Little Man - Great Heart von abgemeldet (Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt...) ================================================================================ Kapitel 15: ~Re-Start~ ---------------------- Neustart. Es war Montag. Zum ersten Mal, seit sie wieder aus München da war, musste Christella nun wieder in die Schule. Etwas, wovor es ihr in einer gewissen Art und Weise wirklich grauste, denn sie wusste nicht, wie ihr Mitschüler auf ihre Rückkehr reagieren würden. Was würden sie sagen, wenn sie wieder auf ihrem Platz saß? Würden sie komische Fragen stellen und was würde sie antworten? Das hatte sie auch Philipp noch am Abend zuvor gefragt. Seine Antwort war allerdings weniger hilfreich gewesen. „Du schaffst das schon, Kleines. Das kriegst du schon hin.“ Was sollte sie denn mit dieser Antwort anfangen? Das half ihr doch nun wirklich nicht. Langsam packte Christella ihre Schultasche. Zur Sicherheit packte sie noch das Handy ein. Nur für den Fall, dass sie nicht klar kam und dringend mit Nicola, Philipp oder Florian reden wollte, wobei letzterer jedoch wohl selbst in der Schule hocken würde. Plötzlich summte das Handy. Eine SMS von Florian, so als hätte er gewusst oder gespürt, dass sie gerade an ihn gedacht hatte. „Ich denke an dich. Denk dran. Du bist gar nicht alleine. Ich liebe dich, Flo.“ Sie musste lächeln, als sie die Nachricht las. Hastig schrieb sie ihm zurück, während sie das Zimmer verließ und abschloss. „Danke. Ich liebe dich auch.“ Der Speisesaal war voll besetzt. Christella suchte nach einem freien Tisch. Sie fand einen beinahe leeren Tisch – neben Thomas, dem Jungen vom Vorabend, saß niemand. Sie beschloss, sich neben ihn zu setzen. „Guten Morgen, Thomas“, begrüßte sie ihn fröhlich. Beinahe schon erschrocken sah Thomas auf. Als er sie erkannte, wirkte er gleich entspannter. „Guten Morgen“, sagte er, dann wandte er seinen Blick wieder auf den Teller. „Ich nehme mal einfach an, du hättest mir einen Platz angeboten, okay?“, meinte Christella. Sie setzte sich neben Thomas und nahm sich eine Schüssel, in die sie Cornflakes und Milch gab. Thomas schwieg während des Essens, was Christella ein wenig verunsicherte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, wie sie ihn ablenken oder zum Reden bringen konnte und ehe sie sich versah, stand Thomas auch schon auf. „Ich werde meinen Rucksack holen und dann zum Schulbus gehen. Danke, dass du mit Gesellschaft geleistet hast. Bis dann.“ Bevor Christella noch etwas sagen konnte war Thomas schon aus dem Speisesaal geeilt und hatte sie somit alleine gelassen. Seufzend stand sie auf und stellte ihre nun leere Schüssel auf den Wagen für das schmutzige Geschirr. Dann ging auch sie hoch auf ihr Zimmer, um ihre Schultasche abzuholen. Einige Blicke folgten ihr, während sie den Raum verließ. Das Vicktoria Gymnasium in Köln lag nicht sehr weit von dem Heim entfernt, jedoch noch immer so weit, dass man es, wollte man nicht in aller Herrgottsfrühe aufstehen, besser mit dem Bus erreichte. Das Gebäude war schon sehr alt, wurde jedoch erst vor einigen Jahren renoviert. Die große Uhr über dem Haupteingang der Schule zeigte an, dass es zwanzig Minuten vor acht Uhr war, als Christella und die übrigen Schüler mit dem Bus an der Schule ankamen. Die Fahrt zur Schule verlief problemlos für Christella, niemand starrte sie an, es schien so, als hätte man sie überhaupt nicht an ihrem üblichen Platz im Bus in der ersten Reihe vermisst. Der Platz war leer geblieben, was sie ziemlich verwunderte. Dennoch atmete sie erleichtert aus, als sie als eine der ersten den Bus wieder verließ. Langsam betrat sie das Schulgelände, den eisernen Torbogen, durch den sie trat, beachtete sie nicht, zu oft war sie schon unter ihm durch gegangen. Auf den Turngeräten tummelten sich schon einige der Fünftklässler, die diesen Geräten noch nicht überdrüssig waren. Ihre Rollschultaschen hatten sie achtlos in den Sand neben den Geräten geworfen. Offensichtlich hatte der Trend mit den Trollies noch nicht abgenommen. Christella schritt die paar Stufen zur Eingangstür der Schule hoch. Sie holte noch einmal tief Luft, ehe sie über die Türschwelle trat. Es waren noch nicht sehr viele Schüler angekommen, die meisten trafen erst um zehn Minuten vor acht in der Schule ein. In der ersten Unterrichtsstunde stand für Christella Geschichte auf dem Plan. Raum 100. Ihr Klassenraum. Das Wiedersehen mit ihren Klassenkameraden. Christella schluckte. Sie würde das packen. Und sie war ja auch nicht allein. Sie stellte sich vor, wie Philipp und Nicola jetzt wohl gemeinsam am Tisch saßen – Philipp bereits zum Gehen vorbereitet, denn er hatte ja Training – und sich Gedanken um sie machten, wie es ihr wohl ergehen würde an diesem ersten Tag nach ihrer Ankunft – zurück in der Schule. Und vermutlich stand Florian auch gerade in seiner Schule und dachte an sie. Das machte ihr Mut – sie wusste nicht genau, warum, aber es gab ihr einfach das Gefühl, das ganze ausstehen zu können, was auch immer die Reaktion ihrer Mitschüler und Klassenkameraden sei. Sie würde das auf jeden Fall packen. Als sie vor der Tür stand und einige ihrer Klassenkameraden hinter Tür lachen hörte, machte sich ein mulmiges Gefühl in ihr breit. Sie begann zu bereuen, mit dem frühen Bus gefahren zu sein. Hätte sie nämlich den anderen Bus genommen, dann wäre sie exakt zum Gong vor dieser Tür gestanden. Aber so musste sie noch siebzehn Minuten in dem Raum ausharren. Sie kam sich selbst vor wie der letzte Trottel, wie sie da vor der Tür stand, unschlüssig, ob sie wegrennen oder reingehen sollte. Sie schüttelte den Kopf, wie um sich zur Besinnung zu bringen und beschloss, rein zu gehen. Augen zu und durch – das musste einfach ihr Motto für diesen Tag – und vermutlich auch die nächsten Tage – werden. Mit diesem Gedanken im Kopf öffnete sie die Tür und betrat den Raum. Augenblicklich wurde es still und alle sahen zu ihr rüber. Es waren zwar nur zwölf der achtundzwanzig Schüler im Raum, aber das waren schon genug – zu viele sogar für Christellas Geschmack. Sie räusperte sich. „Guten Morgen“, grüßte sie alle zaghaft. Keine Reaktion, noch immer ungläubige Blicke. Das verunsicherte sie unglaublich. Schnell schloss sie die Tür wieder und rauschte zu ihrem Platz in der letzten Reihe. Zumindest würde sie niemand während des Unterrichts anstarren können. Langsam begannen die anderen, ihre Gespräche wieder anzufangen. Einige schauten noch immer zu ihr herüber. Um diesen Blicken nicht zu begegnen kramte Christella in ihrer Tasche herum. Sie holte langsam ihre Sachen für den Unterricht heraus: Stiftemappe, Hausaufgabenheft, Block, Schnellhefter und Buch. Das konnte seine Zeit beanspruchen. „Hi.“ Sie wurde in ihrem Tun unterbrochen. Melissa, ein blondes, relativ beliebtes Mädchen der Klasse stand vor ihrem Tisch. Christella schaute sie überrascht an und bekam kein Wort heraus. Melissa hatte bisher kaum mit ihr gesprochen, nur wenn sie Hausaufgaben oder so gebraucht hatte. „Wie – ähm – geht es dir?“, fragte Melissa sie. Das war noch merkwürdiger, denn Christella war sicher, dass sie das auch noch nie gefragt hatte. „Also, mir geht es ganz okay. Und dir?“, gab sie zur Antwort. So ganz traute sie dem Braten nicht. „Gut, danke der Nachfrage.“ Melissa starrte auf Christellas Hausaufgabenheft und malte mit dem Finger Kreise auf den Tisch. „Hör mal…“, begann sie zögerlich, beinahe schon schuldbewusst wirkte sie. „Wir – also die Mädels und Jungs in unserer Miniclique – wir haben uns unterhalten über dich“, fuhr Melissa fort. Als hättet ihr das vorher nicht auch schon getan, dachte Christella verwirrt. „Wir haben darüber geredet, wieso du… plötzlich weg warst, weißt du.“ Sie sah Christella an, so als erwarte sie eine Antwort von ihr, als nickte Christella. „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das vielleicht auch an unserem Verhalten lag. Du weißt schon, so halblaute Kommentare und Sticheleien und all der Kram, den eben auch wir veranstaltet haben. Nein, ganz sicher lag es daran, nicht wahr?“ Melissa setze sich auf den freien Platz neben Christella und drehte sich zu ihr. „Es tut mir leid. Es tut uns leid. Wie wir dich behandelt haben. Klar, das hätte uns auch früher einfallen können, aber das tat es nicht und das tut uns auch leid. Alles tut uns leid.“ Die Klassentür öffnete sich und ein paar andere Schüler kamen lachend in den Raum. Als sie Christella bemerkten, schauten sie sie überrascht an, redeten dann aber schnell weiter. „Ich wollte nur, dass du das weißt, okay?!“ Christella nickte. „Gut“, meinte Melissa zufrieden. Nach einer kurzen Pause sprach sie weiter. „Wie wäre es, wenn ich mich zu dir setze? So als Friedensangebot und … Beweis, dass ich es wirklich ehrlich meine?“, fragte sie. Christella brauchte einen Moment, um das alles zu verarbeiten. Es tat ihnen also leid. Zwar war die Clique um Melissa noch die harmloseste gewesen, aber dennoch tat es ihnen leid. Vielleicht bestand ja nun für Christella die Möglichkeit, praktisch neu anzufangen. Vielleicht wendete sich nun ja alles zum Besseren? Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Ein Wort der Hoffnung. Dass Melissa anbot, sich neben sie zu setzen, reichte schon, um Christella zu zeigen, dass es ihr tatsächlich und gänzlich leid tat, was sie angestellt hatte. „Also, ähm. Du musst dich jetzt nicht aus Schuldgefühlen oder so hier neben mich setzen, weißt du. Ich nehme deine, oder eure, Entschuldigung an, es ist okay, wirklich“, antwortete Christella schließlich. Melissa schüttelte den Kopf. „Ich mache das nicht aus Schuldgefühlen heraus. Ich will dich kennen lernen. Dich! Den Menschen Christella. Meine Mitschülerin, über die ich kaum was weiß. Es war bescheuert, wie wir uns dir gegenüber verhalten haben und ich finde, es ist an der Zeit, dass wir was unternehmen. Also, darf ich mich neben dich setzen oder nicht?“ Sie war wohl nicht von ihrem Vorhaben abzubringen. …dich kennen lernen… Die Worte hallten in Christellas Kopf wieder. Also wirklich – alles auf Anfang. Kompletter Neustart. Rechner runterfahren und wieder hoch. Sie nickte. Melissa lächelte und verschwand mit einem „Bin gleich wieder da!“ zu ihrem alten Platz, an dem auch ihre Clique wartete, die die beiden neugierig und gespannt beobachtet hatten. Sie schienen erleichtert, als Melissa ihnen von dem Gespräch berichtete. Lächelten zu Christella rüber und nickten ihr sogar zu. Melissa kam kurz darauf zu Christella zurück. „Also, na dann – nutzen wir die restlichen elf Minuten bis unsere Drama-Queen den Klassenraum betritt und uns wieder über die Vorzüge der Geschichte aufklären will. Erzähl mir von dir.“ Melissa schaute sie ernsthaft interessiert an. Und Christella begann zu erzählen. Stolz darüber, dass sie die sechs Unterrichtsstunden überstanden hatte, saß Christella um zwanzig Minuten nach eins wieder in dem Bus, auf dem Weg zurück in das Heim. Melissa hatte sie nicht eine Sekunde lang alleine gelassen und wenn sie auf eine Frage nicht antworten wollte (wie zum Beispiel darauf, bei wem sie in München war), dann bohrte sie nicht weiter, sondern akzeptierte ihre Entscheidung bedingungslos. Auch die anderen aus der Clique ließen keine blöde Bemerkung fallen, als Melissa mit ihr im Schlepptau an ihrem Stammplatz auf dem Schulhof auftauchte. Im Gegenteil – sie nahmen sie alle in Schutz, denn nicht jeder war bereit, sie nun besser zu behandeln. Sie hatte sich einige Kommentare anhören müssen, doch die bösen Blicke und bissigen Gegenkommentare seitens Melissa hielten die meisten davon ab, den ganzen Tag dumme Witze zu reißen. Am Ende der sechsten Stunde hatten Melissa und Christella gar ihre Handynummern getauscht. Lächelnd saß Christella nun auf ihrem Stammplatz im Bus und dachte daran, wie viel schlimmer sie sich diesen Tag ausgemalt hatte. So schlimm war es gar nicht gewesen. Die Lehrer begrüßten sie mit einem Nicken, oder sie ignorierten sie völlig. Keiner wollte sie für ein Gespräch nach der Stunde einladen. Melissa hatte sich sogar bereit erklärt, ihr ihre Mappen auszuleihen, damit sie den Stoff nachholen konnte, den sie verpasst hatte. Christella rechnete ihr dieses Verhalten hoch an. Vor dem Mittagessen brachte Christella ihre Tasche noch in ihr Zimmer und schloss dieses dann wieder sorgfältig ab, schließlich würde es noch eine Weile dauern, bis sie wieder hoch konnte, denn sie musste den Abwasch am Mittag erledigen. Kurz bevor sie den Speisesaal erreichte, stellte sich Rainer ihr wieder in den Weg. „Na, Prinzesschen. Alles gut?“, fragte er spöttisch. Christella zuckte innerlich zusammen, bemühte sich jedoch, sich nach außen hin nichts anmerken zu lassen. Sie wollte ihm keinen einzigen Triumph mehr gönnen. „Hallo, Grobian.“ Damit versuchte sie, sich an ihm vorbei zu schieben und in den Speisesaal zu gehen, wo sicher eine Betreuerin sein würde, sodass Rainer ihr nichts anhaben könnte. „Na, na. Wir wollen doch wohl nicht frech werden, hm?“, meinte er in einem leisen, bedrohlichen Tonfall. „Ich werde nicht frech. Das ist die Wahrheit“, sagte sie, so ruhig, wie sie konnte. Sie wusste, dass es riskant war, ihn zu provozieren, aber sie musste ihm einfach Kontra bieten, sonst würde er niemals aufhören, es bei ihr zu versuchen. „Lass mich jetzt durch, ich möchte zu Mittag essen. Ich habe Hunger.“ Erneut versuchte sie, sich an ihm vorbei zu drängeln, doch wieder versperrte er ihr den Weg. „Ich warne dich, Püppchen. Wenn du mir dumm kommst, dann wirst du es bereuen“, drohte er ihr in alter Rainer Manier. „Hm. Das habe ich schon mal gehört“, erwiderte Christella. Sie wirkte wirklich mutiger als sie eigentlich war, denn innerlich war sie – mal wieder – zusammengezuckt. Sie hatte immer noch Angst und verfluchte sich selbst dafür, dass sie diese Angst verspürte. „Vorsicht“, zischte Rainer ihr zu. „Ja, schon kapiert, ich werde es bereuen, mein blaues Wunder erleben und so weiter, und so weiter“, meinte sie und bemühte sich, gelangweilt zu klingen. Rainers Gesicht wurde scharlachrot. Er war sauer, stocksauer, das konnte man ganz genau sehen. Dennoch machte Christella weiter, obwohl alles in ihr schrie, sie solle es lassen. „Aber jetzt habe ich gerade keine Zeit, zu bereuen. Ich habe Hunger, Rainer. Schönen Tag noch!“ Dieses Mal schaffte sie es, an ihm vorbei in den Speisesaal zu kommen. Jetzt war sie praktisch in Sicherheit. Nur, um noch einen Schritt weiter in Sachen Sicherheit zu gehen, setzte sie sich in die Nähe der Betreuertische. So würde Rainer nichts tun können, als ihr feindselige Blicke zuzuwerfen. Obwohl sie sich in gewissem Maße sicher fühlte, beeilte sie sich, mit dem Essen schneller fertig zu werden als Rainer, um einen freien Weg zur Küche zu haben. Nach nur einer Viertelstunde war sie soweit fertig, dass sie in die Küche huschen konnte. Kurze Zeit nach ihr kam auch Thomas in die Küche gehuscht. „Hallo, Christella“, grüßte er sie und sah der Küchenhilfe dabei zu, wie sie den ersten Wagen voll mit dreckigem Geschirr in die Küche schob. „Hey, Thomas“, grüßte Christella zurück. „Alles klar soweit?“, fragte sie, als sie und Thomas sich an die Arbeit machten. Sie wusch das Geschirr ab und er trocknete es ab. „Ja, alles bestens“, meinte der Kleine leise. Er konzentrierte sich sehr auf die Arbeit, die er zu erledigen hatte. Auch Christella schwieg. Gemeinsam erledigten sie auch die nächsten zwei Wägen voller Geschirr. Als sie die Arbeit beendet hatten, legten sie die Handtücher, die Thomas benutzt hatte, auf eine Heizung und verabschiedeten sich von der Köchin und ihrer Gehilfin. Vor der großen Treppe, die hoch zu ihrem Zimmer führte, verabschiedete Christella sich dann von Thomas, der nervös umher blickte, als hätte er Angst, zu lange stehen zu bleiben, oder von irgendwem entdeckt zu werden. Es stimmte Christella traurig, ihn so verängstigt zu sehen. Mit einem hastig gemurmelten „Tschüss!“ war er jedoch schneller verschwunden, als sie etwas hätte sagen können, um ihn aufzuheitern. Seufzend stieg Christella die Treppe hoch und schloss ihr Zimmer auf. Kein Rainer weit und breit – ein positives Zeichen. Oder ein Negatives. Könnte ja sein, dass er etwas ausheckte und deshalb nirgends herum lungerte. Oder das er vor Thomas Zimmertür stand, um dort auf ihn zu warten und ihn zu ärgern. Christella nahm das Handy vom Nachttisch, nachdem sie ihre Tür von innen verriegelt hatte. Nur aus Sicherheitsgründen. Dann wählte sie Philipps Nummer, doch sein Handy war ausgeschaltet. Vielleicht hatte er ja Training? Wahrscheinlich. Nicola hob jedoch schon nach dem zweiten Klingeln ab. „Christella! Schön, dass du anrufst. Ich habe auch schon bei dir versucht, anzurufen, aber es ging niemand ran“, meldete sie sich. „Ich hatte doch Küchendienst. Schon vergessen?“, fragte Christella. Sie musste unwillkürlich grinsen. Es tat gut, Nicolas Stimme zu hören. „Ach ja. Hatte ich tatsächlich vergessen. Erzähl mal! Wie war es in der Schule?“, forderte Nicola sie auf. Also erzählte Christella ihr alles – von Melissa über die blöden Bemerkungen bis hin zu Rainer und seinen erneuten Drohungen. Nicola klang leicht sauer. „Dem sollte jemand ordentlich den Hintern versohlen“, murmelte sie verärgert. „Nein – Gewalt ist keine Lösung“, belehrte Christella sie mahnend und konnte ein Lachen kaum unterdrücken. „Hast’ Recht. Keine Lösung – und es wäre sein Niveau.“ Im Hintergrund hörte Christella, wie es an der Tür klingelte. „Ich gehe mal eben öffnen“, sagte Nicola. Dann hörte Christella für einen Moment nichts. Schließlich hörte sie jedoch ein aufgeregtes Quietschen von Nicola, die sich wenige Sekunden später wieder am Telefon meldete. „Chrissa, eine Freundin aus Berlin ist gerade hier angekommen, um mich zu überraschen. Wir rufen dich später noch mal an, okay?“, meinte sie, hörbar aufgeregt. Christella lächelte, auch wenn Nicola das nicht sehen konnte. „Klar, kein Ding. Ich möchte eh noch bei Florian anrufen und dann muss ich auch noch die Hausaufgaben erledigen, weißt du… Meldet euch einfach, wenn’s passt!“ „Klar, machen wir. Bis später!“ Damit war die Verbindung unterbrochen. Christella schmunzelte. Das war so typisch Nicola. Sie war immer glücklich, immer gut gelaunt. Wieder einmal merkte Christella, wie sehr Nicola und Philipp ihr fehlten – nach nur zwei Tagen war es beinahe unerträglich. Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, wählte sie Florians Nummer, auch wenn das den Effekt wohl nur bestärken würde. „Florian Gander“, meldete er sich am Apparat. Er klang müde. „Guten Tag, Herr Gander, hier spricht Frau Lorenz“, sprach Christella. Sie bemühte sich um einen ernsten Tonfall. Schlagartig war Florian die Müdigkeit aus der Stimme gewichen. „Oh, hey. Ich habe nicht aufs Display geschaut, tut mir Leid. Wie geht es dir? Wie war der Schultag? Alles okay bei dir? Gott, was bin ich nur für ein Idiot. Ich hätte dich längst anrufen soll. Tatsächlich – ein Idiot bin ich. Ach, was soll’s. Also, wie war’s? Ich will alles wissen!“ Christella war verwirrt. „Ähm. Immer langsam. Sag mal – was ist los? Bist du müde? Du klangst verschlafen?!“ In ihrer Stimme schwang Besorgnis mit. „Ein wenig müde bin ich, ich habe nicht sehr viel geschlafen, aber das ist ja nicht so wichtig. Erzähl mir lieber was los war!“, beharrte Florian. Also erzählte Christella ihm ebenfalls, was vorgefallen war. „Klingt doch cool – bis auf die Sache mit dem Affen, natürlich“, meinte Florian schließlich. „Ich sehe dass genauso wie Nicola – eins auf die Rübe hätte er verdient.“ Christella grinste. „Ja, ist klar. Aber jetzt erzähl du! Warum bist du müde?“ Wieder klang sie ein wenig besorgt. „Nichts Schlimmes. Ich konnte nur nicht schlafen, hatte ein paar dumme Albträume, mehr nicht. Wirklich nicht!“, meinte er mit Nachdruck, als Christella nur dazu schwieg. „Mir geht es prima. Nie wieder ein Gruselfilm vorm Einschlafen.“ Christella seufzte. „Na gut. Glaube ich dir mal“, meinte sie mürrisch. Florian lachte am anderen Ende der Leitung. „Du, ich muss mich jetzt an meine Hausaufgaben machen…“, meinte sie vage. Nun war es an Florian, zu seufzen. „Ja, das muss ich wohl auch noch tun…“ Er klang nicht begeistert. Natürlich nicht. „Ich melde mich, wenn ich fertig bin, okay?“ Christella fand die Idee auch nicht lustig, jetzt aufzulegen, aber sie musste die Aufgaben erledigen, sonst würde es erneuten Ärger geben und den wollte sie nicht und konnte sie nicht gebrauchen. „Ist gut. Ich habe um 16 Uhr aber Training. Ab halb acht bin ich dann wieder zu erreichen“, sagte Florian. Auch hiervon klang er nicht sonderlich begeistert. „Habe ich notiert. Ich melde dich. Ach, und Florian?“ „Hm?“ „Ich liebe dich!“ „Ich dich auch.“ Dann legte Christella auf. Wie sie ihr alle fehlten. Florian. Philipp. Nicola. Alle. Als sie sich an den Schreibtisch setzte, um tatsächlich mit den Hausaufgaben zu beginnen, spukte die Frage in ihrem Kopf herum, wie sie es nur aushalten sollte ohne die drei. Sie wusste keine Antwort darauf und das frustrierte sie sehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)