese Leute wollen. Oft sehe ich nur einen von denen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass sie mindestens vier oder fünf sind.“ „Juudai-kun, mach dir mal keine Sorgen! Wenn du Hilfe brauchst, ich helfe dir gern!“, meinte Ruki wobei sie allerdings das Gefühl hatte, dass sie nicht sehr überzeugend klang, selbst in ihren Ohren nicht. Juudai zeigte ein seichtes Lächeln. Er wusste ganz genau wie die Schwarzhaarige es gemeint hatte und er war ihr wirklich dankbar, genau wie er Johan für seinen Beistand und die Zuneigung dankte. Der Norweger stand wieder auf während er einen raschen Blick zur Wanduhr warf, die ihm sagte, dass er sich besser in seinen eigenen Klassenraum begeben sollte. Beim Verlassen des Klassenzimmers wandte er sich noch einmal zu seinen Freunden um: „Wir sehen uns dann nachher!“ Die beiden nickten und warteten wieder auf ihre Klassenlehrerin. Dieser Montag unterschied sich gewaltig von den vorhergegangenen Wochenanfängen und auch der Rest der Woche, würde wesentlich frischer und interessanter für sie werden, denn an der Gjettum Ungdomskole wurde wie jedes Jahr eine spezielle Projektwoche gehalten, die für alle Schüler das selbe Thema bereit hielt. Juudai war zunächst noch sehr überrascht von dieser Wendung, denn Ruki hatte ihm diese Neuigkeit wohl mit dem Verdacht darauf, dass Johan es ihm bereits verkündet hätte, verheimlicht. Sonia hatte sich wieder hinter ihr Pult gesetzt und sich an ihre beiden Schüler gewandt: „Ihr beiden werdet in Johans Klasse übertragen. Zu zweit bringt es nichts ein Projekt zu machen, das versteht ihr sicher, nicht wahr?“ „Natürlich“, entgegnete Ruki, „Es ist uns sowieso viel lieber, wenn wir mit den anderen zusammen sein können.“ „Schön. Ich werde euch zu den zehnten Klassen begleiten“, fügte die blonde Frau hinzu und bewegte ihre Schüler dazu ihr zu folgen. Juudai war noch immer ganz verblüfft über den Umstand, dass er nun eine ganze Woche in Johans Klasse verweilen konnte. Er fühlte allerdings eine hintergründige Welle des Glücks in sich aufkommen, als er sich dem kleineren Gebäude näherte, das vier Klassen der Schule beherbergte. Noch nie waren Ruki und Juudai in diesem kleinen Bau gewesen, wenn sie mit Johans Klasse zusammen gewesen waren, dann stets in der Sporthalle. Im Gegensatz zum Hauptgebäude sah es hier sehr spärlich und wenig einladend aus. Die hellen Wände aus Holz wirkten wie Plastik und das wenige Licht, dass in den Flur fiel ließ die beiden etwas stutzig werden. Sonia lenkte ihre Schritte in einen weiteren Raum, der durch das helle Licht der Lampen, die an der Decke montiert waren erhellt wurde. Die bekannten Gesichter der Schüler, die sie aus dem Sportunterricht kannten, schauten in ihre Richtung. Einige der Mädchen grüßten Ruki und einige Jungs tauschten Blicke aus, die dem jeweils anderen mitteilten, dass sie Juudai doch schon mal gesehen hatten. Durch seine lange Abwesenheit hatte er wirklich nur an einer Sportstunde teilnehmen können. Schließlich sprach Sonia kurz mit Johans Klassenlehrer und verließ dann den Raum. Der dunkelhaarige junge Mann, mit dem Stoppelbart wandte sich an die beiden Neuankömmlinge: „Also ihr seid Ruki und Juudai!?“ Die beiden nickten, dabei bemerkte Juudai, dass der Lehrer einen eigenartigen Tonfall und eine andere Melodie in der Stimme hatte als die bisherigen Menschen, die er hier getroffen hatte. Ruki schenkte ihrem Klassenkameraden einen Seitenblick, sie hatte den Unterschied bereits registriert. „Mein Name ist Magnus Jensson und hier Kontaktlehrer. Das heißt wenn es irgendetwas gibt, worüber ihr sprechen wollt, dann könnt ihr das mit mir tun“, erklärte er und erhielt sogleich die erste Frage von Rukis Seite aus: „Du bist Schwede oder?“ „Ja“, bestätigte er. „Dann musst du Juudai verzeihen, er kommt gerade so mit Norwegisch klar, da wird er dich wohl manchmal nicht verstehen, wenn du schwedische Ausdrücke mit hinein mischst“, erklärte sie, denn sie hatte in dem Vokabular und in der Aussprache schon so einige schwedische Ausdrücke wiedergefunden. Juudai atmete erleichtert auf. Jetzt musste er sich nicht noch der Peinlichkeit hingeben und einfach nur stumm nicken, wenn er etwas nicht verstanden hatte. In Johans Nähe befanden sich noch zwei freie Plätze und somit beschlossen die beiden Ausländer sich dort zu setzen. Juudai schwieg still während Ruki gleich mit Johan anfing zu tuscheln, der neben Brage saß. Sie erkundigte sich bei Johan nach dem Thema, das die Schule dieses Jahr abhandeln sollte. „Ernährung und das Verdauungssystem!?“, fragte sie ungläubig und sprach das Thema aus als sei es eine unheilbare Krankheit. Es war ihr anzusehen, dass sie sich die Haare raufte und am liebsten wieder nach Hause gegangen wäre. „Du scheinst nicht gerade Fan dieses Bereichs zu sein“, stellte Brage fest, der wie üblich in weiten Hosen herum lief, die bei Hip Hopern sehr beliebt waren. Lässig saß er auf seinem Stuhl und lehnte sich weit zurück, so dass er zu kippeln begann. Ein höhnisches Grinsen zierte sein Gesicht. Über seinen gut gestylten Haaren trug er eine weiße Schirmmütze die, das Symbol einer Band aufgestickt hatte. Plötzliche Bissigkeit stieg in Rukis Brust auf und drohte aus ihr herauszubrechen: „Ich habe mir wirklich etwas anderes darunter vorgestellt, aber dass du so ein großer Experte auf dem Gebiet bist, habe ich auch noch nicht gehört!“ „Ruhe da hinten!“, die Stimme des Lehrers dröhnte durch das Klassenzimmer und sorgte für sofortige Stille. Juudai und Ruki zuckten innerlich zusammen. Sie waren Lehrer gewöhnt, die nicht Gebrauch von ihrer gesamten Bandbreite der Stimme benutzten. Nachdem also völlige Ruhe herrschte, entschied sich Magnus erneut das Wort zu ergreifen: „Ihr alle werdet in Gruppen von drei bis fünf Schülern aufgeteilt und zieht ein Thema. Danach könnt ist euch freigestellt, wie ihr eure Zeit zum Arbeiten nutzt!“ Ruki warf Johan einen misstrauischen Blick zu. Dieser hob zur Verteidigung die Hände und lächelte ein wenig um seine Freundin zu beruhigen: „Ich hab’s ihm versprochen, Ruki-chan.“ „Hm... na wenn es nicht anders geht... aber wehe ich muss mich mit dem abgeben!“, meckerte sie mit verschränkten Armen und entfernte sich etwas von ihm, „Ich kann ihn nicht leiden!“ Juudai verfolgte die Situation mit Verwirrung. Er wusste zwar Mittlerweile, dass seine Freundin manchmal sehr ungemütlich sein konnte, aber so hatte er sie noch nicht erlebt. Schüchtern zupfte er an ihrem Ärmel, worauf sie sich leicht zu ihm hinbeugte. Seinen Mut zusammen nehmend fragte er so leise, dass nur sie es hören konnte: „Was hast du denn gegen ihn?“ „Was ich gegen ihn habe? Er ist ein Flegel!“, antwortete sie nun so, dass auch Brage es hören konnte. „Am besten wir beenden die Diskussion“, meinte Johan und erhob sich von seinem Stuhl um eine Aufgabe zu ziehen, „Sonst artet es noch in einem Massaker aus.“ Beide gaben sich damit einverstanden die Sache auf sich beruhen zu lassen. Nach wenigen Minuten kehrte der Norweger auch schon mit der Gruppenaufgabe zurück, die darin bestand sich die Nährwerte von McDonnald’s Produkten herauszusuchen um eine Liste zu erstellen und diese dann in einem Vortrag darzulegen. Ruki seufzte leicht aus. Ein Vortrag. Wenn sie etwas abgesehen von Flegeln und Mathematik hasste, dann waren es Vorträge vor großen Gruppen wie einer Schulklasse. Brage warf ihr einen weiteren hämischen Blick zu, es lief wirklich nicht gut für das Mädchen und dies würde er noch in vollen Zügen auskosten können. Johan überlegte kurz und legte den Zettel auf dem ihre gemeinsame Aufgabe geschrieben und erklärt stand bei Seite. „Am besten wir versuchen uns erst Mal mit dem Thema auseinander zu setzen. Vielleicht sollten wir uns einen stillen Ort suchen?“, schlug Johan vor. „Na von mir aus, gehen wir doch in die Bibliothek“, meinte Ruki und stand auf. „Nein, da sind doch gleich so viele“, meinte Juudai, „Wie wäre es, wenn wir zu mir nach Hause gehen und...“ Juudai hielt kurz inne. Insgeheim verfolgte er die Absicht nicht so schnell wieder allein in der Wohnung zu sein. Johan bemerkte den dunklen Schatten, der über Juudais Gemüt zog und sein Antlitz mit Sorge tränkte. Dabei war Juudai so lebhaft wenn er keine Sorgen hatte, so fröhlich. ‚So liebenswert...’ Johan überkam der Drang seinen Freund wieder in den Arm zu nehmen. Ihn an seinen Körper zu drängen und Worte zu zuflüstern. Worte die ihm Trost spenden sollten, damit er nicht mehr so niedergeschlagen war. Am liebsten... ‚Reiß dich zusammen!’, ermahnte er sich selbst und vertrieb den plötzlich Gedanken wieder. Stattdessen wurde ihm klar, dass auch er sich erhoben hatte und nun an Juudais Seite stand, der noch immer auf seinem Stuhl saß und Johan nun einen fragenden Blick zuwarf. „Lass uns zu dir gehen!“, meinte er mit einem seligen Lächeln auf den Lippen und hielt Juudai seine Hand hin. Dieser nickte kurz und ließ sich aufhelfen. Gemeinsam verließen Juudai, Johan und Brage den Klassenraum nachdem sie sich beim Lehrer abgemeldet hatten. Ruki schüttelte unmerklich den Kopf wobei sie sich den drei Jungen anschloss. Das rote Holzhaus war noch immer von welkenden Pflanzen umgeben und durch den dunkelgrauen Wolkenhimmel im Hintergrund wirkte die Gegend wenig einladend, wie auch der Rest der Umgebung. Die Luft war feucht und ging den vier Jugendlichen durch Mark und Knochen. Besonders Juudai fror innerlich, doch dies kam nicht allein vom trüben Wetter, sondern auch durch den Umstand, dass er sich in seinem eigenen Zimmer nicht mehr wohl fühlen konnte. Nachdem Juudai die Tür zu seiner Wohnung aufgeschlossen hatte und seine Freunden sowie Brage herein bat, sah er sich wachsam um. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sich vielleicht auch jemand Einlass in sein zu Hause verschafft haben könnte. Johan ergriff kurz seine Hand und drückte diese fest, so als ob Johan ihm sagen wollte, dass er ganz genau wusste was Juudai fühlte. Schließlich zeigte Juudai ihnen kurz sein Zimmer, das viel zu klein war um es sich zu viert gemütlich zu machen, also setzten sie sich an den Esstisch im Wohnzimmer. Brage präsentierte sich, wie es zu seinem Charakter passte, in einer lässigen Pose. Er hatte einen Arm über die Stuhllehne gelegt und trieb Ruki allein durch dieses Gebaren zur Weißglut. Johan hatte sich neben Juudai gesetzt und las sich noch einmal die Aufgabenstellung durch. Nach kurzem Überlegen ergriff der Türkishaarige das Wort: „Ich glaube es wäre gut, wenn wir morgen nach Oslo fahren und die Restaurants abklappern.“ „Das nennst du Restaurant?“, wollte Ruki mit überraschter Miene wissen, „Ich würde eher sagen es ist eine Junkfood – Billigladen – Kette!“ Juudai konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, sie konnte ihre Zickigkeit wieder nicht verbergen. „Wie auch immer wir es nennen mögen, wir sollten dorthin und ein paar Angestellte interviewen und uns diese ... diese Nahrungslisten geben lassen“, meinte Johan mit nachdrücklicher Stimme und sah in die Runde. Brage grinste und mischte sich nun auch in das Gespräch ein: „Man merkt dass du nicht oft dort zu Gast bist Johan!“ ‚Wohl eher nie’, murmelte er in Gedanken vor sich hin, wobei seine innere Stimme schon recht genervt klang. „Sonst wüsstest du schließlich, dass diese Ernährungstafeln frei zugänglich sind“, erklärte er und ließ seine Finger unangenehm knacken, so dass es alle hören konnten. „Johan? Was schlägst du vor sollen wir mit dem Vortrag machen?“, wollte sie wissen. „Na ja, ich hab da so an ein kleines Rollenspiel gedacht“, antwortete er schnell. Ruki sah ihn entsetzt an. Von Lampenfieber hatte Johan wohl noch nie etwas gehört. Juudai sprang dagegen vorfreudig auf: „Oh ja, das wird bestimmt lustig!“ Juudai hatte ebenfalls genug Selbstvertrauen um sich auf so etwas einzulassen und ihrer letzten und einzigen Hoffnung, Brage, wollte sie sich nicht bedienen. Also fasste sie sich ein Herz und nickte zustimmend: „Ja, das klingt super!“ „Hört, hört“, höhnte Brage und stand schließlich wieder auf, „Was machen wir heute, großer Meister Johan?“ „Es gibt sicher etwas, das jeder von uns tun kann. Ruki-chan kann sich zum Beispiel das kleine Stück überlegen. Auf jeden Fall in groben Zügen, weil wir immerhin noch nicht so richtig wissen was wir für Informationen bekommen. Wir anderen suchen diesen Stoff und Morgen treffen wir uns um neun beim Bus und fahren in die Stadt!“, erklärte Johan sofort. Es schien als hätte er in kürzester Zeit schon einen Schlachtplan für die gesamte Woche entwickelt. Wahrscheinlich musste er das sogar um seine Eltern zufrieden zu stellen. Das Mädchen stand auf und klopfte sich auf die Brust: „Dann werde ich mich nun zurück ziehen und mir was ausdenken.“ „Ich glaube auch, dass ich mich auf den Weg nach Hause begeben sollte. Das Internet bietet bestimmt auch eine breite Auswahl an Informationsquellen“, fügte Brage mit sarkastischem Tonfall hinzu. Seine drei Mitarbeiter wussten diesen Tonfall ganz genau einzuordnen, sie würden die ganze Arbeit allein tun und er sich auf die faule Haut legen. Brage und Ruki waren schon wieder in den Flur hinausgegangen und zogen sich ihre Schuhe an, während Juudai noch mit Johan im Wohnzimmer verweilte. „Keine Sorge, ich bleibe bei dir bis deine Mutter wieder zu Hause ist“, beruhigte Johan seinen Freund mit leisen Japanischen Worten. Die beiden folgten ihren Mitschülern in den Flur und verabschiedeten die beiden. Johan und Juudai blieben im Haus zurück. Eigentlich war es Ruki gar nicht so recht, dass sie ein kurzes Stück zusammen mit Brage gehen musste, doch als sie ins Freie hinaus traten, war sie doch ganz froh darüber ihn dabei zu haben. Als sie den kleinen Weg zur Straße hin zurückgelegt haben, erblickte Ruki wieder vier Männer, die rauchend am Straßenrand standen. Schnell beschleunigte sie ihre Schritte, was auch dem blonden Norweger nicht entging: „Was ist denn mit dir los?“ „Gar nichts!“, entgegnete sie einsilbig. „Ach von wegen! Du hast Angst vor diesen Totengräbern oder? Dabei läufst du doch auch immer in schwarz rum“, meinte Brage und wandte sich noch einmal zu den vieren rum, die ihn hämisch grinsend ansahen, aus Protest wandte er sich noch einmal an sie, „Anstatt da rumzustehen, solltet ihr euch zu eurer Grotte auf’m Friedhof zurück scheren!“ Ruki musste sich stark beherrschen um ihrem Begleiter die Bekanntschaft mit ihrer Handfläche zu ersparen. Ihre Wut wollte sie trotzdem an dem Jungen auslassen, doch bevor sie das Wort ergreifen konnte, hatte er sich wieder um ein Gespräch bemüht: „Sag mal Ruki, was ist eigentlich mit Johan und diesem Kleinen los?“ „Was soll schon los sein?“, fragte sie etwas gleichgültig. „Johan kümmert sich wirklich rührend um ihn“, stellte Brage fest wobei er einen versteckten Blick zu ihr sandte. „Ja, kann schon sein“, antwortete sie ebenso einsilbig wie zuvor. „Kann es sein, dass die...“, begann er und hatte Ruki somit aus der Reserve gelockt. Wütend sah sie ihn an und keifte: „Nein, sind sie nicht! Wenn sie’s wären, würde es dich nun weiß Gott nichts angehen! Von Freundschaft hast du wohl noch nie etwas gehört oder!? Wag es ja nicht die beiden zu hänseln sonst kriegst du’s mit mir zutun, ist das klar!?“ „Hey, jetzt beruhig dich doch mal!“, versuchte er sie wieder ruhig zu stimmen, noch nie hatte er sie so in Rage erlebt, „Wenn ich ehrlich bin und auch wenn du ehrlich bist, dann denken wir beide das Selbe! Außerdem ist es mir egal, ob Johan auf Ärsche steht oder nicht.“ Ein gewaltiger Rotschimmer hatte sich auf ihre Wangen gelegt, somit machte sie sich schweigend auf den Weg nach Hause und ließ Brage seiner Wege ziehen. ~Fortsetzung folgt im 2. Teil ________________________________________________________________________________ Leute, habt vielen vielen Dank für all eure aufbauenden Kommentare >.< Jetzt sind es schon 100, für meine Verhältnisse sind das wirklich eine Menge! Mit so vielen habe ich gar nicht gerechnet >.< Vielen Dank an alle die mir so regelmäßig schreiben ^-^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)