Geheimnisse im Nagoya-Krankenhaus von abgemeldet (Chiaki Vs. Marron) ================================================================================ Prolog: Die Uhr --------------- Da war es wieder. Tick – Tack - Tick – Tack Dieses Ticken der Uhr, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Chiaki Nagoya stand auf und ging zu dem Spiegel. Er zupfte sich den Kragen seines Hemdes zu Recht und schaute sich an. Er war 25 Jahre alt oder besser gesagt jung. Er hatte beruflich schon eine Menge erreicht. Ja, er hatte Karriere gemacht. Er blickte auf die 3 Krawatten, die über den Spiegel lagen, sie waren immer für die wichtigen Notfälle gedacht, wenn er gerade mal wieder eine Pressekonferenz geben musste oder einen Termin seines Vaters übernehmen sollte. Ja, sein Vater. Er war damals genauso ein Aufreißer wie Chiaki es heute noch ist. Wie sagt man so schön, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Tick – Tack - Tick – Tack Jedes Mal, wenn die Wanduhr in seinem eigenen Büro so tickte, zeigte sie ihm wieder, dass er Etwas anders machen musste. Dass er Etwas verändern sollte, in seinem Leben. Dass er sein Leben endlich neu gestalten sollte. Dass es so nicht weiter ging wie bisher. Tick – Tack - Tick – Tack Chiaki Nagoya, Neurologe und Leiter der Neurologie-Station des Nagoya Krankenhauses, saß in seinem Büro, las sich die Unterlagen und Bewerbungen der Praktikantinnen durch und hörte immer nur das Ticken der Uhr in seinem Kopf. Es hallte in seinem Kopf doppelt so laut wider als sie eigentlich tickte. Er hasste diese Momente, wo es so war. Er seufzte. Tick – Tack - Tick – Tack Chiaki lehnte sich in seinen Sessel zurück und fuhr sich geschafft durch die Haare. Er war 25 Jahre alt, hatte also mehr als ¼ seines Lebens schon hinter sich. Zumindest sah er das momentan etwas schwarz. Warum auch immer. Es war einfach so. Normalerweise war er ein fröhlicher Mensch. Er blickte auf seinen Antiken Schreibtisch. Hier stand kein Bild von einer Frau und Kinder, nicht mal von einer Verlobten oder einer Freundin. Es war der Schreibtisch eines Junggesellen, der Spaß am Leben hatte und bisher nie etwas Festes wollte. Er wollte sich nicht an etwas binden, das vielleicht eh nicht lange halten würde, also warum die Mühe machen. Nein, bisher hatte er keine Frau gehabt, die ihn länger als 1 Woche hatte an sich binden können. Oder die ihn länger gereizt hatte, die meisten waren sogar nur One-Night-Stands gewesen. Und nun fiel ihm auf, dass er irgendwas suchte. Tick – Tack - Tick – Tack Chiaki Nagoya legte die Akten weg. Er musste sich ablenken. Na okay, er hatte es ja schon zu Etwas gebracht. Er war Chefarzt der Neurologie-Station im Krankenhaus seines Vaters. War einer der jüngsten Neurologen von ganz Japan. Was ihn sehr stolz machte, denn nur deswegen hatte er auch den Posten bekommen. Sein Vater schenkte ihm den nicht so einfach. Nein, Chiaki hatte hart gearbeitet und das war auch das Wichtigste für ihn gewesen. Vermutlich ließ er deswegen sein Privatleben so schleifen. Wie sagte Erich Fomm doch gleich, die heutige Gesellschaft ist nur in ihrem Berufsleben diszipliniert, das Privatleben lassen sie schweifen. Da hatte er wohl nicht ganz so Unrecht. Tick – Tack - Tick – Tack Chiaki Nagoya fuhr sich noch mal durch seine blauen Haare und stand nun doch endlich von seinem Stuhl auf. Er hatte jetzt etwas zu tun. Er ging aus seinem Büro heraus und trat in die Eingangshalle des Krankenhauses. Patienten, Schwestern und sogar ein paar Ärzte liefen vereinzelt durch die Gänge und den Flur. Dann sah er eine kleine Gruppe von Leuten, deren Fotos er auf seinem Schreibtisch in deren Akten liegen hatte. Dies waren die Praktikanten. Tick – Tack - Tick – Tack Kapitel 1: Der erste Arbeitstag ------------------------------- So meine Kapitel werden jetzt neu übarbeitet. DANK MEINER BETA-LESERIN DARK-NAMI ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Chiaki Nagoya, 25 Jahre alt, war erfolgreicher und bekannter Arzt in der Klinik seines Vaters. Außerdem war er in der Klinik als Aufreißer bekannt. Jeder kannte ihn. Er hatte bestimmt jede Schwester in seinem Bett schon gehabt. Bei seinem Aussehen brauchte er manchmal nur zu lächeln und die Schwestern fielen ihm auf die Knie, zumindest wurde das den neuen Praktikanten so gesagt, als sie eine Schwester nach ihrem Chef ausfragten, denn dieser ließ sich Zeit. Diese Schwester hielt wohl nicht viel von dem Stationsarzt, wer konnte ihr das verübeln. Sie waren zu Viert. Zwei Männer und zwei Frauen. Vier Praktikanten, die dieses Jahr am Lehrkrankenhaus der Berühmten Nagoya-Klinik arbeiten durften. Sie wussten schon vorher, wer Chiaki Nagoya war, mal davon abgesehen, was sein Privatleben anbetraf. Aber sie wussten durchaus alle, dass sie bei Chiaki Nagoya eine Menge lernen würden. Er war einer der besten Ärzte in ganz Japan und man kannte ihn überall, man sprach sogar davon, dass er einer der besten Neurologen der Welt war. Marron Kusakabe, Miyako Toudaji, Alex Bailey und Tomoki Kitsu waren die vier Praktikanten. Chiaki Nagoya, Oberarzt der Neurologie-Station, hatte sich alle vier Gesichter von den Personen eingeprägt. Er hatte jeden einzelnen Lebenslauf im Kopf und wusste, welche Qualifikationen und welchen Notendurchschnitt jeder einzelne hatte. Er wusste jetzt schon Vorne rein aus den Bewerbungsunterlagen, wer welche Schwächen und wer welche Stärken hatte. Sie waren ein zusammen gewürfelter Haufen von Anfängern, aber so war es jedes Jahr. Aber dieses Jahr, hatte Chiaki die Bewerbungen durchgesehen gehabt und nicht sein Vater. Sein gestärkter weißer Kittel, zeigte keine einzige Knitterfalte. Unter seinem Kittel, der nicht zugeknöpft war, trug er ein hellblaues Hemd. Es war ein wenig zu eng, oder genau richtig, wie manche Schwester wohl sagen würde, denn sein Brustkorb der gut gebaut war, zeigte durch das Hemd, dass er starke Brustmuskeln hatte. Natürlich, er ging auch jeden Tag trainieren. In seiner linken Brusttasche lagen die kleine Taschenlampe und Kugelschreiber. In den Händen hielt er die ersten Patientenmappen für die Vier Neuankömmlinge. Er wollte sie gleich ins kalte Wasser schmeißen. So tat er es jedes Jahr und so sortierte er gleich raus, wer am Schlechtesten war. Es war seine Art, mit dieser Sache umzugehen. „Hallo“, sagte er in einem freundlichen, aber doch gleich auch zu recht weisenden Ton. Er blickte die Vier an. Sie standen vor ihm und warteten seine nächsten Worte ab. Chiaki blickte jeden einzeln an. Wie er doch mit seiner Analyse aus den Daten, die vor ihm gelegen hatten, Recht hatte. Genauso wirkten die Ankömmlinge auch. Tomoki Kitsu, war ein metrosexueller Kerl. Er hatte ein weichliches Gesicht, ohne markante Züge. Er war vermutlich nervlich nicht ganz so labil. Er wirkte nervös, seine Hände versuchte er die ganze Zeit mit etwas zu beschäftigen. Aber er hatte ein sehr gutes Abschlusszeugnis gehabt, vermutlich gehörte er eher zu den Theoretikern, als zu denen, die die Praxis bevorzugen. Miyako Toudaji, wirkte mit ihren Augen und ihrem Auftreten sehr zielstrebig und selbstsicher. Chiaki grinste, das würde er ihr schon schnell wieder austreiben. Sie sah richtig interessant aus. Sie schien gerade zu stehen und war sich ihrer Aufgabe gewappnet. Er hatte gelesen, dass sie aus einer Familie stammt, wo viel Ordnung und Recht herrscht. Alex Bailey, Sohn von Dr. Miranda Bailey, Ärztin in einer Klinik in den USA. Genau, das sah man ihm auch an. Er kam ziemlich arrogant herüber. Chiaki würde seinen Spaß mit ihm haben. Alex war vermutlich vom gleichen Schlag wie Chiaki selber, ein Frauenaufreißer, ein Möchte-Gern-Versteher. Chiaki überlegte gerade ernsthaft, warum er ihn angenommen hatte. Nun wanderte sein Blick zu Marron Kusakabe. Sie hatte ihr langes braunes Haar zu einem strammen Zopf nach hinten gebunden, aber ihre Augen zeigten etwas Sanftmütiges und Weiches. Sie war nicht so starr und selbstsicher wie Fräulein Toudaij, aber wirkte sicherer in ihrem Auftreten als Mr. Metrosexuell. Chiaki würde mit dieser Gruppe schon Spaß haben und er würde ihnen gleich von Anfang an zeigen, wer hier das Sagen hatte und er würde ihnen auch zeigen, wie weit sie hier im Krankenhaus oder bei ihm kommen würden, wenn sie sich nicht an seinen Spielregeln hielten. „Gut, dann wollen wir direkt mal loslegen.“ Er teilte den Neuankömmlingen die Akten aus. Diese blickten ihn fragend an und schauten dann von der Mappe wechselnd zu Chiaki. „Bevor ihr Fragen stellt, wir fangen heute in der Ambulanz an. Jeder von euch hat einen Patienten für den ihr verantwortlich seid.“ „Am ersten Arbeitstag?“, fragte Tomoki Kitsu. „Ja, natürlich an eurem Ersten Arbeitstag.“ Chiaki musterte Mr. Metrosexuell. „Ich zeige Euch jetzt die Ambulanz.“ Chiaki ging voraus und die vier Praktikanten folgten ihm, wie kleine Entlein ihrer Mutter. Natürlich fiel den Vier, besonders Marron und Miyako auf, dass, wo Chiaki vorbei ging, man ihm hinterher schaute. Miyako ging auf gleicher Höhe mit Marron, sie waren sich ziemlich sympathisch. „Ich nenne ihn McSexy“, sagte Miyako im leisen Ton zu Marron. Diese blickte sie mit einem Grinsen an, erwiderte aber nichts darauf. Sie hatte den Blick von Chiaki auf sich gemerkt und sie war der Meinung, dass er Miyako nicht so starr angeschaut hatte. Was er wohl von ihr wollte? Sie ließ sich jedenfalls nichts anmerken, aber es fiel ihr auf, dass vor allem die Schwestern Dr. Chiaki Nagoya hinterher schauten. Es war ein komisches Gefühl, wie sollte sie denn Respekt vor ihm haben, wenn er ein Frauenheld war. Marron schüttelte den Gedanken weg, das gehörte hier nicht her. Sie war auf der Arbeit, sie wollte Leben retten und da sollte sie sich nicht unbedingt mit solchen Gedanken von ihrem Chef plagen, vor allem nicht am ersten Arbeitstag. Natürlich wollte sie einen guten Eindruck hinterlassen, aber das wollten Alex, Tomoki und Miyako natürlich auch. Und hier fängt der Wettkampf an. Chiaki blieb stehen und drehte sich zu seinen Entlein um. „Das hier ist die Ambulanz. Hier werdet ihr arbeiten, wenn ihr es als Neurologe nicht schafft.“ Er grinste etwas. „Es ist euer erster Arbeitstag, aber ihr seid mit eurem Studium fertig und das ist euer Praktikum. Also, ihr wisst, wie man Patienten in der Theorie behandelt, nun setzt ihr es in der Tat um. Auf euren Patientenakten seht ihr die Nummer des Bettes, wo der Patient liegt, geht hin und fangt an. Ich werde euch beobachten.“ Er blickte die Vier wieder an. Alex und Miyako reagierten gar nicht, Tomoki war noch nervöser und Marron, schien sich nicht viel anzumerken, außer dass sie sich dieser Aufgabe gewachsen schien. „Eure Fragen müsst ihr euch selber beantworten“, setzte er noch hinten dran. Die Vier jungen Leute, alle um die 24 Jahre, verstreuten sich und gingen zu den Betten, dessen Nummer auf ihrer Mappe stand. Chiaki blickte die Vier an und folgte ihren Schritten aus sicherer Entfernung. „Chiaki…“ Es war die Stimme seines Vaters. Chiaki drehte sich um und sah auch genau diesen zu sich kommen. Er stellte sich neben seinen Sohn und blickte in die Runde. „Sind das die Vier?“ Chiaki, der mit verschränkten Armen neben seinem Vater stand, nickte nur. „Bist du mit deiner Auswahl zufrieden?“ Kaiki Nagoya, Leiter und Geschäftsführer des Krankenhauses, blickte die Vier Ankömmlinge an und war sichtlich zufrieden mit der Auswahl. „Das werde ich sehen.“ Kaiki blickte ihn fragend an. „Hast du Zweifel?“ Chiaki blickte ihn an. „Ich weiß ja nicht, ob einer von ihnen ein 007 ist.“ Er grinste. „Du wirfst sie also gleich ins kalte Wasser und lässt sie an ihren ersten Patienten arbeiten“, stellte Kaiki fest. Chiaki nickte. „Das ist die beste Art der Selektierung“, sagte er nur. Kaiki seufzte. „Das mir keine Beschwerden von Patienten kommen.“ „Keine Sorge Vater.“ Kaiki drehte sich um und ging aus der Ambulanz heraus, er drehte sich noch mal um, blickte seinen Sohn von hinten an und seufzte. „Warum bist du nur so geworden…“, fragte er sich vor sich hin murmelnd und seufzte. Er ging in den Aufzug. „Okay, Ma'am…“, fing Tomoki an und wollte gerade die Lunge der Patientin abhören, weil er in der Akte las, dass sie um schlimmen Husten plagte. „Nennen Sie mich doch, Mia, Ma'am klingt so alt“, sagte sie lächelnd. Tomoki nickte, die Frau war vermutlich schon 80, aber wie sie wollte. Er hörte ihre Lunge mit dem Stethoskop ab. „Und? Hören Sie was?“ „Atmen Sie nun tief ein und aus“, bat er sie. „Sie können mich ruhig duzen, junger Arzt.“ Tomoki nickte. Er versuchte sich zu konzentrieren. „Sie haben ein Rasseln in der Lunge.“ „Und das heißt, junger Mann?“ „Ma'am… ich meine Mia.“ Die Dame lächelte. Er blickte sie besorgt an. „Laufen Sie oft weite Strecken zu Fuß?“ „Natürlich, ich fahre schon lange kein Auto mehr und die Bahn oder die Busse sind immer so voll.“ Tomoki nickte. „Sie haben die ersten Anzeichen von Asthma.“ „Asthma sagen Sie?“ Mia blickte ihn besorgt an. Tomoki nickte. Chiaki blickte nun von Tomoki, der sich sehr gut geschlagen gab, zu Marron, die neben Tomoki stand. Der weiße Kittel stand Marron sehr gut, auch wenn sie mit ihrer strengen Frisur, die nicht zu ihrer Art passte, ein wenig sich davon ab stieß. „Ich brauche nur ein paar Schmerztabletten.“ Marron nickte. „Warum?“ „Ich bin vor zwei Tagen auf dem Bau auf einen Nagel getreten. Ist aber so weit gut verheilt, es tut nur weh und dass es weh tut, kann ich auf der Arbeit nicht gebrauchen.“ Marron nickte wieder nur. „Zeigen Sie mir bitte Ihren Fuß.“ Der Mann, vom Bau, blickte Marron fragend an. „Ich sagte Ihnen doch, dass er schon fast verheilt ist.“ Marron nickte. „Ja, Sir, das habe ich verstanden. Aber ich darf Ihnen nicht einfach so Schmerztabletten verschreiben.“ „Verstehe“, sagte der Mann grummelig. Aber er war immer noch nicht bereit, seinen Schuh auszuziehen. Marron stand vor ihm, hatte die Akte des Mannes vor sich und blickte ihn erwartungsvoll an. „Er ist am verheilen.“ „Sir…“ Er seufzte, beugte sich nach vorne und zog seinen Schuh aus. Dann zog er die schwarze Socke aus. Marron kniete sich etwas hin, damit sie den Fuß sehen konnte. Sie erschrak etwas, denn die ganze Fußsohle war schwarz. Aber nicht schwarz vor Dreck. Er war fast abgestorben. So etwas hatte sie nur aus Bildern aus Büchern gesehen, wo Bilder von Kriegsopfern gezeigt wurden. Sie blickte ihn fragend an. „Und Sie sagten, wann wären sie in den Nagel getreten?“ Marron fragte das, denn es sah nicht so aus, als ob das vor zwei Tagen passiert sei. Das muss vor zwei Wochen passiert sein. So schnell würde sich das nicht ausbreiten. „Vor zwei Tagen.“ „Das sieht aber nach einer längeren Infektion aus.“ Er seufzte. „Vor zwei Wochen.“ Marron seufzte, wie konnte der Mann sagen, dass es gut verheilen würde, wenn der Fuß ganz schwarz war. Sie stand wieder auf und blickte ihn an. „Sir… Das ist eine längere Infektion. Sind sie gegen Tetanus geimpft?“ Er blickte sie fragend an. „Hören Sie mal, ich will nur ein paar Tabletten, dann verschwinde ich wieder. Ich muss wieder zurück auf den Bau, verstehen Sie doch.“ Marron nickte und fuhr sich über die Haare. „Ich kann Sie leider nicht entlassen.“ „Warum nicht?“ „Weil sie die ersten Anzeichen von Wundstarrkrampf haben.“ „Was habe ich?“ „Tetanus, auch Wundstarrkrampf genannt, ist eine häufig tödlich verlaufende Infektionskrankheit, welche die muskelsteuernden Nervenzellen befällt und durch das Bakterium Clostridium tetani ausgelöst wird.“ „Und das habe ich mir zugezogen, als ich auf den Nagel getreten bin?“ „Wir müssen ihren Fuß amputieren.“ „Wie bitte?“ „Sir… Sie haben Glück, dass es bis jetzt nur ihren Fuß getroffen hat. Sie merken doch schon, wie sich der Wundstarrkrampf ausbreitet. Sie humpeln, das liegt daran, dass ihre Muskeln sich verhärten.“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Ich bin hierher gekommen, um Tabletten zu bekommen, Sie können mir jetzt nicht sagen, dass mein Bein ab muss.“ Er wurde lauter. Marron versuchte ihn zu beruhigen. „Sie werden mir bestimmt nicht das Bein abnehmen.“ Er schrie sie an und schubste sie weg. Chiaki kam sofort zu Marrons Hilfe und stützte sie vor dem Fall. „Geht’s?“, fragte er sie, als er ihr wieder aufhalf. Marron nickte. „Was ist denn hier los?“, fragte Chiaki nun den Mann und hörte sich die Seiten von dem Bauarbeiter-Meister und von Marron an. Aber er stimmte Marron zu. „Es tut mir Leid Sir, aber da hat Dr. Kusakabe vollkommen Recht.“ Miyako hatte sich nach Marron umgeschaut, weil deren Patient doch etwas lauter wurde. „Könnten Sie sich jetzt wieder um meinen Sohn kümmern.“ Miyako blickte die Dame und der dazugehöriges Kind an. Sie fragte sich insgeheim, warum ein Kind auf die Idee kam, sich mehrere Erbsen in die Nase zu stecken. Sie hatte auch schon genug Verwünschungen für deren Mutter übrig, wollte es aber nicht gleich übertreiben. „Wir haben jetzt zwei Erbsen draußen“, sagte Miyako zu dem Jungen, der bestimmt sieben Jahre alt war. „Wie viele hast du dir denn in die Nase gesteckt?“, fragte Miyako, die mit einer Pinzette dabei war, die einzeln raus zu holen. „Ich weiß es nicht, sehen Sie denn nicht alle?“ Miyako lächelte gezwungen. „Nein, weil ich ja, wenn ich mit der Taschenlampe in deine Nase leuchte, nur immer die sehe, die ganz vorne ist, wie viele waren es also?“ „Seien sie ein wenig netter zu meinem Sohn.“ Miyako seufzte. „Ja…“ Und seien Sie das nächste Mal eine bessere Mutter und passen auf, dass Ihr Sohn sich nichts in die Nase steckt, wollte Miyako gerade sagen, aber sie ließ es doch bleiben. „Es waren vielleicht vier.“ Als Miyako das Wort 'vielleicht' schön hörte, war sie schon wieder kurz davor, das Skalpell in die Hand zu nehmen und dem kleinen Jungen einfach die Nase aufzuschneiden. Miyako blickte noch mal zu Marron. Dr. Nagoya stand noch bei ihr und sie redeten auf den Patienten weiterhin ein. Alex Bailey musste lächeln, als er zu seiner Patientin kam, die man ihm zugeteilt hatte. Sie war wunderschön und sah auch sehr anziehend auf ihn. Er grinste sie an. „Hallo, schöne Patientin.“ Doch als sie nicht reagierte auf seinen Spruch, blickte er von der Krankenakte auf. Sie blickte ihn erwartungsvoll an. „Reden Sie immer so mit Ihren Patienten?“ „Nur mit den hübschesten“, sagte er grinsend. „Das können Sie bei mir gleich bleiben lassen, ich falle da eh nicht drauf rein. Kümmern Sie sich lieber und meine Wunde an der Hand“, sagte sie fordernd und strich sich mit der anderen Hand durch die Haare. Chiaki Nagoya war eigentlich sehr zufrieden mit seinen Praktikanten. Der erste Tag war zu frieden stellend verlaufen. Kapitel 2: Das zweite Gesicht ----------------------------- „Ich bin wieder zuhause“, ertönte die warme Stimme von Marron Kusakabe, als sie ihre Haustür hinter sich schloss, sich ihre Schuhe auszog, ihre Tasche in eine Ecke warf und ihre Jacke an den Kleiderhaken hing. Da wurde sie auch schon von einem kleinen, grünen Engel überrascht, der ihr direkt ins Gesicht flog und sich an die Wange von Marron drückte. „Marron… Endlich“, sagte das kleine Wesen mit den langen grünen Haaren und strahlte regelrecht eine wärmere Energie aus, als sie Marron sah. „Wie war dein Tag, Marron-schatz?“ „Nicht zu stürmisch, Fynn“, sagte sie lächelnd und ging mit Fynn auf der Schulter ins Wohnzimmer. Sie setzte sich erst mal auf die Couch und griff nach der Fernsehzeitung. Sie wollte sich ein wenig entspannen und Fernsehen. „Nun sag schon“, drängte der kleine Engel. Marron lächelte. „Ich mag den Oberarzt nicht. Aber der Tag war sehr interessant. Wir durften auch direkt an Patienten arbeiten, auch wenn der Dr.-Ich-bin-so-unwiderstehlich die ganze Zeit hinter uns stand. Aber es war sehr schön.“ Marron strahlte. Es war ein anstrengender Tag, aber es war ihr erster Arbeitstag und sie fühlte sich sehr wohl als Praktikantin im Nagoya-Krankenhaus. Sie fühlte sich müde und kaputt, aber dennoch war in ihr eine Stärke, die sie unbedingt nicht verlieren wollte und hoffte, dass sie nie mehr verschwinden würde. „Das freut mich. Heute Abend musst du wieder los“, ssagte sie schnell und knapp. Marron blickte Fynn an. „Warum sagst du das erst jetzt?“ „Weil ich erst mal wissen wollte, wie es dir geht und wie dein Tag war.“ „Ja, ich glaub dir kein Wort.“ Damit stand Marron auf und ging in die Küche, wo sie sich eine Banane nahm und diese schälte. Es war doch immer das gleiche mit diesem frechen Engel, dachte Marron bei sich. „Marron, du verstehst mich nicht. Du musst heute Abend wieder als Jeanne los. Du bist die Reinkarnation von Johanna...“ „Ja, ich kann es nicht mehr hören. Ich kenne diese Leier schon, weißt du doch.“ Marron seufzte und aß ihre Banane. Fynn seufzte. „Aber Marron…“ „Ist ja schon gut. Ich mache es.“ Fynn strahlte wieder. „Oh Marron, das ist wundervoll.“ „Ja, ich weiß. So bin ich nun mal“, sagte sie und grinste den kleinen, grünen Engel an. „Ich nehme mir jetzt ein Bad.“ „Ich komme mit.“ Marron nickte und ging mit dem kleinen Engel in das Badezimmer ihrer Wohnung. Chiaki Nagoya, Dr. Chiaki Nagoya saß in seinem Büro an seinem Schreibtisch. Es war still um ihn geworden, außer dem Ticken der Uhr war gerade nichts zu hören. Er brauchte auch seine Ruhe. Es war ein anstrengender Tag für ihn gewesen und er hatte heute Abend auch wieder etwas zu erledigen. Er wusste nicht, wie er das heute auf die Reihe kriegen sollte. Er fühlte sich ziemlich kaputt und müde und wollte am liebsten nur nach Hause in sein Bett gehen. „Was sagst du?“ Er kannte die Stimme. Doch Chiaki wollte jetzt nicht darauf antworten. Er brauchte seine Ruhe und das galt auch für seinen kleinen Freund. Er musste sich konzentrieren und Kräfte tanken. Er musste außerdem über einiges nachdenken. Er hatte nun schon seit zwei Nächten mit Jeanne, die Kamikanzediebin zu tun, warum erinnerte ihn Marron so sehr an diese Jeanne. Sie waren sich bestimmt nicht ähnlich. Allein vom Äußeren. Jeanne hatte lange blonde Haare und lila Augen. Sie war schlank und wunderschön. Sie strahlte Anmut und eine Leichtigkeit aus. Marron hatte braune Haare und braune Augen. Ihre Haare band sie sich streng zu einem Zopf. Sie war ein wenig nervös, wie es schien. Sie war ernst. Er hatte bisher auch noch nicht viel mit Jeanne zu tun gehabt. Aber vom ersten Augenblick, als er in Marron Kusakabes Augen geblickt hatte, hatte er sich gefühlt, als hätte er in die Augen von Jeanne geschaut. Was war hier los? Warum dachte er so? Er wusste, dass er eine Aufgabe hatte, die er erledigen musste. „Chiaki, rede mit mir“, forderte die Stimme nun. Chiaki seufzte nur. Öffnete nun aber doch seine braunen Augen. Er erschrak ein wenig, denn vor seinen Augen schwirrte der kleine Engel und wedelte wild mit den Armen umher. „Access…“, sagte Chiaki nur genervt. „Tue nicht so! Was ist noch mal los?! Rede mit mir!“, forderte er. Chiaki stand auf und ging ans Fenster. Er blickte hinaus und schaute auf die Straße. „Ich kann diese Jeanne nicht vergessen.“ „Sie ist deine Feindin!“ „Bist du dir da sicher?“ „Aber natürlich. Wir kämpfen gegeneinander, das hat sie dir doch auch schon deutlich genug gemacht, oder etwa nicht?“ Chiaki seufzte. „Ja, es stimmt wohl. Kannst du mir einen Gefallen tun?“ Access blickte ihn fragend an. „Ich tue es, wenn du heute Abend wieder als Sindbad unterwegs bist.“ Chiaki nickte. „Ja, werde ich.“ „Okay, schieß los.“ „Ich will, dass du über jemand was herausfindest.“ Access, der kleine Engel mit den lila Haaren, der Chiaki seit einer Weile begleitete, blickte ihn fragend und fordernd an. „Lasst das Spiel beginnen.“ Marron fühlte sich als Jeanne, wieder unbesiegbar. Es war mal wieder ein Leichtes Gewesen, den Dämon aus dem Bild zu bannen. Die Polizisten taten sich heute wieder besonders schwer, die fliegende Diebin zu fangen, denn sie war heute sehr gut gelaunt. Der Dämon, der sich in einem Bild versteckt hatte, war schnell gefangen. Aber etwas hatte sie doch nachdenklich stimmen lassen. Sindbad, ihr Gegner, den Sie seit zwei Tagen hatte, hatte sich noch nicht blicken lassen. Jeanne saß nun auf einem Baum und beobachtete das Getue der Polizisten auf dem Anwesen, in der Hand hielt sie die Schachfigur. Sie spürte, wie sich der Baum bewegte. Es war nicht der Wind, das wusste sie. Sie blickte auf einen Ast weiter über sie. Dort stand Sindbad in voller Tracht seines Outfits und blickte sie an. Seine Silberfarbenen Haare, sein silber-grauer Mantel schimmerten leicht im Mondschein. Sein Gesicht war mit einem Schatten bedeckt, dennoch konnte sie in seine durchdringenden Augen blicken. „Ich hab mir schon Sorgen gemacht“, scherzte sie und stand auf. Sie hielt sich am Stamm fest und blickte ihn fordernd durch ihre Lilafarbenen Augen an, er konnte sie gut erkennen, denn sie war vom Mond beschienen. „Hallo Jeanne.“ Er sprang von seinem Ast und sprang auf den ihren mit einem Satz. Es wackelte, als er auf den Ast landete. Jeanne klammerte sich an den Stamm. Da sie kurz unachtsam war, merkte sie zu spät, dass er nun direkt vor ihr stand. Er griff nach ihrer Hand, in der die Schachfigur ruhte. Er versuchte ihre Finger aus der Faust zu lösen. „Nein!“ Als er ihre Stimme erkannte, es war die von Marron, hörte er auf zu drücken, hielt sie aber weiterhin fest. Sie blickte ihn fragend an und versuchte die Unsicherheit zu deuten, doch sie wusste nicht, was sie überhaupt von ihm halten sollte. Er war ihr Feind. Er war Sindbad, der Dieb. Sie war Jeanne, die Diebin. Sie wusste, nicht für wen er kämpfte und für was. Das Einzige, was sie wusste und was wichtig war, war dass sie Feinde waren. Sie kämpften gegeneinander. Jeanne entriss sich seinem Griff und blickte ihn drohend an. „Hör auf, damit!“, sagte er nur. Sie blickte ihn fragend an. „Mit was?“ „Mit dem Stehlen“, forderte er, sprang mit einem Satz einen Ast höher und als Jeanne die Worte wahrgenommen hatte und nach oben ihm hinterher schaute, erkannte sie nichts mehr von ihm. Es war zu dunkel. Er war im Schatten der Baumkrone verschwunden. „Niemals…“, sagte sie nur, sprang vom Baum und eilte davon. Sinbad zog sich den Schleier vom Gesicht. Nun war er nicht mehr Sindbad, der Dieb, nun war er wieder Chiaki Nagoya, Stationsleiter des Krankenhauses Nagoya. Niemand wusste, dass er eine zweite Identität hatte. Niemand wusste es. Er blickte zum Mond, dann schaute er wieder in die Richtung, in der Jeanne davon geeilt war. Er seufzte. Chiaki hatte ihr letztes Wort noch vernommen gehabt. Er wusste, dass sie das antworten würde. Natürlich hörte sie nicht auf einem Kerl, der genauso wie sie Dieb war und noch dazu ihr Gegner. Ja, warum sollte sie auf ihren Gegner hören? Er seufzte. Was hatte er auch schon erwartet. Aber dennoch schlich sich ein Lächeln in sein Gesicht. Sie war wunderschön. Sie war noch genauso wunderschön, wie er sie seit der letzten Begegnung in Erinnerung hatte. Sie war nicht nur wunderschön, sondern auch anmutig und strahlte eine mächtige Aura aus. Normalerweise war er für so etwas nie empfänglich geworden. Aber seit Access vor drei Tagen in sein Leben getreten war, war eh nichts mehr, wie es vorher war. Es war anders, er war nun anders. Er war nun nicht mehr der Sohn, der nur in die Fußstapfen seines Vaters treten wollte, nun war er Jemand mit einem Geheimnis, die ihm zu etwas machte. Ja, sie machte Chiaki Nagoya zu Sindbad. Und jedes Mal, wenn er sich wieder in Sindbad verwandelte, genoss er die Macht und die Kraft, die in ihm war. Dass Jeanne ihn verwirrte, war ihm ein Dorn im Auge. Aber was ihn am meisten störte, war, dass immer, wenn er Jeanne anschaute, an seine Praktikantin Marron denken musste und umgekehrt genauso, das war schon, als er ihr Bild in den Händen gehalten hatte. Etwas zog sie an ihn. Sie schien etwas Besonderes sein. Chiaki wusste nicht mal, ob seine Vermutung stimmte, aber er fühlte, zumindest dachte er, dass zwischen Marron und Jeanne eine Verbindung sein musste, wenn er auch noch nicht wusste, welche das war. Chiaki stand vom Ast auf und sprang vom Baum. Er verließ die Gegend. „Bin wieder da!“ „Marron!“, hörte sie die liebliche Stimme des kleinen Engels, der auch sofort angeflogen kam, als sie ihre Freundin Marron hörte. „Du warst toll.“ Marron nickte. „Ja, es war sehr einfach heute. Fast zu einfach.“ „Na ja, du wirst ja auch stärker. Damit hätten die Polizisten bestimmt nicht gerechnet. Ein Glück, dass dieser Sindbad nicht da war“, meinte Fynn und spuckte diesen Namen regelrecht über ihre Lippen. Marron blickte sie an, ging in die Küche und trank einen Schluck Milch, die sie sich aus dem Kühlschrank genommen hatte. „Er war da.“ „Ich habe ihn gar nicht gesehen.“ Marron nickte. „Er kam in den Baum, wo ich am Ende mich hingesetzt hatte um den Rest von außen zu beobachten.“ „Er war da!“, meinte Fynn erschrocken. Marron nickte. „Aber er…“ „Was? Was hat er getan! Sag schon“, forderte Fynn auf. „Gar nichts“, sagte sie nur knapp. „Wie nichts?“ „Nichts halt“, sagte Marron und ging aus der Küche, ins Schlafzimmer. „Marron….“ „Ich bin müde.“ Fynn seufzte und blickte Marron an, wie diese sich Bettfertig machte. „Und Access?“ Chiaki war ungeduldig. Er wollte wissen, ob sein kleiner Engel, der sich eventuell als nützlich erweisen haben könnte, etwas herausgefunden hatte. Access blickte Chiaki an. „Du hast keine Figur mitgebracht.“ „Das war auch nicht abgemacht.“ „Was soll denn das heißen, nicht abgemacht?“ „Ich habe gesagt, dass ich heute als Sindbad unterwegs bin und somit habe ich meine Vereinbarung eingehalten und wie sieht’s mit dir aus?“ Access seufzte auf. „Ja, ich habe etwas herausgefunden und ich weiß nun auch, warum du mich sie beschatten lassen solltest.“ „Ja?“ Chiaki war ungeduldig. Er blickte den kleinen Engel fordernd an. „Ja, Marron Kusakabe, ist wie du erwartet hast…“ Kapitel 3: Der erste Kuss ------------------------- Chiaki Nagoya hatte sich seit dem Vorfall mit Jeanne schwer getan, Marron wieder unter den Augen zu treten. Er hatte seinem Vater beauftragt gehabt, ihn für eine Woche bei der Ausbildung der Praktikanten zu vertreten. Chiaki wusste, dass sein Vater das nicht einfach machen würde, aber dieser tat es dennoch, ohne Chiaki zu fragen, warum er von seinem Vater Hilfe brauchte. Chiaki war das natürlich ganz Recht. So verschanzte er sich in seinem Büro und kam nur für wichtige Operationen aus diesem heraus. Kaiki Nagoya machte sich Sorgen um seinen Sohn, aber er ahnte, dass er ihm in diesem Fall vermutlich nicht helfen konnte, vermutlich wollte Chiaki nicht mal die Hilfe seines Alten annehmen. Er war nun mal nicht mehr der kleine Junge, nein, Chiaki war ein großer und stattlicher Mann geworden und Kaiki war sehr stolz auf seinen Sohn, vermutlich sollte er das ihm mal wieder sagen. Es war spät, aber Marron oder besser gesagt Jeanne, die Kamikazediebin, kam rechtzeitig zu ihrer Verabredung mit der Polizei, um wieder ein Bild von seinem Dämonen zu befreien. „Lasst das Spiel beginnen.“ Ihre helle und klare Stimme hallte durch die Dunkelheit, als sie in das Gebäude trat. Es war dunkel, alle Lichter waren aus. Vermutlich war das mal wieder eine Falle der Polizei. Sie konnte nicht mal was im Mondlicht erkennen, weil alle Rollläden runter gezogen waren, das war bestimmt Teil der Falle. Doch so leicht gab Marron sich nicht geschlagen. Sie würde das Bild schon finden, was Fynn für sie ausfindig gemacht hatte und in dem ein Dämon hauste. „Aahhh!“ Da war es schon geschehen. Marron, nein besser Jeanne, war in die Tiefe gestürzt. Sie konnte immer noch nichts erkennen. Aber sie merkte, dass ihr Knöchel schmerzte. Vermutlich war sie umgeknickt oder hatte ihn sich verstaucht. Sie fluchte, aber sie gab kein Laut von sich. Plötzlich ging das Licht wieder an. Nun erkannte sie, dass sie herunter gestürzt war, es war eine Falle der Polizei und sie war herein gefallen, wie töricht und schwach sie doch nun war, sie war der Polizei ausgeliefert. „Sie sitzt in der Falle!“, „Endlich!“, hörte Jeanne Stimmen. Es waren die Stimmen von den Polizisten. Sie würden gleich zur Falle kommen und dann wäre sie endgültig eine Gefangene, eine gefangene Diebin. Sie blickte hoch. Jeanne wollte gerade ein Seil nach oben werfen. Vielleicht könnte sie irgendwo Halt finden und sich hochziehen. Doch da merkte sie, dass man eine Glasscheibe über den Ausgang geschoben hatte. Sie saß nun wirklich in der Falle. Sie seufzte. Sie blickte noch mal hoch. Und konnte nur noch einen Schatten erkennen, einen schnellen Schatten. Der größer wurde. „Oh, nein Sindbad!“, hörte sie wieder die Stimmen. Es waren bekannte Stimmen. Aber das war nun unwichtig. Es schepperte und regnete Glasscherben. Aber sie hatte sich gebückt, als der Schatten näher gekommen war. Sie erschrak, als Sindbad neben ihr in der Grube gelandet war. „Hallo, Jeanne. Brauchst du Hilfe?“ Jeanne war kurz davor, ihm eine Ohrfeige zu geben. Wie arrogant war denn das. Sie würde niemals seine Hilfe annehmen. „Ich nehme deine Hilfe nicht an.“ „Gut, dann mach ich mal weiter“, sagte er und wollte sich wieder an seinem Seil hochziehen lassen. „Warte!“, sagte Jeanne schnell. Sie wusste, dass sie seine Hilfe annehmen musste, sonst würde sie hier nicht mehr lebend raus kommen. Aber war es das wirklich wert, sollte sie seine Hilfe annehmen, schließlich waren sie Feinde. Sie seufzte, sie hatte keine andere Wahl und das wusste auch Sindbad. Vielleicht waren sie ja Feinde, aber… Sie blickte ihn an. Er hatte blaue Augen, sie waren Meeresblau und wirkten eine gewisse Zuversicht aus. Seine Haare, die silbern waren, wurden von einem Stirnband ein wenig aus der Sicht gehalten. Sie hatte noch niemals solche blaue Augen gesehen. Viel von seinem Gesicht konnte sie nicht erkennen, da er ein Tuch vor dem Gesicht abwärts der Augen trug. Es wirkte geheimnisvoll und eben wie ein Dieb. „Okay“, sagte sie. Sindbad nickte. Er nahm ihre Hand, zog Jeanne an sich und ließ sich dann am Seil wieder hochziehen. Jeanne fühlte sich unsicher. Sie war noch nie so nah an dem Körper eines Mannes gewesen. Männer waren für sie nie wichtig gewesen und sie hatte sich nie für sie interessiert, sie wollte viel mehr etwas selber erreichen und nun war sie Praktikantin in einem hohen Krankenhaus und unter der Leitung eines tollen Chirurgen. Warum musste sie an Chiaki denken, wenn sie in Sindbads Armen war. Sie blickte ihn an und sah in seine sicheren Augen. Wer war er wirklich? Wer war er hinter dieser Maske? „Danke sehr“, sagte Jeanne schnell, sprang eigenmächtig von ihm ab, als sie gerade die Falle verlassen hatten. Aber als sie mit ihrem rechten Fuß den Boden berührte, spürte sie wieder den stechenden Schmerz, sie hatte ihn sich wohl wirklich verstaucht. Aber sie richtete sich auf und blickte die Polizisten an. „Jeanne!“ Doch Jeanne drehte sich nicht mehr nach Sindbad um. Natürlich war sie ihm dankbar, dass er sie aus der Falle geholt hatte, aber sollte sie ihm deswegen ewig dankbar sein. Sie waren Feinde, sie kämpften gegeneinander, wenn sie auch wohl beide das gleiche Ziel hatten. Sie waren immer noch Feinde! Nachher sollte sie noch zu seinem Dank mit ihm zusammen arbeiten und das durfte sie auf gar keinen Fall zulassen. Sie hatte schon immer alles alleine hin bekommen und für alle ihre Wünsche gekämpft, warum sollte sie jetzt einem Dieb vertrauen. Nein! Sie eilte, so schnell es ihr Fuß erlaubte, in Richtung des Bildes, ein paar der Polizisten stellten sich ihr in den Weg. Doch das war ihr egal. Sie warf ihr Seil an den Kronleuchter, der über ihnen hing und zog sich hoch und ließ sich nun über die Polizisten gleiten. Im Fluge warf sie ihren Pin auf das Bild. Das Bild verschwand, als der Pin es berührt hatte. Jeanne fing die Schachfigur auf und lächelte. „Danke sehr.“ Doch dann landete sie wieder auf den Boden. Sie blickte hoch. Man hatte das Seil durchgeschnitten. Sie landete wieder auf ihren Fuß, der eh schon verstaucht war. „Verdammt!“, fluchte sie. Wie sollte sie jetzt wieder hier raus kommen. „Jeanne!“, hörte sie wieder die Stimme von Sindbad. Sie blickte in dessen Richtung und sah, dass er zu ihr herüber geflogen kam, er hing an einem Seil und streckte die Hand nach ihr aus. Er wollte ihr schon wieder helfen. Nun hatte sie gar keine andere Wahl, als länger darüber nachzudenken und einfach seine Hand zu ergreifen. Sie nickte, stand auf und ergriff nach seiner Hand. Im Flug zog er sie zu sich und flog mit ihr durch ein offenes Fenster. Sie landeten auf dem Dach. Sindbad ließ sie los. Jeanne blickte ihn einfach nur an. Es war eine Stille, die gar nicht so unerträglich war. Sie war sogar angenehm, wenn man die Tatsache weg ließ, dass beide Feinde waren. Sie blickten sich einfach nur an, so als würden sie sich zum ersten Mal richtig anschauen. „Du stiehlst ja immer noch“, brach er nun die Stille. Jeanne nickte. „Daran wird sich auch nichts ändern.“ Sie drehte sich um und wollte gehen. Doch die Dachspitze war ziemlich schmal und sie rutschte auf ihrem verstauchten Fuß ab. Doch sie rutschte gar nicht das Dach runter, schon wieder hatte Sindbad nach ihrer Hand gegriffen und sie gerettet. Das war nun zum dritten Mal. Er zog sie wieder hoch. „Jeanne.“ Zärtlich, regelrecht sanft, strich er über ihre Wange. Doch Jeanne ging einen Schritt zurück. „Ich habe etwas gut bei dir. Ich habe dir drei Mal das Leben gerettet. Oder denkst du nicht, dass ich da etwas gut bei dir hätte?“ Er schmunzelte, das konnte sie zumindest an seinen Augen erkennen, seinen Mund erkannte sie ja nicht. „Gut, was willst du. Die Schachfigur?“ Sie hielt sie ihm hin. Doch Sindbad schüttelte nur den Kopf. Er ging wieder auf sie zu und berührte mit seinem Daumen der rechten Hand ihre Lippen. Jeanne konnte gar nicht so schnell reagieren, als er sich das Tuch weggezogen hatte und sie küsste. Mit der linken Hand drückte er sie gegen sich und küsste sie. Sie war geschockt, doch der Kuss war himmlisch und angenehm. Leidenschaftlich und warm, wenn er auch nur von einer Seite ausging. Sie wurde noch nie so liebevoll geküsst. Sie wurde noch nie geküsst. Als sie wieder zu sich kam, drückte sie ihn von sich und eilte davon. Das durfte nicht wahr sein. Das war ihr erster Kuss gewesen. Ihr erster Kuss wurde ihr von einem Dieb geraubt. Ja, passt ja wundervoll. Als sie über die Dächer rannte und sprang, sammelten sich Tränen in ihren Augen. Sie wurde geküsst. Er hatte ihr den ersten Kuss gestohlen. Jeanne, nein Marron fühlte sich schlecht. Sie fühlte sich einer Sache beraubt, die ihr bisher immer sehr wichtig erschienen war. Marron Kusakabe hatte gar nicht die Wahl, zuhause zu bleiben. Nach der Sache mit Sindbad war ihr nicht wohl zu Mute. Sie fühlte sich schlecht und schmutzig, auch wenn es nur ein Kuss war, aber für sie war es viel mehr als das. Sie hatte sich immer vorgestellt gehabt, dass ihr erster Kuss etwas ganz Besonderes werden sollte, mit jemand ganz Besonderes, nicht mit einem Dieb wie Sindbad. Ja, man konnte sagen, er hatte ihren ersten Kuss gestohlen, er war eben nun mal ein Dieb. Dem entsprechend war Marron auch drauf. Sie war kaum ansprechbar auf der Arbeit und fühlte sich auch nicht wohl in ihrer Haut. Sie tat, was sie immer tat und sie tat auch ihr Bestes, aber sie war heute nicht gut drauf, das merkten auch ihre Kollegen. Miyako und Tomoki versuchten Marron immer wieder in ein Gespräch zu bringen, doch sie wies sie immer wieder ab oder antwortete nur kurz und knapp und ließ es dann damit auch bleiben. Marron ging heute als Letzte von den Praktikanten nach Hause. Der eine Fall hatte noch ein wenig länger gedauert als erwartet und Kaiki wollte mit ihr noch reden, er hatte heute Morgen schon mit Miyako und gestern mit Tomoki und Alex gesprochen, es hatte keinen besonderen Grund, er wollte einfach nur wissen, wie sich die Vier Praktikanten bisher eingelebt hatte. Der Gang zur Umkleide erschien Marron heute mal wieder unsäglich lang. Die Wände waren kalt und beengten sie heute irgendwie. Wieder fühlte sie sich nicht wohl. Ihr Fuß tat ihr außerdem auch noch weh. Es tat beim Auftreten richtig weh. „Miss Kusakabe!“ Sie drehte sich um und blickte in das strahlende Gesicht von Oberarzt Chiaki Nagoya. Er blickte sie fragend an. Marron seufzte unhörbar. „Wie geht es Ihnen?“, fragte er freundlich und trat zu ihr. Sein Büro lag ja auch auf diesen Gang, fiel es Marron wieder ein. „Danke, sehr gut.“ „Das freut mich.“ Chiaki fiel es selber schwer, locker und ruhig bei dem Gespräch zu bleiben. Er musste, wenn er Marron ansah, an Jeanne denken und an den Kuss, den er ihr gestern gegeben hatte. Er sah Marron an, dass sie mitgenommen aussah. Marron nickte nur. Sie wollte kein Gespräch mit ihm führen. Doch als sie ihn anschaute, erinnerte Chiaki sie an irgendwen. Die Haare hatten die gleiche Länge, aber eine andere Farbe und die Augen hatten ebenfalls eine andere Farbe. Sie erwischte sich bei dem Gedanken, als sie Chiaki und Sindbad miteinander verglich, warum tat sie dies. Sie kannte beide nicht besonders und hielt von beiden auch nicht sehr viel. „Ich muss dann mal wieder. Ich bin eh schon spät dran“, sagte Marron und drehte sich eilig um, doch es war zu eilig, ihr Fuß knickte wieder um und sie sackte zusammen. Doch sie kam gar nicht so weit, denn Chiaki hatte ihren Arm ergriffen und hielt sie fest. „Haben Sie sich verletzt?“ „Nein, es ist nichts Schlimmes“, sagte sie schnell. Sie traute sich gar nicht, ihn anzuschauen, sie wurde verlegen, weil sie an den Kuss denken musste und sie hasste sich dafür. Warum musste sie in seiner Nähe an den Kuss denken? Chiaki zog sie wieder auf die Beine. „Kommen Sie mit.“ „Es geht schon“, sagte sie schnell, doch Chiaki löste weder, noch lockerte er den Griff an Marrons Arm. „Wenn es nichts Schlimmes ist, kann ich es mir ja anschauen“, sagte er und Marron seufzte. Brav folgte sie ihren Vorgesetzten in dessen Büro. „Setzen Sie sich“, bot er ihr den Stuhl gegenüber von seinem Schreibtisch an. Marron gehorchte brav, dabei wollte sie doch gar nicht hier sitzen, sie wollte nicht mit ihm in seinem Büro alleine sein. Chiaki schloss die Tür hinter Marron und ging an seinen Schrank. Er holte eine Kiste heraus, während Marron sich auf den Stuhl setzte und blickte sich das Büro an. Sie hatte weder Interesse, sich sein Büro anzuschauen, noch seinen tollen Schreibtisch, noch sonst was, was Chiaki Nagoya gehörte, aber so konnte sie wenigstens seinen Augen, seinen Lippen, ausweichen. So musste sie ihn nicht anschauen und das war ganz gut so. Marron erschrak jedoch, als er ihren Schuh vom rechten Fuß zog. Erschrocken und überrascht zugleich blickte sie ihn an. Doch er schaute ihr gar nicht ins Gesicht, er zog nun vorsichtig ihren Socken aus. Er war nun ganz der Arzt. Für Chiaki war es selber gut. Er konnte ihr nicht ins Gesicht schauen. Denn wenn er das tat, musste er sofort an Jeanne denken und an den Kuss. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Jeanne und Marron ein und dieselbe Person waren. Aber Access hatte seinen Verdacht bestätigt gehabt. Sie waren eine Person. Und in beide Rollen, die sie spielte, Jeanne oder Marron, sie war bezaubernd und liebreizend, auch wenn sie sich doch so verschieden waren, waren sie dennoch auf ihre Art und Weise anziehend für ihn. Chiaki versuchte, sich auf ihren Knöchel zu konzentrieren. Er hatte schließlich gesehen, das Jeanne sich gestern verletzt hatte und das bestätigte ihn nur noch mal, dass sie dieselben Personen waren, auch wenn er es ja eh schon wusste und vermutlich war er der einzige, der von Marrons Geheimnis wusste. „Sie haben ihn sich ja gar nicht verbunden…“, sagte er nur und tastete vorsichtig mit seinen Händen, die schon so oft Menschen das Leben gerettet hatten, den Knöchel von Marrons rechten Fuß ab. Marron wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, vermutlich sollte sie auch gar nichts sagen und es war nur eine Aussage von ihm. Vielleicht erwartete er gar nichts von ihr. Gespannt blickte Marron auf Chiaki und auf seine Hände, wie er vorsichtig und sanft ihren Knöchel nach Verletzungen abtastete. Er machte es mit einer Sorgfältigkeit und Sanftheit, die sie glaubte, noch nie vorher an ihn gemerkt zu haben. War er vielleicht gar nicht der Frauenschwarm, der Kerl der immer nur Frauen aufriss? Wer war Chiaki Nagoya wirklich? „Es ist nichts gebrochen.“ Marron nickte nur, nun konnte sie gar nicht mehr den Blick von ihm abwenden. Sie hatte es ja selber schon so oft gemacht, einen Fuß abgetastet, aber das hier war etwas Magisches, zumindest kam es ihr so vor. Ihr wurde regelrecht heiß, als seine Hände ihre Haut berührten, zärtlich über ihre Haut streichelten, es fast kitzelte vor Sanftheit und Verzagtheit. Sie wurde rot und hoffte, dass Chiaki nun jetzt nicht sie anschauen würde. Sie konnte nichts sagen und nichts tun, außer ihn einfach nur anzuschauen. „Ich verbinde ihn. Damit er ein bisschen stabil ist. Aber das wissen Sie ja selber, nicht?“ Er blickte sie nun an. Er blickte in ihre strahlend braunen Augen und war überrascht, als er in ihren Augen ein Meer von Gefühlen entdeckte. Sie war niedlich und süß, nun war sie nicht die Ärztin, die sich einen strengen Zopf band, sie war süß und wunderschön. Chiaki blickte wieder weg, denn er ertappte sich dabei, als er wieder auf ihre rosafarbenen, vollen Lippen schaute und sich vorstellte, wie es wäre, Marron statt Jeanne zu küssen. Er holte eine Mullbinde aus der kleinen Ärztekiste, die er vorhin aus dem Schrank geholt hatte und verband nun ihren Fuß. „So, das müsste erst mal langen“, sagte Chiaki und klappte die Kiste zu und stellte sie wieder in den Schrank. Währenddessen zog sich Marron wieder ihren Socken und ihren Schuh an. „Danke sehr.“ Chiaki nickte nur, setzte sich auf den Schreibtisch und blickte Marron stillschweigend an. Er konnte nichts sagen, sondern blickte sie einfach nur an. Er hatte noch nie eine so vollkommene Frau gesehen, dabei kannte er sie doch gar nicht. Was wusste er schon wirklich über sie? Er wusste weder, wie ihr wirklicher Charakter war! Er wusste nicht, warum sie Ärztin werden wollte! Er wusste nicht, wer die Frau hinter den strengen Zopf war! Er wusste auch nicht, warum sie nachts zu Jeanne wurde, eine Diebin! Marron stand auf. Sie lächelte ihn an, riss sich zusammen und lächelte nur. „Danke sehr für den Verband. Ich geh dann mal!“ Chiaki nickte und seufzte. Wie gerne würde er sie küssen wollen, wie gerne würde er sie lieben wollen. Er versuchte sich zusammen zu reißen, das gehörte hier nicht her, dass wusste er selber. „Ja, wir sehen uns ja Morgen wieder hier.“ Marron nickte und ging zur Tür. „Marron…“ Sie blieb stehen und blickte ihn an. Chiaki wollte ihr so viel sagen, doch er fand nicht die richtigen Worte für diesen Moment. Was sollte er ihr auch schon sagen, dass er sich in sie verliebt hatte, konnte er sich denn wirklich in jemand verlieben? Sollte er ihr vielleicht sagen, dass er ihr Geheimnis kenne? Sollte er ihr sagen, dass sie nicht mehr stehlen sollte? Genau, was sollte er ihr denn sagen? Was durfte er ihr sagen? Er war ihr Chef und sie die Praktikantin, was durfte er ihr wirklich sagen? „Nichts… Bis Morgen“, sagte er dann schließlich, stand auf und setzte sich auf seinen Stuhl hinter seinen Schreibtisch. „Ja, bis Morgen.“ Marron schloss die Tür hinter sich und atmete erst mal erleichert auf. Das eben war ziemlich spannend gewesen und sie wollte nicht wissen, wie viel Spannung da eben zwischen ihnen gestanden hatte. Was war hier eben passiert? Warum fühlte sie sich so zu ihm hingezogen? Chiaki Nagoya seufzte und lehnte sich in seinen Schreibtischstuhl zurück. Dieser Moment, es war nicht wirklich etwas Großartiges gewesen, er hatte nur ihren Knöchel verbunden, aber dennoch war etwas eben passiert. Wenn er auch nicht sagen konnte, was es war. Irgendetwas war eben in ihn gefahren. Hatte Marron es auch gespürt? Hatte sie gespürt, was er gefühlt hatte? Hatte sie gespürt, dass er sich gar nicht getraut hatte, sie anzufassen. Jedes Mal, wenn er ihre Haut berührt hatte, durch fuhr es ihm wie eine heiße Lawine, die auf ihn herabzustürzen zu drohen schien. Es waren nur wenige Berührungen und seine Hand brannte immer noch. Er blickte seine Hände ab. Mit diesen Händen hatte er schon so viele Menschen berührt, im Berufleben, wie ihm Privatleben. Aber noch nie war so eine Spannung durch seine Finger gegangen. Noch nie haben sie so angefangen zu glühen. Er fühlte sich ihr vollkommen ausgeliefert. Sie hatte ihn in den Händen. Oh ja, sie konnte mit ihm alles machen. Er hatte keine Kraft gegen sie. War sie nun Jeanne oder Marron, sie war eine mächtige Frau, eine Starke und ungeheuer anziehende Frau auf ihn. Beide waren das. Marron vielleicht noch mehr als Jeanne. Marron war stiller und in sich zurück gekehrter, Dinge, die ihn früher nie gereizt hatten, aber diesmal, das eben hier, war so komisch gewesen, dass er nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Wie gerne hätte er sie geküsst! Wie gerne hätte er ihren Rock höher gezogen und ihre Beine angeschaut, ihre Haut berührt, ja sie einfach nur berührt und angeschaut. Vermutlich konnte er sie gar nicht berühren, denn jede Berührung wäre wie Feuer, er würde sich an ihr verbrennen oder hatte er sich schon längst an ihr verbrannt?! Kapitel 4: Ein Ball zum Ehren ----------------------------- „Chiaki, ich muss mit dir reden.“ Sein Vater hatte nicht mal angeklopft, sondern er war direkt in das Büro seines Sohnes gegangen. Er ahnte irgendwie, dass er seinen Sohn hier alleine finden würde und so war es ja auch schließlich. In letzter Zeit kam er selber kaum noch an seinen Sohn ran und das sorgte ihn sehr. „Vater, du weißt, dass du hier genauso anklopfen sollst, wie jeder andere auch“, sagte Chiaki genervt. Chiaki seufzte. Er war gerade mit ein paar Unterlagen beschäftigt. Aber eigentlich machte er dies freiwillig, alleine aus dem Grund, Marron nicht mehr über dem Weg zu laufen. Es fiel ihm in letzter Zeit immer schwerer, sich zusammen zu reißen. Er wollte sie jedes Mal einfach nur an sich drücken, sie küssen, sie nicht mehr loslassen. Kaiki erschrak ein wenig, als er die dunklen Ringe unter den sonst so strahlenden Augen seines Sohnes sah. „Chiaki.“ Sein Vater schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf den Stuhl vorm Schreibtisch. „Ja, Vater…“ Dieser legte die Akten nun doch zur Seite und blickte seinen Vater fragend an. „Was gibt’s denn so Wichtiges, dass du nicht mal anklopfen kannst oder dass wir uns heute eh zum Mittagessen gesehen hätten.“ Heute war Donnerstag und da trafen sich Vater und Sohn immer zur vereinbarten Uhrzeit in der Krankenhaus-Kantine zum gemeinsamen Mittagessen. Chiaki hatte heute nicht wirklich Lust drauf, wusste aber, dass er hingehen musste, sonst würde sein Vater ihn erst Recht nicht in Ruhe lassen. „Chiaki…“ Kaiki seufzte. War das wirklich noch sein Sohn, der früher lieber Spaß haben wollte und sich nicht um ernste Dinge beschäftigen wollte? Warum war sein Sohn in letzter Zeit so ernst, warum unternahm er nichts mehr mit seinem besten Freund und machten wie früher nicht mehr einen drauf, warum interessierten ihn die neuen Krankenschwestern nicht mehr? Nicht, dass er es mochte, wenn sein Sohn seine Späße wieder mit einer der neuen, ahnungslosen Schwester hatte. Aber so kannte er seinen sonst so fröhlichen Sohn doch. Es musste was vorgefallen sein. „Ich möchte einen Ball.“ „Einen Ball?“ fragte Chiaki noch mal. Was meinte sein Vater damit, wenn er von einem Ball sprach? „Ja, Chiaki ich will einen Ball.“ „Einen Fußball, einen Volleyball oder vielleicht einen Basketball? Golfball?“ Chiaki musste sich das Lachen verkneifen. „Nein, Chiaki, du verstehst mich ganz falsch.“ „Ja anscheinend, Vater“, meinte Chiaki nur ein wenig genervt. Er wollte gar nicht wissen, was sein Vater sich wieder ausgedacht hatte und was er dann zu organisieren hatte. So war es doch immer gewesen. Sein Vater hatte eine Idee und dann hatte er irgendwelche wichtigen Termine und Chiaki musste alles auf die Beine stellen. Er seufzte jetzt schon innerlich. So würde es doch wieder enden. „Einen Tanzball natürlich.“ „Warum?“ „Ich finde, das ist eine tolle Idee. Und wir laden alle ein, den Bürgermeister und William, der Dichter und Mari, die Schauspielerin und…“ „Vater, warum?“ „Warum, das liegt doch auf der Hand.“ Kaiki seufzte. Sein Sohn verstand mal wieder gar nichts. Er wusste noch nicht viel, wie man ein Krankenhaus mit einem so guten Namen auch so führte, dass der Name auch weiterhin gut heißen würde. „Und nebenbei kriegen wir wieder ein paar Spenden für das Krankenhaus zusammen. Es wird also eine Benefizveranstaltung werden. Wie wir jedes Jahr eine machen.“ „Daher weht also der Wind. Wusste ich es doch“, sagte Chiaki seufzend. Es ging nur um den guten Namen der Firma. Um das Fest, was sein Vater oder besser Chiaki jedes Jahr zu organisieren hatte. „Mein lieber Sohn, so schlau du auch sein magst, von gesundem Management und Marketing hast du leider noch zu wenig Ahnung.“ Chiaki seufzte. Ihm war die Rede seines Vaters egal. Er wusste nun, was sein werter Vater wieder für Ideen hatte. Und welche Gründe er auch wieder nannte, Chiaki wusste, dass es nur eine heimliche Singleparty sein würde, wo Chiaki sich doch eine Frau fürs Leben suchen sollte, da sein Vater die ganzen Einladungen verschickte. „Mach, was du willst“, sagte er schließlich. „Gefällt dir meine Idee etwa nicht?“ Kaiki setzte ein beleidigtes und trauriges Gesicht auf. „Mir gefällt der Gedanke nicht, dass zwei Wochen, bevor dein Ball steigen wird, das Krankenhaus so gut wie lahm gelegt ist, weil sich alle darauf vorbereiten wollen und niemand mehr vernünftig seiner Arbeit nachgehen wird.“ „Wie dem auch sei. Ich lade deine Praktikanten auch ein“, sagte Kaiki schon längst beschlossen. Chiaki blickte seinen Vater bei diesem Satz an. Das hieß auch Marron. Ja, natürlich würde sein Vater auch Marron einladen. Sie gehörte ja schließlich zu den Praktikanten. „Sie haben doch alle die Probezeit bestanden?“ Chiaki nickte abwesend. „Ja, dann lade ich sie ein. Diese Marron, die kann bestimmt tanzen…“ Als Chiaki den Namen Marron hörte, wurde er hellhörig. Er blickte seinen Vater an. Er wollte etwas erwidern, aber in dem Moment wusste er gar nicht, was er sagen sollte. „Ich muss arbeiten, Vater. Sag mir Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.“ „Das ist aber toll, mein Sohn, dass du mir Hilfe anbietest.“ Chiaki seufzte. Hätte er das doch bloß nicht gesagt, jetzt hatte er den Salat, wo er doch schon von Anfang an wusste, dass das heute Abend so enden würde. „Ich geh dann mal wieder Chiaki, mein Lieber. Sei fleißig.“ Chiaki nickte nur. „Bis später.“ Und schon war Kaiki aus dem Büro seines Sohnes gegangen und ließ diesen wieder alleine mit seinen Gedanken und seiner Arbeit. Aber vor allem mit neuen Sorgen und neuen Problemen. Chiaki seufzte. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, drehte sich mit dem Stuhl um, sodass er aus dem großen Panorama-Fenster schauen konnte. Er sah über die Dächer der Stadt. Der Anblick, den er früher für so wunderbar und grenzenlos hielt, war heute nur grau und der Anblick schmerzte. „Was soll denn das sein?“ Marron saß auf ihrer Couch und blickte die Karte an, die die Einladung für sie zum Ball des Nagoya-Krankenhauses war. Sie überlegte ernsthaft, warum sie eine Einladung bekommen hatte. Ihr Chef, Chiaki Nagoya, war in den letzten zwei Wochen ziemlich aus dem Weg gegangen und Marron vermutete, dass es mit ihrem Zusammentreffen etwas zu tun hatte, wo er ihren Knöchel eingebunden hatte. Sie seufzte und legte die Karte auf den Wohnzimmertisch. „Marron! Wo bist du denn?“ „Im Wohnzimmer“, antwortete diese nur knapp und wartete schon auf den Engel, der sich auch gleich neben sie setzte. „Was gibt’s denn?“ „Du wirst es mir nicht glauben…“, fing der Engel an. Fynn war außer Atem und versuchte sich erst mal zur Ruhe zu bringen. „Du wirst es mir nicht glauben“, wiederholte Fynn noch mal. „Was werde ich dir denn nicht glauben?“, fragte Marron den kleinen grünen Engel. Sie musste beim Anblick des kleinen Engels lachen. Wie aufgebracht sie doch war. „Access… Er ist auch hier auf der Erde.“ „Und wer ist Access? Den Namen habe ich noch nie aus deinem Mund gehört? Ist er auch so ein kleiner süßer Engel wie du?“ „Süß, von wegen.“ Fynn stand auf und lief auf der Couch vor Marrons Augen auf und ab. „Er ist schlimm und frech. Er ist absolut nicht süß…“ Marron musste nur grinsen, als sie ihre kleine, aufgeregte Freundin sah, wie sie auf und ab lief. „Ist alles okay bei dir, Fynn?“ „Nein ganz sicher nicht… Verstehst du denn nicht?“ Fynn richtete sich nun an Marron. „Wenn Access da ist, dann kriegen wir sicher Probleme.“ „Vielleicht ist er ja der Begleiter von diesem Sindbad, so wie du mein Begleiter bist“, meinte Marron nebenbei. Sie verstand die Sorge von Fynn nicht, sie kannte ja auch diesen Access nicht. Natürlich wusste sie es nicht, aber so doof war der Gedanke ja nicht, da Marron ja auch von einem kleinen Engel zu einer Diebin gemacht wurde. „Marron, das ist kein Witz. Das ist eine ernste Angelegenheit!“ „Fynn, ich mache keine Witze“, sagte Marron. Ihr wurde das gerade ein wenig zu viel. Sie wusste nicht warum sich der kleine Engel so aufregte. Fynn hatte ihr schließlich noch nicht gesagt, wer dieser Access wirklich war und was es mit ihm auf sich hatte. Marron setzte sich auf und nahm noch mal die Einladung zum Benefiz-Ball im Krankenhaus in die Hand. „Was ist das, Marron?“, fragte nun der neugierige Engel. „Das? Das ist eine Einladung für einen Ball.“ „Einen Ball? Einen Richtigen? Mit Tanzen und Musik?“ Marron nickte. „Ich nehme es an. Das Krankenhaus veranstaltet einen Benefiz-Ball und ich bin eingeladen.“ „Das ist wird sicherlich sehr schön“, meinte Fynn und fing an, ein wenig vor sich hin zu träumen. „Tanzen ist etwas Wunderbares.“ Marron seufzte. Sie tanzte auch sehr gerne. Aber nicht auf solchen öffentlichen Veranstaltungen. Sie wusste aus Berichten, dass ganz hohe Leute immer zu diesen Festen eingeladen werden und das hieß Etikette und Anstand. Das war alles nur bestimmt nicht spaßig oder wundervoll. Genervt und mit leichtem Kopfweh, legte sie die Einladung wieder auf den Tisch. Kapitel 5: Ein Ball für Jeanne und Sindbad ------------------------------------------ Drei Wochen später war es soweit. Alles wurde bis ins kleinste Detail geplant und organisiert und auf die Beine gestellt. Der Saal im Krankenhaus wurde bis zum Abend leer geräumt. Am Rand des Saals wurden Tische aufgestellt, dort würde es ein leckeres Buffet geben. Der Boden des Saals wurde extra vorher noch gebohnert und auf Hochtouren gebracht. Der Saal wurde mit roten Samtgardinen verdunkelt, dass nur die neue Innenbeleuchtung den Saal am Abend in Glanz legen würde. Vor dem Saal wurde eine Garderobe errichtet. Personal wurde für den Abend von Zeitfirmen eingestellt, damit alle Ärzte, Schwestern und Pfleger am Ball teilnehmen konnten. Die Musik für den Abend stand auch schon fest. Man hatte eine kleine Band für den Abend ausgewählt, die verschiedene Lieder spielen würden, rockige, ruhige, hippige und langsame. So war für Jeden, der eine Einladung bekommen hatte, Etwas dabei. Wie erwartet, hatte Chiaki am Ende alles alleine auf die Beine stellen müssen, von der Hilfe seines Vater konnte kaum die Rede sein, da er sich für Zwei Wochen auf die Malediven abgesetzt hatte. Na ja, Chiaki hatte am Ende ja gar nichts anderes erwartet gehabt und hatte sich von Anfang an darauf eingestellt, alles alleine zu organisieren, aber er fand es im Nachhinein gar nicht mal so schlecht. So hatte er zumindest immer einen Grund, seinen Assistentsärzten und vor allem Marron aus dem Weg zu gehen. Er konnte ihr momentan nicht gegenübertreten. In ihm waren einfach zu viele Gefühle und Gedanken, mit denen er sich noch nie hatte rumplagen müssen, und diese machten ihm jetzt Angst. Er musste erst wieder zu sich selber finden. Die Feier kam nur schleppend und langsam in Gang. „Chiaki, was hat das hier zu bedeuten?“ Sein Vater war aufgebracht und hielt seinem Sohn zwei Karten hin. „Was ist das, Vater?“ „Lies selber. Warum muss das gerade mir und vor allem heute passieren.“ Kaiki war mehr als nur aufgebracht und als Chiaki die beiden Karten sah, wusste er auch warum, zumindest konnte er es sich denken. „Ich werde mir heute die Schönheit Ihres Bildes holen, gezeichnet Jeanne“, las Chiaki vor. Dann nahm er die andere Karte in die Hand und war selbst überrascht. „Ich werde mir heute die Schönheit Ihres Bildes holen, gezeichnet Sindbad.“ Access, verfluchte Chiaki den kleinen Engel. Warum hatte er ihn noch nicht eingewiesen? Warum wusste er noch nichts davon? Er hatte hier genug zu tun. Chiaki blickte sein Vater an, der immer noch außer sich war. „Vater…“ „Chiaki, mach was.“ Chiaki seufzte. „Ja, Vater. Hör mir zu.“ Er packte seinen Vater an den Schultern, damit dieser ihn anschaute und mal seine Angespanntheit vergaß. „Du hörst mir jetzt zu.“ „Chiaki…“ Kaiki blickte seinen Sohn an und sah, als er in das Gesicht seines Sohnes schaute, wie erwachsen sein Sohn doch geworden war. Wann war er so ernst und so angespannt geworden? Hatte Kaiki einen wichtigen Teil in Chiakis Leben verpasst? Oder hatte er ihn nur schon lange nicht mehr so angeschaut? „Vater, du bleibst ruhig. Wenn du in Panik austrittst, vermasselst du allen die Feier. Deswegen bleibst du ruhig, verstanden?“ Kaiki nickte. „Gut, ruf du die Polizei an, die sollen ihre Einheit „Jeanne“ hierher bestellen, aber sag ihnen, dass es ein Maskenball ist.“ Chiaki seufzte. Was sagte er da eigentlich? Er legte sich gerade selber Steine in den Weg. Aber musste ja den Schein bewahren. Es wäre viel auffälliger, wenn er die Polizei nicht hierher bestellte. Also tat er nur das Richtige. So hoffte Chiaki zumindest. Außerdem machte es ihm so langsam Spaß, sich als Sindbad zu verkleiden. Er freute sich schon allein auf die Nächte als Sindbad, weil er dann die Frau Jeanne wieder sah. „Hast du mich verstanden, Vater?“ Kaiki blickte seinen Sohn an. Er schämte sich ein wenig. Warum blieb sein Sohn so ruhig, es war schließlich sein Krankenhaus, warum blieb Chiaki so ruhig? Er war wirklich erwachsen geworden. Kaiki nickte. Er musste jetzt seinem Sohn wenigstens Anstand und Stärke gegenüber beweisen. „Okay, ich rufe die Polizei an. Wir sagen den Gästen nichts.“ „Genau, ich geh mich um alles Weitere kümmern.“ Chiaki war schon auf den Weg aus dem Saal raus. „Chiaki“, rief Kaiki ihn noch mal. Chiaki drehte sich um. Kaiki lächelte. Sein Sohn sah sehr erwachsen in seinem Anzug aus. Ja, er war erwachsen, er brauchte seinen Vater nicht mehr als Vater, sondern nun noch als Chef, als Leiter des Krankenhauses. Chiaki kam gut alleine klar und dieser Gedanke schmerzte Kaiki sehr. „Du kannst dich auf mich verlassen, Vater“, sagte Chiaki noch und ging weiter. Mit eiligen Schritten. „Das weiß ich doch, mein Sohn.“ Dieser Satz brachte Kaiki nur sehr leise über seinen Lippen. Er überlegte, wann er seinem Sohn das letzte Mal gesagt hatte, dass er stolz auf seinem ihn war und erinnerte sich nicht mehr daran, es war schon lange her. Er musste es ihm nachher oder Morgen sagen, wenn das hier alles vorbei war und die Benefizveranstaltung ohne große Probleme von Statten ging. Kaiki blickte auf die Uhr. Sie hatten noch eine Stunde bis Jeanne und Sindbad hier auftauchen würden. Kaiki eilte in sein Büro, wo er die Polizei anrief. „Wo steckst du frecher Engel?“, fragte Chiaki, als er in sein Büro stürmte. Er war sauer. Er konnte heute nicht als Sindbad, der Dieb, sein Unwesen treiben. Er hatte eine Benefizfeier zu veranstalten und dafür zu sorgen, dass sie mit aller Zufriedenheit ablief. Was dachte sich dieser kleine freche Engel nur. „Access! Verdammt komm raus!“ „Aber du bist sauer auf mich“, hörte er die kleine Stimme des Engels. Er blickte sich im Zimmer um, konnte aber nicht erkennen, woher die Stimme des Engels kam. „Ja, das bin ich Access. Was hast du dir nur dabei gedacht? Ich habe heute genug anders zu tun als dein Handlanger zuspielen.“ „Du bist doch nicht mein Handlanger“, meinte Access empört und kam aus seinem Versteck raus. Das Chiaki ihn provoziert hatte, ahnte Access erst, als Chiaki ihn böse anschaute. „Hab ich dich!“, sagte Chiaki mit einem Grinsen. Doch er ließ es bleiben. Er setzte sich in seinen Stuhl und blickte auf die beiden Karten an. „Ich habe Fynn gesehen und hab gesehen, dass sie eine Karte abgeschickt hat, also musste ich doch auch eine abschicken.“ „Jeanne taucht hier also auf?“ Doch es war keine Frage, auf die er Antwort erwartete. Es war eher eine Feststellung. Er blickte auf die Karte von Jeanne. Irgendwie war er sogar sehr glücklich darüber, dass er sie sehen würde. Auch wenn er das vermutlich nie laut sagen würde, er freute sich sehr, sie wieder zu sehen. So vergaß er wenigstens seinen Stress und seine Sorgen, die er immer hatte. Ja, er freute sich sie wieder zu sehen, vielleicht konnte er es ja heute schaffen, sich mit ihr zu unterhalten. „Gut, was ist zu tun, Access?“ „Du bist mir nicht mehr böse?“ „Das habe ich nicht gesagt. Aber darüber reden wir später. Ich komme ja jetzt eh nicht mehr drum herum, hab ich Recht?“ Er wollte dem Engel mal wieder ein schlechtes Gewissen eintreiben, dass er heute gar nichts dagegen hatte, verheimlichte er dem lila haarigen Engel aber lieber. „Das Bild das ihr im großen Saal aufgehängt habt, ist von einem Dä…“ „Das im großen Saal? Da wo der Ball stattfindet?“ Access nickte. „Ja, das ist von einem Dämonen besessen.“ Chiaki seufzte. Es war doch etwas schwieriger. Wie sollte Sindbad das Bild, ohne die Leute damit hineinzuziehen, holen? Er seufzte. Chiaki stand auf und ging ans Fenster. Die Lichter der Stadt leuchteten und erleuchteten sie, wie jeden Abend. Die Stadt war in ein Meer aus bunten Lichtern gehüllt und das Krankenhaus war heute das Zentrum der Lichter. Es würde wirklich nicht einfach werden. „Vielleicht…“ „Was vielleicht?“ „Ich habe eine Idee, Access. Wir lassen es so aussehen, als wäre es ein Theaterstück?“ „Wie?“ Access verstand gar nichts. „Genau, das ist die Idee. Wir lassen es aussehen, als gehöre es zum Ball. Wir tun so, als sind Jeanne und Sindbad ein Schauspieler-Paar.“ „Aber Chiaki…“ „Das ist eine tolle Idee. Momentan spricht eh jeder von Jeanne und Sindbad. Das wir eine tolle Sensation. So wird das Fest unvergesslich.“ „Aber Chiaki…“ „So machen wir es.“ Chiaki war schon zu fest bei diesem Gedanken, dass ihn die Einwände des kleinen Engels nicht mehr interessierten. Die Idee war wundervoll. Somit hatten die Gäste ihren Spaß, die Benefizveranstaltung würde ein großer Hit werden, der Name des Krankenhauses und der von seinem Vater waren somit auch gerettet und er, er würde Jeanne sehen, also würden alle zufrieden am Ende sein. Diese Idee wurde in seinen Gedanken immer toller. Jetzt durfte nur nichts schief gehen. Marron schaute auf die Uhr. „Marron, bist du soweit?“ Marron nickte. „Ja, lasst das Spiel beginnen.“ Sie hielt ihr Kreuz an ihre Brust und verwandelte sich in der Dunkelheit der Nacht in Jeanne, die Kamikazediebin. „Stark, bereit, unbesiegbar, schön, entschlossen, mutig!“ „Super, Jeanne. Viel Glück!“ Jeanne nickte und sprang nun auf das Dach des Krankenhauses. Sie würde sich von oben, vom Dach, nach unten hinein schleichen. Zumindest war das ihr Plan. Und sie hatte alles überlegt und bedacht. Das gute war, dass sie das Krankenhaus kannte, sie wusste, in welchen Ecken sie sich verstecken konnte, wo sie was fand und wie sie am schnellsten in den Saal kommen würde und wie sie am Besten wieder heraus kommen würde. Sie hatte hier einen Auftrag zu erfüllen, den sie diesmal sehr pflichtbewusst ausführen wollte. Natürlich wollte sie nicht unbedingt den Ball durchmischen und die Laune der Gäste verderben, aber das hier war etwas anderes. Außerdem hatte sie so für sich einen Grund, später oder vielleicht auch gar nicht auf der Feier zu erscheinen. Sie wollte Chiaki nicht unter den Augen treten. „Gut…“, sagte sie, als sie die ersten beiden obersten Stockwerke runter geeilt war. Sie nahm das Treppenhaus. Der Aufzug wäre zwar schneller, aber da würde man sie auch schneller erwischen und im Aufzug war sie in der Falle, da wäre sie ein leichtes Spiel gewesen. „Noch 3dreiEtagen“, sagte sie leise zu sich und schlich sich weiterhin die Treppe herunter. Sie wusste nicht, ob die Polizei alarmiert wurde, aber sie musste sich ja auch vor Sindbad in Acht nehmen. „Wen haben wir denn da“, hörte sie dann auch schon seine Stimme. Sie blickte nach oben und eine halbe Etage über ihr stand Sindbad auf dem Geländer der Treppe und blickte sie an. „Lange nicht gesehen“, sagte er noch. „Ich kann nicht sagen, dass ich dich vermisst habe, Sindbad“, fauchte sie ihn regelrecht an. Sie hatte kein wirkliches Interesse, mit ihm Smalltalk zu führen. Sie hatte hier etwas zu erledigen, das war ihr wichtiger und dann wollte sie so schnell wie möglich hier wieder raus. Sie rannte die Treppen weiter herunter. Sindbad grinste und sprang zu ihr herunter. „Weißt du, an wen du mich erinnerst?“ fragte er sie. Er stand vor ihr und versperrte ihr den Weg. Sie seufzte. „Sindbad… „ „An ein wildes Kätzchen“, sagte er und ging auf sie zu. Als er mit seiner Hand ihre Wange berührte, fiel ihr sofort der Kuss wieder ein. Schnell schubste sie ihn gegen die Wand von sich weg und rannte die Treppe weiter herunter. „Dann werde ich mich auch wie eines benehmen“, sagte sie noch schnell. Sindbad konnte gar nicht anders, er musste grinsen. „Oh Marron… Nein Jeanne. Jeanne, das wilde Kätzchen. Wie gerne würde ich dich mir deiner annehmen, aber lässt du es zu?“ Da hörte er auch schon eine Tür zufallen. Sie war unten, eilig rannte Sindbad ihr nun hinterher. Chiaki hatte Kaiki in seinen Plan eingeweiht. Auch die Polizisten wussten von Chiakis Plan. Jeder hatte eine Aufgabe bekommen. Die Gäste wussten noch von nichts, außer dass es noch eine Überraschung geben würde. Kaiki wartete nun auf die Überraschung. Seine Aufgabe war es, den Scheinwerfer im richtigen Moment auf Jeanne zu leuchten. Chiaki hatte mit eingeplant, dass sie vor ihm den Saal betreten würde. Es lief alles nach seinem Plan. Die Tür ging auf. Die Gäste bemerkten sie nicht, sie tanzten und amüsierten sich weiter. Die Polizisten, die sich verkleidet hatten, blickten jedoch zur Tür. „Da ist Jeanne!“, hörte Kaiki eine Stimme aus der Menge. Das war sein Zeichen. Er schaltete den Scheinwerfer an und plötzlich stand Marron, nein Jeanne, im Rampenlicht des Geschehens. Sie kniff die Augen zu, ihre Augen konnten sich gar nicht so schnell an den Lichtumschlag gewöhnen. Sie hielt ihren Arm hoch, um etwas besser erkennen zu können. Dann sah sie, dass alle Gäste sie anschauten. „Sie sieht ihr verdammt ähnlich!“, „Ich hab sie mir größer vorgestellt!“, „So sieht Jeanne aus?“, hörte sie Stimmen aus der Menge. Was war hier los? Warum blickten Sie sie alle so an? Auf was warteten sie? Die Tür ging wieder auf und Sindbad trat ein. Er stellte sich neben sie. Als sie ihn anblickte, grinste er nur. „Du?“ Sindbad blickte sie an und lächelte. „Willkommen in meinem kleinen Spiel für dich.“ „Was für ein Spiel?“ „Wenn du das Bild haben willst, musst du schon mitspielen.“ Er blickte sie an und sah in ihre lilafarbenen Augen und er konnte darin am liebsten versinken. So tief waren sie. Ja, er würde in ihren Augen regelrecht ertrinken. „Die Leute hier denken alle, dass wir ein Theaterstück aufführen.“ „Was?“ Jeanne war entsetzt. Das konnte doch nicht wahr sein. „Doch, das hier ist ein Spiel.“ Sie war kurz und dran, alles hinzuschmeißen. Aber dann blickte sie wieder auf die Leute. Jetzt verstand sie. Das hatte er sich nur ausgedacht, damit keiner zu Schaden kommt, damit keine Massenpanik ausgelöst wurde. Aber bei so einer Maskerade würde sie nicht mitspielen, welche Ironie, dabei war es doch ein Maskenball. Sie schmunzelte. „Und machst du mit?“ „Ich spiele mit dir keine Spielchen“, sagte Jeanne schnell und zielsicher. Sie sprang mit einem Satz über die Meute. Sindbad schmunzelte. Und wie du mit mir spielst, kleines Kätzchen, dachte er sich nur. Er eilte ihr hinterher. Da alle Welt wusste, das Jeanne und Sindbad Feinde waren, sollte es jetzt hier auch so aussehen, als würden sie sich nichts schenken. Sie würden kämpfen. Jeanne hatte es sich schwerer vorgestellt. Sie stand vorm Bild. Alle Scheinwerfer waren auf sich gerichtet. Sie blickte sich um. Die ganzen Leute blickten sie erwartungsvoll an. Jeanne blickte hoch, Sindbad war schon im Anmarsch. Sie sollte sich beeilen. Sie ließ einen Pin aus ihrer Brosche erscheinen und warf ihn aufs Bild. Doch Sindbad war auch nicht langsam und sah nur unbeteiligt zu. Er hatte seinen Pin gegen ihren geschmissen. So kam keiner der Beiden ans Bild und fielen zu Boden. „Was…?“ Jeanne blickte zu Sindbad. Nun trieb er doch seine Spielchen mit ihr. Sie konnte nicht erkennen, ob er grinste, er hatte sein Tuch wieder vors Gesicht gezogen, aber blickte sie erwartungsvoll an. Nicht mit mir, dachte sie sich. So leicht kommst du mir nicht davon. Sie musste Sindbad vom Spielfeld räumen. Sie warf ihr Seil nach oben, dieses wickelte sich um eines der Balken, sie zog sich hoch mit einem Schwung hoch und stand ihm gegenüber. „Und nun?“, fragte er sie gehässig. Vielleicht war es auch gar nicht gehässig, aber Jeanne kam es in diesem Moment so vor. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. „Du willst also ein Spiel?“, fragte sie ihn und kam auf ihn zu. Der Balken war schmal und sie musste einen Fuß nach dem anderen voran setzen, aber das störte sie gerade nicht, sie blickte auch nicht herunter, um zu schauen, wie tief es von hier oben aussehen würde. Sie wusste, dass alle der Gäste von unten nach oben schauten. Ja, es war ein Theaterstück. Ein verlogenes Spiel. Sindbad spielte mit ihr, und das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. Sie sprang mit einem Satz auf ihn zu. Er erschrak, doch dann spürte er plötzlich Hände auf seinen Schultern. Sie hatte gar nicht vor, ihn zu schubsen, nein, sie sprang über ihn herüber und war nun auf der anderen Seite sicher auf ihren Füßen gelandet. „Na?“, fragte sie ihn fordernd. Doch dann sah sie, dass er grinste. Warum grinste er? Dann wusste sie warum. Er hielt ihre Brosche in der Hand. „Wie?“ „Du hast vergessen, dass ich ein Dieb bin“, sagte Sindbad schnell, zog selber einen seiner Pins und warf ihn nun zum Bild. Jeanne konnte nur Tatenlos mit ansehen, wie das Bild verschwand und der Pin sich zu einer schwarzen Schachfigur entpuppte. Wie unachtsam von mir, fluchte sie innerlich. Wie konnte er es wagen, Jeanne so zu hintergehen und sie so bloß zu stellen, sie kochte. Jeanne nahm ihr Band wieder in die Hand und schwang sich vom Balken. „Jeanne…“ Doch sie reagierte nicht auf Sindbads Stimme, sondern rannte aus dem Saal. Sindbad blickte zu dem Pin und sah, dass Access die Schachfigur an sich genommen hatte. Das reichte Sindbad, er rannte Jeanne hinterher. Er hörte nur noch, wie nach seinem Verschwinden die Gäste Beifall klatschten. Sein Plan war also aufgegangen. Aber warum bedeutete ihm das jetzt nichts? Sindbad sah noch gerade, wie die Tür zum Treppenhaus zuging. Sie wollte also wieder aufs Dach. Er rannte ihr hinterher. An den Aufzug wollte er jetzt gar nicht denken. Es schmerzte, dass man sie so bloß gestellt hatte. Er spielte nur mit ihr. Tränen stiegen in Jeanne auf. Warum tat ihr der Gedanke so sehr weh, dass er nur mit ihr spielte. Wütend und aufgebracht rannte sie die Treppen hoch. Die Schachfigur und die verlorene Brosche waren ihr egal. Es war ihr alles egal. Das tat ihr jetzt gerade nicht so sehr weh. Ja, er war ein Dieb. Ein einfacher Dieb. Wie konnte sie nur… Aus der Puste kam sie schließlich oben an. Sie stand schon am Rand und wollte zum anderen rüber springen, als sie hörte, wie die Tür wieder aufging. Jeanne blickte sich noch mal um und sah Sindbad. Er war ihr gefolgt! Warum? „Jeanne… Warte…“ Seine Stimme klang jetzt nicht mehr so selbstsicher, wie eben im Saal. Welches Spiel spielte er nun mit ihr? Was wollte er noch? Er hatte sie wütend gemacht und blamiert! Was wollte er noch nehmen, ihre Ehre und ihren Stolz hatte er ja schon genommen. Er ging mit langsamen Schritten auf sie zu. Dann hielt er ihre Brosche hoch. Sie blickte ihn überrascht an. „Warum?“ Sie verstand ihn nicht. Warum war er auf der einen Seite so falsch und auf der anderen Seite so nett? Welcher war der wirkliche Sindbad? Wie viele Masken trug er? „Ich weiß, es war nicht fair, aber es ging nicht anders.“ Sie seufzte. Sie stieg von der Brüstung herunter, ging zu ihm und nahm sich ihre Brosche. „Ich wollte dich nicht verärgern.“ „Ich will nichts hören.“ „Aber Jeanne…“ „Nein, wir sind Feinde. Du bist mir keine Rechenschaft schuldig“, sagte sie schnell. Sie wollte wirklich nichts hören. Sie wollte keine falsche Entschuldigung hören. Ja, sie waren Feinde. Sie waren Gegner. Jeanne drehte sich um und rannte wieder zum Rand. Er konnte sie nicht aufhalten, da war sie auch schon verschwunden. Ihre Worte klangen immer noch in seinen Ohren. Ja, Feinde… „Oh Jeanne… Marron… denkst du wirklich so?“ Sindbad seufzte und zog sich die Maske als Sindbad ab. Da stand er nun. Chiaki Nagoya, der Leiter des Krankenhauses, der ein geheimes Leben als Sindbad der Dieb führte. Und er musste sich eingestehen, dass er sich verliebt hatte, ja er hatte sich verliebt. In ein wildes Kätzchen. Kapitel 6: Verzaubernde Tänze ----------------------------- „Chiaki, deine Idee war toll.“ Kaiki klopfte seinem Sohn anerkennend auf die Schulter. „Danke Vater.“ „Du musst mir irgendwann mal sagen, wie du darauf kamst.“ Kaiki blickte in den Saal. „Nachdem die beiden weg waren, klatschten alle Beifall. Sie dachten doch wirklich alle, es war ein Theaterstück.“ Chiaki nickte. Ja, sein Plan war in Erfüllung gegangen. Kaiki merkte, dass sein Sohn in seinen Gedanken abwesend war. Er sah auch ein wenig erschöpft und mitgenommen aus. „Nun solltest du dich aber ein bisschen amüsieren, Chiaki.“ Kaiki war sehr stolz auf seinen Sohn. Er sollte es ihm mal wieder sagen. „Was meinst du?“ „Na los, geh tanzen“, schlug Kaiki vor. Chiaki lächelte. Er hatte nicht wirklich die Lust. Dann sah er, wie die Tür wieder aufging. Wer jetzt wohl noch herein kam? Der Saal war schon mit allen Wichtigen Leuten der Stadt und mit Mitarbeitern des Krankenhauses gefüllt. „Wollen Sie tanzen, Dr. Nagoya?“ Chiaki blickte auf eine Schwester, die vor ihm stand. Ja, vielleicht sollte er ja sagen. Es war schließlich ein Ball, wo man Tanzen sollte. Dann sah er jedoch, wer noch herein gekommen war. Da kam eine wunderschöne Praktikantin herein, nein sie war viel mehr als das. Sie war wundervoll. Sie sah, aus wie die Frau aus seinem Träumen. Das war sein Kätzchen. Sie sah wild und sanft aus, stark und schwach. Sie war einfach wundervoll. Chiaki drängelte sich an der Schwester und all den anderen Leuten vorbei und ging direkt auf sie zu. Sie sah atemberaubend aus, ja sie raubte ihm seinem Atem und all seine Sinne. Marron trug ein schwarzes, seidenes Kleid. Es lag eng an ihrem Körper und betonte jede ihrer Rundungen und ihre Weiblichkeit. Ihr braunes Haar trug sie offen, es lag ihr lockig auf ihren Schultern. Eine weiße Maske verdeckte ihre Stirn bis zur Nasenspitze, aber dennoch erkannte er sie. Marron blickte Chiaki überrascht an, als er vor ihr stand. Sie war gerade erst herein gekommen, hatte noch gar nicht wahrgenommen, wer alles hier war und da stand er schon vor ihr. Als hatte er nur auf sie gewartet. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Aber sie war irgendwie froh, dass er vor ihr stand. Sie konnte es leugnen, wie sie wollte, er war der Grund, warum sie doch zum Ball gegangen war. Auch wenn er ihr die ganze Zeit aus dem Weg gegangen war. Nun stand er vor ihr. Er sagte nichts, sondern schaute sie einfach nur an. Er brauchte gar nichts zu sagen, in seinen Augen lag eine Ruhe und eine Sanftheit, die sie fast verwirrte und verrückt machte. Dann streckte er die Hand nach ihr aus. Er wollte sie zum Tanzen auffordern. Er sagte nicht mal was, aber Marron verstand auch so. Seine braunen Augen verrieten alles. Sie sagten mehr, als ein Wort hätte sagen können. Sie sahen sie fordernd an. Aber nicht zu fordernd, ihnen war auch Schwäche und Angst vor einer Zurückweisung. War das hier noch der Kerl, der Frauen nur als Geliebte hatte? Lächelnd legte sie ihre Hand in die Seine. Sie wusste gar nicht, warum sie es tat. Aber es war, als würde sie es müssen. Als würde man sie leiten, dies zu tun. Als sich ihre Hände berührten, wurde Chiaki plötzlich heiß. Allein die Berührung ihrer Haut auf der Seine, brachte ihn zum Wahnsinn. Sie war die Einzige, die hier spielte. Ja, sie spielte mit ihm, mit seinem Herzen, mit seinem Verstand. Vermutlich sogar ohne, dass sie wusste, welche Macht sie über ihn hatte. Noch nie hatte eine Frau diese Macht über ihn gehabt, sie verwirrte ihn, sie machte ihn verrückt. Sie trieb ihn bloß mit ihren Augen, mit ihren sanften, weichen Lippen in den Wahnsinn und in die Ecke. Doch es war auch ein warmes und angenehmes Gefühl, als sie ihre Hand in die Seine legte. Die ganze Zeit konnte er sich vor ihr verstecken, doch nun hatte es ihn sofort zu ihr hingezogen. Er wollte sie die ganze Zeit schon haben, vielleicht war das hier nun die Chance dazu. Chiaki führte sie langsam zur Tanzfläche. Er wusste nicht, ob er schnell ging und ob es ihm nur so vor kam als würde er langsam laufen, er wusste gar nichts mehr. Alles verschwand um ihn herum. Da war nur noch Sie. Als sie sich gegenüber standen und Chiaki seine rechte Hand um ihre Taille legte und sie ihre linke Hand auf seine rechte Schulter legte und sie sich einfach nur anschauten, nichts sagten, schien es, als würde alle Zeit der Welt stehen geblieben sein. Und sie tanzten. Sie tanzten einfach. Sie tanzten, auch als die Musik aufgehört hatte. Sie brauchten keine Musik, sie tanzten einfach weiter. Immer und immer weiter. In ihren Ohren Musik, die gleiche Musik, die Musik, die ihre Herzen momentan ihnen spielte. Sie brauchten nichts anderes. Das reichte ihnen vollkommen. Sie sagten nichts, sondern blickten sich einfach nur an. Sie blickten sich nur in die Augen. Nirgendwo anders hin. Es war, als hielten sie sich selber in ihren Augenblicken fest. Keiner wagte es, woanders hinzuschauen. Es interessierte auch keinen der Beiden, was um sie herum geschah. Hier waren nur sie. Alles andere verschwand. Es war wie ein Traum, wie ein Zauber. Und sie tanzten. „Kaiki, ihr Sohn scheint sich sehr zu amüsieren?“ Kaiki blickte in das Gesicht vom Bürgermeister. Dann blickte er wieder zu seinem Sohn. Er sah Chiaki immer noch mit Marron tanzen. Was war nur in seinem Sohn gefahren? Er blickte sich ja nicht mal nach anderen Frauen um. War das noch sein Sohn? War das noch derselbe Chiaki, der Frauen immer nach ihrem Po oder ihrer Oberweite bewertet hatte? Es musste an dieser Marron liegen, die verzauberte ihn wohl. Irgendwann drangen Stimmen in ihre Traumwelt durch. Sie merkten, das Lied war vorbei. Oder war es schon das zweite oder das Dritte, das gespielt wurde, ohne dass sie es mitbekamen? Nun standen sie einen Schritt von einander. Ihre Augen waren immer noch in den des anderen gefesselt. Keiner von Beiden wusste so Recht, was hier gerade geschah. Doch Keiner traute, sich den Blick vom anderen abzuwenden. „Marron…“, hörte sie seine Stimme ihren Namen sagen. Oder sagte er es gar nicht, sondern sah sie nur so gebannt auf seinen Lippen und konnte ihren Namen auf ihren Lippen erkennen? Hatte er ihren Namen überhaupt ausgesprochen? Hatte sie nicht seine Stimme gehört oder hörte sie nur den Klang seiner Stimme in ihrem Kopf? Sie berührten sich nicht mehr, doch diese Szene war für beide intensiver, als wenn sie dicht nebeneinander gestanden hätten. Sie sahen sich nur an und zogen sich regelrecht voreinander aus und das nur in ihrem Kopf und das auch ohne, dass einer der Beiden rot anlief. „Chiaki…“, hörten sie plötzlich eine fremde Stimme im Geschehen und diese riss sie aus ihrer Traumwelt heraus. Marron schaute sich um. Um Chiaki und um sie hatte sich eine große Fläche gebildet. Sie waren fast nur noch die Einzigen, die tanzten. Jetzt erst merkte Marron, wie warm es doch im Saal war. „Chiaki, ich muss dich jemand vorstellen.“ Chiaki und Marron blickten auf Kaiki, der Vater und Chef war. Er hatte sie aus der Traumwelt heraus geholt gehabt. Marron drehte sich um ging zum Buffet. Sie musste sich abkühlen und wieder zu sich kommen. Was war da gerade zwischen den Beiden passiert? Das konnte alles nicht wahr sein. „Marron…“, hörte sie noch Chiakis Stimme. Diesmal rief er sie wirklich. Doch sie drehte sich nicht mehr nach ihm um. „Chiaki… komm.“ Chiaki blickte seinen Vater an und seufzte. „Was soll das, Vater?“ Ja, Chiaki war außer sich. Er hatte sich endlich in jemand verliebt. Ja, er hatte sich in jemand verliebt, das war doch immer das, was sein Vater von ihm wollte und nun wollte er das wohl nicht mehr oder wie? „Chiaki, wir reden später darüber. Ich muss dich jemand vorstellen.“ Chiaki seufzte, er blickte noch mal zu Marron, doch diese stand mit dem Rücken zu ihm und blickte ihn nicht an, er ging mit seinem Vater. Auch wenn er gerade nicht wirklich Lust hatte. Er hatte die Sache mit Jeanne und Sindbad gut über die Runde gebracht und auch nur, weil er es wegen dem Ansehen von seinem Vater musste. Warum konnte er nicht jetzt mal das tun, was er wollte. Was tat er hier eigentlich? „Ich muss Ihnen sagen, dass das mit Jeanne und Sindbad eine wundervolle Idee war.“ Chiaki blickte die junge Frau vor sich an. Sie war ungefähr so groß wie Marron. Hatte lange blondgelockte Haare, die ihr wie eine leichte Pracht über Schulter und Rücken hingen. Sie hatte himmelblaue Augen und rotgeschminkte Lippen. Sie trug ein sehr enges, knallrotes Kleid mit weitem Ausschnitt und dazu noch eine Kette, die gekonnt ihren Ausschnitt auch noch betonte und hervorhob. Ja, sie war eigentlich die Sorte von Frau, die Chiaki früher anzog. Aber warum fand er dieses Auftreten dieser Person jetzt so billig und schäbig? Was war mit ihm los? Hatte ihn Marron wirklich so sehr in ihren Bann gezogen? Was war das nur für eine Frau? „Das war eine tolle Idee. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.“ „Wie?“ Chiaki blickte sie fragend an. „Ja, ich bin Lucia Simonetti.“ „Nach einer Italienerin sehen Sie aber nicht aus“, sagte er schnell. „Ja, das stimmt. Meine Mutter ist Deutsche.“ „Schön.“ Das hier interessierte Chiaki doch gar nicht. Er versuchte die ganze Zeit, Marron in der Menge ausfindig zu machen. „Hey, Marron.“ Marron, die ein Glas mit der roten Bohle in der Hand hielt, blickte in das Gesicht ihrer Freundin Miyako. „Dachte du wolltest gar nicht kommen.“ „Ich hab mich eben um entschieden“, sagte Marron knapp. „Liegt bestimmt an unseren Boss.“ Marron blickte Alex an und seufzte. „Nein, bestimmt nicht. Er hat mich zum Tanzen aufgefordert, nicht umgekehrt.“ „Ja, das haben wir gesehen“, sagte Alex und zwinkerte ihr zu. Marron seufzte nur und stellte das Glas auf den Tisch. „Ich glaube, ich gehe auch wieder“, sagte Marron. Sie fühlte sich unwohl. Der Saal war stickig und ihr war viel zu warm. Und all die fremden Menschen, die sie gar nicht kannte. Sie war froh, dass wenigstens Miyako da war. „Nein, du kannst noch nicht gehen.“ „Mir ist es hier aber viel zu warm und zu stickig“, sagte Marron und hob die Haare kurz aus ihrem Nacken, wo sie schon ein bisschen klebten. Das hasste Marron. Deswegen trug sie ihre Haare auch auf der Arbeit nie offen. Sie hasste es, wenn ihre Haare im Nacken zu kleben begannen. „Ich geh ein wenig aufs Dach. Ich brauche ein bisschen frische Luft.“ Miyako nickte. „Aber nicht, dass du ganz abhaust.“ „Nein, mach ich schon nicht“, sagte Marron mit einem Lächeln und ging zur Tür. Sie blickte noch mal zu Miyako und Alex, die immer noch am Buffet standen und sich unterhielten. Marron verließ den Saal, ohne ihren Blick weiter schweifen zu lassen. Sie ging zum Aufzug, drehte sich noch mal um und blicke zur Eingangstür und überlegte, ob sie nicht doch lieber ganz gehen sollte, doch dann drückte sie auf den Knopf. Als Chiakis Blick wieder durch den Saal wanderte, suchend nach Marron, erblickte er sie aber nirgends. „Wollen wir nicht was trinken gehen?“ Chiaki blickte Lucia an. Diese Frau ging ihm auf den Keks und nervte ihn, verstand sie denn nicht, dass er kein Interesse an ihr hatte. Er seufzte, schob sie zur Seite. „Nein, lieber nicht“, sagte er noch schnell und ging an ihr vorbei. „Aber Chiaki…“, hörte er noch die empörte Stimme seines Vaters. Chiaki drehte sich um und blickte ihn an. „Wo willst du hin, Chiaki?“ „Ich hab etwas zu erledigen, Vater“, meinte er nur knapp. Und Kaiki wusste, was er noch zu erledigen hatte und er hatte nicht mal Worte, die seinen Sohn davon abhalten sollten. Ja, diese Marron faszinierte seinen Sohn, sie fesselte ihn an sich. Und so schlecht es doch klang, war Kaiki sehr froh darüber. Vielleicht würde Chiaki jetzt endlich lernen, was es hieß, zu lieben. Ja, sein Sohn würde in Marron endlich die Liebe kennen lernen. Kaiki lächelte. Marron stand an der Brüstung auf dem Dach des Krankenhauses. Wie oft war sie schon während ihrer Arbeitszeit hier hoch gekommen, einfach nur um mal kurz frische Luft zu schnappen und das tat sie nun auch. Im Saal war es zu stickig und zu warm für sie auf einmal geworden. Außerdem musste sie über ihre Begegnung mit Chiaki nachdenken. Sie hatten getanzt. Aber es war nicht nur ein einfacher Tanz gewesen, nein, da war eine enorme Spannung zwischen den Beiden gewesen. So etwas hatte Marron noch nie gespürt gehabt. Sie wusste nicht, was sie nun denken oder tun sollte. Hatte nur sie das gedacht oder er vielleicht auch. Was dachte er überhaupt über sie? Marron lehnte sich an der Brüstung zurück und atmete tief ein. Das wuchs ihr alles über den Kopf. Das verwirrte sie einfach viel zu sehr. Das war irgendwie alles Neuland für sie. Natürlich war sie schon mal verliebt gewesen, aber diese Spannung, die war ihr einfach nur neu und fremd. Langsam merkte sie, wie sie zu frieren begann, sie hatte eben doch nur ein einfaches Kleid an. Und die Aufgabe von solchen Kleidern war es bestimmt nicht, die Frauen darin zu wärmen, sondern eher die Reize der Frauen spielen zu lassen. Sie spürte, dass Jemand seine Jacke auf ihre Schultern legte. Überrascht drehte sie sich um und blickte in das sanfte Gesicht von Chiaki Nagoya. War sein Gesicht schon immer so sanft gewesen? Sie wusste es nicht. Er gesellte sich neben sie. Wieder sagte keiner etwas. „Marron… Ich…“, wollte er es nach einer Weile dann doch anfangen. Aber er wusste eh nicht, was er sagen sollte. In ihm waren so viele große Gedanken, die er nicht in Worte fassen konnte. >Marron, du bist die Liebe meines Lebens<, >Marron, komm mit mir und ich zeig dir meine Welt<, >Marron, bleib immer bei mir. Du bist die erste Frau, die ich liebe<. Aber er konnte nichts davon sagen. Sie blickte ihn einfach nur an. Chiaki spürte wieder diese Sehnsucht in seinem Körper, als er sie anblickte und als er ihre lieblichen Lippen sah und ihre sanften Augen. Sie hatte ihre Maske abgenommen gehabt und so sah er ihr ganzes wundervolles und schönes Gesicht. Es war vollkommen schön. Es hatte klare und sanfte und zugleich liebliche Züge. „Das war ein sehr schöner Tanz“, sagte sie letztendlich nur und sie hätte sich selber dafür ohrfeigen können. Da hätte sie genauso gut, über den schönen Himmel reden können. Chiaki war sprachlos. Er wusste nicht, was er sagen sollte. In ihm war so viel, aber er konnte es nicht in Worte fasen. Keines dieser Gefühle trat über seine Lippen. Marron ging zwei Schritte zurück und lehnte sich an die Wand an. Chiaki blickte sie fragend an. Er wusste nicht, warum er es tat, aber er ging auf sie zu. Sanft und zärtlich streichelte er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er streichelte über ihre Wange. Er hatte vermutlich noch nie jemand so zärtlich berührt. Aber seine Haut brannte regelrecht auf, als er sie berührte. Marron konnte nichts sagen, sie blickte ihn einfach nur an. Sie schob ihn nicht von sich, sie sagte nicht, dass er sie in Ruhe lassen sollte, sie blickte ihn einfach nur an und beobachtete ihn, was er tat. Was er mit ihr tat. Sie konnte nicht mal weglaufen, hätte sie das gewollt. Nein, ihre Knie waren ganz weich geworden. Sie hielt sich gegen die Wand, damit sie nicht umfiel. Sie blickte in seine braunen Augen und wusste nicht, was sie sagen sollte. Seine Augen waren so sanft und so liebevoll. Und sie wusste nicht einmal so richtig, wer da wirklich vor ihr stand. Als sein Daumen über ihre Lippen strich, blickte sie überrascht in seine Augen. Doch er blickte gar nicht in die Ihren. Sondern er blickte auf ihre Lippen. Und Marron konnte gar nicht anders, als die Augen zu schließen. Seine Lippen berührten liebevoll, nahezu vorsichtig ihre Lippen und küssten sie, zuerst vorsichtig und sanft, als hätten seine Lippen Angst, die ihren zu berühren, dann verschlossen sich die Lippen zu einem Kuss. Und diesmal küsste er nicht Jeanne, diesmal küsste er die Frau, die die wirkliche Jeanne war. Diesmal küsste er Marron. Marron Kusakabe! Kapitel 7: Nur ein Sonntag -------------------------- Der Wecker klingelte und Marron fühlte sich schrecklich, als sie am nächsten Morgen aufwachte. Die Sonne war zu grell, der Wecker zu laut, sie hatte Kopfschmerzen. Ihr tat alles weh. Dann versuchte sie sich an den gestrigen Abend zu erinnern. Er war lang gewesen. Schon als sie als Jeanne unterwegs war, war er lang und anstrengend gewesen. Sie wurde zu einer Schauspielerin gestern Abend gemacht. Sindbad hatte sie bloß gestellt und mit ihr gespielt. Und dann war noch der Abend auf dem Ball. Der Ball, auf dem sie als Marron auftauchte. Chiaki hatte mir ihr getanzt. Dann fiel ihr wieder der Kuss ein. Erschrocken schreckte sie hoch. Sie schaute sich erschrocken um. Sie war in ihrer Wohnung. Wenn sie auch nicht mehr wusste, wie sie her kam. Und sie lag alleine in ihrem Bett. Wie war sie in ihre Wohnung gekommen? Sie hatte einen Filmriss. Vermutlich hatte sie zu viel von der roten Bowle getrunken. Mit Kopfschmerzen legte sie sich wieder auf ihr Kissen und versuchte den Gedanken an den Kuss mit Chiaki aus ihrem Kopf zu vertreiben. Aber er war da. Der Gedanke! Der Kuss! Seine Sanftheit! Chiaki war in ihrem Kopf! Wie sollte sie denn am Montag wieder auf die Arbeit gehen können. Wie sollte sie ihm denn als Praktikantin ins Gesicht schauen können, jetzt, wo sie sich geküsst hatten. Was war da genau passiert? Sie erinnerte sich nur noch an den Kuss und danach war irgendwie alles verschwommen. Wie war sie noch mal nach Hause gekommen? Sie wusste es nicht. Marron drehte sich im Bett noch mal und schaute auf den Wecker. Es war Sonntag, 9:00 Uhr Früh. Sie hatte vergessen, den Wecker ganz auszustellen. Was jetzt aber auch egal war. Ihr war nach einer Dusche. Irgendwie fühlte sie sich nicht gerade fit. J a, Marron, du hast einen Kater, sagte sie zu sich selber. Mürrisch und schlapp stand sie auf und schlurfte sie in das Badezimmer. Der kleine Engel, der auch durch ihren Wecker aufgeweckt wurde, hatte sie links liegen gelassen. Auch die Guten-Morgen-Wünsche hatte sie vollkommen überhört gehabt. Zu sehr war sie in ihrem Gedanken gewesen. Als sie dann auch noch dem Engel die Badezimmertür vor die Nase zu donnerte, reichte es dem kleinen Engel. Fynn war wütend. So kannte sie ihre Marron gar nicht. Was war nur los mit ihr? Es muss irgendwas vorgefallen sein, da war sie sich sicher. Und sie wollte das herausfinden. Und sie würde es auch herausfinden, sie war schließlich Fynn Fish, ein Engel. Sie würde schon aus Marron raus kitzeln, was sie so mürrisch gemacht hat. Gut, Marron war nie ein Frühaufsteher, ein Morgenmuffel war sie schon immer ein wenig gewesen, aber so abwesend hatte Fynn sie noch nicht erlebt. Marron schaute auf die Uhr. Sie hatte noch eine Viertel Stunde. Dann würde sie abgeholt werden. Ariane, eine gute Freundin von ihr, wollte mit ihr einen Schaufensterbummel machen. Eigentlich wollten sie gestern richtig einkaufen gehen, aber Marron musste schließlich doch kurzfristig eine Schicht übernehmen und abends war der Ball gewesen, da war dafür leider keine Zeit mehr gewesen. Ihr Kopf brummte nicht mehr ganz so schlimm. Eine Thomapyrin wirkt doch Wunder. Sie lächelte ein wenig. „Fynn…“ Den kleinen Engel hatte sie ganz vergessen gehabt. Dieser kam auch schon sofort zu Marron in die Küche geflogen. „Was gibt es denn Marron?“ Sie strahlte ihre Freundin regelrecht an. Sie durfte sich nichts von ihrem Plan anmerken lassen. Sie musste vorsichtig mit den Fragen sein. Sonst würde Marron den Braten riechen. „Tschuldigung, ich fühle mich nicht so gut.“ „Macht doch nichts.“ Nun setzte sich Fynn auf den Tisch und blickte sie an. „Aber erzähl doch mal, wie war der Ball?“ Marron seufzte und fuhr sich ein wenig genervt durch die Haare. „Gute Frage. Ich erinnere mich an nicht sehr viel.“ „Was meinst du damit?“ „Ich hab wohl zu viel von der Bowle getrunken. Und hab einen kleinen Filmriss. Ich weiß zum Beispiel gar nicht, wie ich nach Hause gekommen bin. Kannst du mir was dazu sagen?“ „Ja, du wurdest nach Hause gebracht.“ „Wie bitte?“ „Ja, von einem jungen Mann. Der hat dich ins Bett getragen, dir die Schuhe ausgezogen und dir die Sachen ausgezogen. Ist dann aber auch bald wieder gegangen.“ „Ein Junger Mann? Dass war bestimmt Tomoki. Hatte er braune Haare?“ „Nein, braun waren seine Haare nicht. Ich würde eher blau sagen“, sagte Fynn ohne zu merken, was sie dabei bei Marron innerlich anrichtete. „Chiaki hat mich nach Hause gebracht?“ „Wer ist denn Chiaki? Er hatte blaue Haare. Wenn er das ist! Wer ist das?“ Marron seufzte. Sie wollte nicht an ihn denken und auch nicht über ihn reden. Warum hatte er sie bloß nach Hause gebracht? Marron dachte darüber nach, wie sie aufgewacht war, sie lag nur in Unterwäsche in ihrem Bett. Er hatte sie ausgezogen bis zur Unterwäsche. Er hatte sie also fast nackt gesehen. Er hatte seine Praktikantin fast nackt gesehen. Marron lief rot an. Dann blickte sie zu Fynn, weil ihr einfiel, dass sie ja nicht alleine in der Küche war und als sie den bohrenden Blick des Engels sah, riss sie sich zusammen. Sie trank noch einen Schluck von ihrem Orangensaft, den sie in einem Glas vor sich stehen hatte und stand auf. „Ich bin mit Ariane verabredet.“ „Darf ich mitkommen?“, fragte Fynn. Sie wusste Marrons Antwort eh schon, fragte aber dennoch noch mal. Marron war damit einverstanden, dass Fynn draußen rum flog, weil sie eh keiner sehen konnte. Aber sie wollte sie nicht mitnehmen, wenn sie auf die Arbeit oder sonst wo hinging. Sie wollte nämlich nicht erwischt werden, falls sie mal mit einem Engel, den eh niemand sah, reden würde. Man würde sie für verrückt halten und dem wollte sie aus dem Weg gehen. Marron seufzte und ging aus der Küche. Fynn seufzte ebenfalls. Sie wusste inzwischen, dass es etwas mit diesem Chiaki zu tun hatte. Deswegen war Marron so drauf. Marron kannte Ariane schon sehr lange. Sie hatten sich während des Studiums kennen gelernt. Sie hatten in einem gemeinsamen Kurs für behinderte Kinder gearbeitet. Ariane hatte aber nicht Medizin, sondern Sozialpädagogik studiert. Vom Äußeren her war Ariane vermutlich eine Traumfrau für jeden Mann. Sie war groß, hatte lange blonde Haare, helle blaue Augen und einen großen Vorbau. Wer sie nicht kannte, würde nie darauf tippen, dass sie lieber mit behinderten Kindern arbeitete als sich mit Menschen oder Männern ihres Alters zu umgeben. Sie war eben ein wenig anders und das mochte Marron so an ihr und deswegen verstanden sie sich auch direkt auf Anhieb. Und deswegen hielt die Freundschaft wohl auch schon seit über fünf Jahren, manchmal langte es schon, wenn sie einfach ein Wort sagten und der andere verstand sofort was in dem anderen vor sich ging. Marron hatte Ariane das letzte Mal vor drei Monaten gesehen. Die Arbeit im Krankenhaus, nebenher noch lernen und noch als Diebin unterwegs zu sein, sorgte nicht gerade dafür, dass Marron über einen freien Terminkalender verfügte, aber heute klappte es zum Glück. Marron kam wie vereinbart zur Eisdiele, wo sie sich bei dem schönen Wetter treffen wollten. Sie hatte sich eine Sonnenbrille angezogen, weil die Sonne doch ziemlich grell war und das bei einem Kater. Doch als sie sah, neben wem Ariane saß, wollte sie gerade umdrehen und wieder nach Hause in ihr Bett gehen. „Marron.“ Ariane war aufgestanden und winkte ihrer Freundin zu. Seufzend, da sie doch gesehen wurde, ging sie zu dem Tisch, an dem ihre beste Freundin Ariane und ihr Boss, Chiaki Nagoya saßen, die Person von der sie heute nichts hören wollte und schon gar nicht sehen wollte. Marron umarmte Ariane und blickte dann Chiaki fordernd an. Sie war sauer auf ihn. Er hatte sie schließlich fast nackt gesehen. Außerdem war da noch dieser Kuss. Auch wenn er himmlisch war, es hätte nicht sein dürfen. Sie war auf ihn sauer und warum saß er hier? „Hallo Marron“, sagte er lächelnd. Doch Marron war nicht nach Lachen zu mute. „Marron, der nette Mann hier…“ Sie zeigte auch Chiaki. „Marron, setzt dich doch erst mal“, sagte sie schließlich, da sie sah, dass sie immer noch stand. Nur widerwillig setzte sich Marron an den Tisch. Sie musste sich eine Strategie einfallen lassen, sonst würde der schöne Sonntag nicht mehr so schön sein. „Also er hat mich angesprochen und gefragt, ob er sich zu mir setzten kann, weil kein Tisch frei war. Und dann kamen wir ins Gespräch und dann sagte er mir, dass er in deinem Krankenhaus arbeitet.“ „Es ist nicht mein Krankenhaus“, verbesserte Marron ihre Freundin und versuchte Chiaki nicht anzuschauen. „Ja, wie dem auch sei. Und dann sagte ich noch, dass er doch warten soll, bist du her kommst. Ist doch toll oder? Was für ein Zufall, deinen Chef hier zu treffen. Du hast gar nicht gesagt, dass er so nett ist.“ Ariane strahlte regelrecht. „Ja, was für ein Zufall.“ Irgendwie wollte es Marron nicht aus dem Kopf gehen, dass Chiaki das hier alles geplant hatte. Aber woher hätte er von dem Treffen mit Ariane wissen sollen? Hatte Marron es ihm vielleicht gestern in ihrem betrunkenen Zustand erzählt? Sie seufzte. Vermutlich. Marron Kusakabe, du trinkst keinen Alkohol mehr, sagte sie zu sich selber. Am besten gehst du gar nicht mehr auf solche Veranstaltungen, dann kommst du auch gar nicht erst in die Verlegenheit. Das hast du nun davon, dass du von Anfang an gar nicht hin gehen wolltest. Chiaki lächelte Marron an. Doch sie ignorierte ihn. Und ihn machte es weiterhin Spaß, sie anzuschauen und zu beobachten. „Also Marron, was möchtest du bestellen?“ Marron funkelte ihn böse an. Er wagte es doch wirklich, sie anzusprechen. Nach all dem. „Nichts. Aber danke sehr“, versuchte sie dennoch freundlich zu bleiben. Sie blickte wieder zu Ariane. „Wollen wir nun bisschen durch die Stadt laufen?“ „Aber Marron, lass uns doch noch ein bisschen mit dem netten Mann unterhalten.“ „Genau, Marron.“ Chiaki lächelte. Marron seufzte. Sie saß in der Falle. Super, dachte sie sich. „Also was möchtest du bestellen?“ „War ein schöner Tag. Marron, ich ruf dich später noch mal an.“ Marron nickte ihrer Freundin zu und schon war sie verschwunden. Sie stand mit dem Rücken zu Chiaki und machte sich auf den Weg nach Hause. Sie wollte kein weiteres Wort mehr mit ihm reden. Morgen würde sie ihn auf der Arbeit sehen, dort müsste sie eh wohl oder übel mit ihm reden, aber nicht mehr heute. „Marron…“ Er folgte ihr. „So warte doch. Lass uns reden.“ Sie schüttelte nur den Kopf ohne sich zu ihm umzudrehen. Sie wollte nicht mit ihm reden. „Lass uns doch in Ruhe darüber reden, was gestern passiert ist.“ Nun blieb sie doch stehen. Sie seufzte. Aber sie wusste, dass sie sich der Situation stellen sollte. „Gestern ist nichts passiert“, sagte sie dann schnell. Es durfte nicht passiert sein, redete sie sich ein. Er war schließlich ihr Chef. Sie arbeiteten zusammen. Das würde auf kurz oder lang nie gut gehen. Das wusste sie. Deswegen wollte sie es so früh wie möglich beenden. Sie spürte plötzlich eine Hand, die nach der ihren griff. Sie blickte auf die Hand und blieb stehen. Es lief ihr heiß und kalt den Rücken herunter. Es war genau das gleiche Gefühl, als er sie gestern Abend auf den Dach berührt hatte. Und nun stand sie mit dem Rücken zu ihm. Sie blickte ihn nicht mal an, warum war wieder dieses warme Gefühl in ihr. „Marron…“ Seine Stimme klang sanft. Sie zitterte nicht, auch wenn er sich selber so fühlte, als würde er zittern. „Chiaki… Lass …“ „Nein, ich kann es nicht lassen.“ Er drehte sie zu sich um. Er wollte nicht mehr mit dem Rücken von ihr reden. Chiaki wollte sie anschauen, er wollte ihre Mimik, ihre Reaktion sehen. „Ich kann es nicht lassen“, setze er noch mal sanfter nach. Erschrocken blickte sie ihn an. Sie hatte mit so einer überraschenden Reaktion nicht gerechnet. Sie wusste nicht, wo sie hinschauen sollte, was sie machen sollte und immer noch war seine Hand um der ihren. Sie konnte nicht gehen, er hielt sie fest. Aber sie wusste, dass sie auch so nicht gehen konnte. Ihre Knie wurden weich. Sie durfte das alles hier aber nicht zulassen. „Bitte…“ Sie durfte es nicht zulassen. „Marron, für mich war das gestern etwas Besonderes.“ Mit geweiteten Augen blickte sie ihn an. Hatte er das wirklich zu ihr gesagt? Sie traute ihren eigenen Ohren nicht. War das Chiaki Nagoya, der Chefarzt, dem man zusagte, dass er mit jeder Schwester schon was gehabt hatte? Oder war das vielleicht nur seine Masche? Vermutlich. „Chiaki, bitte.“ Ihre Stimme klang nun stärker. Nicht mehr bittend und flehend. Für sie war es klar, dass es nur eine Masche von ihm sein musste, sie rum zu kriegen. Was sollte er sonst von ihr? Sie war nicht besonders hübsch und intelligent vermutlich auch nicht. Was wollte er schon von ihr? Und sie selber wollte bestimmt keine Affäre mit ihren Chef haben. „Warum?“, fragte er sie nun bittend. Er verstand sie nicht. Warum ließ sie ihn nicht an sich ran? Wovor hatte sie so sehr Angst? Hatte sie überhaupt Angst? Was war es sonst, was sie so handeln ließ? „Ich will das hier nicht.“ Sie blickte ihn ein wenig sauer an und entriss ihm ihre Hand. „Ich will das hier nicht.“ „Was willst du nicht?“ „Eine Affäre mit meinem Chef“, schrie sie ihn beinahe an. Sie wollte nicht schreien. Aber er provozierte sie einfach dazu. Sie seufzte, drehte sich um und ging. Perplex blieb Chiaki stehen. Was hatte sie da gerade gesagt? Eine Affäre? Wie kam sie auf so etwas? Marron war schon längst mehr als das? Sie war mehr als eine einfache Bettbekannte. Er wollte, dass sie mehr war. Es war das erste Mal, dass er sich mehr vorstellen konnte als eine Affäre. Das wollte er nicht verlieren. Dieses warme Gefühl in ihm war wundervoll. Es durchströmte ihn und es fühlte sich toll an. Das wollte er nicht verlieren. Er rannte ihr hinter her. „Marron.“ Sie blieb nicht stehen. „Ich will auch keine Affäre.“ Nun blieb sie stehen. Kapitel 8: Eine Chance? ----------------------- Marron stand immer noch wie angewurzelt mitten in der Fußgänger-Passage. S ie stand mit dem Rücken zu ihm. Sie konnte ihn nicht anschauen. Waren das eben wirklich seine Worte gewesen? Hatte er wirklich gesagt, dass er keine Affäre wollte? Wie konnte sie ihm denn trauen? Sie spürte wieder die Hand, die nach der ihren Griff. Ihr fiel der Tanz ins Gedächtnis. Der Tanz mit Chiaki, wo sie alles drum herum vergessen hatten. Da waren plötzlich nur noch sie im ganzen Tanzsaal gewesen. Sogar die Musik war verschwunden. Es war eine unendliche Stille gewesen, als sie sich berührt hatten, als sie getanzt hatten. Sie wusste nicht mal mehr, wie lange sie eigentlich getanzt hatten. Es war lange. Oder war es doch kurz? Sie wusste es nicht. Sie blickte auf die Hand. Sie ruhte um die ihrer. Er sagte nichts mehr. Auch sie konnte nichts mehr sagen. Sie stand ihm immer noch mit dem Rücken zu. Dann war da dieser Kuss. Zwischen ihnen stand ein Kuss. Der eigentlich nicht hätte sein dürfen. Ein Kuss zwischen einem Chef und seiner Angestellten. Ein Kuss zwischen einem Mann, der jede Frau in seinem Krankenhaus hatte und zwischen einer Frau, die an die wahre Liebe glaubte, aber keinen Mann an sich heran ließ. Sie waren so verschieden. Sie kannten sich gar nicht. Aber als ihre Lippen sich berührten. Ein riesiges Feuer bildete sich auf ihren Lippen. Der Kuss war heiß. Er strahlte eine Wärme aus. Er verwirrte sie in dem Moment noch mehr. Es war kein normaler Kuss gewesen. Er hatte was bedeutet, da konnte sie sagen,was sie wollte. Er hatte sie um den Verstand gebracht, der Kuss, der Tanz, dieser Mann. Diesen Abend würde sie nie vergessen. Auch wenn da immer noch die Blamage gegen Sindbad war. Er hatte sie ausgetrickst, hatte mit ihr gespielt. Als sie Chiaki dann sah, und wie er sie ansah, war alles vergessen. Da waren dann plötzlich keine Gedanken mehr über einen Sindbad. Da war nur noch Chiaki. „Marron…“ Er sprach ihren Namen gar nicht aus. Ihr Name lag auf seiner Zunge, aber er sprach ihn nicht aus. Er rollte ihn über die Zunge, spürte jeden einzelnen Buchstaben. Spürte die Wärme, die bei diesem Namen bei ihm ausgelöst wurde. So etwas hatte er noch nie gespürt gehabt. Sie verwirrte ihn. Er wusste inzwischen, dass sie soviel mehr war. Mehr als nur eine einfache Frau. Mehr als nur eine Frau, die er nur in sein Bett zerren wollte. Ja er wollte sie. Er wollte sie ganz. Er wollte sie spüren, er wollte sie küssen, er wollte sie streicheln, er wollte sie liebkosen, er wollte sie lieben. Er wollte sie immer bei sich haben. Er wollte ein Bild von ihr auf seinem Schreibtisch stehen haben. Er wollte allen zeigen, dass er in diese Frau verliebt war. Aber dazu musste er an diese Frau erst mal ran kommen. Und sie war ein harter Brocken. Außerdem hatte er noch ein Geheimnis. Ein Geheimnis über sie. Er wusste, dass sie Jeanne war. Aber das konnte er ihr nicht so einfach sagen. Er wusste zwar nicht, wie sie reagieren würde. Aber Chiaki wusste, dass er erst mal Marrons Vertrauen für sich gewinnen sollte. Er schaute auf seine Hand, schaute auf ihre Hand. Sie schüttelte seine Hand nicht weg. Sie war stehen geblieben. „Marron…“ „Chiaki…“, mehr konnte sie noch nicht über ihre Lippen bringen. „Ich will dich kennen lernen.“ „Du weißt, wer ich bin. Ich bin deine Praktikantin.“ Chiaki seufzte unhörbar. Ja, das wusste er. Das war auch der Grund, warum er ihr in letzter Zeit so oft aus dem Weg gegangen war. Er wusste, dass es nicht Recht war. Aber er hatte sich in sie verliebt. Er hatte sich zum ersten Mal in eine Frau verliebt, warum sollte er sich nun noch an Regeln halten müssen. Nein. „Das ist mir egal.“ „Wie stellst du dir das vor?“ Es fiel ihr leicht, die Fragen zu stellen, solange sie mit dem Rücken zu ihm stand. Sie wollte ihn nicht ansehen. Weil sie noch ein wenig standhaft bleiben wollte. „Ich stelle es mir wundervoll vor.“ Er lächelte. Er wusste, dass sie nicht das hören wollte. Sie antwortete nicht darauf. Sie stand immer noch mit dem Rücken zu ihm. Er hörte sie seufzen. „Ich will es versuchen. Ich will alles dafür tun, dass wir eine Chance bekommen.“ Marron drehte sich nun zu ihm und blickte in seine braunen Augen. „Chiaki…“ Sie wusste nicht recht, wie es formulieren wollte. Momentan wusste sie generell sehr wenig. Wenn er da war, war alles so konfus. „Chiaki… Wie soll ich dir glauben, dass du keine Affäre willst mit mir? Woher soll ich wissen, dass du nicht deine Spielchen mit mir treiben willst?“ Chiaki schluckte. Er ahnte, dass seine Vergangenheit ihr zu suspekt erschienen würde. Und er würde genauso fragen. Er hatte nun mal keine Beziehungen gehabt. Woher sollte sie also wissen, dass er es mit ihr ehrlich meinen würde. Er verstand sie ja. „Lass es mich dir zeigen. Lass mich dir zeigen, dass ich es ernst mit dir meine.“ Sie lächelte. Sie wusste, dass er nicht anderes hätte sagen können. Ein Versprechen wäre hier fehl am Platz gewesen, also war dies doch die richtige Antwort. Aber wirkliche Sicherheit gab sie ihr dennoch nicht. Aber vielleicht sollte sie mal was riskieren. Vielleicht sollte sie diesen strengen Zopf mal loswerden und mal was riskieren, mal spontan sein. Mal ein Abenteuer eingehen. Vielleicht. Chiaki blickte sie immer noch erwartungsvoll an. Sie lächelte. Diesmal wärmer. „Heißt das, du willst uns auch eine Chance geben?“ Sie nickte. „Warum nicht?“ Sie sah sein strahlendes Gesicht. Ja, vielleicht sollte sie ihm wirklich eine Chance geben. Vielleicht sollte sie sich eine Chance geben. „Aber vermassele es nicht“, fügte sie noch hinzu. Er nickte. „Ja, um nichts auf der Welt würde ich das vermasseln wollen.“ In ihm erstrahlte eine neue Welt. Er fühlte sich glücklich. In ihm war plötzlich eine neue Energie von Glück entstanden. Sein ganzer Körper fühlte sich so leicht an. Als ging diese Energie, die er durch sie bekam, in jede einzelne Zelle seines Körpers, befüllte sie mit Glück. Ja, er war glücklich. Er erinnerte sich gar nicht, jemals so eine Menge an Glück in seinem Leben gespürt zu haben. Sie lächelte. Und allein ihr Lächeln machte ihn glücklich. Was war das nur für eine Frau? „Und nun?“, fragte sie ihn erwartungsvoll. Sie standen schließlich immer noch mitten in der Fußgänger-Passage. „Wollen wir uns irgendwo hinsetzen? Was Trinken? Ist doch ganz schön warm, oder?“ Seine Fragen kamen schnell und er hatte selber Angst, dass er sich mit den Wörtern überschlug, aber dieses Gefühl in ihm… Er konnte es noch gar nicht glauben. Er hatte so etwas noch nie gefühlt. Marron lächelte. Es war irgendwie lustig und interessant, ihn so zu sehen. Das war ein ganz neuer Chiaki, diesen hier kannte sie noch gar nicht. Sie hatte den Aufreißer, den Macho, den ernsten Arzt, den Chirurg, den Tänzer kennen gelernt, aber ihn hier, den kannte sie noch nicht. Aber sie wollte ihn sehr gerne kennen lernen. Kapitel 9: Worte tun weh! ------------------------- Marron hatte einen anstrengenden Morgen gehabt. Nicht, dass sie die Nacht mit Chiaki durchgemacht hatte. Nein, er hatte sie brav nach Hause gebracht, sich von ihr wie ein Gentleman verabschiedet und gesagt, dass er sich darauf freuen würde, wenn er sie mal zum Essen einladen dürfte. Er war nicht aufdringlich gewesen, nein, sogar eher zurückhaltend. Marron musste heute früh im Krankenhaus sein. Ihre Schicht hatte um halb fünf angefangen. Sie durften heute ihre erste richtige Visite machen. Die letzten Wochen hatten sie alle nur die Laborarbeiten machen dürfen und sich um die Patienten kümmern dürfen, die keiner haben wollte oder aus denen keine Operationen hervor gehen würde, was vor allem für Miyako schlimm war. Sie wollte wieder in den OP-Saal. Alle waren schon bei einer Operation zugegen gewesen. Und sie wussten, warum sie Chirurgen werden wollten, weil es ein wundervolles und gleichzeitig beängstigendes Gefühl ist, das Leben eines Menschen in seinen Händen zu halten, wortwörtlich. Wenn man Chirurg ist, braucht man keine Drogen, um einen Kick zu bekommen, der Job ist schon Kick genug, das hatten sie früh gelernt. Man hatte sie dann um 7 Uhr früh alle in die Ambulanz gepiepst. Es gab einen großen Unfall. Marrons Patientin setzte ihr vor allem zu. In den großen Crash war ein Auto verwickelt gewesen, deren Fahrer eine junge Frau entführt hatte und diese junge Frau musste Marron behandeln. Sie sah schlimm aus, der Mann musste sie schon vor dem Unfall schlimm zugerichtet haben. Denn all die Verletzungen, die die junge Frau hatte, hätten nicht alleine vom Unfall kommen können. Sie hatte auch keinen Namen, sie hatte keine Unterlagen oder einen Ausweis bei sich und sie war noch nicht zu Bewusstsein gekommen. All die Wunden zu verarzten und zu behandeln war sehr schlimm. Der Anblick war schlimm. Sie verstand nicht, wie man eine Frau so zurichten konnte. Ja, der Mann hatte sie entführt gehabt , misshandelt und vergewaltigt. Marron war gerade auf den Weg zu dem führenden Stationsarzt, weil sie wissen wollte, wie es dem Mann geht und wie man weiter mit ihm vorgehen würde. Die Polizei war schon da. Aber da die Patientin noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen war, konnte sie noch nichts machen, außer dem Mann Handschellen anlegen. Chiaki hatte sie heute noch nicht gesehen. Sie war auch ein wenig froh drum, weil sie nicht wusste, wie er sich ihr gegenüber verhalten würde und vor allem wusste sie nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Sie hatten darüber gestern nicht gesprochen, wie es im Krankenhaus mit ihrer Beziehung sein würde. Aber erst mal machte sie sich Sorgen um ihre Patientin. Die Verletzungen, die sie vorher schon hatte und die Verletzungen, die sie durch den Unfall davon getragen hatte, machte es schwer, eine richtige Diagnose über den Verlauf der Heilung zu machen. Aber Marron hoffte. Sie wollte die junge Frau nicht aufgeben. Die junge Frau hat schließlich auch nicht aufgegeben. „Kusakabe.“ Marron drehte sich um und blickte in das Gesicht von Alex. Sie mochte ihn nicht. Er war immer noch ziemlich arrogant und überheblich. „Hab gehört, deine Patientin ist ziemlich übel zugerichtet.“ Marron seufzte. „Willst du Details hören? Dann bist du bei mir an der falschen Adresse“, sagte sie und ging weiter. Sie war immer noch auf dem Weg zum Stationsarzt. Sie wusste, sie würde ihn an der Station finden, wo alle die Patientenakten abholten und ablegten. „Warum ist doch bestimmt ein interessanter Fall.“ „Lass mich in Ruhe, Alex“, meinte Marron leicht genervt. Aber als sie an der Station war, sah sie außer Schwestern niemand. „Wo ist der leitende Stationsarzt?“ „Er ist gerade eine Kaffeepause machen“, antwortete ihr eine der Schwestern. Marron seufzte, lächelte der Schwester aber dankend zu. Sie drehte sich wieder um und blickte in das Gesicht von Alex, der ihr immer noch auflauerte. „Was willst du?“ „Ein Date“, antwortete er direkt. „Nein!“ Sie seufzte und ging an ihm vorbei. Sie wollte wieder zu ihrer Patientin. Da sie noch nicht wach war und ihr nicht sagen konnte, wo sie Schmerzen und ob sie überhaupt noch Schmerzen hatte, was Marron aber stark annahm, musste sie die Geräte beobachten und hoffen, dass sie ihr halfen. Außerdem wartete sie noch auf Laborergebnisse. Man hatte einen Abstrich machen müssen, um den Vergewaltiger zu überführen. Die Bluttests standen außerdem noch offen. Vielleicht sollte sie mal im Labor anrufen, überlegte Marron gerade. „Warum nicht?“ Alex lief neben ihr her. „Warum was nicht?“ „Warum gibst du mir kein Date mit mir?“ „Warum, sollte ich?“ Verstand der Kerl wirklich nicht, dass sie kein Interesse an ihm hatte. Wie verstört war dieser Kerl eigentlich. Marron war genervt. Sie wollte einfach nur mal Fünf Minuten ihre Ruhe, war das denn zu viel des Guten? „Weil ich ein toller Kerl bin.“ Marron seufzte genervt auf und ging einfach weiter. „Hey, Marron.“ Marron war froh, als sie Miyako entdeckte. „Miyako… Hey…“ Sie legte den Arm um ihre Freundin. „Tu mir bitte einen Gefallen.“ Miyako nickte. „Alles was du möchtest“, sagte sie lächelnd. „Schaff mir diesen Kerl vom Hals“, und damit deutete Marron auf Alex Bailey. Miyako nickte. „Ich tu mein Bestes.“ Damit ließ sie Marron weiter gehen und wendete sich Alex zu. „Alex… das ist aber schön, dass ich dich sehe.“ Marron saß am Bett ihrer Patientin. Zum hundertsten Mal las sie sich die Akte durch. Sie wollte ihr irgendwie helfen. Sie seufzte, denn sie wusste nicht, was sie noch tun konnte. Die Maschinen, das Piepsen sagten ihr, dass ihrer Patientin lebte, aber sie wollte mehr als das. „Schlafen ist hier erst mal das Beste.“ Marron blickte erstaunt auf. Sie blickte in das Gesicht von Kaiki Nagoya. Dann blickte sie wieder auf ihre Patientin. „Aber ich würde gerne irgendwas machen.“ Kaiki nahm ihr die Akte ab und schaute sich die Medikamente an, die sie ihr bis her verabreicht hatte. „Sie haben die richtigen Medikamente gewählt. Schmerzstillende. Das ist gut. Sie haben gut gehandelt und gut entschieden. Aber jetzt...“ Er stoppte kurz und blickte sich Marron einmal kurz an. Auch wenn Chiaki noch nicht zu ihm gekommen war, wusste Kaiki es auch schon so, sein Sohn hatte sich verliebt. „Aber jetzt ist es erst mal besser, wenn wir sie schlafen lassen. Wer weiß, wie lange sie die Möglichkeit dazu hatte, als sie bei ihm Gefangen war.“ „Was passiert nun mit ihm?“ „Die Polizei beobachtet ihn und lässt ihn garantiert nicht mehr hier raus. Wenn er soweit stabil ist, dass er das Krankenhaus verlassen kann, wird man ihn in Untersuchungshaft stecken. Man wird aber warten bis deine Patientin wach ist, denn man braucht ihre Aussage.“ Marron nickte. „Die Proben, die man ihr entnommen hat, langen nicht zur Überführung?“ Kaiki blickte sie an. „Doch, würden sie bestimmt. Aber der Verteidiger kann wegen den Verletzungen vom Unfall sagen, dass man nicht richtig sagen kann, welche Verletzungen sein Klient ihr zugefügt hat und welche nicht.“ Marron seufzte. Natürlich konnte man das sagen. Man würde bestimmt keine vaginalen Einrisse von einem Verkehrsunfall bekommen. „Bleiben Sie einfach bei ihr.“ „Ja?“ Kaiki nickte. „Mehr können Sie erst mal nicht für sie tun. Warten Sie, bis sie aufwacht. Wenn man sie aber in der Notaufnahme braucht, müssen sie ihre Stellung hier verlassen. Dann sagen sie eine Schwester Bescheid, wenn sie möchten.“ Marron nickte. „Danke.“ Sie lächelte und blickte wieder zu ihrer Patientin. „Marron…“ Kaiki wusste nicht, ob es der richtige Weg war, den er nun gehen würde. Aber er durfte es nicht so weit kommen lassen. Marron war eine gute Praktikantin und sie würde es weit bringen, doch seine Befürchtung lag darin, dass eine Beziehung zu seinem Sohn ihr eine große Chance nehmen würde. Man würde sie härter bestrafen als andere und ihr härtere Aufgaben geben und wer weiß, ob sie dann immer noch ihre Glanzleistungen abgeben könnte. Natürlich freute sich Kaiki für seinen Sohn, dass er sich endlich verliebt hatte und endlich mehr von einer Frau wollte, als nur Sex, aber sie waren Kollegen und noch dazu war er ihr Chef. Das würde böses Blut und Gerüchte an köcheln und das Arbeiten im Krankenhaus schwer machen. Kaiki wusste, wovon er sprach. Er hatte das selber oft genug durchgemacht. „Marron, beende die Beziehung zu meinem Sohn, solange du es noch kannst.“ Erstaunt blickte Marron Kaiki an. „Wie meinen sie, Sir?“ „Ich will, dass du die Beziehung beendest, so lange du es noch kannst.“ „Aber…“ „Nein, bitte. Habt ihr euch mal darüber Gedanken gemacht, wenn es raus kommt, dass du, seine Praktikantin und er eine Beziehung haben. Meinst du, es wäre dann so leicht, hier zu arbeiten wie bisher. Es würde eure Arbeit beeinträchtigen. Ich sage nicht, dass du dadurch schlechter werden wirst.“ Er stoppte seine Worte kurz und blickte sie an. „Aber du hast jetzt super Leistungen. Man wird dich härter beurteilen und Chiaki wird man es auch nicht einfacher machen. Er hat hart für seine jetzige Stelle gekämpft. Ich will, dass du dir darüber Gedanken machst. Noch kannst du es beenden, Marron. Denk an deine Karriere, willst du sie wirklich aufs Spiel setzten. Noch…“ Er seufzte. Er fühlte sich schlecht. Aber er wusste, dass er es machen musste. Wenigstens einer sollte einen kühlen Kopf behalten und vielleicht rüttelte er Marron ein wenig damit wach, dass sie ihre Karriere in einem tollen Krankenhaus aufs Spiel setzte. „Tut mir Leid.“, sagte Kaiki und damit verließ er das Zimmer der Patientin und ließ eine leicht verwirrte Marron zurück. Chiaki kam erst zum Mittag ins Krankenhaus. Er hatte den ganzen Vormittag Besprechungen außerhalb gehabt. Eine mit vielen Pharmafirmen und eine mit der Ärztekammer. Beide waren nicht sehr vielversprechend gewesen, was die Unterhaltung anging. Vielleicht lag es auch daran, dass einfach unbedingt Marron so schnell wie möglich wieder sehen wollte. Ja, er wollte sie wieder sehen und sie vielleicht sogar wieder küssen. Er hatte sich einfach bis über beide Ohren in sie verliebt gehabt. Sie war so wundervoll, dass er es immer noch nicht glaubte. Er war so voller Energie und Enthusiasmus. Er wollte am liebsten allen direkt sagen, dass er mit Marron zusammen war, aber darüber hatten sie gestern nicht gesprochen und er wollte sich hüten, irgendeinen Fehler zu machen oder etwas zu tun, was sie sauer stimmen könnte. Er wollte diese Beziehung und er wollte Marron nicht mehr verlieren, dass hatte er sich geschworen. Er wollte diese Liebe ausleben und genießen. Aber zuerst wollte er mit seinem Vater reden. Er wollte Kaiki sagen, dass er mit Marron zusammen sein möchte, weil er zum ersten Mal in seinem Leben diese wundervollen Gefühle in sich spürte. Er wusste, dass es richtig war, eine Beziehung zu Marron zu haben, das spürte er. Auch wenn er auf der anderen Seite wusste, dass sie einen harten Weg vor sich haben würden, aber das war nun egal. Es war egal. „Marron…“ Er traf sie zufällig im Flur. Er strahlte, als er sie sah. „Oh, Hallo Chiaki.“ „Ist alles in Ordnung? Ich habe schon gehört, dass hier heute Morgen eine Menge los war.“ Marron nickte nur. „Ich war die ganze Zeit in Besprechungen und war nicht im Krankenhaus.“ Marron nickte wieder nur. „Aber nun bin ich ja da. Wollen wir vielleicht zusammen zum Mittag essen?“ Marron blickte ihn erschrocken an. Er strahlte regelrecht. Doch sie senkte den Kopf wieder. „Nein, das ist keine gute Idee.“ „Was? Wie? Ach so… ja bei mir passt es vielleicht auch nicht. Muss jetzt erst mal zu meinem Vater Bericht erstatten.“ Marron seufzte. „Nein, das meine ich nicht.“ „Nein? Was meinst du denn?“ „Ich halte das hier nicht für eine gute Idee.“ Sie blickte ihn nun langsam wieder an, auch wenn sie es ihr schwer fiel. Aber vielleicht hatte Kaiki Recht. „Marron, was meinst du denn? Ich versteh nicht, was du mir sagen solltest.“ „Wir sollten diese Beziehung lassen“, sagte sie schließlich zu ihm. Erschrocken, mit weit geöffneten Augen, starrte er sie an. Nein, das war nicht ihr Ernst. Was war vorgefallen? Er griff nach ihrer Hand. „Marron, sag mir, was ist geschehen.“ „Nichts.“ Sie wollte ihr seine Hand entreißen, doch Chiaki hielt sie weiterhin fest. „Natürlich. Los, sag es schon.“ Sie seufzte. „Dein Vater war bei mir.“ Nun ließ er ihre Hand los. „Mein Vater…?“ Er wollte es gar nicht glauben. Sein Vater war es doch immer gewesen, der wollte, das Chiaki endlich mal eine ernsthafte Beziehung einging. Er wollte nicht glauben, dass sein Vater nun diese Beziehung wieder zerstören wollte. „Ich muss weiter“, sagte Marron schnell. Sie wollte hier nicht einfach so im Flur stehen bleiben. Außerdem tat er ihr Leid. Sie wollte es nicht sagen. Sie wollte ihm nicht wehtun, vor allem wollte sie die Beziehung ja eigentlich auch probieren. Aber sie wollte nicht, dass seine Karriere oder ihre Karriere darunter Schaden nehmen könnte. Sie wollte eine glückliche Beziehung, ohne Leid und Kummer. Sie ließ Chiaki im Flur des Krankenhauses stehen. Aber nicht lange, denn Chiaki wusste, wo er nun hingehen würde. Zu seinem Vater. Das ging zu weit. Ihre Worte taten ihm weh. Aber er wusste, dass sie nichts dafür konnte. Sie hatte an dem hier nicht die Schuld, nein, das war jemand anderes. Ohne zu klopfen stürmte er das Zimmer von Dr. Kaiki Nagoya, seinem Vater. Wütend und rasend blickte er ihn an. Und Kaiki schaute ihn ein wenig verdutzt an, wollte noch sagen, dass auch sein Sohn Anklopfen sollte, aber an dem Gesichtsausdruck von Chiaki konnte er erkennen, dass dieser auf solche Späßchen nun wirklich keinen Wert legte. „Was bildest du dir ein?“, schrie Chiaki ihn an. Kaiki stand von seinem Stuhl auf und schloss erst mal die Tür hinter seinen Sohn. Er seufzte. „Ich halte es für das Beste.“ „Das Beste für wen?“ Chiaki war außer sich. „Für Euch Beide.“ „Woher nimmst du dir das Recht, zu bestimmen, was für Mich oder für Marron das Beste ist!“ „Deine Karriere wird darunter leiden.“ Chiaki lachte. „Daher weht also der Wind. Du willst nicht, dass Geschichten über das Krankenhaus entstehen. Dass der junge Arzt, der dein Sohn ist, sich eine Praktikantin als Freundin gesucht hat.“ „Nein, Chiaki.“ „Ja, du hast Recht, Vater. Nein. Es hat dich nämlich Nicht zu interessieren.“ „Natürlich hat es das!“ „Hast du mir nicht immer gesagt, ich soll meine Affären endlich sein lassen und sesshaft werden? Waren das nicht immer deine Worte?“ „Chiaki… aber sie ist Praktikantin.“ „Na und? Ich habe mich aber nun mal in sie verliebt. Sie ist wundervoll und mir ist es egal, welchen Beruf sie momentan hat. Es interessiert mich nicht. Ich will mit ihr zusammen sein, verstehst du das?“ „Chiaki…“ Kaiki überlegte, wie er die Wut seines Sohnes wieder etwas glätten könnte. Aber ihm fiel nichts ein. Chiaki war wütend und Kaiki verstand ihn sogar. Ja, er war auch mal so gewesen. Diesen jugendlichen Trotz, das man sich am liebsten gegen alle Regeln auflehnen will. „Es schadet dem Krankenhaus!“ „Meine Affären hattest du gebilligt und eine ernsthafte Beziehung nicht? Erkläre mir das, Vater,“ Kaiki seufzte. „Gut, ich hab genug von dir.“ Chiaki ging wieder mit wütenden Schritten aus dem Büro seines Vaters und donnerte die Tür zu. Kapitel 10: Konflikte und die Lösung ------------------------------------ Marron hatte sich abgesetzt. Sie brauchte eine Pause, mal ein wenig Zeit für sich um nachzudenken. Sie hatte eine Schwester gebeten, sich um ihre Patientin zu kümmern, was momentan nur darin bestand, die Patientin zu überwachen und einfach jede halbe Stunde die Werte zu kontrollieren. Mehr war augenblicklich nicht zu tun. Es war schade, wenn man so drüber nach dachte. Das war momentan ihre einzige Aufgabe und sie war schwer, weil sie eben nicht mehr tun konnte und diese Hilflosigkeit setzt einen enorm zu. Marron stand vor der Säuglingsstation. Sie war mit Tomoki schon einmal hier gewesen und merkte einfach, wie der Anblick der kleinen Babys sie glücklich machte. Das friedliche Gesicht von den Babys war einfach wohltuend und beruhigte die Natur. Ja, es lag wohl in der Natur. Es war ja so, dass man während der Geburt höllische Schmerzen erlitt, aber wenn man dann in das Gesicht seines Kindes schaute, dann waren diese Schmerzen einfach nicht mehr da, sie waren einfach nicht mehr primär. In dem Moment war da dieses kleine Wesen, das nach Wärme und Zuneigung verlangte. Da war jemand, der einen brauchte. Marron lächelte. Sie fühlte sich gerade sehr gut und die Babys sorgten dafür, dass ein kleines Schmunzeln auf ihrem Gesicht erschien. Zumindest ging es ihr so, wenn sie die Kleinen anschaute. Sie musste nur in das Gesicht eines Babys, das vielleicht schmatzte, einfach nur in die Welt starrte oder einfach friedlich schlief, schauen und es ging ihr besser. In dem Moment, wenn man diese kleinen Wesen sah und das Herz für sie öffnete, waren alle Probleme und Sorgen unwichtig und nicht mehr wesentlich. Sie waren einfach nicht mehr da, weil man seine ganze Aufmerksamkeit den kleinen Kindern widmete. Sie lächelte und legte die Hand auf die Scheibe, die sie von den Kindern der Säuglingsstation trennte. Marron seufzte. Vielleicht hatte sie überreagiert. Vielleicht hätte sie es Chiaki anders sagen sollen, vielleicht hätte sie seinem Vater gar nicht erst zu hören sollen. Vielleicht hätte sie auf Chiaki vertrauen und sich endlich eine Chance geben sollen. Vielleicht, wenn dieses doofe Wort „vielleicht“ war. Ja, im Nachhinein konnte sie sich nun fragen, wie es ausgegangen wäre, wenn sie anders reagiert, anders gehandelt hätte. Sie wollte ihnen doch eigentlich eine Chance geben, warum hatte sie sich dann gleich von seinem Vater so bereden lassen? Das wollte sie doch gar nicht. Es lag vermutlich einfach nur daran, dass alles so neu war. Sie wusste nicht, wie sie richtig reagieren sollte und ob es überhaupt ein Richtig oder falsch in Sachen Liebe gab. Sie lächelte. Sie spürte wieder, wie die kleinen Gesichter ihre Sorgen so langsam davon fegen wollten. Die Braunhaarige nickte. Ja, sie sollte ihnen beiden eine Chance geben. Sie lächelte und strich sich eine Strähne durchs Haar. Ja, es war eine gute Idee gewesen, wieder hierher zu kommen. „Ich fasse es nicht! Wie kann er nur so zu mir sein!“ Sie erkannte die Stimme, die sie fluchen hörte. Sie drehte sicher überrascht um und sah Chiaki an. Er erblickte sie gar nicht. Er realisierte sie gar nicht, sondern fluchte weiter: „Ich raff es nicht und so etwas ist mein Vater.“ „Chia…“ Er blickte sie an und erstarrte. „Marron…“ Seine Stimme wurde plötzlich wieder fröhlicher. „Marron“, wiederholte er noch mal, diesmal durchaus fröhlicher. Er ging auf sie zu und lächelte sie an. „Schön, dich zu sehen.“ „Ich muss mit dir reden“, sagte sie und nickte ihm zu. „Ja, lass uns reden.“ Chiaki nickte. Er blickte zur Säuglingsstation. „Bist du heute der Säuglingsstation unterteilt?“ Marron schüttelte den Kopf. „Nein…“ Sie blickte wieder zu den Kindern in ihren Betten. „Nein, das nicht. Aber ich komm hier sehr gerne her.“ „Ja?“ Sie nickte und blickte verlegen weg. Ja, es war ihr ein wenig peinlich. „Sie sehen einfach so friedlich aus und wenn ich hier bin, vergesse ich alle Sorgen.“ Sie war ehrlich. Was war denn auch schon falsch daran. „Ja? Sollte ich auch mal ausprobieren“, sagte er und lächelte sie an. „Marron… das was mein Vater…“ „Es ist mir egal“, sagte sie schnell zu ihm. Er blickte sie überrascht an. „Wie meinst du das?“ „Es ist mir egal.“ Sie nickte sich selber zustimmend. „Es ist mir egal, weil ich dir und uns eine Chance geben wollte…“ Sie lächelte. Es tat Chiaki gut, sie lächeln zu sehen, es machte ihn irgendwie glücklicher. „Und deswegen ist es mir egal, was er zu mir gesagt hat.“ „Danke…“, sagte Chiaki lächelte und griff nach ihrer Hand. „Komm, lass uns was essen gehen. Du hast doch noch nichts zu Mittag gegessen, oder?“ Er glaubte es selber noch gar nicht. Es war ihr egal. Sie wollte ihnen dennoch noch eine Chance geben. Die Frau war wirklich wundervoll. Sie schüttelte den Kopf und ließ sich von ihm mitziehen. Marron blickte auf die Hand, die ihre umfasste und sie merkte, dass es ein angenehmes Gefühl war. Es war ein wohliges Gefühl, wenn er bei ihr war, wenn er ihre Hand hielt, wenn er sie anlächelte. Und wenn er sie küsste, vergaß sie eh alles um sich herum. Es war so schön und gleichzeitig auch so verwirrend. Es war alles neu und fremd für sie. Aber sie spürte, dass es richtig war, denn sie fühlte sich gut dabei, also konnte es doch nicht falsch sein. Natürlich wusste sie nicht, auf was sie sich wirklich einließ. Aber sie wollte Chiaki die Chance geben. Sie wollte sich die Chance geben, endlich selber mal zu leben. Sie wollte endlich mal was tun, was die frühere Marron nicht getan hätte und das war das hier. Sie wollte diese Beziehung ausprobieren. Sie wusste nicht, wo sie enden würde oder wo sie hinführen würde. Aber warum sollte sie sich nicht auch mal auf etwas Ungewisses einlassen. Das machten doch so viele Paare und Menschen auch. Menschen lassen sich nun mal auf ungewisse Dinge ein. Wenn man mit jemand eine Beziehung eingeht… natürlich hofft man, die große Liebe gefunden zu haben, die für immer halten wird. Das wünscht sich jeder. Menschen, die nur eine Affäre haben wollen, die sind einfach noch zu unreif oder haben einfach Angst vor Bindung. Marron hatte Angst vor Bindung. Sie hatte Angst, sich jemand anzuvertrauen, der ihr vielleicht nicht versprechen konnte, für immer da zu bleiben. Und genau dieses Versprechen kann man einem gar nicht geben. Ob man nun sich entschließt, die Beziehung zu beenden oder ob man stirbt. Letztendlich kann man es nicht versprechen. Letztendlich hat man eine ungewisse Zukunft vor sich. Marron blickte Chiaki an und fragte sich, ob er wirklich der Richtig war. War er wirklich der Richtige für sie? Konnte sie ihm vertrauen, dass er ihr nicht absichtlich wehtun wollte? Sie wusste es nicht. Diese Ungewissheit macht Menschen normalerweise Angst. Es ist schreckliches Gefühl, nicht zu wissen, ob jemand zu einen steht und wo man selber steht. Diese Ungewissheit ist wie ein Loch, in das man hinein fällt und man sich nirgends festhalten kann, denn da ist nichts, an was man sich klammern kann. Da ist nur Ungewissheit. Ein großes Wort mit einer noch größeren Bedeutung. Marron blickte wieder auf die Hand, die ihre umfasst hielt und sie mit sich zerrte. Sie lächelte. Ja, sie wollte es probieren. Kaiki saß an seinem Schreibtisch. Chiaki war gerade gegangen. Er war wütend gewesen. Er war außer sich gewesen. So kannte Kaiki seinen Sohn gar nicht. Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. Hatte er seinen Sohn doch unterschätzt? Wenn Kaiki ihn früher auf seine Frauen ansprach, war es Chiaki egal gewesen. Er erzählte offen herum, mit wem er gerade im Bett gewesen war oder wer gerade seine Geliebte und Spielgefährtin war. Aber nun? Chiaki hatte sich also wirklich verliebt gehabt. Chiaki hatte vermutlich sogar ernsthafte Absichten mit Marron. Kaiki griff nach Marrons Akte. Er hatte sie sich bringen lassen, kurz nachdem er bei ihr gewesen war. Er hatte ihre Augen schon mal gesehen gehabt. Irgendjemand aus seiner Vergangenheit hatte ihn schon mal so angeschaut, aber erinnerte sich nicht mehr daran, wer es war. In diesen Augen lag so viel Gefühl. Sie waren anmutig, sanft, zerbrechlich, mutig, ängstlich. Diese Augen strahlten soviel aus. Ja, er war sich sicher, er hatte diese Augen schon mal gesehen gehabt. Er blickte auf das Foto von Marron, es war ihr Bewerbungsfoto. Sie trug ihre Haare auf dem Foto zu einem strengen Zopf. Kaiki hatte seinen Sohn dabei bemerkt, wie er sie manchmal drauf ansprach und ihr einfach das Haargummi aus den Haaren zog, einfach nur, weil er ihre offenen Haare sehen wollte. Dann fiel ihm ein, woher er diese Augen kannte. Und er seufzte. „Oh Chiaki…Warum musst du dich ausgerechnet in dieses Mädchen verlieben…“ Kaiki seufzte wieder und blickte noch eine Weile auf das Foto. „Marron, wir müssen reden.“ Marron, die gerade erst die Tür hinter sich schloss, blickte den kleinen Engel an, der auf sie wartete. „Hallo Fynn. Es freut mich auch dich zu sehen. Wie mein Tag war, fragst du? Oh ja, danke, dass es dich interessiert. Er war ganz okay.“ Marron ging an dem Engel vorbei direkt ins Schlafzimmer, wo sie sich erst mal umzog. Sie hatte bei einer Notoperation operieren müssen. Es gab eine Schlägerei und Schießerei. Drei Menschen wurden sehr schwer verletzt und Marron roch an ihrer Kleidung immer noch das Blut ihrer Patienten, auch wenn sie einen Kittel anhatte. Sie seufzte. Sie würde wohl auch direkt duschen gehen. Sie warf ihre Kleidung, die sie eben noch anhatte, in ihre Wäschetonne, die auch schon fast überquoll. Sie blickte in ihren Kleiderschrank. Ja, sie sollte sich endlich aufraffen, ihre Wäsche zu waschen. Sie seufzte, zog sich ihren Jogginganzug aus einem Fach und ging damit in die Dusche. „Marron…“ „Fynn, ich bin jetzt duschen.“ Damit machte sie auch direkt die Badezimmertür vor dem kleinen Engel zu und bekam so gar nicht mit, wie der kleine Engel rot vor Wut anlief. „Marron…“, kreischte Fynn. Doch Marron vernahm es gar nicht mehr, denn sie hatte sich schon unter die Dusche gestellt und merkte, wie gut doch warmes Wasser auf dem Körper tat, wenn es einfach nur so herab rieselte. „Chiaki…“ Chiaki blickte leicht genervt von seinen Akten auf. Sein Vater hatte ihn ein paar Akten vorbei bringen lassen. Ja, er war sich nach der Predigt von seinem Sohn zu fein, sie selber vorbei zu bringen, was er sonst früher auch getan hätte. Chiaki war das Recht. Denn er wusste, wenn Kaiki selber vorbei gekommen wäre, dann hätte er sich banale Entschuldigungen anhören müssen und darauf hatte er keine Lust. Er blickte Access an, der sich auf seinen Schreibtisch gesetzt hatte. „Was gibt es denn?“ „Du musst heute Abend wieder als Sindbad los“, erkläre Access und betonte es eher wie einen Nebensatz als wie eine Aussage. „Muss ich das?“ Access blickte ihn an. „Ja, Chiaki musst du. Du weißt doch…“ „Ja, schon klar.“ Chiaki seufzte genervt. Er blickte auf die Akten. Er hatte eigentlich noch eine Menge zu tun. Marron kam ihm wieder ins Gedächtnis. Sie war, kurz bevor sie gegangen war, noch mal zu ihm gekommen. Sie wollte sich von ihm verabschieden. Sie haben sich noch kurz unterhalten und er hatte sie gefragt, was sie heute noch unternehmen würde. Sie meinte nur, ihre Wohnung mal wieder säubern und ein paar Einkäufe erledigen. Dann hatte sie ihm einen Kuss auf die Wange gegeben und hatte sich verabschiedet. Es war schön gewesen, dass sie hier war. Dann fiel es ihm ein. Wenn er heute Abend als Sindbad unterwegs war, dass hieße ja dann auch… Jeanne… Marron! Er blickte Access an. „Ist von Jeanne auch schon eine Nachricht eingegangen?“ „Weiß ich nicht.“ Access zuckte mit den Schultern. „Warum weißt du es nicht?“, fauchte Chiaki ihn an. „Weil ich Fynn nicht gesehen habe“, antworte Access und blickte Chiaki fragend an. Chiaki blickte Access an. „Dann solltest du jetzt mal herausfinden, ob Jeanne auch auftauchen wird.“ „Warum interessiert es dich so?“ Access fing an zu grinsen. „Du hast dich doch nicht in diese Marron verknallt?“ Chiaki blickte Access an. „Los!“, sagte er nur und öffnete das Fenster, damit der Engel davon fliegen und seinen Auftrag erledigen konnte. Chiaki saß wieder an seinem Schreibtisch. Er überlegte gerade, wie er es Marron beibringen sollte, dass er wusste, wer sie war. Vielleicht sollte er es ihr auch erst mal nicht sagen, denn sie hatten sich ja gerade erst wieder vertragen. Und es war eh alles noch ziemlich frisch und er wollte kein Risiko eingehen. Vielleicht würde sie ja von selber mit dem Stehlen aufhören. Er spürte aber schon das Kribbeln in seinem Körper. Er freute sich, wenn er Jeanne oder Marron heute Abend wieder sehen konnte. Er würde wieder mit ihr spielen und sie würde wieder sein Kätzchen sein. Sie würde nicht wissen, wer sich hinter seiner Maske verbarg, vielleicht sollte er wirklich ein wenig mit der Situation spielen, solange er noch Gefallen daran hatte. Chiaki lächelte. Ja, das sollte er tun. Wenn er es jetzt Marron sagen würde, würde eh alles in die Brüche gehen und das wollte er nicht. Er wollte sie nicht mehr verlieren. Sie war einfach zu wundervoll. Sie war ein so wundervoller Mensch und diese Gefühle, die er spürte, wenn er nur in ihrer Nähe war, nein, das wollte er nicht mehr missen. Er wollte, dass sie bei ihm blieb. Er blickte auf seinen leeren Schreibtisch. Ja hier, sollte irgendwann ein Bild von ihr stehen. Es war Zehn Uhr abends. Jeanne alias Marron Kusakabe, stand im Schatten und Geäst eines Baumes. Es war dunkel, aber die Straßenlaternen beleuchteten das Haus und die Straße. Es war kein großes Haus, hatte aber ein großes Anwesen. Dadurch, dass sie auf einem gut positionierten Baum stand, hatte sie freie Sicht aufs Anwesen. Sie sah den Garten und das Haus. Im Unteren Stockwerk brannten Lichter. Von der Polizei war keine Spur, aber Jeanne wusste, dass dies auf jeden Fall eine Falle war. Sie musste vorsichtig sein. Sie blickte sich um. Sie musste sich eingestehen, sie hielt nach Sindbad Ausschau. Sie wusste, dass er auftauchen würde. Fynn hatte ihre gesagt, dass seine Botschaft zuerst da war. Das heißt, sie wusste, dass er kommen würde. Sie hatte sich auch ein paar gute Sätze einfallen lassen, die sie ihm an den Kopf donnern würde, wenn er ihr zu nahe treten würde. Und das würde er bestimmt. Sie musste sich vor ihn schützen. Er durfte nicht noch mal die Gelegenheit bekommen, sie zu küssen. Weil, wenn er die Gelegenheit haben würde und er sie küssen würde, dann würde sie Chiaki fremdgehen, weil sie zugelassen hatte, dass ein anderer sie küsste. Und das wollte sie nicht. Nein, sie wollte nicht diejenige sein, die fremdging. Deswegen wollte sie das nicht. Sie musste lächeln. Es war komisch, sich darüber Gedanken zu machen, aber auch sehr schön. Sie hörte es rascheln. Aber da war nichts. Sie blickte sich um. War bestimmt nur ein Vogel, sprach sie sich selber zu. „Auf was wartest du?“ hörte sie die Stimme von Fynn, die durch die Brosche mit ihr kommunizierte. „Ja, ist ja schon gut.“ Jeanne, alias Marron, steckte die Brosche weg und sprang mit einem Satz vom Baum über die Mauer in das Anwesen. Sie rannte schnell in Richtung Haus. Dann sprangen alle Scheinwerfer an. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass im Garten auch Scheinwerfer waren. Sie sah nichts mehr, so hell war es durch die Scheinwerfer. Sie seufzte. War das schon die Falle, vor der sie sich selber in Acht nehmen wollte? Sie hörte keine Stimmen. Vielleicht wollte die Polizei sie einfach nur beobachten. Es war vielleicht ein Teil der Falle, aber noch nicht die hauptsächliche Falle. Sie rannte weiter geradeaus Richtung Haus. Sie wusste von Fynn, dass das Bild im ersten Stock war. Da wo die Lichter an waren. Die Polizei und die Besitzer waren also vermutlich in diesem Stockwerk. Vermutlich war da auch die Falle. Sie zog ihren Ball hervor und warf ihn zum Balkon, er verhakte sich dort, sodass sie sich hochziehen konnte, was sie geschickt auch tat. Sie hielt sich fit und das bewährte sich immer wieder, bei solchen Aktionen. Im Nu war sie auf dem Balkon angekommen und blickte in den Garten. Irgendwas war hier faul. Und außerdem fehlte Sindbad immer noch. Doch sie durfte nicht so viel Zeit verlieren. Sie musste schnell machen, wenn sie zu lange nachdachte, würde sie erst recht unachtsam werden und ein leichteres Ziel sein. Die Balkontür war verschlossen. War ja klar. So kam sie also nicht rein. Sie blickte zum Dach hoch. Sie hatte vom Baum aus gesehen gehabt, dass am Dach ein Fenster offen stand. Das würde also ihre Eintrittskarte ins Haus sein. Sie holte wieder den Ball hervor und gelangte mit ihm ein Stockwerk höher. Sie war nun auf dem Dach des Hauses angekommen. Jeanne spürte nun den Wind. Sie stand ein wenig wackelig auf den Beinen. Sie hatte es sich doch ein wenig einfacher vorgestellt auf einem Dach zu laufen. „Hallo Jeanne“, hörte sie eine ihr wohl bekannte Stimme. Sie brauchte sich gar nicht um zudrehen, wusste aber dennoch wer sich zu ihr gesellt hatte. „Hatte dich schon vermisst.“ „Ist nicht dein Ernst“, sagte er. „Stimmt.“ Sie lächelte und lief weiter zum offenen Fenster und ließ Sindbad, den Dieb einfach stehen. So wie er es verdient hatte. Sie durfte sich nicht zu lange mit ihm unterhalten, hatte sie sich geschworen. Das würde es nur komplizierter machen. Sie öffnete das Fenster etwas mehr und schlüpfte ins Innere des Hauses. Hier oben war es Dunkel, aber vom ersten Stockwerk drang Licht durch das Treppenhaus des Hauses, das offen war und die Stockwerke so miteinander verband. Sie blickte nach oben und überlegte, ob sie nicht das Fenster einfach vor seiner Nase zuschlagen sollte. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie ihm noch etwas schuldete. Er hatte ihr das Leben gerettet. Sie seufzte, sie wusste, dass sie es später bereuen würde, aber sie ließ das Fenster offen. Jeanne lauschte. Sie hörte weder Sindbad, noch die Stimmen der Polizisten von unten. Leise ging sie die Treppen herunter. „Warte…“ Sie blickte hoch und schon bereute sie es, dass sie das Fenster nicht geschlossen hatte. Sindbad kletterte nun auch in die Wohnung. Sie blickte weg und ging einfach weiter leise die Treppe hinunter. Sie wollte nicht mit ihm reden. „Jeanne…“ Er griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. Sie blickte ihn überrascht an. „Lass mich los.“ „Jeanne, lass es… bitte.“ Sie blickte ihn an und irgendwie kam ihr sein Gesicht so bekannt vor, auch wenn sie es noch nie vorher bei jemand gesehen hatte. Sie kannte diese Frisur und diese Augen nicht. Wer war er? Und warum kam er ihr dennoch so bekannt vor. „Ma…“, wollte er schon sagen, doch er konnte sich zurück halten. „DA SIND SIE!“, wurden sie plötzlich angeschrieen. Am Ende und an der Spitze der Treppe standen nun Polizisten und hielten die Waffen auf sie gerichtet. Kapitel 11: Die Aufgabe von Gott -------------------------------- Jeanne und Sindbad blickten sich erschrocken um. Man zielte mit richtigen Waffen auf sie. Jeanne rutschte das Herz in die Hose und Sindbad ging es nicht sehr anders. Sie saßen wirklich in der Falle. Was sollte sie nun tun? Marron, alias Jeanne, blickte sich um. Sie sah momentan keine Fluchtmöglichkeit. Nach oben konnte sie nicht, da standen Polizisten und das Stockwerk runter, standen auch Polizisten. Nun saß sie wirklich in der Klemme. Aber sie musste einen Weg finden. Sie blickte Sindbad wütend an. Nur wegen ihm saßen sie jetzt in der Falle. Hätte er sie einfach ihre Arbeit erledigen lassen, wäre das hier jetzt nicht passiert und sie wäre vielleicht sogar wieder auf den Rückweg. Sie seufzte. Sie musste sich was einfallen lassen. „Keine Bewegung.“ Jeanne seufzte, das hatte sie garantiert nicht vor. Sie wollte bestimmt nicht ihr Leben aufs Spiel setzten. Nein, ganz und gar nicht. „Das haben wir bestimmt nicht vor., sagte Sindbad. Jeanne blickte ihn genervt an und seufzte. Sie musste hier weg. „Keine Spielchen mehr“, sagte nun ein anderer Polizist. Jeanne fing an zu grinsen. Jetzt hatte sie eine Idee. Und sie hoffte, dass es funktionierte. Es war ein gefährlicher Weg. Aber sie hatte jetzt erst mal keine andere Wahl. Sindbad blickte sie an und erkannte, dass sie etwas vorhatte. Er las es in ihrem Gesicht. Er wollte ihr widersprechen. Er wollte ihr sagen, dass sie nichts riskieren sollte. Er wollte ihr sagen, dass er sie nicht verlieren wollte. All das wollte er ihr sagen. Aber er wusste, dass er es ihr nicht sagen durfte, denn das würde ihn verraten und das würde das Vertrauen zerstören, was sie langsam zu ihm aufbaute und das wollte er nicht. Nein, das wollte er verhindern. Aber deswegen zuschauen, wie sie ihr Leben riskierte. Jeanne drehte sich zu um und blickte Sindbad an. Sie lächelte. Sie wusste, dass sie es bereuen würde. Aber sie lächelte. Und sie wollte sich bei ihm rächen. Sie hatte noch eine Rechnung mit ihm offen. Er hatte mal mit ihr gespielt, also wollte sie den Spieß dieses mal einfach umdrehen. Warum auch nicht? Sindbad blickte sie überrascht an. Was hatte sie vor? „Keine Bewegung.“ Doch Jeanne lächelte nur. Sie streichelte Sindbad durchs Haar und funkelte ihn regelrecht liebevoll an. Was hatte sie vor? Er war ein wenig überrascht. Er wusste nicht, was er machen sollte. Warum sollte sie ihn so anlächeln, wenn drum herum Polizisten mit ihren Waffen auf sie zielten? Sie fuhr mit ihrer Hand über sein Gesicht, lächelte. Sie drückte ihre Körper näher an sich ran. „Na…“, sagte sie. Sie klang leidenschaftlich und begierig. Was war hier los? Sindbad wurde heiß. Er spürte die Hitze und die Leidenschaft in sich aufkeimen. Er musste sich zusammenhalten, sie nicht einfach zu küssen. Denn das war das einzige, an was er dachte. Er sah ihre himmlischen und vollen Lippen vor sich. Er dachte an den ersten Kuss mit Jeanne und an den Kuss mit Marron. Die Person, die vor ihm stand, war jemand ganz Fremdes. Er verstand immer noch nicht. Jeanne grinste. Sie blickte vorsichtig in alle Richtungen und blickte zu den Polizisten. Sie blickten sie alle gespannt an, weil sie selber alle überrascht waren. Und Sindbad, er ging ihr auch auf den Leim. Ihr Plan würde also funktionieren. Sie grinste. Aber sie musste dennoch vorsichtig sein. Sie war immer noch in einer gefährlichen Situation. „Was hast du vor?“, flüsterte er ihr zu. „Wirst du schon sehen“, sagte sie und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Das war der Moment. Alle starrten die Beiden an. Sie hatte die volle Aufmerksamkeit. Dann knallte es laut. Und es bildete sich weißer Nebel im Rauch aus. Jeanne nutzte ihre Situation, in die sie sich selber gebracht hatte, und schwang sich über die Polizisten, die am Ende der Treppe standen. Man hörte nur ihre Schritte auf den Marmorfußboden, mit dem man den Flur ausgeschmückt hatte. Sogar Sindbad stand immer noch wie versteinert da. Aber er grinste. Sie hatte es also doch faustdick hinter den Ohren. Auch wenn er sich hintergangen fühlte, musste er doch lächeln. Das war die Jeanne, die ihn faszinierte. Jeanne wusste, dass sie nicht sehr viel Zeit hatte, deswegen rannte und lief sie auch so schnell sie konnte. Der Rauch, der die Polizisten und auch Chiaki benebelte und von ihrer Aktion erst mal abhielt würde nicht ewig anhalten. Jeanne wusste aber nun, wo sie das Bild fand. Also dürfte es nicht mehr lange dauern. Dann bog sie direkt an das Zimmer ein. Sie sah einen älteren Mann. Er kniete verzweifelt vor einem Bild. Es sah aus als würde er beten. Doch sein Gesicht war verzerrt und sein Körper verkrampfte sich zusammen. Er wimmerte. Er betete nicht. Er krümmte sich vor Schmerzen. Jeanne ging auf ihn zu. „Sir, ist alles in Ordnung bei Ihnen?“ Als Jeanne neben ihm stand, blickte er sie an. Und sie erschrak. Seine Augen waren schwarz wie die Nacht, nein dunkler als die Nacht. Da waren keine Pupillen, da war keine Iris. Da war nur eine abgrundtiefe Schwärze. Sie wollte ein, zwei Schritte zurückweichen, doch so weit kam sie gar nicht, denn er stieß sie nach hinten. Sie landete auf ihren Po. „Jeanne!“ Sie drehte sich um und blickte in das Gesicht von Sindbad. Wie war er aus den Fängen der Polizei entkommen? „Lass mich in Ruhe!“, fauchte sie ihn an. Da war wieder die wilde Katze und dieses Verhalten ließ ihn lächeln. Er musste einfach lächeln, wenn er sie sah. Er mochte jede von ihren Seiten. Sie stand sofort wieder auf und griff nach ihrer Brosche. Den Mann ließ sie links liegen, aber seine Augen erschreckten sie. Warum war er so? So was hatte sie noch nie erlebt. Aber sie musste jetzt erst ihren Auftrag erledigen, sonst würde Sindbad ihr Zuvor kommen. Sie warf ihren Pin auf das Bild. Ihr Pin blieb stecken. „Uaaaa!“, schrie der Mann plötzlich und fasste sich an seinen Kopf, hielt seinen Kopf fest, als würde er gleich platzen. Jeanne blickte überrascht und verwirrt. Eine Schachfigur erschien und das Bild verschwand. Nun lag der Mann auf dem Boden, sein Gesicht war nicht mehr verzerrt, er lag ruhig da. „Schnell!“, hörte sie plötzlich die Stimmen der Polizisten. Das war Jeannes Zeichen. Sie rannte schnell zum Balkonfenster, öffnete die Tür und sprang in den Garten. Sie blickte nicht mehr hinter sich und bekam so auch nicht mit, dass Sindbad ihr folgte. Erst als sie das Gelände des Hauses verlassen hatte, atmete sie auf und blieb stehen. Sie blieb stehen und lächelte. „Interessante Leistung.“ Jeanne drehte sich erschrocken um. Sie blickte in da Gesicht von Sindbad. Er war ihr also gefolgt. Sie seufzte: „Was möchtest du?“ „Dir gratulieren“, sagte er und blickte sie an. „Warum?“ „Warum nicht?“ „Wir sind Feinde?“ „Siehst du alles im Leben so verkrampft?“ „Das geht dich wohl gar nichts an“, meinte Jeanne genervt. Sie hatte keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten. „Lass mich in Ruhe.“ „Jeanne…“ Er wollte ihr noch so vieles sagen. Wollte ihr sagen, dass er ihr helfen wollte, wollte ihr sagen, wer er wirklich war, wollte ihr sagen, was er für sie empfand. Es stand aber leider einfach zu viel auf dem Spiel. Er wusste noch nicht, wie sie reagieren würde, wenn er ihr alles gestehen würde. Er hatte noch keine zu wichtige Rolle in ihrem Leben eingenommen, aber das wollte er sehr gerne. Sehr gerne sogar. Er wollte Marron kennen lernen. Wollte die Person vor sich einfach kennen lernen. „Jeanne…“ „Was möchtest du?“ „Ich muss dir was sagen.“ Sie blickte ihn fordernd an. „Was hast du mir schon zu sagen.“ Sie drehte ihm den Rücken zu. „Wegen dem Mann von eben…“ Sie blieb stehen. Er lächelte. Es interessierte sie also doch. „Das ist unsere Aufgabe.“ Sie drehte sich um und blickte ihn an. „Hat man dir das nicht gesagt?“ Sie war verwirrt. Fynn hatte ihr nie einen richtigen Grund genannt, warum sie das tat, was sie tat. „Das ist unsere Aufgabe. Man hat uns diese Aufgabe gegeben. Diese Menschen sind von Dämonen besessen. Sie hausen in diesen Bildern oder in Gegenständen und verwirren diese Menschen und machen sie kaputt.“ „Was redest du da?“ Er ging auf sie zu. „Jeanne, deswegen machen wir das, was wir tun. Wir retten diese Menschen. Das ist die Aufgabe, die Gott uns gegeben hat.“ Sie blickte ihn an. Gott? War sie also doch eigentlich nie alleine gewesen? War Gott immer bei ihr gewesen? Sie blickte Sindbad an. Warum trösteten seine Worte sie gerade? Warum tat es ihr so gut, diese Worte zu hören. Sie waren tröstend. Sie taten ihr wirklich gut. Sie blickte ihn überrascht an. Sie fühlte sich im nächsten Moment aber vor ihm entblößt. Sie drehte sich um und rannte davon. Sindbad blickte ihr hinterher. Als er ihre Augen eben gesehen hatte, hatte er gespürt, dass sie ihn wirklich angehört hatte, als war das, was er sagte, etwas vollkommen Neues. Was hatte man ihr denn gesagt, warum sie das tat? Er seufzte. Aber er hatte ihr nicht alles gesagt. Auch wenn sie das gleiche Ziel und die gleiche Aufgabe hatten, hatten sie verschiedene Auftraggeber. Aber dennoch hatte er von seinem gesprochen. Von Gott. Dabei wusste er, dass sie einen anderen hatte. Aber wusste sie das? Wenn sie es wüsste, würde sie dann wirklich diese Aufgabe erledigen. Er glaubte es nicht. Vermutlich wusste sie es gar nicht. Marron trat in ihre Wohnung. Sie hatte sich in einer dunklen Gasse verwandelt. Sie schloss die Tür hinter sich und blieb an dieser stehen. Sie machte auch nicht das Licht an. Die Worte von Sindbad gingen ihr nicht aus dem Kopf. Gott war auf ihrer Seite? Er war immer an ihrer Seite gewesen? Er hatte ihr diese Aufgabe gegeben? Sie wollte es gar nicht glauben. Also war sie die ganze Zeit gar nicht alleine gewesen. Nein, Gott war immer an ihrer Seite gewesen, auch als sie sich verlassen gefühlt hatte. Sie ließ sich an der Tür sinken und zog die Knie an sich. Sie seufzte und Tränen rannen ihr über die Wangen. Warum hatte sie bloß an Gott gezweifelt? Er war die ganze Zeit doch bei ihr gewesen. Er hatte sie nie alleine gelassen. Er war immer da gewesen, er war immer an ihrer Seite gewesen. Es tat ihr so sehr Leid. Sie glaubte es nicht. Sie glaubte es einfach nicht. Kapitel 12: Dr. Mehdi Kaan -------------------------- Marron Kusakabe war heute der Kinderabteilung des Nagoya-Krankenhauses eingeteilt worden. Man setzte die Praktikanten oft in den verschiedenen Abteilungen des Krankenhauses ein, damit sie viel lernen und sahen. Meist arbeiten sie jedoch in der Notaufnahme, weil die Hoffnung da groß ist, auf eine Operation zu kommen. Und schließlich wollte jeder so viele Operationen wie möglich ergattern. Deswegen waren sie hier. Deswegen wollten sie schließlich hier die Ausbildung zum Chirurgen machen. „Dr. Kusakabe.“ Marron blickte von dem Kind auf und sah in ein für sie fremdes Gesicht. Es war das Gesicht eines Arztes, zumindest hatte er einen Kittel wie sie selber an. „Ja?“ „Hallo.“ Er reichte ihr die Hand. „Ich bin Dr. Kaan. Kinderarzt und der Leiter dieser Abteilung“, sagte er lächelnd. Dr. Kaan hatte braune Augen, sehr schöne und warme braune Augen, dunkle Haare, die leicht zu Locken fielen. Er war vermutlich Ende 20, Anfang 30 und sah sehr gut aus, attraktiv war er auf jeden Fall. Marron wusste nicht, was ihr Typ Mann war, auf den sie stand, aber sie musste zugeben, dass dieser Typ Mann ihr auch gefallen würde. „Es ist schön, dass sie hier sind“, sagte Dr. Kaan mit einem Lächeln. Es war ein freundlich und ernst gemeintes Lächeln. Er spielte hier keine Höflichkeit vor, nein, er lächelte sie wirklich an. „Ja? Warum denn das?” „Weil die Kinder Sie mögen. Sie mögen Sie sehr und sie lachen, wenn Sie da sind.“ Marron blickte ihn verwirrt an. „Ich wusste gar nicht, dass ich solche eine Wirkung habe. So lange bin ich doch noch gar nicht hier.“ „Natürlich. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?“ Er lächelte sie wieder mit diesem bezaubernden Lächeln an. Marron errötete. „Nein. Tut mir Leid.” Sie lächelte ihn an. „Man sagt sich“, er griff nach der Akte einer kleinen Patientin und schaute hinein. „Was sagt man sich?“ „Dass man sie hier her versetzt hat, weil sie sonst alle Operationen bekommen würden.“ „Warum denn das?“, fragte Marron ihn. „Warum man sich das sagt?“ Er musste schmunzeln. Sie war wirklich so, wie er es gehört hatte. Sanft und noch voller Unschuld. Sie sah nicht das Böse im Menschen, sie sah bestimmt nur das Gute darin. Sie würde Menschen eine Chance geben. Er lächelte. „Können Sie sich nicht vorstellen, warum man sich das sagt?“ Marron schüttelte den Kopf. Dabei löste sich eine Strähne aus ihrem Zopf. Sie trug ihre Haare nicht mehr fest und streng zurück. Nun fischte sie aus ihrer Brusttasche aus dem Kittel eine kleine Haarklammer und klemmte die Strähne sofort wieder an die richtige Stelle. Dr. Kaan hatte dies interessiert beobachtet und es änderte nichts an der Meinung, die er über Marron hatte. Er war froh, sie endlich selber kennen zu lernen. „Man sagt sich dies, weil man sich ebenso sagt, dass Sie vom Oberarzt der Notaufnahme bevorzugt werden.“ „Von Dr. Nagoya?“ „Von Dr. Nagoya Junior.” Marron blickte ihn fragend an. „Warum sollte Dr. Nagoya mich bevorzugen?“ Dr. Kaan blickte sie fragend an. Entweder stimmten die Gerüchte um Marron und Chiaki Nagoya nicht oder diese junge Frau verstand nichts davon, wie das Leben wirklich tickte. Aber er fand, dass sie eine davon war, vermutlich ihre Karriere zu ruinieren und Dr. Kaan hatte sich die Akte von Marron genau angeschaut. Sie war eine derjenigen, die die besten Ergebnisse bei der letzten Prüfung erreicht hatten, ihre Arbeit im Krankenhaus ist diszipliniert und sorgfältig, sie hat einen guten Draht zu Patienten und ist freundlich zu Kollegen und Vorgesetzen. Ihr Name machte schon die Runde bei den Mittagessen in der Kantine. Momentan war sie aber Gesprächsthema Nummer Eins nicht wegen ihrer Noten oder ihre tollen Arbeit, sondern wegen ihrem Verhältnis zu Dr. Chiaki Nagoya. „Weil Sie eine Beziehung auch außerhalb des Krankenhauses mit ihm pflegen.“ Dr. Kaan hatte es einfach ausgesprochen. Er wollte eigentlich nicht so direkt sein, aber nun, wo er sie vor sich sah, wusste er, was Chiaki an ihr finden würde. Aber Dr. Mehdi Kaan kannte Chiaki, er war ein Junggeselle, er würde kein wirkliches Interesse an Marron haben und sie vermutlich ins Unglück stürzen, sobald er kein Interesse mehr an ihr haben würde. Und diese junge Frau würde dann mit aller Macht versuchen, die Scherben ihrer kaputten Karriere wieder zusammen zukehren. Marron Kusakabe blickte Dr. Kaan überrascht an. Da kannte sie diesen Arzt, diese Person, erst seit wenigen Minuten und schon stellte er sie bloß. Stellte er sie denn bloß? Sie sah in seine Augen keine böse Absicht, also warum hatte er ihr so etwas direkt ins Gesicht gesagt? „Dr. Kaan…” „Verstehen Sie mich nicht falsch, Dr. Kusakabe.“ Er blickte sie an und merkte, dass es in ihr arbeitete. Sie war verunsichert und nervös. Vermutlich wusste sie nicht mehr, was sie sagen sollte. Vermutlich hatte sie noch nicht mal daran gedacht, dass sie durch ihre Beziehung mit einem Stationsarzt bevorzugt herüber kommen könnte. Er lächelte. „Miss Kusakabe, Sie haben eine gute Karriere vor sich. Sie stehen gar nicht mal so weit unten, müssen Sie wissen. Ihren Name kennt schon jeder Stationsarzt und das nicht wegen ihrer Beziehung zu Chiaki, nein, wegen ihrer Noten.“ Er blickte sie an und sah ein Leuchten in ihren Augen. Ja, da war die Frau, die Karriere machen würde. „Überlegen Sie es sich gut.“ „Dr. Kaan…” Beide drehten sich um und blickten in das Gesicht von Chiaki Nagoya. „Marron.“ Er blickte fragend zu Dr. Kaan. Er nickte ihm nur noch zu. Chiaki blickte wieder zu Marron. „Wollen wir zusammen zum Mittagessen, Marron?“ Marron blickte Chiaki an. Sie war noch ein wenig verstört von ihrem Gespräch mit Dr. Kaan und blickte nun auch wieder ein wenig Hilfesuchend zu ihm. Eigentlich wollte sie nicht mit Chiaki essen. Sie wollte nicht so zeigen, dass sie wirklich zusammen waren. Sie wollte kein weiteres Gesprächsthema liefern. Natürlich wollte sie die Beziehung nicht aufgeben zu ihm, aber vielleicht hatte Dr. Kaan ja Recht mit dem was er sagte. Dr. Kaan sah ihren Hilfesuchenden Blick. Vielleicht waren seine Worte bei ihr angekommen. „Dr. Kusakabe wollte noch…“ „Dr. Kaan, entschuldigen Sie uns mal kurz.” Chiaki griff nach Marrons Handgelenk und zog sie mit sich. „Chiaki…“, wollte Marron ihn eigentlich bremsen, doch Chiaki ließ sich nichts sagen, schon gar nicht bremsen. Er hielt Marron immer noch am Handgelenk und zog sie in den Flur. Dann ließ er sie los. Marron rieb sich mit der anderen Hand das Handgelenk, das Chiaki gerade noch selber im Griff hatte. Er hatte sie nicht grob gepackt. Aber so musste sie ihn nicht anschauen. „Marron…“ Er blickte sie an. „Was sollte das eben?“ Marron hob ihren brauen Haarschopf und blickte mit ihren brauen Augen in seine Braunen. War er sauer? Oder wütend? „Marron, was ist hier los?“ „Chiaki…“ Sie wollte wegblicken, doch er trat an sie heran. „Sag es mir bitte.“ Marron nickte. „Es geht das Gerücht herum, dass ich bessere Chancen auf OPs bekomme… also dass ich bevor“, sie stockte „… dass man mich deshalb hierher in die Kinderstation versetzt hat…“ Chiaki blickte sie fragend an. So wirklich verstand er nicht, was sie ihm sagen wollte. „Marron…“ Er blickte sie an und sah, dass sie verwirrt und konfus war. „Was ist denn los?“ „Chiaki…“ Sie seufzte. „Ich will nicht, dass ich wegen unserer Beziehung bevorzugt werde.“ Er blickte sie erstaunt an. Er unterdrückte sich ein Lachen, blickte sie weiterhin an. Als er merkte, dass sie immer noch verkrampft und fordernd vor ihm stand, drückte er sie an sich. „Ach Marron…“ Sie war überrascht, lächelte aber zufrieden, als er sie an sich drückte. „Marron, nur weil wir zusammen sind, bevorzuge ich dich doch nicht. Ich weiß doch ganz genau, dass du dann diejenige wärst, die darunter zu leiden hätte.“ Er blickte sie wieder an. „Und du bist hier…” Er lächelte sie verliebt an. „Ja ich hab dich hier her versetzt. Aber nicht, damit du aus der Notaufnahme draußen bist.“ „Nein?“, fragte sie ihn überrascht. „Warum denn dann?“ „Weil du mir mal gesagt hast, dass du Kinder magst und ich dachte, du würdest dich freuen, wenn du der Kinderstation arbeiten könntest.“ Er seufzte. „Wenn du dich hier allerdings nicht wohl fühlst und denkst, ich hätte dich hier abgeschoben…“ Sie lächelte und legte ihren rechten Zeigefinger auf seine Lippen, damit er nichts mehr sagen konnte. „Danke“, hauchte sie ihm zu. Chiaki nickte. Er lächelte. Da waren sie wieder, diese wundervollen verträumten Augen. Das waren diese Augen, die ihn selber träumen ließen. Er nahm ihre Hand. „Chiaki…“ „Ja?“ Er blickte sie fragend an. „Warum schaust du mich so komisch an?“ „Wie schaue ich denn?“ „So halt“, meinte sie nur und wies auf sein Gesicht. Chiaki schmunzelte. „Weil ich mich in dich verliebt habe, Marron Kusakabe… und nun komm“, er griff wieder nach ihrer Hand. „Ich habe Hunger, lass uns endlich zu Mittag essen.“ Marron lächelte. Dr. Nagoya Senior, also Kaiki Nagoya saß wie gewöhnlich in seinem Büro. Auch, als es klopfte. „Ja, herein.“ Er blickte auf. Dr. Mehdi Kaan trat ein und schloss die Tür wieder hinter sich. „Dr. Kaan.“ Kaiki blickte ihn forschend an. Dr. Mehdi setzte sich auf den Stuhl dem Schreibtisch gegenüber und blickte Kaiki an. „Sie ist bezaubernd.“ „Durchaus.“ „Sie ist sich ihrer Aura gar nicht bewusst.“ „Das liegt in der Familie“, sagte Kaiki nur knapp. Dr. Kaan blickte ihn an, nickte aber nur. „Ihr Sohn ist aber sehr raffiniert.“ „Ja, daran mag was dran sein.“ Kaiki seufzte ein wenig. „Und?“ „Ich denke, ich habe einen Stein ins Rollen gebracht. Aber er ist noch nicht ganz gefallen.“ Kaiki nickte. „Verstehe. Danke. Danke, Dr. Kaan.” Dr. Kaan nickte, verstand, dass er wieder gehen konnte, damit stand er auch wieder vom Stuhl auf. „Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte.“ „Gewiss“, sagte Kaiki. „Mal davon abgesehen, dass Ihr Sohn Marron eh auf meine Station versetzt hat. Ich würde sie dort gerne behalten. Sie ist wundervoll zu Kindern.“ Damit ging er aus dem Zimmer. Kaiki seufzte. „Ja, auch das liegt in der Familie.“ Kaiki zog eine Schublade auf, die zweite von unten und holte eine Akte heraus. Es war eine Akte, die er nur in seiner Schublade aufbewahrte, weil diese abschließbar war. Er lächelte, als er sie öffnete und auf das Foto schaute, das auf der ersten Seite klebte. „Ja, es liegt in der Familie.“ Kapitel 13: Vater und Sohn -------------------------- „Chiaki.” Dieser drehte sich um und blickte in das bekannte Gesicht seines Vaters. Er sah ihm direkt an, dass er etwas von seinem Sohn wollte. Er wusste nur noch nicht, was es genau war. Ging es um Marron? Sollte er wieder mal für ihn irgendwo einspringen? Hatte sich ein Patient beschwert? Hatten seine Praktikanten Ärger gemacht? Gut, genauer gesagt, waren es ja gar nicht seine Praktikanten. Eigentlich waren es sogar die seines Vaters, aber sein Vater schaffte es einfach immer wieder, unangenehme Aufgaben an seinen Sohn abzudrücken. Chiaki legte die Akte einer Patientin, vor der er gerade stand, wieder ans Bett und blickte ihn an. „Ja, Vater?“ „Ich muss mit dir was besprechen.“ „Ja, das sehe ich.“ Er schmunzelte. Dann blickte Chiaki mit seinen sanften Augen zur Patientin. „Wie Sie sehen, müssen Sie mich mal entbehren. Ich schaue nachher noch mal nach Ihnen.“ Er lächelte und die Patientin nickte mit einem Schmunzeln. Chiaki ging mit seinem Vater aus dem Zimmer, er schloss die Tür und blickte seinen Vater fordernd an. „Chiaki, doch nicht hier.“ Chiaki seufzte. „Warum hast du mich dann nicht gleich ausrufen oder anpiepsen lassen?“ Kaiki seufzte. „Nun komm doch einfach mit mir.“ Er sah seinen Sohn bittend an. Er musste unbedingt mit ihm reden. Er konnte es Chiaki nicht länger verheimlichen. Er musste ihm etwas über Marron sagen. Vermutlich hatte er gar nicht das Recht dazu, aber er machte es dennoch. Er musste seinen Sohn warnen oder zumindest auf das eine oder andere einfach hinweisen. Sonst würde vermutlich etwas schief gehen und am Ende würde er es bereuen. Chiaki war seinen Vater gehorsam gefolgt und saß nun in dessen Büro und wartete, dass dieser Endlich mit der Sprache rausrückte. Doch Kaiki blickte seinen Sohn nur nervös an. Chiaki blickte auf seine Uhr. „Dad, ich habe in einer Stunde eine Operation. Also sag mir, was du hast und was du mit mir besprechen wolltest.“ Kaiki seufzte. „Es geht um Marron.“ „Gut“, Das war nämlich für Chiaki das Zeichen gewesen, aufzustehen, er war schon auf dem Weg zur Tür. „Du verstehst mich falsch.“ „Und du verstehst mich wohl nicht, wenn ich dir sage, dass ich über Marron und über meine Beziehung mit ihr, nicht mit dir reden werde und darüber gibt es nichts zu diskutieren.“ „Das versteh ich und akzeptiere ich auch mein Sohn.“ Chiaki blickte ihn entgeistert an. Dann wurde sein Blick weicher. „Also was willst du mir dann sagen.“ „Setz dich bitte“, bat Kaiki seinen Sohn. Chiaki seufzte und nahm wieder auf dem Sessel Platz, auf dem er eben schon gesessen hatte. „Also schieß los.“ Kaiki nickte. Er zog eine der Schubladen seines Schreibtisches auf und zog eine Akte heraus. Er legte sie auf den Tisch. Chiaki blickte fragend drauf. „Ist das Marrons?” Kaiki schüttelte den Kopf. „Nicht direkt, Chiaki.“ Chiaki blickte ihn fragend an, er verstand immer noch nicht, was sein Vater ihm sagen wollte. „Was ist nun?“ Er sah zwar, dass es seinem Vater schwer fiel, aber Chiaki hatte nun mal nicht ewig Zeit. Er hatte eine Operation, die er noch vorbereiten musste, das benötigte eine Menge Zeit. Außerdem wollte er selber noch mal zu Marron gehen. Er hatte sie heute Morgen nicht gefunden und er wollte sie einfach sehen, erstens wegen ihrem Lächeln, zweitens wollte er sehen, ob sie die Nacht überstanden hatte, schließlich waren sie wieder als Jeanne und Sindbad unterwegs gewesen. Sie hatte ihn mal wieder fasziniert gehabt, aber sie hatte auch mit ihm gespielt gehabt. Sie hatte ihn nie sehr nah an sich heran gelassen. Aber er hatte auch nichts anderes von ihr erwartet gehabt. Für sie war das alles vielleicht nur ein Spiel, aber er wusste, wer sie wirklich war. Er kannte nun die Frau, die hinter der Maske steckte. Und Marron? Sie wusste, wer Sindbad war, er war ihr Feind. Sie wusste, wer Chiaki war, der, der sie liebte. Aber sie wusste nicht, dass dies ein und dieselbe Person war. Woher auch? Sie lebte ihn einer Ahnungslosigkeit. Für die er selber gesorgt hatte. Er wusste, dass er es ihr irgendwann sagen musste, aber noch wusste er nicht genau, wann er es tun sollte. „Chiaki…“ „Vater…“ Er seufzte. „Ich muss dir was sagen.“ „Ja, soweit waren wir schon“, meinte Chiaki nur und fuhr sich durch seine blauen Haare. Kaiki musterte ihn. Er war damals genauso jung gewesen. Machte Chiaki vielleicht den gleichen Fehler wie er selber damals. „Ich war damals genauso jung.“ „Was hat das mit Marron zu tun?“, schoss die Frage direkt aus Chiakis Mund. Er hatte gar nicht lange nachgedacht, hatte die Worte noch gar nicht allzu lang in seinem Mund gehabt, da waren sie ihm schon über die Lippen getreten. Kaiki war erstaunt, aber sein Gesicht wurde wieder weicher. Er nickte. „Ich kannte ihre Mutter.“ Chiaki blickte ihn fragend an. „Woher weißt du was über Marrons Mutter?“ Chiaki blickte ihn entsetzt an. Nicht mal er wusste was über sie. Hatte sein Vater Nachforschungen wieder betrieben. Kaiki seufzte, nickte aber. Sein Blick ruhte auf der Akte. Darin hatte er alles, was ihn an sie erinnert hatte, darin waren seine Erinnerungen, das letzte was ihm geblieben war. „Ja, ich kannte Korron.“ „Korron?“ Chiaki konnte mit dem Namen nichts anfangen. Kaiki nickte nur wieder. Chiaki merkte, dass sein Vater nicht mehr ganz bei ihm war, aber er sprach einfach weiter. „Ich habe sie während meines Studiums kennen gelernt.“ Wieder schwieg er. Er lächelte. „Sie war wunderschön. Sie sah genauso aus wie Marron.“ Chiaki blickte seinen Vater an. So langsam realisierte er, was sein Vater ihm sagen wollte. Hatte er etwas mit Marrons Mutter gehabt? „Wie lange ist das her?“ Kaiki war überrascht, das Chiaki ihn in seinen Gedanken unterbrach. Er verstand die Frage, schüttelte aber den Kopf. „Nein, Marron ist nicht meine Tochter, wenn du das befürchtest.“ Wieder schwieg er und verfiel in Erinnerungen. „Sie hatte sich damals für Takumi entschieden.“ Chiaki stand auf. Kaiki blickte ihn überrascht an. „Aber…“ „Ich will das hier nicht hören“, sagte Chiaki schnell. „Aber warum nicht?“ „Weil ich es von Marron hören will. Wenn sie mir etwas über ihre Eltern sagen will, dann will ich es von ihr hören. Ich will nichts über ihre Mutter von dir hören, Vater.“ Er seufzte und fuhr sich durchs Haar. „Mir ist egal, was du mit ihrer Mutter hattest. Es ist vorbei, hast du selber gesagt.“ Kaiki nickte. Er wollte Chiaki noch sie viel mehr sagen. Er wollte ihm die Geschichte von Marrons Eltern sagen. Da war so viel. Vielleicht würde Chiaki ihn dann besser verstehen, warum er nicht wollte, dass er mit Marron eine Beziehung einging. Aber vermutlich hatte er kein Recht, sich da einzumischen. Nein, nicht nur vermutlich, es war so. Vielleicht sollte er Chiaki selber seinen Weg gehen. Er nickte. „Okay.“ „Danke.“ Chiaki verließ das Zimmer aber noch nicht. „Sag mal, weiß Marron, dass du und ihre Mutter…“ „Nein“, sagte Kaiki schnell. „Gut. Dann lassen wir es auch dabei”, sagte Chiaki. Aber zu seinem Vater gerichtet, war es mehr eine Bitte. Chiaki nickte und verließ das Büro seines Vaters. Er seufzte. Das alles war einfach kompliziert. Er wollte das alles nicht wissen. Er wollte das nicht wissen, weil er Marron ihretwegen kennen gelernt hat und so sollte es auch bleiben. Er wollte keine Hintergrundgeschichten hören. Das einzige was er wollte, war einfach nur sie. Kapitel 14: Die Kette --------------------- Chiaki und Marron waren nun seit drei Wochen offiziell ein Paar. Alle Leute im Krankenhaus hatten sich an das schöne Bild, das die beiden oft zusammen abgaben, gewöhnt. Marron war offener und frecher und Chiaki war netter und freundlicher. Er nahm sich mehr Zeit für die Patienten als vorher, lächelte mehr und war generell ein wenig besonnener. Man merkte, dass Marron ihm gut tat. Und das merkte auch sein Vater und Kaiki akzeptierte es so langsam. Chiaki gab der Beziehung zu Marron sehr viel Zeit. Er wollte nichts mehr überstürzen und jeden Moment mit ihr genießen und auskosten. Er wollte nicht mehr nur Bettgeschichten und er wollte Marron zeigen, dass er es ernst mit ihr meinte, denn das war das, was sie verdient hatte. Für ihn war sie ein so wundervoller Mensch, so sanft und zierlich. Er wollte sie überall beschützen, vor der Welt, vor schlechten Meinungen und schlechten Menschen. Aber er wusste, dass Marron ihren eigenen Kopf hatte und den wusste sie durchzusetzen. Und Marron kannte die Kraft und Wirkung ihres Lächelns. Sie war zielstrebiger als vorher in ihrer Arbeit. Sie wollte nicht, dass man glaubte, dass sie alles durch ihre Beziehung mit einem Oberarzt bekam, nein, sie wollte nicht bevorzugt werden und arbeitete deswegen härter, als die anderen, um an Operationen zu kommen. Marron fühlte sich ein wenig unwohl. Sie blickte an sich herunter, als sie aus dem Auto stieg. Das lange Kleid, das sie trug, schmiegte sich wundervoll an ihren Körper an, es war leicht und kaum zu spüren, was Marron nur noch mehr veranlasste, immer wieder an sich herunter zu schauen, einfach um zu sehen, ob das Kleid noch an seinem richtigen Platz saß. Chiaki hatte es ihr zu diesem Anlass geschenkt. Für sie war es komisch, dass Chiaki unbedingt das dreiwöchige mit ihr feiern wollte, das kannte sie nicht und es war ihr fremd. Aber sie freute sich, weil Chiaki sich sehr darauf freute. Er freute sich sehr auf den Abend mit ihr. Er hatte auch ihre Schicht umgeändert, damit sie den Abend zusammen hatten. „Schöne Frau“, sprach Chiaki sie an und blickte seine Marron erwartungsvoll an. Er fand, sie sah wundervoll in dem Kleid aus. Es könnte keiner Frau besser als Marron stehen. Er lächelte sie liebevoll an, drückte sie an sich und hauchte ihr einen Kuss an die Schläfe. „Du siehst übrigens wundervoll aus, Marron“, flüsterte er ihr zu. „Chiaki, lass das“, sagte Marron bittend, errötete und stieß ihn leicht von sich. „Warum denn?“ „Weil ich sonst wieder rot werde und das ist mir peinlich“, gestand sie ihm. „Ich mag es, wenn du rot bist.“ Schließlich griff er nach ihrer Hand und führte sie ins Restaurant. „Marron“, Chiaki griff nach ihrer Hand und lächelte sie liebevoll, mit seinen braunen Augen an. Marron wusste gar nicht, wo sie genau hinschauen sollte, denn seine braunen Augen blickten sie einfach viel zu warm und liebevoll an. Ihr wurde warm ums Herz. Der Abend war für sie so wundervoll gewesen, auch wenn sie sich zuerst gesträubt hatte, mit Chiaki in ein so teures Restaurant zu gehen. Aber er bestand darauf. Er wollte sie nun mal schick ausführen. Und Geld war ihm nun mal nie wichtig gewesen. Und er hatte sich in den letzten Wochen schon sehr zurück gehalten, da wollte er wenigstens das hier ordentlich machen. „Ich möchte dir gerne was schenken“, sprach er weiter. „Du weißt, dass du das nicht sollst“, widersprach sie ihm sofort und wollte sich ihm ihrer Hand entziehen. Doch er hielt sie weiterhin fest und lächelte sie nur an. „Komm Herzchen. Gib mir wenigstens eine Chance, es dir zu zeigen. Du hast mir versprochen, heute nicht zu widersprechen.“ Sie seufzte. „Ich wusste, dass du das noch mal gegen mich verwendest.“ Aber sie zog ihre Hand nicht mehr zurück. Sie ließ sie nun in seiner Hand ruhen. Chiaki lächelte sie an, mit der anderen Hand griff er in die Innentasche seines Jacketts und zog ein längliches blaues Kästchen heraus und legte es Marron auf den Tisch. „Was ist das?“ „Mach es auf, Liebes“, sagte er und grinste sie dabei an. „Wirklich?“ „Natürlich. Wenn nicht du, wer soll es sonst öffnen?“ Sie nickte schließlich und entzog sich nun seiner Hand, doch diesmal ließ er sie gewähren. Mit beiden Händen öffnete Marron Kusakabe vorsichtig das Kästchen. Ihre Augen weiteten sich. Sofort schloss sie es wieder, als sie den Inhalt realisiert hatte. Sie blickte Chiaki an, sie wollte es zumindest, denn er saß nicht mehr da. Marron sah, wie er hinter sie trat, das Kästchen wieder öffnete, den Inhalt heraus holte und es ihr um den Hals legte. „Sie sieht wundervoll an dir aus, meine Liebe.“ Er verschloss den Verschluss der Kette und lächelte sie an. Er küsste ihre Hals noch mal, bevor er sich ihr wieder gegenüber setzte. Marron blickte immer noch überrascht. Dann schaute sie auf den Anhänger. Er war so niedlich. So wundervoll. Die Kette war so wundervoll. Sie seufzte. Eigentlich wollte sie diese Kette nicht annehmen, aber sie wusste, dass Chiaki nicht mit sich diskutieren ließ, was dieses Geschenk wohl angehen würde. Natürlich wusste sie das. Sie kannte doch ihren Chiaki. Ja, er war ihr Chiaki. Er war so wundervoll zu ihr und wollte nichts mehr, als das sie glücklich war. Er gab sich große Mühe, nicht, dass sie es unbedingt von ihm abverlangte, nein, er wollte sich selber so verändern und das schätze sie sehr an ihm. Sie hatte ihm eine Chance gegeben und er hatte es noch nicht einmal ausgenutzt. Mehr als Küssen hatte er von ihr noch nicht verlangt, nicht, dass er unbedingt verlangend war. Nein, es schien fast so, als wollte er momentan nicht mehr, als genügte ihm das. Es hatte sich bisher als richtig erwiesen, dass sie ihm eine Chance gegeben hatte. Chiaki hatte sie bisher noch nicht enttäuscht. Er setzte sich ihr wieder gegenüber. „Gefällt sie dir?“ Sie nickte. „Sie ist wunderschön.“ Es war eine goldene Kette mit einem Engel als Anhänger. Der Engel hatte wundervolle Flügel und trug in seinen Händen ein Herz, aus einem Rubinstein. Die Kette war wundervoll. „Für meinen Engel“, sagte er lächelnd. Ja, sie gefiel ihr, das wusste er. Das sah er ihr an. Dass sie die Kette noch nicht zurückgeben wollte, war ein gutes Zeichen. Sie nahm nicht gerne seine Geschenke an, sie hatte sich auch bei dem Kleid gesträubt, doch er wollte nun mal nicht klein bei geben. Manchmal gab er es auf, mit ihr zu diskutieren. Er wollte ja nicht mit ihr streiten. Nein, das wollte er nie. Dafür war sie ihm einfach viel zu wichtig. Ja, sie war ihm verdammt wichtig. Und er wollte Marron nicht mehr verlieren. Er wusste, dass er momentan auf einem sehr schmalen Grad wanderte, da er ihr Geheimnis wusste, aber noch wusste er nicht, wie er es ihr sagen wollte. Er ahnte, dass, umso länger er es hinaus zögerte, es schlimmer für sie sein würde, aber er mochte ihr Lächeln zu sehr. Vermutlich war es egoistisch. Nein, nicht vermutlich, es war egoistisch von ihm, dass er so dachte. Aber es war ihm alles egal, solange er das unbekümmerte Lächeln von Marron Kusakabe sehen konnte. Dafür gab er momentan alles. „Ich habe die gleiche“, sagte er schließlich. Überrascht blickte Marron von dem Anhänger, der auf ihrer Brust ruhte, auf und blickte Chiaki fragend an. Ohne etwas Weiteres zu sagen, zog er eine Kette unter seinem Hemd hervor. Ja, er trug den gleichen Anhänger. Er war nur etwas kleiner und statt an einer Goldkette, trug er den Anhänger an einem Lederband, was ihm vermutlich sogar besser stand. „Damit ich meinen Engel immer bei mir habe“, antwortete er ihr und blickte sie lächelnd an. „Danke, Chiaki.“ „Nein, Marron. Ich danke dir. Du bist so ein wundervoller Mensch. Ich danke dir, dass du uns eine Chance gegeben hast.“ „Noch hast du es ja nicht versaut“, sagte sie und lächelte ihn an. Sie scherzte mal wieder mit ihm und nutzte ihre Situation gerne ein wenig aus. Aber genauso mochte er sie ja. Nein, genauso liebte er sie. „Marron…“ Sie vernahm die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme. Er griff nach ihrer Hand und blickte sie sanft an. Sie sagte nichts mehr, sondern blickte ihn nur an. Sie wollte nicht wieder das falsche sagen und die Stimmung kaputt machen. „Ich muss dir was sagen“, fing er an. Ja, vielleicht war jetzt der Moment, wo er ihr erzählen sollte, dass er ihr Geheimnis kannte. Ja, vielleicht sollte er ihr genau jetzt sagen, dass er wusste, wer sie war. Er schaute schließlich auf und blickte in die wärmsten und schönsten Augen, die er je gesehen hatte. Er seufzte, innerlich. Nein, er konnte es ihr nicht jetzt sagen. Er war zu feige. Er lächelte sie aber an. „Ich liebe dich, mein Engel.“ Marron lächelte ihn leicht errötet an. Chiaki musste grinsen, stand von seinem Stuhl wieder auf und ging zu seiner Freundin, er beugte sich zu ihr hinunter und streichelte ihr über die Wange. „Du bist so wunderschön, wenn du rot wirst, Marron.“ „Sag so was nicht“, murmelte sie zu ihm. „Warum nicht?“ „Weil ich dann noch roter werde.“ „Gut, dann mach ich was anderes.“ Zärtlich und ganz liebevoll berührten sich ihre Lippen. Er hatte früher Frauen nie so geküsst. Früher waren seine Küsse fordernd und schnell, doch mit Marron wollte er jeden Moment, jede Sekunde des Kusses genießen. Er wollte all die Gefühle spüren, die sie bei ihm erweckte, wenn sie sich küssten. Er wollte ihren Atem auf seiner Haut, auf seinen Lippen spüren. Er wollte ihre Augen ganz nah bei sich haben. Er wollte einfach Marron spüren und genießen und es langte ihm momentan, wenn sie sich küssten. Er forderte nicht mehr, nein, er wollte momentan nicht mehr. Er wollte die Chance nutzen, etwas ganz neues zu probieren. Nämlich etwas ernst nehmen. Er wollte unbedingt diese Beziehung zu Marron ernst nehmen und er wollte ihr es zeigen und beweisen. Es war schon spät in der Nacht als Jeanne, die Kamikazediebin über die Dächer der Nacht huschte. Sie war voller Energie. Das lag nicht zuletzt an den wundervollen Abend mit Chiaki. Aber nun sollte sie sich wirklich auf ihre andere Aufgabe konzentrieren. Sie war schließlich Jeanne und sie hatte eine Aufgabe zu erledigen. Die blonden Haare flogen im Wind. Sie war immer noch berauscht. Sie konnte tun, was sie wollte, sie musste immer wieder an Chiaki denken. Sie seufzte, wenn das so weiter geht, könnte sie bald ihr zweites Ich als Jeanne an den Nagel hängen, denn dann würde sie ihre Aufträge nicht mehr gut vollenden. Marron, alias Jeanne, gelangte relativ schnell und fast unsichtbar in das Gelände des Hauses, in dem sie die Vase holen sollte. Ja, diesmal war es kein Bild, es war eine Vase. Sie war bestimmt wunderschön, aber auch sehr teuer. Bei den Bildern wusste sie, wenn sie die bösen Dämonen daraus gebannt hatte, erschien ein neues Bild, aber wie war es bei etwas, wie einer Vase? Sie würde es sehen. Fynn war sie heute aus dem Weg gegangen. Die letzte Zeit ging sie dem Engel aus dem Weg und beantwortete die neugierigen Fragen nicht. Fynn war ihr eine gute Freundin, aber irgendwie konnte sie ihr nicht alles sagen. Es war komisch, zumindest für sie. Nicht, dass sie ihre Beziehung zu Chiaki geheim halten wollte oder dass sie sich für die Beziehung schämte, es war öffentlich. Im Krankenhaus wusste es schließlich auch schon jeder. Und ihre beste Freundin wusste es auch. „Da ist Jeanne!“ Plötzlich gingen alle Lichter an. Jeanne blieb erschrocken stehen und musste sich mit dem Arm das Gesicht bedecken, da das Licht zu grell blendete. Aber schnell gewöhnten sich ihre Augen an das Licht. Es waren riesige Scheinwerfer, die auf sie leuchteten und sie blendeten. Aber es stand kein Polizist ihr im Weg. Sie machte mit den Augen schnell den Weg aus, da sie sah, dass sie nur weiter geradeaus rennen musste. Sie nahm die Hand weg, schloss die Augen und rannte los, blind. Als sie unter ihren verschlossenen Lidern spürte, dass das Licht schwächer wurde, öffnete sie die Augen wieder. Sie war vor dem Haus angekommen. Jeanne verlangsamte ihr Tempo. Sie sollte wachsamer sein und das war sie nun auch wieder. Sie wollte nichts riskieren, sie setzte hier ihr Leben eventuell aufs Spiel. Geschickt zog sie ihren kleinen Ball aus dem Rock hervor, warf ihn nach oben. Dieser wickelte sich ums Geländer. Schnell und ohne lange nachzudenken eilte Jeanne an der Wand entlang nach oben und landete sicher auf dem Balkon des Hauses. Sie holte nun ihre Brosche aus der Tasche und schaute nach dem Signal. Es piepste stärker als unten. Also war sie schon auf der richtigen Fährte. Natürlich, sie war ja auch Jeanne. Sie öffnete leise die Tür. Sie wusste auch, dass man sie schon bemerkt hatte, aber das war ja nun auch egal. Wenn sie leiser war, war sie den Polizisten immer noch einen Schritt voraus. Jeanne hatte die Vase schnell gefunden. Es war fast zu einfach gewesen. Kein einziger Polizist wollte sie aufhalten. Die Vase stand in einer großen Halle, die zwar nicht beleuchtet war, aber da das Zimmer große Panorama-Fenster hatte, konnte Jeanne durch den hellen Schein des Mondes doch eine Menge erkennen. „Schach Matt“, rief sie als sie ihren Pin auf die Vase schmiss. Diese verschwand und eine Schachfigur flog zu Boden. Jeanne wollte sich gerade nach ihr bücken und sie aufheben, als sie an die gegenüberliegende Wand gezerrt wurde. Nun standen sie im Schatten und die Person, die sie an die Wand drückte, mit ihr auch. Sie spürte nur den Atem der Person. „Psst.“ Sie erkannte die Stimme. Jeanne wusste, dass es Sindbad war, der neben ihr im Schatten war. „Was willst du?“, flüsterte sie zu ihm. Jeanne hatte nicht vor, ein Gespräch oder ein Kaffeestündchen mit Sindbad zu halten. Sie wollte hier schnell wieder weg und direkt wieder nach Hause. Sie hatte morgen Frühschicht, das war meist sogar die Nervenaufreibenste Schicht von allen. Vor allem nach einem Wochenende oder Feiertag. Da kamen immer alle direkt. „Psst“, machte er weiterhin nur noch. Dann hörte auch Jeanne die Stimmen. Sie kamen aus dem Flur vor dem Raum. Waren das die Polizisten? Warum kamen sie erst jetzt? Sie hatten sie doch kommen sehen. Waren sie abgelenkt gewesen? Hatte Sindbad sich vielleicht ihnen in den Weg gestellt gehabt? Hatte er dafür gesorgt, dass sie ohne Probleme zur Vase gelangen könnte? Doch Jeanne, alias Marron, blieb nicht lange Zeit sich viele Gedanken darüber zu machen, denn das Licht in dem Raum wurde angeschaltet. Nun standen sie nicht mehr im Schatten. Erschrocken blickte sie sich um. Sie blickte sofort zur Schachfigur, sie müsste sie haben. Sie brauchte sie. Sonst wäre alles umsonst gewesen. Jeanne brauchte einen Plan. Und zwar schnell. Sie riss sich von Sindbad los, rannte zur Schachfigur und griff nach ihr. „Nein!“, hörte sie nur noch Sindbad rufen. Dann fiel ein Schuss. Erschrocken drehte sich Jeanne um. Wer schoss da? Wollte man sie nun umbringen? Sie sah das Sindbad vor ihr stand, seitlich. Er hatte sich vor sie geschmissen. Dann klirrte es. Jeanne schaute zu Boden. Sie sah eine Kette auf dem Boden liegen. Direkt vor den Füßen von Sindbad. Sie kannte die Kette. Ihre Augen weiteten sich. Vor Sindbads schwarzen Stiefeln lag ein Engel, an einem schwarzen Lederband. Chiaki… kam ihr sofort ins Gedächtnis. Nur schwer löste sich ihr Blick von der Kette auf dem Boden. Sie wanderte seinen Körper ganz langsam nach oben und blickte schließlich in das Gesicht von Sindbad. Warum kam es ihr auf einmal so vertraut vor? Und warum schmerzte der Anblick von Sindbad sie auf einmal? „Ma…“, wollte Sindbad etwas sagen. Doch er kam nicht weit, die Polizisten stürmten in Massen das Zimmer. „Haltet sie auf!“ Jeanne drehte sich um, rannte zu einem der Fenster, legte die Arme schützend vor ihr Gesicht und sprang. Es war ihr egal, ob sie verletzt werden würde. Jetzt in diesem Moment spürte sie rein gar nichts. Sie war leer, in ihr war es leer. Sie fühlte sich leer und taub. „Jeanne!“ Sie war nicht mehr gerannt. Sie konnte einfach nicht mehr. Nur noch langsam gingen ihre Beine und brachten sie nur schwerfällig an ihr Ziel. Sie war aus dem Gelände des Anwesens, aber noch nicht in Sicherheit. Hinter sich hörte sie Sindbad. Oder was oder wer auch immer er war. „Warte!“ Sie reagierte nicht. Sie wollte nicht. Warum trug er Chiakis Kette? Warum war da plötzlich dieser Anhänger? Warum wollte er sie mit ihrem Vornamen ansprechen? Wer war er? Was war er? Sie wollte nicht glauben, dass er Chiaki war. Nein, das wollte sie nicht glauben. Sie konnte es auch gar nicht. Der Gedanke tat ihr schrecklich weh. Sie fühlte sich einfach nur leer. Sie wollte nicht mehr gehen, wollte am liebsten stehen bleiben, nein, sie wollte liegen, sie wollte sich auf den kalten Boden legen. Sie wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen und nichts mehr spüren. Vor allem das letzte nicht. Momentan war sie nur taub. Fast benebelt, als wäre sie in einer anderen Welt.Es schien alles so weit weg. „Bitte!“, vernahm sie seine Stimme immer noch. Aber drang sie wirklich zu ihr durch. Nein, sie war in einer anderen Welt. Die Stimme war nicht da. „Marron!“ Ihr Körper blieb stehen, ihre Beine blieben stehen, alles in ihr blieb stehen. Sie konnte nicht mehr. Kein Schritt konnte sie mehr gehen. Heiße Tränen rannen ihr über die Wange. Ihr Hals kratzte und sie hatte einen Kloß darin, der ihr das Atmen erschwerte. Ja, sie konnte nicht mehr. Sie hörte seine Schritte, hörte, dass er näher kam. Langsam und vorsichtig. „Lass es mir dir erklären.“ „Ich will nichts hören“, sagte sie leise. „Doch, bitte.“ „Ich will von dir nichts hören!“, ihre Stimme wurde lauter, aber sie brach immer wieder zusammen. „Ich möchte dir erklären, was Sache ist.“ „Verdammt! Ich will nichts hören!“ Sie schrie ihn an. Sie schlang ihre Arme um ihren Körper und schien sich selber zu umarmen. Nein, sie umarmte sich nicht, sie baute die Mauer wieder auf, die sie immer geschützt hatte. Da war sie wieder, Stein für Stein wurde gerade wieder aufgebaut. Sie würde sich wieder in ihre eigene Welt verkriechen, es war ihr egal, da verletzte man sie wenigstens nicht. Da tat man ihr nicht so sehr weh. Da musste sie keinem Menschen vertrauen, der sie eh wieder verraten würde. Da war sie sicher. Da war sie einfach allein. Sie wich zwei Schritte zurück. „Marron…“ Sie zuckte zusammen, als er ihren Namen aussprach. Langsam, aber fordernd, blickte sie ihn nun an. Sie musste nun die Wahrheit wissen, sie wusste, dass sie nicht mehr zurück konnte. Sie wollte es nicht mehr. Sie wollte wissen, wer sie so verraten und verletzt hatte. Die Schritte, die sie eben zurückgegangen war, ging sie wieder auf ihn zu. „Marron. Ich will dir die Wahrheit sagen.“ Doch sie hörte ihn gar nicht. Schwach, fast zu schwach, hob sie ihre Hand. Ihre Augen blickten traurig und enttäuscht in die seinen, die noch hofften. Dann lag ihre Hand an dem Tuch, der sein Gesicht verbarg. Er wehrte sich nicht, was Jeanne ein wenig überraschte. Aber es war ihr egal, sie wollte über das warum nicht nachdenken. Sie wollte nun einfach die Wahrheit. Sie wollte keine Lügen mehr. Sie wollte keine Worte mehr hören, die sich entschuldigen wollten. Sie wollte die Wahrheit. Mehr nicht. Sie riss an dem Tuch. Ihre Augen weiteten sich. Sie konnte es nicht glauben. Erschrocken ging sie zwei Schritte zurück. Sie wollte das nicht glauben. Es war alles gelogen, hallte es in ihrem Kopf. Jeanne drehte sich um und rannte weg. „Marron!“, hörte sie noch seine Stimme. Kapitel 15: Die Hoffnung auf einen Alptraum ------------------------------------------- Der Wecker piepte. Er piepte wie jeden Morgen. Manchmal konnte sie nur sonntags ausschlafen. Und das kam nur sehr selten vor, denn meist hatte sie dann Rufbereitschaft und wurde dennoch geweckt, von ihrem Pager. Aber heute war es ihr Wecker. Müde streckte sie sich in ihrem Bett. Dann spürte sie wieder die Leere und die Kälte, die sie umfasste. Aber vielleicht war alles nur ein Traum. Ja, vielleicht hatte Chiaki sie nicht betrogen und belogen. Vielleicht war das alles nur ein Alptraum gewesen. Marron Kusakabe stand zermürbt auf, griff nach der Kleidung, die sie sich gestern schon raus gelegt hatte und schlurfte ins Badezimmer. Ja, es war bestimmt alles nur ein Traum gewesen. Chiaki war ein netter Mann, er mochte sie und sie mochte sein Lächeln. Er hatte so ein schönes Lächeln. Marron kam frisch geduscht und angezogen aus dem Badezimmer und schlurfte immer noch etwas müde in Richtung Küche. Ja, sie war sich immer sicherer, dass es ein Traum war. Ein Alptraum. Beim Vorbeigehen, sah sie, dass ihr Anrufbeantworter blinkte. Sie drückte auf den Knopf um ihre Nachrichten abzuhören. „Sie haben 21 neue Nachrichten.“ 21? Hatte sie irgendwas Wichtiges verpasst gehabt? „Nachricht 1, gestern 22: 20; Marron, ich bin es Chiaki. Es tut mir Leid. Bitte hör mich an. Ich weiß, dass du da bist. Bitte, hör mich an. Es tut mir Leid.“ Es war also doch kein Traum. Marrons Hand suchte Halt und griff nach dem Schrank. Ihre Knie wurden schwach. In ihr stürzte gerade alles ein. Nein, es war kein Traum gewesen. Es war nicht nur ein dummer Alptraum gewesen. „Nachricht 2, gestern 22:25; Marron. Es tut mir Leid. Ich wollte dir nicht wehtun. Ich wusste nie, wie ich es dir sagen sollte. Bitte, verzeih mir.“ Marrons Knie gaben nun ganz nach. Ihre Augen füllten sich mit Tränenflüssigkeit und sie sah nur noch verschwommen. Sie sackte in sich zusammen und schluchzte. Ihr ganzer Körper zitterte. „Nachricht 3, gestern 22:31; Marron, ich liebe dich. Das musst du mir glauben. Ich liebe dich, mehr als alles andere. Bitte glaub mir das. Du hast mich verändert. Du hast mich zu einem besseren Menschen gemacht. Ich liebe dich. Marron? Marron?“ Marron lag auf dem Boden, schwach, sie zitterte und konnte sich nicht bewegen. Aber sie schaffte es, den Stecker vom Anrufbeantworter aus der Steckdose zu ziehen. Sie wollte nichts mehr hören. Sie wollte gar nichts mehr hören. Es tat nur noch mehr weh. Sie wollte nicht mehr seine Stimme hören. Warum konnte es nicht nur ein Alptraum sein? Es wäre so viel besser gewesen, wenn es nur ein Alptraum gewesen wäre. Es wäre einfacher und schöner gewesen. Sie zitterte. Und alles um sie herum war verschwommen. Es war alles so unreal. Chiaki Nagoya hatte die Nacht nicht geschlafen. Er hatte die ganze Zeit versucht, Marron anzurufen. Aber es ging immer nur ihr Anrufbeantworter ran. Natürlich verstand er sie. Aber er wollte sie hören, sie sprechen, sie sehen. Es war unerträglich. Natürlich war er selber daran schuld. Ja, er war selber daran schuld. Er hatte ihr verdammt weh getan. Dabei wollte er sie doch beschützen. Und dann passierte dieser dumme Fehler. Er hatte ihr die Kette selber geschenkt. Es war ein Zeichen der Liebe gewesen. Und diese hatte ihm verraten. Welche Ironie. Er musste auflachen. Es klopfte an der Tür. Kaiki Nagoya schaute in das Büro seines Sohnes. „Chiaki.“ „Vater.“ Chiaki hatte keine Lust mit seinem Vater zu reden. „Was gibt es denn?“ „Wie geht es dir, mein Sohn?“ „Wunderbar.“ Kaiki hörte natürlich den Sarkasmus aus der Stimme seines Sohnes. Und das für ihn ein weiterer Grund, warum er sich auf den Stuhl Chiakis gegenüber setzte. Kaiki musterte seinen Sohn, der nervös auf der Tischplatte mit seinen Fingern tippte. „Was ist passiert, Chiaki?“ „Nichts.“ „Nach nichts sieht das aber nicht aus“, widersprach sein Vater ihm. „Nichts, was dich angeht, Vater.“ „Hast du die Nacht überhaupt geschlafen?“ „Nein“, antwortete Chiaki kurz. „Ist was mit Marron? Ihr ward doch gestern essen?“ Chiaki seufzte. „Vater, du solltest gehen.“ „Und du solltest ins Bett gehen, Chiaki“, versuchte er es nun auf diese Weise. Chiaki blickte seinen Vater fragend an. „Ich will nicht, dass du so hier arbeitest.“ „Lass mich damit in Ruhe.“ „Chiaki.“ Kaiki stand auf und beugte sich über dem Schreibtisch. „Was ist passiert?“ „Nichts.“ „Es ist also wegen dieser Marron.“ Kaiki seufzte. „Ich hatte dir gleich gesagt, dass du die Finger von ihr lassen sollst.“ „Sei still.“ Chiaki stand von seinem Stuhl auf und blickte seinen Vater wütend an. „Ich will nichts von dir hören. Kein einziges Wort über Marron.“ „Chiaki.“ „Nein Vater. Ich liebe sie. Ich liebe Marron Kusakabe. Da hast du es. Ich liebe sie und ich habe ihr schrecklich weh getan.“ Er seufzte und spürte den Schmerz in seinem Herzen. „Ich habe ihr schrecklich weh getan und nun will sie wohl nichts mehr von mir wissen.“ Jedes Wort, das er aussprach, tat ihm schrecklich weh. Er stützte sich auf den Schreibtisch und seufzte auf. Ja, der Schmerz übermannte ihn. Marron Kuskabe trug wie jeden Tag ihren weißen Kittel. Sie ging gerade die Akten in der Ambulanz durch. Sie hatte heute hier Dienst. Sie war froh, hier war immer sehr viel zu tun und hier würde sie auch Chiaki nicht über dem Weg laufen. Das würde sie heute wohl nicht verkraften. Eigentlich wollte sie sich heute einen Tag frei nehmen, oder am besten direkt die ganze Woche. Aber zu hause wartete ein kleiner Engel, der sie mit nervigen Fragen überhäufte, die sie momentan nicht beantworten wollte. Und hier hoffte sie, könnte sie sich wenigstens ablenken. Sie teilte einer Schwester gerade mit, welche Tests sie bei dem Patienten aufschreiben und ausführen sollte, als sie Chiaki erblickte. Dieser sah sie natürlich sofort auch und kam auf sie zu. Marron drehte sich schnell um und ergriff die nächste Akte, um zum nächsten Patienten zu gehen. „Hallo, Miss Ludger“, sprach sie die Patientin an. „Marron.“ Marron reagierte nicht. Sie wollte einfach nicht reagieren. Sie wollte stark bleiben und versuchte dies mit allen Mitteln. „Marron.“ Sie seufzte auf. Schließlich drehte sie sich zu ihm um. „Oh, Dr. Nagoya.“ Entsetzt schaute Chiaki sie an. Dann sah er ihre Verbitterung in ihren Augen. Dieser Anblick schmerzte. Es schmerzte mehr, als die Ungewissheit, sie nicht mehr sehen zu können. Die Ungewissheit, nicht wissen zu können, wie es ihr gerade ging. „Es ist schon gut.“ Damit drehte sich Chiaki um und ging wieder. Es war kein Alptraum. Es war alles Realität. Sie hatte seine Augen gesehen und sah, dass es ihm Leid tat. Oder was auch immer sie sehen wollte. Es war kein Alptraum. Ihr Herz tat wirklich weh. Jeanne die Kamikazediebin war wieder unterwegs gewesen. Zuerst wollte sie nicht, weil sie Sindbad oder Chiaki, egal wer er war, begegnen wollte. Aber dann hatte sie es Fynn doch zu liebe getan. Denn sonst hätte sie Fynn etwas erklären müssen und dazu war sie noch nicht bereit. Nein, sie konnte darüber noch mit niemanden reden. Der Schmerz war einfach noch zu frisch und zu tief. Jeanne sprang gerade auf das Dach des Hauses. Der Auftrag war sehr leicht gewesen. Wenigstens etwas, dachte sie. Doch dann merkte sie einen Schatten auf dem Dach. Sie wollte weiter rennen, doch seine Stimme hielt sie auf. „Marron.“ Sie wusste gar nicht, warum sie stehen geblieben war. Sie wollte seine Stimme nicht hören und sie wollte keine Märchen hören. Sie wollte nichts mehr von ihm wissen. Sie brauchte Zeit. Ja, das war es was sie brauchte. „Marron.“ Sie hörte seine Schritte auf den Dachziegeln. Er war nun direkt hinter ihr. „Es tut mir Leid.“ „Ich will nichts hören“, sagte sie schnell. Sie würde es nicht verkraften. Was sollte sie ihm schon glauben? „Ich liebe dich.“ Ihr Atem stockte. Sie wollte aufschreien. Sie wollte nichts mehr hören. Der Schmerz in ihr wurde immer größer. „Ich liebe dich. Ich wusste leider schon bevor ich dich als Marron kennen lernte, dass ich dich vom Stehlen abbringen musste.“ „Sei still.“ Jedes Wort tat weh. „Ich liebe dich. Ich habe mich in dich verliebt, Marron. Glaub mir.“ Sie drehte sich zu ihm um und blickte ihn mit wütenden Augen an. „Ich will nichts mehr von dir hören.“ Sie griff sich an den Hals und zog an der Kette. Sie blickte diese kurz an und warf sie ihm vor die Füße. Sindbad blickte erstaunt auf die Kette und seufzte. Als er wieder aufblickte, war Jeanne nicht mehr da. Kapitel 16: Schmerz ------------------- Jeanne rannte über die Dächer. Es war Nacht und es war kalt und windig. Aber sie spürte von all dem Nichts. Das Einzige, was sie spürte, war dieser Schmerz. Dieser schreckliche Schmerz, der tief in ihrem Bauch saß und kochte und brodelte und versuchte, sie in eine Dunkelheit zu ziehen. Dieser Schmerz war kalt und pechschwarz. Er drohte sie zu ersticken. Und dann waren da noch diese heißen Tränen. Ja, heiße Tränen rannen über ihre kalten Wangen. Ihre kalten Wangen sorgten dafür, dass sie ihre Tränen als noch heißer empfand, als sie vermutlich waren. Aber wen interessierte das schon. Niemanden. Sie war allein. Sie wollte alleine sein. Jeanne wollte aufschreien. Nein, Marron wollt schreien. Sie wollte schreien und weinen. Weinen und sich in eine Ecke verkriechen. In eine Ecke verkriechen und vor sich hin wippen. Sie wollte niemanden um sich herum. Sie wollte das alles nicht mehr. Jeanne wollte nicht mehr Jeanne sein. Jeanne, wollte einfach nicht mehr Sindbad und somit Chiaki über dem Weg laufen. Und immer noch rannte sie über die Dächer, sprang und rannte, egal wohin. Sie war wie in Trance. Es war egal. Ihr war es egal. In ihr war immer noch das Gespräch von eben im Gedächtnis. Er hatte sie „Marron”, genannt, als sie gar nicht Marron war. Nein, sie war Jeanne gewesen und er hatte sie dennoch „Marron“, genannt. Und seine Stimme klang traurig und leidend. Aber es war ihr egal. Es interessierte sie nicht, dass er auch traurig war. Er hatte schließlich ihr weh getan. Er war es, der ihr Vertrauen zerstörte. Nichts würde mehr so sein, wie früher. Nichts. „Es tut mir Leid.“ Ja, das hatte er gesagt, aber sie konnte ihm nicht glauben. Und wenn sie ihm glauben würde, das würde es auch nicht besser machen. Das würde sie auch nicht von ihrem Schmerz befreien. Nein, dann war da immer noch dieser eiskalte Schmerz in ihr drin. Diese vier Worte würden den Schmerz nicht stillen können. Nein, sie würden gar nichts machen. Und wenn es ihm Leid tat, warum hatte er es dann überhaupt gemacht? Er wusste, wer sie war, bevor er sich auf sie eingelassen hatte, bevor sie sich auf ihn eingelassen hatte. Er wusste, was er tat und er hatte es dennoch getan. Warum also? Warum also eine Entschuldigung? Sie hatte rein gar nichts zu bedeuten. Ihr Schluchzer durchhallte die Nacht. Er zeigte von einem tiefen Schmerz und Kummer. In ihr tat alles weh. Sie spürte nichts außer den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte. „Ich will nichts hören“, hatte sie zu ihm gesagt. Sie hatte es gesagt gehabt, ohne ihn anzuschauen. Sie wollte ihn auch nicht anschauen. Sie wollte nicht in seine Augen sehen, denen sie einmal vertraut hatte. Sie wollte das alles nicht mehr. Sie wollte schreien. Sie wollte ihn anschreien. Aber es ging nicht. Ihre Stimme versagte. Sie war alleine und voller Schmerz und Kummer. Und dann… Sie schluckte den nächsten Satz herunter. Sie wollte nicht daran denken, was er dann gesagt hatte. Doch. Ja, er hatte wirklich die Dreistigkeit besessen gehabt, in diesem Moment „Ich liebe dich“, zu ihr zu sagen. Und es war wieder ein Stich in ihrem Herzen gewesen. Er hatte nicht nur mit seinem Schwert zugestoßen gehabt, er drehte es auch um und wühlte in der Wunde. Ja, genau das tat er. Wie konnte er diese drei Worte zu ihr sagen? Wie konnte er es zu ihr sagen? Er hatte sie verletzt gehabt. Er hatte ihr schrecklich weh getan. Chiaki oder Sindbad, wer auch immer er wirklich war, er hatte sie enttäuscht und hintergangen. Nein, sie würde ihm nicht glauben. Auch diese drei Worte nicht. Und als er diese drei Worte gesagt hatte, wollte sie schreien. Sie wollte in die Nacht schreien, all ihren Schmerz loswerden und raus lassen. Sie wollte es ihm zeigen, sie wollte ihm ihren Schmerz zeigen. Doch sie konnte nicht schreien. Ihr Körper, ihre Stimme versagte. Sie war schwach und genauso war sie es auch in dem Moment gewesen. Jeanne hätte sich nach diesen drei Worten auch zu ihm umdrehen können und ihm eine Ohrfeige verpassen. Aber auch das konnte sie nicht. Dafür hätte sie ihm ja ins Gesicht sehen müssen. Nein, das hätte sie ganz bestimmt nicht verkraftet gehabt. „Ich liebe dich. Ich wusste leider schon bevor ich dich als Marron kennen lernte, dass ich dich vom Stehlen abbringen musste.“ Wie dieser Satz in ihr saß. Er wollte sie vom Stehlen abbringen? Aber warum? Taten sie nicht gemeinsame Sache, in dem sie einen Auftrag von Gott persönlich erfüllten? Hatte er ihr das nicht selber gesagt? Hatten sie nicht das gleiche Ziel? Warum also das alles? Warum sollte er sie also vom Stehlen abbringen? „Sei still.“ Jedes Wort tat weh. Seine Stimme tat ihr weh. Seine Nähe schmerze ihr. Jedes Wort setzte ihr zu. Jeder Satz drehte das Schwert noch ein Stück in ihrem Herzen herum, auf das es weiter bluten und leiden würde. Immer weiter. Und Jeanne rannte immer noch weiter. Sie vergaß die Kälte um sich herum. Sie vergaß alles um sich herum. Sie wollte einfach nur weg und wusste dabei noch nicht einmal, wo sie hin kam. „Ich liebe dich. Ich habe mich in dich verliebt, Marron. Glaub mir.“ Nein! Sie konnte ihm nicht glauben. Wie sollte sie nach dem er sie betrogen und belogen hatte, glauben? Sie schaffte es schließlich, von ihrer Wut gestärkt, sich um zudrehen. Ihre Augen waren gerötet, aber das war egal. Wut erkannte man an ihrem Gesicht, wie sie auf die Lippe biss und an ihrer ganzen Haltung, wie sie zum Beispiel die Hände zu Fäusten ballte. „Ich will nichts mehr von dir hören.“ Dann hatte sie nach ihrer Kette gegriffen. Die Kette, die er ihr geschenkt hatte. Die Kette, die eigentlich für ihre Liebe stehen sollte. Die Kette, die ihn selber verraten hatte. Sie hatte sie sich einfach vom Hals gezogen, die Silberkette war gerissen, und hatte ihn ohne ein weiteres Wort vor die Füße geschmissen. Dann war sie gegangen.Nein, sie war gerannt. Ja, sie war davon gerannt. Sie musste einfach weg. Sie wollte ihn nicht weiterhin sehen. Erschöpft kam sie zuhause an. Sie ließ sich auf die Knie sinken, als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte. Sie saß auf ihren Knien auf den Boden und sah, wie leise Tropfen auf dem Parkettboden unter ihr landeten. Tränen füllten ihre Augen und sie sah verschwommen, sah nichts mehr scharf. „Marron…“, vernahm sie die Stimme des kleinen Engels. Sie legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein und aus. Ihre Arme umgriffen ihren Körper. Doch der Schmerz blieb da. Er wollte nicht gehen. Nicht mit allen Tränen wurde der Schmerz weniger. Er blieb. Marron Kusakabe hatte frei. Zwei Tage. Die zwei Tage hatte sie nur in ihrem Bett verbracht gehabt. Sie war nur aufgestanden, um ab und an auf die Toilette zu gehen. Nicht mal gegessen hatte sie was. Fynn war irgendwann gegangen, weil sie ihre Freundin so nicht mehr sehen konnte. Und Marron konnte ihr auch nichts erzählen. Marron Kusakabe hatte die ganze Zeit in ihrem Bett gelegen und schweigend an die Decke gestarrt. Immer wieder rannen leise, stumme Tränen über ihre Wangen und landeten auf ihrem Kissen. Doch es war egal. Es war einfach alles egal. Da war nur dieser Schmerz in ihr, der nicht nach lassen wollte und der sie von innen auffressen wollte. Ja und es war egal. Sie wusste gar nicht, warum sie schließlich aufgestanden war. Die Brünette stand nun an der Küste und blickte übers Wasser. Die Sonne ging gerade unter und färbte das Wasser und den Himmel in einen rötlichen Ton. Marron hatte sich nicht auf die Bank gesetzt, die hinter ihr unter einem Baum stand. Nein, sie stand am Geländer und blickte über das Wasser, das orange gefärbt war. Sie schwieg. Sie spürte auch nicht den Wind, der um ihr Gesicht blies und ihr ihre Haare ins Gesicht wehte, was sie normalerweise kitzelte, doch gerade spürte sie nichts. Chiaki Nagoya war verzweifelt. Er wollte mit Marron reden, er wollte sie sehen, wollte ihr alles erklären. Aber er wusste, dass sie ihn nicht sehen wollte. Er hatte schon ein paar Mal an ihrer Tür geklopft, sie hatte nie aufgemacht. Sie hatte ihm nicht mal geantwortet. Gar nichts hatte sie zu ihm gesagt, nicht mal ein einziges Wort. Und das war das Schlimmste an der Sache. Wenn sie ihn doch wenigstens anschreien würde. Aber sie tat gar nichts. Auf der Arbeit ging sie ihm nicht besonders aus dem Weg, gab vernünftige Antworten an ihren Vorgesetzten, aber ansonsten blickte sie ihn nur kalt an. Ja, in ihr war eine erschreckende Kälte. Das letzte Mal hatte er sie vorgestern Nacht gesehen, als Jeanne. Und da hatte er ihr angesehen, dass es ihr nicht gut ging. Und dann hatte sie ihm ihre Kette vor die Füße geschmissen. Sie konnte sie einfach nicht mehr tragen und das verstand er sogar. Er wollte sie nur wieder glücklich sehen, aber er wusste, dass so einfach nicht mehr ging. Das was er hoffte, dass es nie passieren sollte, war eingetreten. Sie wollte nichts mehr von ihm wissen. Chiaki rannte. Nein er joggte. Er brauchte Ablenkung. Er rannte am Strand entlang und hatte rechts neben sich die untergehende Sonne und das Meer, links von ihm waren ein paar Bäume. Es war eine schöne Gegend. Wenn er lief, dann lief er immer hier entlang. Dann blieb er erschrocken stehen. Sein Atem war vom Laufen ungleichmäßig, hektisch. Aber er sah sie. Er sah sie, direkt vor sich. Sie schien ihn noch nicht zu bemerken. Und Chiaki Nagoya blieb stehen und blickte sie an. Sie sah wunderschön aus, ein wenig zerbrechlich und schwach, aber sie war immer noch voller Schönheit und Anmut. Aber sie war traurig. Das sah er auch von weitem. Nun drehte sie sich um und wollte gehen. In die andere Richtung. Hatte sie ihn bemerkt? Sie hatte ihn nicht angeschaut. „Bitte, Marron, warte“, bat er sie. Seine Stimme war nicht mehr so stark und selbstsicher, wie sie sonst immer war. Nein, auch er war gebrochen. Er hatte das Wichtigste verloren. Sie blieb stehen. Marron blickte sich nicht mal überrascht nach ihm um. Also hatte sie ihn wirklich bemerkt, ihn nur ignoriert. Sie blieb stehen und stand mit dem Rücken zu ihm. „Ich versteh ja, warum du mich nicht sehen willst.“ Sie stoppte seine Worte nicht, sie unterbrach ihn nicht. „Aber hör mir doch wenigstens zu. Ja, es war falsch von mir, nicht zu verraten, dass ich Sindbad bin. Aber…“ Ihr Rücken verspannte sich. „Chiaki, bitte sag mir.“ „Ja?“ Nun drehte sie sich zu ihm um und blickte ihn mit ihren braunen Augen an. Diese braunen Augen, die sonst immer so warm und schön waren. Nun waren sie leer und schwach. Sie und ihre Wangen waren gerötet, sie hatte viel geweint. „Als du mich gefragt hattest, ob ich mit dir ausgehen würde, warst du nicht ehrlich zu mir. Du wusstest damals schon, dass ich Jeanne bin, hab ich Recht?“ Ihre Stimme zitterte ein wenig. Aber sie musste es einfach hören. Sie musste die Wahrheit erfahren, sie wollte alles hören. Chiaki blickte sie mit großen braunen Augen an. Was sollte er ihr sagen? Natürlich, wollte er ehrlich zu ihr sein. Er wollte endlich ehrlich zu ihr sein. Aber er wollte sie nicht noch mehr verlieren. „Bitte, sag es mir. Sag mir, dass es keine Lüge war.“ Ihr Pony wehte leicht im Wind, als sie so dastanden und sich anschauten. „Sag mir, dass du durch Zufall raus gefunden hast, dass ich Jeanne bin.“ Ihre Stimme war gegen Ende des Satzes leiser geworden. Aber er hörte es dennoch. Er hörte aus ihrer Stimme, den Wunsch heraus, dass er etwas sagen sollte, wobei sie die Antwort schon wusste. Aber sie wollte etwas anderes hören. Er musste es ihr sagen. „Es stimmt, ja.“ Ihre Augen weiteten sich erschrocken, als er anfing zu sprechen. „Ich weiß nicht, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ich dürfte es dir nicht sagen.“ Chiaki blickte zu Boden. Er konnte sie nicht weiterhin anschauen. Der Anblick schmerzte ihm, setzte ihm zu sehr zu. Marrons Augen waren immer noch erschrocken geweitet. Nun brach wirklich alles in sich zusammen. Das Kartenhaus brach zusammen. Sie hatte ihm jetzt sogar noch eine Chance gegeben, ihr etwas zu sagen, es zu verbessern, die Situation angenehmer zu machen, aber dennoch sagte er ihr das, was sie nicht mehr ertragen konnte. Auch wen es die Wahrheit war, sie tat schrecklich weh. Nun blickte er sie wieder an. „Ich war der festen Überzeugung, dass ich dich vom Stehlen abbringen könnte, wenn du dich in mich verlieben würdest. Das geb ich ja zu.“ Marron wollte aufschreien, sie wollte nichts mehr hören. Sie wollte nicht mehr seine Stimme hören. Sie wollte gar nichts mehr davon hören. Aber sie konnte nicht schreien. Ihre Stimme, ihre Lippen versagten. Da stand sie nun, still, entsetzt und verletzt und blickte ihn nur an. Er wollte einen Schritt auf sie zugehen, doch genauso schnell wich sie sofort einen zurück. Nein, er sollte nicht näher kommen. „Du darfst nichts Falsches von mir denken. Damals konnte ich mit Liebe und Vertrauen nicht viel anfangen. Aber seit ich dich besser kenne, hat sich in mir einiges verändert.“ Er war überrascht, dass er mit solchen Worten sprechen konnte. Ja, das hier war die Wahrheit. Das hier war alles, was in ihm drinnen war. Sein Blick und sein Gesichtsausdruck waren ernst. Er spielte es nicht nur. Er meinte es auch so. „Und ich hab dazu gelernt.“ Chiaki Nagoya erschrak, als er Marron ins Gesicht blickte. Ihre Augen waren gefüllt mit Tränen. „Halt den Mund.“ Sie schluckte. „Hör auf! Ich hab genug von dir!“ Nein! Nun wollte er schreien. Das konnte nicht sein. Er wollte sie nicht noch mehr zum Weinen bringen. Nun war er doch endlich ganz ehrlich zu ihr und es brachte dennoch nichts. Das konnte nicht sein. Sie hob ihre Arme vor die Brust, ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Ihre Haare wehten ihr nun wild ums Gesicht. Sie war traurig und wütend. „Du musst mich nicht noch mehr verletzen. Es reicht mir völlig.“ Sie presste ihre Augen fest zusammen, sie wollte nicht vor ihm weinen. „Ich werde niemanden…“ Die Worte waren schwer und erschreckend, aber sie musste sie sagen. Es war ihre Wahrheit. Das ging in ihr vor. Ihre Augen waren immer noch zusammengedrückt. „nie… nie wieder…“ Nun öffnete sie ihre Augen wieder. Sie war selber erstaunt über die Worte, die ihre Lippen verließen. Sie führte ihre rechte Hand zu ihrem Mund, diese zitterte, aber mit der Geste, wollte sie wohl die nächsten Worte runterschlucken. Aber es ging nicht. Sie ließen sich nicht mehr aufhalten. „Jemals…“ Sie drehte sich um. „Vertrauen.“ Sie hatte ihm wieder den Rücken zu gedreht und rannte nun weg. Er konnte ihr nicht mal hinterher rennen. Er hatte nicht mal die Kraft, ihr hinter her zu rufen. „Marron…“ Er wollte sie nicht mehr traurig sehen. „Du verstehst das vollkommen falsch. Marron…“ Er blickte zum Meer hinaus und unterdrückte selber die Tränen, die seine Augen verlassen wollten. Marron rannte wieder. Sie schluchzte. Sie rannte wieder, wie sie als Jeanne gerannt war. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen weg und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie plötzlich eine kleine weiße Katze vor sich. Sie wich der Katze aus und stieß dabei mit jemand zusammen. „Oh, tut mir Leid.“ Sie blickte die Person an, der sie in den Rücken gestoßen hatte beim Zusammenprall. Es war ein älterer Mann, weißes Haar, das unter einer Mütze hervor schaute. Er blickte sie an und lächelte sie unter seinem weißen Bart hervor an. „Macht doch nichts. Kann schon mal passieren.“ Er hatte einen Pinsel in der Hand und lächelte sie liebevoll an. „Und so spreche ich mal mit jemanden.“ Marron beugte sich zu dem kleinen Kätzchen, das sie gerade anmiaute und nahm sie auf den Arm. „Hallo, kleines Kätzchen.“ Sie drückte sie gegen ihre Wange und lächelte, als diese sie ableckte. „Du bist lieb.“ „Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber…“, fing der alte Mann an. Marron blickte von dem Kätzchen auf zum Mann, der auf einer Bank saß und an einer Leinwand vor sich malte. „Wenn etwas Trauriges passiert ist, dann sollte man immer Blumen dabei haben. Das muntert wieder auf. Blumen sind stark.“ Er jetzt realisierte Marron, wo sie war. Sie stand neben dem Mann vor einer riesigen Blumenwiese. Viele bunte Blumen blühten vor ihr. Es war ein wundervolles Bild, vor allem vor dem orange-farbenden Himmel. In der Ferne sah man das Meer und einen Leuchtturm. „Blumen trotzen dem Wind und dem Wetter. Sieh sie dir an. Man sollte sich immer auf den Frühling freuen. Wenn die Blumen wieder aus der dunklen Erde erwachen. Und erblühen.“ Die Wiese roch wundervoll. So viele Düfte strömten auf sie ein und umnebelten sie. Sie hatte ihre Traurigkeit und ihr Gespräch mit Chiaki bei diesem Anblick vergessen. „Sich auf den Frühling freuen?“, fragte Marron sich selber. Die Blumen waren wirklich wunderschön. Noch nie hatte sie so eine schöne Blumenwiese gesehen. Dann schummelte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie lächelte. Sie lächelte wirklich. Die Blumen, das Kätzchen und der alte Mann wirkten wie Wunder. Dann kniete sie sich wieder runter und setzte das weiße Kätzchen wieder ab. „Macht's gut. Und vielen Dank.“ „Aber ich bitte dich. Das hab ich sehr gerne getan“, antwortete der alte Mann ihr. Marron stand wieder auf und lief weiter. Sie wollte nach Hause. Kapitel 17: neue Feinde, neue Kräfte ------------------------------------ Marron war nicht einsam. Auch wenn sogar Fynn sie nun verlassen hatte. Aber ihr Engel hatte eine Aufgabe und diese musste sie nun erfüllen und sie ließ Marron zurück. Die Brünette Marron Kuskabe war in der Eishalle. Seit langem hatte sie wieder das Gefühl, wieder einmal fahren zu müssen. Vorsichtig strich sie über die Kufen ihrer Schuhe. Sie waren kalt. Kalt wie das Eis, welches sie gleich betreten würde. „Sei nicht töricht. Vergiss es. Es war ein Traum“, murmelte sie vor sich hin. „Es war nicht mehr als ein Traum. Sie stand von der Bank auf, sicher wie immer und stieg aufs Eis. Und plötzlich war wieder alles um sie herum vergessen. Ja, es war öfters so gewesen, wenn sie hier war. Wenn sie auf dem Eis war, dann war alles andere egal, dann war nur sie hier. Hier konnte sie abschalten. Leider konnte sie durch ihren Beruf nun nicht mehr so häufig hierher kommen, wie zu ihrer Schul- und Studienzeit. Aber jetzt, wo sie frei hatte und es ihr eh nicht all zu gut ging, wollte sie wieder einmal Schlittschuh laufen. Wie ein Engel bewegte sie sich sanft und anmutig übers Eis. Es gab keine Schwierigkeiten und keine Barrikaden zu überwinden. Die Eisfläche war eh fast leer und so konnte sie auch mit geschlossenen Augen und nur mit der Musik in ihrem Ohr fahren. „Es hat sich nichts geändert. Ich bin wie eh und je allein.“ Marron Kuskakabe tanzte auf dem Eis, sie tanzte in ihren Bahnen, machte hier eine Drehung, da eine Pirouette. Es kam alles fast wie von alleine. Es strengte sie nicht an. Es befreite sie. Dann stolperte sie. Sie war zu unachtsam gewesen. Ihre eigenen Gedanken hatten sie abgelenkt. Sie rutsche aus und saß nun auf ihren Beinen auf dem Eis. Sie war erschöpft. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn. Aber es war egal. Es war befreiend gewesen. Das hatte sie mal wieder gebraucht. Aber ihre eigenen Gedanken ließen sie einfach nicht zur Ruhe kommen, sie stolperte über ihre eigenen Gedanken und fiel hin. „Da kann man nichts machen.“ Sie atmete hektisch ein und aus und blickte nur auf das Eis das unter ihren Händen kalt ruhte. „Nur weil ich mal jemanden vertrauen wollte, wurde ich verletzt und betrogen.“ Sie richtete sich wieder auf. „Schluss damit. Ich will nicht mehr weinen müssen.“ Schließlich stand sie wieder auf. Ja, sie stand immer wieder auf. Egal wie tief der Schmerz war. „Ich bin doch stark. Also Mädchen, hör auf zu plärren, geh deinen Weg allein.“ Marron blickte mit ihren traurigen braunen Augen in Richtung Decke. Aber ganz so traurig waren ihre Augen gar nicht mehr, ein Funken Zuversicht und Stärke zeichnete sich wieder in ihnen ab. Und dann setzte sie wieder einen Fuß nach dem anderen und fuhr wieder ihre elegante und sicheren Bahnen. Sie fuhr wieder eine Pirouette und schloss dabei die Augen. „Ich brauche niemanden. Ich bin überhaupt nicht einsam“, sprach sie wieder zu sich selber. Ihre Worte waren wie ein Ritual, wie ein Versprechen, ein Gelöbnis. „Ich bin nicht einsam.“ Marron sprang hoch und drehte sich in der Luft, bevor sie wieder sicher auf dem Eis landete. „Ich bin nicht einsam!“, sagte sie nun voller Kraft. Da war wieder die Stärke und die Kraft, die sie immer ausstrahlte. „Genau, ich war schon immer allein. Stark, bereit, unbesiegbar“, sie strahlte wieder, als sie diese Worte aussprach. Das waren die Worte, die sie von Jeanne gelernt hatte. „Schön, entschlossen, mutig.“ Ja, all ihre Kraft und Selbstsicherheit war nun wieder zu ihr gekehrt. Dann blieb sie stehen. Sie hatte ihre Runden gefahren. „Super, das war wundervoll“, hörte sie plötzlich Leute klatschen und rufen. Überrascht blickte sie sich um. Ein Paar Leute standen da und hatten ihr wohl die ganze Zeit zugeschaut. Marron errötete ein wenig, nickte den Leuten dankend zu und fuhr zum Rand der Eisfläche. „Es ist alles in Ordnung. Es ist alles in bester Ordnung“, mit diesen letzten heiligen Worten, die Marron wieder zu sich sprach, verließ sie die Eisfläche und ging wieder zu der Bank, wo sie ihre Tasche abgestellt hatte und setzte sich erschöpft auf die Sitzfläche. Sie war erschöpft und ausgelaugt, aber es hatte gut getan. Sie fühlte sich nun freier als vorher. Ja, es war eine gute Entscheidung gewesen, dass sie zur Eisbahn gegangen war. Hier konnte sie immer noch am besten Abschalten. Marron rannte nach Hause. Sie hatte gerade das Verlangen, sich weiter zu verausgaben. Sie wollte sich spüren. Sie wollte einfach nur Marron spüren, auch wenn sie morgen bestimmt einen schlimmen Muskelkater haben würde, es war egal. Der leicht frische Abendwind fuhr ihr durchs Gesicht und ließ ihre Haare im Wind tanzen. Und wieder kam sie bei der riesigen Blumenwiese an, an der sie schon gestern gestanden hatte. Sie blieb stehen und blickte über die weite, bunte Wiese. Es war immer noch ein schöner Anblick. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass es wieder später Nachmittag war, sie war wohl ziemlich lange in der Eishalle gewesen, ohne es wirklich zu realisieren. Aber was machte das schon. Es war sogar sehr gut. Sie hatte die ganze Zeit kaum an Chiaki gedacht, sie hatte immer nur über sich selber nachgedacht und wie sie nun weiter vorgehen sollte. Ja, und sie war zu einem guten Ergebnis gekommen. Sie war schließlich schon immer alleine gewesen, also war sie auch nicht einsam. Sie vermisste ja nichts. Also war es doch eigentlich gar nicht so schlimm. Und aus ihrem Fehler, jemanden vertrauen zu wollen, würde sie auch lernen. Noch mal würde sie diesen Fehler bestimmt nicht machen. Fynn hatte sich auch von ihr verabschiedet. Sie wollte erst mal die ganzen Pins an Gott zurückgeben. Nun war Marron wirklich wieder alleine, wenn sie in die Wohnung kam, aber was machte das schon. Sie war nun 24 Jahre alt und stand irgendwie in ihrem Leben. Noch wusste sie nicht wo genau das war. Aber sie würde schon den richtigen Weg wählen. Dann hörte Marron ein Miauen, das sie aus ihren Gedanken riss. Sie blickte sich um und erkannte das kleine Kätzchen, über das sie gestern fast drüber gestolpert wäre. Das weiße Kätzchen saß ganz alleine an der Stelle, wo der alte Mann gestern noch gesessen hatte. Die Staffelei war umgestoßen. Sie eilte zu dem Kätzchen und kniete sich nieder. „Was hast du denn? Wo ist dein Herrchen, kleines Kätzchen?“ Die weiße Katze drehte sich um und rannte davon. Marron stand auf, blickte der Katze kurz nach und folgte ihr. „Hey, wo willst du denn hin? Warte.“ Chiaki Nagoya saß an seinem Schreibtisch, wie immer in den letzten Tagen. Er wusste nichts mehr mit sich anzufangen. Er starrte an die Wand oder auf seinen Bildschirm. Er konnte nicht mehr klar denken, Marron ging ihm einfach nicht mehr aus den Kopf. Er vernahm auch das Klopfen am Fenster, er wusste auch, wer von draußen klopfte. Aber er rührte sich keinen Zentimeter. „Sindbad! Mach auf!“ Doch Chiaki rührte sich immer noch nicht. Die Worte des kleinen Schwarzengel ließen ihn kalt. „Ich habe einen Dämon entdeckt.“ Jetzt weiteten sich seine Augen, realisierten seine wirklich Umgebung. Sofort blickte er zu Access, der von außen an die Fensterscheibe klopfte. „Ist das wahr?“ Marron war bestimmt in Gefahr, trat es ihm sofort ins Gedächtnis. Sie war momentan geschwächt, das hatte er gespürt. Ihre Aura von Jeanne war schwächer geworden, vermutlich war er daran schuld. Er musste sie also noch mehr beschützen, als er es ohnehin schon getan hatte. Er musste ihr beistehen, sie beschützen, ob sie es nun wollte oder nicht. Marron lief durch ein dunkles Kellergewölbe. Sie war vermutlich in eine alte Kanalisation gekommen, aber so genau wusste sie es gar nicht mehr. Sie war nur dem weißen Kätzchen des alten Mannes gefolgt. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte, wusste aber auch nicht, warum das Kätzchen sie an diesen Ort führen sollte. Sollte der alte Mann wirklich hier in diesem Kellergewölbe sein? Hier unten war es ziemlich kalt und frisch. Es zog an allen Ecken. „Hey, Kätzchen, wo bist du denn?“ Sie trat um eine Ecke und dann sah sie im schwachen Lichtschein, dass durch ein Gitter von der Decke trat, das Kätzchen neben dem alten Mann. Dieser lag auf dem Boden, auf dem Rücken und rührte sich nicht. Das weiße Kätzchen miaute mitleidig. Marron eilte sofort zum alten Mann. „Was ist denn mit Ihnen?“ Sie überprüfte sofort seine Atmung und seinen Puls. Er lebte, das konnte sie schon mal erleichtert feststellen. „Sie müssen aufwachen“, versuchte sie weiterhin, mit dem alten Mann zu reden. Er musste aus seiner Bewusstlosigkeit aufwachen, das wusste Marron. Sie wusste ihn wieder zu Bewusstsein kriegen. „Aufwachen.“ Sie bat ihn regelrecht. Sie konnte gar nicht so schnell schauen, als sie kalte, grobe Hände um ihren Hals spürte. Es waren die Hände vom alten Mann. Er beugte sich nun auf und drückte ihr die Luft immer weiter ab. Sie hörte das grässliche Lachen vom alten Mann, er klang so ganz anders als gestern noch. Er war nun ganz aufgestanden, hatte sie mit hochgezogen und drückte ihr immer noch die Kehle zu. Sie spürte, wie ihr langsam die Luft ausging, wie der Griff sich verhärtete. „Diesmal bist du darauf reingefallen.“ Plötzlich spürte sie nicht mehr den Boden unter ihren Füßen. Er hob sie nach oben. Kraftlos hing sie an ihm, ihre Hände hatten immer noch seine Arme gepackt und wollten sie weg drücken, doch sie hatte gar nicht die Kraft dazu. „Na Jeanne, du wirst hier sterben.“ Sie erschrak, als er sie mit Jeanne ansprach. Woher wusste der alte Mann, wer sie war? Er konnte es doch gar nicht wissen. Hatte Chiaki es vielleicht allen Leuten erzählt? „Es tut mir ... sehr Leid“, sagte sie mit schwacher Stimme. Sie nahm aber schon all ihre noch vorhandene Kraft zusammen und trat den alten Mann in den Bauch. Dieser krümmte sich, ließ seinen Griff um ihren Hals los und sackte in sich zusammen. Marron stützte ihn, als er zusammensackte und legte ihn vorsichtig auf den Boden. Sie wusste immer noch nicht was los war. Dann hörte sie die üble Stimme eines Wesens. Wo war Fynn? Sie wusste nicht, ob hier ein Dämon am Werk war. Aber sie spürte es. Und ihre Brosche meldete sich auch piepend. „Tja, Jeanne.“ Diese Stimme war dunkel und grässlich. „Scheint so, als bist du nun in der Falle.“ Marron griff nach ihrem Kreuz und hielt es sich leicht vor die geschlossenen Augen und an die Stirn. „Fynn, gib mir die Kraft und lass Jeanne d´Arc mich erhören.“ Und schon durchströmte sie das glänzende und warme Licht, mit dem sie sich immer in Jeanne verwandelte. Sie spürte die Energie und Stärke, die sie durchströmte und wärmte. Ja, sie war auch ohne Fynn bereit dazu. Sie konnte auch ohne Fynn kämpfen. Natürlich. Sie hatte auch keine andere Wahl. Sie wollte diesen alten Mann beschützen. Hatte Fynn ihr nicht mal erzählt gehabt, dass die Dämonen Besitz von den Menschen nehmen. Am Anfang hatten sie nur die Gemälde genommen, doch sie waren stärker geworden und nahmen nun auch Besitz von den Seelen der Menschen. Marron wollte das nicht wahrhaben. Aber nun sah sie es mit ihren eigenen Augen. „Jeanne, die Kamikazediebin ist hier, die Gesandte des Herren.“ Diese göttliche Energie hatte sich verstärkt. Und das obwohl Fynn nicht mehr bei ihr war, was hatte das zu bedeuten? Als Marron sich zu Jeanne verwandelt hatte, erschien auch endlich der Dämon, groß, grässlich und grau. „Also zeigst du mir nun endlich deine wahre Gestalt.“ Der Dämon lachte hässlich auf. „Du Närrin.“ Seine große Pranke schoss auf sie zu, wenn Marron nicht zur Seite gesprungen wäre, hätte diese sie verletzend getroffen. Jeanne sprang rettend an die Decke. Doch schon war die andere Pranke hinter ihr her. Doch auch dieses Mal konnte sie seinen Krallen entfliehen. Der Dämon hatte nun ein großes Loch in die Decke gerissen, so dass mehr Licht hindurch kam. Jeanne war gespannt, was nun auf sie zukommen würde. Sie blickte den Dämon erwartungsvoll an. Sie war bereit, sie war stärker als je zuvor. Sie spürte diese Energie und die Stärke, die nun in ihr war. Ja, sie wollte kämpfen. Der Dämon öffnete sein großes Maul, entblößte Zähne und spuckte Dornen oder ähnliches auf sie. Es schien als wären es Nadeln. Jeanne setzte nun ihr Band, das sie immer startbereit hatte, ein, drehte es, ließ eine Spirale entstehen und konnte somit die Nadeln des Dämons ablenken. Sie sprang zur Seite, als die Nächsten sie treffen doch konnten, doch eins dieser Geschosse traf sie am Oberschenkel, ritzte ihr die Haut auf. Jeanne stolperte und fiel zu Boden. „Ich werde deinen Attacken niemals unterlegen“, sprach sie zu dem Dämon und ließ es wie ein Versprechen aufklingen. Der Dämon lachte nur darauf hässlich. „Seitdem dein Schutzschild geschwächt ist, bist du kein Gegner mehr.“ Jeanne war wieder aufgestanden. Ihr Schutzschild? Was meinte er damit? War dieses Schutzschild geschwächt, weil Fynn nicht mehr da war? „Glaubst du.“ Sie wollte sich bestimmt nicht von einem Dämonen unterkriegen lassen. Nein, das würde sie nicht zulassen. „Was soll das wohl für eine Rolle spielen.“ Ihre Augen wurden ein wenig enger und zeigten somit deutlich die Ernsthaftigkeit ihrer Worte. „Einem Diener des bösen König werde ich mich niemals unterwerfen.“ Genau, mehr war er nicht. Er war nur ein Diener und damit würde Jeanne schon fertig werden. Sie würde es schaffen, auch ohne Fynn. „Dein Herz ist verletzt“, erklang die dunkle und unheimliche Stimme des Dämons. Marrons Augen weiteten sich überrascht. Ihr Herz ist verletzt? Meinte er damit vielleicht ihren Streit mit Chiaki? „Und deshalb ist dein Schutzschild so gut wie nichts mehr wert.“ Es hatte also gar nicht mit Fynns Verschwinden zu tun. Nein, es hatte mit Chiaki zu tun, weil er sie verletzt hatte. Der Dämon drückte seine großen Pranken in den Boden des Gemäuers und lachte dabei höllisch auf. Jeanne konnte gar nicht so schnell reagieren, als die Pranken des Dämons bei ihr aus der Erde wieder austraten und sie an den Armen packten. Erschrocken und entsetzt über diese Niederlage, riss Jeanne ihre Augen auf. Nein, das konnte nicht war sein. So leicht würde sie sich nicht geschlagen geben. Sie war doch sonst auch immer viel stärker. Das konnte nicht wahr sein. Hatte das etwa mit ihrem geschwächten Schutzschild zu tun? Der Dämon lachte erheitert auf, doch sein Lachen ließ Marrons Gemüt gefrieren. „Stirb, Jeanne.“ Sie wollte sich darauf gefasst machen. Doch dann spürte sie, dass die Pranken, die sie festhielten, schwächer wurden. Der Dämon hatte seinen Halt verloren. Was war das? Dann sah sie es. Sindbad hatte seinen Bumerang nach den Pranken geschmissen und sie somit durchgeschnitten. Marron war frei. Sindbad sprang durch das Loch, das der Dämon vorhin selber geöffnet hatte, zu Jeanne in Kellergewölbe. Er trug nicht mehr den Mundschutz. Das brauchte er nun ja nicht mehr. Er stand nun vor Marron, zwischen ihr und dem Dämon. „Wage es nicht, dich hier einzumischen“, drohte Jeanne ihm von hinten. Sie brauchte seine Hilfe nicht und sie brauchte auch ihn nicht. Sollte er doch sofort wieder verschwinden. Sie brauchte ihn und seine Lügen nicht. „In deinem Zustand wirst du unterliegen. Übertreibe es also nicht.“ „Warum lässt du mich nicht auch endlich in Ruhe?“ Ihre lilafarbenen Augen strahlten Ernsthaftigkeit aus. Sie wollte ihn wirklich nicht hier bei sich haben. Sie würde es auch schon ohne ihn schaffen. „Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben.“ Ihre Worte taten ihm weh. Aber er wusste, dass er sie verdient hatte. Sein Blick ging starr auf den Dämon. Er würde Marron nicht verlassen. Er würde sie immer beschützen, ob sie es wollte und zuließ oder nicht. Das war egal. Aber er würde nicht tatenlos zusehen, wie sie drauf ging. „Ich kann dich nicht alleine lassen.“ Seine Stimme war ruhig. Nicht mehr aufgeregt oder hektisch. Es war wie ein Versprechen, ein Schwur. Er meinte es wirklich ernst. Jeannes Augen weiteten sich bei dieser Antwort von ihm wieder. Was sagte er da? Warum klang das wie ein Schwur aus seinem Mund? Warum konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? Der Dämon hatte diesem Spiel lange genug zugesehen und lachte wieder auf. „Ei, wenn das so ist, könnt ihr ja auch gleich zusammen sterben.“ Das gefiel ihm ja natürlich noch besser. Und wieder spukte er die Nadeln aus seinem weiten Mund heraus. Direkt auf Jeanne. Diese erschrak, sie hatte ihr Band verloren, als seine Pranken sie vorhin gepackt hatten. Sie war nun allen Angriffen schutzlos ausgeliefert. Aber dann stand Sindbad schon vor ihr. Er stellte sich mit ausgestreckten Armen vor sie, mit einem selbstsicheren Blick in den Augen. Jeanne musste entsetzt mit ansehen, wie Sindbad vor ihren Augen getroffen wurde. Er hatte den Angriff, der auf sie gerichtet war, angenommen. Sie spürte die Einschläge der Geschosse. Sie hörte sein Aufschreien. Er hatte sich vor sie gestellt, obwohl sie nichts mehr von ihm wissen wollte. Er wollte sie immer noch beschützen, obwohl sie ihn hasste. Sie eilte zu ihm hin. „Chiaki...“ Sindbad sackte zusammen und Jeanne hielt ihn nun in ihren Armen. „Die Menschen sind so schwach“, vernahm sie die Stimme des Dämons. Doch ihre Augen ruhten nur auf Sindbad, der sich vor Schmerzen krümmte. „Ihre Seelen sind verwirrt und leiden unter Emotionen. Das ist die wahre Schwäche der Menschen.“ Jeanne hatte die Hand auf Sindbads Brust gelegt und hielt ihn an sich gedrückt. „Einfach lächerlich.“ Und wieder lachte er hässlich auf. Jeanne blickte ihn nicht an, aber sie hörte, wie er wieder seinen Mund geöffnet hatte und wieder die Geschosse ausspuckte. „STERBT!“ Doch die Geschosse kamen nie bei Jeanne oder bei Sindbad an. Sie prallten ab. Sie prallten an einem Schutzschild ab. Jeannes Schutzschild war wieder erwacht. Ihr Blick ruhte immer noch auf Sindbad, der sie nicht anschaute. Seine Augen waren schmerzvoll zugepresst. „Was?“ Der Dämon war mehr als nur überrascht, als er ihr Schutzschild sah. Nun blickte Jeanne auf. In ihren Augen war wieder Zuversicht und Stärke zu sehen. „Kommt nicht in Frage.“ „Das werden wir ja sehen!“, meinte der Dämon nur dazu und warf seine Pranken wieder aus, um sie zu treffen. Jeanne die inzwischen wieder aufgestanden war und sicher vor dem Dämon stand, rührte sich nicht einen Zentimeter, als der Dämon die Pranken nach ihr ausholte. Die Pranken prallten wieder an ihrem Schutzschild ab, durchbrachen die Wand hinter Jeanne und ließen wieder Sonnenlicht herein. „Das gibt es doch nicht.“ Die Sicherheit in der Stimme des Dämons war verschwunden. Jeanne, die selbstsicher und stark vor Sindbad stand, hatte wieder ihr Band in der Hand und formte wieder zu ihrem Angriff. „Im Namen des Herren, fange ich die Ausgeburten der Finsternis...“ Schon bei dem Licht, was Jeanne ausstrahlte, schien der Dämon immer kleiner zu werden. „Und mache sie unschädlich.“ Jeannes Band umzingelte den Dämon, fesselte ihn. „Schach und Matt.“ Und schließlich verschwand der Dämon in eine Schachfigur, das Jeanne mit ihrem Band zu sich zog. Marron, die sich wieder zurückverwandelt hatte, hatte den alten Mann und sein Kätzchen nach draußen gebracht und auf eine Bank gesetzt. Sie hatte nun auch Sindbad an die Wand gesetzt und wollte nun gehen. Ihre Aufgabe war erledigt. Sindbad, der langsam wieder zu Bewusstsein kam, blickte Marron hinterher. Er staunte nicht schlecht. Sie hatte ihn hier abgesetzt und nicht einfach liegen gelassen. Konnte er also noch hoffen? „Marron...“ Seine Stimme war schwach und brüchig. Er wusste auch nicht, ob Marron ihn gehört haben könnte, doch diese blieb kurz stehen, blickte in das Sonnenlicht. „Chiaki... auf Wiedersehen.“ Damit ging Marron weiter und ließ Chiaki zurück. Kapitel 18: Marvin und Sina --------------------------- Marron war auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie wollte heute ihren Dienst wieder antreten. Sie hatte sich lange genug in sich zurückgezogen und nach dem Kampf gestern wusste sie, dass sie nicht ganz alleine und vor allem nicht schwach war. Nein, sie war stark. Sie konnte auch ohne Fynn kämpfen. Sie war nicht einsam. Sie war nun mal schon immer alleine gewesen. Aber immer noch spukten in ihr Chiakis Worte, die er vor zwei Tagen zu ihr am Strand gesagt hatte. „Du darfst nichts Falsches von mir denken. Damals konnte ich mit Liebe und Vertrauen nicht viel anfangen. Aber seit ich dich besser kenne, hat sich in mir einiges verändert.“ Das hatte er gesagt. Ja, das hatte er zu ihr gesagt, aber sie wusste nicht, ob sie ihm trauen konnte. Es war so schwierig, so kompliziert. Und gestern hatte er ihr beim Kampf gezeigt, dass er auch weiterhin für sie da sein würde. Ihm war es egal, ob sie ihm vertraute oder nicht, er würde sie dennoch beschützen. Ob sie es nun zuließ oder nicht. Es war alles so kompliziert. Na und, dann war er gestern für sie da gewesen, aber das würde es immer noch nicht gut machen, dass er sie angelogen und zutiefst verletzt hatte. Diese Gedanken und Gefühle waren immer noch in ihr. „Am besten wird es sein, wenn ich einfach niemand mehr an mich heran lasse, niemand mehr vertraue. Dann kann man mich auch nicht verletzten und dann wird mein Schutzschild im Kampf auch nicht schwächer.“ So hatte sie sich entscheiden. Diese Entscheidung fand sie am besten. „Marron, das ist ja toll, dass du wieder da bist“, wurde Marron direkt von Tomoki begrüßt. Sie nickte ihm zu und ging an ihren Spint. „Ja, das ist echt eine super Ehre“, meinte Miyako seufzend. „Sei doch nicht so Miyako. Marron hat bestimmt einen Grund, warum sie die letzten zwei Tage nicht da war.“ Marron sagte nichts. Weder zu Miyako, noch zu Tomoki. Sie wusste eh nicht, was sie den beiden sagen sollte. „Was ist bloß los mit dir, in letzter Zeit Marron?“ Marron blickte Miyako fragend an. Doch auch dieses Mal wusste sie nicht was sie ihr sagen sollte. Doch Miyako blickte weiterhin starr auf Marron. Sie mochte Marron und das war sehr selten. Marron war das komplette Gegenteil von ihr. Sie war ruhiger und sanfter und emotionaler als sie selber. Aber sie mochte Marron irgendwie. „Warum guckst du so?“, fragte Marron mit sanfter Stimme und öffnete ihren Spint. „Marron, du wirkst seit Freitag sehr traurig auf mich.“ „Ja, das ist uns aufgefallen, Marron. Ist alles okay bei dir?“, fragte nun auch Tomoki. „Du wirkst irgendwie abwesend und mit Chiaki, ähm, Dr. Nagoya sprichst du seit Freitag auch nicht mehr“, meinte Miyako weiter. Marron hörte die Worte ihrer Freunde. Ja, sie waren ihr Freunde. Auch wenn es komisch war, dass sie in ihren Arbeitskollegen, die letztendlich Feinde für sie waren, wenn es um die Punkte als Praktikant ging, aber sie waren auch Freunde. Marron seufzte auf, setzte sich auf die Bank und zog sich ihre Schuhe aus. „Chiaki ist ein gemeiner Lügner.“ Tomoki setzte sich zu Marron auf die Bank. Er warf Miyako einen fragenden Blick zu. Tomoki fand die Beziehung, die Marron mit dem Oberarzt hatte, von Anfang an nicht toll, aber er wollte das nun nicht unbedingt sagen. „Mit so jemanden möchte ich mich auf gar keinen Fall abgeben“, erzählte Marron in ruhiger Stimme weiter. „Ein Lügner? Was für einen Quatsch erzählt er denn so?“, fragte Miyako und setzte sich nun auch neben Marron und blickte ihre Freundin besorgt an. Sie sah, dass es Marron schwer fiel, darüber zu reden. Marron biss sich auch auf ihre Unterlippe, ein Zeichen dafür, dass sie darüber wohl gar nicht reden wollte. Doch Marron antwortete ihr nicht. Sie konnte weder Miyako noch Tomoki sagen, was er erzählte. Was sollte sie ihnen denn nun sagen? Dass er ihr Geheimnis kannte, dass er sie nur ausgeführt hatte, damit er sie vom Stehlen abbringen konnte. Nein, das konnte sie ihnen schlecht sagen, denn dann würden ihre Freunde wissen, dass Marron Jeanne war und das Chiaki Sindbad war. „Hallo? Ich hab dich gerade eben was gefragt, Marron.“ Miyako seufzte auf und fuhr sich durch ihr lila-farbenes Haar. Nun stand sie wieder von der Bank auf. „Tja, wer nicht will, der hat schon. Also schweig ruhig weiter. Wenn es dir Spaß macht.“ „Aber Miyako...“, versuchte nun Tomoki Miyako ein wenig zu beschwichtigen. Er sah Marron ja auch an, dass sie darüber nicht reden wollte und Marron hatte bestimmt ihren Grund, warum sie darüber nicht reden wollte oder nicht reden konnte. Vielleicht sollten Miyako und er Marron nicht so sehr unter Druck setzten. „Manchmal verbergen Menschen etwas. Aber nur um die Gefühle anderer nicht zu verletzen“, meinte Tomoki sanft. „Es gibt doch so etwas wie Notlügen und die müssen meiner Meinung nach erlaubt sein, wenn man anderen nicht wehtun mag.“ Marron blickte auf den Boden. Sie saß immer noch auf der Bank und auch wenn sie ihre Schuhe schon ausgezogen hatte, rührte sie sich noch nicht, weiter. Sie hörte den Worten von Tomoki und Miyako schweigend zu. „Marron, wir wissen zwar nicht was los ist. Aber eines weiß ich bestimmt, du kannst Chiaki bestimmt vertrauen“, sprach Tomoki weiter. Er wusste gar nicht so recht, warum er das nun sagte. Chiaki war ein Frauenheld, zumindest war er das gewesen, bevor er Marron kennen gelernt hatte. Er hatte sich also für Marron verändert, also war er wohl gar nicht so schlimm. „Es wird sich bestimmt alles aufklären. Du musst ihm nur vertrauen.“ Miyako blickte Tomoki fragend und erstaunend an. Dieser junge Mann schaffte es doch so tolle Worte zu wählen. Sie blickte zu Marron runter. Auf ihrem Gesicht erkannte sie, dass es in Marron arbeitete. Vielleicht hatte sie einfach nur diese Worte gebraucht. „Wir gehen dann mal schon mal los“, sagte Tomoki und auch Miyako verschwand aus der Umkleide und ließen Marron zurück. Es geht doch immer um Grenzen. Und Marron hatte gerade ein paar überschritten. Allein schon mit ihrer Beziehung zu einem Oberarzt. Die Grenzen der eigenen Belastbarkeit. Die Grenzen des Anstands und des Konkurrenzkampfes. Und dann gab es ja da immer noch die wichtigste Grenze. Die Grenze, die einen von den Kollegen trennt. Es ist nicht gut, wenn man sich allzu nahe kommt. Schließlich war Maron immer allein. Wenn sie sich jetzt an Freunde gewöhnen würde, dann würde sie irgendwann wirklich einsam werden. Man braucht eine Grenze, zwischen sich und dem Rest der Welt. Und Marron brauchte die Grenze vor allem. Andere Leute sind viel zu kompliziert und man selber ist auch zu kompliziert für andere. Bei Marron ging es schon immer um Grenzen. Sie hatte sie in ihrer Vergangenheit immer abgesteckt. Und nun brach ihr Raster nach und nach ein. Und sie wusste nicht, ob da so gut war. „Toudaji, Bailey und Kusakabe. Sofort in die Notaufnahme. Dr. Nagoya braucht Sie“, sagte die Schwester den Dreien, als sie am Center vorbei kamen. Das Center war die Station, wo die Akten der Patienten gelagert wurden und wo man als Praktikant eingeteilt wird. Und nun sollten die Drei in die Notaufnahme. „Aber hat Dr. Nagoya nicht eine OP?“, fragte Bailey. „Die macht jemand anders für ihn“, erklärte die Schwester weiter. Marron seufzte. Warum musste sie von Dr. Nagoya gerufen werden? Die Drei gingen in raschen Schritten in die Notaufnahme. Als sie das Zimmer des Patienten betraten, staunten sie mit offenen Mündern. „Das sind ja...“, fing Marron an. „Nägel“, erklärte Chiaki weiter und blickte die drei Praktikanten an. Chiaki saß am Kopf des Patienten, hielt diesen in einer Schiene und säuberte soweit es ging den Kopf mit Tüchern. Im Kopf des Patienten waren Nägel. Große Nägel. Auf dem Röntgenbild konnte man die Länge der Nägel genau erkennen. Es waren sieben Stück und sie gingen direkt bis ins Gehirn. Marron seufzte innerlich. Wie konnte so etwas nur passieren? Mit großen Augen schaute sie den Patienten an. Sie atmete leicht hektisch ein und aus und versuchte sich aber wieder zu beruhigen. Nun hielt der Patient seine Hände vor sein Gesicht. „Ich sehe meine Hände nicht mehr.“ „Er ist bei Bewusstsein?“, fragte Alex überrascht. „Durchatmen, dann kippt ihr nicht um“, meinte Miyako schnell und zog sich sofort Handschuhe an. „4 Milligramm Morphin auf 10 Milliliter Oxin Und wenn es sein muss...“, meinte Chiaki zu den Schwestern. „Hören Sie, ich kann nichts sehen“, redete der Patient vor sich hin. Marron ergriff die eine Hand von ihm, streichelte ihn behutsam. „Schon gut. Sie dürfen sich nur nicht bewegen, Mister...“, sprach sie mit sanfter Stimme. „Cruz“, sagte eine der Schwestern schnell Marron nickte und sah, wie Chiaki nach seiner kleinen Taschenlampe griff und die Pupillen und deren Reaktion des Mannes überprüfte. „Cruz, Marvin Cruz. Er ist mit einer Nadelpistole in der Hand ein Treppe herunter gefallen“, erzählte die Schwester weiter. „Und hat es geschafft, kein größeres Blutgefäß zu schaffen. Nicht übel“, sagte Chiaki. „Beeinträchtigung des Sehnervs“, stellte er fest. Chiaki griff nach einer Zange und streichelte über den rechten Oberarm des Mannes. „Spüren Sie das?“ Doch er bekam keine Antwort. „Taubheitsgefühl rechtseitig.“ Er legte die Zange wieder auf den Besteckteller. „Was ist unsere größere Sorge?“, fragte Chiaki nun die Praktikanten. „Infektion“, antwortete Marron schnell. Marron hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken, wie es war mit Chiaki hier in diesem Raum zu stehen. Das einzige, was momentan galt, war der Patient. „Genau. Ich will in der nächsten halben Stunde die Nägel rausziehen. Ich brauche ein CT.“ „Es gibt kein CT“, sagte die Schwester schnell. „Was?“, fragte Chiaki geschockt. „Der Computer ist gestern abgestürzt. Es wird noch bis 13:00 Uhr dauern.“ „Typisch. Andere Optionen?“ „Ein MRT“, antwortete Tomoki, der nun auch hinzugekommen war. „Super Idee, Tomoki. Der Mann hat Nägel im Kopf, stecken wir ihn also in einen riesigen Magneten“, meinte Alex schnell. „Röntgenaufnahmen des Schädels auf drei Ebenen und ein Ziehbogen bei der OP.“ „Sehr gut. Ihr zwei versucht rauszufinden ob es so einen Fall schon mal gegeben hat.“, beauftragte Chiaki Miyako und Alex. „Wo ist meine Frau?“, fragte der Mann nun völlig zerstört. „Sie ist auf den Weg. Marvin, sie ist auf den Weg“, erklärte Marron ihm wieder. Chiaki zog seine Handschuhe aus und ging um das Bett herum. „Er muss sich ruhig verhalten. Auf Veränderungen achten“, sagte er nun direkt zu Marron und verließ das Zimmer. „Gab es gesundheitliche Probleme in letzter Zeit?“, fragte Marron den Patienten. Sie fragte ihn nicht unbedingt, um die Akte für ihn zu füllen. Sie fragte ihn vor allem, damit der Patient, Marvin Cruz, jemanden zum reden hatte und er etwas erzählen konnte, das würde ihn beruhigen. „Kopfschmerzen hatte ich“, fing er an zu erzählen und starrte starr an die Decke. „Aber nie so starke wie jetzt“ Er schmunzelte bei der Antwort. „Sina, das ist meine Frau. Sina wird sagen, „man nennt diese Dinger nicht ohne Grund Pistolen“.“ Marron blickte gebannt auf den Mann. Er war wirklich sehr nett. Und so bekam sie auch gar nicht mit, wie Chiaki plötzlich im Türrahmen stand und sie musterte. Er konnte einfach nicht länger wegbleiben. Er musste sie wieder sehen. „Sie hasst diese verdammten Geräte.“ „Da hat sie doch auch Recht“, antwortete Marron lächelnd. Der Mann nickte nur. Chiaki drehte sich um und sah die junge Frau an, die nun ins Zimmer trat. „Baby?“ Marron blickte zur Tür und sah nun auch Chiaki, der sie auch anschaute. Doch Marrons Blick ging weiter zur Frau, die eintrat. „Sina.“ Sina, die Frau von Marvin, umklammerte ihre Tasche und trat nur langsamen Schrittes an das Bett ihres Mannes. „Ich bin richtig böse auf dich.“ Doch man hörte an ihrer Stimme, dass das ganz und gar nicht stimmte. Sie war traurig, stand kurz vor den Tränen und war besorgt. Chiaki verließ das Zimmer. „Ich bin wirklich böse auf dich, Marvin.“ Er griff nach ihr und streichelte ihr durchs Haar. „Du trägst ja die Haarspange, die ich dir geschenkt habe.“ Er lächelte. „Hat er Ihnen erzählt, dass er fotografiert?“, fragte Sina Marron. Marron wollte nun auch die Frau von Marvin ein paar Fragen stellen. „Wunderschöne Fotos. Es ist sein größtes Hobby. Er hört gar nicht mehr auf. Ich hab ihm vor kurzem eine Digitalkamera geschenkt und die hat er nun immer dabei. Überall. Und er macht immer Fotos von mir.“ „Marvin hat mir von seinen Kopfschmerzen erzählt. Wissen Sie davon?“, fragte Marron in ruhiger Stimme. Die Frau blickte Marron fragend an. „Kommt das in letzter Zeit häufiger vor?“ „Ich weiß nicht... vielleicht in den letzten 1-2 Monaten.“ „Haben Sie bemerkt, ob er sich manchmal schwindelig fühlt oder desorientiert?“ Marron wusste, dass diese Fragen schmerzvoll waren für die Frau und nicht leicht zu beantworten. Aber es musste sein. Sina überlegte. „Ja...“, sagte sie langsam. „Ja, das hab ich.“ Marron nickte. „Okay.“ Marron wusste, dass sie Chiaki von ihrer Erkenntnis und von dem Gespräch mit Sina erzählen musste. Es war vermutlich sehr wichtig für die weitere Behandlung von dem Patienten. „Schwindelgefühle oder Benommenheit?“ Chiaki wusch sich gerade im Vorraum des Operationssaals die Hände und Unterarme. Marron stand neben ihm, ebenso mit Mundschutz wie er selber. „Benommenheit. Er musste sich abstützen, um aus dem Bett zu kommen.“ „Das könnte alles mögliche sein“, antworte Chiaki sachgemäß. Es fiel ihm schwer, Marron in die Augen zu schauen, doch er sah ihr an, dass es ihr auch nicht sehr leicht viel. Also wollte er wenigstens ein wenig stärker sein und ihr nichts von seiner Last zeigen. „Stasi-Syndrom.“ Marron rollte mit den Augen. „Was denn?“, fragte Chiaki mit leicht heiterer Stimme. Aber er wusste selber, dass das hier nicht zu lachen war. „Wieso ist er denn dann bitte die Treppe herunter gefallen?“ „Er hat gesagt, er ist gestolpert. Wenn du Hufschlag hörst, muss es nicht gleich ein Zebra sein.“ Er verließ den Vorraum und ging in den Operationssaal. Marron folgte ihm. „Aus irgendeinem Grund hat er das Bewusstsein verloren und ist die Treppe herunter gefallen. Er könnte einen Tumor haben.“, versuchte sie es weiter. „Ich weiß noch nicht mal, warum dieser Mann noch am Leben ist. Geschweige denn, sich bewegen oder sprechen zu können.“ Er blickte Marron sorgend an. Er wollte ihr so vieles anderes sagen. Aber hier konnte er es nicht. Hier stand ein Leben auf dem Spiel. „Ist mir alles ein Rätsel. Erledigen wir doch erst mal das hier“, damit schaute er auf den Patienten. „Bevor wir nach etwas anderem suchen.“ Er ließ sich den OP-Kittel anziehen. „Miyako und Alex haben raus gefunden, dass es nichts Konkretes bei der Behandlung gab. Nägel rausziehen und die Blutungen in Auge behalten. Kürzere OP-Zeiten sind von Vorteil“, sagte Marron nun. Chiaki nickte. „Gut.“ „Hallo Marvin“, sagte Marron lächelnd und griff nach seiner Hand, damit er wusste, wo er war. „Erzählen Sie mir etwas. „Als wir uns kennen lernten, war alles rot. Rotes Auto, rote Kleider, rote Hüte. Ich persönlich fand rot grässlich. Zu Ordinär. Aber vor ein paar Jahren, da war ich mit ihr in den Bergen. Sie hatte ein rotes Kleid an. Da war so ein Feld mit roten Mohnblumen. Sie ist aus dem Auto gesprungen und auf das Feld gelaufen und hat zu lachen angefangen. Nur weil alles so rot war.“ Chiaki, der nun in voller Montur und bereit für die Operation an Marvins Kopfende stand, hörte ihm kurz zu. Sein Blick lag dabei auf Marron und ihm fiel wieder der Moment ein, wo sie den Tanzball im Krankenhaus hatten. Sie sah wunderschön und anmutig in ihrem Kleid aus. Marron erwiderte den Blick von Chiaki, seufzend. Sie sah Schmerz und Mitgefühl in seinen Augen. War es Mitgefühl für den Mann oder für sich selber? „Die Nägel müssen in exakt dem gleichen Winkel entfernt werden, wie sie eingetreten sind. Der kleinste Wackler und wir richten eventuell mehr Schaden an, als beim Eintreten der Nägel“, erklärte Chiaki seinen Kollegen im Operationsraum. Es mussten alle wissen, wie wichtig das hier war. Hier musste Ruhe und Vertrauen herrschen. Dann fing er an. Es wurde ruhig im Operationsraum. Links von ihm stand Marron, als helfende Hand. Aber die Nägel würde er ganz alleine rausziehen. Er war der Oberarzt, er war Neurologe. Das hier war seine Aufgabe. Seine Hände mussten ruhig sein, kein einziges Zittern, kein Zweifeln. Er blickte zu Marron. Ja, hier ging es um Vertrauen. Dann fing er an, den ersten Nagel aus dem Kopf des Mannes zu ziehen, vorsichtig und langsam. Den Nagel legte er in eine Schale, die eine Schwester ihm an seiner rechten Seite hinhielt. Alle Nägel hatten nun den Kopf des Patienten verlassen. „Blutung?“ „Alles sauber“, antwortete Marron ihm nickend. Jetzt, wo sie so neben ihm stand, war es gar nicht so schwer. Ja, vielleicht sollte sie den Worten von Tomoki glauben. Vielleicht sollte sie ihm einfach nur Vertrauen. Sie blickte ihn an. Vielleicht sollte sie Chiaki Nagoya vertrauen. „Ich glaube nicht, dass wir etwas verschlimmert haben. Die große Frage ist der Sehnerv, das werden wir dann morgen sehen.“, erklärte Chiaki. „Soll ich das MRT anordnen?“, fragte Marron Chiaki. „Er muss stabil werden. Am besten erst Morgen.“ Für Marron war das mehr als nur ein anstrengender Tag. Sie war froh, als sie langsamen Schrittes nach Hause gehen konnte. Sie atmete die leichte Abendluft ein. „Dr. Kusakabe.“ Marron drehte sich um und erblickte die Schwester von Marvin. Sie hatte vorhin neben Sina im Wartezimmer gesessen, beide hatten einander tröstend an den Hände gehalten. Sie gaben sich gegenseitig Trost und Halt. „Miss Cruz, was kann ich denn für Sie tun?“ „Haben Sie Sina gesehen?“ „Nein, tut mir Leid.“ „Als sie gegangen waren, fing sie plötzlich an, sich merkwürdig zu benehmen. So habe ich sie noch nie erlebt. Schließlich ist sie weg gerannt. Ich weiß nicht, was auf einmal in sie gefahren ist.“ „Es wird sich bestimmt aufklären“, versuchte Marron es mit ruhiger Stimme. Aber sie wusste selber nicht, warum Sina sich so benahm. Sie war so eine ruhige und sanfte Frau, so hatte sie Marron zumindest kennen gelernt, gehabt. „Ich werde sie weiter suchen.“ „Ich suche mit Ihnen.“ „Nein, das müssen Sie nicht. Sie haben ja keinen Dienst mehr und es ist nicht Ihre Aufgabe.“ „Das macht nichts. Ich helfe Ihnen. Ich suche in der anderen Richtung. Wir finden sie schon.“ „Danke sehr, Dr. Kusakabe. Danke sehr.“ Marron nickte und die Wege der jungen Frauen trennten sich. Die Lichter der Straßenlaternen gingen schon an, als Marron immer noch durch die Straßen lief. Dann fing ihre Brosche an zu piepsen. Sollte etwa ein Dämon dahinter stecken? Marron blieb stehen und schaute in die dunkle Gasse. Das Piepsen wurde präsenter. Sollte vielleicht ein Dämon an Sinas Verhalten zu tun haben? So wie bei dem alten Mann gestern? Marron entdeckte die Gestalt von Sina auf einen der Dächer, diese verschwand plötzlich wieder. Marron eilte eine Treppe nach oben auf das Dach. „Sollte es vielleicht diese Haarspange sein?“ Doch als Marron auf dem Dach angekommen war, war da keine Sina mehr. Sollte sie sich etwa geirrt haben? Kapitel 19: Silar ----------------- Die Brünette Marron Kusakabe hatte die Suche aufgegeben und war nun wieder in ihrer Wohnung. Es war schwer, sich einzugestehen, dass sie ein wenig machtlos war. Das war sehr schwer. Sie stand am Fenster zu ihrem Balkon und blickte suchend in den Himmel. Ihre braunen Augen waren sanft. Ihr Blick war ruhig. Sie strotzte gerade nicht sehr von Kraft, aber sie fühlte sich auch nicht unbedingt ziemlich schwach. „Schon wieder wurde eine Unschuldige von einem Dämon besessen. Sina. Wie lange soll das denn weiter gehen? Fynn. Kannst du mir keinen Rat geben? Was soll ich denn tun?“ Sie seufzte auf. Sie vermisste den kleinen Engel. Sie brauchte wieder den Rat des kleinen Engels. Auch wenn Fynn ihr ab und an auf den Keks und Nerv ging, sie mochte sie. „Fynn, wie lange muss ich mich diesem Kampf noch stellen?“ Sie blickte zum Mond. „Wann wird es endlich vorbei sein?“ Ihre Stimme war leise, nicht mehr als ein Hauch. Kraftlos sackte sie vor dem Fenster herab, lehnte sich gegen die Scheibe und schluchzte leise. Nun war sie schwach und Hilflosigkeit breitete sich in ihr aus. Irgendwo in der Stadt stand Sina und blickte mit schwarz getränkten Augen in den Himmel, als plötzlich eine Karte vor ihren Augen erschien. „Heute Nacht werde ich deiner Haarspange die Schönheit nehmen, gezeichnet Jeanne, die Kamikazediebin“, las die junge Frau vor. Sina lachte dunkel auf und zerriss die Karte. „Sina, da bist du ja“, stellte die Schwester von Marvin fest, als sie diese gefunden hatte. Sina blickte diese an, rannte aber sofort an ihr vorbei, stieß sie zur Seite und rannte weiter. „Sina?“ Doch diese vernahm die Worte gar nicht, sie drangen gar nicht zu ihr durch. Sina rannte durch die Stadt, bis sie an einer Stelle, einem alten Lagerhaus, stehen blieb. „Komm schon Jeanne, wir warten auf dich“, sagte sie mit verzogener Stimme in die Nacht hinein. Marron Kuskabe stand mit einem Fernglas in der Spitze eines Glockenturms und schaute zu dem alten Lagerhaus, in dem sich Sina abgesetzt hatte. Ihre Brosche hatte ihr letztendlich gesagt, wo sie Sina finden würde. Sina stand auf dem Dach und blickte erwartungsvoll in die Dunkelheit der Nacht. Marron nahm das Fernglas von ihren Augen, seufzte auf. „Ich muss kämpfen.“, sprach sie wie einen heiligen Schwur zu sich. Aber es fiel ihr schwer. Der Gedanke, gegen eine Unschuldige zu kämpfen, gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie seufzte auf und als die Glocken des Turmes schlugen, griff sie nach ihrem Kreuz und schloss die Augen, wie zu einem Gebet. „Fynn, gib mir die Kraft. Und lass Jeanne d´Arc mich erhören.“ Ihre Stimme war geschwächt, nicht mehr so voller Zuversicht. Sie verstand nicht, warum sie gegen Sina kämpfen sollte, diese sollte doch bei ihrem Mann im Krankenhaus sein. Sie sollte seine Hand halten, statt kämpfen zu wollen. Das war alles nicht fair. Warum taten diese Dämonen das? Wer stand dahinter? Marron wurde wieder von dem göttlichen und warmen Licht umgeben und verwandelte sich in Jeanne, die Kamikazediebin. „Hey, Sinbad.“ Doch Chiaki war gerade nicht Sinbad, als er durch die Straßen der Stadt ging. Er hatte nun einen neuen Plan. Er würde anders um Marrons Vertrauen kämpfen. Er musste nun einen anderen Weg wählen, das war ihm nun klar. „Jeanne ist im Anmarsch.“ „Ich auch“, stellte Chiaki mit einem Lächeln fest. „In diesem Aufzug?“, fragte Access seinen Freund. Chiaki nickte. „Genau.“ „Was hast du denn jetzt wieder vor?“ Access verzweifelte so langsam mit seinem großen Freund. Warum konnte Chiaki sich nicht an die Spielregeln halten? Warum musste er immer etwas auf eigene Faust machen? „Nun, Access“, er lächelte den kleinen Engel an. „Ich will Sie als Der retten, der ich bin. Also als ihr Freund Chiaki.“ Eine große Explosion versperrte Chiaki aber nun den Weg, traf ihn und warf ihn auf den Boden. Erschöpft blieb Chiaki auf der Straße liegen. „Chiaki...“, schrie Access entsetzt auf, als er seinen Freund auf dem Boden liegen sah. „Tja, mein Freund. So leicht wirst du mir nicht in die Quere kommen“, sprach eine rauchige Stimme in der Dunkelheit der Nacht und blickte zu Chiaki, der auf dem Boden lag. Jeanne sprang von einem Gebäude zum Nächsten. Bis sie schließlich in dem alten Lagerhaus angekommen war. Von der Schwester von Marvin war noch nichts zu sehen. Das war vielleicht auch ganz gut so. Jeanne musste sich auf Sina konzentrieren. Geschickt sprang sie von einer Etage zur Nächsten. Sie würde nicht aufgeben. Sie würde Sina retten. Diesmal warteten keine Polizisten auf sie, die ihr sonst immer den Weg versperrten. Diesmal ging es hier nur um Sina und um die Haarspange die sie im Haar trug. Dann war die blonde Jeanne auf dem Dach des Gebäudes angekommen, aber es war leer. Hatte sie Sina etwa schon wieder verloren? Ein dunkles, metallenes Geräusch riss sie aus ihren Gedanken und der Suche nach Sina. Das Geräusch kam von oben. Jeanne entdeckte den Kran, aus dessen Griff sich gerade Metallstangen lösten und herunter zu krachen schienen. Die Kamikazediebin hatte das zum Glück noch rechtzeitig gehört, sprang zur Seite, als die Metallstangen auch schon auf die Stelle knallten, an der Jeanne eben noch gestanden hatte. Schließlich entdeckte sie auch Sina. Sie stand neben dem Fuß des Krans und blickte zu Jeanne. Ihre Augen waren schwarz unterlaufen. Ihr Blick war verstört. Jeanne seufzte leise auf. Warum musste eine Unschuldige in ihren Kampf gegen den bösen König hineingezogen werden? Lag es daran, dass Marron mit ihr in Kontakt gekommen war und letztendlich alle Menschen, mit denen Marron es vielleicht zu tun hatte, zu Opfer und Lakaien des bösen Königs wurden? So wie der alte Mann? Sollte Marron vielleicht wirklich immer alleine sein und sich mit keinem mehr anfreunden, wenn sie nicht das Risiko eingehen wollte, dass sie zu Lakaien wurden und sie gegen sie kämpfen musste? Dann strahlte vor Jeannes traurigen Augen die Haarspange auf, die Sina im Haar trug. „Du hast mich warten lassen, Jeanne. Das ist aber gar nicht nett. Das tut man nicht, hat man dir das nicht beigebracht?“ „Los! Entferne dich von diesem Menschen! Lass sie gehen!“, schrie Jeanne sauer auf und nahm ihr Band fester in die Hand und schlug damit auf die Haarklammer. Und schon erschien, wie gerufen, der Dämon aus der Haarspange. Lachend und dunkel warf sich sein Wesen gegen Jeanne, setzte ihr Kratzer im Gesicht zu, stieß sie nach hinten. Sein Schlag war heftig. Und genauso heftig schlug Jeanne auf den Boden auf und rutschte auf dem Boden nach hinten. Jeanne konnte ihren Augen nicht glauben, als sie sah, dass der Dämon wieder in die Haarspange zurückkehrte. Wollte er mit ihr spielen? Warum ließ er diese junge Frau nicht in Ruhe? Sina sollte bei ihrem Mann am Bett sitzen und hoffen, dass er bald wieder aufwacht. Als der Dämon wieder in die Spange zurückgekehrt war, lachte Sina dunkel auf. Mühsam richtete Jeanne sich wieder auf. Sie saß auf den Knien, als sie die Schritte von Sina vernahm, die näher an sie heran kam. „Du wirst hier ganz alleine sterben, Jeanne. Und keiner wird dich je vermissen“, sprach Sina in einer anderen Stimme, als ihrer sonst so sanften Stimme. Sina stand nun, mit gekreuzten Armen vor ihrer Brust, vor Jeanne und blickte sie von oben herab an. „Hast du dir wohl so gedacht?“, fragte Jeanne und blickte sie vorsichtig an. „Das werde ich aber nicht zulassen.“ Ihre Stimme klang noch nicht wieder ganz so mutig und stark, der Schmerz vom Aufprall saß noch zu tief, aber davon würde sie sich nicht unterkriegen lassen wollen. Die Haarspange leuchtete erneut lila und schwarz auf und der Dämon erschien wieder. Er sprang auf Jeanne zu und wollte ihr wohl wieder einen Schlag zusetzten. Doch Jeanne war schon aufgesprungen, sprang mit einem großen Satz nach hinten und wich dem Dämon aus. „Jetzt, werde ich es dir zeigen.“ Selbstsicher stand sie vor Sina und blickte sie und den Dämon an. „Selbst ohne Hilfe bin ich viel stärker als du.“ Sie nahm wieder ihr Band in die Hand und setzte zum Angriff aus. „Im Namen des Herren. Fang ich die Ausgeburten der Finsternis...“ Allein schon das grelle Licht, das um Jeanne erschien und sie einhüllte und stärkte, setzte dem Dämon zu. „...Und mache Sie unschädlich“, sprach sie wie ein Gebet. Der Dämon wurde eingewickelt, gefesselt und wie schon angedroht, unschädlich gemacht. „Schach und Matt.“ Der Dämon, der von Sinas Haarspange Besitz genommen hatte, zerplatzte und eine weiße Schachfigur erschien in der Luft, den Jeanne, mithilfe ihres Bandes, einfing und zu sich zog. Sina sackte in sich zusammen, als der Dämon nun endgültig besiegt war. Jeanne eilte schnell zu ihr. Doch ihr wurde der Weg versperrt, durch einen Angriff aus dem Nichts. Sie sprang gekonnt nach hinten und sah sich um. Doch sie konnte keinen Angreifer erkennen. „Hallo Jeanne“, vernahm sie eine rauchige, männliche Stimme. Jeanne blickte sich immer noch fragend um. Und dann entdeckte sie Jemanden. Dieser Jemand schwebte in der Luft über sie und schaute sie amüsiert an. „Tja, mit mir hast du wohl nicht gerechnet.“ „Das kann man so sagen.“ Sie blickte noch mal schnell zu Sina, doch diese lag immer noch auf dem Boden. „Wer bist du?“ Der Mann mit dem dunklen Mantel lächelte sie an. Er hatte blonde Haare und stechend rote Augen. Jeanne konnte eine Kälte spüren und sie war sich sicher, dass sie von diesem Typen ausgehen musste. War das ihr neuer Feind? War das ihr eigentlicher Feind? War das vielleicht der König des dunklen Reiches? „Mein Name ist Silar. Und ich bin hier, um dich auszulöschen.“ Es klang mehr wie ein Versprechen, statt wie eine Drohung. „Bist du ein Dämon?“ Auch wenn Jeanne es schon vorher wusste, fragte sie dennoch. Aber die Dämonen, gegen die sie bisher immer gekämpft hatte, waren nicht so wie dieser hier. Die Dämonen bisher, waren Körperlos, sie waren nur Wesen ohne wirkliche Gestalt. Doch das hier war etwas anderes. „Was soll ich darauf antworten?“, stellte er eine Gegenfrage und er brachte sie sehr amüsiert herüber. Jeanne spürte nun mehr als deutlich, dass das hier ihr neuer Gegner war und sie spürte auch die Furcht, die bei dem Anblick von dieser Person wuchs. „Auf nimmer Wiedersehen, Jeanne.“ Silar holte aus und feuerte einen dunklen Strahl auf sie, der gleiche, wie eben schon mal. Jeanne nahm die Hände schützend vor die Brust, bildete ein schräges Kreuz. Ihr Schutzschild erschien und wehrte den Angriff ab, ließ ihn einfach nicht zu ihr durch. War das ihr neuer Feind? Warum? Warum musste sie immer weiter kämpfen? Doch als Silar merkte, dass sein Angriff nicht viel bei dem Schutzschild anrichten konnte, feuerte er immer weiter gegen sie seine Waffe ab. Er würde das Schutzschild schon zerstören. Wäre doch gelacht, wenn er das mit seiner dunklen Magie nicht hinbekommen würde. „Stirb endlich!“ Ihr Schutzschild hielt. Doch dann wurde eine Stelle schwach, löste sich ein wenig auf und ließ den Angriff von Silar zu ihr durch. Sie wurde getroffen, stürzte nach hinten und ihr Schutzschild verschwand. Die Kamikazediebin war nun Silar schutzlos ausgeliefert. Erschöpft glitt sie auf ihre Knie. „Hey, Jeanne. Du bist ja aber ganz schön hartnäckig. Warum beschützt dich eigentlich dein verkackter, gottgegebener Schutzschild nicht?“, fragte der blonde Silar sie. Doch er wollte keine Antwort, denn schon feuerte er den nächsten Angriff auf sie ab. Und Jeanne wurde noch mal getroffen und schrie beim Treffer auf. Und schon wieder war da dieses schrecklich, kalte und dunkle Gefühl, als sein Angriff sie traf. Sie spürte Schmerz und Kälte. Und das nur durch den Angriff. Sie landete nach hinten auf dem Boden. Dort blieb sie leblos liegen. „Ich bin entsetzt. Irgendwie hatte ich mir die junge Dame viel kräftiger vorgestellt“, er schnalzte enttäuscht mit der Zunge und seufzte auf. Doch Jeanne versuchte sich schon wieder aufzurichten. Nein, so leicht würde sie sich bestimmt nicht geschlagen geben. Langsam und erschöpft stützte sie sich auf ihre Ellenbogen, versuchte, sich weiter aufzurichten. „Ich möchte doch noch ein bisschen spielen“, verkündete Silar mit seiner rauchigen Stimme. „Du willst mir doch nicht erzählen, dass das alles war, was du mir zu bieten hast. Lausige Vorstellung und so was nennt sich Gottes Kämpferin. Aber damit ich weiterhin Spaß habe, werde ich einfach noch weitere deiner Freunde quälen.“ Jeanne hatte sich nun wieder auf die Knie aufgerichtet und stellte sich langsam auf ihre schwachen Beine. „Jetzt wird mir einiges klar. Also passieren diese fürchterlichen Dinge nur deinetwegen. Der arme alte Mann und diese arme Frau.“ „Gut erkannt. Aber damit ist nun endgültig Schluss“, sprach Silar in ruhiger Stimmlage und hob den Arm wieder, um einen neuen Angriff abzufeuern. Das alles war nur ein Spiel für ihn. Er nahm das hier alles gar nicht ernst. Marron war entsetzt. Und wieder wurde Jeanne getroffen. Die Kälte und die Dunkelheit, die sie getroffen hatte, warf sie nach hinten. So geschwächt wie sie nun war, verwandelte sie sich auch wieder in Marron zurück. Nun war sie der Stärke dieses Wesens erst recht einfach so ausgeliefert. Sie konnte nicht mehr. Das Wesen vor ihr, Silar, war zu stark. „Ein kleines bisschen Leid tut es mir schon. Ich habe mich sehr gut mit dir unterhalten. Schade Jeanne.“ Und wieder wollte Silar zum Angriff ausholen. Chiaki kam gerade noch rechtzeitig, um Marron vor den Angriff zu schützen. Er hatte sich beeilt und nutzte diesen Moment. Er würde das hier nicht zulassen. Der Blauhaarige warf sich auf sie, als Silars Angriff die am Boden liegende Marron treffen sollte. Nun bekam er alles ab. Aber es war egal. All den Schmerz, die Kälte, die Dunkelheit durchzog nun ihn. Er hatte sich schützend über Marron gebeugt, die immer noch leblos unter ihm lag, während er aufschrie, weil die Schmerzen einfach unerträglich waren. Als Marron Chiakis Stimme vernahm, schmerzverzerrt, öffnete sie geschockt die Augen und blickte in sein Gesicht. Er kniete über ihr, schützend und bekam gerade den vollen Angriff ab. „Chiaki.“ Marrons Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er beschützte sie mal wieder. Chiaki war mal wieder für sie da und wollte sie aus einer brenzlichen Situation retten. Aber warum war er nicht Sindbad? Als Sindbad würde er doch stärker sein. War er etwa wegen ihr kein Sindbad mehr? Auf seiner Stirn schimmerte schon der Schweiß und immer noch schrie er. „Marron..., ich werde dich retten.“ Es kostete ihn viel Kraft, das zu sagen. Er konnte sie nicht mal anschauen. Seine Augen waren zusammengepresst. „Na gut, wie du willst. Noch ein Spielgefährte“, stellte Silar lachend fest. „Gut, dann werdet ihr eben beide sterben. Damit habe ich nun wirklich kein Problem.“ Doch plötzlich leuchteten beide Körper auf. Marrons, wie Chiakis. Es war ein grelles und Leuchtendes Licht. Es war warm und angenehm. Silar presste die Augen zusammen. Das Licht war zu grell, zu grell und zu intensiv für seine Augen, die nur Dunkelheit gewohnt waren. „Ich glaub ich spinne...“ Silar konnte sich gar nicht mehr auf seinen Angriff konzentrieren. Er sah nichts mehr. „Was soll dieses bescheuerte Licht.“ Allein das Licht drückte Silar von Marron und Chiaki davon. Dann flog er davon. Er würde es wann anders noch mal probieren. So leicht würde er sich nicht geschlagen geben. „Marron...“ Langsam richteten sich beide wieder auf und auch das Licht verschwand wieder. „Ist mit dir alles in Ordnung?“ „Ich denke schon.“ Er hielt ihre Schultern in seinen Armen und stand rechts von ihr. Es fühlte sich gut an, dass er nun bei ihr war. „Beeilt Euch!“, vernahm Chiaki die Stimme von Access, der erschienen war und hektisch wirkte. „Die Polizei ist gleich hier.“ Chiaki hatte immer noch den Arm um Marron gelegt und sie wimmelte ihn auch noch nicht ab. Doch dann blieb Marron stehen. Sie erblickte Sina. „Und was machen wir mit ihr?“ Chiaki blickte zu Sina. „Mach dir keine Sorgen. Sie wird es ganz bestimmt schaffen. Die Polizei wird sie sicher ins Krankenhaus zurückbringen, wo Marvin auf sie wartet.“ Er nickte Marron zu. „Komm“, sprach er nun ganz sanft. „Kommt mal in die Puschen! Oder wollt ihr, dass man Euch hier erwischt“, meinte Access dazwischen. Chiaki führte Marron langsam die Treppe herunter. Er spürte, wie geschwächt sie war. Und er ermahnte sich selber, dass er doch hätte früher kommen können. Er wollte sie nun nur noch sicher nach Hause bringen. Chiaki erwartete immer noch keine Wunder. Nicht mehr. Natürlich hatte er nicht aufgegeben, um Marron zu kämpfen. Sie war ihm einfach zu wichtig. Aber er würde warten. Er würde ihr Zeit geben und immer für sie da sein. Marron stand irgendwann wieder alleine in ihrer Wohnung vor ihrem Fenster und blickte hinaus. Sie hatte ihre Arme um sich gezogen, umarmte sich sozusagen selber. Sie blickte zum Vollmond. Die letzten Worte, von Chiaki gingen ihr nicht aus dem Kopf, sie hallten ihr noch zu im Kopf. „Ich hoffe du hast meine Botschaft verstanden“, hatte er gesagt, als er sie nach Hause gebracht hatte. „Nun beurteile du, ob ich dein Freund oder dein Feind bin.“, murmelte sie vor sich hin. Sie schloss die Augen und seufzte innerlich. „Chiaki... Ich würde dir gerne vertrauen.“ Ihre Lider zuckten, und ihre Augen brannten. Ein Zeichen dafür, dass sich Tränen ankündigten. Es war momentan einfach so viel. Ihre neuen Feinde und die Opfer, die das nun bedeutete. „Weil ich doch...“ Und nun traten die Tränen aus ihren Augen. Sie öffnete ihre braunen Augen wieder, blickte zum Vollmond zurück. „Weil ich doch so wahnsinnig an dir hänge.“ Kapitel 20: Ein Leben ohne Vergangenheit? ----------------------------------------- Marron hatte heute erst später Schicht. Sie war schon sehr früh auf der Eisfläche. Es hatte ihr letztens so viel Spaß gemacht, wieder auf ihren Kufen auf dem Eis zu stehen. Und sie hatte Glück, dass die Halle heute schon so früh auf hatte und dabei war die Fläche ganz leer. Jetzt konnte sie sich richtig austoben. Sie hatte ihren MP3-Player via Stöpseln in den Ohren und hatte somit die Musik, zu der sie tanzen wollte, direkt am Ohr. Sie startete, das erste Lied und setzte ihre Kufen auf dem Eis ab. An ihren Ohren und in ihrem Kopf ertönte das Lied „Breathe“ von Anna Nalick. Wie von selbst bewegte sie sich sicher und glamourös auf dem Eis und lief. Sie streckte den linken Arm nach oben, dann folgte der Rechte. Sie ging leicht in die Knie und fuhr eine Kurve, kam elegant wieder zum stehen, drehte eine Pirouette, beugte sich nach vorne und streckte ein Bein nach hinten aus und fuhr weiter. Die Musik in ihr brachte die Bewegungen, die einzelnen Figuren ganz von selber zusammen. Sie hatte die Augen geschlossen und fuhr blind zur Musik. Sie sprang in die Höhe, drehte sich um und fuhr rückwärts fahrend weiter. Dann wieder eine Drehung in der Luft, eine Doppelte, sie kam wieder sicher auf den Kufen auf und fuhr weiter. Sie beugte sich wieder nach vorne, berührte mit ihren Händen das Eis, spürte die Kälte, doch sie war sanft und angenehm. Und wieder folgte eine Pirouette. Ihr Lauf war wundervoll und sie fühlte sich wieder frei. Sie wollte einfach mal wieder alles um sich herum vergessen. Sie musste. Sie brauchte Ruhe und Abstand. Nun stand eine neue Hürde vor ihr. Sie hatte einen neuen Gegner und dieser hatte auch noch einen Namen. Silar. Und Silar war sehr gefährlich und stark. Er war dunkel und kalt. Und sie musste sich endlich klar werden, wie es mit ihr und Chiaki weiter gehen sollte. Sie wusste es einfach nicht. Außerdem vermisste sie immer noch Fynn und wusste nicht, wo der kleine Engel blieb. Sie hatte ihr gesagt, dass sie nicht lange fort bleiben würde, aber genau das war nun eingetreten. Sie war schon ziemlich lange fort und Marron sorgte sich, dass dem Engel vielleicht etwas passiert war. Vielleicht war sie nie dort angekommen, wo sie ankommen sollte. Und doch wusste sie, was ihre momentan Priorität war. Silar. Sie musste kämpfen, ob sie nun wollte oder nicht. Aber sie hatte nun mal leider keine andere Wahl. Nein, sie hatte keine Wahl. Sie wird kämpfen müssen. Ohne Fynn. Aber vielleicht mit Chiaki. Dann war das Lied zu Ende. Und Marron verließ still das Eis. Sie wusste nun, was sie tun würde. Marron griff nach der Akte ihres Patienten, die Akte von Marvin, der gestern operiert wurde. „Ist er wach?“ Die Brünette im Ärztekittel drehte sich um und erblickte Chiaki, der sie lächelnd ansah. „Noch besser“, sagte Marron und reichte ihm die Akte und ging mit ihm schon zum Zimmer des Patienten, während Chiaki kurz auf die letzte Werte in der Akte sah. „Wirklich?“ Marron nickte mit einem Lächeln und ging neben ihm her. „Dann schauen wir doch mal“, sprach Chiaki mehr zu sich selber, als zu Marron und ging um die Ecke in das Zimmer von Marvin. Sina saß an seinem Bett und hielt seine Hand. Sie lächelte Marron und Chiaki an. „Hallo, Sina. Marvin, wie geht es Ihnen denn heute Morgen?“, fragte Chiaki seinen Patienten. Marron stellte sich neben Chiaki. Sina lächelte Marvin an. „Sag es ihnen, welche Farbe hat mein Kleid.“ „Selbst wenn ich es nicht sehen könnte, würde ich das wissen“, antwortete Marvin und streichelte die Hand seiner geliebten Sina mit seinem Daumen. Der Verband um seinen Kopf saß immer noch gut, wie Marron vom weiten erkannte. Beide grinsten. Chiaki nickte und lächelte Marron an. Kaiki saß an seinem Schreibtisch, fuhr sich durch sein blaues Haar und seufzte auf. Er wollte sich eigentlich auf seine Arbeit konzentrieren, doch seine Gedanken schwebten momentan ganz allein um seinen Sohn. Noch nie hatte er sich solche Sorgen um Chiaki gemacht. Doch sein Sohn sah nicht gut aus, dass sah er ihm sofort an. Er wusste nicht mehr ein und aus, Chiaki ließ niemanden an ihn heran, schon gar nicht seinen Vater. Dabei wollte Kaiki nichts weiter als helfen. Doch Marron und er waren wohl getrennt. Sie hatte anscheinend kein Interesse mehr an Chiaki. Oder Chiaki hatte es wirklich versemmelt und alles verloren, was er so sehr wollte. Kaiki musste schmunzeln. Das alles erinnerte ihn so sehr an seine eigene Vergangenheit. Er zog eine ganz bestimmte Schublade auf und holte eine Akte heraus, er legte diese auf seinen Tisch und öffnete sie. Er lächelte, als er das Foto einer jungen Frau sah. „Sie ist genau wie du. Es ist genau wie damals“, sprach er zu dem Foto und lächelte sanft. Chiaki machte nun die Untersuchung der Körperfunktion. Er hob ihm gerade sein linkes Bein hoch. „Können Sie mir sagen, was Sie am Montag zu Frühstück hatten?“, fragte Chiaki ihn und überprüfte damit sein Gedächtnis. „Käse-Omelet“, antwortete Marvin sehr sicher. „Auch am Sonntag. Und am Samstag. Und am Freitag.“ Sina saß inzwischen nicht mehr an seiner Seite, während Chiaki die Untersuchung machte, sie lief ruhig in Marvins Krankenzimmer umher und fing an zu lächeln. „Jeden Morgen steht Sina auf und macht mir ein Käse-Omelet.“ „Tja, er mag auch nichts anderes“, erklärte nun Sina. „Und du kannst nichts anderes kochen“, sagte Marvin grinsend. Sie lachte auf. „Sieht alles sehr gut aus, aber wir sollten heute Morgen noch ein MRT machen, um Blutungen auszuschließen“, sagte Chiaki, der nun wieder am Bettende stand und Marvin anschaute. Marron stand die ganze Zeit ein wenig abseits und lernte. Es war schließlich ein Lehrkrankenhaus und Chiaki war immer noch ihr Lehrer. „Okay?“ Chiaki nickte mit einem Lächeln, er reichte Marron die Akte wieder und nickte ihr zu. Marron lächelte, blickte zu Marvin, der gerade liebevoll einen Kuss von Sina bekam. Marron lächelte, als sie das süße Bild sah, was die Beiden abgaben und verließ nun auch das Krankenzimmer. Sie sollte den Beiden ein wenig Ruhe gönnen. Sie war erleichtert, dass sie Sina nach dem gestrigen Abend wieder an der Seite von Marvin sah. Ihr ging es gut, sie hatte alles gut überstanden. „Wie geht’s uns heute?“, fragte Alex in die Runde, als er sich an den Tisch zu Marron, Miyako und Tomoki setzte. Sie aßen gerade zu Frühstück. „Gut“, antwortete Tomoki. „Ich hab eine Amputation“, sagte Miyako stolz. „Echt?“, meinte Tomoki erstaunt und blickte Miyako regelrecht ehrfürchtig an. „Was wird denn amputiert?“ „Sein rechtes Bein. Staphylokokken-Infektion.“ „Klingt gut“, sagte Alex und biss in seinen Apfel. „Ich werde mir gleich Marvins MRT anschauen“, meinte Marron. „Der mit den sieben Nägeln?“, fragte Miyako. „Er ist schon aufgewacht.“ „Ja.“ Marron nickte. „Und es geht ihm ausgezeichnet. Er scherzt die ganze Zeit. Aber...“ „Aber?“, fragte Miyako, sie sah ihrer Freundin an, dass etwas nicht stimmte. „Ich denke er hat einen Tumor.“ „Wegen den Nägeln?“, fragte Tomoki. Marron schüttelte den Kopf. „Nein, ich denke, dass er den Tumor schon vorher hatte.“ „Vielleicht hatte er sich deshalb die Nägel in den Kopf gehämmert“, meinte Alex dazu. „Ich weiß nicht. Ich denke schon, dass es ein Unfall war. Ich denke wirklich, dass er die Treppe herunter gerutscht ist, aber ich denke, dass es passiert ist, weil er einen Anfall oder so etwas gehabt hatte.“ „Was sagt Nagoya dazu?“, fragte Miyako. Marron senkte den Kopf. Sie wollte nicht über Chiaki reden, aber sie wusste, dass es hier nur um seine berufliche Meinung ging, aber dennoch ging er ihr einfach nicht aus den Kopf. „Er hofft das Beste und wartet auf das Bild vom MRT.“ Marron stand neben Chiaki im Raum vor dem MRT-Gerät. Marvin war gerade in der Röhre und er wurde durchgecheckt. Dann stockte Marron der Atem. Sie wusste, was sie da auf dem Bildschirm sah. Und auch der Stationsarzt wusste es. Chiaki kniff die Augen zusammen, als der das Bild sah. Er seufzte auf. Er wollte das nicht sehen, was er eben sah und Marron sah es auch. Und dennoch war er Lehrer eines Lehrkrankenhauses, er wusste Marron genau zeigen, was er sah und er musste es ihr erklären. „Da! Da ist ein Tumor.“ Er vergrößerte das Bild seines Gehirns. „Die Mittellinie des Tumors nahe dem Hypothalamus.“ Er nickte, sich selber zustimmend zu. Er seufzte, schaute über den Monitor zu Marvin, der gerade wieder elektronisch aus der Röhre geschoben wurde. „Verdammt“, murmelte Marron vor sich hin. Natürlich hatte Marron es gestern schon befürchtet gehabt, als sie Sina befragt hatte und sie ihr von der Benommenheit erzählte, die Marvin ab und an hatte. Aber nun sahen sie es vor sich. Es war real. Sie hatte gehofft, für Marvin und für Sina, dass sie einfach nur falsch lag. Doch der Tumor war da. Gestern war es nur ein Verdacht gewesen. Doch heute war der Tumor real. Chiaki stimmte ihr zu und biss sich auf die Unterlippe. So etwas war nie einfach. Und es würde schwer. Vor Marvin und Sina würde eine schwere Entscheidung liegen. „Das Beste Verfahren wäre wohl den Tumor zu entfernen“, fing Chiaki an. Er hatte Sina und Marvin gerade vom Tumor erzählt, den sie entdeckt hatten. Sina saß in ihrem roten Kleid auf dem Bett von Marvin und streichelte seine Hand. Beide Gesichter, beide Blicke waren nur auf Chiaki und Marron gerichtet, die ein wenig hinter Chiaki stand. „Aber das wird leider nicht vollständig gehen.“ Chiaki wusste, dass er die Wahrheit sagen musste und wenn sie doch so schwer war. „Nur zu 99%.“ Sinas Blick wanderte nun von Chiaki weg zu Marvin, sie blickte sorgenvoll in sein Gesicht. „Aber eben nicht zu 100%.“ Marvin verstärkte seinen Handgriff, mit der er Sinas Hand hielt. Er streichelte ihr beruhigend über den Arm. „Mit Bestrahlung und Chemotherapie haben Sie noch fünf bis zehn gute Jahre“, sprach Chiaki weiter. Marron lehnte sich an die Wand, sie blickte in die Gesichter von Sina und Marvin. Es war schwer, die beiden so zu sehen. Sie sah, wie gefühlvoll und liebevoll Sina zu Marvin war und gerade jetzt war er es, der sie tröstete, statt umgekehrt. Sina und Marvin blickten sich fragend an. Marron kannte den Blick, sie hatte ihn in in den letzten Wochen kennen gelernt. Sina blickte Marvin sorgend an. Doch Marvin nickte Chiaki zu und blickte dann wieder Sina an. „Tun wir es.“ Chiaki nickte. Er biss sich wieder auf die Lippe. „Da wären noch die Nachteile. Der Tumor sitzt in dem Teil des Gehirns, in dem sich auch ihre Erinnerung und ihre Persönlichkeit befinden.“ Chiaki ging um das Bett herum und stand nun auf der linken Seite von Marvin. „Und wegen der Invasion aufs Nachbargewebe bei dieser Art von Tumor würde auch gesundes Gewebe verloren gehen. Marvin, es ist gut möglich, dass Sie einen Großteil ihrer Erinnerung einbüßen. Dass Sie nicht mehr der sein werden, der Sie sind“, erklärte Chiaki mit ruhiger Stimme. Marron blickte weg. Der Anblick tat weh. So eine Entscheidung tat weh. Wie man sich auch entschied, es wäre auf irgendeine Art falsch sein. Man würde etwas verlieren. Seine Vergangenheit oder seine Zukunft. „Gibt es noch andere Lösungen?“, fragte Sina. Ihre Stimme klang sorgenvoll. „Die Alternative ist eine so genannte Gamma-Behandlung mit gebündelter Strahlung. Sie ist Gewebeschonender und er wird vielleicht weder Erinnerung noch Persönlichkeit verlieren. Dafür werden ihm aber nur drei bis fünf Jahre bleiben.“ Sina nickte nur stumm. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, sie hörte Chiaki still zu und konnte es kaum glauben. „Drei bis Fünf Jahre?“, fragte sie skeptisch. Sie blickte weg und presste die Augen zusammen, da die Tränen sich ankündigten. Auch Marron spürte die Tränen in sich aufsteigen, sie versuchte, ruhig zu bleiben und langsam zu atmen, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Es ist eine wahnsinnig schwierige Entscheidung. Wenn Sie noch Fragen haben oder mich einfach sprechen möchten, ich bin für Sie da. Okay?“ Chiaki blickte Marvin an, nickte ihm zu und verließ dann das Zimmer. Marron griff nach der Akte, die auf dem Tisch lag und folgte ihm. „Und was hat dein MRT gebracht?“, fragte Miyako ihre Freundin interessiert, als sie sich auf dem Flur des Krankenhauses begegneten. Marron seufzte auf. „Leider hatte ich mit meiner Vermutung recht. „Es ist also ein Tumor.“ Marron nickte. „Die Mittellinie des Tumors nahe dem Hypothalamus.“ „Oh.“ Miyako nickte. „Und wie geht’s weiter? Chemotherapie?“ „Chia... Ich meine, Dr. Nagoya hat Marvin und Sina soeben die Möglichkeiten erläutert. Bei einer Operation würde er vielleicht seine Erinnerungen und seine Persönlichkeit verlieren.“ „Ja, das ist gut möglich. Der Tumor sitzt also ziemlich nah?“ Marron nickte. „Sie sind noch am überlegen und werden Dr. Nagoya wohl später ihre Entscheidung mitteilen. Was machst du?“ „Ich bereite meine Operation vor.“ „Mit wem wirst du operieren?“ „Mit Dr. Weyd.“ „Viel Spaß.“ „Das werde ich haben. Ein Bein amputieren“, sagte Miyako lächelnd. Miyako ging weiter. Marron nickte und musste wieder an Sina und Marvin denken. So leicht hatten die Beiden es nicht. Auch mit nur einem Arm konnte man immer noch genauso lange wie mit zwei Armen leben. Doch ohne Erinnerung war das nicht so leicht. Es würde für alle Personen sehr schwer sein. Marron dachte an ihre Großmutter. Sie hatte Alzheimer bekommen. Marron war erst acht Jahre alt gewesen, als sie damals zu ihrer Großmutter gebracht wurde. Ihre Eltern waren ins Ausland gezogen und sie wurde bei ihrer Großmutter untergebracht. Es war aber eine wundervolle Zeit, bis die Krankheit ausbrach. Marron war 12 Jahre alt gewesen und konnte das alles nicht richtig fassen und verstehen. Es war eine schreckliche Krankheit gewesen, zu sehen, wie ihre Großmutter, bei der sie all die Jahre lebte und das Leben genossen hatte, sie vergessen hatte. Sie erkannte Marron nicht mehr, schrie sie oft an, dass sie verschwinden sollte, aus ihren Haus verschwinden sollte. Doch Marron hatte ja keinen außer ihre Großmutter und es war nie jemand da gewesen. Ihre Eltern waren nie vorbei gekommen. Es war ein Arzt gewesen, der Marron erklärte, was mit ihrer Großmutter passierte. Als Marron 13 Jahre alt war, starb ihre Großmutter. Und dann war sie wirklich alleine. Auch wenn das letzte Jahr so schrecklich gewesen war, so war ihre Großmutter doch wenigstens da gewesen, danach war sie gar nicht da gewesen. Aber ihre Großmutter hatte durch Alzheimer auch keine Vergangenheit mehr gehabt, zumindest keine Vollständige. Und Marron musste darunter leiden und es war sehr schwer gewesen. Und das lag nicht nur daran, dass sie ein Kind gewesen war, die ganze Situation war schwer und unverständlich. Marron wollte gerade zu Marvin gehen, als sie sah, wie Chiaki den Beiden, Marvin und Sina, die Hand reichte und aus dem Zimmer kam, die Akte in der Hand. „Bis dann“, sagte er noch zu ihnen. „Und?“, fragte Marron ihn und blickte zu den Beiden. „Marvin und Sina wollen die Operation“, erklärte Chiaki ihr. „Der Tumor soll also raus?“, fragte Marron skeptisch. Sie wollten die Operation und die damit verbundenen Nachteile? Chiaki nickte ihr zu. „Es war ihre Entscheidung.“ Er blickte Marron an und dachte dabei, dass er ihr so vieles sagen wollte, mit ihr über so vieles reden wollte und doch wollte er ihr Zeit und den Freiraum lassen, den sie nun hier im Krankenhaus hatten. Sie wollte es so und so lange Marron es so wollte, würde er es ihr geben. Er wollte sie fragen, ob sie gestern Abend gut nach Hause gekommen war. Er wollte sie fragen, ob sie ihm nun endlich glaubte, dass er nicht ihr Feind war. Doch er seufzte innerlich. Er würde ihr Zeit geben. Sie sollte den ersten Schritt machen. Mit der Akte in der Hand ging er dann weiter. Er würde die Operation vorbereiten und schauen, wann es am besten wäre, Marvin zu operieren. Mit großen Augen blickte Marron zu Marvin und Sina ins Zimmer. Sie verstand nicht, wie sie sich dazu entscheiden konnten. Natürlich war es die Entscheidung der Beiden, aber bedachten sie denn alles. Sie musste an ihre Großmutter denken und daran, wie schlimm es für sie gewesen war. Und sie hatte es nur ein Jahr erlebt. Wollte Sina, das wirklich zehn Jahre durchhalten? Marron ging immer wieder an dem Zimmer vorbei und blickte hinein und sah zu, wie Marvin und Sina zusammen lachten, sie lächelten, wie sie sich anschauten. Und sie verstand nicht, dass sie diese Operation riskieren wollten, wo doch die Gefahr da war, dass er Sina vergessen konnte. Und als Sina in ihrem roten Kleid aufstand, als sie vermutlich die Toilette aufsuchen wollte, nahm Marron allen Mut zusammen und sprach sie an: „Sina.“ Marron seufzte auf. Nun musste sie es auch durchziehen. Sie erzählte ihr, was sie davon dachte. Sie wusste, dass es irgendwie falsch war. Aber sie verstand Sina einfach nicht. „Sie müssen bedenken, was Sie dabei verlieren. Was nützen denn fünf Jahre, wenn er keine Witze mehr über Ihre Omeletts macht?“, fragte Marron sie. Sina stand mit verschränkten Armen vor der Brust vor Marron und seufzte auf. Sie wollte nicht von einer Ärztin besprochen werden. Sie hatten sich ja schließlich gemeinsam entschieden. Marvin hatte sich schon entschieden und sie wollte ihm beistehen. „Und nicht mehr weiß, dass er Sie in dem roten Kleid gesehen hat?“ „Doch die Fünf Jahre haben wir“, sagte Sina nur. Marron seufzte auf. „Sie verstehen das nicht. Er wird zwar da sein, aber er wird nicht mehr Marvin sein. Er wird Sie nicht mal mehr erkennen.“ Ja, so war es schließlich bei ihrer Großmutter gewesen. Es war nicht mehr dasselbe Leben wie vorher. Alles war anders. Jede Kleinigkeit war anders. „Das geht nur Uns was an“, meinte Sina nun etwas lauter. „Sie haben keine Ahnung, wie das für Sie sein wird.“ Doch Marron wusste, wie es sein wird, wenn der Mensch, den man liebt, sich nicht mehr an einen erinnert. Sie hatte immer noch die fragenden Augen ihrer Großmutter im Kopf. Es war auch nach all den Jahren nicht abgeschwächt, es war immer noch da. „Sind Fünf gute Jahre nicht besser, als zehn Furchtbare?“, fragte Marron Sina und hatte Tränen in den Augen. Die Erinnerung an den Schmerz, den sie damals in diesem Jahr durchlebt hatte, brach nun wieder wie ein Vulkan in ihr aus. „Marron“, diese drehte sich um und sah Chiaki, der auf sie und Sina zu kam. „Was soll denn das?“ „Es soll ihr doch nur klar sein...“ „Mir ist das völlig klar.“ Sina zog spitz die Luft ein. „Sie denken, ich bin egoistisch. Und dass ich nicht loslassen will.“ „Nein, das denke ich nicht“, verteidigte sich Marron. Sie dachte nicht schlecht über Sina. „Es ist Marvins Entscheidung. Und wenn das zehn schlimme Jahre für mich bedeutet, dann gebe ich ihm diese Jahre. Weil ich ihm gebe, was immer er will.“ Chiaki stellte sich vor Marron und blickte Sina an. „Ich muss mich für sie entschuldigen. Aber sie ist noch Anfänger und sie...“ „Und wenn er sich nicht an mich erinnert. Und wenn er nicht mehr weiß, wer wir sind.“ Sina biss sich auf die Unterlippe. Sie schluchzte und Tränen liefen ihr über die Wange. „So ist er doch noch mein Marvin. Und ich werde mich für uns Beide erinnern.“ „Kommen Sie.“ Chiaki legte den Arm um Sina. „Schon gut.“ Und führte sie weg. Und ließ Marron stehen. Marron sah, wie Chiaki tröstend auf Sina einredete. Ihre Tränen versiegten. Dann ging sie an Marron vorbei, blickte sie einfach nur an, ohne Gefühl und ging an ihr vorbei. Dann drehte Chiaki sich zu Marron um. Er blickte Marron fragend an und seufzte leise. 'Ich wünschte, es gebe eine Regelwerk', dachte Marron bei sich. 'Eine Anleitung, die einem sagt, wann man die Grenze überschritten hat.' Chiaki trat auf Marron zu, blickte sie immer noch schweigend und fragend an. 'Es wäre schön, wenn man so etwas kommen sehen könnte. Aber ich wüsste auch nicht, wie man das anstellen sollte.' Marron blickte Chiaki an und seufzte. 'Man sollte die Nähe annehmen, wenn sie sich einem anbietet und sie festhalten, solange es geht. Und was die Regeln angeht, vielleicht gibt es gar keine. Vielleicht muss man die Regeln der Nähe, selbst definieren.' „Was ist los, Marron?“ Doch diese drehte sich um und ging weg. Sie konnte es Chiaki nicht erklären. Sie konnte ihm nicht erklären, welch Schmerz in ihr erwacht worden war, eine alte Erinnerung, die sie dachte vergraben zu haben, war nun wieder da. Es war eine Welt ohne Vergangenheit, die ihre Großmutter hatte und für die sich nun Marvin entschieden hatte, freiwillig. Kapitel 21: Patient Ben Houston ------------------------------- Erst mal vielen lieben Dank für die Kommentare zum 20.Kapitel. Ich hab wieder richtig viel Spaß weiter schreiben, wenn ich so viele und so schöne Kommentare bekomme, deswegen ist das 21.Kapitel auch schon heute fertig geworden und nicht erst im Laufe der Woche: ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 21: Patient Ben Houston „Guten Morgen, Dr. Karev“, wurde dieser, der gerade einen intubierten Patienten in deren Bett durch die Gänge schob, von Kaiki Nagoya angesprochen. Dieser blickte die Patientin an. „Was gibt`s?“ „Linienbus hat einen betrunken Fußgänger erwischt.“ Alex schon den Patienten in die Notaufnahme. „Offene Hüftfraktur. Stumpfes Bauchtrauma. Übernimmst du mal?“, fragte Alex den Assistenten, der neben ihm stand, dieser nickte zu und griff nach dem Beatmungsbeutel, den Alex bis eben in der Hand gehalten hatte. „Ich dachte an Laborathothermie“, erklärte Alex seinem Chef, Kaiki. „Ich hab ihre Beurteilungen noch nicht. Gehen Sie weiter“, sagte Kaiki zu Alex und deutete den Schwestern und Assistenten, den Patienten weiter in Richtung Notaufnahme zu bringen. „Dr. Ross wollte Sie Ihnen ins Fach legen.“ „Bis jetzt ist jedenfalls nichts da.“ „Sie ist sicher unterwegs.“ „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie mit der neuen Rotation erst anfangen können, wenn die alte abgehakt ist. Das sind nun mal die Regeln, Dr. Karev“, erklärte Kaiki dem jungen Mann. Alex verschränkte die Arme vor seinem Oberkörper und seufzte. „Und was passiert jetzt?“ „Solange ich Ihre Unterlagen nicht habe, gar Nichts.“ „Dr. Nagoya, bitte.“ „Suchen Sie Dr. Ross und bringen Sie die Beurteilungen, bis dahin liegen sie auf Eis und arbeiten nicht in der Notaufnahme.“ Er folgte dem Patienten und zog die Tür der Notaufnahme hinter sich zu. Ein neuer Monat hatte angefangen und Marron würde diesen Monat wieder in der Kinderstation bei Dr. Mehdi Kaan verbringen. Einerseits freute sie sich sehr darauf, wieder mit den Kindern zusammen arbeiten zu können. Doch andererseits hatte sie das Gefühl, dass sie noch mit Chiaki reden musste. Sie wollte ihm so einiges erklären, vor allem warum sie so bei Sina und Marvin reagiert hatte. Sie wollte es ihm erklären. Vielleicht würde sie ihn in ihrer Pause treffen können. Dr. Mehdi Kaan kam ihr gerade den Gang entgegen und lächelte sie an. „Dr. Kusakabe, das ist aber schön, dass Sie wieder für unsere Abteilung zuständig sind. Ich habe schon gehört, dass sie diesen Monat wieder bei uns sind.“ Sie lächelte ihm zu und nickte. „Ja, ich bin gerne bei den Kindern.“ „Ja, und das spüren diese auch“, meinte er und lächelte Marron an. Irgendetwas an diesem Lächeln ließ Marron aber erschaudern, sie wusste nicht, was es war. Aber das Lächeln war kälter als sonst. Es wirkte nicht echt. Irgendetwas stimmte nicht mit Dr. Kaan, zumindest kam er ihr etwas verändert vor. Er hatte auch dunkle Augenringe, was aber auch daran liegen konnte, dass er einfach ein paar 24h-Schichten zu viel hintereinander hatte. „Der Junge erstickt hier gleich“, sagte eine Schwester laut, erweckte so die Aufmerksamkeit von Dr. Kaan und Marron auf sich. Die Schwester in ihrem rosafarbenen Kittel hatte einen kleinen Jungen im Arm. Ein Mann mittleren Alters folgte der Schwester, vermutlich war das der Vater des Jungen. „Was hat er denn?“, fragte Marron und schon eilten Dr. Mehdi Kaan und Marron zur Schwester, die den Jungen auf ein Bett legten, das im Flur stand. Der kleine Junge hatte noch seinen Schlafanzug an. Der Vater musste ihm direkt aus dem Bett geholt haben. „Weiß ich nicht“, sagte der Vater schnell und trat hinter die Schwester. Er sah nervös und ängstlich aus. Marron erkannte sofort, dass er um Sorge um seinen Sohn war. „Wann ging das los?“, fragte Dr. Kaan den Mann und schaute sich den Jungen so gut es ging an. „Vor zehn Minuten“, antwortete der Mann. Dr. Mehdi Kaan legte seinen Kopf über den offenen Mund des Jungen, er wollte hören, ob er atmete. „Er atmet nicht mehr“, meinte Dr. Kaan schnell. Sofort schob man den Jungen in das nächste freie Behandlungszimmer. „Schnell in den Raum. Es muss schnell gehen.“ Schwestern, Marron und Dr. Kaan betraten schnell den Raum. Sie legte den Jungen richtig aufs Bett. Dr. Kaan ging um das Bett herum, stand nun am Kopfende und fragte schnell eine Schwester nach einer Zange. Er öffnete den Mund des Jungen. „Jemand sollte die Intensivstation anrufen“, gab Marron den Auftrag an eine Schwester. „Und wir brauchen ein Beatmungsgerät“, forderte sie weiter. Dr. Kaan zog dem Jungen die Jacke aus. Marron half ihm. „500 ml Kochsalzlösung, mit Sultanol“, forderte er weiter. Marron griff nach einer Schere, sie schnitt des Jungen Schlafanzug auf. Sie hatten nicht auch noch Zeit, den Schlafanzug auszuziehen. Es ging um das Leben des kleinen Jungen, das stand fest. Dr. Mehdi Kaan versuchte einen Inkubationsschlauch einzupassen. „Sofort an den Monitor anschließen.“ Marron nickte ihm zu. „Ich komm nicht rein. Da ist irgendwas drinnen. Er muss was verschluckt haben und das steckt fest und versperrt mir den Weg.“ Er versuchte etwas zu erkennen. „Es sieht aus wie eine kleine Kugel.“ „Sauerstoff bei 80“, sagte eine Schwester. „Er ist zyanotisch.“ Marron erkannte die bläuliche Farbe der Zyanose an den Lippen und an den Fingernägeln des Jungen. Als Zyanose bezeichnete man eine violette bis bläuliche Verfärbung der Haut, der Schleimhäute, der Lippen und der Fingernägel. „Kriegst du die Kugel raus?“ „Nein, sie sitzt fest.“ Dr. Kaan hatte eine Zange in der Hand und versuchte die Kugel zu erwischen und gleichzeitig versuchte er den Inkubationsschlauch einzusetzten, sich vielleicht an der Kugel vorbei zu schieben. Ein monotones Piepsen ertönte den Raum. „Er wird tachikat.“ „Gibt ihm 15 Lydokain“, forderte Dr. Kaan an. „Ich werde ihn schocken“, sagte Marron und griff nach den Pads. Sie dachte gar nicht lange darüber nach, dazu hatte sie auch keine Zeit. Es musste einfach nur schnell gehen. Sie wollten den kleinen Jungen retten. Es ging um Leben und Tod. Sie schockte ihn zweimal. Beim ersten Mal hörte man immer noch das Piepsen. Beim zweiten, hörte man einen schwachen Puls. Eine Erleichterung für alle im Raum. Und dennoch hatten sie nicht viel Zeit. „Luftröhrenschnitt“, forderte Dr. Kaan nun an und blickte Marron dabei an. Es musst alles verdammt schnell gehen. Hier durfte man nicht lange überlegen, hier musste schnell und intuitiv gehandelt werden. Sie nickte ihm zu. „Ich brauch eine 16-ner Nadel mit Spritze.“ „Tracheotomie-Set“, sagte Dr. Kaan zu einer Schwester und die reichte es Marron. Marron nickte und setzte das Skalpell an der Haut des kleinen Jungen an. „Warte!“, sagte Dr. Kaan plötzlich. Marron hielt an und blickte ihn überrascht an. „Die Kugel löst sich.“ Er zog nun langsam die Kugel mit der Zange aus dem Mund des Jungen heraus. „Ein Glück“, sagte Marron schnell und legte das Skalpell wieder weg. Ja, es war wirklich Glück. „Atmet er?“, fragte Dr. Kaan, der die Kugel auf ein Tablett legte. Marron nickte erleichtert, als sie die Atmung feststellte. Der Körper des Jungen entspannte sich wieder. „Ja, er atmet“, sagte sie lächelnd und blickte den Vater an, der vor Erleichterung anfing zu weinen. Marron hatte gerade eine Pause. Sie wollte zu Chiaki, war auf den besten Weg zu seinem Büro. Sie wollte mit ihm reden. Aber nicht in der kleinen Pause. Sie wollte mit ihm in Ruhe reden. Vielleicht würde er nachher ein wenig Zeit für sie haben. Sie hatte lange genug darüber nachgedacht. Sie brauchte ihn. Sie brauchte ihn als Verbündeten, gegen die neuen Feinde, die sie nun als Jeanne bezwingen musste. Außerdem brauchte sie ihn auch als Freund. Er war ihr Freund und das hatte sie in den Tagen, wo sie ihn so von sich gewiesen hatte, nur mehr als deutlich gespürt. Und er war immer noch für sie da. Er war für sie da gewesen, als sie gegen Silar antreten musste. Er hatte ihr als Chiaki beigestanden und dafür war sie ihm sehr dankbar. Die Brünette wollte gerade an der Bürotür von Chiaki Nagoya anklopfen, als die Tür geöffnet wurde und Kaiki aus dem Zimmer trat. „Oh, Hallo Miss Kusakabe. Das ist ja eine Überraschung.“ „Hallo, Dr. Nagoya.“ „Sind Sie ab heute nicht Dr. Kaan unterstellt?“ „Ja, das stimmt, ich wollte auch nur kurz...“ „Lassen Sie Dr. Kaan nicht warten. Sie sind nun mal gerade nicht in der Chirurgie“, sagte Kaiki ermahnend. „Ja, Sir.“ Marron nickte. „Marron...“, hörte sie schließlich die vertraute Stimme von Chiaki, der hinter seinem Vater aus seinem Büro kam. „Wolltest du zu mir?“ „Ja, hatte ich eigentlich vor.“ „Chiaki, denk daran, dass Marron ab heute Dr. Kaan unterstellt ist.“ „Ja, Vater. Marron hat sich bestimmt bei Dr. Kann abgemeldet.“ „Ja, Sir, das habe ich.“ Marron kam sich ziemlich dumm vor. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind vor Dr. Nagoya Senior und sie wusste nicht, warum das auf einmal so war. „Gut, komm rein, Marron. Bis später Vater“, sagte Chiaki mit deutlicher Stimme und schloss die Tür, nachdem Marron in sein Büro getreten war. „Ich kann dir nicht sagen, was in ihn gefahren ist“, meinte Chiaki zu Marron, als die Tür zu war. Marron wusste, das Chiaki von seinem Vater sprach. Sie konnte sich allerdings sehr gut denken, was in seinem Vater gefahren war. Er hatte es von Anfang an nicht gern gesehen, dass es eine private Beziehung zwischen seinem Sohn und ihr gab. Er hatte etwas gegen sie. „Ich kann mir das schon denken.“ „Wie?“, fragte Chiaki überrascht. „Aber deswegen bin ich nicht hier“, fing sie nun an und blickte ihn an. Es war gar nicht so einfach ihn nun so anzuschauen. Als sie zusammen im Operationssaal standen, war es etwas anderes, als wenn sie hier nun doch privat vor einander standen. „Weswegen bist du denn gekommen?“, fragte er sie. Seine Stimme klang ruhig. Chiaki stand immer noch an die Tür gelehnt. Marron stand in der Mitte des Raumes und blickte ihn nun an. „Ich möchte dir gerne danken.“ „Für was denn?“ „Das du für mich da bist. Ich meine weiterhin.“ Er nickte. „Das ist schon okay, Marron. Ich habe es selber so entschieden, dass ich immer an deiner Seite sein werde, egal wie du darüber denkst.“ Sie nickte. „Ich habe nicht lange Zeit und wollte fragen, ob wir uns nicht in der Mittagspause mal zusammen hinsetzen wollen.“ „Gerne.“ Er strahlte auf, als er das hörte. Marron wollte also wieder Kontakt zu ihm. Das war eine wundervolle Nachricht. Vermutlich die Beste des heutigen Tages. Nein, die Beste der letzten Tage, trifft es wohl eher. „Also, wo sollen wir uns treffen?“ „Ich weiß nicht. Ich würde mich gerne in Ruhe mit dir unterhalten, da ist die Kantine nicht der passende Ort dafür. Vielleicht auf dem Dach?“ Chiaki nickte. „Ja, das ist eine gute Idee. Dann treffen wir uns später auf dem Dach.“ Marron lächelte. „Danke.“ „Ich habe zu danken, Marron.“ Dr. Mehdi Kaan, zog Marron mit sich, die gerade wieder auf dem Weg in die Kinderstation war. „Kommen Sie. Ein Patient braucht unsere Hilfe.“ Marron nickte und eilte mit ihm aus dem Krankenhaus heraus. An einem Auto wurde ein junger Mann schon in einen Rollstuhl gesetzt. „Er kriegt keine Luft mehr. Er hat Mukiviszidose“, erklärte eine junge Frau Marron und Dr. Kaan. Sie sah nicht aus, wie seine Schwester oder seine Mutter. Eher wie eine Freundin. Mukiviszidose ist die häufigste angeborene, chronische Stoffwechselerkrankung. „Wie heißt er?“, fragte Dr. Kaan die junge Frau. „Ben.“ Ben zitterte stark, es war mehr schon wie ein Anfall. „Gut, wie alt ist er? Und wie heißt du?“ „Ich bin Katie. Er ist 19.“ Dr. Kaan untersuchte den Patienten schon so gut es ging an Ort und Stelle. Der Junge rang nach Luft. „War er schon mal hier?“ „Nein“, sagte Katie schnell. „Wir wohnen in Southside“, antworte sie Dr. Kaan. Marron versuchte Ben auf dem Rollstuhl still zu halten, doch er zappelte sehr stark. Zu sehr rang sein Körper nach Luft. „Kann also losgehen.“ Ein Pfleger griff nun nach dem Rollstuhl und schob ihn hinter Dr. Kaan und Marron hinterher, direkt ins Krankenhaus. „Was machen Sie hier in der Stadt?“, fragte Marron die junge Frau. „Wir sind zu Besuch hier.“ „Wer krank ist, sollte nicht unbedingt reisen“, meinte Dr. Kaan ein wenig schroff. „Ah, Tomoki, das ist aber toll, das ich dich treffe“, meinte Miyako, fing ihren Kollegen ab. „Was gibt es denn?“ Tomoki hatte gerade eine Menge Akten in den Armen und hoffte, dass er keine davon verlieren würde, weil bücken konnte er nun mit den ganzen anderen Akten im Arm vergessen. „Marron, unsere Freundin. Du weißt schon, wen ich meine.“ „Ja, was ist mit ihr?“ „Weißt du, wo sie nun untergebracht ist?“ „Ja, sie ist in der Kinderstation, bei Dr. Mehdi Kaan“, antwortete Tomoki ihr und blickte sie fragend an. „Verstehe“, meinte Miyako nur. „Was möchtest du denn von ihr?“ „Ach, eigentlich ist es nichts Besonderes.“ „Was denn?“, fragte er nun interessiert. „Weißt du, diese Jeanne, von ihr hast du doch schon gehört?“, fragte sie ihn und blickte ihn an. „Ja, hab ich.“ „Mein Vater ist einer neuen Spur auf den Fersen.“ „Dein Vater ist bei der Polizei?“ Miyako nickte. „Ja, genau und das wollte ich Marron erzählen.“ „Warum denn das?“ „Ach, sie hat sich einfach mal dafür interessiert, als ich ihr erzählt habe, dass mein Vater bei der SOKO „Jeanne“ arbeitet.“ „Verstehe. Also wenn du sie suchst, sie ist in der Kinderstation“, sagte Tomoki noch mal. „Ich muss dann mal wieder weiter.“ „Ja, okay.“ „Blutbild. Thoraxaufnahme. O2-Werte.“ „Sauerstoffsättigung ist schlecht“, sagte eine Assistentin. Man hatte Ben inzwischen auf ein Bett gelegt. Doch sein Körper war immer noch mehr als nur unruhig. „Bei unter 85.“ Ben fing an zu husten. Marron versuchte ihn ruhig zu halten. Doch dann hustete er plötzlich Blut. Das sah alles nicht sehr gut aus. „Er hustet Blut“, sagte sie zu Dr. Kaan, der ihn noch abhörte. „Wassergeräusche und Atemgeräusche, Beidseits“, sagte Dr. Kaan, der die Lunge abhörte. Man setzte Ben höher auf, in dem man das Kopfteil des Bettes etwas anhob. „Willst du ein Brochtelatator?“, fragte Marron ihn. „Ja. Gibt ihm 5 Milligramm Salbuterol und 200 Milligramm Cubazinaerosol.“ Marron wollte ihm gerade eine Sauerstoffmaske aufsetzten, doch Ben zog sie sich selber wieder vom Gesicht. „Die musst du drauf lassen, Ben“, versuchte sie es ihm zu sagen, doch er schüttelte den Kopf. „Sättigung runter auf 80.“ „Herzfrequenz bei 130.“ „Ich muss intubieren“, sagte Dr. Kaan schnell. „Nein“, sagte der Patient, gegequält und hechelte. „Nein.“ „Es muss sein“, meinte Marron zu dem jungen Mann, der da im Bett lag und krampfte. „Er will diese Apparate nicht“, mischte sich nun auch Katie ein, die mit im Raum stand. „Gibt es ein Patiententestament?“, fragte Dr. Kaan. „Ich denke schon“, antwortete sie. Ben nickte Katie zu. „Ja, hat er.“, sagte sie noch mal deutlich. „Wenn das so ist, können wir nicht intubieren“, sagte Marron und seufzte auf. Sie wollte dem Patienten helfen. Doch so war es gegen seinen Willen und das wollte sie ganz und gar nicht. „Er stirbt aber, wenn wir nicht intubieren“, Dr. Kaan blickte dabei Katie an. Ihre Augen weiteten sich, als Dr. Kaan ihr das sagte. Katie nickte, das wollte sie nicht. „Ben, bitte.“ Sie wollte nicht, dass er starb. Doch Ben schüttelte nur den Kopf. „Nein“, flehte er. „Bitte.“ Sie wollte ihn nicht sterben sehen. „Verlass mich nicht.“ „Wer ist sein Arzt?“, fragte Dr. Kaan Katie. „Joe Green oder so ähnlich“, sagte Katie, blickte Ben aber weiterhin verzweifelt an. „Lydia, ruf bitte Joe Green an und frag ihn nach dieser Patientenverfügung und beeile dich“, beauftragte Dr. Kaan eine Schwester. Diese nickte und eilte aus dem Zimmer. „Wir verlieren ihn.“ Seine Werte sausten regelrecht in den Keller. „Haben wir diesen Arzt schon erreicht?“, fragte Dr. Kaan und versuchte weiterhin sein Bestes. Sie versuchten ihn einfach nur stabil zu halten, was gar nicht so leicht war. Ben wollte nicht, dass man ihm half. „Nein, Lydia hat ihn noch nicht erreicht“, sagte Marron. Sie fühlte sich schrecklich. Vor ihr lag ein Junge, mit einer schweren Krankheit, aber er wollte nicht, dass man ihm half. „Ich habe eine Pfeife und etwas Hasch bei ihm gefunden“, sagte nun eine Schwester, die den Rucksack des Jungen unter die Lupe genommen hatte. Katie war nicht im Zimmer. Marron hatte eine Schwester gebeten, dass diese mit Katie in die Cafeteria gehen sollte. „Und das während seiner Krankheit?“, fragte Marron entsetzt und blickte Ben fragend an. Warum hatte der Junge das genommen? Er wusste doch sehr gut über seine Krankheit Bescheid. „Vielleicht Todessehnsucht?“, meinte eine Schwester sarkastisch. Hatte er vielleicht wirklich nicht mehr lange zu Leben und wollte nun einfach noch ein wenig was vom Leben haben. Sie seufzte. Der Junge tat ihr Leid. „Sie versuchen, Dr. Green übrigens anzupiepen. Dieser ist übrigens Kinderarzt“, sagte nun Lydia. Dr. Kaan blickte Katie fragend an, die gerade wieder ins Zimmer kam. „Wie alt ist er?“, fragte er mit drohender Stimme. „Sagte ich doch, er ist 19 Jahre.“ Doch ihre Stimme begann zu zittern. „19-Jährige gehen nicht zum Kinderarzt. Wie alt ist er wirklich?“ Katie blickte zu Ben, der sich mal wieder die Atemmaske vom Gesicht zog, er zuckte, sein ganzer Körper krampfte. Man konnte ihr ansehen, wie sein Anblick sie schmerzte. Sie seufzte. „Er ist 17 Jahre.“ Ben seufzte auf. „Einen achter Tubus“, sagte Dr. Kaan sofort. Er wollte nun keine Zeit mehr verlieren. „Er kollabiert“, stellte Marron sofort fest. „Sollen wir ihn festschnallen?“ „Ja“, antwortete Dr. Kaan den Schwestern. Dr. Kaan intubierte Ben. Etwas, was er schon die ganze Zeit hatte tun wollen. Etwas, was die ganze Zeit schon nötig gewesen war. „Den Kopf höher“, bat Dr. Kaan. Marron legte den Kopf von Ben höher, sodass Dr. Kaan besser arbeiten konnte. „Es tut mir Leid, Ben“, sagte Katie mit leiser Stimme und trat an sein Bett. Sie hatte Tränen in den Augen. Sie hatte sein Alter vermutlich verschwiegen, weil er eben nicht intubiert werden wollte. Doch als 17 Jähriger stand ihm diese Entscheidung nicht zu. Nur einem Erwachsenen, seinen Eltern. Als 19 Jähriger hätte er das entscheiden können. Marron hatte sich wie versprochen zur Mittagspause auf das Dach abgesetzt. Sie wollte hier auf Chiaki warten. Sie blickte auf die Uhr. Sie kam selber fünf Minuten zu spät. Sie hoffte, dass sie ihn nicht verpasst hatte, doch dann ging die Tür zum Dach auf und Chiaki kam mit einem kleinen Korb aus dem Treppenhaus. Er lächelte, als er sie entdeckte. „Entschuldige die Verspätung. Ich hoffe, du wartest nicht schon lange.“ Marron schüttelte den Kopf. „Nein, ganz und gar nicht. Bin selber eben erst gekommen.“ Chiaki nickte und setzte sich neben Marron. „Ich hab uns was zum Mittagessen besorgt.“ Er deutete auf den Korb, der wie ein Picknickkorb aussah. „Echt?“, fragte sie überrascht. Er nickte. „Ja, ich dachte, da wir schon nicht in die Kantine gehen, aber dennoch Hunger haben werden, ist das gar keine so schlechte Idee. Sind aber nur Sandwiches“, stellte er klar. Er öffnete den Korb und reichte ihr eins. „Ich hoffe, sie schmecken dir.“ Marron lächelte und packte die Folie aus. „Hast du die selber gemacht?“ „Nein, leider nicht. Das war meine Nachbarin.“ „Deine Nachbarin?“ Er nickte. „Ja, die alte Dame denkt immer, ich ernähre mich nicht gesund und deswegen macht sie mir öfters mal was zu essen. Ich komme dann gerne zu ihr herüber und esse mit ihr zusammen zu Abend. Ihre Kinder besuchen sie nicht so oft, deswegen hat sie Langeweile und fühlt sich einsam.“ „Und du besuchst sie dann.“ „Na ja, sie kocht wundervoll“, erklärte Chiaki ihr. Marron lächelte und biss von dem Sandwich ab. Es war wirklich sehr lecker. Käse, Salat, Tomaten, Vollkornbrot. Es war wirklich sehr lecker. „Sag ihr, dass ihre Sandwichs wundervoll schmecken.“ Chiaki lächelte Marron an und nickte. „Ich werde es Mrs. Tylor ausrichten.“ Marron nickte und biss noch mal ab. Es war schön, mit Chiaki hier oben zu sitzen und einfach nur alleine zu sein. „Chiaki...“ „Mmmh?“, fragte er sie mit vollem Mund. Sie grinste ihn an. Ihr Lächeln verstummte aber. „Es tut mir Leid, wie ich dich die letzte Zeit behandelt habe.“ „Nein, ist schon okay. Ich habe es verdient.“ „Hey, lass mich bitte ausreden“, bat sie ihn. „Okay.“ Er nickte ihr zu und blickte wieder geradeaus. „Es war nicht fair, da du auch weiterhin für mich da warst. Es war komisch, dass obwohl ich sauer auf dich war, du dennoch für mich da warst“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Ich bin ein von der Vergangenheit geprägtes Kind und ich kann Menschen nicht leicht vertrauen, das hast du schließlich schon bemerkt und dennoch warst du da. Und dennoch hast du nicht aufgeben.“ Sie blickte ihn an und lächelte. „Ich glaube dir inzwischen, dass du es nicht böse gemeint hast, dass du mich vom Stehlen abhalten wolltest und dass du so an mich heran kommen wolltest. Ich glaube dir inzwischen, dass du doch etwas für mich empfunden hast.“ „Marron, nicht empfunden hast... ich empfinde immer noch etwas für dich“, klärte er sie auf. Er blickte sie an und seufzte. „Ich hätte von Anfang an ehrlich sein sollen. Aber ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte. Als ich raus gefunden habe, dass du Jeanne bist, waren wir uns schon als Jeanne und Sindbad begegnet und ich hab dich auch schon als meine Praktikantin kennen gelernt. Das stimmt alles. Ich wollte nicht mehr, dass du stiehlst....“ Er stoppte kurz und schien nachzudenken, was er als nächstes sagen sollte. „Marron, ich bin immer an deine Seite. Das hab ich mir geschworen. Ich will mit dir kämpfen und dir beistehen. Und es tut mir Leid, dass ich dein Vertrauen verletzt habe. Du bist so ein wundervoller Mensch und du hast mich geändert, das alles war mein Ernst.“ Marron nickte. Sie atmete tief ein. Das war doch ein schwierigeres Gespräch als sie dachte. Es war doch ziemlich emotional und nahm sie ziemlich mit. „Ich habe einen Patienten“, fing sie an. Chiaki spürte, dass sie wollte, dass sie das Thema wechselten und vielleicht war es auch erst mal ganz gut so. Sie waren sich wieder näher gekommen und er wollte nun nichts überstürzen. „Was ist mit ihm?“ „Er ist 17 Jahre alt und hat Mukiviszidose“, erzählte sie ihm. Chiaki hörte ihr zu und nickte. „Seine Freundin hat ihn hierher gebracht. Sie hat bei der Einlieferung gesagt, dass er schon 19 Jahre alt ist, weil er nicht mehr an die Geräte angeschlossen werden möchte.“ „Mukiviszidose ist eine Krankheit, die mit Schmerzen verbunden ist. Vermutlich will er einfach nicht mehr an die Maschinen angeschlossen werden, sondern sein Leben alleine leben, ohne Medizin. Wisst ihr schon etwas über den Verlauf seiner Krankheit? Wie weit sie fortgeschritten ist?“ Marron schüttelte den Kopf. „Nein, seinen Arzt konnten wir noch nicht erreichen und seine Mutter ist unterwegs.“ Chiaki nickte. „Hör auf dein Herz Marron und tue das, was du denkst, was richtig ist.“ Überrascht blickte sie Chiaki an. „Das mit Sina, als du ihr von der Operation abraten wolltest...“ „Das hat mit meiner Vergangenheit zu tun“, sagte Marron schnell. „Möchtest du darüber reden?“, fragte er sie vorsichtig. Marron blickte ihn fragend an und nickte. „Meine Großmutter hatte Alzheimer....“, fing sie an. Kapitel 22: Entscheidungskraft ------------------------------ Erst mal vielen Dank für eure Kommentare, hat mich gefreut, sie wieder zu lesen. Wusstet ihr eigentlich schon, dass die italienische Ärztekammer, die Regierung gebeten hat, dass man die ganzen ÄRzteserien aus dem Fernsehen streicht? Doch ist echt wahr. Aber leider konnte die Regierung das nicht machen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kapitel 22: Entscheidungskraft „Sauerstoffsättigung bei 95“, sagte Marron zu Dr. Kaan „Okay. Extubation vorbereiten“, sagte er an sie gerichtet. Er saß am Bett von Ben Houston und blickte ihn durchdringend an. Marron stand daneben und notierte sich die Werte auf dem Klemmbrett. „Deine Mutter ist draußen“, sagte sie lächelnd zu Ben. Dr. Kaan nickte: „Sie sagte, Sie wäre früher hier gewesen, aber ihr Waagen wurde gestohlen. Das ist der, der draußen steht.“, meinte Dr. Kaan. Er blickte nun Katie an, die auf der anderen Seite von Bens Bett stand und dessen Hand hielt. „Erklärst du es mir?“ Sie seufzte. Marron blickte sie fragend an. „Es hätte etwas Schlimmes passieren können.“ Katie nickte, schluckte und blickte Ben sorgenvoll an „Wir wollten nach Mexiko“, fing sie lächelnd an zu erzählen. „Uns ein Haus am Strand suchen und bis zum Ende zusammen sein“, erzählte Katie. Sie hatte ein glückliches Lächeln auf dem Gesicht und blickte Ben die ganze Zeit an. „Wir wollten zusammen sein.“ Ben nickte. Dr. Kaan nickte und blickte wieder zu Ben. „Die Ärzte geben ihm noch drei Monate“, meinte Katie dann und blickte zu Marron. Drei Monate, waren keine lange Zeit, fand Marron. Schon gar nicht für einen 17-Jährigen. „Zusammen sein könnt ihr doch auch hier“, schlug Dr. Kaan vor. Es war nicht wirklich ein Vorschlag, eher ein Tadel. „Nein.“ Katie seufzte auf. „Seine Mutter will ihn wieder ins Krankenhaus bringen.“ In dem Moment wurde eine Tür aufgerissen. Marron blickte zur Tür und sah die Frau an, die herein gestürmt kam. „Ist er in Ordnung?“ Sie eilte an das Bett ihres Sohnes. Es war seine Mutter. Sie hatte diesen sich sorgenden Blick in ihrem Gesicht. Dr. Kaan nickte ihr zu. „Seine Luftröhre war blockiert. Wir haben sie frei bekommen.“ „Ah, Gott sei Dank.“ Sie griff nach der Hand ihres Sohnes und lächelte ihn an, dieser verdrehte nur die Augen. „Schätzchen, ich war ja so in Sorge.“ Dann blickte sie zu Katie und seufzte auf: „Dass du hier bist, war ja klar. Was hast du vor, willst du ihn umbringen?“ „Er wäre lieber tot, als bei Ihnen zu sein.“ Die Mutter seufzte auf. Dann wurde sie still und blickte ihren Sohn wieder an. „Katie, gehst du einen Augenblick raus?“, meinte Dr. Kaan. Marron trat zu Katie und nahm sie mit sich. „Kommen Sie.“ Doch sie konnte nicht. Ben hatte seinen Arm nach ihr ausgestreckt und hielt ihre Hand fest. Katie lächelte. „Er will, dass ich hier bleibe.“ Bens Mutter seufzte auf und sagte mit verzogener Stimme zu Dr. Kaan: „Können wir dann da drüben reden?“ „Ja, natürlich.“ Dr. Kaan stand auf und ging mit Bens Mutter ein paar Schritte ans andere Ende des Zimmers. „Ich wollte ihn eben gerade extubieren.“ „Jetzt schon?“, fragte sie entsetzt. „Na ja, seine Lunge ist relativ frei.“ Dr. Kaan blickte zu Ben. „Er wollte es auch. Als er hergebracht wurde, wollte er erst gar nicht intubiert werden. Er sagte, es gäbe da eine Anweisung.“ „Er hat gelogen.“ Sie seufzte auf. „Er hat irgendwie so eine romantische Vorstellung vom Tod“, erzählte sie ihm ein wenig genervt. Sie wollte doch nur das Beste für ihren Sohn. Und der Gedanke daran, ihn irgendwann gehen zu lassen, war unerträglich. Ja, es war unerträglich. Für Eltern war es schlimm, mit anzusehen, dass das eigene Kind vor einem sterben wird. Es war das Schlimmste, was es geben konnte. „Ich wollte es nur wissen, falls die Atmung wieder aussetzt.“ „Extubieren Sie“, bat die Frau, die Bens Mutter war. Dr. Kaan seufzte ein wenig, nickte ihr aber zu. „Gut.“ Er trat wieder an Bens Bett. „Hör zu, Ben. Ich werde jetzt den Tubus rausziehen.“ Er blickte zu Marron, diese nickte ihm zu. „Tu mir also einen Gefallen und atme bitte ganz tief ein. So tief du kannst. Und jetzt musst du Husten.“ Dr. Kaan zog den Tubus heraus. „Ja, gut.“ und Ben hustete. Aber der Tubus war draußen. Erschöpft ließ er sich wieder ins Kissen fallen. Er blickte Dr. Kaan an und griff nach dessen Kittel, zog ihn zu sich herunter. „Sie werden mich nie wieder intubieren“, stellte Ben drohend klar. Dr. Kaan blickte den Jungen an, antwortete ihm nicht. „Marron, Hey.“ Marron drehte sich um und blickte in das grinsende Gesicht von Miyako. „Miyako, wie geht’s dir?“ „Danke. Ich hab gehört, du bist wieder bei Dr. Kaan.“ Marron nickte. „Ja, es macht Spaß, wieder auf der Kinderstation zu sein. Aber heute haben wir einen schwierigen Patient.“ „Warum?“, fragte Miyako und wollte mit Marron ein paar Schritte gehen. „Er hat Mukivizidose. Und hat nur noch 3 Monate zu leben und will am liebsten so schnell wie möglich aus dem Krankenhaus raus und nur noch das machen, was er will.“ „Versteh ich.“ „Ich auch, nur seine Mutter nicht.“ „Ja, das versteh ich auch.“ „Ja?“ „Natürlich. Stell dir mal vor, du hast ein Kind...“, fing Miyako an. „Ich weiß, wie sie sich fühlt und ich versteh sie auch, dass sie nur das Beste für ihren Sohn will. Aber warum kann sie nicht seinen letzten Wunsch akzeptieren?“ „Ja, gut, das ist vermutlich so ein Mutterding“, meinte Miyako. Marron lächelte. „Wolltest du mir nicht auch was sagen? So wie du mich gerade begrüßt hast, könnte man das fast meinen.“ „Ach ja, genau. Du bist doch immer so neugierig, wenn es etwas Neues von der SOKO „Jeanne“ gibt.“ Marron blickte Miyako überrascht an, dann fiel es ihr wieder ein. Ja, als sie erfahren hatte, dass Miyakos Vater die SOKO Jeanne leitet, hatte sie sich damals eine Geschichte ausgedacht, die glaubhaft genug war, damit Miyako Marron glauben konnte, dass sie einfach nur reges Interesse daran hatte. „Ja, gibt es was Neues?“ „Ja, könnte man so sagen. Die SOKO „Jeanne“ wurde nun aufgestockt.“ „Was heißt das?“ „Also genauer gesagt, gibt es die SOKO „Jeanne“ gar nicht mehr. Sie heißt jetzt: „SOKO Jeanne und Sindbad“, also kümmern sich die Kollegen meines Vaters und er nun darum, dass man Beide Dingfest macht.“ „Okay. Ist doch gut oder?“ Eigentlich war das ganz und gar nicht gut. Sie sollte Chiaki davon erzählen. Nur zur Sicherheit. Sie wusste, dass sie steckbrieflich gesucht wurde, aber dass nun auch noch Sindbad mit drin steckte, wusste sie nicht. „Ja und sie haben mehr Männer in die SOKO gesteckt.“ Mehr Männer, das heißt, dass sich die Polizisten nun mehr einfallen lassen würden, wie sie Jeanne und Sindbad Dingfest machen können. Das heißt wiederum, dass es schwerer werden würde, das eigentliche Ziel zu schnell zu erreichen. Und letztendlich hieß das, dass sie nun mehr aufpassen musste. Beide. Sie, sowie Sindbad. „Das klingt doch gut, findest du nicht auch?“ Marron nickte. „Ja, klingt sehr gut.“ Marron zwang sich ein Lächeln auf. „So, ich muss mal weiter.“ „Ja, Hallo. Nagoya am Apparat.“ „Hallo, Kaiki.“ Kaikis Augen weiteten sich, als er die Stimme erkannte, die durch den Hörer zu ihm hallte. Sie war immer noch so lieblich wie damals. „Wie geht’s es dir?“ „Danke, mir geht’s gut. Und dir? Was machen die Geschäfte?“ „Oh, alles läuft Bestens.“ Kaiki ließ sich in seinem Stuhl zurück lehnen. Wie schön es doch war, eine Stimme aus der Vergangenheit zu hören. „Ich habe deinen Brief erhalten, Kaiki.“ Kaiki wusste, von welchem Brief sie sprach. Er hatte ihr einen zu kommen lassen, in dem alles drin stand. Alles was er ihr sagen musste, was momentan schief lief. Was seiner Meinung nach schief lief, weil es so lief wie damals, bei ihm. „Ich kann dir da nicht helfen, Kaiki.“ „Sie ist eure Tochter.“ „Wir haben uns schon vor langer Zeit aus ihrem Leben entfernt. Sie lebt ihr eigenes Leben, Kaiki, und das weißt du.“ „Sie ist wie du.“ „Sie ist meine Tochter.“ „Immer, wenn ich sie ansehe, wenn ich sehe, wie sie geht, wie sie handelt, dann sehe ich dich.“ „Kaiki“, er hörte wie sie aufseufzte. „Es ist schön, dass du angerufen hast.“ „Ich wollte auch gerne mal wieder deine Stimme hören. Es ist nicht so, dass ich nie an unsere gemeinsame Zeit gedacht habe.“ Kaiki lächelte, als er das hörte. Es hörte sich gut und schön auch, wenn es schon ewig her war, dass sie sich mit einander unterhalten hatten. Ja, es war eine Ewigkeit her, seit er sie das letzte Mal überhaupt gesehen hast. Er wusste nicht mehr, wie viele Jahre es waren. Wie alt war sein Sohn nun? Ein paar Jahre länger musste es also schon sein. „Ich habe den Brief an deinen Verlag geschickt, weil ich nicht wusste, in welchem Land du dich gerade aufhältst.“ „In Brasilien.“ „Brasilien also.“ Kaiki nickte nur. „Wie geht es...?“ „Es geht ihm gut. Danke.“ „Verstehe.“ „Ich sollte nun auflegen“, meinte sie. „Warte, Korron.“ Er seufzte auf. „Wir reden nach so langer Zeit endlich mal wieder miteinander und das ist alles, was du mir zu sagen hast?“ „Kaiki, ich kann dir nicht mehr sagen.“ „Wie soll ich mich verhalten? Was soll ich ihr sagen? Soll ich ihr das von uns sagen?“ „Wenn du es für nötig hältst? Ich dachte, sie ist eine Praktikantin?“ „Sie ist die Freundin meines Sohnes.“ „Ja, das hast du mir geschrieben. Aber was hast du sonst mit ihr zu tun?“ „Ich interessiere mich nun mal für das Leben meines Sohnes. Sie arbeitet bei mir im Krankenhaus und ich bin ihr Chef.“ „Ja, du bist ihr Chef, dass du zufällig ihre Mutter aus der Vergangenheit kennst, hat mit ihr doch nichts zu tun oder behindert das deiner objektiven Betrachtungsweise bei Bewertungen?“ „Korron...“, er seufzte. So hatte er sich das Telefonat mit ihr ganz sicherlich nicht vorgestellt. Nein, absolut nicht. Er hatte gehofft, dass sie nach seinem Brief anders reagieren würde. Aber vielleicht hatte er zu viel Hoffnung gehegt. Hoffnung, die nach all den Jahren einfach zu viel wäre. „Ich lege nun auf Kaiki. War schön, deine Stimme wieder zu hören.“ „Ja, das fand ich genauso, Korron.“ Damit legte er den Hörer wieder auf die Gabel und seufzte. Er legte den Kopf in seine Hände, die er mit dem Ellenbogen auf dem Tisch abstützte. Er hatte es sich wirklich anders vorgestellt. „Oh, Korron...“ Marron blickte Dr. Kaan an. Irgendetwas war anders an ihm. Aber sie wusste einfach nicht, was es war. Darüber hätte sie auch mit Chiaki reden können, aber nachdem sie auf das ihre Großmutter zu sprechen kamen, verging die Zeit schneller als erhofft. Aber Chiaki hatte ihr gesagt, dass sie nach ihrem Herzen handeln sollte, also wollte sie noch mal mit Dr. Kaan drüber reden. „Du weißt, dass er nicht intubiert werden will.“ Dr. Kaan legte seine Akte weg und blickte Marron an. Warum fand Marron, dass seine Augen roter, stechender geworden waren. Hatten sie schon immer diesen rötlichen Schimmer gehabt? „Marron, das weiß ich. Aber er ist 17 Jahre alt.“ „Aber er wird in drei Wochen volljährig.“ Mehdi seufzte. „Und was heißt das?“ „Ich denke, dass wir deswegen seine Wünsche auch betrachten sollten“, meinte sie. Chiaki hatte sie ermutigt, ihre Meinung vor Dr. Kaan zu vertreten, er hatte ihr zugestimmt und ihr zugeredet. „So, denkst du das?“, fragte er mit einem Grinsen im Gesicht. Dieses Grinsen hatte sie noch nie bei ihm gesehen. Es sah erschreckend aus. Doch so schnell, wie es gekommen war, war es auch wieder verschwunden. Dr. Kaan rieb sich über die Schläfen. „Er ist ein Teenager, der vor seinem Problemen weggelaufen ist, zeugt nicht gerade davor, dass er erwachsen ist, dass man ihn auch so behandeln kann.“ Marron versuchte sich von dem Bild, was sein Gesicht ihr gerade vermittelt hatte, abzuwenden. Es ging hier um einen Patienten, für den sie sich verantwortlich fühlte. „Er ist todkrank und will nicht an ein Beatmungsgerät.“ „Ich kann ihn jedenfalls nicht sterben lassen. Ich kann es nicht.“ „Wessen Problem ist das dann? Seins oder Deins?“, fragte Marron ihn. Sie wusste, dass sie sich zu weit aufs Eis hinaus wagte und dass sie jetzt gerade sehr wahrscheinlich einbrechen würde. Aber sie wollte die Wünsche des Patienten respektieren. Dass Dr. Kaan es anscheinend nicht konnte, dafür konnte Ben nichts. Aber dennoch ging es hier um das Wohl des Patienten. Dr. Kaan nickte. „Ja.“ Marron drehte sich um und ging. Sie hatte genug gesagt gehabt. Sie musste selber erst mal verdauen, was sie da zu Dr. Kaan gesagt hatte. Das würde vielleicht Konsequenzen für sie haben. Aber sie empfand es als richtig, dass sie Mehdi noch mal auf den eigentlichen Wunsch von Ben aufmerksam gemacht hat. „Chiaki! Was tust du da?“ „Wo sind die Unterlagen von Dr. Mehdi Kaan?“, fragte er seinen Vater und blickte von dem Aktenschrank gar nicht erst hoch, als sein Vater in den Raum gekommen war. „Was willst du denn von Dr. Kaan?“ „Ich will seine Zeugnisse, seine Unterlagen, seine Zertifikate sehen. All das.“ „Warum denn?“, Kaiki fuhr sich durchs Haar. „Du hast ihn eingestellt, also wo sind die Unterlagen, Vater?“ „Chiaki! Verdammt!“, meinte Kaiki nun außer sich. Er war wütend. Nicht mal auf seinen Sohn, weil er gerade mal wieder rum schnüffelte. Warum auch immer. Nein, er war sauer auf sich, dass er Korron einen Brief geschrieben hatte. Er war sauer, dass er gehofft hatte. Er war auf Korron sauer, dass sie ihm diese Hoffnung am Telefon nicht erfüllt hatte, dass sie eigentlich gar nicht wirklich mit ihm reden wollte. Er war sauer, dass er erlaubt hatte, Marron, die Tochter von Korron, hier einzustellen. Er war sauer, dass sie alles ins Rollen brachte. Er war aber vor allem auf sich sauer. Chiaki blickte auf und sah seinen Vater fragend an. „Was ist? Du siehst schrecklich aus. Du solltest heimgehen, Vater.“ Kaiki seufzte und ließ sich auf das einzige Sofa in den Raum fallen. Er seufzte und fuhr sich durchs blaue Haar, während er seinen Sohn weiter beobachtete. „Ich war mit ihr zusammen.“ „Mit wem?“, fragte Chiaki, ohne ihn wieder anzuschauen. „Mit Korron.“ Chiaki hielt inne, er starrte auf die Akte, die er in der Hand hatte, ohne wirklich zu lesen, was drauf stand. Er versuchte zu realisieren, was sein Vater ihm gerade sagte. Dann drehte er sich zu ihm um und blickte ihn entgeistert an. „Warum?“ „Weil ich sie liebte, Chiaki.“ „Nein, das will ich nicht wissen. Ich will wissen, warum du es mir jetzt sagst?“ „Warum?, fragst du also.“ Kaiki seufzte. „Ich habe eben mit ihr telefoniert.“ „Du hast was?“ „Ja, ich habe mit ihr telefoniert. Aber es war nicht so, wie ich es mir erhofft habe.“ „Was hast du dir denn erhofft?“, er hatte seinem Vater schon einmal gesagt, dass er über Marrons Eltern nicht reden und nichts hören wollte. Es war Marrons Aufgabe, zu entscheiden, ob er etwas darüber erfahren sollte oder nicht und wenn sie entschied, dass er etwas darüber wissen sollte, sollte sie gefälligst, diejenige sein, die es ihm erzählen sollte. Nicht sein Vater. Das war nicht gut und würde nicht gut werden. Nicht, jetzt wo er gerade Marron wieder näher kam. Nicht, jetzt, wo sie ihm gerade wieder anfing zu vertrauen. Er wollte das alles nicht hören. „Ich weiß es nicht, Chiaki. Was anderes.“ „Gut, und ich hatte mir erhofft, das mein Vater der Bitte nachgeht, als ich ihn bat, dass ich nichts über Marrons Eltern aus einem anderen Mund, als dem ihrem, hören wollte.“ Er blickte seinen Vater wütend an. Ja, es machte ihn wütend. Warum musste sein eigener Vater Marrons Mutter kennen? Warum musste sie eine gemeinsame Vergangenheit haben? „Wie stehen meine Chancen hier raus zu kommen?“, fragte Ben Dr. Kaan. „Keine Ahnung.“ Dr. Kaan saß an seinem Bett und blickte den Jungen an. Die Kopfschmerzen, die Mehdi die ganze Zeit hatte, waren ein wenig verschwunden. Er hatte sich eine Thomapyrin genommen. „Ersparen Sie sich den Mist“, meinte Ben sofort. „Du hast noch Zeit.“ „Drei Monate, höchstens.“ „Du könntest mit Katie zusammen sein“, versuchte es Dr. Kaan weiter. „Na Klasse, ich starre an die Decke und sie saugt mir den Schleim aus der Lunge. Tolle Vorstellung von Romantik haben sie da, fällt Ihnen nichts Besseres ein?“ Ben seufzte. „Ich habe mein ganzes Leben in Krankenhäuser verbracht.“ Dr. Kaan seufzte. Er wusste, dass Marron Recht hatte. Irgendwie. Aber Dr. Kaan konnte nun mal keinen seiner Patienten sterben lassen. Auch wenn dieser keine Hilfe wollte. Es war gegen seinen Kodex. Er konnte es einfach nicht. „Ich hab zugesehen, wie zwei Freunde von mir an der Lungenmaschine gestorben sind. Langsam und qualvoll. Nein, danke.“ „Du kannst es nicht entscheiden.“ Ben blickte Dr. Kaan an. „Ich bitte Sie. Ich bin in drei Wochen 18. Es sind nur noch 3 Wochen.“ „Es geht nicht.“ Ja, er konnte es einfach nicht. Er konnte nicht ja sagen. Er konnte nicht sagen, dass er ihn sterben lassen würde. „Sie sind ein scheiß Kerl.“ Dr. Kaan seufzte, als er das hörte. Da kam nun wieder der Teenager durch. „Denken Sie doch mal an mich. Bitte.“ „Frag deine Mom.“ Ben lachte auf. „Die sagt mir doch schon die ganze Zeit, was ich tun soll. Lassen Sie mich einmal tun, was ich will“, bat Ben den Arzt. „Verstehst du nicht, sie hat Angst dich zu verlieren.“ „Sie verliert mich doch sowieso. Reden Sie mit ihr.“ Natürlich hatte der Junge Recht. Er hatte Recht. Seine Mutter würde ihn verlieren. Dr. Kaan sah richtig zermürbt aus. Er wusste, das Marron recht hatte und dass es eigentlich immer um die Wünsche und das Wohlergehen der Patienten ging. „Sagen Sie ihr, sie soll mich gehen lassen“, bat Ben. „Sie soll mich gehen lassen. Sie soll mich frei lassen.“ Dr. Kaan seufzte auf. Marron und die Mutter von Ben, standen vor dem Zimmer und blickten durchs Fenster hinein. „Er hasst mich. Gut, er liebt mich auch. Aber gleichzeitig hasst er mich.“, meinte die Mutter von Ben. Marron stand bei ihr und hörte ihr still zu. Dr. Kaan trat auf die Beiden hinzu, nickte Marron zu. „Ist er ihr einziges Kind?“, fragte Marron sie. „Nachdem wir die Diagnose von Ben hatten, wollten wir kein weiteres Kind“, erklärte sie Marron. Dr. Kaan kam nun gerade aus dem Zimmer von Ben und trat zu Marron und Bens Mutter. „Ich war gerade bei Ben. Er möchte, dass Sie seine Patientenverfügung unterschreiben.“ „Ja, natürlich will er das.“ Sie blickte wieder durchs Fenster. „Er hat überzeugende Argumente“, meinte Marron zu Bens Mutter. Sie schüttelte den Kopf. „Er will mir nur weh tun.“ „Also, das glaub ich nicht“, sagte Marron. „Ich auch nicht“, sagte Dr. Kaan und schloss sich Marrons Meinung an. „Sollte er nicht die Chance kriegen, selber zu entscheiden? Er wird demnächst 18 Jahre alt“, versuchte Marron es nun bei seiner Mutter. „Er war immer ein bildhübsches Kind. Als die Ärzte mir von seiner Diagnose erzählten, war es, als hätte man mir ein Messer ins Herz gestoßen.“ Sie klang wütend und aufgebracht. „Jetzt ist er erwachsen“, versuchte Mehdi es weiter. „Und er würde gerne selber über sich bestimmen. Er will so nicht sterben. Er will von dem Beatmungsgerät los.“ „Und Sie sind dafür?“, fragte Bens Mutter den Arzt. Sie hatte Tränen in den Augen und sah verzweifelt aus. „Na ja, das... Ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit. Wollen Sie diese Zeit damit verschwenden, dass Sie gegen ihn ankämpfen?“ Sie blickte Mehdi an und seufzte auf. „Was soll ich bloß tun?“ Dr. Kaan ließ ein paar Sekunden verstreichen, bis er wieder etwas sagte: „Also, er weiß es.“ Damit ging er an ihr vorbei und ging den Gang entlang. Bens Mutter blickte Marron seufzend an. Marron lächelte sie an und stellte sich neben sie. „Er will die Zeit, die er noch hat, nicht hier eingesperrt verbringen. Er will raus. Verbringen Sie eine freie und glückliche Zeit mit Ihrem Sohn.“ „Chiaki.“ „Marron.“ Er war überrascht, sie zu sehen. Das zweite Mal schon an diesem Tag. Er schaute sich im Gang um und erleichtert festzustellen, dass er seinen Vater nicht mehr sah. Er war nach seinem Ausbruch vor seinem Vater einfach gegangen. Er wollte nichts mehr hören. Er wollte auch gar nicht wissen, was damals genau vorgefallen war. Es interessierte ihn nicht. Er wollte Marron nicht noch einmal hintergehen. Er wollte von nun mehr als nur ehrlich zu ihr sein. „Wir müssen reden“ fing sie an. „Ja? Worüber denn?“ Marron schaute sich nun auch im Gang um. Sie waren eigentlich fast alleine, was selten genug war, für einen Flur im Krankenhaus. „Miyakos Vater arbeitet doch bei der Polizei“, fing sie leise an. Chiaki lächelte. Er fand es süß, wie sie flüsterte. Er nickte ihr zu. Ja, das wusste er aus den Akten. „Man hat die SOKO „Jeanne“ ausgeweitet“, erzählte sie weiter. „Was meinst du damit?“ Waren jetzt noch mehr Polizisten hinter Jeanne her? Ein neuer Gegner und noch mehr Polizisten? Das heißt, er musste noch vorsichtiger sein und Marron noch mehr beschützen. „Die SOKO, die Miyakos Vater leitet, heißt nun „Jeanne und Sindbad.“ Chiakis Augen weiteten sich. „Das heißt, man sucht dich nun auch steckbrieflich. Du solltest vorsichtiger sein.“ Chiaki lächelte sie an. „Marron, das ist für mich nur noch Grund, mehr auf dich auf zu passen.“ Marron lächelte bei seinen Worten. Sie waren schön und ernst gemeint, das wusste sie. Außerdem wusste sie, dass sie immer auf ihn zählen konnte. „Ich muss weiter, Marron. Danke für die Information.“ Sie nickte ihm zu. „Wann hat das Fieber eingesetzt?“, fragte Dr. Kaan, der ins Zimmer von Ben kam. „Vor Fünf Minuten“, sagte Marron. „Ich hole das Inkubationsset“, sagte eine Schwester schnell. „Nein, nicht nötig. Seine Mutter hat doch unterschrieben.“ Dr. Kaan trat zu dem Patienten. „Na wie geht’s?“ „Nicht vergessen... Sie... Doktor... Sie...“, versuchte Ben etwas zu formulieren. Katie stand an seinem Rand und sah überfordert aus. „Bist du sicher?“ Er hörte seine Lunge ab. Ben nickte. „Wo ist seine Mutter?“, fragte Dr. Kaan in das Zimmer hinein. Es war egal, wer antwortete. Ihm war es egal. „Ich... ich... glaube, in der Cafeteria“, stammelte Katie. „Na, los. Hol Sie. Na, los“, beauftragte Dr. Kaan. „Ich lege die Sauerstoffmaske an.“ Marron legte sie Ben auch direkt an. Er hechelte und röchelte, was sich wirklich nicht gut anhörte. Aber Ben hatte sich entschieden. Nach einer Weile kamen Katie und Bens Mutter angerannt. „Seine Sauerstoffsättigung fällt.“ „Was ist passiert?“, fragte Bens Mutter aufgeregt. „Seine Atmung versagt“, erklärte Marron. „Ich bin hier mein Liebling.“ Sie griff nach seiner Hand. Ben blickte sie überrascht und mit großen Augen an. Man konnte ihr ansehen, dass der Anblick ihres Sohnes ihr nicht leicht fiel. Aber sie gab sich Mühe, stark zu bleiben. „Schatz.“ Sie strich ihm liebevoll über die Stirn. Bens Gesicht entspannte sich etwas, als er realisierte, dass seine Mutter nicht mehr von den Ärzten verlangte, dass sie ihn wieder an Geräte anschlossen. Ein Geräusch, dass eine Maschine von sich gab, ließ Dr. Kaan aufblicken. Marron nickte. Dr. Kaan blickte auf den Monitor. „Er atmet nicht mehr.“' „Oh, mein Gott“, sagte seine Mutter nur und streichelte seine Hand. „Ich kann nicht hinsehen“, sagte Katie und wollte sich weg drehen. Man sah Bens Mutter an, dass sie das alles überfordert, dass sie am liebsten jeden anschreien wollte, etwas für ihren Sohn zu tun. Sie wollte ihn nicht so sehen. Tränen traten ihr in die Augen. Sie hyperventilierte regelrecht. „Intubieren sie bitte“, bat sie nun doch. „Ja, machen Sie es“, bat nun auch Katie. Dr. Kaan blickte beide fragend an. „Nein, wir hatten es versprochen.“ Marron seufzte. Sie wussten, das es schwer werden würde, aber dass nun Beide, auch Katie sich nicht mehr an Bens Wunsch hielten, war das Schlimmste. „Nein“, meinte seine Mutter. Ben schaute von seiner Mutter nun zu Dr. Kaan. „Nein.“ „Mrs. Houston, wir haben es versprochen“, meinte Marron. „Nein. Verdammt. Tun Sie es.“ Sie weinte und schrie. Sie war verzweifelt. Sie war noch nicht so weit, ihren Sohn jetzt schon gehen zu lassen. Sie war noch nicht so weit, ihn gehen zu lassen. Er war doch ihr Ein und Alles. „Nein! Sie haben unterschrieben“, sagte Dr. Kaan. „Tun Sie es. Dann zerreißen Sie das, was ich unterschrieben habe. Aber tun sie es.“ Sie klang verzweifelt. Dr. Kaan blickte in Bens Gesicht, dieser blickte ihn einfach nur an. Er bat ihn, es nicht zu tun. Ben bat darum, ihn gehen zu lassen. „Hören Sie, Sie sollen intubieren“, befahl sie nun. Dr. Kaan seufzte. Er schloss die Augen. „Entschuldige.“ Und griff nach dem Intubationsset. Doch Ben griff nach dem Arzt, wollte ihn aufhalten. „Haltet ihn fest“, bestimmte Mehdi. Auch er klang verzweifelt. Er zappelte und wehrte sich weiter. Katie trat vom Bett zurück. „Wir müssen ihn ruhig stellen. Achter-Tubus.“ Dr. Kaan war wütend, als er den Tubus im Körper des Jungen hatte. Er war sauer auf sich selber. Er hatte ein Versprechen gegeben und es nun gebrochen. „Er ist intubiert.“ Er sah in das erleichterte Gesicht der Mutter, die nur an sich dachte und nicht an die Wünsche ihres Sohns und er blickte in das Gesicht von Katie, welche weinte. Dann verließ Dr. Kaan das Zimmer. Marron wollte ihm hinterher gehen. Doch die Situation war unerträglich. Man hatte Ben belogen, ihm hintergangen. Marron wusste, wie sich der Junge fühlte. Er war enttäuscht. Enttäuscht über seine Mutter, über Dr. Kaan und über Katie. „Hier sind die Überweisungspapiere für Ben Houston“, sagte Marron und reichte Dr. Mehdi Kaan die Papiere. „Ist denn in der Intensivstation ein Bett frei?“ „Ja, Sie bringen ihn nach oben.“ Man schob ihn gerade aus dem Bett. „Danke, Dr. Kaan. Danke sehr“, bedankte sich seine Mutter bei ihm. „Ja, Dankeschön“, ssagte auch Katie. „Okay.“, meinte Dr. Kaan nur. Man schob Ben in den Aufzug. „Entschuldige.“, sagte Dr. Kaan zu Ben. Doch Ben zeigte Dr. Kaan nur den Mittelfinger. Dr. Kaan nickte und sah zu wie der Aufzug sich schloss. „Er denkt, Sie haben ihn enttäuscht.“ Dr. Kaan drehte sich um und blickte Marron an. Nun sah sie wieder die roten Augen. Seine Augen waren nicht braun, wie sonst. Sie leuchteten regelrecht rot. „Was...?“ Sie ging zwei Schritte zurück. „Hallo, Jeanne.“, sprach eine fremde Stimme aus dem Mund von Dr. Kaan. Marron erkannte die Stimme. Sie wusste, wem die Stimme gehörte. Es war Silars. Kapitel 23: Entscheidungen -------------------------- „Er denkt, Sie haben ihn enttäuscht.“ Dr. Kaan drehte sich um und blickte Marron an. Nun sah sie wieder die roten Augen. Seine Augen waren nicht braun, wie sonst. Sie leuchteten regelrecht rot. „Was...?“ Sie ging zwei Schritte zurück. „Hallo, Jeanne“, sprach eine fremde Stimme aus dem Mund von Dr. Kaan. Marron erkannte die Stimme. Sie wusste, wem die Stimme gehörte. Es war Silars. Marron blickte Dr. Kaan entsetzt an. Das konnte nicht wahr sein. Was hatte das zu bedeuten? Sie stand immer noch an der Station und hielt sich am Tisch fest. Sie spürte, wie ihre Füße unter ihr so langsam den Halt verloren und dass sie zusammen sacken würden. Ihr Feind war die ganze Zeit in ihrer Nähe. Es war Dr. Kaan. Dr. Mehdi Kaan, der Stationsarzt der Kinderstation. Das war so irrsinnig. Eigentlich konnte das gar nicht wahr sein. Es durfte einfach nicht wahr sein. Deswegen war es Sina gewesen. Er hatte gesehen, dass Sina eine Wirkung auf Marron hatte, weil sie eine Erinnerung in ihr wachrüttelte. Wie viele würden es also noch werden? Sie spürte, wie ihre Atmung unregelmäßig wurde. „Na, überrascht?“, fragte die Stimme von Silar wieder. Aber es war immer noch das Gesicht von Dr. Mehdi Kaan, der sie anschaute, wenn auch durchdringend, mit roten, stechenden Augen. Immer noch hatte sie ihre Sprache nicht wieder gefunden. Marron konnte es einfach nicht glauben. „Ich werde dich zerstören“, sagte er mit leiser Stimme. Es schien, als war sie die Einzige, die seine Stimme wahrnahm. Es schien auch, als seien sie die Einzigen im Gang. „Ich fange damit ganz langsam an, Jeanne.“ Er lachte auf und Marron lief es eiskalt den Rücken runter. Sie spürte ihr Herz, wie es gegen ihren Brustkorb schlug. Laut, voller Angst. Es schien ihr sagen zu wollen, dass sie weg rennen sollte. „Ich werde dir jeden nehmen, der dir am Herzen liegt.“ „Marron“, hörte sie plötzlich die Stimme von Jemanden. Sie kam von ziemlich weit weg, sie vernahm sie kaum. Doch die Brünette im weißen Kittel konnte sich nicht umdrehen. „Jeden werde ich dir nehmen und somit deinen Schutzschild zerstören. Dann wirst du schwach sein.“ Sie schluckte nur schwer und hielt dem Blick von Silar stand. Es war einfach zu unglaubwürdig. Es war zu viel, um es so schnell zu verkraften. „Marron“, hörte sie wieder die Stimme. Doch diesmal schien sie näher zu sein. Dann spürte sie plötzlich eine Hand auf ihrem Rücken. Erschrocken fuhr sie herum und holte aus. Ihr ganzer Körper bebte und zitterte. Doch dann sah sie nur in die Augen von Chiaki. Er hielt ihre Hand fest, mit der sie eben ausgeholt hatte. Er blickte sie erschrocken an. „Marron, ist alles okay?“ Ihre Atmung war immer noch hektisch. Ihr ganzer Körper zitterte noch, ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie drehte sich wieder um und blickte in das Gesicht von Dr. Kaan. Er lächelte sie an. Da waren nicht mehr die roten Augen. „Miss Kusakabe, ist bei Ihnen alles in Ordnung?“, fragte er lächelnd. Marron schluckte schwer. Sie hatte Tränen in den Augen. Das alles war nur ein Alptraum. Es war nicht mehr als ein Alptraum. Sie wollte das alles nicht wahrhaben. „Dr. Kaan“, meinte Chiaki nur zu ihm, nickte ihm auch nur zu. „Dr. Nagoya“, meinte dieser zu ihm, nahm sich eine Akte und drehte sich wieder um. Marron verfolgte ihn mit ihrem Blick. Doch sie konnte immer noch nichts sagen. Chiaki sah ihr an, dass sie immer noch zitterte. Ihre Hand, die er immer noch in der seinen hielt, war eiskalt. Es muss etwas Schlimmes vorgefallen sein. Langsam blickte sie ihn wieder an. Hilflos. Verängstigt. Ja, sie hatte Angst. Vor was? Vor was sollte jemand wie Marron Angst haben? Chiaki blickte zu Dr. Kaan. Hatte er ihr etwas getan? Er wollte Marron eh bitten, dass sie sich von diesem Arzt fern hielt. Es gefiel Chiaki nicht, dass es keine Akten von Dr. Kaan gab. „Lass mich los“, bat sie ihn mit leiser, gebrochener Stimme. Seine Augen wanderten wieder zu ihr, er nickte und ließ ihre Hand los. Ihre zarte, kalte Hand fiel nach unten und blieb an ihrer Seite hängen. Er wollte wissen, was hier vorgefallen war. Seine braunen Augen blickten Marron fragend an. Doch sie schien gar nicht darauf aus zu sein, ihm zu sagen, was eben zwischen ihr und Mehdi vorgefallen war. Waren sie sich nicht wieder ein wenig näher gekommen? „Marron“, fing er mit ruhiger Stimme an. Ihr Körper zitterte immer noch leicht, ihre Knie zitterten. Sie stand nicht sicher. Sie schien selten schwach und unsicher. Doch sie antwortete ihm nicht, drehte nur den Kopf von ihm ab. „Ich... ich kann nicht, Chiaki“, sagte sie nur, leise, er hörte es kaum. Und dann sah er nur, wie sie weg lief. Sie rannte den Gang entlang, auf dem er gerade zu ihr her gefunden hatte. „Marron...“, rief er ihr hinterher. Doch sie blieb nicht stehen und drehte sich auch nicht um. Chiaki war ihr nachgerannt. Er musste einfach wissen, was vorgefallen war. Er fand Marron in der Umkleide. Sie zog sich gerade ihren Kittel aus und stopfte ihn schnell in ihren Spint. Sie blickte ihn gar nicht an. „Marron.“ Marron reagierte gar nicht. Sie setzte sich auf die Bank und zog sich nun ihre Klinikschuhe aus und zog ihre Straßenschuhe an. Es war alles hektisch. Und immer wieder sah er, wie sie zitterte. Wie ihr ganzer Körper zitterte und zusammen zu sacken drohte. „Marron.“ Er kniete sich vor sie, legte seine Hände auf ihre Knie und blickte sie an. Marron drehte den Kopf weg, sie wollte ihn anscheinend nicht ansehen. „Sag mir bitte, was los ist.“ Sie schluckte schwer, griff nach ihrer Tasche, die neben ihr auf der Bank lag und wollte aufstehen. Chiaki seufzte. „Schweigen wir uns also wieder an?“, fragte er sie ein wenig sauer. Er wusste nicht weiter. Er wollte ihr helfen, doch wie so oft blockte Marron mal wieder ab. Erschrocken blickte sie ihn an. „Chiaki...“ Nun sah er sie wieder an und sah in ihre Augen. Sie blickte ihn endlich an, realisierte ihn, nahm ihn war. Sie ignorierte ihn in diesem Moment nicht. Er war also doch zu ihr durchgedrungen. „Marron“, fing er mit bittender Stimme an. „Sag mir, was los ist.“ Er legte seinen Kopf auf ihren Schoss. „Bitte. Sag mir, was los ist.“ Sie schluckte wieder schwer. Er war ihr so nahe, sie spürte ihn. Marron hob ihre Hand und wollte ihm durchs Haar streicheln, doch sie konnte nicht. Eine innere Macht blockierte sie wieder. Dr. Kaan war Silar. Und dann seine Worte. Sie schloss die Augen. Ihre wurde ein wenig schwindelig, als sie an seine Stimme dachte. Als sie daran dachte, was er gesagt hatte. Er würde sie zerstören. Er würde ihren Schutzschild zerstören. Er würde ihr jeden nehmen, der ihr etwas bedeutete. Sie öffnete die Augen und blickte Chiaki an. Also auch Chiaki. Ja, er würde sich auch Chiaki nehmen. Das musste sie verhindern. Sie musste ihn von sich fern halten. Sie musste ihn schützen, dafür musste sie ihn aber von sich fern halten. Er sollte da nicht mit hinein gezogen werden. Silar wollte nur Jeanne. Chiaki würde nur sein Opfer sein. Und das konnte sie einfach nicht zulassen. Sie strich ihm über die Wange. Langsam hob er den Kopf und blickte sie an. Seine Augen weiteten sich, als er sah, dass sie Tränen in den Augen hatte, mit sich kämpfte. „Marron...“, brachte er nur hervor. Er wusste nicht, warum sie den Tränen so nah war. Er wollte so gerne wissen, was vorgefallen war. „Sag mir, was...“ „Es ist besser“, fing sie an und unterbrach ihn somit. „Es ist besser, wenn wir uns aus dem Weg gehen.“ „Was?“, er fiel nach hinten, als sie das sagte. Er traute seinen Ohren nicht. Waren sie nicht gerade heute erst, ein paar Schritte wieder aufeinander zugekommen, als sie zusammen auf dem Dach gesessen hatten? Hatte er sich geirrt? Warum wurde er das Gefühl nicht los, dass Medhi etwas damit zu tun hatte? Er blickte sie immer noch an. Nun, wo er nicht mehr mit dem Kopf auf ihrem Schoss lag, war sie aufgestanden. Sie blickte ihn nicht an. „Chiaki, es ist einfach besser, wenn wir nichts mehr miteinander zu tun haben.“ Sie legte sich ihre Tasche um ihre Schulter und ging zum Ausgang der Umkleide. „Verdammt, Marron. So geht das nicht“, schrie er ihr hinterher. Doch da war sie schon aus dem Raum verschwunden. „Es tut mir so Leid, Marron.“ Es war die Stimme ihrer Mutter. Diesen Satz hatte sie so oft zu ihr gesagt. Auch als ihre Mutter sie damals bei ihrer Großmutter einfach abgesetzt hatte. Sie kannte ihre Großmutter bis dahin gar nicht. Sie war ihr eine fremde Person. „Mach dir keine Sorgen, ich schaff das schon. Ich brauche keine Hilfe“, hatte Marron zu ihrer Mutter gesagt, ihre Puppe fest umklammert. Marron schaute von dem Foto auf und blickte zu ihrem Bett. Ja, da lag die Puppe. Ihr Gesicht war aus Porzellan und man sah der Puppe die Jahre an, die sie schon hinter sich hatte. Das Haar war auch nicht mehr so schön wie damals, als Marron die Puppe zum ersten Mal in den Händen gehalten hatte, aber sie war eine zeitlang ihre einzige Freundin gewesen. „Es tut mir so Leid.“ Nun war es die Stimme ihres Vaters, die sie in ihrem Kopf hörte. „Ich bin groß genug. Ich kann auf mich alleine aufpassen, Papa.“ Marron seufzte, setzte sich auf ihr Bett und griff nach der Puppe. Ihr Vater hatte sie ihr damals geschenkt. Sie seufzte. Marron war aus dem Krankenhaus gerannt, geflüchtet und hatte sich in ihre Wohnung versteckt. Sie wollte niemanden sehen, schon gar nicht Chiaki. Das alles war ihr gerade zu viel geworden. Aber Marron wusste, dass wenn sie ihre Freunde vor Silar schützen wollte, musste sie alle von sich fern halten. Sie durfte keinen mehr an sich heran lassen. Sie musste sie alle schützen und das war der einzige Weg, ein anderer fiel ihr einfach nicht ein. Sie zog die Puppe zu sich und seufzte auf. Sie wollte Chiaki eigentlich wieder an sich heran lassen, doch nun ging es einfach nicht. Marron konnte einfach nicht zulassen, dass er verletzt wurde, dass er in einen Kampf mit hinein gezogen wurde, der ihn nicht betraf. Die Brünette schaute auf und sah, dass ihr Anrufbeantworter blinkte. Das war bestimmt eine Nachricht von Chiaki, der sich fragte, was los war. Der sie fragte, was das eben war. Eigentlich wollte sie die Nachricht gar nicht abhören. Aber sie wollte wenigstens hören, ob er er sie nun in Ruhe ließ oder nicht. Schwach kroch sie von ihrem Bett herunter und ging zu dem Tisch, auf dem der Anrufbeantworter stand. Sie drückte auf den roten Knopf, um die Nachricht abzuhören, ging dann aber weiter in die Küche und griff nach einer Tasse, die sie aus dem Schrank holte. „Marron? Hier spricht deine Mutter.“ Marron ließ die Tasse fallen. Sie hielt sich am Schrank fest. Nein, das konnte nicht sein. Das war alles nur ein Traum. Erst Silar und nun auch noch das. Ihre Augen waren weit auseinander gerissen. „Marron, ich habe wieder ein Kind bekommen. Wir werden nun in Frankreich bleiben. Dein Vater, dein kleiner Bruder und ich. Es tut mir Leid, aber wir werden nicht zu dir zurückkommen, Marron. Machs gut.“ Marrons Knie hatten nachgegeben und sie saß nun in ihren Scherben auf dem Küchenboden. Schwere Tropfen ihrer Tränen mischten sich zu den Scherben der Tasse, die auf den Boden lagen. Doch es war egal. Chiaki saß in seinem Auto und fuhr durch die Straßen der Stadt. Er war schon dreimal an dem Haus vorbei gekommen, wo Marron wohnte. Aber er war jedes Mal weiter gefahren. Dabei wollte er sie einfach nur sehen. Er wollte mir ihr reden, wollte es aufklären. Er wollte sie einfach nur verstehen. „Du benimmst dich in letzter Zeit äußerst seltsam, wenn ich dir das mal sagen darf?“, hörte Chiaki die Stimme von Access. Sie kam von Rücksitz. Doch Chiaki blickte weiter starr auf die Straße. Sein Blick zeigte Schmerz und Traurigkeit. „Ich versteh dich ja schon irgendwie. Aber du hast dich absolut in Gefahr begeben, als du Jeanne gerettet hast.“ Der Engel lachte auf. „Du hast dich vollkommen in Marron verknallt, liege ich damit richtig?“ „Klappe halten!“, meinte Chiaki nur und warf seine Jacke, die eben noch auf dem Beifahrersitz lag, nun nach hinten auf dem Engel. Chiaki hatte nun wirklich keine Lust, sich mit dem Engel zu unterhalten. Schon gar nicht eine Diskussion über Marron mit ihm zu führen. „Warum gehst du nicht endlich zu ihr?“, fragte der Engel, als er sich aus der Jacke wieder befreit hatte. Doch da war Chiaki schon aus dem Auto gestiegen. Chiaki rannte die Treppen hoch und stand nun vor ihrer Wohnungstür. Er seufzte und klopfte an. Er hörte nichts. „Marron?“ Dann fiel ihm wieder ihr Blick ein, als sie vor ihm weg gerannt war, in der Umkleide. Nun klopfte er stärker gegen die Tür. „Marron!“, seine Stimme wurde auch lauter. Er wollte sie sehen, wollte sehen, dass es ihr gut ging. Mehr wollte er gar nicht. Dann sprang die Tür auf. Sie war anscheinend nicht richtig verschlossen gewesen. Ohne lange drüber nachzudenken, betrat er die dunkle Wohnung. Sie war aufgeräumt, aber auch leer und leblos. „Marron?“ Doch von ihr hörte er nichts. „Wo bist du?“ Er trat in die dunkle Küche. Dann spürte er, dass er auf etwas drauf trat. Er schaltete das Licht nicht an, konnte aber auch so sehen, dass Scherben auf dem Boden lagen. Scherben einer Tasse. Was war hier nur vorgefallen? Chiaki ging wieder ins andere Zimmer und sah den Anrufbeantworter leuchten. Er hörte die Nachricht ab. Und seufzte. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, neben dem der Anrufbeantworter stand. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Sie hatte ihm noch nichts von ihren Eltern erzählt. Sein Vater hatte damit angefangen, aber von ihm wollte er nichts hören. Doch Chiaki verstand auch, ohne die ganze Geschichte zu kennen, dass diese Nachricht Marron aus den Fugen gerissen hatte, dass diese Nachricht Schuld daran war, dass Scherben in Marrons Küche auf den Boden lagen. Soviel verstand er auch schon so. Er rannte aus dem Wohnblock Marrons. Er wusste nicht, wo er sie suchen sollte. Chiaki hatte wirklich keine Ahnung. Dann fing es auch an zu regnen, er seufzte. Er öffnete den Kofferraum seines Autos und zog einen Regenschirm heraus. Er wollte sie zu Fuß suchen. Es war schon dunkel geworden. Die Laternen waren schon an und beleuchteten so die Straßen und den Weg, auf den Chiaki entlang rannte und Marron suchte. Um die Lichter der Laternen flogen Motten, die vom Licht angezogen wurden, in kleinen Schwärmen. Doch es war alles egal. Chiaki wollte nur Marron finden. Er rannte zum Strand. Vielleicht war sie da. An der Stelle, wo er sie schon mal gefunden hatte. Chiaki rannte durch die Straßen. Dann schmeckte er schon die salzige Luft, die vom Meer herkam. Er blieb stehen, schaute sich in Beide Richtungen um und dann sah er sie. Sie stand ganz still am Geländer. Im Regen ohne Schutz. Ohne Worte trat er auf sie zu, öffnete den Regenschirm und hielt ihn über den Kopf. Erschrocken drehte sie sich um schlug den Schirm weg. Chiaki lächelte nur. Er war einfach nur froh, sie zu sehen. Er griff sie am Oberarm und hielt ihr den Schirm wieder hin, dabei blickte er ihr in die Augen. Ihr Körper entkrampfte sich, als sie erkannte, wer da vor ihr stand. „Chiaki“, sagte sie mit leiser Stimme. Chiaki blickte sie immer noch liebevoll und lächelnd an. „Es sah so aus, als würdest du weinen.“ Sie entriss ihren Arm aus seiner Hand, griff in der Bewegung direkt nach dem Regenschirm und wandte ihm den Rücken zu. „Wie kommst du auf so etwas?“ Sie seufzte. „Du weißt von dem Telefonanruf?“ Chiaki seufzte auf und zog sich seine Kapuze über den Kopf. „Es geht mir wirklich ausgezeichnet“, meinte sie. Sie war der Meinung, dass er wieder verschwinden sollte, das wäre doch am Besten für alle. Für ihn. Für sie. „Ich hatte einfach nur einen Spaziergang nötig“, ihre Stimme wurde leiser. „Das ist doch so ein schöner Abend.“ Chiaki stand hinter ihr und hörte ihr einfach zu. Er musste schmunzeln, irgendwie glaubte er ihr kein Wort. „Außerdem bin ich wahnsinnig gerne alleine.“ Sie hoffte, dass er ihr das abkaufen würde, das wäre auch schon mal eine gute Erklärung, dass sie ihn wieder von sich schob. „Ich liebe es einfach, im Regen spazieren zu gehen, man kommt so einfach zu sich selbst.“ Ihre Stimme klang heiter. Dabei hörte Chiaki ihr an, dass sie log. Seine Hand ballte sich zu einer Faust. Warum log sie ihn an? Warum konnte sie ihn nicht mal anschauen? „Ach ja?“, fragte er sie. Er blickte sie an, doch immer noch stand sie mit dem Rücken zu ihm. „Ich glaube kein Wort von dem, was du mir hier sagst.“ „Nun gut, Chiaki“, meinte sie schließlich, drehte sich wieder zu ihm. Er war überrascht, als er sie doch wirklich lächeln sah. Was für ein Spiel trieb sie hier mit ihm? Sie war nicht ehrlich! Nicht zu ihm und auch nicht zu sich selbst. „Nenne mir doch nur einen Grund, warum ich hätte weinen sollen. Na, los. Mach den Mund auf“, forderte sie. Chiaki schloss die Augen, fasste sich zwischen die Augen und seufzte kurz auf. „Weil ich glaube... dass du … sehr... sensibel bist.“ Er sprach jedes Wort einzeln aus und blickte sie dabei starr an. Als er sah, wie sich ihre Augen weiteten, wusste er, dass er Recht hatte. Ihr Atem stockte bei der Erkenntnis, die er über sie erlangt hatte. Sie fühlte sich vor ihm entblößt. Es war, als hätte er in ihr Tagebuch gelesen und wusste nun alles. Der Schirm flog auf den Boden und sie blickte ihn nur starr an. Chiaki ging zwei Schritte auf sie zu und griff nach ihrer Hand. Doch Marron wehrte sich. Sie wollte ihn anschreien, ihm sagen, dass er wieder abhauen sollte. Sie wollte doch alleine sein. Sie wollte, dass er sich von ihr fern hielt. „Bitte, lass mich los.“, ihre Stimme war bittend, aber auch verzweifelt. „Bitte, Chiaki.“ Doch Chiaki dachte gar nicht daran, sie los zu lassen. Er zog sie an sich heran. „Du tust mir weh“, meinte Marron und schüttelte den Kopf. Sie wollte sich aus seinem Griff befreien. „Du darfst ruhig weinen Marron, lass es zu“, versuchte er es mit sanfter Stimme. Er strich nun mit der anderen Hand über ihr Haar, streichelte darüber, sanft und beruhigend. „Du sollst dich für deine Trauer und deinen Schmerz nicht schämen“, flüsterte er ihr zu. Irgendwann gab Marron auf. Ihr Widerstand gab auf und er hielt sie in seinen Armen. „Ich hatte nie den Mut, meine Traurigkeit zuzulassen“, gestand sie ihm. „Ich hatte immer Angst, mein wahres Ich zu zeigen.“ Sie war immer noch in seinen Armen und es war ein angenehmes Gefühl. Ihre Tränen hatten aufgehört zu fließen. Nun genoss sie einfach nur noch seine Nähe. Die Wärme, die er ihr gab. „Ich dachte, es wäre eine Schwäche, seine wahren Gefühle zu offenbaren.“ Chiaki hielt sie einfach nur in seinen Armen, fest an sich gedrückt und hörte ihr einfach nur zu. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen. „Es ist schwer zu vertrauen, wenn man es nicht gelernt hat.“ Chiaki erfuhr nun mehr über Marron, als er je dachte. Auch wenn es nur Fetzen waren, aber das langte ihm. „Ich weiß, wo meine Eltern wohnen. Ich hab die Adresse meiner Eltern. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich sie anrufen oder schreiben können. Ich hätte sie sogar besuchen können. Aber ich hatte eine solche panische Angst, auf Ablehnung zu stoßen.“ Nun rollten ihre Tränen wieder. Sie klammerte sich an seiner Jacke fest und vergrub ihr Gesicht darin. „Ich hatte Angst, dass man mir sagt: „Ich will dich nicht.“ Wenn ich mir nicht vorgemacht hätte, stark zu sein, wäre ich schutzlos gewesen., gestand sie ihm und blickte ihn mit großen, traurigen Augen an. Es zerriss Chiaki das Herz, Marron so zu sehen. Aber er war froh, dass er sie gefunden hatte, dass er nun bei ihr, dass sie nun in seinen Armen war. „Geh nicht. Bitte, lass mich nicht allein“, bat sie ihn. Chiaki verstärkte seinen Griff auf ihrem Rücken und zog sie nun fester an sich. „Chiaki, halt mich fest.“ „Marron, ich lass dich nicht allein“, sagte er zu ihr und es war mehr, als nur ein Versprechen. „Das ist nicht fair.“ Sie blickte ihn fragend an. „Marron, mach dein Glück nicht von anderen abhängig. Sei deines eigenen Glückes Schmied“, sagte er leise zu ihr. „Ich bin mir ganz sicher, dass deine Eltern dich lieben, auch wenn sie dich verlassen haben. Es war ihre Entscheidung, nicht deine.“ „Ach, was für ein Schönes Beisammen sein!“, hörten Beide plötzlich eine dunkle Stimme. Sie hatten sie schon mal gehört. Dann tauchte plötzlich ein dunkler Schatten vor ihnen aus. Der Schatten bildete sich zu einem Körper. Marron ging erschrocken einen Schritt zurück, als sie sah, wer da vor ihr stand. Silar. Kapitel 24: Der dunkle Ritter ----------------------------- Marron fing an zu zittern, als sie ihn erkannte. Silar. Ihr ganzer Körper bebte vor Angst und Furcht. Sie konnte sich gar nicht rühren, bewegen, stand nur starr und versteinert da. Chiaki stellte sich schützend vor sie. Ja, er wollte sie mit ihrem Leben beschützen. Ein Versprechen, dass er mehr sich selber als Marron gegeben hatte. Vor langer Zeit hatte er sich schon versprochen, dass er Marron nicht mehr verlieren wollte und dass sie mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, beschützen würde. „Oh, jetzt bin ich aber wirklich überrascht“, meinte Silar und lachte auf, als er sah, wie Chiaki sich vor Marron stellte. Doch Marron packte Chiaki am Ärmel. Das konnte sie nicht zulassen. Sie wusste, dass Silar nur wegen ihr hier war. Chiaki sollte sich da nicht einmischen, es war doch ihr Kampf, ihr Gegner, Krieg. Silar wollte doch gegen sie kämpfen. Das konnte sie einfach nicht verantworten, dass er sich für sie opferte. Egal, welche Beweggründe er hatte. Sie schob sich an ihm vorbei. „Er will mich“, sprach sie leise, in der Gewissheit, dass Chiaki es vielleicht nicht mal wirklich hören würde. „Und nun ist es die Frau, die den Herren beschützen will. Ist ja auch toll. Sehr aufrichtig von dir, Marron oder soll ich doch gleich Jeanne sagen?“ Marron blickte ihn wütend an. „Es ist mir egal, wie du mich nennst. Ich habe auch nicht vor, mich mit dir lange zu unterhalten.“ Sie griff nach ihrem Kreuz und war kurz davor sich zu verwandeln. „Nein, Marron“, meinte Chiaki und hielt sie fest. „Ich will dir beistehen.“ Er hielt sie damit auf, sich zu verwandeln. Er konnte sie nicht einfach so in den Kampf ziehen lassen. Er liebte diese Frau, mehr als alles andere. Es war so ein heftiges und gewaltiges Gefühl, das er gar nicht kannte und ihn oft zu erdrücken schien. Aber wenn es ihn erdrückte, dann mit einem warmen Gefühl aus Watte. „Chiaki, das ist nett von dir“, fing sie an und lächelte. Sie wollte aber nicht, dass er mit ihr oder für sie kämpfte. Er sollte sich aus allem raus halten. Er sollte sich aus diesem Kampf raus halten. Es war ihr Kampf. Silar, wollte nicht Chiaki, er wollte Marron. Und sie wollte nicht zusehen, wie sie dabei vielleicht Chiaki verlor, nur weil er sich für sie opfern wollte. Nein, das wollte sie nicht mit ansehen. „Genau, das ist sehr nett“, mischte sich nun auch Silar wieder ein. Doch weder Marron, noch Chiaki beachteten ihn. Sie schauten sich nur gerade an. Liebend. Sich um den Anderen sorgend. Es war irgendwie egal, für Beide, wer oder was gerade um sie herum geschah. Nur dieser Augenblick zählte. Der Augenblick, den sie sich schenkten. „Marron, ich habe dir einmal versprochen, für dich zu kämpfen“, versuchte Chiaki es nun und griff nach Marrons Hand. „Und für dich da zu sein.“ „Das ist ja echt wundervoll“, meinte Silar grinsend. „Wie romantisch.“ Er sprang nun von der Mauer herunter und stand nun direkt vor Chiaki und Marron. Er trug einen dunklen schwarzen Mantel, der ihn mehr als nur einhüllte. Er war groß und kräftig, man sah ihm nicht mehr an, dass er auch der Kinderarzt Dr. Mehdi Kaan war. Nun war es nur noch Silar. Ihr Gegner. Es waren keine zwei Meter mehr zwischen ihnen und eine Kälte umgab ihn. Diese eisige Kälte spürten nun auch Marron und Chiaki. Es war eisig kalt. Wie ein Nebel versuchte es die Beiden einzuhüllen. „Wird Marron sich auch noch weiterhin so um dich kümmern wollen, wenn sie etwas von deinem Geheimnis weiß, dass du und dein lieber Vater euch teilen?“ Marron blickte Chiaki an. Sie wusste, das sie Silar eigentlich nicht trauen wollte und seinen Worten schon gar nicht, aber irgendwas sagte ihr, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht lag es auch daran, wie sein Vater sich ihr immer gegenüber verhielt. Es war von Anfang an komisch gewesen. Sie zitterte, und blickte auf die Hand, die ihre umfasste, Chiakis. Es war seine Hand und wieder stand sie vor der Entscheidung, ob sie seine Hand und damit auch vor allem ihn von sich stoßen sollte. Sie blickte ihn an, blickte in seine braunen Augen. Konnte sie ihm vertrauen? Aber war das gerade überhaupt wichtig? Da stand Silar und wollte kämpfen. Er wollte mit ihr kämpfen. Wollte Spielen, seinen Spaß haben. War es denn gerade wirklich so wichtig, was sie über Chiaki dachte? War es denn gerade wirklich so wichtig, welches Geheimnis sein Vater und er hatten? Er war Sindbad und er würde im Kampf gegen Silar an ihrer Seite kämpfen, auch wenn es ihr Kampf war. Silar wollte nur Marron. Und obwohl Chiaki das wusste, stand er immer noch neben ihr. Doch Chiaki ließ Marron gar nicht mehr die Zeit, darüber weiter nachzudenken, ob es sich überhaupt lohnte, hier nun zu kämpfen, ob sie Chiaki weiterhin vertrauen konnte. Er stellte sich einfach vor sie, beschützte sie mit seinen Rücken und blickte sie ruhig und sanft an, als wäre er sich der Lage, in die sie gerade waren, gar nicht bewusst. Oder er ignorierte sie einfach. „Marron, du musst mir vertrauen. Vertrau mir bitte“, bat er sie mit liebevoller Stimme und streichelte ihr zärtlich über die Wange. Es war ihm gerade egal, wer da hinter ihm stand. Er wollte für Marron da sein und ihr das auch zeigen. Er stand mit der Gewissheit, dass Silar ihn gleich angreifen würde, dennoch mit dem Rücken zu ihm. Wie war das, man sollte seinem Feind nie dem Rücken zudrehen, denn sonst würde man schneller als man sich wieder umschauen konnte, einen Dolch im Rücken verspüren. Aber als Chiaki Marron in die Augen sah, war es egal. Es war egal, welches Opfer er damit nun bringen würde. Er wollte sie nur beschützen. Mit aller Macht und Kraft, die er hatte. Ob nun als Chiaki oder als Sindbad. Er konnte seinen Augen kaum trauen, als Marron ihn anlächelte und nickte. Sie vertraute ihm. Jedoch konnte Chiaki sich nicht lange über das Gefühl in seiner Brust freuen, als Marron ihm signalisierte, dass sie ihm vertraute, denn just diesem Moment griff Silar ihn an. Ein heftiger Schlag traf Chiaki am Rücken. Der Schlag war so heftig, das Chiaki und auch Marron, die so nah bei ihm stand, weg flogen. Sie landeten auf den Boden. Chiaki landete auf ihr und blickte sie sofort sorgend an, als wäre nicht er es gewesen, der verletzt wurde. „Geht es dir gut?“ Sie nickte und blickte ihn fragend an. „Und du? Du wurdest getroffen. Er hat dich angegriffen“, erinnerte sie ihn. Doch sie sah ihm an, dass es umsonst war, dass er ihr eh nicht zu hörte. „Ich bin okay“, meinte er und versuchte zu lächeln. Er biss aber die Zähne beim Schmerz zusammen, dennoch versuchte er, es sich nicht anmerken zu lassen. Er streichelte ihr über die Wange, zärtlich wie immer, als wäre kein brennender Schmerz in ihm. Er lag über ihr, den rechten Arm hatte er nun neben ihrem Kopf abgestützt. „Weißt du noch, der erste Tag, an dem wir uns gesehen haben?“, fing Chiaki an. Marron blickte ihn fragend an. Warum fing er jetzt mit so was an? Sie wollte aufstehen, ihn von sich drücken. Sie wollte kämpfen. Doch sie schaffte es nicht, Chiaki lag so auf ihr, dass sie sich kaum rühren konnte. Ihre Hände hielt er fest, damit sie sich nicht weiter wehren, ihm nicht entfliehen konnte. Sie blickte ihn nur fragend an. „Wie rührend“, hörte sie die Stimme von Silar, laut und deutlich und doch sah sie nur Chiakis Gesicht vor sich, wie er sie beschütze, vor allem Unheil und Schrecklichem dieser Welt. Er feuerte wieder einer seiner Lichtbälle gegen Chiaki ab. Er zuckte schwer zusammen, schrie auf, als eine neue Welle des Schmerzes ihn durch fuhr. Eine Welle, die ihn fast auseinander zu reißen drohte. „Chiaki. Nein!“, schrie Marron unter ihm. Sie wollte das einfach nicht zulassen. Sie wollte schon ihre Augen schließen, aber auch das konnte sie nicht. Sie konnte nicht einfach die Augen schließen, nur weil sie es nicht mehr ertrug ihn so leiden zu sehen. Seine Augen waren vor Schmerz zusammengepresst, er biss sich so fest auf die Lippen, dass sie anfingen zu bluten, aber dennoch ließ er Marron nicht los. Er wollte nicht, dass sie kämpfte. Das spürte sie nun mehr als deutlich. „Du standest neben Tomoki, Miyako und Alex“, erzählte Chiaki gebrochen weiter. Er blickte sie mit schmerzverzerrten Augen an, aber dennoch liebevoll und sanft. „Lass mich kämpfen, Chiaki“, bat sie mit leiser Stimme. Das Sprechen fiel ihr seltsamerweise sehr schwer. Aber der Anblick von Chiaki traf sie tief. Ja, es war sein Anblick die ihre Stimme brüchig werden ließ. Das und das Wissen, dass er für sie sterben würde. „Nein“, sagte er fest. „Ich will dich nicht verlieren.“ Ihre Augen weiteten sich. Sie glaubte ihren eigenen Ohren nicht, aber sie wusste, wenn sie ihn ansah, dass er es ernst meinte. Marron traten Tränen in die Augen. Sie hatte nun wirklich nicht erwartet, dass er es ihr so deutlich sagen würde. Sie wollte das alles irgendwie nicht glauben. Sie waren mitten im Kampf und er beschützte sie. Um sie herum war es eiskalt und er wärmte sie. Er krümmte sich eigentlich vor Schmerzen und dennoch wollte er sie anlächeln. Was war das nur für ein Mensch, fragte sie Marron und eigentlich wusste sie die Antwort schon. Er war ein Mensch, der sie liebte. Der sie wirklich liebte. Warum konnte nicht einfach alles so wie früher sein? Warum konnte sie nicht noch mal eine Chance haben, ganz ohne ein Zweitleben als Jeanne und Sindbad? Warum mussten sie zuerst gegeneinander kämpfen und nun immer wieder um das Vertrauen des Anderen kämpfen? Was war das für eine Aufgabe, die man ihr gab? Sollte sie verlieren? Sollte es eine Aufgabe zum Scheitern sein? Nein, das wollte sie einfach nicht wahrhaben. Man hatte ihr die Chance gegeben, jemanden wundervolles kennen zu lernen. Chiaki war für sie jemand wundervolles. Ja, das war er wirklich. Das wusste sie nun. Eigentlich wusste sie es von Anfang an. Er war immer für sie da gewesen, wenn man es auch am Anfang noch nicht gesehen hatte. Aber er war da gewesen und kämpfte mit ihr für sie. Er war auf ihrer Seite. Er war nicht ihr Feind. Nein, er war ihr Freund. Ja und diesen Freund liebte sie. Sie liebte ihn. Und dafür wollte sie nun kämpfen. Sie wollte nicht, dass diese Liebe zum Scheitern verurteilt war, nur weil sie ihm nicht hatte genug Vertrauen entgegen bringen können. Sie wollte eine zweite Chance. Eine zweite Chance mit ihm. Die Tränen rollten langsam über ihre Wangen und ließen ihren Blick verschwommen. Und wieder zuckte sein Körper zusammen. Schmerze wie Blitze durch fuhren ihn. Er wurde heftig durchgeschüttelt. Silar feuerte wieder seine Lichtbälle gegen Chiaki ab. Immer wieder. Ohne Stop und Ende in Aussicht. Chiaki verlor die Kraft, Marron weiter unter sich zu beschützen, verlor fast das Bewusstsein, sie rollte ihn leicht von sich und sprang auf. Sie blickte zu Chiaki, der auf den Boden lag und sich vor Schmerzen zusammen krümmte. Diese Schmerzen hatte er freiwillig für sie entgegen genommen. Für sie. Für Jeanne. Für Marron. Sie konnte den Anblick nicht lange ertragen und griff nach ihrem Kreuz und verwandelte sich, ohne lange darüber nachzudenken. Ja, sie wollte nun kämpfen. So, wie er gekämpft hatte. Ja, er hatte die ganze Zeit für sie gekämpft, oft hatte er sogar gegen sie gekämpft, nur damit sie es endlich erkannte. „Ach, da haben wir sie ja endlich“, meinte Silar und grinste Jeanne an. „Dir wird das Lachen noch vergehen“, drohte sie ihm an und zückte ihr Band. Der Kampf ging lange und war hart. Chiaki wollte sich oft genug einmischen, auch wenn er kaum seinen kompletten Körper vom Boden erheben konnte, doch Marron hatte Chiaki ihr Schutzschild gegeben. Sie hatte ihn sozusagen darin eingesperrt, sodass er sie in Ruhe ließ. So war er geschützt, aber sie nicht. Sie hatte nun kein Schutzschild und bekam jede Lichtkugel, jeden Lichtblitz mit voller Kraft ab. Aber es war egal. Sie wollte kämpfen. Sie wollte für Chiaki kämpfen. Für die Menschen, die wegen Silar leiden mussten. „Gib endlich auf, Jeanne.“ „Niemals“, meinte sie keuchend. Sie kniete auf den Boden, schwer erschöpft, stand aber nun wieder auf. Sie verlor ihre Kräfte, sie entglitten ihrem Körper. Sie war schon zu sehr geschwächt. Solange sie konnte, würde sie immer wieder aufstehen. Immer wieder. Aber auch bei Silar sah man die Spuren des Kampfes. Er sah ebenfalls erschöpft aus. Und oft, wenn Beide gegeneinander knallten, mit einer Wut, mit einer Kraft, flogen beide auf den Boden und blieben sekundenlang liegen. Sie waren dann Beide vollkommen außer Atem in diesen Momenten. Aber diese Momente waren nicht von langer Dauer. Aber nun waren beide erschöpft und Marrons Schutzschild, in dem Chiaki kämpfte, Marron helfen zu dürfen, verlor so langsam an Kraft. Sie stand wieder auf festen Füßen und holte wieder aus. „So leicht gebe ich nicht auf“, meinte sie und blickte ihn wütend an. Doch sie konnte gar nicht so schnell schauen, als eine dunkle Lichtkugel sie von der Seite traf. Völlig unerwartet setzte diese sie außer Gefecht. Ihre Augen schwärzten sich und sie fiel zu Boden. „Marron“, schrie Chiaki, eilte zu ihr. Das Lichtschild, das ihn beschütze, ihn vom Kampf weg halten sollte, löste sich auf. Jeanne hatte sich schon zu Marron zurückverwandelt, bevor er sie erreicht hatte. Chiaki legte ihren Kopf in seinen Schoß und strich ihr über die Wange. „Marron. Marron, wach auf.“ Er fühlte nach ihrem Puls. Er war noch vorhanden und messbar. Wenn auch schwach. Chiaki blickte wütend auf. Ja, er war wütend. Wer war so hinterhältig und griff in diesem Zweierkampf mit ein. Auch Silar schaute sich fragend nach dieser Person um. Außer Schatten und Dunkelheit erkannte man jedoch gar nichts in dieser Nacht. Doch dann erschien eine weitere Person. Dunkel wie Silar. Nein, viel Dunkler. „Meister Noyn.“ Silar verbeugte sich sofort vor der Person, die in den Schatten trat. Chiaki blickte diese immer noch wütend an. Er hielt Marron schützend in den Armen. Der Mann in dem schwarzen Mantel und den langen, schwarzen Haaren, die er zu einem Zopf am Hinterkopf zusammen gebunden hatte. Er strahlte eine noch düstere Kälte als Silar ab. „Hallo, Sinbad“, sagte der Mann schließlich und blickte kurz zu Silar, dann aber zu Chiaki und Marron. Er schmunzelte, als er das junge Mädchen in dessen Schoss gebetet sah. „Ich bin Noyn und habe noch eine alte Rechnung offen.“ „Deswegen greifst du einfach im Kampf ein?“ „Ja, und weil ich enttäuscht über Silar war“, meinte Noyn und blickte zu Silar. Dieser verbeugte sich noch tiefer. „Tut mir Leid, Meister.“ „Ja, das sollte es auch. So weit ich mich erinnere, hattest du einen Auftrag.“ „Ja wohl, Sire.“ „Gut, du hast mich ja wenigstens zur Reinkarnation von Jeanne d´Arc geführt“, meinte Noyn und blickte wieder zu Marron. „Was willst du von ihr?“, fragte Chiaki ihn. Marron lag leblos auf seinen Schoss und diesen Anblick fand er erschreckend. Nichts fürchtete er mehr, als diesen Anblick. Und nun war es geschehen. Er hatte es verhindern wollen. Aber Marron war nun mal eigensinnig und wollte nicht auf ihn hören. „Ihr solltet mehr trainieren“, meinte Noyn schließlich und richtete seine Worte an Chiaki. „Und du solltest mehr auf sie aufpassen, Junge.“ Chiaki wollte etwas erwidern, auch wenn er wusste, dass es umsonst war. Absolut umsonst. Doch in diesem Moment hatte Noyn sich auch wieder Silar zugewendet. „Wir gehen“, meinte er nur, drehte Silar den Rücken zu und verschwand wieder im Dunkeln. Sein Körper und sein dunkle Art verschwand in der Dunkelheit der Nacht, weit weg von Licht und Wärme. Und Silar folgte ihm, seinen Herren, wie es zu sein schien. Chiaki seufzte und blickte auf Marron, die mit dem Kopf auf seinem Schoss lag. „Warum hast du mich nicht mitkämpfen lassen, Marron?“, fragte er sie. Sie, die Frau, die er so sehr liebte und die er mit seinem Leben beschützen wollte. Er stand auf, beugte sich kurz wieder nieder und hob Marron auf seine Arme. Er wollte sie nach Hause bringen, sie ins Bett legen und sie schlafen lassen. Kapitel 25: kleine Veränderungen -------------------------------- John Steinbeck hat mal geschrieben: „Die Veränderung kommt wie ein leichter Wind, wie ein Wind, der leicht die Vorhänge kräuselt. Und sie kommt wie der heimliche Duft von Wildblumen. Verborgen im Gras.“ Chiaki Nagoya stand auf dem Balkon seines Penthouses und seufzte. Er lehnte mit den Armen auf der Brüstung und schaute sehnsüchtig und verloren über die Stadt. Hinter ihm in seinem Schlafzimmer lag die Frau, die er liebte, so sehr liebte, dass er sie am liebsten in einen goldenen Käfig sperren wollte, weil er immer Angst hatte, dass ihr etwas passieren sollte. Und heute war ihr etwas passiert. Sie waren sich näher gekommen und dennoch hatte er sie fast verloren. Sie wollte sich für ihn opfern, weil sie es wollte, weil sie das gleiche für ihn empfand, wie umgekehrt. Aber diese Tatsache war so viel schwerer, so viel erschreckender. Sie machte ihn glücklich und auch traurig. Was ist bloß aus der Liebe geworden, dass sie Menschen zu Tätern macht, die sich selbstlos opfern? Er blickte auf das Glas, was er in der Hand hielt. Er hatte einen Drink gebraucht. Es war einfach zu viel passiert. Marron lag ruhig in seinem Bett und erholte sich, sie hatte ordentlich etwas abbekommen. Für ihn. Die ganze Zeit musste er mit ansehen, wie sie ihn geschützt hatte. Sie war so viel stärker. Und diese Tatsache erschreckte Chiaki auch. Er würde Marron vermutlich nie so beschützen können, wie sie es getan hatte. Er hatte nicht ihre Kraft und ihre Stärke, das wusste er. Und es schmerzte ihn. Aber er wollte nicht mehr tatenlos mit ansehen müssen, wie so etwas vielleicht noch mal passieren sollte. Nein, das durfte nicht noch einmal passieren. Er würde trainieren müssen. Trainieren, damit er Marron beschützen konnte, so wie sie es verdiente und nicht anders. Er legte das Glas wieder an seine Lippen und trank den letzten Schluck des Cognacs aus, der sich darin noch befunden hatte. Was waren denn schon die Kratzer, die er abbekommen hatte, zu den Schmerzen und den Wunden, die Marron nun hatte, die sie nun ertragen musste. Und warum? Weil er nicht stark genug gewesen war, sie zu schützen. Dabei war sie das kostbarste, was er je besessen hatte. Er wollte, dass ihr Foto bald auf seinem Schreibtisch in seinem Büro stehen würde. Ein Foto, auf dem sie lächelte. Und es sollte so sein, dass wenn er ihr Foto ansehen würde, er sich gut fühlen wollte. Er wollte dann nicht an Schmerzen, Kummer und Angst denken, denn genau diese Angst hatte er vorhin gehabt. Er hatte Angst gehabt, sie zu verlieren. Als sie vor seinen Augen zusammenbrach, ihre Kraft nachließ, sie hilflos zu Boden fiel, geschah das Schlimmste, was jemals passieren konnte. Plötzlich war da dieser Schmerz in seinem Inneren gewesen. Es fühlte sich so an, als würde ihn dieser Schmerz von innen zerreißen, zerstören. Dieser Anblick, als Marron leblos nach hinten fiel, ihre Augen verschlossen, der Kraft entzogen, war erschreckend. Es war ihm so nahe gegangen, hatte ihm seinen Magen und seinen ganzen Körper in einen tiefen Abgrund gestürzt. Von diesem Moment an wusste Chiaki, dass er stärker werden müsste, damit er Marron, seine Marron, beschützen konnte. Er blickte auf das leere Glas in seinen Händen und seufzte. Ja, er sollte stärker werden. Der Griff um das Glas wurde fester und es fing an zu schmerzen. Doch es war egal. Das alles würde er in Kauf nehmen, solange er dadurch Marron beschützen konnte. Als Marron langsam aufwachte, spürte sie die Schmerzen in ihrem Körper. Jeder Muskel, jeder Knochen schien zu schmerzen und drohte sie untergehen zu lassen. Doch schließlich öffnete sie die Augen und fand sich in einer Wohnung wieder, die sie nicht kannte. In einem Zimmer, das sie nicht kannte. In einem Bett, das nicht ihres war. Doch als sie an dem Kissen roch, wusste sie, in wessen Wohnung, in wessen Zimmer, in wessen Bett sie war. In Chiakis. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen und ein Grübchen bildete sich über ihrem linken Mundwinkel. Wie zu oft in der Nähe von Chiaki. Er hatte ihr mal gesagt, dass er dieses Grübchen an ihr mochte, also hatte sich vorgenommen, öfters zu Lächeln, für ihn. Nur für ihn. Aber warum war sie in seinem Zimmer? Warum lag sie in seinem Bett, ohne ihn? Sie richtete sich ein wenig auf, was aber nicht wirklich ging, da sie von ihren Schmerzen im Bett gehalten wurde. Wie Fesseln hielten sie Marron in diesem großen Bett. Dann fiel es Marron wieder ein. Der Kampf. Ihre Augen weiteten sich, als die Einzelheiten des Kampfes wieder in ihrem Kopf wie ein Heimkino erschienen. Es durchbrach sogar ihre Schmerzen und zog sie wieder an den Schauplatz zurück. Es fühlte sich so an, als sei sie jetzt gerade in diesem Moment mit ihrem Körper in dem Park, wo Chiaki sie gefunden hatte und wo sie von Silar angegriffen wurde. Aber der endgültige Schlag, der sie außer Gefecht setzte, kam nicht von Silar. Er kam von einer Person, die sie die ganze Zeit im Dunkeln beobachtet hatte, ohne sich erkenntlich zu zeigen. Als sie angegriffen wurde, wusste sie, dass diese Person die ganze Zeit schon da gewesen war, im Schutze der Dunkelheit und der Schatten. Dunkelheit und Schatten sind wohl die sichere Heimat für solche böse Wesen. Ja, Marron wusste, dass diese andere Person ebenfalls böse war. Böser und stärker als Silar. Mit Silar war sie mehr oder wenig gleichstark gewesen, deswegen dauerte dieser Kampf auch so lange, weil sie sich immer wieder für kurze Zeit außer Gefecht setzten. Doch der Angriff von diesem anderen Wesen. Ein Schlag hatte gelangt und sie wusste nichts mehr, außer diese Dunkelheit, die sich in diesem Moment in ihr ausgebreitet hatte. Als wolle diese Kälte und Dunkelheit sie von innen umarmen, in die Knie zwingen. „Du bist ja schon wach?“ Marron blickte auf und sah in das Gesicht von Chiaki. Er lächelte leicht verkrampft. Ja, es war ein aufgesetztes Lächeln, das wusste sie auch ohne, dass sie ihn ansehe musste. Sie nickte. Chiaki setzte sich zu ihr an den Rand des Bettes und blickte sie an, wie sie da in sein Bett gefesselt war. „Wie geht’s dir?“ „Mir tut alles weh“, gestand sie ihm. „Kein Wunder“, meinte er leicht abwertend. Nein nicht abwertend, er war einfach nur sauer. „Du bist sauer?“ „Ist die Frage dein Ernst?“ „Nein, wohl nicht.“ Sie versuchte sich wieder etwas aufzurichten. Aber weit kam sie nicht. Chiaki beobachtete dabei jeder ihrer Bewegungen. „Du solltest liegen bleiben.“ „Warum?“ „Weil ich mir Sorgen um dich mache und nicht will, dass so etwas noch mal passiert.“ „Willst du mich etwa ans Bett fesseln?“, fragte sie ihn. Chiaki stand auf. Er war wütend und sein Körper bebte. Er lehnte sich über das Geländer des Bettes und blickte sie seufzend an. Dann fasste er sich mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand, an den Anfang der Nase, zwischen den Augen und seufzte schwer auf. „Marron, ich will dich nicht ans Bett fesseln“, sagte er mit ruhiger Stimme. Er versuchte sich zu beruhigen und vernünftig zu bleiben. „Gut, dann haben wir das ja geklärt.“ „Herr Gott, Marron“, meinte er nun doch aufgebracht. Er konnte sich noch zu sehr versuchen, ruhig und besonnen zu bleiben, wenn Marron es doch immer wieder schaffte, ihn mit ihrer Art auf die Spitze des Eisbergs zu bringen. Sie konnte es einfach nicht lassen. Natürlich. Sie war impulsiv und ihre Kommentare waren spitz. Wie immer eigentlich. Was hatte er denn auch erwartet? Er drehte ihr den Rücken zu. Chiaki konnte sie gerade nicht anschauen. Er war wütend und sauer und doch, wenn er sie so ansah, wie sie da in seinem Bett lag, war er gerade dabei, alles zu vergessen und wünschte sich nur, sich zu ihr zu legen und sie an sich zu drücken. „Ich hatte Angst um dich“, sagte er dann schließlich. „Das weiß ich.“ „Ja, aber anscheinend ist es dir egal, was ich fühle und denke“, fuhr er sie an und blickte sie mit wütenden Augen an. „Denkst du, es ist mir egal, was du denkst? Nein, das stimmt nicht. Aber davon wird die Welt auch nicht von Wesen wie Silar und diesem Anderen befreit, oder?“, meinte sie schließlich. Es war doch schließlich so. Sie hatte ihre Aufgabe. Sie musste die Menschen vor Dämonen, vor Silar und vor dem großen Unbekannten bewahren und schützen. Es war ihre Aufgabe zu kämpfen. Gott persönlich hatte ihr diese Aufgabe zugeteilt. Und das wusste Chiaki eigentlich auch und dennoch tat er sich damit schwer. Ihr Leben und ihre Kämpfe als Jeanne gehörten nun mal zu dem Leben von Marron Kusakabe, genauso wie ihre Arbeit im Krankenhaus. Oder, dass sie in die Eishalle ging, wenn sie Ruhe brauchte. Das sie eigentlich schon immer alleine und auf sich gestellt war. Das gehörte alles zu dem Leben von Marron Kusakabe und sie konnte keinen Teil davon einfach wegwerfen oder sich davon befreien, als wären es Ketten, die sie vor etwas zurückhielten. Vor einer Zukunft mit Chiaki? Sie konnte gar nicht so schnell reagieren, da hatte Chiaki sich aufs Bett geschmissen und krabbelte geschickt und schnell zu und ihr war nun über ihr. Seine Arme stützen sich links und rechts neben ihrem Kopf ab. Sein Kopf ruhte direkt über dem ihrem. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut. Und ihr Atem stockte leicht. „Ich will aber nicht, dass du dein Leben opferst, um die Welt zu retten.“ Er strich ihr nun sanft übers Gesicht und die Haare. „Ich kann nicht zulassen, dass ich dich verliere.“ „Du verlierst mich nicht“, widersprach sie ihm. „Doch genau das wäre gestern beinahe passiert.“ „Nein, dieser andere Gegner wollte mich nur außer Gefecht setzen“, meinte sie zu ihm und blickte ihn ruhig an. Sein Blick, der so viel Güte und Zuneigung auszeichnete, ruhte immer noch auf ihr und füllte sie mit einem warmen Gefühl. Dieses Gefühl kam tief aus dem Innersten und fühlte sich einfach nur wundervoll an. „Warum bist du dir da so sicher?“, fragte Chiaki schwer. Ja, eine ungeheure Schwere lag in seiner Stimme, die sie natürlich hörte, die ihr das Herz zuschnürrte und ihr die Luft zum atmen raubte. Immer noch streichelte er ihr über die Wange, blickte ihr dabei nur in die Augen, folgte manchmal seiner Berührung auf ihrer Haut mit seinem Blick, lächelte, wenn auch nicht sehr glücklich. „Das hier fühlt sich gut an“, hauchte er ihr zu. Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Stirn. „Dich hier zu haben, fühlt sich so gut an.“ Marron versuchte zu lächeln und noch mehr versuchte sie weiterhin, ruhig zu atmen oder überhaupt zu atmen, denn das stellte sich in dieser Situation als äußerst schwierig heraus. „Chiaki...“ „Nein, sag jetzt bitte nichts“, bat er sie mit leiser, fast flüsternder Stimme und lächelte sie nur an. „Weißt du, gestern ist mir so einiges klar geworden.“ Er küsste sie nun auf die Nasenspitze. „Mir ist klar geworden, dass du ein wundervoller Mensch bist.“ Er küsste sie auf die linke Wange. „Mir ist klar geworden, dass ich dich liebe.“ Nun küsste er sie auf die rechte Wange. „Und mir ist klar geworden, dass ich dich nicht verlieren will.“ Nun küsste er sie zuerst vorsichtig auf die Lippen. Als er dann ihr Lächeln vernahm, küsste er sie noch mal, leidenschaftlicher, gefühlvoller, hingebungsvoller. Marron hob ihre Arme und legte sie in seinen Nacken und seinen Hinterkopf und zog ihn zu sich. Sie wollte ihn spüren, ganz nah bei sich. Ja, ihr war auch einiges klar geworden, dass sie jeden Tag genießen sollte, der ohne Kampf war. Sie wollte jede Stunde, die sie in Frieden ohne Krieg hatte, mit Chiaki genießen. Ja, sie wollte ihn endlich an sich heran lassen. Sie hatte nun gemerkt, dass einfach zu schnell, zu unerwartet, etwas zwischen sie kommen könnte und das wollte sie einfach nicht. Sie mochte ihn, sie mochte ihn sogar sehr und sie wusste, dass er der Richtige war. Er war der Erste, der sie wirklich sah, wie sie war. Er kannte all ihre Seiten, all ihre Macken und Facetten und dennoch liebte er sie und wollte sie beschützen. Er war derjenige, der sah, dass hinter ihrer großen Stärke eine sensible junge Frau steckte, die Angst hatte vor ihren Gefühlen und vorm Alleine sein. Das alles hatte Chiaki gesehen. Er war der Erste. Und das hatte doch was zu bedeuten. Chiaki löste sich nach einer Weile vom leidenschaftlichen Kuss, mit einem Lächeln und blickte sie liebevoll an. „Marron, ich liebe dich.“ Marron nickte nur, lächelte und strich ihm über die Wange. „Das weiß ich, Chiaki und ich... ich liebe dich auch“, sagte sie zu ihm. Und diese Worte ließen Chiaki wieder lächeln. Er grinste regelrecht vor Glück und küsste sie dafür wieder. „Ich möchte...“, hauchte er immer wieder zwischen den Kuss. „dass du...,“ Er grinste, da Marron ihn kaum zu Worte kommen ließ, „mich heiratest.“ Marron löste sich sofort aus dem Kuss und blickte ihn fragend und entsetzt an. Chiaki beobachtete sie, betrachtete sie und war nicht wirklich überrascht, dass sie nicht gerade an die Decke sprang. Aber so war Marron nun mal. Darauf hatte er sich vorbereitet, dass er mit dieser Art von Reaktion umgehen konnte. Wenn sie anders reagiert hätte, hätte er sich vermutlich mehr Sorgen gemacht. „Was hast du da gerade gesagt?“ Sie rutschte ein wenig zurück, ein wenig von ihm weg und blickte ihn vorwurfsvoll an. Chiaki lächelte und zog aus seiner Hosentasche, ein kleines Kästchen. Marron ahnte, was darin war, ohne, dass er es öffnen musste. „Marron, ich liebe dich und ich will jeden Tag mit dir genießen. Bitte heirate mich.“ Nun öffnete er das kleine, schwarze Kästchen und in dunkelblauen Samt steckte ein Ring. Einen schöneren Ring hatte Marron noch nie gesehen. Doch dann blickte sie wieder zu Chiaki. „Das geht nicht.“ „Was geht nicht?“, fragte er sie sanft, ohne sich aufzuregen. „Du kannst mir nicht einfach so einen Antrag machen“, warf sie ihm zu. „Ich mach dir auch nicht einfach so einen Antrag. Ich habe dir gesagt, dass mir gestern einiges klar geworden ist.“ „Das du mir einen Antrag machen willst?“, fragte sie ihn dazwischen. „Nein, Marron. Dass ich für immer an deine Seite sein will, dich lieben und beschützen will. Ich will jeden Morgen neben dir aufwachen, dich lächeln und deine Grübchen sehen. Verstehst du nicht?“ Sie blickte von ihm, wieder zum Ring und dann wieder zu ihm. „So einfach geht das aber nicht.“ „Oh, so einfach war das gar nicht“, meinte er scherzend, reagierte aber nicht weiter auf ihren Blick und holte den Ring aus dem Kästchen und wollte nach ihrer Hand greifen. Doch Marron riss ihm ihre Hand sofort wieder weg. „Das geht nicht.“ „Ich zeig dir, dass es geht“, meinte er mit ruhiger Stimme und lächelte sie an. „Lass mich dir zeigen, dass es geht. Dass es mit uns beiden geht. Ich liebe dich Marron und das hier ist keine Schnapsidee auf die ich eben mal gekommen bin, das hier ist mein voller Ernst.“ Sie blickte ihn verzweifelt an. Das ging doch nicht einfach. Aber da hatte Chiaki schon nach ihrer Hand gegriffen, zu sich gezogen und langsam steckte er ihr den Ring an. Seufzend und mit einem eigentlich wunderschönen Gefühl blickte Marron auf den Ring an ihrem Ringfinger. Ja, es war wirklich ein schönes Gefühl. Chiaki beugte sich wieder zu ihr und küsste sie auf die Stirn, dann legte er sich neben sie und betrachtete mit ihr den Ring, den sie anstarrte. „Lass es mich dir zeigen, Marron. Vertrau mir.“ „Das kann ich nicht“, widersprach sie ihm, ohne ihn dabei anzuschauen. „Doch ich glaube schon, dass du das kannst.“ Fragend blickte sie ihn an. Dann liefen die Tränen über ihre Wangen. Ohne langes Zögern, legte Chiaki den Arm um sie und zog sie zu sich. Er drückte ihr Gesicht an seinen Oberkörper und küsste sie auf das Haar. „Marron, ich liebe dich und ich will und kann nicht mehr ohne dich sein.“ Sie nickte nur und schluchzte. Doch sie war sich gar nicht mehr so sicher, ob es nur Tränen der Verzweiflung oder auch schon Freudentränen waren, denn sie freute sich, wirklich. Und schließlich unter all ihren Tränen nickte sie. Sie nickte an seinem Oberkörper gepresst und war sich gar nicht sicher, ob er es mitbekam. Doch Chiaki bekam es mit und es machte ihn glücklicher denn je. Sie lächelte ihn glücklich an. Ja, sie wollte ihm vertrauen. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sie sich in seiner Anwesenheit verändert hatte, zu einem Menschen, der nun eher lächelte. Ein Mensch, der nicht immer alles mit sich alleine aufnehmen musste. Ein Mensch, der nun auch um Hilfe bat, wenn es so weit sein sollte. Ein Mensch, der nun nicht mehr einsam und alleine war. Kapitel 26: Die Ruhe vor dem Sturm ---------------------------------- E.E. Cummings hat mal geschrieben: „Versuche nie, niemand anderes als du selbst zu sein, in einer Welt, die Tag und Nacht ihr Bestes gibt, um dich zu allem anderen zu machen. Und dieser Kampf ist ein schwerer Kampf, der Schwerste, den ein Mensch nur führen kann. Du darfst den Kampf niemals aufgeben.“ Marron blickte in die Akte des Patienten und lächelte diesen an. „Die Ergebnisse sehen sehr gut aus.“ „Wann kann ich denn dann gehen?“ „Das werde ich noch mit dem Oberarzt besprechen. Aber ich denke, dass Sie hier nicht länger bleiben müssen, auch wenn ich es schade finde.“ „Das sagen sie doch nur, Miss“, meinte der junge Mann. Marron mochte ihn, sie war gerne bei ihm und unterhielt sich einfach nur mit ihm. Der junge Mann hatte Leukämie und hatte schon so viele Behandlungen über sich ergehen lassen und dennoch hatte er nie den Mut aufgegeben. Eine Tatsache, die Marron bewunderte. Ja, das tat sie wirklich. Sie legte die Akte auf den Tisch und setzte sich ans Bett des Patienten. „Kann ich Sie was fragen?“ „Frau Doktor, Sie wissen doch, dass Sie mich alles fragen können.“ Er grinste sie an. Ja, dieser junge Mann war glücklich und flirtete auch gerne. Aber warum auch nicht. Er sah gut aus und verlor den Mut ans Leben nicht. Marron nickte und blickte auf ihre Hände. An ihrem Finger ruhte nun der Verlobungsring, den Chiaki ihr geschenkt hatte. Sie nahm ihn nicht mehr ab. Und wenn sie mal in eine Operation musste, dann hängte sie den Anhänger an ihre Kette, so trug sie den Ring immer ganz nah bei sich. Er bedeutete ihr sehr viel. Auch die Beziehung mit Chiaki bedeutete ihr viel. Das ganze mit Silar und Noyn, wie sich der andere Fremde vorgestellt hatte, war nun eine Woche her und Marron war seit drei Tagen wieder auf der Arbeit. Wenn es nach Chiaki gegangen wäre, dann hätte sie noch länger bei ihm zu hause bleiben sollen, doch Marron war die Decke auf dem Kopf gefallen, auch wenn sie sich mit Access viel unterhalten hatte. Sie mochte den kleinen Engel, auch wenn er sie sehr viel an Fynn erinnerte. Aber das war auch gut so, denn Marron wollte den kleinen Engel gar nicht vergessen. „Die Gerüchte sind also wahr“, meinte Samuel, so hieß der Patient nämlich, schließlich. Überrascht blickte Marron von ihren Händen auf und blickte in das lächelnde Gesicht von Samuel. „Was meinst du?“ „ „Der Ring an Ihrem Finger. Es gehen die Gerüchte hier herum, dass Sie verlobt sind. Mit dem netten Chirurgen.“ Er grinste sie an, als sie verlegen auf den Ring an ihrem Finger schaute und schließlich anfing zu lächeln. „Es sind also keine Gerüchte?“ „Nein, das sind sie nicht. Ja, Chiaki... ich meine Dr. Nagoya hat mich gefragt, ob ich mein Leben mit ihm verbringen und ihn heiraten möchte.“ „Das hätten Sie mir echt vorher sagen sollen.“ „Was meinst du?“ Er grinste sie immer noch an. „Na ja, Sie hätten mir sagen sollen, dass ich bei Ihnen gar keine Chance habe. Dann hätte ich das mit dem Flirten ganz von Anfang sein gelassen.“ „Das wäre aber sehr schade gewesen, Samuel.“ Marron lächelte ihn nun auch. „Denn ich mag dich so wie du bist.“ „Das höre ich gerne. Sie wollten mich was fragen, Frau Doktor.“ ' Marron nickte. „Ja, genau.“ Sie stoppte aber dennoch kurz. Dann blickte sie Samuel an. Er war so voller Lebensmut, dabei war sein Leben alles andere als einfach. Und dennoch hatte er nie aufgegeben. „Entschuldige die Frage. Es hat nichts mit meiner Arbeit zu tun. Das ist eine Frage, die ich dir gerne persönlich stellen möchte.“ „Nur zu“, meinte er lächelnd. Ja, er lächelte immer und das auch noch voller Zuversicht und Hoffnung. Sie blickte wieder auf ihre Hände, strich sich eine Strähne ihres Haares hinters Ohr und fing an:„Hast du nie mal daran gedacht, warum das alles?“ „Ob ich schon mal ans aufgeben gedacht habe?“ Marron blickte ihn an und nickte. „Ganz ehrlich?“ Marron nickte wieder. „Nein, ich habe nie daran gedacht.“ Er lächelte sie wieder an. „Ich bin nicht gerade gläubig oder so. Aber dennoch denke ich, dass Gott oder das Schicksal oder wer auch immer über das Leben von uns bestimmt...“ Er stoppte kurz. „Ich denke, dass man so viel Unglück bekommt, wie jemand aushalten kann. Ich denke, dass Gott mir diese Leukämie gegeben hat, weil er ganz genau weiß, dass ich damit klar komme, dass ich damit umgehen kann. Dass ich dadurch nicht zu Grunde gehe und weiterhin jeden Tag aufstehe und lächeln werde.“ Marron nickte. Das waren so schöne Worte. So starke Worte. Es waren die Worte, die sie brauchte. „Ich denke einfach, es gibt einen gewissen Prozentsatz an Unglück, den alle Menschen austragen müssen. Und dann kommt es auf die Verteilung an. Ich bin ein starker Mensch und war es schon immer, also ist es gut, wenn man mir so eine Krankheit gibt. Jemand der schwächer wäre, würde daran zu Grunde gehen, es nicht schaffen, immer Zuversicht und Hoffnung zu bewahren.“ Samuels Worte, waren so weise. Dabei war dieser junge Mann doch gerade erst mal 24 Jahre alt. Gott?! Ja, auch er hatte ihr eine Aufgabe zu gedacht. Wenn sie also Samuels Worten Glauben schenken sollte, dann hatte Gott ihr die Aufgabe gegeben, weil er wusste, dass sie sie meistern würde und darunter nicht zu Grunde gehen würde. „Ist bei Ihnen alles okay?“ Marron blickte auf. Sie lächelte und nickte. „Ja, danke.“ Sie stand vom Stuhl auf. „Ich werde mit dem Oberarzt reden und fragen, wann sie entlassen werden können.“ „Danke, Frau Doktor.“ Sie nickte, drückte ihm noch mal kurz die Hand und lächelte Samuel an. „Sie sind doch glücklich?“, fragte Samuel sie schließlich. Marron stockte kurz, sie überlegte. Doch sie brauchte nicht lange, um eine Antwort auf diese Frage zu finden. „Ja, ich bin glücklich. Ich habe Chiaki. Ich bin nicht mehr einsam.“ Chiaki stand an der Tür und blickte in das Zimmer, in dem Marron stand. Er hatte ihre Frage mitbekommen. Aber er war nicht in das Zimmer getreten. Samuel hatte Chiaki mitbekommen, hatte aber ebenso nichts gesagt. Er hörte Samuels Worte genauso zu, wie Marron sie hörte. Marron war noch nicht ganz zu ihrem alten Wesen zurückgekehrt, er wusste, dass da immer noch etwas war, was sie bedrückte und sie von innen zermürbte. Aber sie wollte nicht mit ihm reden. Er zwang sie nicht, das würde er nie tun. Sie wusste, dass er für sie da war. Und sie wusste auch, dass er ihr alle Zeit der Welt geben würde und das wollte er immer. Es ging um sie und um ihn. Sie waren ein Team. Und er wollte nicht der Anführer dieses Teams sein. Nein, dieses alte Ego von ihm hatte er abgelegt. Er wollte sie nur noch glücklich sehen und er wollte, dass sie von alleine zu ihm kam und er wusste oder eher, er hoffte, dass sie alleine den Weg zu ihm finden würde. Er lächelte, als sie sagte, dass sie glücklich war. Ja, das wollte er hören oder spüren. Er drehte sich um und ging den Gang wieder entlang. Es war Mittagszeit und Marron ging gerade mit ihrem Tablett zu dem Tisch, an dem Tomoki, Miyako und Alex saßen. „Hey ihr.“ „Oh, Marron“, meinte Miyako überrascht. Marron sah ihr an, dass sie nur überrascht spielte. Sie lächelte und setzte sich zu ihnen. „Wie geht’s euch?“ „Wundervoll. Und dir?“, fragte Miyako sofort. Marron hörte den Unterton aus Miyakos Stimme heraus, reagierte aber nicht drauf. „Alex hatte eine Affäre mit einer Schwester“, erzählte Tomoki. „Das geht dich ja mal gar nichts an“, meinte Alex zu Tomoki leicht sauer. Marron grinste. „Eine Affäre also?“ Sie nahm die Gabel in die Hand und fing an, in ihrem Salat zu stochern. „Und willst du uns nicht auch was erzählen?“, meinte Miyako an Marron und blickte diese musternd an. Marron blickte diese fragend an. „Was denn? Samuel darf bald entlassen werden.“ „Nein, das meine ich nicht. Ich meine, dass hier alle von deiner Verlobung mit McSexy reden“, schoss es aus Miyako heraus. „Und wir deine besten Freunde, davon als letzte erfahren.“ Miyako blickte auf Marrons Hand und sah den Ring. „Also ihr seid wirklich verlobt? Ist ja echt toll, wann wolltest du es uns denn sagen?“ „Miyako“, meinte Tomoki und wollte, dass Miyako sich beruhigte. „Nein, Tomoki, ich sehe gar nicht ein, dass ich mich beruhige.“ „Miyako. Es tut mir Leid“, meinte Marron schließlich. „Ja, das sollte es auch.“ Marron nickte und blickte Miyako leicht bittend an. „Also, kriegen wir mal ein paar Einzelheiten?“, fragte nun Alex. Marron grinste ihn an. „Was möchtet ihr denn hören?“ „Zum Beispiel, wie es dazu kam? Ich hatte irgendwie in Erinnerung, dass du dich letztens noch von ihm fern halten wolltest“, fiel es Miyako ein. Marron nickte. „Ja, das stimmt schon.“ „Also? Was ist seit dem passiert?“ Ja, was war seit dem passiert? Wie sollte sie ihren Freunden sagen, dass sie ein zweites Leben führte? Wie sollte sie ihren Freuden sagen, dass sie Jeanne die Kamikazediebin ist? Wie sollte sei ihren Freunden sagen, dass es gefährlich für sie war, wenn sie irgendwas davon wussten? Denn schließlich war sie das Ziel. Das Opfer. Es war merkwürdig. Jeden Moment rechnete Marron mit einem Anschlag auf sie. Einen Angriff auf sich oder auf Chiaki. Doch es war ruhig. Aber es war keine angenehme Ruhe. Es war die Ruhe vorm Sturm. Es war eine erdrückende Ruhe, wenn man genau wusste, dass es momentan zwar still war, man aber dennoch nicht glücklich sein konnte, weil man auch genau wusste, das jeden Moment etwas passieren konnte. „Kriegen wir mal eine Antwort, Miss-Ich-bin-Verlobt?“, fragte Miyako. Marron nickte. „Ja natürlich kriegt ihr eine Antwort. Sagen wir es mal so. Ich wurde angegriffen und Chiaki war da. Er ist immer dann da, wenn ich jemand brauche, aber eigentlich weiß, dass ich ja alleine bin. Genau dann taucht er auf.“ „Das ist schön“, meinte Tomoki. Miyako blickte ihre Freundin an und nickte. „Gut, dann ist diese ganze Sache hiermit abgeschlossen.“ Marron lächelte sie an und blickte ihre Freunde an. Wie froh sie doch war, dass sie diese hatte. Sie waren doch immer für sie da, auch wenn sie diese eigentlich gar nicht an sich ran lassen wollte. Aber so waren die Menschen wohl einfach. Wenn man jemand mochte, wollte man auch für diesen da sein und mit ihm Zeit verbringen, so war ja auch Chiaki. Und so langsam musste sie gestehen, dass sie ihn auch mochte. Nein, sie wusste, dass sie ihn so langsam aber sicher liebte. Vielleicht war das mit dieser Verlobung zu schnell gegangen, aber sie fühlte sich bei ihm sicher und geborgen und geschützt. Natürlich war da immer die Angst, dass er sie wieder verlassen konnte. Aber nur weil man Angst vor der Enttäuschung hat, die eine Liebe nun mal ab und an am Ende mit sich bringt, heißt es doch nicht, dass man sich nicht mehr verliebt. Nein, wie viele Menschen wurden schon verletzt und enttäuscht von den Menschen, die sie liebten. Eine Menge. Vermutlich sogar jeder einzelne Mensch. Aber deswegen geben wir dennoch nicht auf und verkriechen uns. Und wenn, dann tun wir dies nur für einen Moment. Und irgendwann verlieben wir uns wieder und die Angst wird dennoch da sein. Aber da ist auch eine Überzeugung in uns, dass wir diese Angst besiegen können, solange wir nur an den Sieg glauben. Und genau das wollte Marron tun. Sie wollte an die Liebe glauben. An Liebe, Freundschaft, Vertrauen und Hoffnung. Ja, genau daran wollte sie glauben. Sie wollte nicht aufgeben. Gott hatte ihr schließlich diese große Aufgabe gegeben, weil er genau wusste, dass sie zu den Menschen gehört, die damit umgehen können. Chiaki blickte sich um. Er war nun schon überall im Krankenhaus gewesen, aber hatte Marron nicht gefunden. Sie war doch wohl nicht ohne ihn nach Hause gegangen. Chiaki wollte das nicht und Marron hatte ihm doch versprochen, nicht alleine nach Hause zu gehen. Heute war ein stressiger Tag gewesen und er hatte keine ruhige Minute mit Marron gehabt, dabei waren sie nun verlobt, aber das hielt die Patienten wohl nicht davon ab, sich mal nicht zu verletzen oder in Unfälle verwickelt zu werden. Nein, anscheinend nicht. Aber warum wollte er sich denn beschweren. Er hatte endlich ein Foto auf seinem Schreibtisch stehen. Von der Frau, die er liebte. Sein Vater war von dieser Verlobung alles andere als begeistert und hatte auch schon versucht, auf Chiaki einzureden, doch diesem war das alles ziemlich egal. Er wollte Marron, da war er sich mehr als nur sicher. Er wusste es einfach. Er wusste, dass es das Richtige war. Er brauchte Marron. Sie erhellte einfach jeden Tag für ihn. Sie machte die Tage für ihn erträglich und überhaupt genießbar. Und erst durch sie wusste er, was er in seinem früheren Ich vermisst hatte. Er wollte nicht mehr der Junggeselle sein, der jeder Schwester im Krankenhaus hinterher schaute. Nein, er wollte endliche ehrlich und aufrichtig sein. Vor allem zu sich. Er wollte, dass er Marron gerecht war. Denn sie war aufrichtig und ehrlich und stark. Ja, sie war eine starke Person. Und sie wusste nicht mal wie stark und außergewöhnlich sie eigentlich war. Sie wusste nichts von dem Wunder was sie verbrachte, wie viele Menschen sie mit ihrer Art gut tat. Da sah er Miyako und Tomoki. Vielleicht wussten die Beiden, wo Marron war. „Hey, Miyako, Tomoki.“ „Oh, McSexy“, meinte Miyako. Chiaki blickte diese fragend an, ignorierte diese Bemerkung dann aber. Er hatte etwas Wichtigeres zu tun. Er musste einfach wissen, wo Marron ist. „Wisst ihr, wo Marron ist?“ „Ich weiß nicht, wo sie ist., meinte Tomoki. „Ich schon“, meinte Miyako schließlich. „Ja? Wo ist sie denn?“ „Im Keller“, antwortete Miyako. „Im Keller?“, fragte Chiaki skeptisch. Was wollte Marron denn im Keller des Krankenhauses? „Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen, wo Ihre Verlobte ist und was sie momentan in jeder freien Minute tut.“ Chiaki nickte ihr dankend zu. Chiaki folgte Miyako in den Keller. Sie führte ihn durch die mal leeren, mal zugestellten Flure, bis zu einem Raum, ziemlich weit hinten. Chiaki wusste kaum was in all den Räumen in diesem großen Keller war. Vermutlich wurden hier Dinge gelagert, für die oben einfach kein Platz mehr war. Miyako deutete auf die letzte Tür. Chiaki blickte Miyako fragend an. Wollte sie nicht mitkommen? „Ich denke, es ist besser, wenn Sie da alleine rein gehen.“ Chiaki nickte schließlich und öffnete die Tür. Er war ein wenig überrascht, was er darin sah. Er hörte die Musik, die aus dem CD-Player kam, der neben der Tür stand. Der Raum war nicht gerade groß, aber hier standen alte Fitnessgeräte. Sie wurden wohl aussortiert, da in der Reha-Abteilung nicht sehr viel Platz für jedes Gerät war und vermutlich wurden die meisten nur bei Benutzung herausgeholt und nach oben gebracht. Und Marron stand mitten in diesem Raum und schlug gegen einen Boxsack. Sie hatte sich Handschuhe angezogen, ihre Haare nach hinten gebunden und trug eine kurze Hose und ein kurzes ärmelloses Shirt. Was tat sie hier? „Marron?“ Erschrocken drehte sich diese um und blickte in das fragende Gesicht von Chiaki. „Chiaki...“ Sie war mehr als überrascht, ihn hier zu sehen und das sah er ihr auch an. Aber was tat sie hier? Er trat nun näher in den Raum und schaute sich um. „Was tust du hier?“ Marron senkte den Kopf und spielte nervös mit dem Verschluss der Handschuhe. Sie blickte überrascht auf, als sie Chiakis Hände auf den ihren ruhen sah. „Marron, was tust du hier?“ Sie schluckte und blickte sich dann um. „Ich will stärker werden“, antwortete sie ihm knapp. Sie blickte ihn dabei nicht an. Chiaki nickte. Ja, er verstand ,was sie hier unten tat. Aber warum sagte sie es ihm nicht? Warum schloss sie ihn immer noch aus? Es war vermutlich einfach noch alles zu neu für sie. Das hier mit ihnen Beiden. Er nickte und zog sie einfach nur an sich. Er legte sein Kinn auf ihren Kopf und strich ihr über den Rücken. „Weißt du, ich habe dich gesucht. Ich habe dich heute den ganzen Tag noch gar nicht gesehen und ich hatte schon die Angst, dass du ohne mich nach Hause gegangen bist.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich wollte mit dir nach Hause gehen.“ Chiaki lächelte, als er das hörte. Er nahm sie jeden Tag nach der Arbeit mit zu sich. Natürlich hatte sie noch ihre Wohnung. Er hatte letztens von ihr ein paar Sachen geholt. Aber er sollte mit ihr darüber reden, ob sie nicht ganz zu ihm ziehen wollte. Aber vermutlich war das noch zu früh und sie brauchte diese Rückziehmöglichkeit. Einen Ort an dem sie sich zurückziehen konnte. Und diesen wollte er ihr nicht nehmen. Nicht so lange sie sich noch nicht 100% bei ihm zu Hause fühlte. „Lass uns zusammen stärker werden.“ Er schob sie leicht von sich und blickte sie bittend an. „Nein, das ist mein Kampf.“ Chiaki schüttelte den Kopf. „Du irrst dich, Marron. Das ist nicht dein Kampf. Das ist unser Kampf. Ich werde dich nicht alleine in den Krieg ziehen lassen.“ Marron wollte den Kopf schütteln, doch da hielt Chiaki ihren Kopf fest. „Marron, das ist mein Ernst. Ich lasse nicht zu, dass du alleine kämpfen wirst.“ Sie seufzte und nickte schließlich. Chiaki war erleichtert, sie nicken zu sehen. Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Stirn. „Danke, Marron. Und nun lass uns nach Hause gehen.“ Marron und Chiaki lagen schon eine Weile im Bett. Das Licht war erloschen. Und dennoch lag sie wach, auch wenn sie sich so müde anfühlte. Marron spürte die Tränen in sich aufsteigen. Sie drehte sich zu Chiaki um und griff nach ihm. Sie wollte ihn spüren. Sie zog sich ganz an ihn heran. Fragend blickte er sie an. Er war auch noch wach. Er konnte nicht schlafen. Der Anblick, als sie da alleine im Keller des Krankenhauses trainierte, war immer noch in seinem Kopf. Sie trainierte, um sich und um ihn zu beschützen. Sie war so stark. Er war überrascht, als diese wundervolle Frau sich nun zu ihm kuschelte. Sie teilten sich zwar nun ein Bett, aber sie lagen meist voneinander entfernt. Marron zu liebe, sie wollte diese ganze Nähe noch nicht, wollte aber auch nicht, dass er nicht bei ihr im Bett schlief. „Marron?“ „Ich habe Angst“, flüsterte sie leise. Ihre Lippen bebten. Ihr ganzer Körper zitterte. Ja, Chiaki sah ihre Angst, er spürte sie deutlich genug. „Ich habe schreckliche Angst.“ Chiaki nickte und zog sie sofort zu sich. „Marron.“ „Ich habe Angst, dass wir den Kampf verlieren.“ „Nein! So darfst du nicht reden. Wir werden nicht verlieren.“ „Woher weißt du das so genau?“, fragte sie ihn und presste ihren Kopf an seinen Brustkorb, stumme, heiße Tränen rannten ihr über die Wange. „Es ist so schrecklich, zu wissen, dass Sie da draußen sind und nur auf einen Moment warten, in dem sie uns angreifen. Ich habe Angst.“ „Ganz ruhig.“ Er strich ihr über den Rücken. „Ganz ruhig.“ Auch er kämpfte nun mit den Tränen. Ja, er kannte ihre Gefühle, ihre Angst. Er hatte sie die ganze Zeit schon. Er beobachtete sie immer eine Weile, wenn sie eingeschlafen war, einfach nur aus Angst, dass er das nicht mehr lange konnte. Er beobachtete ihr Lächeln, ihre Art, nur um alles in sich abzuspeichern, damit er nichts vergaß. Er hatte Angst, sie zu verlieren und die Angst wurde mit jedem Tag größer. Mit jedem Tag, an dem sich die Gegner nicht zeigten. „Es ist okay, Angst zu haben. Ich habe auch Angst“, gestand er ihr. „Ich habe Angst, dich zu verlieren“, flüsterte er ihr zu und küsste sie. Er beugte sich über sie und blickte sie lächelnd an. „Auch ich habe Angst.“ Sie nickte und zog sein Gesicht zu ihrem und küsste ihn. Sie wollte ihn spüren. Chiaki erwiderte ihren Kuss und beide vergaßen die Tränen, die dennoch über ihre Wangen liefen. Ihr Kuss wurde leidenschaftlicher und wurde enger. Und in dieser Nacht liebten sie sich. Das erste Mal. Um ihre Angst und um ihre Furcht zu besiegen. Kapitel 27: Patient: Zen Kodoja ------------------------------- Nagoya-Klinik, 22:30 Uhr, Ortszeit. Behandlungsraum 3. Geschlecht: Männlich Alter: 17 Jahre Name: Zen Kodoja „Beatmet ihn schnell“, forderte Kaiki die Schwestern auf. „Ich starte mit der Herz-Lungen-Massage“, sagte Miyako zu ihm, die mit ihm und den Schwestern im Behandlungsraum war. „Sauerstoffsättigung immer noch bei 0.“ „Verdammt. Das weiß ich“, meinte Kaiki seufzend und blickte den kleinen Patienten an. „Ich werde ihm eine Spritze verpassen“, meinte er und blickte zur Schwester, die ihm sofort die nötigen Utensilien reichte. Kaiki zog die Spritze auf und dosierte sie dann. Er blickte unruhig zu dem jungen Mann, der auf der Trage lag. Er setzte ihm die Spritze mit Elan mitten ins Herz, in der Hoffnung, dass es sich nun entspannte. Er konnte den Jungen auch nicht defibrilieren. Denn er hatte kein Kammerflimmern. „Immer noch bei 0%“, meinte eine Schwester. Kaiki nickte, er beugte sich zu dem Gesicht des jungen Mannes herunter. „Du schaffst das, Junge.“ „Dr. Nagoya, er hat Kammerflimmern.“ Kaiki blickte überrascht auf. „Gut, ladet den Defibrilator auf.“ Er griff nach den Pads und setzte sie ihm auf den Oberkörper. Kaiki ließ die Stromladung durch den Körper jagen, durch den schwachen Körper des jungen Mannes, der eigentlich noch so viel vom Leben vor sich hatte. Eigentlich. „Noch keinen Sinus-Rhytmus.“ Kaiki nickte. „Noch mal laden“, forderte der Chef des Krankenhauses an. Es kam nicht oft vor, dass er selber noch Hand anlegte. Aber der junge Patient, den kannte er schon sehr gut und er wurde in die Nacht eingeliefert und Kaiki hatte Nachtschicht. Aber wenn dieser junge Patient eingeliefert wurde, dann wusste das ganze Krankenhauspersonal, dass sie ihn sofort anzurufen hatte. „Du willst doch nicht sterben“, hörte der junge Mann, der auf der Trage lag, eine Stimme. Eine dunkle, raue Stimme. Er öffnete die Augen und sah verschwommen die Ärzte und Schwestern, die um sein Bett standen. Da war Dr. Nagoya, er behandelte ihn immer, wenn er mal wieder in die Nagoya-Klinik eingeliefert wurde. Doch warum war das Bild so verschwommen? So grau? „Wer bist du?“ Obwohl er den Mund nicht öffnete, verließen die Worte seinen Mund. Irgendwie. Da war nur der dunkle Schatten eines Körpers, doch er konnte nichts wirklich erkennen. Dann erschien das Bild eines anderen Mannes. Das Bild eines Mannes, den er noch nie zuvor gesehen hatte. „Ich habe vorhin dein Flehen mitbekommen. Du möchtest also nicht sterben? Warum eigentlich nicht?“ Die Stimme war dunkel. Regelrecht schwarz. So wie sein Schatten. Sein Umhang. Seine Haare. Alles an diesem Mann, war dunkel und schwarz. „Weil es meiner Mutter und meinem Vater das Herz brechen würde“, sagte der junge Mann. Die hellbraunen Haare klebten ihm an der Stirn. „Obwohl deine Familie dich nicht mal in der schwersten Stunde deines Lebens im Krankenhaus besucht hat?“ „Dafür gibt es bestimmt einen Grund.“ Der schwarze Mann schüttelte den Kopf. „Ich habe dir vielleicht ein lukratives Angebot zu machen. Ich werde dir ein kräftiges Herz im Austausch gegen deine Seele geben. Na, wie findest du das?“ „Ein kräftiges Herz?“ Das klang wirklich gut, auch in dieser unrealen kalten Vision eines Traumes. „Deine Seele würdest du mir natürlich erst nach deinem Tod überlassen. Es bleibt also dir selbst überlassen, ob du sofort stirbst oder noch ein glückliches, erfülltes Leben hast, mit deinem neuen Herz.“ „Ich... will leben.“ „Clevere Entscheidung.“ Das schwarze Wesen lachte auf. „Was du aber nicht vergessen darfst. Dein neues Herz stammt aus dem Reich der Dämonen.“ Er berührte den nackten Oberkörper des Jungen. „Das heißt, solltest du dein Versprechen brechen und dein Herz mit Liebe und Zuneigung füllen, wird es aufhören zu schlagen.“ Die Augen des Jungen waren starr aufgerissen und unterliefen schwarz. Doch auch die Schmerzen und das Versprechen, was er für sein Herz gab, vergaß er, wenn er daran dachte, dass er nun ein kräftiges Herz in seiner Brust hatte. „Dämonen hassen Gefühle. Die Menschen wurden aus dem Paradies verbannt, worden, weil sie so wissbegierig waren und weil sie unbedingt die Liebe erleben wollten, müssen sie leiden.“ Der Körper des Mannes verschwand, wieder langsam in einem Schatten. „Der Preis wäre mir entschieden zu hoch.“ „Er hat einen Rhythmus.“ Kaiki blickte überrascht auf und sah auf den Monitor, dann sah er selber den Rhythmus des Herzen des jungen Mannes. „Sein Puls stabilisiert sich gerade wieder“, meinte Miyako erleichtert. „Das bedeutet... er ist wieder da“, meinte Kaiki erleichtert. Ja, er war wirklich erleichtert. Er war heute nicht bereit gewesen, sich von dem jungen Patienten zu verabschieden. Nein, heute noch nicht. „Guten Morgen“, meinte Chiaki lächelnd, als er mit Marron, um die er seinen Arm gelegt hatte, das Krankenhaus betrat. „Guten Morgen Dr. Nagoya. Guten Morgen Dr. Kusakabe.“ „Chiaki, lass das“, meinte Marron und versuchte sich von seinem Arm zu befreien. Doch dieser grinste nur „Warum denn? Soll doch jeder sehen, wie glücklich ich mit dir bin“, meinte er, lächelte sie an und küsste sie auf die Schläfe. „Mein Sohn. Ist ja schön, dass du hier auch endlich mal auftauchst“, vernahmen sie nun die Stimme von Dr. Nagoya Senior, Kaiki. „Guten Morgen Vater. Was gibt’s denn?“, fragte Chiaki seinen Vater sofort. „Marron“, meinte Kaiki nur knapp zur Begrüßung. „Guten Morgen Dr. Nagoya“, sagte sie höflich. Zumindest versuchte sie es. Auch wenn seine kalte Art und Weise sie abschreckte. „Wir sehen uns dann später, Marron.“ Diese nickte Chiaki zu und ging dann Richtung Aufzug. „Was soll das?“, fragte Chiaki seinen Vater, leicht wütend, als er sah, dass Marron außer Hörweite war. „Was meinst du, mein Sohn?“ „Ich will wissen, warum du so mit Marron umgehst?“ „Ist sie nicht Deine Praktikantin?“, fragte er Kaiki seinen Sohn. „Ja. Aber in erster Linie ist sie nun meine Verlobte.“ „Du weißt, dass ich mit dieser Verlobung nicht einverstanden bin.“ „Das ist mir ehrlich gesagt, ziemlich egal. Es geht um mich und nicht darum, was du möchtest, Vater.“, meinte Chiaki zu ihm. „Und wenn du nicht möchtest, dass ich mich nicht auch von dir abwende, so wie all die Frauen nach der Zeit, dann benehme dich Marron gegenüber, denn ich liebe sie und ich werde sie nicht verlassen, nur weil du damit nicht einverstanden bist.“ Mit diesen Worten ging auch Chiaki seinen Weg und ließ seinen Vater einfach so stehen. „Sag mal Kagura, verhalte ich mich so unmöglich?“ „Bitte?“, fragte Kagura Anataki seinen Chef und blickte diesen fragend an. Kaiki saß an seinem Schreibtisch und Kaiki ordnete gerade ein paar Unterlagen zusammen, die auf dem Besprechungstisch wirr gelegen hatten. „Vielleicht habe ich ein Problem damit, allein zu sein. Ich meine, Chiaki ist erwachsen. Er wird nicht mehr zurückkommen.“ „Da muss ich Ihnen Recht geben, Sir.“ „Würdest du den Damen in meinem Namen absagen.“ Kaiki hatte sich wieder ein paar Kandidatinnen ausgesucht, mit denen er sich treffen wollte. „Tut mir Leid aber das kann ich nicht.“ Kaiki legte die Unterlagen schön ordentlich zusammengelegt nun auf den Schreibtisch. Kaiki blickte Kagura überrascht an. „Nein, das müssen Sie schon selbst erledigen. Privates geht mich nichts an.“ Kaiki seufzte mürrisch. „Du bist ein Feigling Kagura“, murmelte er ihm zu. Marron stand gerade an der Zentrale und beendete ihren Bericht über den Patienten, den sie gerade entlassen hatte. „Fräulein Doktor.“ „Ja, Sir?“ Marron drehte sich überrascht um und blickte in das lächelnde Gesicht eines jungen Mannes mit rotem Haar. Sie hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen. „Ich wollte einen Freund von mir besuchen. Aber er ist gerade nicht in seinem Zimmer. Wären sie so freundlich und würden ihm diese Blumen bringen?“, fragte er sie. „Sir, das machen normalerweise die Schwestern“, meinte Alex Karev, der sich in das Gespräch einmischte. „Oh, Verzeihung.“ Er blickte Marron aber lächelnd an. „Würden Sie dennoch so freundlich sein, Fräulein Doktor.“ „Ja, ich mach es gerne. Aber warum denn gerade ich?“ „Tun sie mir doch bitte den Gefallen“, meinte er mit ruhiger Stimme und blickte Marron starr an. „Die kann einem ganz schön auf den Nerven gehen.“ Silar, die wahre dämonische Gestalt von Dr. Mehdi Kaan, saß auf einem Kirchturm und blickte zum Krankenhaus hinüber. „Glaubst du wirklich, du kannst Jeanne dadurch kriegen? Meinst du etwa, die lässt sich so leicht ins Handwerk pfuschen? Das kann ich mir nun mal gar nicht vorstellen.“ Der dunkle Ritter Noyn tauchte auf und lehnte sich an der Spitze „Lass das mal meine Sorge sein, ja?“ „Gut. Aber vergiss nicht. Ich helfe dir gerne, wenn du meine Hilfe benötigst.“ „Danke. Aber ich brauche deine Hilfe nicht.“ Er drehte sich um und blickte das andere dunkle Wesen wütend und starr an. „Ich will sie für mich alleine haben.“ „Nur zu. War ja auch bloß ein Angebot“, meinte Silar schnell und löste sich in diesem Moment auch sofort in Luft auf. „Warum müssen wir nun in unserer Mittagspause Blumen bei einem Patienten vorbei bringen?“, fragte Alex, Marron und Tomoki, die mit ihm im Aufzug standen. Marron trug die Blumen, gelbe Ringelblumen und lächelte ein wenig. Auch wenn sie es selber ein wenig komisch fand, dass sie einem Patienten Blumen überbringen sollte. „Warum denn nicht?“, meinte Tomoki. „Danke“, meinte Marron lächelnd zu Tomoki. Miyako hatte heute keine Schicht, sie hatte gestern Nachtschicht, deswegen war sie nun nicht da, in der Frühschicht. „Es ist schon komisch, dass du ihm Ringelblumen bringst, Marron“, meinte Tomoki. „Warum?“ Sie blickte auf die gelben Ringelblumen in ihren Händen. „Ringelblumen sind ein Zeichen des Abschiedsnehmen“, meinte Tomoki erklärend. Der Aufzug ging auf und Tomoki und Alex stiegen nach den Schwestern aus, die auch im Aufzug waren. „Wie war der Name von dem Jungen noch mal?“, fragte Alex. „Zen.“ Marron wollte auch aussteigen, als plötzlich jemand hinter sie trat und ihr den Mund zuhielt. „Halt gefälligst den Mund“, meinte die Person zu ihr. Marron atmete schwer. In der einen Hand hielt sie immer noch die Ringelblumen. Die andere Hand wurde ihr von dem jungen Mann hinter ihr festgehalten. „Ich empfehle dir, keinen Aufstand zu machen“, flüsterte er ihr zu. Dann ging die Tür des Aufzuges wieder zu. „Sobald wir das Krankenhaus verlassen haben, werde ich dich wieder laufen lassen.“ Marron schluckte schwer. Der junge Mann wollte bestimmt bedrohend wirken, aber irgendwie hatte Marron keine wirklich Angst, auch wenn er sie gefangen hielt. Aber er sah so schwach aus, zumindest soweit Marron das erkennen konnte. „Verhalte dich also ruhig.“ Marron nickte. „Darf ich dich eigentlich darauf hinweisen, dass man Patienten keine Ringelblumen mitbringen sollte.“ Marron blickte auf die Blumen. „Als Frau solltest du die Bedeutung dieser Blumen kennen.“ Es klang wie ein Vorwurf. „Ein gewisses Taktgefühl hab ich bei dir eigentlich vorausgesetzt.“ Vermutlich hielt der Junge Marron für einen Besucher, da sie ihren Kittel nicht trug. „Da hab ich wohl zu viel erwartet. Na ja, was ja nicht ist, kann ja noch werden.“ Marron errötete. Aber nicht aus Scham, sondern aus Wut. „Man soll die Hoffnung nie aufgeben.“ „Na hör mal.“ Marron riss den Arm von dem jungen Mann von sich und blickte ihn empört an. „Was erlaubst du dir eigentlich?“ „Du bist ja gar nicht so schwach, wie ich dachte.“ „Nein, bin ich nicht.“ Marron drückte auf den Knopf des Aufzuges. Damit sie wieder nach oben fuhren, da wo der unerwartete Patient eingestiegen war. Schwestern beachten den jungen Patienten schließlich wieder weg, als Marron mit ihm wieder an dem Stockwerk ankamen. „So was nennt sich Patient“, meinte Alex ein wenig empört. „Das war übrigens Zen Kodoja. Tut mir Leid.“ Damit blickte der Mann Marron an. „Ich habe von jemanden gehört, dass der junge Mann schon eine Menge durchgemacht hat.“ „Schon in Ordnung. Ich hab ihm schon verziehen, es ist ja weiterhin nichts passiert.“ Dann blickte Marron wieder zu dem Gang, in dem man Zen gebracht hatte. „Aber ein komischer Kauz ist er schon.“ Chiaki kam angerannt. „Marron, ist alles in Ordnung bei dir?“, fragte er sie überrascht. Er blickte sie an und streichelte ihr übers Haar. Marron lächelte. „Ja, Chiaki, mir geht’s gut. Es ist nichts passiert.“ Der Blauhaarige nickte. „Du machst mir vielleicht Sorgen.“ Er lächelte und blickte dann zu Kagura. „Ich will sofort wissen, warum dieser Typ hier eingeliefert worden ist“, forderte Chiaki Kagura an. „Na, was fehlt ihm?“ „Mein lieber Chiaki, du solltest doch am Besten wissen, das wir nicht einfach so Information über unsere Patienten raus geben. Das nennt man Ärztegeheimnis. Er ist nicht dein Patient, als lass es.“, meinte Kagura mit ruhiger Stimme. „Es wäre mir allerdings eine Freude, wenn du dich ein wenig um ihn kümmern würdest. Dein Vater würde das auch sehr freuen.“ „Mein Vater?“, fragte Chiaki überrascht. „Was hat denn der alte Kauz hiermit zu tun?“ „Zen ist sozusagen der Lieblingspatient deines Vaters.“ Chiaki blickte Kagura erstaunt an. So etwas hörte er zum ersten Mal. „Ich glaube ganz einfach, ein wenig Ablenkung würde dem Jungen nicht schaden.“ „Warum sollte ich das?“ „Chiaki“, meinte Marron, die seine wütende Stimme hörte und ihn beschwichtigen wollte. Doch dieser hörte ihr nicht zu. „Weil ihn bisher noch kein Mensch besucht hatte. Weder sein Vater, noch seine Mutter waren im Krankenhaus“, erzählte Kagura den Beiden. Tomoki und Alex waren inzwischen wieder zu ihrer Arbeit gegangen. Aber das war Kagura den beiden da sagte, war ziemlich schlimm. Schrecklich. „Das ist ja schrecklich“, meinte sie mit trauriger Stimme. Chiaki blickte Marron an und sah ihren bestürzten Blick. Er musste lächeln, denn er wusste, dass sie sich wohl um ihn kümmern würde. Ja, das sagte ihm dieser Blick. Der bestürzt, aber auch sanftmütig war. „Na gut, Zen ist etwa seit fünf Jahren regelmäßig hier, wegen schwerer Herzprobleme. Sein Zustand hat sich zwar in letzter Zeit erheblich verbessert, aber eine Operation wollte man vorerst nicht riskieren. So siehts aus.“ „Umso weniger kann ich verstehen, dass seine Eltern ihn hier nicht besuchen wollen“, meinte Marron entsetzt. Inzwischen war ihre Stimme nicht mehr so ruhig, sondern eher aufgebracht. Sie war sogar wütend. „Was soll ich dazu sagen. Es wird dafür mit Sicherheit einen plausiblen Grund geben“, meinte Kagura mit ruhiger Stimme, die er schon während das ganze Gespräch über hatte. „Das gibt’s doch nicht“, meinte Marron nun mit ruhiger Stimme. Chiaki und Marron saßen in Kaguras Büro. Marron saß auf dem schwarzen Ledersessel und starrte auf ihre Hände, die sich zu Fäusten geballt hatten. Sie verkrampfte regelrecht. Chiaki sah sie entsetzt an. „Irgendwie tut er mir Leid.“ Sie seufzte schwer. „Er muss sich wahnsinnig einsam fühlen.“ „Ja, und leider setzt sich das mittlerweile in seinem Verhalten nieder. Die Schwestern machen sich wegen seinem Verhalten ernsthafte Sorgen“, erklärte Kagura mit ruhiger Stimme und blickte Chiaki an. Doch dieser schaute nur auf Marron. Und in ihrem Blick lag Trauer und Mitleid. Vermutlich musste sie nun wieder an ihre eigenen Eltern denken. „Ich würde ganz gerne wissen, warum seine Eltern ihn nicht besuchen“, meinte Marron traurig. Sie saßen in der Kantine und Marron stocherte nur lustlos in ihrem Essen. „Vielleicht arbeiten sie ja“, meinte Chiaki schließlich zu ihr. Er blickte sie liebevoll an. „Ich erinnere mich an ein Zitat aus einem Roman. Es besagt, behandele dich selbst besser, als die Kinder. Und das beherzigen Zens Eltern wohl.“ „Na ja, aber ich meine...“ „Also auf meinem Vater trifft das hundertprozentig zu. Er hat immer gemacht, was er wollte.“ Marron blickte Chiaki erstaunt hatte. Er hatte ihr noch nie etwas über seine Familie erzählt. Vermutlich kannte er mehr von ihr, als sie von ihm. „Da wurde keine Rücksicht genommen und in deinem Fall ist es doch genauso. Ein Brief in zehn Jahren und von deinem Geschwisterchen erzählen sie dir via Anrufbeantworter.“ Marron seufzte auf. Aber irgendwie musste sie ihm ja zustimmen. Er hatte mit seinen Worten Recht, auch wenn sie wehtaten. Aber die Wahrheit tat ja meistens weh. „Ich will ihn nachher besuchen gehen.“ „Das war mir schon klar“, meinte Chiaki und schmunzelte sie an. „Das war dir klar?“ „Natürlich Süße. Ich kenne dich inzwischen schon ein wenig. Oder denkst du nicht?“ Sie nickte. Auch wenn es immer noch ein wenig komisch war, so war sie doch froh, dass sie Chiaki hatte. Er gab ihr Halt und Kraft. Wenig später war Marron in ihrem Ärztekittel auf den Weg zu Zen. Sie wollte ihn besuchen, ihn ein wenig Gesellschaft leisten. „Frau Kodoja, Zen liegt inzwischen in einem anderen Zimmer.“ Überrascht drehte Marron sich um, als sie die Stimme der Schwester hörte. Sie sah eine Frau, vor einem Zimmer stehen, still und unsicher. Doch als die Schwester sie nun ansprach, nickte sie dankend und rannte weg. War das Zens Mutter? Marron eilte ihr hinterher. Doch sie merkte schnell, dass sie sie nicht erreichte, also blieb sie bei der Schwester stehen. „Das war also die Mutter von Zen?“ „Ja, aber sie hat ihn mal wieder nicht besucht“, meinte die Schwester nur und seufzte auf. „Sie kommt jeden Tag und steht nur vor seiner Tür.“ „Sie kommt jeden Tag?“ Die Schwester nickte und bestätigte dies mit einem traurigen: „Ja.“ Marron seufzte. „Sie betet für ihren einzigen Sohn und verschwindet dann wieder“, erzählte die Schwester Marron. „Ach wirklich?“ Marron schaute auf die Tür, in der Zen gelegen hatte. „Ist Zen in diesem Zimmer da?“ „Ja“, meinte die Schwester und öffnete die Tür. Marrons Augen weiteten sich, als sie das Innere des Zimmers sah. Himmelblau war es angestrichen, mit weißen Schäfchenwolken an der Wand. Flugzeuge hingen vom Himmel. Es roch luftig. Es war wunderschön. Eher wie ein Kinderzimmer, nicht wie das Zimmer eines jungen Mannes. Und Mittendrin das Bett von Zen. „Er ist eigentlich niedlich, wenn er schläft“, meinte die Schwester. Marron blickte die Schwester skeptisch an, lächelte aber. „Ja, irgendwie schon.“ „Ich werde wieder verschwinden, bevor er aufwacht. Ich bitte Sie, Frau Doktor, tun Sie nichts, was ihm aufregt.“ „Gewiss“, meinte Marron mit ruhiger Stimme. Sie blickte den jungen Mann an. Er sah so schwach aus. Dann riss er die Augen auf und blickte sie mit blassblauen Augen an. Er richtete sich im Bett auf, hielt sich den Kopf und blickte Marron skeptisch an. „Was machst du in meinem Zimmer?“ „Also erstens, bin ich Doktor und es wäre nett, wenn du mich Siezen würdest. Und zweitens, wollte ich dich besuchen“, meinte Marron und lächelte ihn sogar an. Zen blickte sie skeptisch an. „Wolltest du mich im Aufzug verprügeln?“ „Also verprügeln ist wohl zu viel gesagt, aber irgendwie musste ich mich ja gegen dich wehren, nicht wahr, junger Mann?“ „Entweder Sie sind nett zu mir, oder sie verlassen mein Zimmer“, meinte Zen drohend. Marron blickte ihn leicht empört an. Dieser Zen war wirklich eine Kragenweite für sich. Marron stand immer noch am Bett und blickte sich im Zimmer um. „Du stehst also auf Flugzeuge?“ „Ja, ich war richtig verrückt danach, aber das ist schon lange her.“ Er stoppte seine Worte. „Ich habe immer geträumt, zu fliegen. Aber das wird wohl ein Traum bleiben.“ „Ach komm schon. Du wirst schon wieder gesund werden.“ Marron ohrfeigte sich innerlich und sie wusste doch selber, dass man eine Herzkrankheit oft nicht einfach so leicht überwand. „Ach Quatsch. Sie sind doch selber Ärztin. Würden Sie mich jetzt bitte alleine lassen. Ich will jetzt keinen Menschen mehr sehen.“ „Selbst deine Eltern nicht?“, fragte er sie ihn mit ruhiger Stimme. „Was für eine Frage?“, fragte er sie und blickte sie starr an. „Ich habe deine Mutter eben vor deiner Zimmertür stehen sehen, weißt du“, fing Marron an. Zen lächelte schief und legte sich wieder in seinem Bett zurück. „Netter Versuch. Hätte ja klappen können.“ „Das ist wahr. Aber nach einer Weile ist sie wieder gegangen.“ Sie blickte ihn fragend an. „Habt ihr vielleicht Probleme?“ „So einen Blödsinn. Es ist alles Bestens.“ „Du lügst.“ Marron wusste nicht warum sie sich mal wieder zu sehr in die Geschichte von Patienten einmischte. Wenn Chiaki das erfahren würde, wäre er vermutlich gar nicht mal so begeistert. „Sag mal, was willst du eigentlich von mir. Weißt du, Blut ist nämlich nicht dicker als Wasser“, meinte er zu ihr. „Die Beiden interessieren mich genauso wenig wie umgekehrt.“ Marron seufzte auf. Das konnte doch echt nicht wahr sein. Warum sagte er so was? „Das glaube ich nicht!“, widersprach sie ihm sofort. „Ich glaube, dass deine Familie dich liebt.“ Sie stoppte ihre Worte. „Zumindest hoffe ich das“, murmelte sie noch leiser hinterher. „Das hoffst du? Da bist du dir gar nicht mehr so sicher?“ „Doch. Ich glaube daran.“ Marron schaute auf den Boden und ganz so leicht fiel ihr das Reden nicht. „Man muss einfach daran glauben.“ „Ja. Dann wollen wir doch mal glauben.“ „Aber du konntest dich bisher wohl noch nicht davon überzeugen?“, fragte sie ihn mit ruhiger Stimme. „Hast du dich denn davon überzeugt?“, fragte Zen sie nun. Er hatte nun seine Arme unter seinem Kopf verschränkt. „Na ja, ich würde mal sagen...“ Zen schwang sich wieder auf und saß wieder aufrecht in seinem Bett. „Das reicht nicht“, sagte Zen schnell. „Du glaubst also wirklich an die Liebe der Eltern?“ Er blickte sie fragend an. „Tja, irgendwie gefällt mir deine Naivität.“ Er grinste sie an. „Ja, vielleicht bin ich naiv“, gestand sie ihm. Überrascht blickte Zen sie nun an. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. „Aber mein fester Glaube daran, erhält mich am Leben. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich davon geträumt habe, irgendwann einmal über den Ozean zu fliegen.“ Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie blickte starr auf den Boden. Das Reden fiel ihr von Mal zu Mal schwerer. Aber irgendwie tat es ihr auch gut, mit Zen zu reden. Auch wenn sie ja eigentlich wegen ihm hier war. „Über den Ozean?“, fragte Zen überrascht. „Was ist zwischen deiner Mutter und dir passiert?“, fragte sie ihn wütend. Sie zeigte auf die Tür. „Warum muss diese arme Frau vor der Tür stehen und weinen? Sie traut sich nicht ins Zimmer. Warum hilfst du ihr nicht? Du kannst ihr doch die Tür öffnen.“ Marron vergaß gerade alle Regeln und Moral. „Du willst sie bestrafen, aber damit bestrafst du dich doch auch selbst. Du weist deine Mutter ab. Das ist doch dumm. Denn dabei möchtest du sie doch in Wirklichkeit sehen. Weil du sie vom ganzen Herzen liebst.“ Das Gesicht von Zen verzerrte sich vor Wut. „Aber das könnte ja wieder wehtun, wenn du sie näher an dich ran lässt.“ „Los! Verschwinde!“, schrie er plötzlich. „Lass dich hier nie wieder blicken.“ Marron schrak zurück. Nun erkannte sie, was sie ihm da alles vorgeworfen hatte. „Wie war dein Tag, Marron?“, fragte Chiaki seine Verlobte. Sie saßen schon eine Weile gemeinsam im Wohnzimmer. Der Blauhaarige saß auf der Couch und die Braunhaarige davor. Chiaki ging ein paar Unterlagen durch und Marron beschäftigte sich mit Büchern der Ausbildung. Doch Chiaki hatte Marron schon eine Weile beobachtet und hatte bemerkt, dass sie sich gar nicht wirklich auf ihre Bücher konzentrierte. Nein ihr Blick schien regelrecht leer zu sein. „Marron?“, fragte er sie noch mal, als sie auch auf seiner direkten Frage an sie nicht reagiert hatte. Überrascht blickte sie ihn an. „Was?“ Er lächelte. Chiaki legte seine Unterlagen zur Seite und rutschte zu ihr von der Couch und setzte sich neben sie. „Ist alles okay bei dir?“ „Ja, eigentlich schon.“ „Und uneigentlich?“ Er strich ihr eine Strähne ihres Haares hinters Ohr und lächelte sie einfach nur an. „Es ist wegen Zen“, fing sie schließlich an. „Das dachte ich mir schon.“ Er legte den Arm um sie und zog sie zu sich. „Marron, möchtest du drüber reden?“ „Ich hab ihm ziemlich schlimme Sachen an den Kopf geworfen.“ Überrascht blickte er sie an. „Du wirst dem Lieblingspatienten meines Vaters schlimme Sachen an den Kopf?“ Marron seufzte. „Wir haben viel über elterliche Liebe gesprochen.“ „Verstehe“, meinte Chiaki nur und küsste sie auf die Schläfe. „Was meinst du damit?“ „Mit was?“ „Mit 'Verstehe' natürlich?“ Sie schob sich etwas von ihm, um ihn direkt anzuschauen. Chiaki lächelte und zog sie wieder zu sich. „Marron, schon allein in dem Moment als Kagura uns Beiden von diesem jungen Mann erzählt hatte, wusste ich, dass er dich nicht mehr loslässt.“ „Warum?“ „Warum ich das wusste?“ Sie nickte. „Weil ich dich schon ein wenig kenne. Und weil du ein großes Herz hast“, erklärte er ihr. „Und...“ „Und?“ „Und weil es auch um seine Eltern geht.“ „Mmmh“, meinte sie dazu nur. Sie wusste, dass er Recht hatte. Natürlich hatte Chiaki Recht. Er kannte sie inzwischen wirklich schon ein wenig. Mehr als ein wenig, traf es schon eher. „Du versuchst mich ja auch immer wieder mit meinem Vater näher zu bringen, dabei legt er vor allem dir Steine in den Weg.“, meinte Chiaki ganz nebensächlich. Er legte seine Finger an ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich herum. „Marron...“, hauchte er ihr sanft zu. Marron musste schmunzeln, als sie seinen sanften Blick sah. Sie zog ihn nun ein wenig näher an sich heran und küsste ihn liebevoll. Chiaki fing leicht an zu schnurren, zumindest hörte es sich so für sie an. Sie grinste und ließ sich mit ihm nach hinten fallen, auf den weichen, weißen Teppich. Chiaki war über diese Reaktion von Marron ein wenig erstaunt, doch er war gerade schon dabei, alles um sich herum zu vergessen und die Kontrolle über sich zu verlieren. Seine Hände streichelten über ihren Pullover und zu dem Saum. An dieser Stelle verweilte er ein wenig, bis seine Hände darunter gelangten. Chiakis Hände machten sich anscheinend auch ein wenig selbstständig und ruhten nun an ihrer Seite. Er zog sie ein wenig fester zu sich. Seine eine Hand wanderte nun zu ihren Nacken hoch, strich dabei über ihre Wirbelsäule und sorgte dafür, dass ihr ein leichter Schauer über den Rücken lief. Schließlich ruhte seine Hand in ihrem Nacken, an dem er sie festhielt und den Druck den ihr Kuss schon ausübte, verstärkte. „Marron...“, seufzte er leicht auf, als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten „Entschuldigung“, brachte Marron nur hervor, grinste ihn aber an. „Warum entschuldigst du dich denn?“, fragte er sie liebevoll. Marron zuckte einfach mit der Schulter. Sie wusste es selber nicht, also was sollte sie ihm denn sagen. „Du bist mir schon Eine“, sagte er lächelnd und zog sie wieder zu sich. „Ich liebe dich“, hauchte er ihr leise zu. Seine Lippen berührten nur leicht die Außenseite ihrer Ohrmuschel und wanderten dann mit sanften Küssen über ihren Hals zu ihrer Schulter, die vom etwas weiten Ausschnitt ihres Pullovers frei gegeben wurde. Ein kalter Schauer rieselte sanft und betörend über ihren Rücken und sie war recht froh, dass er sie festhielt, denn sonst wäre sie wie in einem alten Stummfilm beseelt zu Boden abgesunken. Aber ein Glück lagen sie ja schon auf dem Boden.. Als Marron am nächsten Tag zur Arbeit ging, ging sie durch den Park, denn sie wollte direkt ins Labor gehen. Sie hatte heute Labordienst. Und durch den Klinikpark gelangte sie dort am schnellsten hin. Überrascht blieb sie stehen, als sie Zen auf einer Parkbank entdeckte. Ein kleiner Junge rannte zu ihm und Zen lächelte ihn an. Viel bekam Marron von dem Gespräch der Beiden nicht mit. Denn plötzlich meldete sich auch ihr Amulett, das anfing zu piepsen. Warum meldete es sich denn? Das hieß nur eines... hier gab es einen Dämonen. Kapitel 28: Wie war das mit dem Schach Matt? -------------------------------------------- Marron Kusakabe, angehende Ärztin stand immer noch im Klinikpark an einen Baum gelehnt und blickte auf die Szene vor sich. Bis sie plötzlich das Piepsen ihres Amulettes vernahm. Das konnte nicht sein. Nein, das durfte nicht sein. „Was ist auf einmal los mit dir?“, hörte Marron die Stimme des kleinen Jungen, mit dem Zen eben noch ein wenig gespielt hatte. Marron blickte auf und sah, dass Zen nicht mehr wie eben auf der Bank saß, nein er kniete davor und hielt sich die Brust. Er hatte die Hand an seinem Herzen. Was hatte das zu bedeuten? Ging es ihm nicht gut? Warum piepste ihr Amulett? „Das kann doch nicht...“ Sie spürte plötzlich eine dunkle Aura und auch der kleine Junge schien sie zu spüren, denn er wich von Zen zurück. „Ist Zen... von einem Dämon besessen?“, fragte Marron sich und seufzte. War das wieder ein Unschuldiger, der auf ihr Konto gehen würde? War er von einem Dämon besessen, weil sie zu viel Zeit mit dem Jungen verbracht hatte. „Bitte nicht“, bat sie und schaute in den Himmel. „Aber bisher hatte ich doch keine dämonischen Anomalien bei ihm bemerkt?“ Sie seufzte und holte tief Luft. „Hatte ich vielleicht etwas übersehen gehabt?“ Sie wusste nicht weiter. Aber sie war sich sicher, dass Zen nun von einem Dämon besessen war und bei so etwas wusste sie ja, wie sie zu reagieren hatte. Sie griff nach ihrem Amulett und nahm es wie immer, wie zu einem Gebet zwischen die Hände, schloss die Augen. „Fynn, gib mir die Kraft und lass...“ „Fräulein Doktor, was machen Sie denn hier im Park?“ Überrascht blickte Marron auf. Sie sah sich um und entdeckte im Schatten eines anderen Baumes den Mann, der Marron gestern die Ringelblumen gereicht hatte. „Hallo.“ Seine langen roten Haare wirkten im Schatten dunkler, fast schwarz. „Mit Ihnen habe ich hier nun gar nicht gerechnet. Ich finde es ein bisschen zu früh am Tag, um einen Diebstahl zu begehen.“ Marrons Augen weiteten sich. Was sagte er da? Diebstahl? Wusste er etwa, dass sie Jeanne, die Kamikazediebin war? Wer war dieser Mann? „Darf ich mich vorstellen. Mein Name ist Shikaido“, meinte er freundlich. Doch Marron starrte ihn immer noch wie gebannt an. Was war das für ein Mann? „Lassen Sie uns doch einen Kaffee trinken.“, schlug er ihr vor. „Ich muss arbeiten.“ „Ja? Müssen sie ihrer Arbeit im weißen Kittel nachgehen oder wollen sie wieder in der Nacht über die Dächer springen?“, fragte er amüsiert. Er wusste also, wer sie war. Aber warum? Wer war dieser Mann? Marron schluckte schließlich und begleitete den fremden Mann, der so viel über sie wusste. „Gut, wie du meinst. Jeanne stiehlt um den Herrn, vor dem bösen Dämon zu bewahren“, fasste Herr Shikaido Marrons Worte zusammen. Marrons Erklärung würde für viele Menschen irrsinnig klingen, aber aus irgendeinem Grund schien er ihr zu glauben. Er glaubte ihre Worte, kaufte sie ihr ab. „Haben Sie schon lange die Vermutung, dass ich... Haben Sie mich verfolgt oder so?“ „So ähnlich. Aber es hat mir richtig Spaß gemacht, Sie im Ungewissen zu lassen.“ Er lächelte. „Manchmal fand ich es regelrecht spannend, wie Jeanne die Polizisten aufs Korn legte.“ Marron seufzte auf. Er wusste also wirklich, wer sie war und dass sie die Polizisten oft ärgerte und sich einen Spaß mit ihnen erlaubte. „Aber wieso sind Sie...?“, wollte Marron ihn fragen. „Wissen Sie, es gab da etwas, was mich besonders reizte.“ „An mir?“ „Ja, und an den Menschen, mit denen Sie zu tun haben.“ Da war es wieder. Die Menschen, mit denen Marron zu tun hatte. „Aber ich verstehe nicht, was das alles mit Zen zu tun hat.“ „Das war vermutlich purer Zufall“, meinte Herr Shikaido erklärend und nippte an dem Becher Kaffee. Sie saßen im Park und unterhielten sich, so unauffällig es nun mal ging. Marron wollte nicht weggehen, sie wollte in der Nähe bleiben und von hier aus würde Chiaki sie sehen, falls er sie suchen sollte. „Jeder x-beliebiger Mensch wäre in Frage gekommen.“ „Wie bitte? Ich verstehe nicht.“ Was meinte er mit seinen Worten? Jeder Patient? „Sagen wir, es waren seine Gehirnströme, die mich offensichtlich magisch angezogen haben. Ich bin seit längerem dafür empfänglich. Als ich im Krankenhaus vorbeiging, konnte ich sein Zimmer als Schatten wahrnehmen.“ „Warum haben Sie mir, die Ringelblumen gegeben?“ „Weil ich Ihnen vertrauen konnte und es klappte ja auch geradezu perfekt.“ Marron blickte den fremden Mann neben sich an. Er war ihr unheimlich. Sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte. Er machte ihre Angst. Sie sollte auf der Stelle mit Chiaki darüber reden. Aber anscheinend wollte dieser Mann sie ja auch nicht an der Polizei verraten, sonst hätte er das schon längst getan. Was wollte er also von ihr? „Dafür gab es einen Grund“, sprach er weiter. „Ja, es war ihre charismatische Ausstrahlung, die mich faszinierte.“ Marron musste schwer schlucken. Was hatte er da gesagt? Wollte er vielleicht was von ihr? „Was?“ „Ich habe dich nie an deinen Taten gehindert oder dich an jemanden verraten, Jeanne“, sprach er weiter. „Dafür möchte ich aber im Moment deine Hilfe in Anspruch nehmen.“ Marron traute sich kaum, richtig zu atmen. Das war gerade alles ein wenig zu viel. Erst sagte er ihr, dass er wusste, wer sie war. Dann sagte er irgendwas von Gehirnströmen, die er spüren konnte. Nun duzte er sie und sprach sie mit 'Jeanne' an. Was war das für ein Kerl? „Und zwar habe ich vor, deine Macht zu benutzen“, sprach Herr Shikaido in ruhiger, dunkler Stimme. „Aber... ich...“ So was würde sie nie zustimmen. Nie. Dann würde sie lieber ins Gefängnis gehen. Aber sie würde sich nicht benutzen lassen. Garantiert nicht. „Ich kann dich nicht einfach gehen lassen, Jeanne. Ich will dir doch nur helfen.“ Was? Sie wollte ihm widersprechen, doch als er sie mit seinen Augen ansah, die ihr irgendwie rot vorkamen, konnte sie ihm nicht mehr widersprechen. Rot und fordernd. „Ich will dich beschützen“, sagte er nun leiser. Aber sie hörte es immer noch ganz genau. Er war ihr wohl ein wenig näher gekommen. Marrons Augen waren weit aufgerissen, starr schaute sie ihn an. Es war, als verlor sie gerade unter seinem Blick ihre ganze Willenskraft. Er hatte eine Macht über sie. Über ihren Körper. Sie errötete. Warum auch immer? Hatte er ihren Willen gebrochen? „Und warum tun Sie es dann nicht?“, fragte sie ihn. Wenn er sie doch beschützen wollte, warum bedrängte er sie dann nun so? So beschützte er sie bestimmt nicht. Aber das wollte sie gar nicht zu ihm sagen. Warum kamen diese Worte über ihre Lippen? Herr Shikaido lächelte, als er ihre Worte vernahm und hob seine Hand, um ihr Kinn zu berühren. Doch da wurde dieses Bild gestört. „Nimm deine Finger von Marron.“ Chiaki hatte Herr Shikaido hart am Arm gepackt und blickte ihn wütend an. „Chiaki“, stellte Marron erleichtert fest. Ja, sie war erleichtert, dass er gekommen war. Aber warum war er so böse? „Es gefällt mir nicht im geringsten, dass Sie meine Verlobte, auf offener Straße belästigen“, sagte er nun mit ruhiger Stimme. „Aber Chiaki...“, wollte sie ihm widersprechen. So war das nicht. Er sah das falsch. War er etwa wütend auf sie? Doch Chiaki hörte gar nicht auf sie, legte den Arm um sie und ging mit ihr einen Schritt von Herrn Shikaido weg. „Ich danke Ihnen vielmals, dass Sie sich um Marron gekümmert haben und ihr einen Kaffee spendiert haben. Den Rest des Weges schaffen Marron und ich auch alleine.“ „Sag mal, was ist denn los mit dir?“, fragte sie ihn, denn er blickte sie immer noch nicht an. Sein Blick galt allein Herrn Shikaido und dieser war alles andere als freundlich. „Ich verabschiede mich dann jetzt wohl besser. Bis bald“, sagte der Rothaarige mit einem amüsierten Lächeln auf dem Gesicht. Er ging an ihnen vorbei, blieb aber auf der Höhe von Chiaki stehen. „Ach ja. Herr Nagoya, ich würde lieber aufhören. Das Spiel im Dunkeln ist zu gefährlich.“ Chiakis Augen weiteten sich bei diesen Worten. Was wusste dieser Kerl wirklich alles? Weiß er, wer ich bin? Dann verschwand der Kerl. „Ist alles okay, Chiaki?“, fragte Marron ein wenig besorgt. Doch dieser ließ einfach nur den Arm von ihrer Schulter fallen und ging wieder zum Eingang des Krankenhauses, ohne sie noch mal anzuschauen. In der Mittagspause konnte Marron es vereinbaren, dass sie zur Eishalle konnte. Zum Glück war diese ja nicht sehr weit vom Krankenhaus entfernt, nur zwei Blocks. Mit einem Gefühl der Leichtigkeit und Freiheit trat sie auf ihren Kufen aufs Eis und fing an zu laufen. Sie hatte mal wieder ihren I-Pod mitgenommen und durch die Kopfhörer dröhnte angenehme Musik. Gerade jetzt lief das Lied 'Concrete Angel' von Martina McBride (http://de.youtube.com/watch?v=i2hPC2uNB6o&feature=related). Sie fuhr mal wieder sehr intensiv und tanzte regelrecht auf dem Eis. „Marron.“ Chiaki stand am Rand und rief sie, doch sie schien ihn nicht zu hören. Er war gerade erst gekommen und wollte sich entschuldigen. Sein Abgang heute Vormittag war nicht gerade toll gewesen. Aber er war ein wenig wütend gewesen. Aber dabei nicht mal auf Marron. Nein, er war wütend auf diesen fremden Kerl und dann war er wütend auf sich selber. Und dann auf die Tatsache, dass dieser Kerl anscheinend wusste, wer er war. Aber niemals auf Marron. Nein, er konnte doch gar nicht wütend auf sie sein. Sie machte ihn zu einem besseren Menschen und dafür war er ihr mehr als nur dankbar. Er hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie ihm mehr gab, als er ihr zurückgeben konnte. Aber Marron beschwerte sich nie und das einzige, was er momentan für sie tun konnte, war, dass er ihr Zeit gab. „Sie wird dich nicht hören.“ Chiaki blickte überrascht auf und entdeckte Ariane. Er hatte sie schon kennen gelernt. Sie war eine von Marrons engsten Freundinnen und dass sie nicht gerade viele Menschen an sich heran ließ, wussten wohl Beide. Daher mochten sie sich auch von Anfang an. Die blonde junge Frau lächelte und setzte sich zu ihm. „Sie hat immer ihre eigene Musik dabei, deswegen hat sie Ohrstöpsel und hört dich deswegen nicht.“, meinte sie erklärend. Sie lächelte ihn an und blickte dann wieder zu Marron. „Ist etwas vorgefallen?“ „Wie kommst du darauf?“ „Ganz einfach. Ich kenne Marron schon länger und ich weiß, wie sie fährt, wenn sie etwas beschäftigt.“ Chiaki blickte zu seiner Verlobten. „Ich habe mal wieder etwas Mist gebaut.“ Ariane lächelte. „Sie wird dir schon wieder verzeihen.“ „Ja, ich hoffe es doch.“ Aber eigentlich machte er sich nicht zu sehr Sorgen darum. So schlimm war es doch nicht gewesen, dass er einfach gegangen war. Hoffte er zumindest. „Ich denke schon“, meinte sie lächelnd. „Wie läuft es sonst so zwischen euch?“ „Sie will immer noch ihre Wohnung behalten. Dabei steht die momentan eigentlich schon leer, da ja schon alles bei mir ist.“ „Maronn will also mal wieder einen Plan B haben.“ „Vermutlich. Ich dränge sie ja auch nicht.“ „Das weiß sie. Sie wird die Wohnung schon kündigen.“ Chiaki nickte, dass wusste er auch. Irgendwann. Was Marron wohl mit diesem Mann besprochen hatte, wenn er wusste, wer er war? Wusste er etwa auch, wer Marron war? „Wie lange läuft sie normalerweise?“ „Bis sie ausgepowert ist“, meinte Ariane lächelnd. „Ah, sie hat uns entdeckt.“ Sofort blickte Chiaki zu Marron und sah, dass sie an den Rand fuhr. „Sag ihr liebe Grüße von mir. Ich muss weiter“, verabschiedete sich Ariane. „Danke, Ariane.“ „Gern geschehen.“ Er nickte. Chiaki stand auf, ging die Bänke herunter und trat zu der Öffnung, an derman, aufs Eis treten konnte. An dieser stand nun Marron. „Was machst du denn hier?“, fragte sie überrascht, lächelte aber. Ihre Wangen waren rot. Ihr braunes Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden, doch anscheinend nicht fest genug, denn einzelne Strähnen lösten sich schon daraus. Sie sah hinreißend aus. „Ich wollte mich entschuldigen“, sagte er erklärend. Sie nickte und lächelte. „Ist schon okay.“ „Nein, eigentlich ist es nicht okay, wenn ich einfach gehe.“ „Chiaki“, wollte sie ihm widersprechen. Er seufzte und umarmte sie. „Du siehst übrigens hinreißend aus. Ich werde dich glaub ich, ab nun öfters beobachten kommen.“ „Mach das.“ Sie küsste ihn auf die Wange. „Ich geh mich schnell umziehen, dann können wir zurück.“ Chiaki nickte lächelnd. „Ich warte auf dich.“ Ja, sie war wirklich eine hinreißende Frau. Er wusste gar nicht mehr, was er ohne sie anfangen sollte. Sie war sein Tagesinhalt geworden. Wenn sie nicht da war, fühlte er sich leer. Marron stand auf einem Gebäude und blickte in die Nacht. Chiaki hatte noch ein Geschäftsessen und wollte von dort dann direkt nach Hause kommen. Aber Marron war noch nicht zu hause. Sie war gar nicht zu hause gewesen. Vermutlich suchte Chiaki sie schon. Ja, das war sehr wahrscheinlich. Das Handy hatte sie gar nicht mitgenommen gehabt. Chiaki hatte bestimmt versucht, sie mehrmals anzurufen. Aber sie konnte ihn jetzt erst mal nicht sprechen. Sie musste was erledigen. Sie blickte zum Himmel und legte ihre Hände, wie für ein Gebet zusammen. „Fynn, wann sehe ich dich wieder?“ Sie seufzte. „Ich muss Zen retten.“ Sie nickte. „Fynn, gib mir die Kraft und lass Jeanne d'Arc mich erhöhen“, sprach Marron wie ein Gebet. Sie hielt das Kreuz in der Hand und spürte die unheimlich starke Energie, die sie daraus durchströmte. „Stark, bereit, unbesiegbar, schön, entschlossen, mutig.“ Dann stand sie da nun. Jeanne. Wie lange musste sie dieses Doppelleben noch spielen? Wie lange spielte sie es schon? Nun war sie zwar wenigstens nicht mehr alleine. Nein, sie hatte Chiaki. Der Junge mit den hellbraunen Haaren, Zen, war auf dem Dach des Krankenhauses. Mal wieder konnte er nicht schlafen und der helle Mond schien Wache über ihn zu halten. Er saß auf der Bank, auf den in der Mittagspause oft Schwestern saßen oder wenn Ärzte und Pflegepersonal eine Raucherpause einlegen wollten, dann kamen sie meist alle hier hoch. Aufs Dach des Krankenhauses. Zen blickte auf den Papierflieger in seiner Hand. Er stand von der Bank auf und warf ihn in die Luft. Er ließ den Papierflieger fliegen. Er blickte ihm sehnsüchtig hinterher. Ja, wie gerne würde er endlich fliegen können. Er war überrascht, als sich plötzlich hinter den Flieger ein Schatten bildete und dieser Schatten landete nun auch noch auf dem Dach. Die junge Frau mit den blonden Haaren hatte den Papierflieger aufgefangen und hielt ihm ihn nun hin. „Wer bist du?“ Zen wusste nicht, wie ihm geschah. „Bist du etwa ein Engel?“ Seine blassblauen Augen waren überrascht geweitet, er blickte Jeanne an, staunend, mit offenen Mund. „Ich träume. Ich glaub, das ist ein Traum.“ Mit langsamen Schritten trat er auf Jeanne zu, die bisher noch kein Wort gesagt hatte oder näher an ihn heran getreten war. „Oh, bitte, lass mich nicht träumen.“ Er lächelte und hob die Arme, so als wollte er sie umarmen. Doch er fasste sie nur an die Schulter. Zu mehr schien seine Kraft nicht zu reichen, stellte Jeanne ein wenig erschrocken fest. „Wenn das die Wirklichkeit ist, flehe ich dich an, lass mich fliegen.“ Seine Stimme klang bittend. „Ich bitte dich.“ Jeannes Augen, die meist nur so von Energie strahlten, sahen den Jungen nun traurig an. „Aber du musst doch...“ Jeanne wusste, dass er im Krankenhaus bleiben musste. Seine Augen weiteten sich, er trat einen Schritt zurück. „Ach so... ich verstehe... wer du bist.“ Er drehte ihr den Rücken zu und rannte weg. „Warte!“ Doch da war Zen schon stehen geblieben. Es war wie ein Stich direkt ins Herz gewesen. Er blieb ruckartig stehen, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er fasste sich an die Brust, da wo sein Herz schlug. Er hatte Schmerzen. Schreckliche Schmerzen. Seine Augen liefen schwarz an. Ihm wurde kalt. „Zen!“ Jeannes Stimme durchhalte die Nacht. Sie musste mit ansehen, wie der Junge vor ihr auf den Boden fiel. Sofort rannte sie zu ihm. „Oh, Zen.“ Sein ganzer Körper zuckte vor Schmerzen. „Komm mir nicht zu nahe“, sagte Zen mit brüchiger und kratziger Stimme. „Ich will nicht... bitte, du darfst mich nicht holen.“ Jeanne war überrascht. Er hielt sie für den Todesengel? „Ich bin nicht hier, um dir wehtun“, sagte sie wie ein Versprechen ernst. „Zen, ich will dir helfen. Du musst mir bitte glauben.“ Glauben? Dieses große Wort. An was glaubte sie? „Ich will nicht sterben“, sagte er mit schwacher Stimme, aber so fest und ernst, dass sie wusste, wie ernst er es sagte. Schwarze Tränen liefen ihm aus seinen Augen. Pechschwarze. „Warum tust du mir das an?“ „Du wirst nicht sterben, ich bin doch bei dir.“ „Haha!“ Jeanne hörte ein Lachen. „Das wird ihn bestimmt sehr beruhigen.“ Sarkasmus lag in der Stimme. Jeannes Augen weiteten sich. Sie hatte diese dunkle Stimme schon mal gehört. Aber es war nicht die von Silar und dennoch konnte sie diese nicht wirklich zuordnen. Sie blickte auf und schaute sich um. „Wer bist du?“ Da sah sie ihn. Ein dunkler Schatten vor dem Mond. Es war ein Mann, in einem dunklen Anzug, mit dunklen Haaren. Der Umhang wehte in der Luft. Aber er schwebte über den Boden, einige Meter. „Ich bin Noyn.“ Seine Augen waren Lila. Sie sahen dämonisch aus und versprachen nur Unheil. „Der böse Krieger.“ „Der böse Krieger?“ „Jeanne!“ Er lachte auf. „Dieser Junge macht es nicht mehr lange.“ „Wie?“ Jeanne blickte auf Zen, der immer noch auf dem Boden lag und drohte, vor Schmerzen ohnmächtig zu werden. „Und außerdem lebt er nur deshalb noch, weil ein Dämon von ihm Besitz ergriffen hat.“ Nein! Das konnte nicht sein. „Anders ausgedrückt, wenn du den Dämon besiegst, hat der Junge keine Chance mehr.“ Erschrocken blickte Jeanne von Zen wieder zu Noyn. „Du lügst doch!“, schrie sie ihn an, griff nach ihrem Band und feuerte es auf ihn ab. Noyn schmunzelte nur und fing das Ende des Bandes seinen Finger auf, es steckte nun zwischen Zeige- und Mittelfinger. Er musste sehr stark sein. Ja, das sah nun auch Marron und nun fiel ihr wieder ein, wo sie diese Stimme schon mal gehört hatte. Das war der Kerl, der sie damals im Park aus dem Hinterhalt angegriffen hatte. Der böse Krieger schmunzelte nur und ließ das Band los. Langsam fiel es sachte zu Boden. „Ich möchte nicht in deiner Haut stecken, Jeanne. Du wirst dich entscheiden müssen. Und nun... Wie war das noch gleich mit dem Schach Matt?“ Wieder ertönte das dunkle Lachen von Noyn in der Nacht. Noyn hob seinen Mantel und verschwand darunter. Er war verschwunden. Einfach in die Nacht. Jeanne blickte ihm hinterher und bald sie nur noch den Mond. Sie blickte auf Zen und seufzte. Chiaki sah Marron zu. Sie schlief noch und er hatte sich auf seinen Sessel gesetzt und wollte ein wenig lesen. Er wollte Marron noch weiter schlafen lassen. Schließlich war Samstag. Sie war erst mitten in der Nacht nach Hause gekommen. Sie war seinen Fragen ausgewichen und hatte ihm nur vorgeworfen, dass er ihr nicht vertrauen würde. Stillschweigend waren sie dann ins Bett gegangen, hatten sich den Rücken zugedreht. Er blickte wieder in sein Buch. Wenn sie aufwachen würde, würde er sich bei ihr entschuldigen. Ja, er wollte ihr gestern Abend keine Szene machen, aber er hatte Angst um sie gehabt, das Silar oder Noyn sie in die Finger bekommen hatten. „Aber ich... weiß... dass sie dich … lieben.“ Überrascht blickte er auf. Ihr Schlaf schien nicht wirklich ruhig zu sein. Vielleicht sollte er sie wecken. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie plötzlich aufrecht im Bett saß. Chiaki griff nach ihren Händen. „Marron.“ Doch Marron schien noch gar nicht wirklich wach zu sein. Das einzige was sie sah, war das Gesicht von Sindbad, wie er: „Schach Matt“, sagte. Doch das durfte nicht sein. Sie musste Zen beschützen. Sindbad durfte ihr keinen Strich durch diese Rechnung machen. Sie handelte nicht lange und stieß Sindbad von sich. Dabei stieß sie auch Chiaki aus dem Bett. „Marron“, meinte Chiaki sichtlich überrascht, als er plötzlich auf dem Boden des Zimmers lag. Marron blickte ihn an. „Chiaki. Oh, Gott, habe ich dir wehgetan“, sie eilte zu ihm und blickte ihn besorgt an. Er seufzte und drückte sie einfach nur an sich. „Du hast im Schlaf geschrieen. Ich habe mir Sorgen gemacht.“ Marron nickte und lehnte ihren Kopf an seine Brust. „Tut mir Leid, dass ich dir nicht gesagt habe, wo ich gestern war.“ „Ist schon okay. Ich bin ein wenig ausgerastet, aber nur weil ich mir doch Sorgen um dich gemacht habe.“ Marron nickte. „Ich weiß.“ Kapitel 29: Das Versprechen von Zen ----------------------------------- Lucius Caecilius Firmanus Lacantius schrieb einst im 'Vom Zorne Gottes 13' : Entweder will Gott das Böse aus der Welt entfernen und kann es nicht, oder er kann es und will nicht, oder kann es nicht und will es nicht, oder endlich will und kann er es. Will er es und kann es nicht, so ist das ein Unvermögen, was dem Wesen Gottes widerspricht. Kann er es und will es nicht, so ist es Bosheit, die seiner Natur nicht minder widerspricht. Will er nicht und kann er es auch nicht, so ist es Bosheit und Unvermögen zugleich. Will er es aber und kann er es auch (was der einzige von allen Fällen ist, der dem Wesen der Gottheit entspricht): Woher kommt dann das Böse auf Erden „Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl, was Zen angeht“, meinte Chiaki, als Marron ihm von gestern Abend erzählt hatte. „Ja, aber ein Schach Matt würde sein Leben in Gefahr bringen.“ Sie seufzte. „Und das können wir doch nicht riskieren. Das kann ich nicht riskieren“, fügte sie mit leiser Stimme hinzu. „Aber ein Dämon, bleibt nun mal, ein Dämon. Wir dürfen keine Ausnahme machen.“ Er wollte nicht, dass sich Marron dazu sehr hinein steigerte. Vorher hatten sie auch nicht auf die Opfer geachtet, warum sollten sie es also nun tun? Vorher hatte sie auch nie so eine Beziehung zu einem Opfer gehabt, dass musste er schon zu geben. Aber er musste auch zugeben, dass das hier etwas anderes war. Da gab es nun auch noch Silar und Noyn, der sich, der böse Ritter nennt. Weder Marron noch Chiaki wussten, wie stark der einzelne von Beiden wäre. „Das wichtigste ist aber sein Leben. Ich will, das er wieder glücklich wird und lachen kann“, meinte Marron aufrichtig. „Das ist doch klar?“ Chiaki seufzte. „Und die Dämonen verdrängst du einfach?“ Sie liefen durch die Stadt. Es war schönes Wetter und sie wollten ein wenig spazieren gehen. Marron wollte Chiaki zu seiner Schicht begleiten und dann in die Eishalle gehen. Doch nun blieb Marron stehen. „Jemand, der von einem Dämon besessen ist, wird irgendwann selbst einer“, sprach Chiaki weiter. „Willst du mir etwa weiß machen, dass du das mit deinem Gewissen vereinbaren kannst. Marron, denk doch mal nach.“ „Natürlich nicht.“ Chiaki blickte Marron an und seufzte. Dieses Thema führte zu nichts und sie würden sich nur streiten. Vermutlich war das auch der Grund gewesen, warum Marron ihm nichts gesagt hatte. Er wollte auch nicht mit Marron streiten. Nicht über so etwas. „Aber ich werde nicht mit ansehen, wie irgendjemand sich Zens Leben bemächtigt.“ Sie holte tief Luft. Sie hatte die Augen geschlossen. „Nein, bestimmt nicht.“ Nun öffnete sie die Augen wieder und blickte Chiaki ein wenig wütend an. Aber sie war nicht auf ihn wütend. Nein, sie war auf Noyn wütend. „Und ich will nicht, dass sein armes Herz für immer verschlossen bleibt. Du hast mir doch auch gezeigt, dass das so nicht geht.“ Chiaki nickte. Ja, natürlich hatte er ihr gezeigt, das ein Herz nicht für immer verschlossen bleiben muss. Sie hatte ihn an ihr Herz gelassen und so war es umgekehrt genauso. „Dann lass ich mir eben alleine was einfallen“, sagte sie mit kräftiger Stimme und ging an Chiaki vorbei. Sie ging nun eiliger. „Genau. So wird es gemacht.“ Chiaki rannte ihr hinterher und griff nach ihrer Hand. „Marron.“ Sie blickte ihn an und sah seine Besorgnis. „Was?“ „Zen stirbt, als Dämon oder als Mensch. Ich will nicht, dass du dein Herz so sehr an den Jungen hängst.“ „Er ist ein netter Junge.“ „Ja, der die Schwestern auf die Palme bringt“, erinnerte er sie lächelnd. „Er will nur mal raus.“ Chiaki nickte und strich ihr über die Wange. „Dann geh doch mit ihm raus.“ „Wie meinst du das?“ „Zen darf das Krankenhaus verlassen, wenn eine ärztliche Begleitung dabei ist.“ Marrons Augen weiteten sich, dann umarmte sie Chiaki. „Danke. Das ist wirklich lieb von dir.“ Chiaki legte die Arme auf Marrons Rücken und drückte sie an sich. „Lassen sie mich sofort los!“ Marron hörte Zens Stimme, dabei war sie noch nicht mal um die Ecke getreten. „Junge. Du kannst nicht einfach abhauen, wenn du noch am Tropf hängst“, versuchte die Schwester ihm zu erklären und wollte Zen wieder in sein Zimmer zerren. „Ich brauche diesen Quatsch nicht.“ „Willst du etwa schon wieder abhauen?“, fragte Marron und mischte sich so in das Geschehen ein. Die Schwester und Zen blickten Marron an, die sie anlächelte. Ja, so langsam schien es eine Gewohnheit zu werden, dass Marron in ihren freien Stunden nach Zen sah. „Ich hab dich doch gebeten nicht mehr her zu kommen. Marron seufzte. Ja, sie hatte sich nun keinen fröhlichen Empfang erwartet, aber ein wenig netter, konnte der Junge doch schon sein. „Komisch, daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.“ Die Schwester lächelte. „Guten Morgen, Miss Kusakabe.“ „Hallo, Mrs Miller.“ „Vielen Dank Dr. Kaiki“, sagte die ruhige und sanfte Stimme einer Frau, in dem Büro des Chefarztes. „Ach, sie wissen, dass er mir am Herzen liegt.“ Kaiki seufzte und fuhr sich durchs blaue Haar. „Aber möchten Sie ihn nicht doch besuchen?“ „Ähm...“ „Warum nicht?“ Kaiki stand von seinem Stuhl auf, der hinter dem Schreibtisch stand. Er stützte sich mit seinen Händen auf dem großen, antiken Schreibtisch ab und blickte die Frau mit den hellbraunen Haaren an. „Ihr Sohn würde sich wahnsinnig freuen.“ Die Frau umklammerte die Tasche, die sie vor der Brust hielt und wendete den Blick ab. „Weil es im Moment nicht geht. Es ist für uns Beide am besten so“, versuchte sie zu erklären. Die Worte hatte Kaiki schon mal gehört. Und auch wenn er sie noch mal und noch mal hören würde, er würde sie nicht verstehen. Er konnte nicht sehen, warum es für Beide am besten so sein sollte. Für Mutter, wie für Sohn. „Und wie verarbeitet Zen das?“ Er sorgte sich um den jungen Patienten. Die Frau, die seine Mutter war, verbeugte sich. „Entschuldigung. Ich sollte nun gehen. Unser Geschäft, kann nicht länger unbeaufsichtigt bleiben.“ Sie drehte sich um und trat aus dem Büro von Kaiki. Kaiki ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen, als die Tür zu ging und schüttelte nur den Kopf. Sein Telefon klingelte und holte ihn so aus seinen Gedanken. Es war Kaguya. „Ja, was gibt’s denn?“ „Sie wollten doch benachrichtigt werden, wenn die Verlobte ihres Sohnes wieder den Jungen Zen besucht.“ „Ist sie etwa wieder da?“ „Ja, ist besucht ihn gerade.“ „Danke, Kaguya.“ Kaiki legte auf und blickte auf den Hörer. Marron riss die Gardinen auf und ließ er mal das Licht, strahlendes Sonnenlicht, in das Zimmer von Zen. „Was hast du hier schon wieder verloren? Musst du nicht Zeit mit deinem Verlobten verbringen?“ Marron lächelte. „Du wirst es mir nicht glauben, aber ich mach mir Sorgen um dich.“ Die Brünette stand immer noch am Fenster und öffnete nun die Scheibe, damit auch frische Luft in das Krankenzimmer kommen konnte. Ein leichter, sanfter Wind blies durch die Bäume, des Krankenhausparks. „Du hast doch mal gesagt, dass du fliegen möchtest, weißt du noch?“ Sie griff nach dem Papierflieger der auf der Fensterbank lag und nahm ihn in die Hand, so als würde sie ihn gleich fliegen lassen. „Lass das.“ „Wo würdest du hin fliegen?“, fragte sie ihn mit fröhlicher Stimme und blickte dabei weiterhin aus dem Fenster. „Wenn du könntest?“ Nun ließ sie den Papierflieger los und blickte ihm hinterher. „Wenn ich wirklich fliegen könnte?“ Auch Zen blickte nun dem Flieger hinterher. Marron lehnte sich nun aufs Fensterbrett und blickte hinaus. Heute war wirklich ein wundervolles Wetter. „Zen, ist ein wunderschöner Name.“ „Äh... also...“ „Ich glaube, es ist manchmal ganz schön schwierig einen schönen Namen für sein Kind zu finden.“ „Na los, komm schon.“ Marron griff nach der Hand des Jungen. „Du willst mich wirklich hier raus bringen?“ „Ich bin Ärztin und in ärztlicher Begleitung, darfst du das Krankenhaus verlassen. So ist das. Ganz einfach.“ Sie zog ihn nun mit sich und lächelte ihn an. „Aber warum?“ „Du willst doch fliegen? Also probieren wir es doch einfach mal aus.“ Sie lächelte den Jungen an. Chiaki hatte ihr erlaubt, mit Zen das Krankenhaus zu verlassen. War doch gar nicht mal so schlecht, wenn man mit dem Oberarzt verlobt war. Sonst wäre sie auch nie auf die Idee gekommen. „Stark, bereit, unbesiegbar. Schön, entschlossen, mutig“, murmelte sie vor sich hin. „Was ist das?“ „Eine Zauberformel. Mit ihr kannst du fliegen. Und die Flügel tragen dich überall hin.“ Sie rannte mit ihm aus dem Krankenhaus, so als würden sie dem Krankenhaus endlich entfliehen. „Flügel, die dich überall hintragen?“ „Ja.“ Marron lächelte den Jungen an. An der Straße hielt genau in dem Moment ein rotes Auto an. Marron blickte Zen fragend an. Die Scheiben waren getönt, so dass sie nicht erkennen konnte, wer der Fahrer war. Dann fuhr die Scheibe runter und sie erkannte Herr Shikaido. Sie wusste immer noch nicht, was sie von ihm halten sollte. Er war ein großes Rätsel. Aber er wusste, wer sie war. Und er hatte eine merkwürdige Bindung zu Zen. „Hallo, was machen sie den hier?“ „Steigt bitte ein. Ich bring euch hin.“ Ohne lange darüber nachzudenken, stieg Marron wirklich mit Zen in dem Wagen von Herr Shikaido ein. „Ach du Schande“, meinte Zen nach einer Weile. Er hatte die ganze Zeit aus dem Fenster geschaut und die vielen Autos beobachtet. „Ja, das kannst du ruhig laut sagen. Denn wir fahren zu dir nach Hause.“ „Sag mal, spinnst du? Du bist ja vielleicht hinterlistig.“ Marron und Zen saßen auf dem Rücksitz des Wagen. Herr Shikaido beobachtete die Beiden aus dem Rückspiegel. „Was soll das bringen? Ich will meine Eltern nicht sehen. Und ich bin sicher, sie wollen mich genauso wenig sehen.“ „Du hast Angst, stimmts?“ Marron kannte die Worte, die da aus Zen heraus kamen. Es waren die gleichen Worte, die in Bezug auf ihre Eltern gebracht hätte. „Du glaubst, dass deine Eltern nichts mit dir zu tun haben wollen.“ „Warum? Warum mischst du dich da überhaupt ein? Was sagt dein netter Verlobter denn dazu?“ „Mmmh, wenn du es nicht versuchst, wirst du immer mit der Ungewissheit leben“, mischte sich nun der Rothaarige Herr Shikaido ins Gespräch mit ein. „Und diese hängt wie ein Damokles- Schwer über dir. Ist das nicht viel schlimmer?“ Zens Augen weiteten sich bei den Worten. Marron lächelte. „Du musst ja wohl zugeben, dass unser Fahrer Recht hat.“ „Na toll und was mach ich jetzt?“ , fragte Zen seufzend. „Können sie mir vielleicht einen Ratschlag geben?“ „Sag einfach, was du denkst. Das was du empfindest“, schlug Marron lächelnd vor. Sie mochte Zen und sie war Chiaki dankbar, dass er ihr gesagt hatte, dass er in ihrer Begleitung das Krankenhaus verlassen konnte. „Das... das kann ich doch nicht.“ „Na, klar. Dir bleibt doch gar nichts anders übrig“, widersprach sie ihm. Seine blass blauen Augen schauten nun einfach nur aus dem Fenster. „Oh, Hallo, was für Blumen, darf es denn heute für sie sein? Sie waren doch erst die Tage hier“, sagte die Frau freundlich. Sie hatte eine Schürze an und hielt einen Blumentopf mit Vergiss-mein-nicht in der Hand. „Nein, ich bin heute nicht wegen ihren Blumen gekommen.“ „Nein?“ Nun stieg auch Marron aus dem Auto aus. „Hallo, sie sind Zens Mutter.“ „Ja, die bin ich. Bist du eine Freundin von ihm?“ Zen saß auf dem Rücksitz und duckte sich, so dass seine Mutter ihn auch ja nicht erkennen konnte. „Ja. Ich heiße Marron Kusakabe und ich... Ich habe sie im Krankenhaus gesehen.“ Sie machte nun die Tür auf ihrer Seite zu und trat um das Auto herum und ging zum Blumenladen. „Und mich würde interessieren, warum sie ihren Sohn nicht sehen wollen?“ Ja, das interessierte sie wirklich. Vielleicht konnte sie dann aus dieser Antwort wissen, warum auch ihre Eltern sie nicht sehen wollten. Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht von Zens Mutter. Sie blickte auf die Blumen in ihrer Hand. „Hatte er sich schlecht benommen?“ „Nein, ganz bestimmt nicht.“ Tränen standen der Frau in den Augen. „Ist er das im Auto?“ Marrons Augen weiteten sich. Sie hatte ihn also doch gesehen. „Wissen sie... es tut mir Leid, dass ich hier so rein platze. Aber ich würde so wahnsinnig gerne den Grund wissen, warum sie ihn nicht sehen wollen.“ Marron seufzte. Nun war sie der Meinung, dass das doch keine gute Idee war. Sie war Ärztin und nicht mehr. „Wissen Sie, ihrem Sohn geht es nicht besonders gut. Er fühlt sich so schrecklich einsam.“ Sprach sie noch von Zen? Oder von sich? „Weißt du, ich würde ihn auch gerne sehen.“ Marron blickte auf und sah die Tränen, die über das schöne Gesicht der Frau liefen. „Ich möchte mit ihm reden. Ihn umarmen. Ihn einfach um mich haben.“ Nein, so was würden ihre Eltern vermutlich nie sagen. Sie konnte sich nicht mit Zen vergleichen. Sie waren komplett verschieden und ihre Eltern auch. Marron schluckte. „Was hindert sie daran? Ich versteh es nicht.“ Zens Mutter drehte sich um, drehte Marron den Rücken zu. „Zen ist in letzter Zeit so verschlossen. Er würde sich bestimmt bedrängt fühlen. Es wäre furchtbar. Mein Mann und ich wünschen uns nichts sehnlicher, als ihn glücklich zu sehen.“ Marron schluckte wieder. Nein, sie würde ihre Eltern nie in diesen liebevollen Worten wiederfinden. Auch wenn diese Tatsache sehr weh tat. „Aber er hat sich zurück gezogen. Natürlich erwarten wir von ihm, ein wenig Liebe. Aber aus Angst enttäuscht zu werden und Zen nicht unter Druck zu setzen, bleiben wir lieber hier.“ Die Autotür ging auf. Und Marron wie auch Zens Mutter starrten auf das Auto. Doch Zen konnte gar nicht weiter. Schwarze Tränen liefen aus seinen Augen und tropften herunter. Sein Körper war starr vor Schmerzen. Seine Atmung hektisch und flach. „Wie bedauerlich. Du hast dein Versprechen gebrochen.“ Zen krümmte sich auf dem Rücksitz zusammen. „Du wusstest, wenn du dein Versprechen brichst, dein Herz mit Liebe und Zuneigung füllst, wird es aufhören zu schlagen. Dämonen verachten Gefühle.“ Der Blumentopf mit den Vergiss-mein-nicht fiel runter und die Mutter von Zen starrte aufs Auto. „Hast du mich so schnell vergessen?“ Zen wurde an den Haaren hochgezogen und als er in das Gesicht des Fahrers blickte. Sah er nicht mehr den Rothaarigen Herr Shikaido. Nein, da war nun der Mann mit den schwarzen Haaren und den leuchtend roten Augen, der ihn anstarrte, mit einem hinterlistigen Grinsen. Einem bösen Grinsen. Zens Augen weiteten sich geschockt. „Wie soll ich das verstehen?“ „Oh, aber ich dachte.“ Der böse Ritter Noyn legte die Hand auf die von Zen und holte die Autotür wieder ran und sofort fuhr das Auto los. „Du darfst dich nicht aufgeben. Du schaffst das.“ Marron griff nach der schwachen und dünnen Hand von Zen und hielt sie fest. Eine Schwester legte dem Jungen eine Sauerstoffmaske über Nase und Mund. Man schob das Behandlungsbett durch den Flur. Marron rannte mit und hielt seine Hand fest. Auf der Brust von Zen, war ein großer schwarzer Fleck, da wo das Herz saß. Da wo Zens Dämon saß. „Du darfst es... auf keinem Fall... meinen Eltern sagen“, versuchte Zen Marron zu sagen. „Ich will nicht, dass sie mich... so sehen.“ Marron ließ die Hand los und schaute ihm hinterher wie er auf die Intensivstation gebracht wurde. Sie blickte ihm traurig hinterher und fühlte sich so schrecklich hilflos. Sie wollte ihm helfen, warum konnte sie das nicht. Sie musste ihm doch irgendwie helfen können. Hatte Gott ihr nicht die Aufgabe geben, dass sie helfen sollte? Das sie Menschen retten sollte? Warum sollte sie Zen also nicht auch retten können? Marron lehnte sich gegen die Wand und seufzte. „Wie soll ich dir nur helfen?“ „Nun gib doch endlich auf. Ich bitte dich, Marron.“ Marron drehte sich um und sah Chiaki, er blickte sie besorgt an. „Marron, du hast nicht die geringste Chance gegen diesen Dämon.“ „Chiaki.“ Sie wollte ihm widersprechen. Sie konnte einfach nicht glauben, dass sie einfach so aufgeben sollte. „Dir bleibt nichts anders übrig, als ein Schach Matt zu setzen, Marron.“ „Vollkommen unmöglich. Nein, das bring ich nicht übers Herz.“ Sie ging zu ihm. „Ich kann nicht glauben, was du da sagst.“ „Ach, warum musst du dich auch immer in alles einmischen.“ Er wollte ihr ganz sicherlich weh tun. Aber durch ihr Einmischen, machte sie es doch meist noch schlimmer, zumindest in diesem Teil. Sie sah traurig und verletzt aus. Kraftlos. Verzweifelt. „Ich will einfach nicht mit ansehen, wie man dir noch mehr wehtut“, sagte er wahrheitsgemäß zu ihr. Er würde immer für sie da sein und sie immer trösten wollen, aber dieser Anblick tat ihm einfach nur weh. Marron drehte sich um und blickte aus dem Fenster. Die Himmel war schon orangegefärbt, die Sonne war am untergehen. Doch was sie so schockte, war nicht, dass die Sonne unterging, sondern das Wesen, dass sie ansah. Es flog Es hatte einen schwarzen Mantel und schwarze Haare. Es war der böse Ritter. Er flog in die Lüfte. Marron drehte Chiaki nun ganz den Rücken zu und rannte zum Treppenhaus. „Marron“, rief Chiaki ihr hinterher, doch sie wollte nun nicht auf ihn hören: Marron rannte das Dach nach oben. Sie war sich sicher, dass der böse Ritter, da auf sie wartete. 'Noyn, du hast Zen auf dem Gewissen. Da bin ich mir sicher. Du hast ihn reingelegt. Dafür wirst du noch bösen', versprach Marron in ihren Gedanken. Sie schlug die Tür auf und war nicht wirklich überrascht, dass sie den bösen Ritter Noyn wirklich auf dem Dach entdeckte. Er stand da und blickte sie mit einem Grinsen an. „Noyn, hör zu.“ Ihre Haare wurden vom Wind durch ihr Gesicht gesehnt, doch es war egal, dass ihre eigenen Haare ihr über die Haut kitzelten. „Das ist dein Ende.“ Noyn blickte auf und lachte auch. „Ach ja? Wie niedlich. Was immer du auch tust, es ist ganz bestimmt sinnlos.“ Marron rannte auf ihn zu. Ein helles Licht umhüllte sie. Sie war schnell und hatte genauso schnell ihre Hände um seinen Hals gelegt und wollte zudrücken. Sie wollte Zen retten und in ihrer Wut über ihre Machtlosigkeit, dachte sie, dass wenn sie Noyn tötete, sie Zen retten konnte. Beide schwebten nun über dem Nichts. „Überschätze dich bloß nicht. Zen konnte selbst entscheiden. Und er hat sein Schicksal bereits angenommen“, sagte er mit ruhiger Stimme. Nun griff Noyn nach den Handgelenken von Marron und löste ihren Griff um seinen Hals. „Ich habe ihm bestimmt nicht darum gebeten, seine Abmachung zu brechen.“ „Du bist widerlich. Du wolltest ihn doch von Anfang an leiden sehen. gibt’s doch zu.“ „Und wieso?“ Er hielt ihre Hände ganz locker fest. Sie schwebten in der Luft, als wäre es selbstverständlich. „Es ging doch gar nicht um ihn. Es hätte irgendjemand sein können. Verstehst du mein Ziel?“ Noyn holte aus und traf den Schutzschild von Marron, der sie wie eine Seifenblase umgab und nun fiel sie herunter. Nun schwebte sie nicht mehr. Ihr Schutzschild zerplatzte nun auch wie eine Seifenblase. Er wollte nur sie. Alle waren nur Opfer, damit er an sie heran kam. Zen war nur ein Mittel zum Zweck. „Mein Ziel bist du, Jeanne“, hörte sie seien dunkle Stimme kräftig und deutlich. Marron fiel in den Abgrund. Aber so schnell würde sie ganz bestimmt nicht aufgeben. „Fynn gib mir die Kraft und lass Jeanne d`arc mich erhören.“ Und sofort wurde sie von einem gleißend, hellen Licht umgeben. Warm und schützend. Sie verwandelte sich in diesem Licht, das sie neugeboren fühlen ließ, in Jeanne, die Kamikazediebin. „Stark, bereit, unbesiegbar. Schön, entschlossen, mutig.“ Und schon stand sie da. „Jeanne, die Kamikazediebin ist hier. Die Gesandte des Herren.“ Sie landete auf der Straße, auf einen Mittelstreifen. Jeanne schloss die Augen. „Lieber Gott, wenn es dich wirklich gibt, dann erhöre mich bitte.“ „Gott existiert“, hörte sie die Stimme von Noyn hinter sich. Sie drehte den Kopf und sah ihn, sofort warf sie ihr Band zu ihm. Doch während er noch flog, fing er es gekonnt auf und hielt es fest. „Ganz sicher, Jeanne d`arc.“ Er stand auf einer Laterne und hielt ihr das Band fest. „Allerdings ist er nur zu drei Taten fähig“, sprach er weiter. „Was redest du da?“, fragte sie ihn. „Erstens, er gibt Menschen eine Seele. Zweitens, er kann diese Seele beschützen. Und drittens, ist er in der Lage.“ Noyn sprang auf, ließ ihr Band los und sprang auf sie zu. „für schlechtes Wetter zu sorgen.“ Er umarmte Jeanne nun. Und sie wusste gar nicht wie ihr geschah. „Hast du es denn etwa vergessen?“, flüsterte er ihr fragend zu. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Ihr Atem war fast still. Er löste sich ein wenig von ihr und blickte sie an. „Ob du es vergessen hast? Sag es mir Jeanne d`arc?“ Seine Stimme wurde nun dunkler. Seine linke Hand, die er in einem weißen Handschuh versteckte, berührte nun ihre Wange. Sein Blick wurde ernst und wütend. Starr und kalt. Dann ließ er sie plötzlich wieder los. Einfach so. „Wie konnte ich nur? Du bist gar nicht Jeanne d`arc!“, sagte er wütend. Marron die sich vor den Schock auf die Knie gesetzt hatte, drehte sich erschrocken um und blickte Noyn an. Noyn hatte sich auf den Anhänger eines Lastwagens gestellt. „Was bildest du dir eigentlich ein? Ich werde nicht zu lassen, dass du die Seele von Jeanne d`arc beschmutzt.“ Jeanne stand auf. „Noyn“, rief sie ihm hinterher. Doch da war er schon auf der Straße verschwunden. „Du bist nicht halb so viel wert, wie sie“, rief er. Kapitel 30: Gott ---------------- Johann Wolfgang von Goethe schrieb ein mal in Zu Eckermann: Die Leute traktieren ihn, als wäre das unbegreifliche, gar nicht auszudenkende höchste Wesen nicht viel mehr als ihresgleichen. Sie würden sonst nicht sagen: "Der Herr Gott, der liebe Gott, der gute Gott." Er wird ihnen, besonders den Geistlichen, die ihn täglich im Munde führen, zu einer Phrase, zu einem bloßen Namen, wobei sie sich auch gar nichts denken. Wären sie aber durchdrungen von seiner Größe, sie würden verstummen und ihn vor Verehrung nicht nennen mögen. Dr. Chiaki Nagoya stand vor dem Fenster und blickte in das Zimmer des Patienten. Man hatte den Jungen in ein Sauerstoffzelt gesteckt. Zen ging es immer schlechter und man machte sich große Sorgen um den Jungen. Chiaki fuhr sich über die Haare, er machte sich gerade aber vor allem um Marron Sorgen, sie ging nicht an ihr Handy und reagierte auch nicht. Er hatte Schicht und konnte nicht einfach so weggehen, aber so langsam machte er sich wirklich Sorgen um seine Verlobte, um seine Marron. Er hatte Angst. Angst, dass er sie vielleicht eben das letzte Mal gesehen hatte. Sein Brustkorb zog sich bei diesem Gedanken zusammen. Er spürte die Übelkeit in sich aufkeimen und doch wusste er, was er dagegen machen konnte. Chiaki legte die Patientenakte von Zen Kodoja ins Fach zurück und drehte dem Fenster dem Rücken zu. Er fuhr sich durchs blaue Haar und holte tief Luft. Er wusste, dass er sie spüren konnte, er spürte sie einfach immer. Also versuchte er es auch jetzt. Er wollte sie einfach nur spüren und wissen, dass es ihr gut ging. Mehr wollte er doch gar nicht. Er wollte nur das wissen. Er schloss die Augen und sprach ihren Namen, ohne ihn die Buchstaben über seine Lippen treten zu lassen. Er hielt sie verschlossen, fest, versiegelt durch seine Lippen, die die Tür waren, um die Worte einzusperren. Da Chiaki mit dem Rücken zum Sichtfenster und somit auch zum Patienten stand, bekam er nicht mit, was ich darin gerade abspielte. Zen riss die Augen auf, dabei schien es gar nicht er zu sein, der seinen Körper lenkte und führte. Seine Pupillen verkleinerten sich und etwas Schwarzes lief in seine Augen, besudelte das Weiß. Zens Hand zitterte, er war schwach und kämpfte gegen das andere Wesen in seinem Körper an. Sein rechter Arm hob sich schwach und krabbelte auf seinen Brustkorb und blieb an der Stelle ruhen, wo sein Herz war. Seine Finger krallten sich in die Haut, als wolle er es sich selber rausziehen. Dann nahm das Schwarze in seinen Augen die Überhand. Sein Körper wurde starr, dann richtete er sich auf. Der Junge Zen, der nicht mehr er selber war, ließ seine Beine über das Bett gleiten und ließ sie herunter baumeln, dann blickte er auf sich herab und riss alle Kanülen aus sich heraus. Die Geräte piepsten schreiend auf und lösten einen Alarm aus. Die blonde Jeanne, war dem Lastwagen gefolgt. Dichter Nebel zog auf, als sie über die Brücke rannte, Noyn hinterher. Sie musste ihn einfach zur Rede stellen. Sie musste es einfach wissen. Sie musste wissen, wie sie Zen retten konnte. Und sie wusste, dass er der Einzige sein würde, der ihr auf ihr Fragen die Antwort geben konnte. Dann entdeckte sie den Lastwagen. Er stand schräg am Rande der Straße, stark am Rande der Brücke. Die Fahrertür am Fahrerhaus war weit aufgerissen. Der LKW wirkte verwahrlost so wie er da stand, am Rande der Brücke. „Oh mein Gott“, Marron hatte ein verdammt schlechtes Gefühl, als sie den Wagen da so stehen sah. Irgendetwas stimmte nicht. Was war mit dem Fahrer. Sie rannte zum LKW und öffnete die Türen vom Hänger. Er war leer. Dann eilte sie vor zum Führerhaus, doch auch dieses war leer. Das hieß absolut nichts Gutes, das wusste Jeanne. „Noyn...“ Sie blickte sich um. Doch durch den dichten Nebel konnte sie kaum was erkennen. „Wo bist du?“ Was hatte er mit dem Fahrer gemacht? War er verletzt? „Komm raus! Zeig dich.“ Jeanne ging um den LKW herum. Was Jeanne allerdings nicht wusste, war, das Noyn sie beobachtete. Er stand auf einen der dicken Stahlträger, die die Seile der Brücke festhielten und blickte sie von oben herab an, beobachtete sie. Ja, er beobachtete sie und lachte auf. Dann ließ er seinen dunklen Umhang auf flattern und brachte einen Jungen zum Vorschein. Jeanne oder auch Marron, beide Personen, kannten diesen Jungen. Es war Zen Kodoja. Seine Augen waren schwarz unterlaufen. Da war nichts weißes mehr, nichts Helles. Und nun stand der Junge mit den schwarzen Augen neben dem dunklen Ritter. „Los geht’s“, sagte Noyns dunkle Stimme in die Nacht hinein. Zen oder wohl eher der Körper von Zen blickte zu Jeanne herunter, lachte dunkel auf und sprang einfach von den Höhe hinunter. Als er kurz davor war den Boden zu berühren, erschrak er dann doch. Der Boden kam erschreckend nahe. Jeanne schaute gar nicht wirklich hin, griff nach ihrem Band wirbelte um den Jungen aus der Luft herum und schrie: „Schach und Matt.“ Doch dann erkannte sie, wen sie da vor sich hatte. Zen. Sofort ließ sie ihr Band fallen. Und Zen fiel auf den Boden. „Oh, das habe ich nicht gewollt.“ Sie blickte ihn sorgend an. Er kniete vor ihr, schaute auf den Boden. „Zen?“ Dann sah sie die schwarzen Tropfen, die auf den Boden fielen. Dunkle, schwarze Tränen. Er fing an zu zittern und Jeanne konnte nichts tun, als neben dran zu stehen und ihn anzusehen. „Stark, unbesiegbar, schön...“ Seine Stimme war brüchig, aber Stärke machte sich in ihr aus. „Entschlossen.“ Jeanne seufzte auf. Das waren die Worte, die ihr immer so viel Kraft gaben und die Worte, die sie Zen geliehen hatte. Damit auch er das Gefühl der Freiheit und der Kraft spüren konnte. „Ja, und mutig“, sagte sie zustimmend. Nun blickte er auf und in seinen Augen war keine Schwärzte mehr. Die Dunkelheit war aus ihnen gewichen und nur die helle Bläue blickte Marron an. „Entschlossen und... und mutig.“ Jeanne nickte. Sie hoffte so sehr, dass diese Worte auch Zen Kraft geben würde. Kraft gegen den Dämon zu kämpfen, der in ihm wohnte. Zen versuchte sich auf seine Beine zu knien und zog nun an seinem Krankenhaushemd, dass er noch an hatte. Er riss es aus einander und entblößte seine Brust. „Ich bitte dich... Du musst...“ Marron sah die dunkle Narbe, die seit dem letzten Mal als sie die Narbe gesehen hatte, eindeutig größer geworden war. Und dunkler. Das war die Narbe des Dämons, der in ihm hauste. „Du musst mein Herz nehmen.“ Marron schluckte. Sie hoffte doch, sich verhört zu haben. „Bitte... nimm mein Herz.“ Er schrie entsetzt auf, als hätte er grässliche Schmerzen. Marron wusste nicht was sie sagen sollte, was sie tun sollte. Das konnte doch nicht wahr sein. Wenn sie ihm das Herz nahm, dann würde der Junge sterben und das wollte sie nicht. Nein, ganz und gar nicht. Sie wollte ihn doch retten. Sie wollte Chiaki beweisen, dass sie diesen Jungen retten konnte. „Tu was ich dir sage.“ Jeanne spürte die Kraft, die von dem Dämon ausging. Sie war gigantisch und dunkel. Vermutlich war das bisher der stärkste Dämon, dem sie begegnet war. Zen ließ nun das Hemd fallen und stand Oben ohne vor Jeanne. „Bitte.“ Jeanne trat einen Schritt zurück. „Marron.“ „Nein.“ Sie konnte das einfach nicht tun. Das war zu viel. Sie mochte den Jungen viel zu sehr. Ja, Chiaki hatte mal wieder Recht, sie hatte sich zu sehr an ihn gewöhnt. „Ich kann nicht. Du weißt nicht, was du da sagst.“ Ihre Augen waren immer noch erschrocken geweitet. Mit dieser Situation kam sie nicht zurecht. So sollte das wirklich nicht so laufen. „Wenn ich das tun würde, dann...“ Sie konnte es nicht mal aussprechen. „Was wäre dann?“ Zen trat nun einen Schritt auf Jeanne zu. „Ich will so nicht weiterleben. Mein Leben hat seinen Sinn verloren.“ Jeanne trat wieder einen Schritt zurück. „Das musst du doch verstehen, Marron. Warum hilfst du mir nicht? Ich bitte dich.“ Zen streckte nun die Hände nach Jeanne aus. Er brauchte ihre Hilfe. Er brauchte wirklich ihre Hilfe. „Es ist doch ganz leicht. Du brauchst es nur...“ Jeanne griff nun nach Zens Hände. Sie konnte ihn nicht so stehen lassen. Auch wenn sie Angst hatte, sie konnte ihn nicht so alleine lassen. Er bat sie um Hilfe. Er wollte den Dämon los werden, der in ihm war. Doch dann ließ Jeanne die Hände des geschwächten Jungen los und drehte sich um. Sie hatte ein Geräusch gehört. Sie erstarrte als sie Sindbad erkannte. Er stand ein Stück abseits, hinter ihr und warf gerade, als sie sich umdrehte einen Pin. Nein! Marron griff schnell nach ihrem Band und wehrte den Pin geschickt ab. Sie konnte nicht zulassen, das Sindbad den Jungen tötete. Und das würde er mit dieser Aktion auf jeden Fall tun. „Sindbad!“ Wie konnte er ihr nur so in den Rücken fallen? Doch da sie sich so sehr auf diesen einen Pin konzentrierte, sah sie nicht all die anderen Pins kommen. Er trickste sie aus. Sie drangen an Marron vorbei, schnell kaum sichtbar. Marron wollte sich aber nicht so in die Karten schauen sehen, nein, sie würde das einfach nicht zu lassen. Sie nahm wieder ihr Band und wehrte die Pins ab, die direkt auf Zen zu schossen. „Gib auf!“ Die Worte kamen Sindbad nicht leicht über die Lippen, aber sie waren ausgesprochen. Er trug nicht mehr das Tuch, um sein Gesicht zu verdecken, aber dennoch war er gerade mehr Sindbad als je zuvor. „Es hat keinen Sinn.“ Jeanne griff nach Zen, legte die Arme um ihn und sprang mit ihm vor den nächsten Pins davon. Sie musste ihn beschützen. Sie konnte doch einfach nicht zulassen, dass das Leben von Zen Kodoja auf diese Art und Weise enden sollte. Sie sprang mit ihm, ohne lange darüber nachzudenken, über den Rand der Brücke. Jeanne konnte sich gerade noch an einen der dicken Seile festhalten. In der anderen Hand hielt sie Zen fest. Sie würde ihn nicht loslassen. „Habe ich dir nicht gesagt, dass ein Mensch, der besessen ist, irgendwann nicht selbst zu einem Dämon wird.“ Er stand an der Brüstung und blickte Jeanne an, die zu gleich seine Verlobte war und doch war sie ihm gerade so weit entfernt. „Nein!“, sagte sie mit fester Stimme. „Das glaube ich nicht. Zen ist kein Dämon.“ „Noch nicht.“ Der Anblick fiel ihm mehr als nur schwer. Er konnte nicht einfach so mit ansehen, wie seine Marron, da an der Brücke hing, in der anderen Hand den Jungen fest im Griff. „Aber irgendwann wird er zu einem werden.“ In seiner Handfläche erschien nun ein neuer Pin. „Ich glaub dir kein einziges Wort.“ Sie presste die Augen zusammen. „Warum sagst du nur so was?“ Noyn stand immer noch oben auf dem Stahlträger und blickte hinab. „Mmmh.“ Das ganze Schauspiel amüsierte ihn doch nur zu gut. „So langsam wird’s aber Zeit.“ Er streckte die Hand aus, spreizte die einzelnen Finger. „Dann wollen wir mal.“ Seine Hand leuchtete mächtig auf. „Komm raus!“, befahl er nun mit dunkler Stimme. Jeanne blickte zu den Jungen herunter. „Zen.“ Die dunkle Narbe auf seiner Brust war nun noch größer geworden. Er hielt sich mit der einen Hand die Brust, so als müsst er das was da drinnen war, aufhalten heraus zu kommen. Den Dämon daran hindern. „Halte durch.“ Doch dann sah sie, erschreckend, dass die Narbe in diesem Augenblick immer größer wurde, wuchs und sein ganzer Oberkörper nun davon befallen war und sie nun auch seine Arme befiel. Doch Jeanne konnte einfach nicht loslassen. Sie musste den Jungen doch retten. Dem Dämon, der durch einen Deal von Zens Körper Besitz ergriffen hatte, wollte nur eins und das war raus kommen und Unheil über die Welt anrichten. Das war doch das Ziel jeden Dämons, auch von diesem. Jeanne spürte die Tränen, die in ihre Augen traten. Sie wusste, dass sie gerade vor einer schweren Entscheidung stand. Eigentlich war es gar keine richtige Entscheidung. Der Dämon wollte nun auch von ihr Besitz ergreifen. Also blieb ihr eigentlich nur eine Möglichkeit, sie musste die Hand loslassen. Doch genau das konnte sie einfach nicht tun. Sie konnte Zen nicht fallen lassen. Der Pin in Sindbads Hand materialisierte sich nun. Er ergriff ihn und blickte zu Jeanne. Er war erschrocken, dass sie nicht einfach loslassen konnte. „Marron, bitte, lass los“, sagte er leise. Doch er wusste, dass sie den Jungen nicht loslassen würde. Also musste er dafür sorgen, dass der Dämon nicht von Marron Besitz ergreifen würde. Das würde er niemals zulassen. „Schach und Matt“, kamen die Worte wie immer über seine Lippen, während er den schwarzen Pin nach Zen warf. Doch der Pin traf nicht die Stelle an Zens Brust. Nein, Jeanne hatte ihre Hand ausgestreckt. „Was tust du da?“, fragte er geschockt. Das war doch die Hand, die sie an der Brücke hielt. Sie hatte losgelassen. Einfach so. „Es tut mir Leid, aber ich kann nicht zulassen, das Zen sein Leben verliert.“ In ihren Augen standen Tränen. Aber sie weinte nicht vor Schmerz, sondern um Zen. Dann fielen die Beiden nach unten, in den dichten Nebel. Sindbad beugte sich über die Brüstung und schrie. „Nein! JEANNE!“ Das konnte nicht wahr sein. Er konnte sie nicht verloren haben. „MARRON!“ Doch er sah die beiden Körper schon bald nicht mehr, sie verschwanden einfach im dichten Nebel. Noyn lachte auf. Das war ja nun mal wirklich interessant. „Was ist dir wichtiger?“ Er blickte hinab und sah genau, wie Jeanne sich um Zen klammerte. „Die Liebe oder dein Leben?“ Das war doch wirklich lächerlich. Sie fielen kopfüber von der Brücke. Der Dämon hatte sich am ganzen Körper von Zen breit gemacht. Und doch obwohl sie fielen, hatte er keine wirklich Angst. Er sah Bilder seiner Eltern vor sich, wie sie im Blumenladen arbeiteten und ihn lächelnd ansahen. Er war immer glücklich mit ihnen gewesen. Sie waren die besten Eltern die er sich wünschen konnte. Er liebte seine Mutter und war so froh, sie als Frau gekannt zu haben. Sie war gütig und sanft. Marrons Augen weiteten sich. Sie hatte ihn also doch gesehen. „Wissen sie... es tut mir Leid, dass ich hier so rein platze. Aber ich würde so wahnsinnig gerne den Grund wissen, warum sie ihn nicht sehen wollen.“ Marron seufzte. Nun war sie der Meinung, dass das doch keine gute Idee war. Sie war Ärztin und nicht mehr. „Wissen Sie, ihrem Sohn geht es nicht besonders gut. Er fühlt sich so schrecklich einsam.“ Sprach sie noch von Zen? Oder von sich? „Weißt du, ich würde ihn auch gerne sehen.“ Marron blickte auf und sah die Tränen, die über das schöne Gesicht der Frau liefen. „Ich möchte mit ihm reden. Ihn umarmen. Ihn einfach um mich haben.“ < In Zens Lächeln erschien kurz ein Lächeln. Er dachte so gerne an seine Mutter. Er liebte sie einfach. >Zens Mutter drehte sich um, drehte Marron den Rücken zu. „Zen ist in letzter Zeit so verschlossen. Er würde sich bestimmt bedrängt fühlen. Es wäre furchtbar. Mein Mann und ich wünschen uns nichts sehnlicher, als ihn glücklich zu sehen.“ Marron schluckte wieder. Nein, sie würde ihre Eltern nie in diesen liebevollen Worten wiederfinden. Auch wenn diese Tatsache sehr weh tat. „Aber er hat sich zurück gezogen. Natürlich erwarten wir von ihm, ein wenig Liebe. Aber aus Angst enttäuscht zu werden und Zen nicht unter Druck zu setzen, bleiben wir lieber hier.“< „Muss mich mich denn wirklich entscheiden?“ Er griff sich an die Brust. Es schien, als wollte er den Dämon nun selber aus sich raus reißen. Jeanne drückte den Jungen an sich. Sie spürte, dass er keine Angst hatte und sie hatte ebenso keine Angst. Sie wollte bei den Jungen bleiben. Natürlich war Chiaki nun sauer, dass wusste sie, aber sie konnte einfach nicht anders und dass wusste Chiaki auch. „Zen.“ Er lächelte. „Nur durch dich, habe ich es geschafft so stark zu werden. Nur durch dich.“ Marron lächelte und drückte den Jungen an sich. „Ich gebe nicht auf. Ich werde dich retten.“ „Marron, ich verspreche dir, von nun an... lebe ich von meiner eigenen Kraft.“ Jeanne nickte. Ja, das würde er wirklich tun. Marron zog ihr Band. Sie musste es einfach tun. „Schach und Matt.“ Damit umzingelte ihr Band den Dämon, den Zen sich aus dem Körper hielt. Beide tauchten nun ins kalte Wasser ein. Und plötzlich erschien ein gleißend helles Licht. Es war warm und gütig und stoppte den Flug von Zen und Jeanne. Eine Schutzhülle schütze die Beiden und holte sie in einer riesigen Seifenblase aus dem Wasser heraus. Marron öffnete vorsichtig die Augen und erkannte nichts, außer strahlend weißes Licht. Sie presste die Augen zusammen, in der Hoffnung mehr zu erkennen. „Meine Tochter...“, hörte sie eine helle Stimme. Sie kannte sie eigentlich nicht und dennoch schien sie ihr so bekannt. „Das hast du sehr gut gemacht.“ Sie blickte sich fragend um, aber konnte keine Gestalt erkennen. „Du hast dein Leben für das eines anderen gerettet und mit ihm dafür gekämpft, dass er von vorne anfangen kann.“ „Du sprichst von Zen?“ „Natürlich, mein Kind. Und ich möchte dir einen Gefallen tun.“ „Bist du Gott?“ Eigentlich war die Frage lächerlich, aber dennoch stellte Marron sie. Sie sah keine Person, aber dennoch spürte sie das Lächeln dieses Wesens. Es war als lächelte ihr Körper mit diesem Wesen mit. „Ich möchte nicht mit ansehen, wie du denkst, dass deine Arbeit und dein Glauben an das Gute nicht ausreicht, deswegen will ich Zen eine zweite Chance geben.“ „Eine zweite Chance?“ „Ja, meine Tochter.“ „Er darf leben.“ „Gewiss.“ Marron lächelte glücklich. „Das ist... ich danke sehr.“ „Ich habe du danken, meine Tochter.“ Als Marron die Augen wieder öffnete, sah sie in das Gesicht von Chiaki. Er weinte. Es zerriss ihr das Herz ihn so zu sehen. „Du lebst.“ Sofort drückte er sie an sich. „Oh, Marron, mach das nie wieder“, meinte er überglücklich zu ihr. „Chiaki.“ Sie strich ihm durchs Haar. Es tat so gut nun in seinen Armen zu liegen. Zen? Was war mit Zen? Sie löste sich ein wenig aus seiner Umarmung. „Wo ist...?“ „Zen?“, fragte er ein wenig verstimmt. Marron nickte und streichelte ihm wieder über die Wange. Sie war so glücklich ihn zu sehen, ihn zu spüren. „Er ist nicht hier. Du bist alleine wieder hier vor meinen Füßen erschienen.“ Marron versuchte aufzustehen. „Wir müssen sofort...“ „Marron...“ Chiaki griff nach ihrem Handgelenk. „Es geht ihm bestimmt gut.“ Sie blickte ihn überrascht an und irgendwie wusste sie, dass er Recht hatte. Sie lächelte und küsste ihn. „Ja, du hast Recht. Es geht ihm gut. Ich weiß es.“ Ja, sie wusste es wirklich. Schließlich hatte Gott es ihr selber gesagt. „Tust du mir einen Gefallen, Chiaki?“ „Natürlich, Marron.“ „Fahr mich, bitte, zum Blumenladen von Zens Eltern. Ich muss mich einfach vergewissern.“ Chiaki seufzte, stand nun aber auch auf. „Aber nur diesen einen Gefallen?“ Marron nickte. „Und dann gehen wir nach Hause.“ Er liebte es, wenn sie das sagte. Auch wenn sie es bisher noch nicht oft gesagt hatte, aber gerade jetzt hatte sie es ja schließlich gemacht. Diese Worte, dass sie zusammen gehörten, zusammen wohnten, ein gemeinsames Zuhause hatten, waren wirklich schön. Chiaki hielt mit dem Auto vor dem Blumenladen an. Marron wollte anscheinend nicht aussteigen, aber das musste sie auch nicht. Denn vor dem Blumenladen standen Zens Eltern und Zen. Sie umarmten sich innig. Sie waren nun endlich wieder vereint und konnten mit einer zweiten Chance eine glückliche Familie werden. „Endlich haben wir dich wieder.“ Zens Mutter weinte. Aber es waren keine Tränen, der Trauer. Nein, eher Tränen der Freude. So glücklich schien sie zu sein, endlich wieder mit ihrem Jungen vereint zu sein. „Alles okay?“, hörte sie nun Chiaki neben sich fragen. Sie blickte ihn an und lächelte. „Ich freue mich so für ihn.“ Chiaki nickte und blickte wieder auf sein Lenkrad. „Vielleicht hätte ich dir vertrauen sollen und dir glauben sollen, dass du ihn retten kannst.“ „Ich habe ihn nicht gerettet.“ Nun blickte sie wieder aus dem Fenster. „Gott hat entschieden, dass er eine zweite Chance verdient hat.“ Sie lächelte nur und blickte dann in den Himmel und es schien als hörte sie Zens Stimme. „Danke“, sagte sie immer wieder. Und dann war da diese sanfte Melodie, es schien als würden die Engel ihm antworten, dass er noch Zeit hätte. Es war so schön. Gott hörte also auf sie? Oder war das nur eine Ausnahme? Warum half er ihr jetzt und warum nicht vorher? Warum hatte er sich ihr nicht schon vorher zu bekennen gegeben? Dann blickte sie wieder zu Chiaki. „Lass uns nach Hause fahren, ja?“ „Das letzte was Gott den Menschen gibt, ist Verwirrung.“ Erklang die dunkle Stimme von Noyn Claude. Kapitel 31: Schmerzen und Glauben --------------------------------- Vielen Dank für eure Kommentare, Ich freu mich immer so riesig ^^ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Johann Wolfgang von Goete schrieb einmal: "Alles geben Götter, die unendlichen, ihren Lieblingen ganz, alle Freuden, die unendlichen, alle Schmerzen, die unendlichen, ganz." „Marron?“ Chiaki war gerade in die Wohnung gekommen, seine Wohnung, in der er nun seit ein paar Wochen zusammen mit Marron lebte. „Bist du da?“ Eigentlich wollten sie zusammen Feierabend machen, aber sein Vater hatte ihm mal wieder noch ein ordentliche Portion Papierkram aufgehalst. Seitdem Kaiki von der Verlobung von Marron und seinem Sohn wusste, stellte sich der alte Herr eh ein wenig merkwürdig an. Aber das sollte Chiaki nicht weiter interessieren. Für ihn galt nur eins, Marron. Er ließ seinen Haustürschlüssel in die Glasschüssel fallen, die auf dem Schuhschrank stand und schlüpfte aus seinen Schuhen, hinein in die Hausschuhe. Er war sich eigentlich ziemlich sicher, dass Marron zu hause war. Ihre Schuhe standen zumindest an ihrem Platz, ihre Jacke hing noch am Hacken und ihr Schlüssel lag ebenfalls in der Glasschüssel. Er schlurfte durch die Wohnung und suchte seine Verlobte. Im Schlafzimmer blieb er stehen und sah, dass die Vorhänge sich durch den Wind bewegten. Sie hatte sich bestimmt auf den Balkon gesetzt, um noch ein wenig Sonne abzubekommen. Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit, als er Marron wirklich auf dem Balkon entdeckte. Doch anders als erwartet, hatte sie ihn nicht gehört, weil sie vielleicht mit Kopfhörern Musik hörte, nein, sondern, weil sie eingeschlafen war. Der Blauhaarige kniete sich neben die Liege und strich ihr eine ihrer braunen Strähnen aus dem Gesicht. Es war einfach wundervoll, nach hause zu kommen und seine Liebste vorzufinden. Es war einfach toll, dass da jemand war, der auf einen mit dem Essen wartete. Na gut, Marron kochte eigentlich nie. Meistens war er es, der kochte. Aber sie machte gerne Gratin und das liebte er. Ein Schmunzeln kam ihm über die Lippen, als Marron sich unter seiner Berührung bewegte und langsam aufwachte. „Hallo, Dornröschen.“ Langsam und verschlafen öffnete sie ihre braunen Augen. „Hallo.“ „Hast du lange gewartet?“ Sie richtete sich auf und Chiaki setzte sich zu ihr auf die Liege. Sie zog ihn sofort an sich und legte die Arme um ihn. „Nein, ich hab hier ein wenig gelesen.“ Chiaki nickte und griff nach dem Buch. „Aber ich bin einfach eingeschlafen.“ Marron strich ihm durch seine Haare und er spürte selber, wie er so langsam unter ihren Händen sich entspannte. „Anstrengender Tag?“, fragte sie ihn sanft. „Na ja, ich konnte nicht mal mit dir zu Mittagessen, geschweige denn mit dir nach Hause gehen.“ Chiaki kuschelte sich an Marron und schloss die Augen. Er fand es wundervoll, wenn Marron ihm so durch die Haare fuhr und mit ihren Fingern leicht über seine Kopfhaut fuhr, es war wie eine Massage, eine sehr angenehme Massage. Nie hätte er gedacht, dass er je auf so etwas reagieren würde, doch Marron hatte es ihm bewiesen. Sie ließ ihn nicht oft an sich ran, aber das tat sie immer, wenn ihr danach war. Sie musste ihre Hände in Bewegung haben und irgendwann hatte sie damit einfach angefangen und als sie merkte, das Chiaki es mochte, hatte sie einfach nicht mehr damit aufgehört. „Warum liest du so was?“ Er hielt ihr das Buch unter die Nase. Aber das hätte er gar nicht machen müssen. Sie wusste, um welches Buch es ging. „Na ja, es geht um Gott und um die Aufgaben, die er uns gibt.“ „Das klingt fast so wie die Bibel. Ich wusste gar nicht, dass du so religiös bist?“ „Bin ich auch gar nicht. Aber ich arbeite schließlich für Gott.“ „Nein, du arbeitest für mich. Ich bin dein Arbeitgeber.“ Er grinste sie an, löste sich unter ihren Händen und küsste sie liebevoll auf den Mund. „Ich habe schon länger leichte Rückenschmerzen.“ Marron stand mit der Akte an der Brust am Bett der jungen Patientin. Die Patientin war asiatischer Abstammung, hatte schwarze Haare und dunkle Augen. Chiaki hielt gerade das linke Bein der Patientin ein wenig hoch und beugte es. „Ich dachte, das ergibt sich wieder von ganz allein.“ Chiaki nickte. „Gestern Abend...“ Chiaki griff nun nach ihrer Hand. „Drücken Sie nun meine Hand.“ „Da hatte ich so ein Taubheitsgefühl in den Beinen. Und heute früh waren die Schmerzen kaum auszuhalten.“ „Miss Chou, wir geben Ihnen eine PCA-Prognose. Sie bekommen dann Morphin.“ Marron schrieb die Sachen auf das Blatt das im Klemmbrett heftete. Chiaki tastete nun ein wenig ihren Rücken ab, er hatte Miss Chou leicht zur Seite gedreht. „Das hilft gegen die Schmerzen.“ „Danke.“ „Okay, aber es gibt da ein schlimmeres Problem.“ Er ließ sie sich wieder auf den Rücken legen. „Ich habe mir Ihr MRT angesehen.“ „Anna!“ Ein älterer Mann und eine ältere Frau kamen nun herein, beide ebenfalls asiatischer Herkunft. Vermutlich waren das die Eltern der jungen Frau. „Warum hast du uns nicht vorher angerufen?“, machte der Vater ihr nun den Vorwurf. „Es tut mir Leid, aber...“ Sie blickte schnell zu Dr. Nagoya, vermutlich war ihr der Auftritt ihres Vaters ein wenig unangenehm. „Das sind meine Eltern.“ „Hi“, meinte Chiaki. „Hallo“, meinte auch Marron freundlich. Sie strich sich eine ihrer Strähnen hinters Ohr. Sie trug für Chiaki die Haare meistens nur zu einem lockeren Zopf, da er diesen strengen Zopf einfach nicht mochte. „Was ist los?“, fragte der Mann unfreundlich und bestimmend. „Ich war gerade dabei zu erklären, das Annas MRT ein Ependymom zeigt. Das ist ein Tumor im Wirbelsäulenkanal“, erklärte Chiaki. Er blickte in die Gesichter von Anna und ihren Eltern und wollte die Reaktion auf diese Diagnose erkennen. Marron sah sofort, dass der Vater erschrocken die Luft anhielt, als Chiaki das sagte. „Die gute Nachricht ist, dass wir das operieren können. Sie haben eine 95%ige Chance wieder völlig gesund zu werden, wenn wir sofort operieren.“ Chiaki blickte ihren Vater an, dieser atmete schwer und blickte seine Tochter an. „Wir dürfen wirklich nicht warten, denn bei einem so aggressiven Tumor kann jeder weitere Tag eine dauerhafte Lähmung bedeuten.“ Anna nickte, dass sie verstanden hatte und blickte zu ihrem Vater. „Vater?“ Dieser schüttelte den Kopf. „Nein.“ Überrascht blickte Chiaki nun wieder den Vater an. „Keine Operation.“ Der Mann dachte anscheinend nicht mal wirklich darüber nach. Wollte er seine Tochter etwa im Rollstuhl sehen, statt laufend und rennend? „Mister Chou, ohne Operation ist Anna in den nächsten 24 Stunden gelähmt.“ Der Mann blickte wieder zu seiner Tochter und sagte mir ruhiger Stimme. „Es wird heute nicht operiert. Wir werden sie nach Hause fahren.“ „Anna braucht diese Operation“, mischte sich nun auch Marron ein. „Dann muss das ein anderes Mal sein“, meinte Mister Chou nur. Ging es dem Mann etwa um den Tag? Passte es nicht in seinen Terminkalender, dass seine Tochter heute operiert werden sollte? „Hören Sie Mister Chou, ich...“ „Wir werden unsere Tochter nach Hause fahren“, sagte dieser bestimmend und blickte Chiaki ernst an. Chiaki ließ so eigentlich nicht mit sich reden, schon gar nicht, wenn es um das Leben eines Patienten ging. Um das gesunde Leben eines Patienten in diesem Fall. Doch er seufzte schließlich und blickte die eigentliche Patientin wieder an. „Anna, Sie sind über 18. Sie brauchen die Erlaubnis ihres Vaters nicht für diese Operation.“ Dabei deutete Chiaki mit seinen Augen auf besagte Person. Doch die junge Frau seufzte nun ebenfalls. „Wir sind Remote. Mein Vater ist der Älteste.“ Man sah, dass ihr die Worte schwer fielen, dennoch sagte sie diese. „Wenn er sagt, ich gehe nach Hause, dann gehe ich nach Hause.“ Marron biss sich auf die Lippen. Sie wollte so viel sagen, wollte das junge Mädchen retten, sie heilen und doch dachte sie an das Versprechen, dass sie Chiaki gegeben hatte. Sich nicht wieder so sehr an einen Patienten zu binden, wie sie es mit Zen getan hatte. Zumindest wollte sie es versuchen. Chiaki seufzte, als er die Worte der jungen Frau hörte. „Remote?“, fragte Chiaki genervt und ging mit Marron die Treppen im Treppenhaus hinauf. Er hatte keine Lust gehabt, den Aufzug zu nehmen, er musste sich ein wenig abreagieren. „Finden wir raus, was das ist. Und Marron“, er blickte sie an. „Versuch einen Sozialarbeiter aufzutreiben.“ Er musste einfach eine Lösung für diesen Fall finden. Er ging weiter. Sie hatten nicht ewig Zeit. Sie mussten schnell handeln. „Einer, der mit denen redet.“ „Soll ich trotzdem ihre Entlassung vorbereiten?“ Das war nun mal Regel, auch wenn keiner der Beiden daran denken wollte. „Das müssen wir. Verrückt, aber wir müssen das tun. Das erinnert mich an einen Fall in New York, als diese Frau...“, fing er an. „Brauchst du sonst noch etwas?“, unterbrach Marron ihn. Er sah genervt aus. Diesmal war es wohl er, der sich zu sehr an einen Fall klammerte und sie konnte nun nachvollziehen, wie sehr dieser Anblick doch wehtat. „Medizinisches?“ Chiaki seufzte und fuhr sich durchs Haar und blickte sie an. „Siehst du nun, wie ich mich gefühlt habe.“ Sie nickte, doch er schien es gar nicht zu sehen. „Ich brauche nur Verständnis, Marron.“ Sein Vater ging ihm mal wieder auf den Keks. Er war heute Morgen mal wieder einfach in sein Büro gekommen und hatte ihn genervt und immer wieder hatte er auf die Verlobung angespielt und genauso oft hatte er sie auch wieder runter gemacht und betont, was er davon dachte. So langsam hatte Chiaki keine Lust mehr darauf. „Marron, bitte...“ Er wollte mit ihr einfach nur nach Hause. Er wollte sich mit ihr im Bett verstecken und sie einfach nur ansehen und alles andere vergessen. Seinen Vater. Dieses Krankenhaus. Die Dämonen. Der böse Ritter Noyn Claude. Und auch Gott. Ja, er wollte sie alle aus seinem Kopf verbannen und Marron nur für sich haben, sie lieben. Sie lächelte und küsste ihm auf die Stirn. „Ich bin doch bei dir.“ Er nickte und griff nach ihrer Hand. „Ja, das weiß ich. Danke schön.“ Aber da war einfach dieser Schmerz in seiner Brust, sein Vater sorgte für einen Teil dieses Schmerzes. Es war Wut. Wut, weil sein Vater ihn nicht unterstützte. Wut, weil diese Dämonen immer wieder dafür sorgten, dass Marron ihr Leben riskieren musste. Ein schlimmer Sturm wütete über diesem Teil der Stadt. In einem Teil, des Krankenhauses war auch für kurze Zeit der Strom ausgefallen und nur das Notaggregat funktionierte noch. Zum Glück war das nicht in dem Teil in dem die Patienten der Intensivstation lagen. Marron war bei Miss Chou. Chiaki war mal wieder in einer Besprechung mit seinem Vater. „Wissen Sie, warum das Licht flackert?“ „Das hat was mit dem Notaggregat zu tun“, erklärte Marron Miss Chou. Marron schloss nun das Kabel an Annas Körper an. „Mit dieser Pumpe können Sie das Morphin selbst dosieren. Dann haben Sie keine Schmerzen mehr.“ „Ich sage es Ihnen doch, ich gehe nach Hause.“ Selbstsicher klang diese Stimme aber ganz und gar nicht mehr. Eher ängstlich. „Also werde ich das nicht brauchen.“ Marron blickte auf den Monitor der Pumpe und stellte den Anfangswert ein. Doch nun blickte sie in das Gesicht der jungen Frau. „Wenn Sie gegen ärztlichen Rat nach Hause gehen wollen, müssen Sie uns das noch mit Ihrer Unterschrift bestätigen.“ Anna nickte und schloss die Augen. Vermutlich kam nun gerade eine neue Welle des Schmerzes. „Weiß ich.“ Marron seufzte. Sie wollte der jungen Frau so viel sagen, dass es besser wäre für diese Operation. Dass sie so ein viel besseres Leben hätte. So viel und dennoch kam kaum ein Wort über ihre Lippen. „Ich weiß, das ist neu für Sie und bestimmt verwirrend.“ Marron holte tief Luft. „Ich habe eine Sozialarbeiterin angerufen, die Ihnen das alles besser erklären wird. Anna Chou blickte nun Marron an. „Sie brauchen mir nichts über kulturelle Unterschiede vorzufaseln. Ich bin hier aufgewachsen. Und war auf der Uni. Ich spiele in einer Band. Ich verstehe Sie schon, aber mein Vater nicht.“ Sie stoppte kurz, atmete zwei Mal und sprach weiter: „Wenn er Nein sagt, dann heißt das Nein.“ „Wir reden hier darüber, ob Sie je wieder Laufen können.“ Das konnte ihr doch nicht so egal sein? Wie konnte sie so sehr an ihren Glauben festhalten? Wie konnte sie so an den Glauben ihres Vaters festhalten und dabei den Menschenverstand vernachlässigen? War das wirklicher Glaube? „Darüber reden Sie.“ Nun wurde die Stimme von Anna energischer. „Aber ich rede über meine Familie. Kennen Sie das Volk der Remote überhaupt? Unsere Religion hat uralte Regeln. Die sind sehr festgelegt und extrem spirituell. Damit ist nun mal nicht zu spaßen, verstehen Sie?“ Sie hatte Tränen in den Augen und dennoch drückte ihr Gesicht Ernsthaftigkeit aus. „Man verärgert die Ahnen nicht.“ Sie rollte nun die Augen. „Auch wenn man sich die Zunge gepierct hat und in einer Band spielt.“ „Wie lauten denn dies Regeln genau?“ Vielleicht konnte Marron so etwas über diese Religion herausfinden und etwas finden, was ihnen vielleicht doch behilflich sein konnte, wenn es um das Leben dieser jungen Frau ging. Anna Chou holte tief Luft und blickte Marron ernst an. „Alle Intensivpatienten kommen in den Südflügel“, ordnete Kaiki Nagoya einer Schwester an. „Alle Frischoperierten in den Nordflügel.“ Er wollte so schnell wie möglich das Problem mit dem Strom beheben. „Vater, du wolltest mich sprechen?“ „Pornos als Schmerzmanagement?“, fragte er seinen Sohn nur. Chiaki grinste. „Du hast also Henry kennen gelernt. Ein toller Kerl, nicht? Es gibt viele Theorien über Schmerzbehandlung.“ Und da Henry momentan auf keine Schmerzlindernden Medikamente ansprach, hatte Chiaki sich für eine andere Lösung entschieden. Diese Pornos setzen nun mal Endorphine in seinem Körper frei und diese sorgen dafür, dass er sich schmerzfrei fühlte. „Pornos als Schmerzmanagement?“, wiederholte Kaiki die Frage an seinen Sohn und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Möglicherweise stimulieren Pornos so wie Musik und Kunst die Produktion der Endorphine im Hirn und lindert somit Schmerzen.“ Er hatte damit echt kein Problem. „Pornos als Schmerzmanagement?“, fragte Kaiki nun noch mal und fragte sich ernsthaft, ob das wirklich noch sein Sohn war, der da vor ihm stand. „Ich habe sie ihm nicht verschrieben. Beschimpfe also nicht mich, sondern seinen behandelten Arzt, Vater.“ „Wenn dieser Mann irgendwann so ein perverser Sexwiderling ist, dann mache ich dich dafür verantwortlich.“ Kaiki drehte seinem Sohn den Rücken zu und ging. Chiaki seufzte. „Mal im Ernst, Vater. Du suchst doch nur wieder einen Grund, um mir zu sagen, dass du gegen die Verlobung mit Marron bist. Du suchst einen Grund, um mir zu beweisen, dass Marron mir schadet. Aber Vater, ich sage es dir gerne noch mal. Ich liebe sie und Marron ist das Beste, was mir je passiert ist.“ Chiaki zog den Pager aus seiner Hosentasche und las die Nachricht. „Chiaki.“ „Hey Marron“, meinte er strahlend und mehr als nur froh, sie jetzt zu sehen. „Du musst mit Annas Vater sprechen. Ich würde es ja selber tun. Aber anscheinend ist der Besitz von Hoden Voraussetzung.“ Chiaki blickte Marron überrascht an, dass sie solche Worte in den Mund nahm. Dergleichen hatte er noch nie bei ihr gehört. Er seufzte schließlich nur. „Was ist mit dem Sozialdienst?“ „Anna sagt, er kann uns nicht helfen. Anscheinend glaubt ihr Vater, dass Anna etwas fehlt, was sie für diese Operation braucht.“ Er blickte sie überrascht an. „Ihr fehlt was? Was denn?“ „Eine ihrer Seelen“, meinte Marron im ernsten Ton zu Chiaki. Nun wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. „Wir brauchen keinen Sozialarbeiter, wir brauchen einen Schamanen.“ „Schamanen?“, fragte er überrascht. Das war doch alles mehr als nur merkwürdig. Aber die Menschen waren nun mal in ihrer Rasse unterschiedlich und oft kam es eben den einen vor, dass die anderen merkwürdig sind. Chiaki entdeckte Mr. Chou draußen im Regen stehend, als er durch die Eingangshalle ging. Er griff noch schnell nach einem Schirm, der an der Rezeption lag und eilte nun auch raus in den Regen. Mr. Chou paffte gerade an einer großen Zigarre als Chiaki bei ihm ankam. Chiaki war gefrustet, doch er wollte es nicht an diesem Mann auslassen, auch wenn dieser seinen Teil zu Chiaksi Stimmung getan hatte. „Mr. Chou, Anna soll nach Hause wegen einem Heilungsritual?“ „Wenn eine Krankheit kommt, dann fehlt uns eine unserer Seelen“, erklärte der Mann in seinem Glauben. „Annas Seelen müssen wieder hergestellt sein, bevor sie operiert wird.“ Chiaki nickte. Ja, von mir aus, dachte er sich. „Sie braucht einen Schamanen.“ „Das hätten Sie doch vorhin sagen können.“ Der Regen war echt widerlich. Es war kalt und windig und nass. Chiaki hasste solches Wetter. „Wieso?“ Er hielt die Zigarre einen Moment in den Händen. „Damit Sie mich lächerlich machen.“ „Auch wenn ich Sie nicht verstehe, respektiere ich andere Traditionen.“ Er blickte den Mann an. „Aber Sie stehen hier in einen 3000 Dollar Anzug und daher werden Sie verstehen, wenn ich Ihnen folgendes sage.“ Mister Chou nahm wieder seine Zigarre aus dem Mund und blickte Chiaki an. „Ohne diesen Eingriff in den nächsten 24 Stunden wird Anna nie wieder laufen können. Sie darf das Krankenhaus nicht verlassen.“ „Sie stirbt, wenn der Eingriff ohne ihre Seele geschieht“, meinte Mr. Chou beharrlich. Er blickte wieder über den Platz und nahm seine Zigarre wieder zwischen die Lippen. Chiaki seufzte. Irgendwie erinnerte ihn dieser Mann an seinen eigenen Vater, der so beharrlich von seiner eigenen Meinung überzeugt war. „Okay.“ Chiaki knabberte aber dennoch an diesem Mann. Warum konnte er so einfach das Leben seiner Tochter aufs Spiel setzen. „In Ordnung.“ Er blickte den Mann wieder an. „Dann brauchen wir einen Schamanen. Heute“, sagte nun Chiaki sehr ausdrücklich. Er wollte das gesunde Leben seiner Patienten auf keinen Fall verlieren. „Hier im Krankenhaus.“ Der Mann blickte ihn überrascht an, sagte aber: „Schamanen stehen nicht in den gelben Seiten. Unserer wohnt 500 Meilen entfernt von hier.“ Er lachte auf. „Sie sind ein arroganter Mensch.“ „Nein.“ Chiaki grinste. Er ließ sich bestimmt nicht von diesem Menschen sagen, dass er arrogant war. „Nur einer mit einem Zugang zu einem Helikopter.“ Nun wusste der Mann nichts mehr zu sagen. Doch stattdessen reichte er Chiaki ebenfalls eine Zigarre, die er aus der Innentasche seiner Jacke zog. „Danke“, meinte Chiaki erstaunt und roch an der Zigarre. Ah, sehr gut. „Ihre Seele zu finden wird nicht leicht sein“, stellte Mr. Chou klar. „Na ja, was ist denn schon leicht“, meinte Chiaki lächelnd und ging nun wieder ins Krankenhaus. Er hatte schließlich ein paar Dinge zu regeln. „Das ist unzumutbar“, meinte Kaiki genervt. „Wir haben nicht genug Strom, um den Aufzug zu bewegen?“ „Die arbeiten mit Hochdruck an einem Ersatz-Aggregat“, meinte die Oberschwester erklärend. „Und die Feuerwehr ist in Bereitschaft.“ „Alle kritischen Patienten?“ „Sind in den Südflügel verlegt, Sir.“ „Und neue Notfälle?“ „Gehen direkt ins West.“ „Wir hätten schon im letzten Jahr das Notstromaggregat ersetzen sollen“, meinte Kaiki genervt. „Ja genau.“ „Wieso ist das nicht passiert?“ „Ähm“, Sie stammelte. „Na ja, da müssen Sie beim Gebäudemanagement fragen. Ich kann da...“ „Oberschwester Satsuki, Sie wissen doch Bescheid. Wem muss ich dafür in den Hintern treten?“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ich fürchte, sich selbst Chef“, sagte sie vorsichtig. „Sie haben das Geld für das neue Aggregat nicht freigegeben, weil Sie für ein neues MRT-Gerät sparen wollten.“ Sie schluckte. „So, ich geh dann mal wieder runter, in die Ambulanz“, meinte sie und verschwand dann auch schon aus der Blickrichtung von Kaiki Nagoya, der die Arme in die Seiten gestemmt hatte und aufseufzte. Miyako seufzte. „Mr. Lamont, was ist denn los?“ Sie hatte heute den Porno-Patienten, wie ihn alle im Krankenhaus nannten. „Ihr Blutdruck ist erhöht“, stellte sie fest, als sie das Krankenblatt las. Der Mann seufzte schwer. Sie griff nach seinem Handgelenk. „Ihr Puls rast.“ Sie blickte den Mann im Krankenbett an. „Sie haben echt Schmerzen“, meinte sie. Die Überraschung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Was denken Sie denn?“, meinte er leicht empört. „Sie wollen mir sagen, die Pornos hätten Sie tatsächlich beruhigt?“ „Meinen Sie etwa, ich bin pervers und es macht mir Spaß, so was in Ihrer Gegenwart zu schauen?“, meckerte er sie an. „Ja, also...“ Sie wusste nun wirklich nicht, was sie sagen sollte. „Ja.“ Genau, das hatte sie eigentlich gedacht. Genau das hatten doch eigentlich alle gedacht. Nun blickte er sie empört an. Doch er atmete schwer und konnte den Blick nicht lange standhalten. „Okay. Okay.“ Sie griff noch mal nach dem Krankenblatt, irgendwas, musste man ja wohl für diesen Mann tun können. „Sie sind also allergisch gegen die meisten Anergetika. Ich... ich würde sagen“, sie griff sich ans Ohr und spielte mit ihrem Ohrläppchen, was sie immer machte, wenn sie scharf nachdachte. „Wir könnten Dropheridol und Diphenylhydramin versuchen.“ Sie legte die Akte wieder zurück. „Davon bin ich letztes Jahr ins Koma gefallen“, kommentierte der Patient Henry Lamont. „Vielleicht... dann... ich könnte einen Anästhesisten her holen. Aber wegen der Operation morgen denk ich nicht, dass er Ihnen einen Epidoral-Katheder legt“, meinte Miyako schnell zu sich selber. „Was mach ich denn nur?“ Sie fuhr sich durchs Haar. „Sekunde.“ Schmerz kommt in vielen Formen vor. Das leichte Zwicken, das bisschen Brennen oder der zufällige Schmerz. Das sind die normalen Schmerzen, mit denen jeder Mensch jeden Tag lebt. Aber es gibt auch den anderen Schmerz. Den, den man nicht ignorieren kann. Ein so heftiger Schmerz, der alles andere verdrängt. Der die ganze Welt verblassen lässt, sodass man an nichts anderes denken kann, außer daran, wie weh es tut. Wie man mit seinen Schmerz umgeht, liegt an jeden selbst. Schmerz. Manche betäuben ihn. Halten ihn aus. Umarmen oder ignorieren ihn. Und für manche ist es der beste Weg, damit umzugehen, sich einfach durchzubeißen. Kapitel 32: Die Liebe und ihre Geheimnisse ------------------------------------------ William Shakespeare schrieb einmal: „Zweifle an der Sonne Klarheit, zweifle an der Sterne Licht, zweifle, ob lügen kann die Wahrheit, nur an meiner Liebe nicht.“ Da standen sie nun also. Alle in dem Zimmer von Patientin Anna Chou. Dr. Marron Kusakabe. Dr. Chiaki Nagoya. Und Mr. Und Mrs. Chou. „Ihr Schamane hat Verspätung“, meinte Chiaki, der sich ans Kopfende vom Bett, mit dem Arm, lehnte. Marron blickte vom Krankenblatt auf und sah Chiaki an. Er schien ein wenig nervös und vielleicht sogar genervt zu sein. „Mein Schamane kommt nie zu spät“, meinte Mr. Chou ernst. Er hatte Chiaki nur bei diesen Worten angeschaut, nun blickte er wieder zu seiner Tochter. Marron überlegte, ob sie Mrs. Chou eigentlich schon ein Mal reden gehören hat. Bisher hatte immer nur ihr Mann gesprochen. Chiaki blickte Marron an und lächelte. Es war schön, dass sie bei ihm war. Er brauchte sie einfach. Auch wenn sein Vater es nicht mochte, dass Marron mit Chiaki zusammen arbeitete, so lernte sie doch eine Menge bei ihm. Und das hier war schließlich ein Lehrkrankenhaus, es ging hier darum, den Praktikanten etwas beizubringen. Und Chiaki hatte damit absolut keine Probleme, wenn ihre Beziehung für Marron ein Vorteil sein sollte. Doch Marrons Blick war ein wenig traurig, als sie Anna Chou anschaute. Sie wirkte so nachdenklich, in ihrer eigenen Gedankenwelt versunken. Tomoki trat nun wieder in das Zimmer seiner Patientin. Er hatte lange über den Akten der Frau gestanden und gegrübelt. Das konnte aber alles kein Zufall sein. „Ah, der Doktor“, meinte der Mann der Patientin und lächelte. „Mrs Bradley, ist Ihnen klar, dass Sie immer am gleichen Tag ins Krankenhaus eingeliefert werden? Und das seit sieben Jahren?“, fragte Tomoki und blickte die Frau im Bett an. Sie war schon etwas älter. Ihr Mann saß neben ihr am Bett und spielte mit ihr Karten. Tomoki wollte auf diese Frage eine Antwort. Warum war sie jedes Jahr im Krankenhaus? „Was? Das gibt es doch nicht“, meinte nun ihr Mann überrascht. Er blickte seine Frau an. „Mary?“ Er wusste wirklich nicht was er sagen sollte. Er schien wirklich überrascht zu sein. Und auch seine Frau schien das zu sein. „Ich weiß, das Datum zwar nicht genau, aber...“, fügte der Mann noch hinzu. „Ich habe hier Ihre Unterlagen. Seit 7 Jahren haben Sie an diesem Datum etwas, das aussieht wie ein Herzinfarkt.“ Die Frau lächelte. „Nein“, sie schüttelte den Kopf. „Es ist schon öfters passiert, klar, aber...“ „Am gleichen Tag?“, fragte der Mann noch mal nach. „Jedes Jahr?“ Tomoki nickte und blickte wieder zur Patientin:„Mrs Bradley, hat dieser Tag vielleicht eine besondere Bedeutung für Sie persönlich?“ „Nein.“ Sie schüttelte verstärkend den Kopf. „Gar nicht.“ Aber irgendwie glaubte Tomoki der Frau nicht. Er wurde das Gefühl einfach nicht los, dass die Frau sehr wohl wusste, was los war. „Was haben Sie im ersten Jahr getan? Ich meine, bei ihrem allerersten Herzanfall?“ Vielleicht bekam er so seine Antwort. „Ach, oh je, daran kann ich mich nun wirklich nicht mehr erinnern.“ Sie lächelte und dennoch drückte ihr Blick ein wenig Verzweiflung aus. Aber das auch nur für einen sehr kurzen Moment. „Wir waren im Garten“, fing ihr Ehemann an. Er blickte sie bei seinen Worten an, fragend. „Das war an dem Tag, als unser Nachbar…wie hieß er noch?“ „Tylor“, antwortete sie. Während ihr Ehemann erklärte, blickte Tomoki, die ganze Zeit Mrs Bradley an. In ihrem Gesicht war nun nicht mehr dieses Lächeln. Nein, ganz und gar nicht. Ihr Gesicht zeigte ihm nun etwas anderes. „Er war gestorben.“ Mr. Bradley blickte Tomoki an und dieser sah ihn ebenfalls an. „Ein Aneurysma, glaub ich.“ Er schien sich wirklich sehr gut zu erinnern. „Die Leute vom Bestattungsinstitut haben den Sarg abgeholt und du hattest den ersten Anfall.“ „Sie haben Tylor nahe gestanden?“, fragte Tomoki direkt hinaus. Mrs Bradley schüttelte sofort den Kopf. „Nein. Oh, wir haben ihn eigentlich kaum gekannt.“ Sie blickte ihren Ehemann sanft an. „Das war damals schon sehr traurig, aber was hat das mit ihrem Herzen zu tun?“, fragte Mr. Bradley. Tomoki blickte die Frau an, nun sah er die Traurigkeit in dem Gesicht der Frau. Es war eindeutig. Seine Frau wusste sehr wohl, was diese Sache mit ihrem Herzen zu tun hatte. Aber sie leugnete es anscheinend und hielt es vor ihrem Ehemann geheim. „Wenn Sie je verraten, was ich jetzt für Sie tun werde, töte ich Sie nicht nur, sondern säge sie auseinander und verkaufe die Einzelteile“, drohte Miyako Toudaji. Wenn das wirklich jemand erfahren würde – nein, daran wollte sie gar nicht mal denken. Mr. Lamont nickte. Miyako seufzte und blickte zur Tür, die offen stand. „Okay. Also...“ Ganz wohl fühlte sie sich wirklich nicht bei dieser Sache. „Also da waren diese Krankenschwestern.“ Sie setzte sich auf das leere Krankenbett, was noch mit in dem Zimmer stand. „Drei davon. Und die waren...“ Sie seufzte und blickte den Mann an, sprach dann weiter: „Sie waren unartig. Sie waren sehr, wirklich sehr unartig. Drei unartige Schwestern.“ Miyako überlegte kurz, wie sie es weiter formulieren sollte. „Sexy. Sie waren auch sexy. Und... und böse. Sexy, böse und unartig“, fasste sie noch mal zusammen. „Sie waren in der Dusche. Zu dritt. Sie hatten sich gegenseitig eingeseift.“ Sie blickte zu dem Mann. Er hatte die Augen geschlossen und leckte sich über die Lippen. Sie blickte schnell wieder weg. „Und plötzlich kommt ein Arzt in die Dusche und als er diese sexy, bösen Krankenschwestern sieht, mit ihren mega-fetten...“ „Also gut, Anna, wir werden nun die PCA-Pumpe abschalten.“, fing Marron an zu erklären. Chiaki trat schon an die Maschine. „Das bedeutet ziemliche Schmerzen, während der Dauer, des...“ „Heilungsrituals“, vollendete Anna den Satz von Marron und blickte sie mit einem leichten Lächeln an. „Sind Sie damit einverstanden?“, fragte Marron mit einem Nicken. „Ja, bin ich“, sagte sie entschlossen. „Sie können meine Seele nicht finden, wenn ich Medikamente nehme.“ Chiaki trat um das Bett herum und stand nun wieder neben Marron, er berührte kurz ihren Arm. „Wer gesund sein will, muss leiden.“ „Es ist nicht nur für Ihren Vater“, meinte Marron. Mr und Mrs. Chou holten nun mit einer Schwester den Schamanen von Dach ab, wo der Helikopter gelandet war. „Sie glauben doch auch daran.“ Ja, Marron hatte es einfach in den Augen der jungen Frau gesehen. „Ich weiß, dass es hirnrissig klingt. Aber beobachten Sie das Ritual, dann sehen Sie es.“ „Dann sehe ich was?“, fragte Marron und blickte die junge Frau an. Sie hatte so ein Strahlen in den Augen, auch wenn sie selber ein wenig unsicher wirkte, dennoch war da dieser Glanz, den Marron in den Augen von Anna entdeckte. „Den Moment, wenn es passiert.“ Marron nickte und lächelte. Vielleicht war sie heute Gott und ihrem Glauben endlich ein wenig näher. Vielleicht würde sie ihm ein wenig näher kommen? Es war doch eigentlich egal, um welche Religion oder welchen Gott es ging. Es ging immer um Vertrauen und Glauben. Chiaki blickte durch das Fenster des Zimmers in den Flur und konnte die Eltern von Anna und einen fremden Mann erkennen, vermutlich war das der Schamane. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber dieser Mann sah aus wie ein ganz normaler Mensch. Vermutlich hatte er erwartet, dass er in einem merkwürdigen Kostüm hier auftauchte, eine bunte Kutte oder so. Sie kamen nun ins Zimmer. Mr. Chou und der Schamane blickten in den Raum, blieben in der Angel stehen. Ihr Blick war fragend, forschend. Ihr Blick war auf die junge Frau im Krankenbett gerichtet. Anne richtete sich ein wenig auf. „Ich bin soweit.“ Marron lächelte. Da war wieder diese Zuversicht. Der Glaube. Ja, der Glaube an ihrer Tradition. Der Glaube daran, dass nun alles gut werden würde. Der Glaube an ihre Religion. Miyako lag inzwischen in dem Bett neben dem von ihrem Patienten. Sie hatte die Arme hinter ihrem Kopf verschränkt und lag nun so auf ihnen wie auf einem Kopfkissen. „'Oh ja, ich bin ja so ein böses Ding.' sagte Bianca zu ihm, als ihr Stethoskop auf den Boden gefallen war. 'Oh, ich auch', sagte Kristen und ließ ihren OP-Handschuh schnalzen. Und dann kam Martha.“ Miyako blickte zur Tür und erschrak. Nein, das konnte nicht sein. Da stand Dr. Kaiki Nagoya und blickte sie fragend an. Doch Miyako sagte gar nichts und deutete nur auf ihren Patienten, der inzwischen wieder ruhig war und schien schmerzlos zu sein schien. Dr. Kaiki Nagoya rollte mit den Augen ging aber nun weiter. Er hatte heute schon genug Probleme. Damit konnte er sich nun auch nicht noch befassen. Und wo war sein Sohn? Bestimmt bei seiner tollen Verlobten. Miyako seufzte und verschränkte die Arme wieder als Kissen hinter ihren Kopf. Sie seufzte auf, erleichtert dass das erstmal keinen Ärger mit Dr. Nagoya zu geben schien. „Wo war ich?“ „Martha...“, erinnerte sie Henry mit geschlossenen Augen. „Ach ja, genau. Martha war die unartigste Schwester von allen, weil sie herausgefunden hat...“, in diesem Moment ging das Licht wieder an. Überrascht blickte Miyako an die Decke. „Wir haben wieder Strom“, schrie jemand aus dem Flur. „Gott sei Dank“, meinte Miyako erleichtert. Marron blickte von außen fasziniert dem Prozess des Schamanen zu. Der Mann hatte einen roten Turban an, zumindest erinnerte Marron das, was er auf den Kopf hatte, an einen Turban. Er hatte eine kleine Fackel in der Hand und verteilte Rauch im Raum. Man hatte auch ein paar Kerzen aufgestellt. Er sprach leise ein Gebet, immer und immer wieder dieselben Worte. Sie wirkten beruhigend. Während die Familie mit im Raum war, standen Chiaki und Marron am Fenster und blickten vom Flur ins Zimmer. „Wie lange dauert es wohl, eine verlorene Seele zurück zu bekommen?“, fragte Chiaki. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er schien nicht so wirklich von dieser Sache begeistert zu sein, doch Marron war regelrecht wie gebannt. Marron blickte auf das ruhige und entspannte Gesicht der jungen Frau. Da sie das Schmerzmittel abgestellt hatten, musste sie schon längst wieder Schmerzen haben, doch keine Regung, kein Zucken war zu sehen, nur das ruhige Gesicht von Anna Chou. Sie hatte die Augen geschlossen und wiederholte auch hin und wieder Worte, die der Schamane ihr nannte. Marron blickte nun zu Chiaki und wollte erkennen, ob seine Frage mehr Scherz als sonst was war, doch sein Gesicht war genauso ernst, wie das ihre. „Keine Ahnung.“ Marron lehnte sich leicht an ihn und Chiaki lächelte. „Sie haben Stress-Kardio-Monopathie“, erklärte Tomoki der Frau, die im Bett lag und ihn erwartungsvoll ansah. „Kardio-Monopathie? … Was... Sagen Sie mir, was das ist?“ Tomoki nickte. Er saß nun auf dem Stuhl am Bett von Frau Bradley. Auf dem Stuhl, auf dem vorhin noch ihr Mann gesessen hatte. „Es ist Tylor“, antwortete Tomoki erklärend. „Tylor?“ „Tylor“, bestätigte Tomoki noch mal. „Er war nicht nur ein Nachbar, den Sie kaum kannten.“ Es hörte sich fast wie eine Frage an, war aber dennoch mehr eine Feststellung. Die Frau schluckte schwer, schüttelte aber den Kopf. „Ich verstehe nicht, was Sie meinen.“ Sie blickte nun auf ihren Hände. Wahrscheinlich, weil sie den Blick nicht mehr standhalten konnte. „Jedes Jahr an seinem Todestag erleben Sie einen Adrenalinstoß, hervor gerufen durch Stress. Ihr Blutdruck steigt. Sie haben Herzschmerzen.“ Tomoki blickte die Frau an und hörte sie nun seufzen. „Und dann landen Sie bei uns.“ „27 Jahre...“ Ihr Blick wurde nun weich. „Liebte ich diesen Mann von neben an und er liebte mich. Ich weiß, wie das klingt, aber...“ Sie lächelte nun sogar. „Tylor war meine große Liebe.“ Nun sah man Verzweiflung und Schmerz in ihrem Blick. „Und dann... und dann ist er gegangen.“ Tomoki nickte leicht. „Sie trauern um ihn. Ihr Herz bleibt stehen, weil sie um Tylor trauern.“ Tränen liefen nun aus den Augen der Frau, sie wischte sie sich nicht weg, sie schämte sich nicht dafür. „Also, was tue ich jetzt?“ Nun wischte sie die Tränen weg. „Ich meine, wie behandeln Sie das?“ Mrs. Bradley sah ihn Hilfe suchend an. „Das wüsste ich gerne“, meinte Tomoki und blickte die Frau an. Es gibt leider kein Mittel gegen Liebeskummer. Gegen diese Art von Herzschmerz. „Sagen Sie, wie schaffen Sie das?“, fragte Miyako völlig interessiert die Frau von Henry Lamont. „Ich meine 'Versaute kleine Schwestern Teil 4'? Und ich nehme an eins, zwei und drei...“ „Er ist mein Henry“, meinte die Ehefrau von Henry Lamont lächelnd. „Aber finden Sie das nicht frauenfeindlich und degradierend und irgendwie...“ Sie seufzte. „24 Stunden täglich Pornos? Ehrlich? Das ist ihr Leben?“ Sie wusste nicht, ob sie Respekt haben sollte oder eher Mitgefühl. Sie konnte sich so ein Leben wirklich nicht vorstellen. „Ich bin dankbar. Es nimmt ihm die Schmerzen“, erklärte sie zuversichtlich. „Verstehen Sie, es ist so, Henry, nimmt mir meine Schmerzen.“ Chiaki kam aus der Operation und riss sich Handschuhe und Haube vom Körper. Nach dem Heilungsritual durfte Chiaki nun endlich Anna Chou operieren. Der Schamane hatte Annas verlorene Seele gefunden und wieder in ihren Körper gebracht. Und es war wirklich gut. Chiaki war nach der Operation sehr zuversichtlich. Marron trat nun zu ihm in den Waschraum. Sie wirkte ein wenig verstört und nervös. „Ist alles okay?“, fragte er mit ruhiger Stimme und trocknete sich gerade die Hände ab. „Ich habe gelogen“, fing sie an. „Marron.“ Er wusste nun wirklich nicht, was sie ihm sagen wollte. Aber sie sah so verwirrt aus. „Nein, lass mich bitte ausreden.“ Sie seufzte. „Ich habe gelogen, als ich gesagt habe, dass wir das Beide gegenüber deinem Vater schaffen.“ Sie blickte ihn mit traurigen, aber auch ernsten Augen an. Vermutlich hatte sie lange über diese Worte nachgedacht und dennoch wusste sie nicht, wie sie diese Worte formulieren sollte. „Aber du schaffst es nicht, Chiaki und ich will nicht, dass du dich zwischen deinem Vater und mir entscheiden musst. Und nun steh ich hier und bettele.“ Ihre Stimme zitterte ein wenig. „Marron...“ „Halt bitte die Klappe. Du sagst Marron und ich meckere wieder, weißt du nicht mehr?“ Sie konnte nun mal nicht über ihre Gefühle reden, doch nun wollte sie das. Sie wollte es für ihn und für diese Beziehung. „Doch.“ Chiaki lehnte sich gegen das Waschbecken und blickte die Wand an. „Okay, hör mir einfach zu.“ Sie blickte ihn an und wartete auf sein Nicken. „Ich will nicht, dass du dich entscheiden musst, weil ich dich liebe. Ja, ich liebe dich.“ Sie hatte die Worte in letzter Zeit nicht oft genug über die Lippen gebracht. Zu wenig, als er es eigentlich verdient hätte. „Es ist so eine wahnsinnig, verrückt gewordene, vorgeben, die gleiche Musik toll zu finden, dich das letzte Stück Käsekuchen essen lassen, vor deinem Fenster einen Ghetto Blaster über den Kopf hoch zu halten, unmöglicherweise dich hassen lässt-Liebe. Das ist meine Liebe.“ Sie lächelte leicht. „Also entscheide dich wirklich für uns und wir schaffen das. Bitte, liebe mich weiterhin, so wie bisher und noch mehr. Ich brauche dich einfach.“ Sie bettelte wirklich und so kannte er sie gar nicht. Chiaki lächelte und streichelte Marron über die Wange. „Das ist das Schönste, was je jemand zu mir gesagt hat.“ Marron nickte und schluckte. „Ich werde gleich mit Miyako und Tomoki in der Bar sein. Ariane wird auch kommen. Wir feiern meine Verlobung oder so was in der Art. Also eigentlich unsere Verlobung“, fügte sie schnell hinzu. Sie strich ihm über den Kragen. „Bitte, rede noch mal mit deinem Vater und komme dann vorbei, wenn du es für richtig hältst, wenn du die Kraft hast, diese Verlobung zu feiern.“ Ihre Stimme klang traurig, aber auch ruhig. Sie gab ihm hier eine Chance, selber zu entscheiden, noch mal darüber nachzudenken, ob er das wirklich wollte. Ob er seinen Vater wirklich nicht bei sich haben wollte. Sie drehte sich um und ging. Schmerz, man muss ihn einfach aushalten. Und hoffen, dass er von alleine wieder weggeht. Hoffen, dass die Wunde, die er ausgelöst hat, verheilt. Es gibt keine wirklichen Lösungen. Und auch keine leichten Antworten. Am besten, man atmet tief ein und aus und hofft, dass der Schmerz nachlässt. Meistens kann man den Schmerz kontrollieren. Aber manchmal erwischt er einen da, wo man es nicht erwartet hat. Er trifft einen unter der Gürtellinie und hört nicht mehr auf, weh zu tun. Schmerz. Man muss ihn sich einfach stellen. Und die Wahrheit ist, dass man ihm nicht entkommen kann. Das Leben bringt ständig neuen Schmerz. „Vater!“ Chiaki hatte angeklopft und trat nun in das Büro seines Vaters. Er musste wirklich mit ihm reden. Unbedingt. Es gab einfach momentan keinen anderen Ausweg. Er musste diese Sachen einfach aus dem Weg schaffen. Für sich. Für Marron. Und auch für die Vater-Sohn-Beziehung. Er ging seinem Vater so gut es ging immer aus dem Weg. Er ertrug ihn momentan einfach nicht. „Chiaki…“, Kaiki war sichtlich überrascht, seinen Sohn zu sehen. Er blickte auf die Uhr. „Hast du nicht Feierabend?“ „Ja, habe ich. Aber ich muss noch mit dir reden.“ Kaiki nickte. „Setz dich doch.“ Er deutete auf den Sessel vor dem Schreibtisch, hinter dem er mal wieder vollkommen versunken war. Chiaki schloss die Tür leise und blickte seinen Vater an. Er dachte kurz über das Angebot nach. „Ich stehe lieber, Vater.“ Er stützte sich aber mit beiden Armen auf die Lehne des Sessels und blickte seinen Vater an. „Worum geht’s denn?“ Er hatte vor sich die ganzen Zahlen und Finanzen des Krankenhaus legen und versuchte einen Weg zu erkennen, wie er am schnellsten veranlassen konnte, dass ein neues Notaggregat bestellt wurde. „Es geht um Marron und mich.“ „Verstehe“, Kaiki schloss den Füller mit dem Deckel und legte den Stift aus der Hand, bevor er seinen Sohn vollkommen musterte. „Ich liebe sie, Vater.“ „Sie ist deine Praktikantin.“ „Sie ist das Beste, was mir je passiert ist“, widersprach Chiaki seinen Vater. „Sie ist deine Praktikantin“, wiederholte Kaiki. „Sie ist noch nicht mal mit ihrem Studium fertig.“ „Das hat doch nichts mit meiner Liebe zu ihr zu tun.“ Er fuhr sich durchs Haar, drehte sich um und seufzte. Dann drehte er sich wieder zu seinem Vater um. „Vater, nenn mir bitte einen triftigen Grund für deine Abneigung gegenüber Marron. Ich will es verstehen. Ich will wirklich verstehen, warum du mir mein Glück nicht gönnst.“ „Ich gönne dir ja dein Glück, aber…“ „Aber anscheinend betrifft dieses Glück nicht Marron, wenn es nach dir geht.“ „Nein“, antwortete Kaiki sofort. „Ja.“ Er seufzte. „Bitte, Vater. Heute Abend findet eine kleine Verlobungsfeier statt. Die Freunde von Marron haben das ein wenig organisiert und sie hat zugesagt. Ich weiß, dass sie so was eigentlich nicht mag. Aber sie will mich dabei haben.“ Chiaki seufzte. „Aber sie hat mich gebeten, nur dabei zu sein, wenn ich mir sicher bin, dass dieser Kampf gegen dich ein Ende hat. Sie will nicht, dass ich zwischen euch stehe.“ „Das ist gutmütig von ihr.“ „Ja, so ist Marron nun mal.“ „Sie ist zu naiv, labil. Sie hängt ihr Herz zu sehr an Patienten.“ „Ja, das tut sie wirklich. Aber ich finde nicht, dass sie deswegen labil ist, sondern eher herzlich. Sie kümmert sich nun mal um jeden gerne um andere Menschen.“ „So wie Zen?“ Chiaki seufzte. So hatte er sich das Gespräch nicht unbedingt vorgestellt. Er wollte doch nur den Segen von seinem Vater. Oder zumindest, dass dieser einfach akzeptierte, dass Chiaki nur mit Marron glücklich werden konnte. „Ist das dein Grund? Ist das der Grund, warum ich nicht mit ihr zusammen sein soll?“ „Nein“, sagte Kaiki mit ruhiger Stimme. „Verdammt! Vater, ich will endlich wissen, was los ist“, forderte Chiaki nun und schlug mit der Faust auf die Lehne des Sessels. Kaiki blickte seinen Sohn an. Er wusste, wie ernst es Chiaki mit Marron war. Er gönnte seinem Sohn das Glück. Nur warum musste es die Tochter von Korron sein? Hätte es nicht jede andere sein können. Sein Blick wurde sanft, als er anfing zu reden: „Sie ist die Tochter, der Frau die ich einst geliebt habe.“ Chiaki seufzte. „Eigentlich wollte ich davon nichts wissen. Aber anscheinend muss ich es nun doch erfahren.“ Kaiki nickte schwach. „Chiaki, ich mag Marron. Sie als Mensch. Sie ist ein wundervoller Mensch und ich gönne sie dir. Aber…“ „Aber?“ Chiaki setzte sich nun doch in den Sessel. Kaiki schwieg und blickte seinen Sohn an. Er war schon so erwachsen. Wo war all die Zeit hingegangen? „Als ich mit deiner Mutter zusammen war.“ Chiaki staunte, sein Vater sprach nie über seine Mutter. Zu lange war sie einfach schon tot und anscheinend schmerzte jeder Gedanke an seine erste Frau, seinen Vater immer noch sehr. „Deine Mutter war ein so wundervoller Mensch. Sie verzieh mir immer alles.“ Er seufzte und blickte auf den Füller, der auf seinem Schreibtisch lag. „Ich weiß nicht, warum sie das tat, aber sie verzieh mir immer.“ Chiaki blickte kurz auf die Uhr. Vermutlich war Marron nun schon in der Bar und sah immer wieder zur Tür, wenn diese sich öffnete, ob er nun endlich auch kommen würde. Aber das hier war erst mal wichtig. „Ich habe deine Mutter betrogen, als du gerade mal ein Jahr alt warst.“ Chiaki blickte seinen Vater entsetzt an. „Ich habe Korron während des Studiums kennen gelernt. Wir haben oft zusammen gelernt. Ich habe mich einfach in sie verliebt.“ Er seufzte schwer, anscheinend schienen die Worte ihm weh zu tun. „Ich wollte mich sogar für Korron von deiner Mutter trennen, doch dann hatte sich Korron anders entschieden. Sie wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Sie beendete unsere Affäre und entschied sich für einen anderen Mann, Marrons Vater.“ Der Blauhaarige wusste nicht, was er sagen sollte, vermutlich gar nichts. „Es war so einfach, einfach bei deiner Mutter zu bleiben. Ich hatte ja nichts mehr zu entscheiden. Es war falsch, das wusste ich. Als deine Mutter krank wurde… du warst noch so klein… als sie krank wurde, hatte ich es ihr gebeichtet.“ „Du hast ihr am Krankenbett gesagt, dass du sie betrogen hast?“ „Ja, ich habe es ihr gebeichtet. Ich konnte es einfach nicht mehr. Und dann… und dann hat sie meine Hand genommen, sie gestreichelt und mir ins Gesicht gesagt, dass sie es wusste. Sie wusste, dass ich eine Affäre mit Korron hatte.“ „Mutter kannte sie?“ „Ja, sie waren Freundinnen.“ „Du hattest eine Affäre mit der Freundin meiner Mutter?“ Chiaki wusste nun gar nichts mehr. Kaiki nickte. „Und deine Mutter hatte es die ganze Zeit gewusst und doch blieb sie mit dir bei mir.“ Chiaki musste erstmal schlucken. Das war nun doch ein wenig zu viel Information auf einmal, für ihn. Aber dennoch war es okay, zumindest in diesem Moment. Ja, es schien wirklich okay zu sein. Seine Mutter war gestorben, als Chiaki sechs Jahre alt war. In seinen Erinnerungen an sie, war sie immer eine wundervolle Frau. „Es tut mir Leid, dass du das alles nun doch erfahren musst. Aber als ich Marron das erste Mal sah. Sie sieht ihrer Mutter einfach so ähnlich.“ Chiaki blickte wieder auf und sah seinen Vater an. „Ist das, das Problem? Weil sie dich zu sehr an Korron erinnert?“ Kaiki schluckte, nickte aber. Nun war es Chiaki, der nickte. Er stand auf. „Hör mir zu Vater“, er überlegte, wie er die Worte wählen sollte. „Ich liebe Marron und daran wird sich nichts ändern. Ich werde sie heiraten und ich will, dass du sie endlich akzeptierst. Lass diese Affäre nicht an Marron aus. Und…“ Er blickte seinen Vater ernst an. „Ich will nicht, dass Marron davon erfährt. Du wirst ihr dazu nichts sagen.“ Kaiki nickte. „Okay.“ Und dann lächelte er seinen Sohn zufrieden an. „Und danke, dass du mir zugehört hast.“ Chiaki nickte nur und ging nun wieder zur Tür. „Das habe ich nur Marron zu Liebe getan. Zu der ich jetzt gehen werde. Guten Abend noch, Vater.“ Mit diesen Worten verließ Chiaki das Büro seines Vaters. Er hatte nun das Verlangen, so schnell wie möglich zu seiner Verlobten zu kommen. Er wollte sie sehen. Er musste nun einfach bei Marron sein. Kapitel 33: die kleine Lucy --------------------------- Elisabeth Noelle-Neumann schrieb einst: „Egal, wie groß der Kummer ist, den man mit Vater oder Mutter hat, es ist ein elementares menschliches Gebot, dass wir die achten und ehren, die uns in die Welt gesetzt haben. Das ist keine Frage des Kopfes. Das sitzt viel tiefer. Jede Gesellschaft, die dieses Gebot missachtet, zerstört ihre eigenen Wurzeln“ Marron war gerade auf den Weg zur Bar. Miyako und Tomoki waren schon vorgegangen, da Marron noch ein paar Akten zu Ende schreiben musste und die Beiden schon Feierabend hatten. Ariane würde sie auch vor Ort treffen. Sie hoffte, dass Ariane Miyako und Tomoki erkannte und sie nicht aneinander vorbei liefen. Aber vielleicht hatte Miyako ja auch ein großes Schild mitgenommen, vorzustellen war sich das schon. Sie dachte noch mal über das Gespräch mit Chiaki nach. Sie machte sich ein wenig Sorgen um ihn, dass ihn das mit seinem Vater doch näher ging, als er zugeben wollte. Sie stolperte, als sie von hinten angerempelt wurde. Die fremden Männer rannten jedoch einfach weiter. „Unverschämtheit“, meckerte Marron zu Recht. So was brauchte sie heute nun gar nicht. „Habt ihr denn keine Augen im Kopf?“ Doch die Männer drehten sich nicht mal zu ihr um, sondern rannten in ihren Armani-Anzügen einfach weiter. Marron seufzte und schaute auf ihre Armbanduhr. Sie kam zu ihrer eigenen Verlobungsfeier zu spät. Gut, Chiaki war ja auch noch nicht da. Aber das war ja egal, er sollte schließlich erst mit seinem Vater reden. Marron hörte es hinter sich scheppern. Überrascht blickte sie sich um und entdeckte eine junge Frau. Sie stand in einer Seitengasse und versteckte sich hinter einer großen Mülltonne. Nein, es war keine junge Frau, es war ein Mädchen. Das Kind musste vielleicht 16 Jahre alt sein, wenn nicht sogar schon 17 Jahre. Als das Mädchen allerdings bemerkte, dass Marron sie ansah, versteckte sie sich wieder hinter der Mülltonne. „Na, wer bist du denn?“, fragte Marron und trat auf das Mädchen zu. Marron trat zu dem Mädchen in den Schatten der Seitenstraße. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Doch das Mädchen antwortete ihr nicht. Sie schien schreckliche Angst zu haben, denn sie zitterte wie Espenlaub. Marron hörte plötzlich Stimmen von Männern. Sie blickte über die Mülltonne und sah die Männer in den schwarzen Anzügen wieder. „Sag mal, suchen die dich vielleicht?“ Doch das Mädchen nickte nur schwach. Marron packte sie an den Oberarmen und wollte sie zu sich ziehen, doch dann entdeckte sie die Wunde. „Du blutest ja.“ Marron öffnete schnell ihre Handtasche und zog ein Taschentuch heraus, was anderes hatte sie nun gerade nicht dabei. Sie wickelte es um den Oberarm des Mädchens, war minder zufrieden, nickte aber, nahm sie an die Hand und eilte aus der Seitenstraße, nachdem sie sich versichert hatte, dass die fremden Männer nicht mehr in Sichtweite waren. „Hervorragend.“ Man hörte das Lachen eines Wesens, das man inzwischen schon ein wenig kennen gelernt hatte. Es war ein dunkles und stinkendes Lachen. Es war das Lachen von Silar, dem Handlanger vom bösen Ritter Noyn. Sie waren sich nicht oft einer Meinung, aber wenn es darum ging, Jeanne los zu werden, waren sie es schließlich doch. „Es läuft alles nach Plan.“ „Marron“, meinte Chiaki lächelnd und küsste seine Verlobte auf die Wange. „Hey“, meinte sie und errötete ein wenig. „Nicht so schüchtern, Marron“, meinte Miyako dazu. „Ja, tu mal nicht so unschuldig“, stimmte Ariane mit ein. Die Beiden mochten sich verdammt gut. Marron rollte nur mit den Augen und blickte Chiaki wieder an. „Hast du die Sachen dabei, um die ich dich gebeten habe.“ „Natürlich.“ Er reichte ihr seine Tasche. „Aber für was brauchst du das? Bist du verletzt?“ „Nein, ist sie nicht“, meinte Miyako. Sie lallte schon offensichtlich. „Marron hat sich ein Findelkind auf den Weg hierher zu gelegt“, mischte sich nun auch Tomoki ein. „Bitte was?“ Marron hüpfte vom Hocker und ging zu dem Stuhl neben ihr, auf dem ein junges Mädchen saß. Marron entfernte das Tuch, was nur provisorisch über die Wunde gelegt wurde, dann öffnete sie die Tasche, holte Desinfektionsspray heraus, sprühte davon ein wenig auf die Wunde. Das Mädchen zog das Gesicht zusammen. „Tut mir ja Leid, aber es muss sein“, sagte Marron mit sanfter Stimme. „Es kann sein, dass Dreck in die Wunde gekommen ist und ich will nicht, dass sie sich entzündet.“ Chiaki lächelte. Sie konnte so gut mit anderen Menschen umgehen und vor allem mit jüngeren Menschen. Mit Kindern. „Dr. Nagoya, deine Verlobte hat einen Helferkomplex“, meinte Miyako. „Und du bist betrunken“, erwiderte er und blickte wieder zu Marron. Dass Marron sich gerne in das Leben anderer einmischte um zu helfen, das wusste er. Das hatte er am eigenen Leib erfahren. „Auch wenn es ein wenig brennt, es hilft.“ Sie lächelte das Mädchen an. „Und nun zu weiteren Nachrichten.“ Chiaki blickte von Marron auf den Fernseher, der über der Theke angebracht war. „Seit über 24 Stunden, wird Lucy, die Tochter des französischen Botschafters Nicolas Depatieu vermisst. Er ist vor einer Woche hier angereist. Niemand weiß, ob das Mädchen einen Unfall hatte oder Opfer eines Verbrechens wurde.“ Nun wurde ein Bild eingeblendet und Chiaki erschrak. Das Gesicht... Dieses Mädchen saß nun gerade direkt vor ihm. Es war das Mädchen, das Marron verarztete. Doch diese schaute gar nicht auf den Monitor. „Sachliche Hinweise nimmt jede Polizeistelle entgegen.“ Die Nachrichten wurden wieder leiser und Musik schaltete sich an. Marron verarztete die Wunde des Mädchens nun mit frischem Verbandsmaterial. „Sag mal, sprechen die von dir?“, fragte Chiaki das Mädchen ruhig. Sie blickte zur Seite und sagte nichts. „Ich ruf dann mal die Polizei an.“ Er griff nach seinem Handy. Doch er konnte gar nicht so schnell schauen oder reagieren, als das Mädchen Chiakis Arm packte und ihn festhielt. Sein Handy verlor er und dieses flog auf den Boden. Doch er schaute es gar nicht an, sondern sah nur in das bittende Gesicht des Mädchens. „Nein. Bitte, bitte. Ich will nicht zurück zu meinem Vater.“ „Ihr könnt sie doch adoptieren“, schlug Miyako in ihrem betrunkenen Zustand vor. „Warum denn nicht?“, fragte Marron das Mädchen. Doch sie meinte damit nicht die die Aussage von Miyako sondern die von dem Mädchen. „Deine Eltern machen sich doch bestimmt Sorgen um dich.“ Jede Eltern machen das doch sicherlich. Sie hatte damals sogar Zen davon überzeugt. Es gab nur eine Ausnahme. Die Eltern von Marron. „Aber... ich habe Angst vor ihnen.“ Marron blickte Chiaki fragend an. Er kniete sich nieder und hob sein Handy auf, doch er steckte es erst mal wieder in seine Tasche. „Er ist immer... so gemein“, sagte Lucy nun. Chiaki seufzte. Er hatte den Blick in Marrons Augen gesehen. Er nickte schließlich nur. Das sollte doch ihre Verlobungsfeier sein. Gut, mal davon abgesehen, dass Miyako und Ariane schon so betrunken waren, dass sie keinen vernünftigen Satz mehr zu Stande brachten. Er trat an die Bar und bestellte sich nun auch was zu trinken. „Marron Kusakabe, deine unerfreuliche Existenz beschmutzt die Seele von Jeanne d' Arc“, hörte man in der dunklen Nacht die Stimme des dunklen Ritter Noyn. Im Mondschein erschien nun ein anderes Wesen. „Was murmelst du da, Noyn?“, fragte Silar und grinste. Noyn blickte wütend zu Silar. Er wollte seine Ruhe haben, hatte er sich denn nicht deutlich genug diesbezüglich ausgedrückt. „Ja, war jedenfalls ziemlich clever von dir, den Schutzschild, der sie umgibt, zu schwächen.“ Er grinste. „Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“ Silar drehte Noyn den Rücken zu und schaute zu der Stelle, auf die Noyn sah. Es war eine Bar, direkt in der Nähe des Krankenhauses, in dem Marron Kusakabe arbeitete. „Du wirst sie einfach mit deiner Kraft brechen. Aber der direkte Angriff ist immer noch der beste.“ Silar lachte auf. „Mein neuester Plan ist bereits von Erfolg gekrönt.“ Die gelben Augen des Dämons leuchteten auf. „Ich habe Jeanne einen Köder hingeworfen und brauche sie nun nur noch zu vernichten und dieses Mal endgültig.“ Silar lachte, ja, er war verdammt zufrieden mit seiner Idee. Sie war einfach nur genial. „Ach, mach doch, was du willst“, murmelte Noyn. „Das Ergebnis wird uns schon zeigen, welcher Weg zum Erfolg geführt hat.“ Mit diesen Worten löste sich Noyn in der Nacht auf. Silar lacht einfach nur. Das würde ein Spaß werden. Marron ging durchs Wohnzimmer und zog die Gardine des großen Fensters zu. Sie blickte auf die Couch. Chiaki hatte Lucy dahin verfrachtet. Besser gesagt, er hatte sie von der Bar ins Auto und vom Auto in die Wohnung direkt auf die Couch getragen. Sie war eingeschlafen. Chiaki hatte kein Wort mehr über Lucy zu Marron gesagt, er hatte sie auch so verstanden und er wusste, dass Marron nicht klein bei geben würde. Sie hing einfach an ihren Prinzipien. Sie hörte Lucy im Schlaf murmeln. „Mama“, wisperte das Mädchen. Marron zog es ein wenig die Lunge zusammen, als sie diese sanften Worte hörte. Hatte sie, als sie alleine war, auch nach ihren Eltern gerufen? Sie konnte sich einfach nicht mehr daran erinnern. Marron trat zu dem Sideboard und zog die oberste Schublade hervor. Da lag das Foto, dass sie von ihren Eltern hatte. Das Einzige. Es zeigte sie als kleines Mädchen mit ihren Eltern. Marron hatte auf den Anruf von ihrer Mutter nicht reagiert. Sie wusste auch nicht, wie sie darauf hätte reagieren sollen. Sie hatte nun einen Bruder und würde ihn vermutlich nie kennen lernen. Sie seufzte und zog die Schublade wieder zu. Sie hatte nun ihre eigene Familie. Sie hatte Chiaki und er gab ihr so viel Halt, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Sie holte tief Luft. Nein, sie wollte nun nicht an ihre Eltern denken und an die Familie, die sie ihr nicht geben konnte. Sie hatte nun mal nicht so ein Glück wie Zen gehabt. Nein, seine Eltern liebten ihn. Ihre taten es einfach nicht. Es würde für sie in dieser Hinsicht einfach nie ein Happy End geben. Marron blickte auf das Telefon, das auf dem Sideboard stand. Aber vielleicht sollte sie ihre Eltern wenigstens mal anrufen. Nur ein Anruf. Mama. Papa. Es gab doch auch schöne Erinnerungen an ihre Eltern. Sie griff nach dem Hörer und wählte die Nummer. Sie kannte sie, ja sie kannte sie auswendig. „Stark, bereit, unbesiegbar, schön, entschlossen, mutig“, murmelte sie leise, während sie die Nummer eingab. „Mama, Papa, nicht hauen.“ Marron hielt inne und blickte zu Lucy. „Nicht Papa. Schlag Mama nicht.“ Lucy wimmerte im Traum. „Hilfe, nicht hauen!“ Marron legte den Hörer zur Seite. Nein, sie konnte ihre Eltern nicht anrufen. Weder jetzt, noch sonst wann. „Ein bisschen merkwürdig finde ich das schon“, meinte Access aufgebracht. „Was meinst du?“ Chiaki saß an seinem Arbeitstisch und ging am Computer noch ein paar Unterlagen durch. Er wollte morgen früh mit Marron ausschlafen, deswegen hatte er sich aber ein wenig Arbeit mit nach Hause genommen. „Ich habe einfach dass Gefühl, das Marron dieses Mädchen nicht zufällig getroffen hat.“ Chiaki hielt inne und blickte den Schwarzengel an. „Ist da ein Dämon am Werk?“, fragte er mehr zu sich selber als zum Engel. Seine braunen Augen schienen traurig und er wirkte ein wenig ausgelaugt. „Was wirst du unternehmen, Sindbad?“ Chiaki blickte wieder zum Engel. „Behalte du die Gesamtlage im Auge.“ „Einer meiner leichtesten Übungen“, meinte Access und strotzte nur so vor Energie. Marron blickte auf die Uhr. Es war Neun Uhr Früh. Sie hatte sich, ohne Chiaki zu wecken, aus dem Bett geschlichen und stand nun mit Lucy vor einem großen Hotel. Sie blickte hinauf und sah die vielen Fenster. „Lucy, ich weiß, es war vielleicht nicht fair. Aber ich habe Kontakt zu deiner Mutter aufgenommen.“ Lucy seufzte, hielt Marrons Hand aber weiterhin fest. „Wir werden sie gleich treffen.“ Marron und Lucy betraten die Eingangshalle und schon kam eine Frau in einem hübschen Zweiteiler angerannt und rief erfreut den Namen ihrer Tochter: „Lucy.“ Lucy riss sich von Marrons Hand los und eilte zu ihrer Mutter und warf sich ihr um den Hals. „Oh, Mama.“ Ihre Mutter drückte das Mädchen an sich und weinte vor Freude. Marron blieb stehen und blickte gerührt die Szene an. So hatte sie sich immer ein Wiedersehen mit ihren eigenen Eltern ersehnt. Doch die Realität sah nun mal so aus, dass es nie dazu kommen würde. So würde nie ein Wiedersehen aussehen. „Ich war so froh, über Ihren Anruf“, meinte nun die Mutter zu Marron und stand nun wieder auf, hielt Lucy aber weiterhin fest an der Hand. Sie wollte sie nie wieder los lassen, wollte ihre Kind nie wieder missen. „Das war sehr lieb von Ihnen.“ „Nicht der Rede wert“, meinte Marron und trat nun auf Mutter und Tochter zu. „Aber irgendwie verstehe ich das nicht“, gestand Marron. „Lucy scheint Angst vor ihrem Vater zu haben.“ Schlimme Angst. Solche Angst, dass ihr Vater sie sogar in ihren Träumen heimsuchte. „Seit wir in Japan angekommen sind, hat sich mein Mann stark verändert,“ erklärte Lucys Mutter. Sie blickte ihre Tochter sorgend an. „Er ist oft übermäßig streng zu unserer Tochter.“ „Rede nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst“, ertönte die Stimme eines Mannes. Marron drehte sich, wie auch Lucy und ihre Mutter zu der Stimme um. Ein etwas dicklicher Mann mit leichter Glatze stand vor ihnen und musterte alle drei skeptisch. Neben ihm standen die Männer in den schwarzen Armanianzügen. Lucy zuckte zusammen. „Du bist weggelaufen, als ich mal einen Moment nicht aufgepasst habe, Kind“, sagte der Mann mit dunkler und drohender Stimme. „Lucy!“ Er kam nun auf seine Tochter zu. „Es gibt eine Woche Stubenarrest.“ Lucy hatte sich hinter ihrer Mutter versteckt, doch auch diese schien ihrem Mann nicht wirklich gewachsen zu sein. Doch Marrons Aufmerksamkeit auf den Mann wurde durch ein ihr bekanntes Piepsen unterbrochen. Es war ihre Brosche. Das Amulett schlug immer kräftiger an, je näher der Mann zu ihnen kam. Es war eindeutig. Und Marron sah auch, wo der Dämon sich eingenistet hatte. In der goldenen Uhr des Mannes. Der Mann bedrohte nun seine Frau mit dem Zeigefinger. „Ich hab dir gesagt, du verwöhnst sie zu sehr:“ „Bitte nicht in diesem Ton vor dem Kind“, bat sie ihren Mann. „HALT DEN MUND!“, schrie er und schlug sie ins Gesicht. Es war eine deftige Ohrfeige. Marron schlug sich die Hand vor den Mund, so entsetzt war sie. Sie war noch nie so nah an häuslicher Gewalt. Sie blickte zu Lucy und dann wieder zu der Mutter. Lucys Mutter sackte zur Seite und landete auf den Boden, sie schluchzte. „Du warst früher so nett...“ Sie blickte ihren Mann vorsichtig an. „Was ist nur mit dir passiert?“ Ihre Wange war gerötet und ein Handabdruck war sichtbar. „Du bist Lucy immer ein liebevoller Vater gewesen.“ Plötzlich richtete sich Lucys Mutter wieder auf, stand aber zuerst mit dem Rücken. „Lucy, dein Vater hat ganz Recht.“ Ihre Stimme klang nun erschreckend dunkel. Und schon meldete sich auch Marrons Brosche wieder. Fragend blickte sie Lucys Mutter an. Konnte das sein? „Es geht nicht, dass du deinen Eltern widersprichst.“ Nun drehte sie sich um und blickte ihre eigene Tochter an. Marron zuckte vor Schreck fast zusammen. Diese Augen kannte sie. Sie waren dunkel unterlaufen, wie die... wie die von Zen. Es war eindeutig, dass hier Dämonen am Werk waren. Und sie hatten Besitz von Lucys Eltern genommen. Es war die Kette, die den schmalen Hals der Frau schmückte. Ihre Mutter griff nach Lucys Hand und zog sie mit sich. „Du hast Stubenarrest.“ „Mama...“ Lucy verstand die Welt nicht mehr. Das arme Mädchen, dachte Marron sich, aber sie wusste, dass sie mal wieder helfen musste. Sie würde nicht so einfach gehen. „Komm jetzt.“ „Marron...“ Lucy blickte hilfe suchend zu Marron. Sie wollte wirklich nicht mit ihren Eltern mit und Marron verstand das. Sie musste diesem Mädchen helfen. Vater und Mutter zerrten die Tochter nun mit weg. „Warten Sie doch mal!“ Marron rannte dem Ehepaar und Lucy hinterher. Sie konnte doch Lucy nicht einfach so gehen lassen. Sie wollte dem Mädchen doch unbedingt helfen. „Lucy.“ Doch schon stellten sich Marron breite Männer in dunklen Anzügen in den Weg. Doch so leicht wollte Marron nicht aufgeben. Sie versuchte sich zwischen den Männern durch zu zwängen, auch wenn sie schon vorher wusste, dass es vermutlich vergeblich sein würde. Aber so einfach würde sie nicht aufgeben. Nicht Sie, nicht Marron Kusakabe. „Gehen Sie mir bitte aus dem Weg.“ Die Männer hielten nun Ausweise hoch. „Verschwinden Sie. Oder sie kriegen Probleme mit der Justiz.“ Marron trat erschrocken einen Weg zurück. Justiz? Aber sie konnte doch nicht einfach so gehen. Sie musste Lucy doch irgendwie helfen. „Was ein Spaß.“ Silar lachte auf, als er über den Köpfen der Menschen davon flog. Keiner dieser Menschen konnte ihn sehen und all das war ihm gerade mehr als nur egal. „Das war ja mal wieder so was von unterhaltsam.“ Doch eine Person konnte das böse sehen. Chiaki. Er hatte eine Nachricht von Marron auf dem Tisch gefunden und war nun zum Hotel gefahren. Er mochte es absolut nicht, wenn Marron mal wieder Dinge alleine tat, ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen. Gut, dieses Mal hatte sie ihm zumindest schon mal gesagt, wo sie war. Aber warum war dieser Silar hier? Hatte er etwas damit zu tun? Mit Lucy? War Marron in Gefahr? Marron zog die Schublade ihrer Kommode auf und blickte auf das Kreuz. Sie musste etwas tun. Sie musste Lucy helfen. Die Brünette griff nach dem goldenen Kreuz und nahm es an sich, mit der Hüfte schob sie die Kommode wieder zu. Chiaki war nicht da. Das war auch ganz gut so. Sie hatte ihre Meldung schon abgeschickt. Aber vermutlich hatte Access Chiaki schon Bescheid gegeben. Diese kleine Petze war ihr nämlich gefolgt. So unauffällig war dieser kleine Schwarzengel nun doch nicht. Daran sollte er noch ein wenig arbeiten. Marron holte tief Luft und schaute auf ihre Uhr. Viel Zeit hatte sie nicht mehr. Sie musste wirklich handeln. Sie konnte Lucy nicht bei diesen Eltern lassen. Sie eilte aus dem Zimmer und durch die Wohnung, schlüpfte schnell in ihre Schuhe, riss sich ihre Jacke vom Hacken und öffnete die Tür. Sie erschrak, als sie Chiaki vor sich sah. Er war wohl gerade dabei gewesen, die Tür zu öffnen. „Chiaki…“ Marron wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. Sie hatte gehofft, dass sie ihn nicht sehen würde und ihm somit keine Erklärung schuldig war. Aber anders als erwartet, wirkte Chiaki ruhig und nicht aufgebracht. Er war wohl besorgt. „Die Dämonen haben dir eine Falle gestellt.“ Das wusste sie doch. Aber das würde sie nicht davon abhalten, Lucy zu helfen. „Geh nicht.“ „Das weiß ich auch“, meinte Marron mit ruhiger Stimme. Chiaki beugte sich nun etwas zu ihr herüber und nun sah er nicht mehr so ruhig aus. Eher aufgebracht. „Sei bitte nicht so dumm, blindlings hinein zu gehen. Marron, das ist leichtsinnig.“ Er konnte doch absolut nicht zulassen, dass ihr etwas passierte. Nein, das konnte er nicht zulassen. Es ging hier schließlich um seine Marron. Marron seufzte, holte kurz Luft und blickte ihn an dann an. „Aber es geht hier auch um die arme Lucy. Ich kann sie nicht so einfach ihren Eltern überlassen. Ich muss es einfach tun.“ „Und was ist nun, wenn etwas passiert? Etwas Schlimmes? Was dann? Soll ich einfach nur zusehen?“ Der Griff um das Kreuz wurde stärker. Zen. Sie hatte ihn fast verloren. Nein, eigentlich hätte sie ihn verloren gehabt, wenn Gott ihr nicht geholfen hätte. Was ist, wenn Gott ihr dieses Mal nicht helfen konnte. Was ist, wenn sie nun ganz alleine den Dämonen die Stirn bieten musste. „Das muss ich eben im Kauf nehmen.“ Sie nickte, als würde sie sich selber bestätigen und rannte an ihm vorbei. „Trotzdem Danke, Chiaki.“ Sie rannte an ihm vorbei in den Flur in Richtung Treppenhaus. Chiaki seufzte. Er wusste ja, dass er sie nicht aufhalten konnte. Wie sollte er sie aufhalten können, wenn das nicht mal Gott vermag. „Wie auch immer du dich entscheidest Marron, ich werde stets an deiner Seite sein.“ Es war mehr als nur ein Versprechen. Es war die Wahrheit. Er blickte ihr hinterher, wie sie die Treppen nach unten rannte. Er hatte ja nicht mal die Kraft,ihr hinterher zu rennen. Er war ihr einfach nicht gewachsen. Sie war so viel stärker, so viel mutiger, so viel selbstloser als er. Wie sollte er da nur mithalten? Er konnte ihr nicht die Stirn bieten. Der Blauhaarige griff nach dem Geländer und klammerte sich daran fest. Er konnte aber auch einfach nicht so tatenlos mit ansehen, wie Marron ihr Leben opferte. „Was willst du nun machen, Chiaki?“, fragte die Stimme des Schwarzsengels. „Lucys Eltern sind nun Staatsgäste.“ Chiaki musste nachdenken. Er musste Marron irgendwie helfen oder zumindest irgendwas für diese Situation beisteuern. „Sowohl das Hotel als auch der Flugplatz werden wahrscheinlich peinlich genau beobachtet.“ Ja, es handelte sich hier auch um Staatsgäste mit einer Menge Geld. „Jeanne wird es also äußerst schwer haben, an sie heran zu kommen. Und wenn das so ist, kann sie das Schach Matt an die bösen Dämonen die von Herr und Frau Depatieu besessen sind, eigentlich nur auf der Fahrt zum Flughafen setzen.“ Das klang mehr als nur einleuchtend. Das war der einzige Weg, den es für Marron gab. „Aber….“, fing Access an. Chiaki blickte den Engel fragend an. „Ja?“ „Wie kommt Jeanne an die Beiden ran, wenn die doch in ihren Autos auf der Autobahn unterwegs sind?“ „Im Menschengetümmel in der Stadt.“ Ganz genau. „Los Access.“ Nun rannte auch Chiaki zum Treppenhaus. Er musste sich beeilen, damit er Marron beistehen konnte. Kapitel 34: Das göttliche Schutzschild -------------------------------------- Fjodor Michailowitsch Dostojewski schrieb einst in "Die Brüder Karamsow III": „Ein Wunder ist es, daß ein solcher Gedanke - der Gedanke der Notwendigkeit eines Gottes - einem so wilden und bösen Tier wie der Mensch in den Kopf kommen konnte: So heilig, so rührend, so weise und so ehrenvoll für den Menschen ist dieser Gedanke.“ Marron stand auf einem Dach. Sie hatte von hier einen sehr guten Blick zum Hotel. Sie war bereit. Für alles was kommen würde. Und doch spukten gerade in ihrem Kopf Gedanken, die sie jetzt nicht gebrauchen konnte. Worte. Worte von Noyn. Worte die sie verwirrten und nicht klar gerade aus denken ließen. „Allerdings, ist er nur zu drei Taten fähig. Erstens, er gibt Menschen eine Seele. Zweitens, er kann diese Seele auch beschützen. Und drittens, kann er für schlechtes Wetter sorgen.“ Sie hatte immer noch Noyns Worte im Kopf und die Stimme dazu. Und das Lachen, was darauf folgte. Was ist wenn, Gott wirklich nur eine Ausnahme gemacht hatte bei Zen? Vielleicht würde Gott ihr dieses mal nicht mehr helfen. Vielleicht hatte ihn schon zu oft um Hilfe gebeten. Stand sie nun wirklich alleine an der Linie zum Kampf? An so etwas sollte sie eigentlich gar nicht denken und doch waren sie da… diese Gedanken des Zweifels. Sindbad kniete auf einem anderen Dach. Er hatte Marron mit einem Fernglas im Visier gehabt und beobachtete sie von dieser Stelle. Er würde sie nicht so einfach in den Kampf ziehen lassen. Er konnte das einfach nicht. Doch nun flatterte Access vor seinen Augen herum. „Sindbad, es ist furchtbar!“ Der Dieb nahm das Fernglas runter und blickte den Schwarzengel an. „Das ist ein riskanter Fall. Es wird einfach zu schwer für Jeanne, das Schach Matt zu setzen.“ Sindbad seufzte. „Und wie kommst du darauf?“ Marron stand immer noch ganz still auf dem Dach. Ihre Gedanken waren immer noch zu weit entfernt, als dass sie wirklich bereit war. Doch nun wurde ihre Aufmerksamkeit auf die Garagenausfahrt des Hotels gezogen. Die Autos fuhren an. Die Polizisten standen am Rande der Straße. Vorne an fuhren zwei Polizeiwagen. Doch dann staunte sie nicht schlecht. Denn es kam nicht nur eine schwarze Limousine aus der Garage. Es waren drei. Und jede wurde von drei Polizeiwagen umkreist. Sie wollten also mit Jeanne spielen. Marron griff wieder nach ihrem Fernglas und schaute auf die Straße hinunter. „In welchen von dem Wagen, sitzen sie denn?“ Sie spürte einen Windstoss hinter sich, sofort drehte sie sich um. Ihre Reaktion war nun mal nicht eingeschlafen. „Sindbad“, stellte Marron überrascht fest. Mit ihm hatte sie nicht gerechnet. Aber wenn sie ehrlich war, war sie auch gar nicht überrascht ihn hier zu sehen. Er würde sie nicht einfach gehen lassen. Das wusste sie doch nur zu gut. „Dieses Mal solltest du wirklich die Finger davon lassen, Marron.“ Doch als er sah, dass sie darauf nicht reagierte, sagte er: „Du weißt ja noch nicht einmal in welchem Wagen sie sitzen.“ Marron schaute betroffen weg. „Hast du vielleicht eine bessere Idee?“ „Marron“, sagte er nun mit ruhiger Stimme. „Es wird sehr gefährlich für dich, wenn du nicht bei beiden Dämonen gleichzeitig dein Schach Matt setzt.“ Marron erwiderte nichts. Das wusste sie doch alles. Sie war sich dessen vollkommen bewusst. „Ich will nicht…“ Er stoppte und blickte sie sorgend an. Sie rannte von ihm weg. „Marron“, hörte sie Chiakis Stimme nur noch. Er klang verzweifelt. Marron rannte auf eine Brücke. Sie war parallel zu der Straße, auf der gerade die Eskorte fuhr. Von hier aus konnte sie sich einen besseren Überblick verschaffen. Sie musste einfach was tun. Es ging hier schließlich um Lucy. Die Brünette blickte zu den Autos herüber. Die drei schwarzen Limousinen wurden von den Wagen der Polizei schützend eingekreist. So leicht würde sie nicht aufgeben. Ganz bestimmt nicht. Aber welcher Wagen ist es bloß? In welchem Wagen sitzen sie nur? Marron wusste, dass wenn sie nichts unternahm, einfach nur zusah, dann würde die Familie zerstört werden. Das konnte sie nicht zulassen. Niemals. Um Lucys und ihrer selbst Willen. Sie blickte auf das Amulett und drückte es sich an die Brust. „Ich kämpfe einfach so lange, bis das Amulett nicht mehr reagiert. Nie wieder.“ Ja, so lange würde sie kämpfen. Sie würde gegen alle Dämonen antreten und sie vernichten, die Menschen retten, die sie vereinnahmten. Sie würde nicht tatenlos mit zusehen. Das war doch ihre Aufgabe, oder nicht? Nun griff Marron nach dem Kreuz, dass in ihrer Handtasche ruhte und auf seinen Einsatz wartete. Sie schloss die Augen und legte die Stirn an die Spitze des Kreuzes, hielt es aber fest. „Fynn, lass Jeanne d’Arc mich erhören“, bat sie ihre kleine und bisher immer treue Freundin. Das göttliche Licht strömte aus dem Kreuz und schloss sich um Marron. Es schloss sich um sie wie eine Schutzhülle, bis es ganz in sie eindrang und sie die Wärme auch in sich spürte. Sie öffnete die Augen wieder und sah nun durch den lilafarbenen Augen von Jeanne, deren Inkarnation sie nun mal war, ihre Aufgabe an. Miyako stand mit ihrem Vater, dem Kommissar und Leiter der Sonderkommission „Jeanne und Sindbad“ am Rande eines Walls und blickte auf die Straße. Sie hatte mal wieder eine Ausnahme gemacht und hatte ihren Vater begleitet. Wenn sie frei hatte, kam sie immer öfters mit. Irgendwie beschäftigte auch sie diese Jeanne besonders. Auch wenn sie noch nicht wusste, in welcher Beziehung sie genau zu Jeanne stehen wollte. Sie hatte sich viele Gedanken über diese fragwürdige Person gemacht. „Sie wird nicht wissen, in welchem Wagen der Botschafter und seine Frau jetzt sitzen. Wenn Sie dieses mal einen Fehler macht, haben wir Jeanne. Das verspreche ich dir.“ Doch Miyako erwiderte nichts darauf. Eigentlich wollte sie gar nicht mehr, dass man Jeanne festnahm. Sie war sich aber nicht ganz sicher, was das anging. Ihr Vater blickte sie fragend an, als seine Tochter nicht reagierte. „Hey Miyako, was hast du denn?“ „Ich meine durch Jeannes – zugegeben ungesetzlichen – Einsatz sind so viele Menschen wieder normal geworden.“ Sie hatte diese Wandlung mitbekommen, die diese Menschen erlebt hatten und war mehr als nur erstaunt, als diese wieder normal waren und sich an nichts mehr erinnern konnten. „Viele Menschen wurden spontan wieder gesund, nachdem sie von Jeanne bestohlen worden sind. Vater, Jeanne ist keine gewöhnliche Diebin.“ Die Autos fuhren vor ihren Augen weiter. „Ich habe einfach das Gefühl, da steckt noch mehr dahinter.“ Miyako blickte ihren Vater bittend an. „Deswegen will ich, dass du sie schnappst, aber nur um eine Erklärung von ihr zu kriegen. Verstehst du?“ „Aber Kind…“ Er blickte seine Tochter fragend an. Jeanne hatte sich einen guten Plan ausgedacht. Einen sehr guten Plan. Die Autos fuhren nun über eine überdachte Brücke. Jeanne hatte ihre Brosche an einen Luftballon gehängt, den sie sich unterwegs in der Stadt ausgeliehen hatte. Ja, sie hatte dieses mal wirklich gestohlen, denn sie hatte den pinkfarbenen Luftballon nicht bezahlt. Aber sie hatte sich entschuldigt. Sie würde das Geld später nachreichen, das hatte sie sich fest vorgenommen gehabt, denn sie wollte keine Diebin sein. Nun hing der Luftballon unter dem Dach und über den durchfahrenen Autos. Jeanne selber hatte sich hinter einem breiten Pfeiler gestellt, der die Brücke hielt. Sie wartete nur darauf, dass ihre Brosche sich meldete. Ganz einfach. Da! Die Brosche piepste und leuchtete, als der letzte dunkle Wagen durchfuhr. Sie sitzen also im letzten Wagen. „Das war er!“, meinte sie erleichtert. Das war ja wirklich ein einfaches Spiel. Jeanne zog ihr Band und holte damit die Brosche, samt Luftballon an sich. Sie rannte weiter, sprang über ein paar Dächer und landete wieder sanft am Straßenrand. Hier waren keine Polizisten. Ein Glück aber auch. Aber lange würden die vermutlich nicht auf sich warten lassen. Sie hatte also keine Zeit zu verlieren. Sie zog wieder ihr Band heraus. Sie machte sich bereit, für ihren Angriff. Für den entscheidenden Schlag. Jeanne würde das Spiel nun beenden und Lucy ihre Eltern wieder geben. Die Blonde stand nun mitten auf der Straße und sie sah schon die Eskorte vor sich. „Im Namen des Herren…“, fing sie an. „Willst du wirklich dein Schach Matt setzen?“ Jeanne erschrak und stoppte. Sie blickte aus dem Augenwinkel um sich und entdeckte den dunklen Ritter Noyn. Er stand im Schatten eines Hauses und doch erkannte sie ihn deutlich. Er hatte die Arme vor der Brust verkreuzt und sah sie erwartungsvoll an. „Wenn du das Schach Matt bei den Eltern der kleinen und lieben Lucy setzt, sterben sie vielleicht. Wer weiß, ob du dieses mal mit deinem Gott wieder so ein Glück hast. Vielleicht hatte dein Gott nur Mitleid mit dem armen Jungen. Erinnerst du dich?“ Jeanne blickte nun geschockt zu Noyn. Zen. Gott hatte Mitleid mit ihm gehabt? Deswegen hat er ihr damals geholfen und ihm eine zweite Chance geben? „Aber hat er auch dieses Mal Mitleid?“ Jeanne hatte die Bilder von Zen im Kopf. Seine traurigen Augen, die sie gebeten haben, ihn nicht zu töten, als er dachte, sie wäre der Todesengel. Oder die Augen, als Marron ihm gesagt hatte, dass seine Mutter jeden Tag vor seiner Tür stand. Und dann diese glückliche Begegnung mit seinen Eltern, als er die Chance bekommen hatte. Wie glücklich er in den Armen seiner Mutter war. Seine Tränen. Seine traurigen Augen. Hatte Gott vielleicht wirklich nur Mitleid? „Was tut sie auf einmal?“, fragte Access, der neben Sindbad in der Luft schwebte. Beide sahen zu Jeanne. Die plötzlich nur noch regungslos da stand. „Warum bleibt sie stehen?“ Sindbad wusste es nicht, aber er wüsste es nun mal gerne. „Gib acht, Jeanne“, sagte er bittend und leise. „Halt dich da gefälligst raus, Noyn. Das hier ist meine Sache“, meinte die dunkle Stimme von Silar drohend. „Das hier ist mein Spiel. Da hast du nichts mit zu suchen.“ Die Stimme klang kalt und ließ es einem eiskalt den Rücken runter laufen. So viel Hass und Wut war in dieser Stimme. Sie zog die Augenbraue hoch und lenkte somit den Wagen in dem der Botschafter saß. Er schlidderte auf der Straße. Ein Sicherheitsmann, der neben dem Botschafter saß, wurde aus dem Wagen gestoßen, zumindest schien es so. Der Fahrer verlor die Kontrolle über den Wagen, krachte in einen Gemüsestand, der auf dem Bürgersteig stand. Plötzlich fuhr der Wagen nur noch auf zwei Rädern und raste auf Jeanne zu. Diese reagierte nun plötzlich wieder schnell, warf ihr Band aus, dass sich um eine Laterne band und zog sich damit hoch und außerhalb der Gefahrenzone. Sie landete auf dem Dach, musste sich aber gut festklammern, damit sie nicht runterrutschte. „Ja, das siehst wundervoll aus. So muss man das einfädeln.“ Silar, der in der Luft schwebte blickte nun geradeaus. Ein Tunnel. Wie grandios. „Um Jeanne werde ich mich also kümmern, wenn sie im Tunnel sind.“ Der Fahrer schien wirklich die Kontrolle verloren zu haben und versuchte die Bremse zu betätigen. Zwecklos. Der Wagen fuhr nur noch schneller. Doch nun verlor Jeanne den Halt und flog vom Wagen. Sie landete unsanft auf dem Asphalt der Straße. „Dass dein Vater und ich nicht mehr in Japan sind, ist allein deine Schuld!“, hörte Jeanne plötzlich die Stimme von Korron, ihrer Mutter. Warum? Woher kommt plötzlich diese Stimme? Woher kommt dieser Satz? Jeanne saß auf dem Asphalt und wusste nicht weiter. „Hörst du Marron?“ Warum war da plötzlich die Stimme ihrer Eltern? Dann wurde es gleißendhell in dem Tunnel. Erschrocken blickte Jeanne auf. Sie versuchte etwas in dem Licht zu erkennen. Zwei Gestalten standen plötzlich vor ihr. Ihre Körper waren wie Schatten, doch das Licht blendete sie von hinten und gab ihren Körpern Gestalt. „Wir waren uns bei deiner Erziehung nicht einig. Deswegen haben wir uns oft gestritten. Es war einfach das Beste, wenn wir dich zurück lassen und noch mal von vorne anfangen.“ Das war die Stimme ihres Vaters. Sie war schon immer so sanft und ruhig gewesen. Und auch wenn sie diese Stimme schon ewig nicht mehr gehört hatte, so erkannte sie diese doch sofort. „Wenn es dich nicht gegeben hätte, wären wir von Anfang viel glücklicher gewesen“, sagte nun die Stimme ihrer Mutter. Diese Worte taten Marron weh. Sie schmerzen ihr, setzten ihr zu, benebelten sie. Nun erkannte sie auch fast die Gesichter ihrer Eltern wieder, vielleicht setzte sie diese auch nur instinktiv ein. „Es ist alles deine Schuld, Marron.“ Ihr Vater verschwand vor ihren Augen. Warum sagten ihre Eltern so etwas zu ihr? „Ich wünschte, du wärst nie geboren worden“, sagte ihre Mutter und verschwand nun auch so schnell wieder, wie sie aufgetaucht war. Jeanne hielt sich ihre Ohren zu. Sie konnte das nicht mehr hören. „Nicht!“ Nein, sie wollte das nicht mehr hören. „Aufhören!“ Sie saß zusammengekauert auf dem Boden. Als sie plötzlich ein Quietschen hörte, blickte sie auf und sah in die Scheinwerfer eines herankommenden Autos. Es raste auf sie zu und machte keine Anstalten zu bremsen. Gerade noch rechtzeitig sprang Jeanne zur Seite. Doch das Auto bremste. „Durch die Liebe werden die Menschen verwirrt und leiden. Es wäre klüger, man würde gar nicht erst an sie glauben“, schlug Noyn vor. Sie wusste nicht, woher seine Stimme kam, doch plötzlich spürte sie einen Luftzug und sie wusste, dass er nun hinter ihr stand. Sie saß immer noch auf dem Boden und blickte zu dem schwarzen Wagen. „Noyn.“ „Jeanne.“ Er blickte zu ihr herunter. Seine dunklen Augen sahen sie allerdings weder wütend noch sauer an. „Ich meine natürlich Marron“, korrigierte er sich selber. „Vertrau mir deine Seele an. Sowie deine Eltern ihre Seele dem bösen König anvertraut haben.“ „Was hast du da gesagt?“ Jeanne war aufgestanden und blickte Noyn nun mit großen fragenden Augen an. Ihre Eltern hatten ihre Seelen dem bösen König anvertraut? Nein, das konnte nicht sein. Noyn blickte sie weiterhin ruhig an, als er sagte: „Ich habe gedacht, das weißt du. Als deine Eltern damals feststellten, dass du mit der edlen Seele von Jeanne d’ Arc auf die Welt kommen würdest.“ Er schloss kurz die Augen. „Noch vor deiner Geburt waren sie so verwirrt, dass sie ihre armen Seelen in die Hände des bösen Königs legten.“ „Nein“, widersprach Jeanne ihm. Das konnte absolut nicht stimmen. „Du lügst:“ Sie trat ein paar Schritte rückwärts. Weg von ihm. Weg von dieser Lüge. Denn es konnte nur eine Lüge sein. „Das kann nur eine Lüge sein.“ Doch da gab es diesen Zweifel. Ihr Schutzschild flammte auf. Sie musste sich vor dieser Lüge beschützen. Sie wollte ihm nicht glauben. Kein einziges Wort. „Ich weiß, dass du deine Eltern liebst. Warum auch immer? Aber sie haben deine Liebe nie erwidert.“ Nun zerbrach auf einmal ihr Schutzschild. Da war zwar noch dieses Licht, das sie umgab. Aber die göttliche Wärme verschwand. Die Zweifel nagten an ihr. Sie war nun nicht mehr länger die starke Jeanne d’ Arc. Sie war nun wieder Marron Kusakabe. Seine rechte Hand, die Noyn in einem weißen Handschuh stecken hatte, leuchtete nun auf. Er blickte sie wütend an und schnitt mit seiner Hand, die nun rasiermesserscharf war, durch ihren Schutzschild. Nun war da ein Riss. Er hatte es wirklich geschafft, ihren Schutzschild zu zerstören. „Finde dich damit ab, dass deine Eltern in der Gewalt des bösen Königs sind.“ Sein Handschuh wurde nun zu einem Schwert, vermutlich hatte er damit diesen Riss verursacht. „In seiner Gewalt?“, fragte Marron. Sie waren also gar nicht freiwillig… Ihr Schutzschild schloss sich wieder, der Riss, der eben noch breit war, verschwand. Ihre Eltern waren gar nicht freiwillig dem bösen König beigetreten. Marron verwandelte sich wieder in Jeanne. Sie fühlte sich wieder stärker. Dieser Sache gewachsen. Ihre Eltern wurden also gefangen gehalten? „Und wo?“ „Es ist zwecklos, sie zu suchen. Sie befinden sich an einem Ort, den du nicht erreichen kannst“, erklärte Noyn ihr und zückte wieder das Schwert. Er rannte damit auf sie zu, die Spitze auf sie gerichtet. Doch er kam nicht weit. Ihr Schutzschild war wieder gestärkt. „Oder willst du etwa Gott fragen ob er diese Wesen, die deine Eltern sind, rettet? Das kann der Herr nicht!“ Sein Blick war ernst und unerbittlich.“ Jeanne blickte Noyn weiterhin an und bekam gar nicht mit, dass ihr Schutzschild wieder etwas brüchiger wurde und das Schwert von Noyn weiter zu ihr durchdrang. „Auch wenn dein göttliches Schutzschild dich umgibt.“ Seine Worte klangen belustigend, als amüsierte er sich über etwas. Jeanne verlor wieder an Gestalt. Und das Kreuz, was sie so festhielt, war zu Stein geworden. Es war nicht mehr ihr goldenes Kreuz, dennoch hielt sie es fest. Gott, konnte ihr also nicht helfen? Er konnte ihre Eltern nicht retten? „Es wird immer schwächer“, meinte Noyn, zog das Schwert zurück und schnitt noch einmal quer durch. Nun war es weg. Marron hatte ihr Schutzschild verloren. Erschrocken blickte sie Noyn und das Schwert an. Sie drehte den Kopf weg, als Noyn ihr die Klinge unters Kinn hielt. Sie spürte an der Haut, wie scharf es war. „Sieh an, endlich wird es mir möglich sein, die edle Seele von Jeanne d’ Arc aus diesem Körper zu befreien.“ Er trat einen Schritt näher auf sie zu. Sein Blick war zielsicher. „Ich kann dir aber mit guten Gewissen versprechen, dass deine ach so geliebten Eltern dich verachten werden, solange du lebst.“ Marrons Blick war nun nicht mehr Angsterfüllt, sondern auch traurig. Seine Worte trafen sie tief. „Sie werden mich verachten, solange ich lebe?“ Sie blickte ihn nun an. Noyn erschrak. Ihre Augen waren nun weder mit Angst erfüllt noch traurig. Sie schienen sanft und gutmütig. „Aber ich lebe doch noch, nicht wahr?“, fragte sie ihn sanft. Sie hatte ihr Kreuz fest umklammert und hielt es an ihrer Brust, ganz nah von ihrem Herzen. „Was soll denn… Was soll dieser Blick?“ Marron blickte ihn nun entschlossen an und trat nun selber einen Schritt auf ihn zu. Ihre Wange berührte aber fast die Klinge. „Weder mein Vater, noch meine Mutter haben mich je verachtet“, sagte sie mit ruhiger und selbstsicherer Stimme. „Dass ich hier alleine bin und auch all die Jahre war ist doch das Werk der Dämonen. Habe ich nicht Recht?“, fragte sie ihn. Von Angst war keine Spur mehr in ihrer Stimme zu hören. Noyn zog das Schwert zurück. Das Kreuz erleuchtete an Marrons Brust und umhüllte Marron in ein gleißend helles Licht. Noyn musste die Augen zusammen pressen, um nicht zu sehr geblendet zu werden. „Und auch, wenn es so ist und ich weiter an die Liebe glaube, wird der Tag kommen, an dem ich mit meinen Eltern wieder zusammen sein werde.“ Und ihr neues Geschwisterchen. „Und dann werden wir wieder miteinander reden und lachen. Ja, Genau“, meinte Marron und lächelte. Sie verwandelte sich vor Noyns Augen wieder in die Kamikazediebin Jeanne. „Solange ich die Hoffnung nicht aufgebe, kann ich niemals verlieren.“ Ja, da war sie sich sehr sicher. „Blödes Ding!“, Noyn wich von ihr zurück und verschwand nun ganz. Er gab auf. Das würde er ein anderes Mal klären. „Ich hab dir gesagt, misch dich nicht ein“, ertönte die drohende Stimme von Silar. Er schnippte mit den Fingern. Die Türen des Autos wurden aufgerissen und der Botschafter und seine Frau kamen angerannt. Direkt auf Jeanne zu. Ihre Gesichter waren blass und die Augen schwarz unterlaufen. Wie damals bei Zen. Die Dämonen traten aus den Gegenständen der Beiden und ließen die Körper zurück. Beide fielen auf den Boden und schienen bewusstlos zu sein. Jeanne blickte sofort um sich sofort um, als sie ein Geräusch hörte, doch da hatte sie der eine Dämon schon mit seiner langen Pranke erwischt und schleuderte sie in die Lüfte. Jeanne landete auf ihren beiden Füßen, rollte sich aber sofort zur Seite, da Spitzen nach ihr geschossen wurden. Sie konnte auch gar nicht so schnell schauen, als der andere Dämon sie nun ergriff und packte. Er drückte sie zusammen. Jeanne schrie vor Schmerzen. Doch Sindbad hatte schließlich gesagt, dass er seine Marron nicht so einfach den Kampf überließ. Nicht mit zwei Dämonen. Er schmiss seinen Bumerang und schnitt den Arm des Dämons zu, der Jeanne festhielt. Jeanne flog auf den Boden und Sindbad eilte zu ihr. Er beugte sich zu ihr berührte sie sanft. „Bist du okay?“ Sie nickte ihm zu und war glücklich und erleichtert, dass er nun bei ihr war. Doch als sie beide zu den Dämonen sahen, mussten sie mit ansehen, wie aus zwei Dämonen ein riesiger wurde. Da standen nicht mehr zwei Dämonen, nein nun verdunkelte ein riesiger Dämon den Tunnel mit seinem Körper. Das Vieh öffnete seinen riesigen Schlund und feuerte mit Nadeln auf Jeanne und Sindbad los. Doch die Beiden waren ein gutes Team. Sindbad dachte gar nicht lange nach, zog sich den Umhang aus, stellte sich vor Jeanne und beschütze sie somit. Die Nadeln trafen seinen Mantel und sie Beide blieben unversehrt. Doch man konnte Sindbad ansehen, dass das nicht so leicht war, wie es vielleicht aussah. „Los, lauf weg, schnell.“ Er musste sie doch beschützen. Das hatte er ihr versprochen. Jeanne schluckte und sah ihn an. Wieder Mal rettete er sie, auch wenn sie ihn nicht dabei haben wollte. „Sindbad“, sagte sie mit leiser Stimme. „Ach, Jeanne“, erwiderte Sindbad seufzend. Seine Augen sahen sie bittend an. Er wollte sie doch nicht verlieren. Er brauchte diese Frau noch eine Weile, eine unbestimmte Weile. Er liebte sie und konnte einfach nicht mit ansehen, wie ihr etwas passierte. Sindbad schaute um sich und bemerkte, wie der Dämon nun auf sie beide zustampfte. Er packte Jeanne und eilte mit ihr hinter eine Säule, die den Tunnel in der Mitte stützten und die beiden Fahrspuren voneinander trennten. „Es ist ganz genauso wie damals…“ hörte man eine dunkle Stimme sprechen. Doch sie sprach so voller Überraschung. Es war Noyn, welcher ebenfalls hintere hinter einem Betonpfosten stand. Er blickte zu Boden, denn er konnte den Anblick von Jeanne und Sindbad in diesem Moment nicht ertragen. Er hatte plötzlich ein Bild aus seiner Vergangenheit vor sich. Eine Erinnerung, von der er gehofft hatte, dass er sie vergessen würde. Er wollte sich an all diese Bilder nicht mehr erinnern. Zu schmerzhaft waren sie einfach. Flammen brodelten um sie herum. Schreie drangen von überall her. Tote Menschen lagen auf dem Boden, gestorben durch einen Krieg, der so viele Opfer kostete. „Jeanne d’ Arc, mach dir um mich keine Sorgen und flieh.“ Überall war Feuer. Es war heiß und stickig und dennoch wusste er, was er zu tun hatte. Er musste Sie beschützen, komme da, was wolle. Noyn öffnete seine Augen wieder und schüttelte den Kopf. „Nein!“, sagte er zu sich selber. „Das hier ist ganz anders. Sie ist nicht meine geliebte Jeanne d’ Arc. Niemals.“ Und Noyn verschwand im Nichts. Die Beiden blieben nicht lange geschützt. Der Dämon fand sie und warf mit großen Gesteinsbrocken nach ihnen. Jeanne und Sindbad mussten sich aufteilen, damit der Dämon es nicht so einfach hatte. Und immer wieder spuckte der Dämon mit den spitzen und tödlichen Nadeln. Jeanne blickte sich um, als sie ein Wimmern hörte. Sie entdeckte Lucy, die neben ihren Eltern kniete und versuchte diese wach zu rütteln. „Mama!“ Sie rüttelte am Arm ihrer Mutter, doch ihre Mutter regte sich nicht. Dann rutschte Lucy zu ihrem Vater und rüttelte auch an dessen Körper. „Papa, wacht auf“, bat sie mit schluchzender Stimme. Sindbad stieß Marron zur Seite, als er merkte, dass sie unachtsam war und ein Angriff auf sie losgehen sollte. „Jeanne…“ Sindbad wurde nun an ihrer Stelle von den Nadeln getroffen. Sie blickte ihn entsetzt an und seufzte. Warum, wollte sie ihn fragen? Doch sie erkannte seinen glücklichen Blick, als er erkannte, dass sie wohl auf war. Sie nickte nur, schnappte sich Sindbad und zog ihn zu einen der Säulen und setzte ihn dort ab. „Bitte, lass mich das nun machen.“ Noch bevor er ihr widersprechen konnte, war sie schon wieder aufgesprungen. „Nein! Lucy!“, schrie Jeanne, als sie entdeckte, dass der Dämon nun auch Lucy entdeckte hatte und auf sie zueilte. Er holte mit seiner linken Pranke aus und schleuderte Lucy gegen die Wand des Tunnels. Hart schlug das Mädchen auf und sackte zu Boden. „Oh Gott, Lucy!“, schrie Jeanne entsetzt. Die Blonde zückte schnell ihr rotes Band und machte sich zum Angriff gegen ihren Gegner bereit. „Im Namen des Herren“, fing sie an. Eine himmlische Musik umfing sie und begleitete sie. Es klang so, als würden Engel für sie singen. Als würden die Stimmen und die Klänge, die sie machten, Jeanne mehr Kraft geben. „Fange ich die Ausgeburten der Finsternis und mache sie unschädlich.“ Damit schleuderte sie ihr Band auf den Dämon zu und fesselte ihn. „Wenn du das Schach Matt setzt, sterben vielleicht Lucys Eltern, willst du das wirklich?“, hörte sie die Stimme von Noyn im Hintergrund. Doch Jeanne versuchte die Stimme zu verdrängen. Sie glaubte an sich und sie glaubte, dass Gott ihr wieder helfen würde. Er würde nicht zulassen, dass Lucy ihre Eltern verlieren sollte. „Schach und Matt!“, schrie Jeanne. Der Dämon schrie auf, doch schon bald war der Kampf vorbei. Zwei weiße Schachfiguren in Form des Springers landeten auf dem Boden. Sindbad kam hinter der Säule hervor und drückte Jeanne an sich. Er war so glücklich zu sehen, dass sie wohl auf war, dass sie gewonnen hatte, dass es ihr gut ging. Jeanne blickte zu Lucy und löste sich aus seiner Umarmung. Nun wachten auch Lucys Eltern wieder auf, nun, wo der Dämon tot war. „Papa, Mama“, hörte man die überraschte Stimme von Lucy Depatieu. „Ach, Lucy“, Lucys Mutter war anscheinend wieder normal, zumindest wirkte sie wieder so. „Ach, mein Kind“, Lucys Vater drückte seine Tochter an sich. Auch er war wieder befreit. „Ich bin so froh, dass sie noch leben.“ Sindbad lächelte sie an und drückte Jeanne wieder an sich. „Geht’s dir gut?“, fragte Jeanne ihn, schließlich wurde er getroffen. Sindbad lächelte und streichelte ihr über die Wange. „Ich bin nur froh, dass es dir gut geht, mein Engel.“ „Komm, lass uns nach hause gehen. Ich will mir deine Wunden anschauen.“ „Ich mag es, wenn du sagst, dass wir nach Hause gehen.“ Jeanne lächelte und nahm Sindbads Hand. Ja, sie war wirklich froh, dass ihm nichts Schlimmeres passiert war. Sie hätte es sich nicht verziehen, das wusste sie. „Ich war so nah dran. Nur weil du dich wieder einmischen musstest, hatte Jeanne meine Attacke schadlos überstanden“, meinte Silar meckernd. Er und Noyn sahen gerade von oben auf den Tunnel herab. Sie beobachten die Polizisten, die nun helfen wollten. „Jeanne…“, meinte Noyn nur. Er war viel zu sehr in seinen eigenen Gedanken vertieft, um irgendetwas um sich herum mitzubekommen. „Marron.“ „Die Königin wird erscheinen“, hörten beide nun eine fremde Stimme. Sie drehten sich erschrocken um und sahen in das Gesicht eines kleinen Engels mit schwarzen Flügeln. Die Haare waren schwarz, so wie auch die Augen und die Kleidung. Dieser Engel hatte nichts mit den himmlischen Engeln gemeinsam. Er wirkte eher wie ein gefallener. „Was, die Königin?“, fragte Noyn überrascht. „Aber warum denn schon jetzt?“, fragte nun auch Silar überrascht. Er war ein wenig enttäuscht. „Woher soll ich das wissen“, meinte der Bote pampig und verschwand auch schon wieder im Nichts. „Immer diese Königin“, gab Silar genervt von sich. „Es muss mir noch unbedingt vorher gelingen, Jeanne selber fertig zu machen.“ Es war schon spät und der Mond schien durch das große Panoramafenster ins Wohnzimmer. Es war ganz still in der Wohnung. Marron hörte nun nur die automatische Stimme am anderen Ende der Leitung. Dann legte das Telefon wieder auf die Station. Sie blickte auf das Gerät und wusste nicht mehr weiter. Kein Anschluss unter dieser Nummer? Wie konnte das denn sein? Ihre Mutter hatte sie doch noch vor kurzem von genau dieser Telefonnummer aus angerufen. Sie drehte sich um und zuckte zusammen. Chiaki stand hinter hier und hatte sie anscheinend beobachtet. „Chiaki…“, sagte sie leise zu ihm. Doch keiner bewegte sich. Sie blickten sich einfach nur an. Chiaki lächelte nun, trat an sie heran und drückte sie an sich. „Wenn du alle Dämonen unschädlich gemacht hast, wird der Fluch, der auf deinen Eltern liegt, gebrochen. Aber wenn du die Hoffnung aufgibst, dann sind sie verloren“, flüsterte er ihr mit sanfter Stimme zu. Seine Hände streichelten über ihren Rücken. „Also Kopf hoch, Liebes, es wird schon werden.“ Marron nickte und lächelte. Ja, eines Tages, werde ich sie ganz bestimmt retten. Kapitel 35: Romeo und Julia Teil 1 ---------------------------------- William Shakespeare schrieb einst in „Romeo und Julia“, Mercutio: „Er ist ja schon tot: Durchbohrt von einer weißen Dirne schwarzem Auge, durchs Ohr geschossen mit einem Liebesliedchen, seine Herzensscheibe durch den Pfeil des kleinen blinden Schützen mitten entzwei gespalten.“ In der achten Klasse nahmen wir in der Schule 'Romeo und Julia' durch. Als Fleißaufgabe ließ Mrs. Kakyuu uns das Stück mit verteilten Rollen lesen. Taichi Takenuchi war Romeo. Wie das Schicksal so spielte, war ich Julia. Alle anderen Mädchen waren neidisch. Aber ich sah das ein bisschen anders. Ich sagte Mrs. Kakyuu das Julia eine Idiotin war. Zuerst verliebt sie sich in den Mann, von dem sie weiß, dass sie ihn nicht haben kann und dann macht sie das Schicksal für ihre eigene schlechte Entscheidung verantwortlich. Mrs. Kakyuu hat mir dann erklärt, dass wenn das Schicksal ins Spiel kommt, man manchmal keine Wahl mehr hat. Im reifen Alter von dreizehn war mir damals ganz klar, dass es in der Liebe, wie im Leben darum geht, sich zu entscheiden. Und Schicksal hat nichts damit zu tun. „Du hast mich beschützt, bleib bei mir.“ Ihre wundervolle sanfte Stimme drang in seinem Traum wieder zu ihm. Er wusste dass es ein Traum war. Ein Traum mit den Erinnerungen seiner Vergangenheit. Er wurde verletzt, als er sie beschützt hatte. „Bitte du darfst nicht sterben.“ Sie kniete sich vor ihn und drückte ihren Kopf auf seine Schulter, zog ihn an sich. Er schwieg. Dann zog er sein Schwert aus der edlen Scheide und schlug sie damit von sich. „Oh, nein“, stellte sie voller Entsetzen fest. Er stand nun auf, kniete nicht mehr verletzt auf dem Boden. Doch der Helm verhinderte ihr einen Blick auf sein Gesicht. „Du wunderst dich Jeanne?“ Sie erkannte die Stimme, konnte sie aber nicht zuordnen. „Lerne niemanden zu vertrauen.“ Diese Stimme war ihr so vertraut. „Du hast viele Feinde.“ Er hob das Schwert wieder und zielte damit auf sie wie eine Waffe. „Du darfst niemanden vertrauen, Jeanne. Nicht einmal Gott.“ Doch nun verschwand so langsam der Helm. Die ganze Rüstung löste sich auf. Da stand nun kein Soldat mehr, nein, da stand Sindbad, der Dieb. Und anstatt des Schwertes hatte er seinen Bumerang in der Hand. Er lächelte sie verschmitzt an. Das letzte was sie sah, war sich selber auf dem Scheiterhaufen. Um sie herum brannte es lichterloh. Die Flammen waren heiß und sie spürte wie ihr Körper ihr versagte. Wie er brannte. Sie schrie auf. „Chiaki…“ Sie richtete sich erschrocken auf und atmete schwer. Es war ein Traum. Nur ein Traum. „Marron?“ Sie blickte auf die Seite neben sich und sah ihn. Ihren Chiaki. Er blickte sie besorgt an. Es war ein Traum, nur ein Traum, redete sie sich ein. „Alles okay?“, fragte er sanft und griff nach ihrer Hand. Marron schluckte schwer, nickte aber. Was sollte ihr denn bitte dieser Alptraum sagen? „Komm leg dich wieder hin.“ Marron nickte und rutschte wieder unter die Decke. Sie schloss die Augen und hoffte, dass diese Bilder nicht mehr da waren. „Wenn nicht einmal ein Traum Erinnerungen wachruft, dann kann Marron eigentlich gar nicht Jeanne d’ Arc sein!“ Noyn wusste nicht ob er erleichtert über diese Tatsache sein sollte oder nicht. Seine linke Augenbraue zuckte, weil er angestrengt nachdachte. „Unmöglich! Sie ist nicht Jeanne d’ Arc!“ Noyn schwebte vor dem Schlafzimmerfenster und blickte ins Innere. „Bitte, warte Jeanne d’ Arc, ich werde deinen edlen Geist und deine Hochverehrte Seele endgültig freisetzen. Marron war schon früh aufgestanden. Sie konnte irgendwie nicht mehr schlafen und war direkt ins Krankenhaus gegangen. Sie hoffte, dass ihre Arbeit sie ablenken würde. „Hey, meine Süße.“ Marron erschrak, als sie Lippen auf ihrer Wange spürte. Diese Stimme. Es war die gleiche Stimme, wie die aus ihrem Traum. Die Stimme, die ihr gesagt hatte, dass sie keinem vertrauen konnte. Sie zuckte zusammen. Die Brünette löste sich schnell aus seiner Umarmung und blickte ihn an. Der Traum? Was sollte ihr denn dieser Traum sagen? „Alles okay?“ Marron sagte gar nichts und blickte Chiaki einfach nur an. „Du liebe Zeit, ihr zwei. Am frühen Morgen schon so angeregt?“, Miyako tauchte vor den Beiden auf und grinste. „Man könnte meinen ihr wohnt nicht zusammen.“ Sie blickte Marron an. „Ist bei dir alles okay?“ Marron nickte nur und griff nach der Akte, die auf dem Tisch ruhte. Sie musste sich abreagieren. Sie musste diese Gedanken an diesen Traum loswerden. Aber auch, wenn sie ihn nicht ansah, spürte sie Chiakis Blick auf sich ruhen. Er machte sich wohl auch Sorgen um sie. Aber sie konnte ihn jetzt gerade einfach nicht ansehen. `Sei doch nicht so dumm Marron. Das war doch bloß ein Traum´, versuchte sie sich selber davon zu überzeugen. Aber es klappte nicht wirklich. `Es war doch bloß ein Traum´, sie nickte sich selber zu um diesen Gedanken zu bestätigen. Es war nur ein Traum. Sie lächelte nun sogar wieder. Davon wollte sie sich doch ganz sicherlich beeinflussen lassen. „Esme wollte bis morgen warten zum Hausarzt zu gehen“, erklärte der Mann von Esme Marron als diese den Bauch von ihr abtastete. Das Paar war schon etwas älter, aber sie wirkten wie ein verliebtes, junges Paar. „Aber seit gestern hat sie nicht mehr einen Bissen gegessen. Da habe ich sie her gebracht“, erklärte er fürsorglich. Marron nickte, griff nach der Patientenakte und ihrem Kugelschreiber, dann blickte sie die Patientin wieder an. „Mrs. Sorento, Sie haben eine akute Choleystitis. Möglicherweise müssen wir ihre Gallenblase entfernen.“ „Sie hat Gallensteine?“, fragte Mr. Sorento und blickte Marron überrascht an. „Er sieht zu viel fern. Er denkt er ist Arzt“, meinte nun Mrs. Sorento. Ihr Mann tätschelte ihr die Schulter und lächelte sie liebevoll an. Marron lächelte und nickte. „Ich gebe ihnen Antibiotika und eine Infusion, damit sich die Gallenblase beruhigt. Dann konsultieren wir Dr. Nagoya und besprechen gemeinsam, ob eine Operation der beste Weg ist. Haben Sie noch Fragen?“ „Was haben Sie sich da am Kopf getan?“, fragte die junge Frau. Damit meinte sie sicherlich das Pflaster, welches Marron sich auf die Stirn geklebt hatte, um den Pickel zu verstecken, der da heute Morgen plötzlich erschienen war. Sie hatte sich ihr Pony so vorgekämmt, dass es über das Pflaster fiel und hatte gehofft, dass man es kaum sehen würde. „Nichts“, meinte Marron schnell. Sie lächelte die alte Frau im Bett an. „Heute wird es mir gelingen“, sagte Silar zu sich selber mit überzeugter Stimme. „Ich werde Jeanne garantiert nicht der Königin überlassen.“ „Was planst du dieses Mal wieder?“, fragte Noyn der hinter Silar auftauchte. Beide saßen auf dem Dach des Krankenhauses und blickten hinunter. Es war eine Menschenmenge vor dem Krankenhaus. Aber keine von Beiden interessierte sich wirklich dafür. „Silar!“ „Das geht dich einen feuchten Dreck an. Lass mich bloß in Ruhe, du Versager.“ „Ha!“ Noyn lachte auf. „Noch habe ich nicht versagt. Bald klappt es, verlass dich drauf.“ „Zu spät“, sagte Silar giftig. Seine Augen verengten sich nun zu Schlitzen. „Die Königin hat vor hier zu erscheinen. Du kannst dein `Bald´ knicken“, teilte Silar ihm mit. „Und misch dich ja nie wieder ein. „Jeanne gehört mir. Verstanden?“ Noyn schloss die Augen und sagte mir ruhiger Stimme: „Das habe ich nicht vor.“ „Ach ja? Wirklich? Und warum hast du Jeanne gestern Nacht diesen Traum in den Kopf gepflanzt?“ Silar grinste. „Ich finde derartige Peinlichkeiten sollten einem Dämon deiner Klasse wirklich nicht unterlaufen.“ Silar lachte auf. „Oh, das tut mir ja sehr Leid. Das habe ich ja ganz vergessen. Ach, du bist ja nur ein Stinknormaler Mensch, der seine Seele dem bösen König verkauft hat. Ich dagegen, nicht wahr?“ „Ich arbeite eben mit meiner eigenen Methode.“ „Tut mir ja Leid. Aber wie ich schon sagte, zu spät.“ Silar grinste. „Jeanne wird nämlich heute noch sterben, weißt du.“ „Ich habe da so meine Zweifel, dass dir das gelingen wird“, sagte Noyn mit ruhiger Stimme. „Du wirst nämlich Probleme haben, ihr himmlisches Schutzschild zu durchbrechen.“ „Halt den Mund!“, schrie Silar auf einmal wütend auf. Er hatte sich sofort umgedreht und Noyn mit einer geballten Ladung Wut und Hass gegen den Sims geschleudert. „Du hast ja keine Ahnung“, fing Silar mit verszerter Stimme an zu reden. Die Stimme war gar nicht mehr wieder zu erkennen. Sie komplett anders, dunkel, kalt. Nicht mal Noyn erkannte ihn wieder. Eine dunkle Aura umgab Silar in diesem Moment. „Wie grausam ein zu allem entschlossener Dämon sein kann!“ Noyn wurde durch diese gewaltige Energie festgehalten und konnte kaum atmen. „Und hör endlich mit deinen stümperhaften Aktionen auf.“ Der Blick von Silar war todernst. Die Iris war auch nicht mehr golden. Nein, sie war schwarz unterlaufen. Wie es bei Dämonen nun mal üblich war. „Ich werde Jeannes Schutzschild mit all meinen Kräften zu durchbrechen wissen. Jeanne gehört mir. Mir allein!“, schrie er fast drohend. „Ich werde sie auch bestimmt nicht der Königin überlassen. Kommt nicht in Frage. Das werde ich der Königin nicht erlauben.“ Damit verschwand Silar sich in die Luft erhebend und ließ Noyn wieder zu Atem kommen. Noyn lächelte aber just diesem Moment. „Dummes Ding,“ murmelte er zu sich selber. „Schnabel?“, fragte der Patient, als es an seinem Rücken ziepte. „Kralle“, antworteten Tomoki und Miyako gleichzeitig. „Wir müssen den Schnitt erweitern, um besser sehen zu können“, teilte Miyako dem Patienten mit. Tomoki beugte sich zu dem Patienten und fragte ihn: „Tut ihr Bein sehr weh?“ „Mir geht’s prima, Mann. Machen Sie nur... weiter.“ „Soll ich jemanden Bescheid sagen?“ „Warum denn?“ Tomoki blickte wieder zu seiner Arbeit, auf dem Rücken des Patienten. Er hatte in jeder Hand eine Pinzette, so wie Miyako. „Sie sind aus dem vierten Stock gefallen und leben noch.“ Der Mann war Fensterputzer und war von seinem Gerüst gefallen und mit dem Rücken direkt auf eine Taube. Die Überreste der Taube versuchen Miyako und Tomoki nun gerade zu entfernen, was nicht ganz so einfach war. „Das würde ich von den Dächern rufen wollen.“ Das einzige was war, dass sein Bein vermutlich gebrochen war. Die Röntgenaufnahmen waren noch unterwegs. Miyako blickte ihn skeptisch an. Tomoki ignorierte den Blick von ihr. „Es ist ein Wunder. Sie sehen, das bestimmt nicht vom medizinischen Standpunkt, aber bei einem solchen Sturz wäre eigentlich ihre Lunge kollabiert und ihr Rückgrat gebrochen und ihre Aorta wäre total...“ „Tomoki“, meinte Miykao und blickte ihn ermahnend an. „Hörst du nun endlich auf.“ Tomoki nickte und blickte wieder auf den Rücken des Patienten. Sie sammelten die Überreste der Taube in einer kleinen Blechschüssel auf, aber dennoch waren da noch so viele Federn und kleine, hohle Knochen. Dann beugte sich Tomoki wieder zum Kopf des Patienten. „Ich meine ja nur. Es gibt einen Grund dafür, dass Sie... wir beide... Carpe diem.“ Man musste dazu sagen, dass Tomoki der erste war, der den Mann auf der Straße entdeckt hatte. Eigentlich direkt nach dem er runter gestürzt war. Denn wenn die Taube nicht auf Tomokis Schuh geschissen hätte, er dadurch zurück getreten war, wäre der Mann direkt auf ihn gefallen. Somit wurden beide gerettet. „Nutze den Tag“, flüsterte Tomoki. Der Mann wendete nun den Kopf zu Miyako. „Können Sie ihn bitte wegschicken“, bat er. „Ich wünschte wirklich, das ginge.“ „Mr. Walters.“ Die neue Oberärztin Moore trat ins Zimmer und steckte die Röntgenaufnahme an den Kasten und schaute sich das Bild an. „Die Knochen in ihrem linken Bein“, dann blickte sie den Patienten an. „Sind zersplittert, das werden wir operieren müssen.“ „Na super“, meinte Mr. Walters dazu nur. „Wieder typisch.“ „Schnabel“, sagte Miyako nun hielt etwas in der Pinzette fest, was wirklich wie ein Schnabel aussah. „Oh, das ist...“, Tomoki beugte sich wieder zum Patienten. „Darf ich den behalten?“ Mr. Walters blickte ihn fragend an. „Welche anderen Tiere sind noch monogam?“ „Ich glaube Wühlmäuse, mein Schatz“, antwortete Mr. Sorento. Er hielt die Hand seiner Frau und lächelte sie an. „Ich weiß, dass ist schwer. Ich bin ein Nadelkissen“, meinte nun Mrs. Sorento zu Marron. „Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, ich werde schon eine schöne Stelle finden“, meinte Marron, die gerade dabei war die Injektionsnadel einzusetzen. „Otter bleiben ein Leben lang zusammen“, meinte Mrs. Sorento schließlich. „Wie bitte?“, fragte Marron völlig überrascht. „Und offenbar auch Wühlmäuse.“ Mrs. Sorento lächelte ihren Mann an und dieser strahlte sie zuversichtlich an. „Okay“, meinte Marron, als die Nadel endlich drin war. „So, nun schön ruhig halten. Das wird nur noch einen kleinen Augenblick dauern.“ „Ich finde Otter toll.“ „Also ich bin immer eher ein Hundemensch gewesen“, meinte Marron lächelnd. Das Ehepaar Sorento lachte darüber. Sie sahen so glücklich und verliebt aus. Warum konnte sie Chiaki heute bloß nicht ebenso ansehen? Nur wegen dieses Traumes? Marron war in der Mittagspause schnell zur Bibliothek gelaufen. Diese war nicht weit vom Krankenhaus entfernt. Sie musste etwas erfahren. Sie musste erfahren, wer Jeanne war. Sie wollte endlich etwas über die Frau wissen, die ihr immer so viel Kraft gab. Im Jahre 1337 entzieht Frankreich England die letzte französische Festlandsbesetzung und löst damit einen langen und blutigen Krieg aus. Der zur Loslösung Englands zur französischen Kultur führt. Und England hetzt Flamden gegen Frankreich auf. „Was fällt dir zu diesem Thema ein?“ Marron blickte überrascht auf. Sie war vollkommen versunken gewesen in dem Geschichtsbuch. „Wie bitte? Oh Herr Shikaido.“ „Die Geschichte wiederholt sich. Sagt dir, dass vielleicht irgendwas?“ „Der Hundertjährige Krieg“, fiel er ihr ins Wort, bevor sie irgendwas sagen konnte. Er brach 1337 aus und endete zunächst 1365 als König Johann geschlagen wird. 1369 nimmt Karl der Große der Fünfte den Krieg wieder auf und erobert ein Teil der besetzten Gebiete. 1396 tritt ein 28 Jahre währender Waffenstillstand in Kraft.“ Herr Shikaido schloss die Augen und nickte Marron zu. „Kurz vor Widerausbruch des Krieges wurde in einem Dorf ein Mädchen geboren, es behauptete von Gott den Befehl bekommen zu haben, Frankreich zu retten. Dieses Mädchen hieß Jeanne d’Arc.“ Er blickte Marron durchdringend an. Das war also Jeanne d’Arc. „Und tatsächlich gelang ihr die Rettung Frankreichs bei der entscheidenden Schlacht.“ Fynn. Warum musste sie nun wieder an den kleinen Engel denken? „Du bist die Wiedergeburt von Jeanne d’ Arc!“ Hatte Fynn denn nicht immer genau das gesagt? Sie schluckte und blickte wieder zu Herr Shikaido, der sie musterte. „Weißt du denn welches Schicksal Jeanne dennoch erleiden musste, Marron? Sie wurde an die Engländer ausgeliefert und von der heiligen Inquisition verurteilt. Sie wurde als Hexe bei lebendigem Leibe verbrannt.“ Marron schluckte schwer. Sie wurde verbrannt? Obwohl sie…? „Also hat sie für den Sieg Frankreichs gesorgt? Und trotzdem hat niemand auch nur versucht, sie zu retten.“ Ihre Stimme wurde traurig. „Nein, denn obwohl Karl der Fünfte, durch ihre Hilfe den Thron besteigen konnte, hat er keinen Finger für ihre Rettung gerührt. Und obgleich sie doch im Namen des Herren für ihr Land kämpfte, ist auch er im entscheidenden Moment stumm geblieben.“ Gott? Dann blickte er sie wieder an und sah Marron tief in die Augen. „Es gibt nämlich niemand, dem man tatsächlich vertrauen kann.“ Diese Worte. Die gleichen, wie die aus ihrem Traum. Sie zuckte ein wenig zusammen. „Ich geh dann mal wieder weiter. Viel Spaß noch mit dem Geschichtsbuch, Frau Kusakabe.“ „Er wirkt überhaupt nicht glücklich.“ Marron blickte von der Patientenakte auf und sah Tomoki an, der sie eben angesprochen hatte. „Vielleicht ist es ja der Schock“, meinte er direkt selber, bevor Marron überhaupt etwas antworten konnte. „Der Mann ist am Leben. Das ist doch der Hammer.“ Er war richtig hyperaktiv als er das sagte. Marron blickte wieder auf ihren Akte und versuchte sich zu konzentrieren. „Er muss doch einsehen, das Dinge nicht ohne Grund geschehen.“ „Oh ja, bestimmt. Nur weil ich was Komisches träume, soll es etwas Wirkliches andeuten?“ „Ich meine es ernst.“ „Ich auch“, meinte Marron. „Was soll die Hello-Kitty auf der Stirn?“, fragte Miyako, die nun auch an der Zentrale erschien. Gut, das Pflaster war vielleicht nicht so unauffällig, wie anfänglich gedacht. Es war pink und hatte ein Hello-Kitty-Muster. „Ich will nicht darüber reden“, antwortete Marron einfach. Das wollte sie wirklich nicht. „Tomoki, übernimmst du Lian Chang?“, fragte Miyako. „Was ist mit Mr. Walters Operation?“ „Ich habe keine Zeit“, meinte Miyako. „Ich habe ein Date. Ein Test-Date“, antwortete Miyako. „Er will ein Test-Date.“ „Wer ist er?“, fragte Marron interessiert. „Oh, ich habe ihn damals bei der Benefizgala kennen gelernt“, teilte sie Marron mit. Dann blickte Miyako wieder Tomoki an, der sie erwartungsvoll ansah. „Ich meine ich habe Mr. Walters schon Vogelteile aus dem Rücken gepult. Ich habe schon genug.“ „Carpe Diem“, meinte Tomoki bitter ernst. „Ich habe einen riesigen Pickel auf der Stirn und sehe langsam so aus, wie ich mich fühle. Carpe das doch“, meinte Marron. Tomoki sprang auf den Tisch und strahlte. „Heute ist der glücklichste Tag meines ganzen Lebens.“ Miyako seufzte. „Erzähl, das dem Vogel.“ Damit ging sie weg. Marron musste versuchen sich ein Grinsen zu unterdrücken. Das war gut gekontert. „Welches?“ Marron blickte von ihrem Terminkalender hoch und blickte die beiden Kleider an, die Miyako neben sich hielt. Ein rotes hatte sie schon an. „Ähm, die sind beide sehr schön.“ „Natürlich sind sie das.“ Miyako seufzte. „Sonst hätte ich sie ja wohl kaum nicht genommen.“ Sie hielt sich nun eins an den Körper. „Aber welches ist richtig?“ Sie trat nun an den großen Spiegel am Ende der Umkleide. „Wofür? Du siehst in beiden scharf aus.“ Miyako drehte sich zu Marron um und nickte. „Na logisch. Das ist ja auch nicht die Frage.“ „Du siehst scharf aus“, meinte Marron. „Klar, Yamato und ich werden essen und darüber reden, wie scharf ich bin.“ Marron zuckte mit den Schultern. Tomoki kam nun gerade mit Alex in die Umkleide. ' „Dieses Date ist ein riesiger Fehler“, meinte Miyako nun und blickte sich weiter im Spiegel an. „So ein Date kann einen schon nervös machen“, meinte Tomoki, der zu Miyako an den Spiegel trat. „Ganz besonders, wenn man schon aus der Übung ist“, versuchte er es. „Nimm es einfach locker, bleib cool.“ „Ich weiß, wie man das macht.“ Miyako sah ihn giftig an. „Ich bin ja nicht du, Tomoki.“ Sie zog sich nun das rote Kleid aus. „Ich habe den Termin für ihre Vasektomie gemacht“, meinte Alex in die Runde. Alle wussten von welcher Patientin er sprach. Sie waren schließlich alle bei der morgendlichen Visite dabei gewesen und erst dann wurden den Ärzten die Patienten zugeteilt. „Und ich darf bleiben für die Konstruktion ihrer...“ „Ich könnte das nicht“, meinte Sara schließlich und stoppte Alex Worte. Sara, war nun im ersten Jahr und hatte sich mit Tomoki und Marron angefreundet. Sie war blond und eine nette junge Frau. Und heute war Sara mit Alex der gleichen Patientin zugeteilt. „Was? Dich ab und an sexy für deinen Freund zu recht zu machen, wie Dr. Toudaij?“, fragte Alex Bailey. „Geh doch lieber ringen“, meinte Miyako und zog sich nun das lilafarbene Kleid an. Es schien ein wenig eng zu sein. „Ich meine Eierstöcke und Brüste wegschneiden lassen, nur weil ich, vielleicht irgendwann mal Krebs kriege“, antwortete Sara und blickte wieder in ihr Buch. „Betrachte es wie eine Hand“, meinte Miyako. Sie kam mit dem offenen Kleid zu Marron und bat sie unausgesprochen, ihr den Reißverschluss zu schließen. „Wenn du sie abschneiden müsstest, um nicht zu sterben“, sie hielt sich ihre Haare hoch, damit Marron den Verschluss verschließen konnte. „Würdest du es tun.“ „Aber wenn du dir eine Hand abschneidest, verlierst du nicht deinen Sexualtrieb, bekommst Silikonbrüste, hast Hitzewellen und kannst keine Kinder mehr haben.“ Miyako zog sich nun ihre Hose unter dem Kleid hervor. „Ich würde gar nicht erst den Test machen lassen“, meinte nun auch Marron. „Ich meine, was würde dass denn bringen?“ Alex, Sara und Tomoki blickten sie fragend an. Miyako war zu sehr mit ihrer Hose beschäftigt. „Ich meine, wir sterben doch so oder so.“ Sara blickte sie skeptisch an. Marron seufzte. „Das ist das Hello-Kitty-Pflaster. Davon wird man komisch.“ „Ich würde sagen, Ex oder Top. Was soll's, sind doch nur Körperteile“, war Alex Aussage dazu. „Würdest du auch deinen Penis abschneiden?“, fragte Sara direkt und blickte ihn skeptisch an. „Um den Tod abzuwenden?“, fragte Alex nach. „Mmh. Außerdem ist er ja lang genug“, antwortete er mit einem breiten Grinsen und verließ die Umkleide. Sara und Marron rollten mit den Augen. „Scharf sein, kann ich doch immer. Sogar in OP-Klamotten. So bin ich einfach“, meinte Miyako zu Sara und Marron. Aber es schien, als wollte sie sich damit eher selber beruhigen. Sie blickte wieder in den Spiegel. Das enge lila Kleid betonte jede einzelne Rundung und es saß ihr verdammt gut. Aber ob das ein Kleid für ein Date war? „Er hat mich doch schon tausend Mal nackt gesehen.“ Tomoki kam gerade aus der Toilette und an Miyako vorbei, als sie dieses sagte. Er presste die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu. „Böse, böse Bilder in meinen Gedanken.“ Marron musste schmunzeln. „Und dennoch ist es euer erstes Rendezvous.“ Miyako drehte sich zu Marron um und blickte diese verzweifelt an. „Danke.“ „Okay, Marron. Die Adhäsionen sind ab. Was kommt jetzt?“, fragte Dr. Nagoya. Beide blickten auf den Monitor. „Wes-Bass einsetzen, um die Gallenblase anzuheben und sie zu sezieren.“ „Gut. Und wonach suchen wir im kaluschen Dreieck?“ „Nach der Gallenblasen-Atterie“, antwortete Marron und blickte auf den Monitor. In den Händen hielten Beide Werkzeug, dass sie nun auf dem Monitor sahen. „Ganz genau. Moment mal.“ Marron hielt die Kamera fest. „Was sehen Sie da?“ Marron seufzte. „Eine Porzellan-Gallenblase.“ „Das ist nicht gut“, meinte Chiaki und blickte Marron sorgend an. Marron nickte. Ja, das war wirklich nicht gut. „Mr. Sorento“, fing Chiaki an. „Beim Entfernen der Gallenblase ihrer Frau, haben wir Kalkeinlagerungen gefunden.“ Mr. Sorento blickte von Chiaki zu Marron und wieder zurück. „Was hat das zu bedeuten?“ Chiaki suchte nach den Worten. „Es ist oft ein Anzeichen für Gallenblasen-Krebs.“ Mr. Sorentos Blick wurde geschockter. Er schien die Haltung zu verlieren. „Wir lassen gerade eine Gewebeprobe untersuchen“, sprach Chiaki weiter. Der Ehemann der Patientin suchte nach den Fragen. Man sah es ihm richtig an. „Ist es denn so ernst?“ Seine Atmung war nicht mehr ganz so gleichmäßig und ruhig wie bis eben. „Ich fürchte schon. Wir machen es ihr so angenehm, wie möglich. Aber ihre Frau braucht weitere Untersuchungen, um die nächsten Schritte zu planen. Eventuell operieren wir erneut.“ „Aber... diese Operation wird sie doch dann retten?“, fragte nach Hoffnung ringend. „Der Krebs ist bereits fortgeschritten.“ Chiaki blickte durch das Fenster zur Patientin, sie war noch nicht wieder von der Narkose aufgewacht. „Wir können ein paar Eingriffe vornehmen. Die sind dann zur Schmerzbehandlung. Aber... aber heilen können wir Sie nicht.“ Die Tränen standen dem Mann in den Augen. Er rang mit sich selber. Nun blickte auch er durch das Fenster zu seiner Frau. „Wie... wie lange hat sie noch?“ Das war immer die schwierigste Frage. Die Menschen wollten eine Zeitspanne. Wollten wissen, wie lange sie noch glücklich sind. Wie lange sie noch einander haben. „Nach unserem jetzigen Kenntnisstand etwa vier bis sechs Monate.“ Chiaki legte die Hand auf die Schulter des Mannes. „Es tut mir so Leid.“ Dann ging er weg. Marron würde bei den Beiden bleiben. Sie wollte nun zur Patientin herein gehen, als der Mann sie wieder ansprach. „Esme, Sie soll das nicht erfahren.“ „Was?“, fragte Marron überrascht und blickte den Mann an. „Esme, sie soll nicht wissen, wie ernst es ist.“ „Sie wollen es ihr nicht sagen?“, fragte Marron mit ruhiger Stimme. Sie war überrascht über die Worte des Mannes. Aber sie hatte auch Respekt vor ihm. „Bitte“, er lächelte leicht. „Sie sehen es doch... Sie ist ein so glücklicher Mensch. Lassen wir ihr doch das Glück.“ Marron blickte zur Patientin. „Ich möchte einfach nicht, dass sie Angst hat, dass sie stirbt. Sie muss es doch nicht wissen.“ Der Mann blickte seine Frau an und trat näher ans Fenster. William Shakespeare schrieb einst in Romeo und Julia: Julia: „ O schwöre nicht beim Mond, dem wandelbaren, der immerfort in seiner Scheibe wechselt, damit nicht wandelbar dein Lieben sei!“ Kapitel 36: Romeo und Julia Teil 2 ---------------------------------- William Shakespeare schrieb in "Romeo und Julia": Julia: Zu Liebesboten taugen nur Gedanken, die zehnmal schneller fliehn als Sonnenstrahlen, wenn sie die Nacht von finstern Hügeln scheuchen. „Ich...“, wollte Tomoki gerade wieder anfangen. Er stand am Bett des Patienten Mr. Walters und war immer noch ziemlich aufgedreht. „Nein, nicht“, bat Mr. Walters ihn. „Bitte, kein Carpe Diem mehr. Ich will den Tag nicht nutzen.“ Er lehnte sich in sein Kissen zurück und blickte zur Decke. Tomoki blickte von der Akte, in der er gerade etwas notierte, auf. „Das verstehe ich eben einfach nicht. Ich stehe hier und bin irre glücklich, einfach am Leben zu sein.“ Er schrieb nun die aktuellen Werte auf. „Wenn ich in den Himmel schaue, dann ist er blauer. Das Essen schmeckt mir besser. Und ich habe nicht so einen Sturz lebend überstanden.“ Tomoki hielt inne, als er diesen Satz sagte. Er blickte nun den Mann fragend an. Doch dieser schaute nicht mehr zur Decke, sondern zur Seite. Und dann war es klar. Wie der Mann sich benahm, wie er redete. Es war eindeutig. „Sie sind gesprungen?“, fragte Tomoki langsam. Er blickte Mr. Walters fragend an, dieser sah ihn nicht an. Sein Blick war traurig und leer, seine Lippen zitterten. Er schluckte. Anscheinend konnte der Mann das nicht mal zugeben, zu schwer lag das auf ihm, Tomoki schluckte. „Vor dem Unfall habe ich nur an Risa gedacht“, fing er dann an. „Meine Exfreundin, die im Krankenhaus arbeitet. Das ist ein schlechter Witz.“ Er schnalzte mit der Zunge und blickte wieder von Tomoki weg. Tomoki überlege angestrengt, was er dem Mann sagen sollte, wie er ihm helfen konnte. „Vielleicht, haben Sie jetzt eine zweite Chance.“ Mr. Walters blickte schließlich Tomoki an. „Risa. Ich würde gerne mit ihr sprechen. Können Sie sie her holen?“ Tomoki wusste nicht, ob er das machen durfte oder auch machen sollte. „Sagen Sie ihr, sie ist der Grund, warum ich noch lebe.“ Dann nickte Tomoki. Miyako blickte von der Speisekarte auf. Sie waren in einem schicken Restaurant. Sie blickte sich erst suchend im Raum um und dann auf dem Tisch. „Wo ist die Butter?“ Yamato Minazuki blickte von seiner Karte nun ebenfalls auf und reichte ihr die Flasche Öl, die auf dem Tisch stand. „Nicht das Olivenöl, ich will Butter“, teilte sie ihm mit. Yamato nickte und stellte die Flasche wieder an. „Hier ist die Weinkarte“, der Kellner im weißen Dress und schwarzer Krawatte reichte sie Yamato. „Oh, das wird nicht nötig sein“, meinte er. „Bringen Sie uns einen trockenen Chardonnay.“ „Nein“, mischte sich Miyako ein. „Ich trinke lieber Bordeaux.“ Yamato blickte sie skeptisch an. „Miyako, ein Chardonnay passt besser zum Hummer.“ „Ich möchte ein Steak“, teilte sie ihm nun mit. Yamato blickte sie entgeistert an, schluckte dann und nickte. „Du isst rotes Fleisch?“ „Du nicht?“, fragte sie nun überrascht. Yamato blickte wieder in die Speisekarte, so wie Miyako und ließen das Gespräch erst mal so im Raum stehen. „Du hast wirklich vor, dieses Mädchen zu suchen?“, fragte Marron zu Tomoki. Sie standen beide im Aufzug. „Und Sie hier bei der Arbeit zu nerven?“ „Hör zu, ich weiß es ist verrückt. Aber...“, nun blickte er sie wieder an. „Aber, jemand muss ihr doch sagen, was er für sie empfindet. Er hat überlebt, oder? Daraus muss einfach etwas Gutes werden.“ Marron nickte nur. „Ich meine, das könnte einfach alles verändern.“ Er seufzte. „Also echt. Ich dachte du wärst romantisch.“ „War ich noch nie“, meinte sie und lächelte. „Diesen Part übernimmt jemand anderes in der Beziehung.“ Die Tür des Aufzuges ging auf und Chiaki trat ein. Er lächelte als er beide sah. „Hallo, sehr erfreut.“ Er drückte auf die Taste. Dann blickte er Marron wieder an. „Dass Hello-Kitty gefällt mir. Sehr pink und sehr fröhlich.“ Marron wusste nicht ob sie lächeln sollte oder es sich nicht gleich von der Stirn ziehen wollte. „Also Daisy arbeitet in der Buchhaltung.“ „Die ist im Keller“, sagten Marron und Chiaki gleichzeitig. Miyako schnitt ein Stück von ihrem Steak ab und führte es mithilfe der Gabel zum Mund. Dabei blickte sie Yamato an und bemerkte, dass er sie zu beobachten schien. Er nippte gerade an seinem Chardonnay. „Was ist?“ „Ähm...“ Er schwenkte das Glas etwas. „Gar nichts“, sah nun ins Glas und trank noch einen Schluck. Miyako legte ihr Besteck an den Tellerrand und griff nach ihrem Glas. „Ich schlage vor, wir lassen das Dessert aus. Ich muss morgen früh raus.“ „Oh, na klar. Kein Problem, Miyako.“ Und wieder entstand eine unerträgliche Stille, in der keiner wusste, was er sagen konnte um diese Situation zu verbessern. „Mein Gott“, hörten sie plötzlich eine Stimme. „Ist jemand hier drinnen Arzt?“, fragte eine Frau leicht hysterisch. Miyako und Yamato blickten sich, dann stand Miyako sofort auf. „Ja.“ Yamato folgte ihr. Die Frau die gerufen hatte, kniete neben ihrem Mann, der auf dem Boden lag. Yamato tätschelte dem Mann leicht gegen die Wange, um ihn wieder wach zu bekommen, während Miyako ihm das Hemd aufknöpfte. „Rufen Sie einen Krankenwagen.“ „Ich dachte er macht Witze, mit dem Sodbrennen“, versuchte die Freundin des Mannes zu erklären. Yamato beugte sich über den Mund und versuchte etwas zu hören. „Der Puls ist schnell und unregelmäßig“, meinte Miyako zu sich selber. Miyako griff nach seinen Fingern. „Sieh dir mal diese langen Finger an“, meinte sie zu Yamato. „Er ist vermutlich 1,90 groß.“ „Was ist denn mit seinen Fingern?“ „Ihr Begleiter hat die klassischen Symptome für das Marfan-Syndrom“, erklärte Miyako. „Das bedeutet das die Wände seiner Blutgefäße sehr dünn sind.“ „Wir brauchen einen Krankenwagen“, teilte Yamato noch mal mit. „Die Aorta könnte rupturieren“, meinte Miyako. „Er muss in den OP, bevor das passiert.“ „Ich verstehe kein Wort. Wer sind sie überhaupt“, meinte die Freundin nun und blickte Yamato und Miyako fragend an. Tomoki rannte die Treppe herunter und entdeckte endlich das Schild zur Buchhaltung. Er rannte den Gang entlang. An einer Bürotür die offen stand, blieb er stehen. „Wieso ist ihr Büro hier unten im Keller? Ist ja ein echtes Versteckspiel.“ „Weil wir kranke Menschen nicht mögen.““ „Oh... hier sind leider eine Menge...“ Die Frau am Schreibtisch widmete sich wieder ihren Unterlagen. „Ähm, sind Sie Risa?“, fragte Tomoki und trat nun ein. „Nach Sieben Uhr gebe ich keine Auskunft zur Buchhaltung. Da gebe ich nur noch Daten ein.“ Sie blickte ihn bei diesen Worten nicht mal an. „Na ja, eigentlich komme ich von Jim“, meinte Tomoki und blickte die Frau an. Der Blick der Frau entgleiste nun und wirkte überrascht. „Das soll ein Witz sein?“ „Nein. Er ist hier im Krankenhaus. Er hatte einen Unfall. Ich bin sein Arzt. Es geht ihm gut“, sagte er immer schneller werdend. Er holte tief Luft. „Wir müssen ihn nur am Bein operieren.“ Nun lächelte Tomoki. Er wusste, dass es richtig war, nach Risa zu suchen. „Er hat mich gebeten, Sie zu suchen.“ Risa nickte und schluckte. „Sagen Sie dem Mistkerl, diese Mühe hätte er sich mal vor zehn Jahren machen sollen.“ Damit widmete sie sich wieder ihren Unterlagen. Zehn Jahre? Tomoki ging wieder zur Tür, blieb noch mal kurz stehen und überlegte, ob er nicht doch noch was zu ihr sagen sollte. Aber er hatte kein Recht. Er ging. „Wieso bist du auf mich sauer?“, fragte Alex Bailey Sara. Sie saßen beide oben auf der Garlie und würden bei der Operation mit zu sehen. „Du schaust auf alles, was einen Rock trägt.“ „Wenn du ihn trägst. Kurz. Schulmädchenstil. Falten.“ Er grinste sie an. „Ohne ein dickes paar Glocken über den Rock würdest du nicht mal hinschauen.“ Er seufzte. „Man schneidet sie ab und man baut sie wieder auf. Vielleicht sogar besser. Das Leben geht weiter.“ Zumindest war das seine Philosophie. „Wenn es einen Gen-Test für Hodenkrebs geben würde, denkst du positive Männer würden sich operieren lassen?“, stellte sie ihm nun eine Gegenfrage der Dinge. „Nein“, beantwortete sie sich die Frage selber. „Und warum nicht? Sie wären kastriert. Welcher Mann würde freiwillig, den Körperteil loswerden wollen, der einen Mann aus ihm macht.“ Sara schaute die ganze Zeit runter, durch das Fenster, direkt in den Operationssaal. „Was diese Frau macht, ist sich kastrieren zu lassen. Und wir operieren, als ob es nichts wäre. Es ist nicht, nichts“, stellte die blonde Sara klar. Doch sie sah, dass Alex nicht ihrer Meinung war. „Gott, wie kannst du einfach nur so tun, als wäre das nichts. Stelle dir vor, es ginge zum Beispiel um mich.“ „Sara, ich finde, dass du über reagierst“, sagte er leise zu ihr. „Findest du nicht?“ „Wenn ich dieses Krebs-Gen hätte. Wenn ich morgen ankäme und mein Busen wäre aus Plastik. Und meine Haut zehn Jahre älter. Und mein Sexualtrieb gestoppt... denk mal an mich. Findest du das bei mir okay?“ Alex schluckte und sagte nichts dazu. „Ja, genau. Dann wärst du sicher heiß drauf, mich mit Zunge zu küssen“, sagte Sara, stand von ihrem Stuhl auf und verließ die Galerie. Alex blickte ihr hinterher und seufzte. Na super. „Dr. Moore macht sich bereit“, teilte eine Schwester mit. „Hey, Tomoki, hören Sie. Haben Sie sie gefunden?“, fragte Mr. Walters. Er lag auf dem Operationstisch. Gleich würde man sich sein Bein genauer anschauen, es aufschneiden und richtig wieder zusammen flicken. Tomoki drehte sich um, er war gerade die Werkzeuge durchgegangen und blickte nun den Patienten an. „Nein, tut mir Leid, Jim. Die haben gesagt, sie macht Urlaub“, log er den Mann auf dem OP-Tisch an. Er konnte ihm einfach nicht sagen, was Risa ihm gesagt hatte. „Oh ja?“, fragte Jim Walters ihn noch mal. Eine Schwester entfernte das Kissen unter Walters Kopf und legte diesen nun wieder sanft auf die Tischplatte. Aber nicht direkt aufs Kalte. Nein, man hatte ihm zwei Schaumkissen untergelegt. Die waren steriler als ein Kissen. „Ja, vielleicht bei ihren Eltern. Ich wette sie ist zu ihren Eltern nach London gereist. Da ist sie aufgewachsen.“ „Wir verschaffen ihm nun schöne Träume“, sagte die Anästhesistin. Sie stand am Kopf des Patienten und drückte nun die Kanüle herunter, in dem das Mittel war. „Ich freue mich schon, meine Jim.“ „Vielleicht klappt es ja nach der Operation“, versuchte es Tomoki nun. „Und wenn es Ihnen besser geht, meine ich.“ „Mir geht’s auch so super“, meinte Jim und lächelte. „Danke fürs Versuchen. Das bedeutet mir sehr“, seine Stimme wurde nun leiser. „viel.“ Jim Walters fing nun an zu husten. „Moment“, meinte die Anästhesistin. „Es gibt ein Problem.“ Tomoki schaute sofort zum Monitor. „Kreislaufstillstand?“, fragte er überrascht. „Dr. Moore!“, rief man Sie sofort. Sie war zum Glück schon im Operationssaal. „Los, Tomoki. Reanimation.“ Tomoki nickte, beugte sich über den Oberkörper und fing mit der Herzmassage an. „Geben Sie Supra“, teilte Dr. Moore dem Personal mit. Man beatmete ihn mit einem Sauerstoffbeutel, während Tomoki weiterhin gegen die Brust drückte, um das Herz zu bewegen. „Kein Rhythmus“, hörte man die Stimme einer Schwester. „Benachrichtigten Sie die Familie“, forderte Dr. Moore Tomoki auf, als beide den Operationssaal verließen. „Was ist passiert?“ „Wir machen eine Obduktion.“ Die neue Oberärztin legte die Akte an der Station ab und schaute sie sich an. „Manchmal stirbt jemand auf dem OP-Tisch ohne direkten Grund. Das kann man nicht vorher wissen und deswegen auch nicht kontrollieren.“ „Er hat einen Sturz aus dem vierten Stock überlebt“, widersprach Tomoki. „Wozu war das gut?“ Er blickte Dr. Moore an, doch diese blickte ihn nicht an, sondern notierte nun gerade in der Patientenakte, dass Jim Walters auf dem Operationstisch verstorben war. „Er hat überlebt, damit ich Risa finde. Und dann wollte Sie ihn noch nicht mal sehen. Ich kann das nicht verstehen.“ „Wir sind alle die Pointe eines kosmischen Scherzes, Tomoki.“ Sie klappte die Akte zu. „Und nun lassen Sie mich bitte in Ruhe.“ „Chiaki.“ „Was gibt es denn Marron? Kommst du dienstlich oder privat zu mir?“, fragte er sie und er hoffte, sie würde ihm sagen, was mit ihr los war. Warum sie ihm mal wieder aus dem Weg ging. „Mr. Sorento hat mich gebeten, seiner Frau nicht zu sagen“, fing Marron an. Chiaki seufzte auf. Er hatte es gehofft gehabt. „Dass sie sterben wird.“ „Du hast es ihr noch nicht gesagt?“, fragte er nun überrascht. Wie konnte Marron nur? Dachte sie denn gar nicht mehr nach? „Nein“, sagte sie leise. „Okay, dein 'Nein' habe ich nun überhört. Du bist Ihr Arzt und du bist dafür verantwortlich, deine Patienten so zu informieren, dass sie wichtige Entscheidungen treffen können. Marron, das weißt du doch.“ „Natürlich“, meinte sie schnell und wich seinem Blick aus. „Marron, was ist los?“ „Was meinst du?“ Er wollte sie nun über die Wange streicheln, doch Marron zuckte leicht zurück. „Ich geh dann mal wieder“, sagte sie schnell, bevor Chiaki noch weitere Fragen stellen konnte. „Wir können Sie operieren und mit Chemotherapie behandeln“, teilte Marron der Patientin Esme Sorento mit. „Aber...“, fing Esme nun an. Sie sah schwächer aus als sonst. Ja nicht mehr so glücklich. Sie hatte die Hand auf ihren Bauch gelegt, als beruhigte sie dadurch die Tatsache, dass sie Krebs hatte etwas. „Wir wollten Ende dieses Jahres nach Venedig und Gondel fahren. Kennen Sie die Geschichte?“ „Nein“, lächelte Marron.“ „Wenn man gemeinsam in einer Gondel unter der Seufzerbrücke durch fährt, kann einen nichts mehr trennen.“ Nun wurde der Blick der Frau wieder ernst. „Sie haben es doch nicht meinem Mann erzählt?“ „Wie bitte?“ „Er hat sich immer davor gefürchtet, dass ich irgendwann vor ihm gehen muss.“ „Sie wollen es ihrem Mann nicht sagen?“ Esme lächelte Marron an. „Sie sind jung. Ich erwarte gar nicht, dass sie eine alte Schachtel wie mich verstehen.“ „Eine Lüge ist doch keine Grundlage für eine Beziehung, oder?“ „Meine Liebe, es ist keine Lüge. Es ist unsere Zukunft“, erklärte Esme und lächelte Marron dabei an. Marron blickte die Frau an und konnte nur staunen. Sie lächelte Marron an. „Ich habe über 60 Jahre mit der Liebe meines Lebens verbracht.“ Nun verschwand das Lächeln. „Und nun sterbe ich.“ Doch nun holte Esme sich ihr Lächeln zurück und blickte Marron an. „Wir fahren nach Venedig.“ Ihre Stimme wurde schwächer. „Und wir setzen uns in diese Gondel.“ Marron wusste nicht was sie sagen sollte. Aber vermutlich musste sie Esme gar nichts sagen. Diese Frau hatte ihr so viel voraus, das wusste sie. Sie brauchte ihr nichts zu sagen. Esme hatte ihren eigenen Rat gefunden. Marron kam aus dem Zimmer von Esme Sorento. Sie musste lächeln und doch war sie verwirrt. „Sie haben es ihr doch nicht gesagt?“ Marron blickte überrascht Mr. Sorento an. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte. Was sollte sie überhaupt jemanden sagen? Sie konnte ja nicht mal Chiaki sagen, wovor sie Angst hatte. „Ähm... Nein“, sagte sie dann schnell. „Natürlich nicht.“ Mr. Sorento lächelte, als er das hörte. Er nickte und ging nun in das Zimmer seiner Frau. Es war abends. Die Sonne ging gerade unter. Marron zog sich gerade ihre Schlittschuhe wieder aus. Tomoki hatte sie in die Eishalle begleitet. „Ich dachte, er hätte das Schicksal überlistet“, sagte Tomoki. Er balancierte gerade auf einer Bank. Sie hatte Chiaki eine Nachricht hinterlassen, damit er wenigstens wusste, wo er sie finden würde. Sie wollte mit ihm reden. Es ihm erklären. Sie wollte, ihm von ihrem Traum erzählen. Sie wollte mit ihm gemeinsam nach Hause gehen. „Vielleicht hat er das ja gemacht“, meinte Marron und blickte Tomoki an. „Er ist tot.“ „Es ist idiotisch damit zu rechnen, dass es immer einen Schutzengel geben wird, der uns auffangen wird. Wir müssen uns um uns selbst kümmern.“ Tomoki setzte sich neben Marron. „Du meinst also, die weißen Tauben werden also doch nicht kommen?“ Sie schüttelte den Kopf und blickte ihn ruhig an. „Die Tauben werden nicht kommen.“ Sie lächelte ihn an. Tomoki nickte. Dann durchdrang plötzlich die Stille eine Durchsage. Die Lautsprecher rauschten. „Es tut mir Leid. Aber ich muss sie bitten schleunigst die Eishalle zu verlassen.“ „Was ist denn nun los?“, fragte Tomoki sie. Marron zuckte nur mit den Schultern. „Hier spricht Inspektor Toudaij. Wir haben so eben eine Nachricht von Jeanne, die Kamikazediebin erhalten. Hier im Gebäude ist irgendwo eine Bombe.“ Marrons Blick wurde eisern. Was? Wie konnte denn eine Nachricht von Jeanne… Steckte vielleicht Noyn oder dieser Silar dahinter? „Bleiben Sie bitte ruhig und verlassen sie langsam die Eishalle. Es wird ihnen nichts passieren, dass verspreche ich.“ „Wir sollten raus gehen und dafür sorgen, dass Ruhe bewahrt bleibt“, meint Tomoki. Marron nickte, aber sie war abwesend. Wie konnte das sein? Wenig später, standen sie und die Menschen, die mit ihnen in der Halle gewesen waren, vor der Eishalle auf dem großen Platz. „Jeanne“, hörte sie plötzlich eine dunkle, aber vertraute Stimme. Sie blickte sich fragend um und erkannte dann auf dem Rücken einer Frau, das Gesicht von Silar. Er steckte also dahinter. „Komm in den Lagerraum.“ „Silar“, knirschte sie mit den Zähnen. „Du hast die Wahl. Komm oder ich mach die Eishalle, die du so liebst zu einem Steinhaufen.“ Dann hörte sie auch noch sein entsetzlich dunkles Lachen. Es drang zu ihr von überall, als läge es im Wind. Marron blickte zu Tomoki. Doch dieser war gerade mit anderen Dingen beschäftigt, als ein Auge auf zu werfen. Das war also ein guter Moment. Sie rannte wieder zur Eishalle. Marron konnte doch nicht einfach zulassen, dass die Eishalle gesprengt wird. Nein, das würde sie nie zulassen. „Marron“, hörte sie plötzlich die Stimme von Chiaki. Er packte sie am Arm um hielt sie fest. Überrascht blickte sie ihn an. „Du spinnst wohl.“ „Marron, verdammt. Das ist eine Falle. Der Dämon hat es auf dich abgesehen. Siehst du dass denn nicht?“ „Das weiß ich. Aber nur weil ich zufällig hier Eislaufen gehe, habe ich doch all diese Menschen in Gefahr gebracht“, sagte sie mit leiser Stimme. „Es bleibt mir nichts anderes übrig.“ Sie riss sich ihren Arm aus seinem Griff und rannte weiter. „Marron“, schrie er ihr hinterher. „Wo rennt sie denn hin?“, fragte Tomoki der nun neben ihm auftauchte. Doch Chiaki antwortete ihm gar nicht erst. Er rannte ihr hinterher. Er musste. Er würde garantiert nicht einfach zu sehen, wie Marron mal wieder ihr Leben opferte. „Du sollst meine Macht bewundern. Ich bin Silar vom Stamm der bösen Dämonen“, drang ein Flüstern durch den dunklen Lagerraum. „Ich bin ein böser Dämon. Dir wird das Lachen schon vergehen, Jeanne. Ich werde es dir schon zeigen.“ Er lachte auf. „Ich werde schon meinen Spaß mit dir haben, Jeanne.“ Vielleicht hatte das Schicksal Romeo und Julia tatsächlich für einander bestimmt. Aber nur für eine Weile. Dann war ihre Zeit vorbei. Wenn Sie das vorher gewusst hätten, dann wäre vielleicht alles in Ordnung gewesen. Alex trat in die Umkleide. Sara zog sich gerade ihre Straßenschuhe wieder an. Sie würde gleich gehen und hoffte, den Tag ein wenig vergessen zu können. Er setzte sich nun neben sie auf die Bank. „Die Sache ist so, ich mag deine Busen.“ Sie seufzte und stand auf. „Was soll denn der Scheiß? Kannst du nicht einfach... warum bist du bloß so?“, fragte sie verzweifelt. Alex zog sie wieder zu sich herunter auf die Bank. „Sara, ich mag deinen Busen. Und glaub mir ich bin froh, wenn er da ist. Das gebe ich zu. Aber es wäre auch nicht das Ende der Welt, wenn du ihn verlieren würdest. Denn das Wichtigste für mich ist.“ Er blickte abwechselnd von ihren Lippen zu ihren Augen und wieder zurück. „Ich will dich.“ Sara blickte ihn an und ohrfeigte ihn dann einfach. „Au“, meinte Alex und hielt sich die Wange. „Womit habe ich denn das verdient?“ Er blickte Sara fragend an. Doch Sara sagte nichts, sie griff nach seinem Gesicht, zog es zu sich und küsste ihn. Ich habe Mrs. Kakyuu damals gesagt, wenn ich erwachsen sei, würde ich mein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich würde nicht zulassen, dass ein Kerl mich runter zieht. Mrs. Kakyuu meinte, ich könnte mich glücklich schätzen, wenn ich diese Leidenschaft jemals mit jemanden erleben dürfte. Und wenn, dann würden wir für immer zusammen sein. Selbst heute glaube ich ja, dass es bei der Liebe hauptsächlich um Entscheidungen geht. Es geht darum, das Gift und den Dolch weg zu legen und ein eigenes Happy End zu schreiben. Jedenfalls meistens. Doch manchmal, auch wenn man die besten Absichten hat, die richtigen Entscheidungen trifft, siegt das Schicksal trotzdem. Kapitel 37: Vertrauen --------------------- Rainer Maria Rilke sagte einst: „Darin besteht die Liebe: Dass sich zwei Einsame beschützen und berühren und miteinander reden“ Die Gänge waren dunkel und leer. Es war richtig erdrückend. Kein einziges Licht war an. Sie waren leergefegt. Warum war die Aura so erdrückend? „Marron!“ Chiaki rannte durch die Gänge. Er musste sie finden. Eine Heidenangst packte ihn gerade. Was ist, wenn er sie verliert. Nein, daran sollte er nicht mal denken. „Wo bist du?“ Er würde nicht aufgeben. Nicht wenn es um Marron ging. „Sindbad“, hörte er die Stimme von Access. Er schaute nach oben und entdeckte auch den Lichtkegel, der den Schwarzengel umgab. Access flog auf seinen Herren zu. „Access, was passiert hier?“ „Ich komme mir vor, als säße ich im Bauch eines bösen Dämons.“, erklärte Access und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. Er schien höllische Kopfschmerzen zu haben. „Und in diesem Fall handelt es sich sogar auch noch um einen besonders bösen.“ „Was ist mit Marron?“, fragte Chiaki sofort. „Hast du sie gesehen? Bitte, sag es mir, Access.“ Chiakis Stimme klang verzweifelt. „Sie ist in den Lagerraum gegangen. Warum auch immer.“ Chiaki nickte. „Ich muss ihr helfen.“ Dann rannte er auch schon los. Access blickte fragend hinterher. „Aber in dieser Gestalt kannst du ihr doch gar nicht helfen, Sindbad.“ Access seufzte. „Also wenn es um diese Frau geht, dann ist sein Verstand so was von ausgeschaltet.“ Das war doch wirklich nicht auszuhalten. „Hey, Warte“, schrie Access dann aber doch und eilte hinter Chiaki hinter her. Sie war da. Noch stand sie vor der Tür. Ihr Mut hatte sie zwar noch nicht verlassen, aber sie holte erst mal tief Luft. Sie wusste, dass es eine Falle war. Der Dämon wollte nur so. Aber sie hatte das Leben von Menschen riskiert. Mal wieder. Sie musste sich also stellen. Sie musste helfen. Sie öffnete die Tür und trat in die Dunkelheit. Es war dunkel und kalt. Ja, eine ungewöhnliche Kälte hatte sich im Raum ausgebreitet und schlug nun Marron regelrecht ins Gesicht. Hinter einem Schrank sah sie einen Lichtstrahl. Es blitzte leicht und es schien als würden sogar Funken durch die Luft prasseln. Das war eine ungeheuerliche Kraft. Mächtig und stark. Marron schluckte. Vermutlich saß dort Silar. Sie musste sich verwandeln, um auch nur den Hauch einer Chance zu haben. Sie holte ihr Kreuz aus der Tasche und legte es sich mit beiden Händen an die Brust. „Fynn, gib mir die Kraft und lass Jeanne d’Arc mich…“ „Marron, was machst du denn da?“, hörte sie plötzlich Stimmen. Sie blickte auf und sah Miyako und ihren Vater und Tomoki. „Wir haben uns Sorgen um dich gemacht“, sagte Tomoki. „Warum hast du dich nicht in Sicherheit gebracht?“, fragte Miyakos Vater. Miyako trat auf sie zu. „Na komm schon Marron, du musst endlich Jeanne d’Arcs Seele gebührende Achtung zollen.“ Sie packte Marron am Arm. Marron erschrak. Was sagte sie da? Wusste sie etwa…? Und dann waren da so viele Menschen und alle kannte sie. Da war das ganze Personal des Krankenhauses. Ihre Freunde. Ihre Kollegen. Was machten sie alle hier? Marron fing an zu zittern, als nun auch noch Alex, Sara und Tomoki auf sie zutraten. „Und nun lasst uns Jeannes edle Seele verehren“, sprach Alex und grinste Marron an. Alle lachten und sahen sie mit merkwürdigen Augen an. Was passierte hier? Schweißperlen traten auf das Gesicht von Marron. Angstschweiß. Sie konnte kaum richtig atmen. Und dann weiteten sich ihre Augen. Bilder traten vor ihr auf. Bilder der wahren Jeanne d’Arc. Bilder, in dem sie vor der heiligen Inquistion kniete und bittend sie ansah. Bilder, in denen sie auf dem Scheiterhaufen steht. Sie spürte die Schmerzen. Den Schmerz. Ihre Atmung wurde schwer und schnell. Dann hörte sie ein Geräusch. Ein Klacken. Sie blickte wieder um sich, war wieder in ihrer Realität und sah, dass Miyakos Vater und seine Kollegen die Waffe gezuckt hatten. Das Klacken war das Geräusch, als sie die Waffe entsicherten. „Und nun Marron, zeig dass du eine brave junge Frau bist und gehorche.“ „Herr Toudaij…“ Sie sah, wie sich der Finger von Miyakos Vater verfestigte. Er würde gleich abdrücken. „Marron“, hörte sie die Stimme von Sindbad. Er warf seinen Bumerang und schleuderte damit die Waffe weg. Und in dem Moment sprang er auch schon vom Schrank runter, eilte zu Marron, stieß mit dem Ellenbogen all die Menschen zur Seite, die sich ihm in den Weg stellten und die Marron umzingelten. Dann stellte er sich vor Marron, schützend, wie immer. Er blickte sie an. „Na los, beeile dich.“ Sie blickte ihn einen Moment lang schweigend und bewundert an. Dann nickte sie, eilte hinter einen Schrank und griff wieder nach ihrem geliebten Kreuz. „Fynn, gib mir die Kraft und lass Jeanne d’Arc mich erhören.“ Als die warme Energie sie wieder durchströmte, fühlte sie sich gleich viel besser. Sicherer, beschützter. Sie spürte die Energie und Stärke, die sie durchströmte und wärmte. Und sofort wurde sie von einem gleißend, hellen Licht umgeben. Warm und schützend. Sie verwandelte sich in diesem Licht, das sie neugeboren fühlen ließ, in Jeanne, die Kamikazediebin. „Stark, bereit, unbesiegbar. Schön, entschlossen, mutig.“ Und schon stand sie da. „Jeanne, die Kamikazediebin ist hier. Die Gesandte des Herren.“ Sindbad stieß die Wesen von sich, die er kannte. Doch sie stöhnten in dunklen Tönen. Sie waren nicht wirklich. Er stieß sie zu Boden. „Aufhören Sindbad“, schrie Marron als sie sah, wie er Miyako mit einem Tritt zu Boden setzte. Er blickte sie nicht an, sondern schaute sich die Feinde genau an. Die wichtigste Regel war immer, dass man seinen Feinden nie den Rücken zukehren sollte. Nie. „Sie werden von Dämonen gelenkt. Sie sind Mutanten“, stellte er klar. „Und deine Feinde, Jeanne. Sie wollen dich vernichten!“ Er zückte wieder seinen Bumerang und warf ihn gegen die Feinde. Nein, schrie Jeanne innerlich. Das konnte nicht sein. Absolut nicht. Sie sprang auf die Theke und zückte ihr Band. Sie traf gezielt den Bumerang, bevor dieser Schaden anrichten konnte. Er landete vor Sindbads Füßen. Dann stellte sie sich vor ihm und blickte ihn starr an. Warum war Sindbad so? „Jeanne“, sprach eine Stimme in der Ferne und doch war er eigentlich sehr nah. „Siehst du jetzt, dass es eigentlich niemanden gibt, dem du vertrauen kannst.“ Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Verfluche Gott in deiner Verzweiflung.“ Die Stimme von Noyn war ruhig und ernst. Er hatte dem Spiel brav zu geschaut und es amüsierte ihn auf eine gewisse Art und Weise. „Dann hasst du endlich.“ Jeannes Lippen zitterten und sie blickte weiter Sindbad starr an. Dann kam ihm wieder das Bild ihres Traumes ins Gedächtnis. Seine Worte. „Du darfst niemanden vertrauen.“ Die Rüstung hatte sich aufgelöst und Sindbad stand im Traum vor ihr. „Nicht einmal Gott.“ Sie konnte niemanden vertrauen? Ihre Augen rissen sich voller Entsetzten weit auseinander. Nein, das konnte sie doch nicht glauben. Und dann die Worte des Herrn Shikaido. „Es gibt eben niemanden, dem man wirklich vertrauen kann.“ Vertrauen... „Du hast viele Feinde“, hatte Sindbad ihr im Traum gesagt. Jeannes Blick wurde glasiger und leerer. Sie wusste nicht mehr weiter. Was bedeutet das nur? Sie blickte zu Boden und bekam nicht mit, wie sich ein paar der Menschen – oder Mutanten wie Sindbad meinte – sich auf Marron stürzten und an ihr zerrten. „Marron“, schrie Sindbad und eilte auf sie zu. Er riss sie mit sich. Beide landeten auf dem Boden. Er auf ihr. Dieses Bild kannte sie. Da war dieser Ritter. Er hatte auch einmal so auf ihr gelegen, als er sie beschützt hatte. Er hatte Jeanne beschützt. Dann sah sie wieder in Sindbads Gesicht und konnte nicht glauben, was sie eben gesehen hatte. Dieses Bild stammte nicht aus ihrem Traum. Sindbad stand sofort wieder auf und schloss schnell die Tür. Die Mutanten blieben draußen. Hoffentlich. Sindbad blieb an der Tür stehen. Ein dunkler Nebel lag in dem Raum. Er roch bitter. Jeanne blickte überrascht auf und sah sich um. Der Nebel lag im ganzen Raum. Doch durch den Nebel konnte sie eine dunkle Gestalt erkennen. Eine große Gestalt. Auch wenn sie noch nichts genaues erkennen konnte, die Aura die von dem Wesen ausging, jagte ihr Angst ein. Dann hörte sie die Stimme von Silar: „Da bist du ja endlich Jeanne.“ Es war allerdings nicht die menschliche Gestalt, die sie von ihm kannte. Nein, er war ein Dämon. Riesig. Dunkel. Mächtig. Er breitete seine großen Flügel aus und lachte auf. „Heute ist dein letzter Tag.“ Das Wesen war hässlich. Und in seiner Hässlichkeit verdammt stark. „Jeanne...“, hörte sie Sindbads Stimme hinter sich. Er klang sorgend. Sie wusste, dass er nicht wollte, dass sie kämpfte. Aber das war ihr egal. Jeanne stand auf und zückte ihr Band. Sie würde es einfach versuchen. Sie nahm ihr Band zum Angriff. „Im Namen des Herren, fange ich die Ausgeburten der Finsternis und mache sie unschädlich.“ Doch ihr Angriff prallte einfach ab. Einfach so. Nicht mal ein Kratzer schien dies bei dem Dämon Silar bewirkt zu haben. Silar lachte nur auf. Jeanne trat überrascht zurück. „Warum, gelingt mir kein...?“ „Das ist also die Kraft des Herren?“, fragte Silar amüsiert. Man hörte mehr als nur deutlich, wie er sich über Jeanne lustig machte. „Wie erbärmlich.“ Jeanne konnte gar nicht so schnell reagieren, da spuckte der Dämon auch schon seine spitzen und gefährlichen Nadeln in ihre Richtung. Sie hob ihre Hand schützend vor ihr Gesicht, doch sie wurde getroffen. Sie blutete. Wo war ihr Schutzschild? „Es funktioniert“, hörte sie die lachende Stimme von Silar. Er richtete sich wieder auf und präsentierte seine volle Größe. „Silar, vom Geschlecht der Dämonen wird Jeanne besiegen.“ Dann bemerkte Jeanne, den langen Schwanz des Dämons, denn dieser wurde gerade gegen Jeanne geschleudert. Sie rannte schnell weg. Doch der Schwanz war ihr immer auf den Fersen. Dann stolperte sie. Nun war es wohl vorbei. „Jeannes himmlisches Schutzschild wird also immer schwächer,“ stellte Noyn fest, der sich das Schauspiel aus sicherer Entfernung ansah. „Ist das, das Ende?“ Seine Augenbraue zog sich hoch. „Wie enttäuschend kurz. Ein leichter Angriff auf Jeanne und Jeanne d'Arcs Seele bricht.“ Dann lächelte er leicht und schloss die Augen. „Jeanne d'Arc es ist vorbei“, stellte er mit erleichternder Zufriedenheit fest. „STIRB!“ Und wieder spuckte der große Dämon Silar die Nadeln aus seinem Mund. Jeanne sah sich schon tot, doch dann spürte sie keinen Schmerz. Sie öffnete die Augen und sah Sindbad. Der sich über sie gebeugt hatte. Er fing die Nadeln auf. Sein Rücken diente als Nadelkissen. Dann sackte er zusammen, als Silar aufhörte. Der Schmerz muss unerträglich gewesen sein. „Sindbad.“ Sie kniete sich auf und blickte ihn sorgend an. Warum, wollte sie ihn fragen? Warum, musstest du mich mal wieder retten? „Warum sollte ein Diener, des bösen Königs...?“ Für sie war Sindbad immer noch ein Diener des bösen Königs. Doch sie kam gar nicht weiter, denn sie sah nun wie Sindbad etwas unter seinem Mantel hervor zog. Sie erschrak. Wie in ihrem Traum. Und in ihrem Traum, wurde das Schwert gezückt. Marron trat zurück. Nein, das konnte nicht sein. Er konnte nicht ihr Feind sein. Doch hatte er schon seinem Bumerang gezogen und warf ihn aus. Es war nicht Jeanne die er traf, sondern Silar. Er hatte sich einer einzigen schnellen Bewegung umgedreht und den Bumerang gegen Silar geworfen. Jeanne blickte ihn fragend an. Er stand mit dem Rücken zu ihr, sein Mantel war mit Blut getränkt. Jeanne sackte zusammen. Er wollte sie gar nicht angreifen. Silars Unterkörper war nun vom Oberkörper getrennt. „Ich habe dir doch gesagt“, sein ganzer Körper zitterte vor Schmerzen und doch waren seine Worte felsenfest. „Ich werde dich beschützen, Marron.“ Jeannes Lippen zitterten wieder. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. „Leichtgewicht!“, schrie Silar nun lachend aus und spuckte wieder die Nadeln. Sindbad schützte sich mit beiden Händen vor dem Gesicht, doch die Kraft war gewaltig die von Silar ausging. Und Sindbad spürte, dass ihm selber die Kraft so langsam ausging. „Sindbad“, schrie Jeanne, als sie mit zusehen musste, wie der Angriff von Silar kein Ende zu nehmen schien. Er stand vor ihr und beschützte sie. Sindbad hatte nun die Hände vom Gesicht genommen und all die Nadeln trafen nun direkt auf seine Brust. Aber er ließ keine einzige Nadel zu Jeanne hindurch kommen. Jeanne schluckte schwer. Sie musste etwas tun. Dann hörte der Angriff auf und Sindbad blieb weiterhin stehen, auch wenn er kurz davor war in sich zusammen zu sacken. „Du bist aber hartnäckig“, meinte Silar. „Nun! Die Zeit der Schonung ist vorbei!“ Silar sammelte all seine Energie für den nächsten Angriff und feuerte damit wieder auf Sindbad. Eine Kälte durch fuhr seinen Körper und fuhr in jede einzelne Zelle. Er verlor das Gleichgewicht und drohte um zu kippen, doch er blieb stehen. „Für Marron...“ Seine Stimme war brüchig, seine Atmung sehr schwach. „Ich werde...“ Doch weiter kam er nicht, denn nun sackte er nach vorne. Jeanne schüttelte den Kopf, stand auf und eilte zu ihm. „Chiaki.“ Das durfte nicht wahr sein. Er lag leblos vor ihr. Seine Haut war wächsern und mit einem Schweißfilm überzogen. „Du darfst nicht sterben.“ Sie hob seinen Kopf und drückte ihn an sich. Tränen drängten sich in ihre Augen. Sie durfte ihn nicht verloren haben. Er sollte sich doch nicht für sie opfern. Die Tränen rannen ihr über die Wangen. „Chiaki... ich liebe dich...“ Und dann fing sie an zu leuchten. Ihr ganzer Körper leuchtete mit einem himmlisch, warmen Licht auf. Ihr Schutzschild war wieder da und er umgab Jeanne und Sindbad. Liebe und Güte war in ihrem Schutzschild. Auch der Heilungsprozess wurde beschleunigt und alle Wunden verschwanden mit einem Mal. „Stirb Jeanne!“, schrie Silar als er merkte, dass sich der Schutzschild vergrößerte. Doch sein Angriff kam nicht mal bis zu ihrem Schutzschild an. „Was?“ Und dann wuchs der Schutzschild weiter. Wurde größer, nahm den ganzen Raum ein und durch fuhr auch Silar. Durch die Güte und Wärme die im Schutzschild war, löste sich Silar einfach so auf. Er ertrug es nicht und verbrannte wie ein Vampir im Sonnenlicht. Silar verschwand einfach. „Jeanne d'Arc“, sprach eine Stimme voller Erstaunen. Noyn konnte seinen Blick nicht von Jeanne und Sindbad abwenden und es erinnerte ihn selber an ein Bild aus seiner Vergangenheit. Dann drehte er den Kopf weg und presste die Augen zusammen. „Nein!“, meinte er bestimmt zu sich selber. „Dieses Mädchen kann unmöglich die edle Jeanne d'Ard sein. Sie ist nur“, dann schaute er wieder zu der Szene. „eine gewöhnliche Sterbliche, die die Seele Jeannes beschmutzt“, schrie er aus. Doch keiner konnte ihn hören. „Jeanne“, sprach Chiaki schwach. Er löste sich leicht aus ihrer Umarmung. Doch er war immer noch zu schwach. „Ach, Chiaki“, meinte Jeanne erleichtert und drückte ihn wieder an sich. Es ging ihm gut. Er lebte. „Gott sei Dank, Chiaki.“ Dann ertönte ein Lachen wieder den Raum. Ein dunkles Lachen, das jedoch jeder kannte. Es war das Lachen von Silar. Ein Schlag riss Jeanne und Sindbad auseinander. „Noch sind wir aber nicht erledigt“, sagte Sindbad schnell. Es war keine feste Gestalt. Es war nur ein Dämon, mehr Geist als sonst was. Jeanne und Sindbad waren inzwischen aufgestanden, standen ganz nah beieinander. Doch das Wesen versuchte immer wieder, den Schutzschild zu durchbrechen. Und immer wieder hallte das Lachen durch den Raum. Markerschütternd. „Sterbt! Ihr sollt beide sterben!“ Jeanne und Sindbad rannten durch die Gänge. Sie mussten das Wesen finden, bevor es noch andere in seine Rache mit hinein zog. „Silar! Wo bist du?“, fragte Jeanne in den dunklen Raum. „Zeig dich, Dämon!“, forderte Sindbad. Jeanne blickte sich um. „Vorsicht, Jeanne!“, hörte sie nur von Sindbad. Er schob sie zur Seite und wurde von dem Angriff getroffen, den eigentlich für Jeanne bestimmt war. Der Angriff traf ihn auf die Brust. So stark, dass ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Er sagte in ich zusammen. Er war immer noch nicht wieder wohl auf. Und dennoch beschütze er Jeanne mit seinem Leben. Sie kniete sich neben ihn und versuchte ihm wieder auf die Beine zu halfen. Während Jeanne sich um Sindbad bemühte, flog das Wesen Silars immer wieder gegen den Schutzschild, in der Hoffnung bald ein Loch zu finden um hinein zu kommen. Das Lachen von Silar erfüllte den Raum mit einer Bösartigkeit. Noyn war nun auch dazu gekommen und sah das Bild, wie Jeanne sich über Sindbad beugte. Ihn schützend in seinen Armen hielt. Und wieder war da eine Erinnerung aus seiner Vergangenheit. Nein, das konnte nicht sein. „Noyn“, hörte er plötzlich eine warme Stimme aus weiter Ferne. Er kannte die Stimme. Obwohl er gedacht hatte, dass er sich schon längst vergessen hatte. Sie war ihm so vertraut. „Die Wahrheit siegt immer, das solltest du langsam begreifen.“ Ein Schweißfilm zog sich über seine Stirn und seine Atmung wurde unkontrollierter. Und doch hatte er nur ein Bild vor Augen. Jeanne und Sindbad. „Jeanne d'Arc.“ Das Bild wechselte immer wieder mit einem Bild aus seiner Erinnerung. Und dann wusste er es. Sie war es wirklich. Auch wenn er es bisher nicht glauben konnte, sie war es wirklich. Seine Jeanne. „Jeanne, die Tabakdose“, schrie er in den Raum hinein. Jeanne blickte sofort auf und sah sich nach ihm um. „Noyn?“, fragte sie in den Raum hinein. Doch sie hörte und sah ihn auch nicht mehr. Dennoch stand sie auf und sah sich im Raum um. Da war die Dose. Die Dose, die sie auch immer beim Dr. Mehdi Kaan gesehen hatte und ebenfalls bei Silar. War das der Ursprung zum Dämon? „Jeanne, sei vorsichtig.“ Sie nickte Sindbad zu. Sie nahm ihr Band zum Angriff. Vielleicht hatte sie dieses Mal bessere Chancen auf Wirkung. „Im Namen des Herren, fange ich die Ausgeburten der Finsternis und mache sie unschädlich.“ Sie warf ihr Band in Richtung Tabakdose und hörte schon den entsetzlichen Schrei des Dämons. „Schach und Matt.“ Sie zog mit dem Band die Dose zu sich. Der Inhalt flog auf dem Boden und löste sich auf. Doch die Dose löste sich nicht auf und verwandelte sich auch nicht in eine Schachfigur. Jedoch lag nun Silar auf dem Boden. Doch dieses Mal war es mehr Dr. Mehdi Kaan, als der Dämon. Er versuchte auf Jeanne zu zu Krabbeln und streckte den Arm nach der Tabakdose auf. Er war dem Tode nahe. Sie spürte es und man sah es ihm auch an. Doch Marron wusste auch, dass sie ihm nicht helfen konnte. Er war kein Mensch. Er war ein Dämon. Jeanne musste mit Entsetzen zu sehen. Dann kniete sich allerdings nieder. Sie konnte dem nicht mehr mit ansehen. Sie reichte ihm die Tabakdose. Mit großen, überraschten Augen blickte Silar Jeanne an. Er griff nach der Dose, die mehr als nur verbeult und mitgenommen war und grinste. „So viel Güte wird dich unwiderruflich zum Tode verurteilen, Jeanne“, teilte er ihr mit. „Du wirst schon bald durch die Hände unserer Königin sterben.“ Dann lachte er auf. Bevor er sich auflöste. Die traurigen Augen blickten auf die Stelle, auf der Silar eben noch um sein Leben gerungen hatte. Aber auch auf dem Totenbett war er nicht mehr freundlich. Und dann erschien die Schachfigur. Jeanne hob sie auf und blickte sie fragend an. Sindbad trat nun näher auf Jeanne zu und legte die Hand auf ihre Schulter. „Warum hast du mir geholfen, Noyn?“, fragte sie in die Dunkelheit des Raumes. Doch sie bekam keine Antwort. Und wer wusste schon, ob sie auf diese Frage, wirklich eine Antwort bekommen würde. Und würde sie diese überhaupt hören wollen? Kapitel 38: Opfer Teil 1 ------------------------ George Bernard Shaw sagte einst: „Wenn du damit beginnst, Dich denen aufzuopfern, die du liebst, wirst du damit enden, die zu hassen, denen du dich aufgeopfert hast.“ „Wie geht’s dir?“ Marron drehte sich um und lächelte Chiaki an. „Mir geht’s gut. Was macht dein Rücken?“ Auch wenn seine Wunden großteils verheilt waren, hatte sie immer noch ein verdammt schlechtes Gewissen, dass er sie mal wieder beschützen musste. Mal wieder und sie wusste auch, dass er sie immer wieder beschützen würde. So war Chiaki nun mal. Ihr Chiaki. Er würde immer für sie da sein. Und er würde immer dieses Opfer sie bringen, dass für ihn keins war. Chiaki lächelte sie an und zog sie zu sich. „So lange du bei mir bist, sind alle Schmerzen vergessen.“ Marron rollte sich aus seiner Umarmung weg und sah ihn ernst an. „Das ist kein Scherz, Chiaki. Du bist verletzt. Verwundet. Du hast geblutet.“ Sie seufzte. „Warum musst du mich auch jedes Mal retten?“ „Ist das eine Fangfrage?“, fragte er grinsend. Marron rollte mit den Augen und rutschte aus dem Bett. „Wo geht’s du hin?“ „Duschen“, meinte sie nur und trat ins Badezimmer. Chiaki lächelte ihr hinterher. Er war glücklich und er verstand auch, dass sie sauer war. Natürlich, war sie sauer. Sie war eben immer noch die Einzelkämpferin Jeanne. Marron war es nicht gewohnt, dass jemand für sie sein Leben riskieren würde. Doch für Chiaki war das eigentlich selbstverständlich. Der Schlüssel zum Erfolg als Assistententsarzt liegt in den Dingen, die wir aufgeben. Schlaf. Freunde. Ein normales Leben. Wir opfern all das, für den einen unglaublichen Augenblick. Den Augenblick von dem wir uns rechtmäßig Chirurgen nennen dürfen. Es gibt Tage, an denen man meint, dass es die Opfer wert ist. Es gibt allerdings auch Tage, da erscheint einem alles wie ein Opfer. „Verflucht! Mist!“ Marron, Miyako und Alex drehten sich um und sahen Dr. Moore, die gerade herein gekommen war. Sie hatte ihren Mantel noch an, hielt schon eine Krankenakte in der Hand und fluchte wie wild, was wohl an den Kaffeebecher lag, den sie in der anderen Hand hielt, der wohl ein wenig ausgelaufen war. „So ein Mist aber auch“, meinte sie noch mal und versuchte mit einem Kleenex den Kaffeefleck aus ihrem Mantel zu bekommen. „Das hat mir heute echt noch gefehlt.“ Miyako grinste Marron an. „Der ist ja eine Laus über die Leber gelaufen.“ Marron nickte und starrte in die Krankenakte, die vor ihr lag. „Ich brauche einen Assistenten. Sofort.“ Sie sah alle drei erwartungsvoll an. „Ich bin in der Neuro“, meinte Marron und verschwand schnell. „Ich bin bei Dr. Mills“, meinte Miyako und suchte ebenfalls das Weite. Dr. Moore seufzte auf. „Bailey.“ Also war er ihr Mann heute. „Vaginas sind nicht mein Ding“, meinte dieser, denn er hatte an der Farbe der Akte gesehen, dass es sich um eine Patientin aus der Gynäkologie handelte. Dr. Moore sah Alex Bailey überrascht an. „Jedenfalls nicht bei der Arbeit.“ Alex drehte sich schon um und wollte gehen. Das war nun wirklich nichts für ihn. „Oh!“, meinte sie und setzte. „Wiederworte. Wissen Sie was?“ Sie drückte ihm die Akte einfach in die Hand. „Sie haben einen neuen Patienten.“ „Ich möchte, dass Sie ihn raus nehmen.“ Dr. Mills sah sich das Diagramm genau an. „Rausnehmen? Aber Mr. Full ihre Herzfunktion hat sich dramatisch verbessert seit bei Ihnen der Herzschrittmacher eingesetzt wurde.“ Dr. Juniji Mills sah den Patienten an, den er so gut kannte. Er war mehr als nur ein normaler Patient, zumindest für Dr. Mills. „Die Einstellen funktionieren prima.“ „Sie kennen meine Musik, Dr. Mills?“ Dr. Mills nickte und sah von der Krankenakte auf. „Sehr gut sogar. Sie hat mein Leben verändert.“ Miyako und Marron hörten überrascht auf. „Nun“, sprach Tylor Full ein begnadeter Jazz-Musiker weiter. „Ihre Maschine hat meinen Herzschlag verändert. Meinen Rhythmus.“ Der Blick von Mr. Full war ernst und fest. Er glaubte jedes seiner eigenen Worte. „Ich kann nicht spielen.“ Die Maschinen piepten im Hintergrund. „Und das ist ein Opfer, das ich nicht bereit bin zu bringen.“ „Aber ohne Schrittmacher opfern sie eventuell ihr Leben. Für ihre Musik“, meinte Miyako. Sie verstand den Sinneswandel des Mannes nicht. Wie konnte dieser Mann nur so etwas behaupten. „Das kann man nicht trennen.“ „Ist Ihnen die Musik...?“ So wichtig, wollte Marron schon fragen, doch der Blick sagte schon alles. Ja, diese Musik war wirklich sein Leben. Miyako atmete schwer ein. War sich der Mann sicher, was er da verlangte? Miyako sah fragend zu Dr. Juniji Mills, der anscheinend nicht so große Abneigungen hatte, diesen Wunsch zu erfüllen. Er setzte sich an das Bettende des Mannes. „Bevor wir so etwas Drastisches machen, lassen Sie es mich mit einer anderen Einstellung versuchen“, schlug er dem Musiker vor. „Ich weiß nicht“, meinte Mr. Full. „Nur eine neue Einstellung, Mr. Full.“ Er sah ihn ernst an. „Bitte.“ Mr. Full schien sehr zu überlegen und wusste nicht so recht, wie er sich entscheiden sollte. Eigentlich war er mit der Absicht ins Krankenhaus gekommen, den Schrittmacher los zubekommen. Doch schließlich nickte er. „Schön, in Ordnung.“ Mr. Mills nickte. „Okay.“ Ein wenig erleichtert war er schon. „Das Thermometer zeigte um 11:00 Uhr bereits 33 Grad an. Das ist ein Temperaturunterschied gegenüber gestern von 20 Grad“, erzählte die Frau der Berichterstattung im Fernsehen. Menschen mit schwachen Kreislauf oder Herzerkrankungen sollten deshalb das Haus heute wirklich nur in dringenden Fällen verlassen.“ Chiaki zappte um. Er war alleine zu Hause und langweilte sich. Das war doch echt nicht zu glauben. „Und nun schalten wir weiter zu den Phänomenen die gerade überall auf der Welt durch diesen Wetterumschwung zu spüren sind. Im Südwesten der USA sind in etwa 1230 Menschen einem Tornado zum Opfer gefallen. Über 1500 Häuser wurden zum Teil vollständig zerstört. In Italien ist der Vesuv unerwartet wieder aktiv geworden.“ Chiaki sah zu Access der am Fenster war, auf der Stelle flog und hinaus schaute. „Ach Fynn, was sollen wir denn nur machen? Es ist alles furchtbar.“ Doch Chiaki widmete sich wieder dem Fernseher und dem Ice Tea der vor ihm auf dem Tisch stand. Es war heute aber auch wirklich heiß. Daher bekam er auch nicht mit, wie Access erschöpft zu Boden sank. „Mannomann, ist das eine Hitze. Was denkst du, Access?“ Er sah nun wieder zum Engel, der auf dem Boden lag und sich den Kopf hielt. Es schien, als würde dem kleinen Engel gleich der Kopf platzen. Chiaki sprang sofort auf und eilte zu dem kleinen Schwarzengel. Er kniete sich vor ihm und sah ihn besorgt an: „Access, was hast du denn?“ Er nahm ihn in seine Hände, um ihn sich genauer ansehen zu könne. „Was ist los?“ Doch der Engel zappelte nur in seinen Händen und hielt sich den Kopf. Er schien höllische Schmerzen zu haben, das sah Chiaki sofort, auch wenn er keine Ahnung von der Anatomie eines Engels hatte. „Fynn… Fynn“, sagte der Schwarzengel unter Schmerzen. „Sie ist wieder da.“ Er schrie unter den Schmerzen auf. „Was hast du gesagt?“, fragte Chiaki überrascht. Access versuchte die Schmerzen mal einen Moment zu vergessen und sah Chiaki verzweifelt an. „Sindbad, was willst du denn nun machen?“ „Na, was denn wohl. Ich werde Marron natürlich die Wahrheit erzählen. Ist doch klar.“ Dr. Moore trat in das Krankenzimmer ihrer Patientin. Und sie wunderte sich gar nicht, das eine Horde Kinder auf dem Boden saß und mit ein paar Blauklötze spielte. „Ist doch schön geworden“, meinte der Vater der Rasselbande zu ihnen. „Ja, das ist er“, antwortete einer seiner Söhne ihm. „Hallo meine Süßen“, meinte Dr. Moore lächelnd und trat an ihnen vorbei zu ihrer eigentlichen Patientin, die zwischen zwei weiteren Kindern saß. Insgesamt waren 6 Kinder in diesem Raum. „Wir warten nur auf die Laborwerte“, erklärte Dr. Moore. „Wie geht’s ihnen denn?“ „Ich... ich fühle mich groß“, meinte sie mit einem Lächeln. Sie sah ihren Sohn an, der neben ihr saß und grinste. „Groß und Kuhartig.“ „Eine Kuh?“, fragte der blonde Sohn und sah seine Mutter fragend an. „Mami ist eine Kuh und sie möchte mit ihrer Ärztin sprechen.“ Bei diesen Worten sah sie ihren Mann bittend an. Dieser verstand sofort. „Hey Leute, wer will ein Eis?“ So was musste man Kinder nicht zwei Mal fragen, schon standen alle vom Boden auf. „Ich“, „Ich auch“, hörte man sie sagen in fröhlichen Kinderstimmen. Als diese gerade den Raum verließen, trat Alex herein. Er hielt die Ergebnisse in der Hand und sah sie sich gerade durch. Die Mutter der Rasselbande seufzte erleichtert auf, als alle den Raum verlassen hatte. „Blutbild und Blutchemie sind okay“, teilte Alex Bailey mit. Doch der Blick der Frau war nicht fröhlich oder glücklich, so wie Dr. Moore sie eigentlich kannte. „Rose?“ Sie trat wieder an ihre Patientin und sah sie sorgend an. „Oh... tut mir Leid“, meinte sie sofort. Sie schüttelte ihren braunen Lockenkopf und wirkte ein wenig verzweifelt. „Ich bin total erledigt.“ Dr. Moore sah sie entschuldigend an. „Na ja, sechs Kinder, 38-te Woche. Da wäre auch eine Heilige müde“, meinte Dr. Moore erklärend. „Na ja.“ Rose schluchzte und strich sich die kommenden Tränen weg. „Ich bin keine Heilige.“ Dr. Moore sah fragend zu Alex, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. „Dieses Baby , Joseph... Dr. Moore, es soll unbedingt mein Letztes sein.“ Sie sah ihre Ärztin bittend an. „Doch leider schein ich fruchtbarste Frau auf dem ganzen Planeten zu sein.“ „Wenn Sie sich für alternative Formen der Empfängnisverhütung...“ „Nein“, wurde sie sofort von ihrer Patientin unterbrochen. „Was ich meine ist, heute bei dem Kaiserschnitt... sollen Sie meine Eileiter durchtrennen.“ Da war Dr. Moore nun baff. Sie holte einmal tief Luft und sah ihre Patientin an. Sie schien sich das lange und gründlich überlegt zu haben. „Und Sie sollen das machen, ohne das mein Mann etwas davon erfährt.“ Okay, das war dann noch eine Sache schlimmer. Wohl der eigentliche Haken an der Sache. Viele ließen sich nach einer Entbindung direkt die Eileiter durchtrennen. Dr. Moore sah Alex an und konnte an dessen Blick sehen, wie dieser dazu stand. Dr. Moore verkreuzte die Arme vor die Brust und sah ihre Patientin ernst an. „Rose, sie sind erwachsen. Er ist ihr Mann und nicht ihr Vormund. Ob sie es ihm sagen möchten, bleibt ihnen überlassen.“ „Wenn es über die Sicherheit geht, erfährt er es“, meinte Rose dazu. „Er würde jede Rechnung sehen, die Sie uns schicken.“ Dr. Moore seufzte. „Ich habe etwas gespart und kann sie privat bezahlen.“ „Sie erwarten von mir, dass ich einen Eingriff vornehme ohne offizielle Spuren zu hinter lassen?“ Das war echt eine schwierige Frage. „Mrs. Ward es gibt Leute, mit denen Sie reden können, wenn sie missbraucht werden sollten“, mischte sich nun auch Alex Bailey ein. „Oh, nein.“ Rose Ward schüttelte den Kopf. „Chris ist... Sie sind völlig auf dem Holzweg.“ „Wenn wir einen Blick auf ihre Krankenakte werfen, fänden wir da keine alten Knochenbrüche?“ „Was Sie in meiner Krankenakte finden würden, wären drei natürliche Geburten, drei Kaiserschnitte“, die Frau legte sich auf die Liege. Sie konnte einfach nicht mehr sitzen. Dr. Moore half ihr. Zwei Mal im Krankenhaus wegen Erschöpfung und ein Mal wegen Dehydrierung“, antwortete Rose Alex mit ernster Stimme. „Weil ich so damit beschäftigt gewesen war, meinen Kindern hinterher zu jagen, dass ich drei Tage vergessen habe zu trinken.“ Rose seufzte auf. „Ich glaube, das Gott versteht, was ich durch machen muss“, dabei sah sie von Dr. Moore zu Alex. „Und ich glaube auch, das Gott mir vergeben wird. Aber Chris... für ihn ist Religion kein Frühstücksbuffett, wo man nimmt was man will und schneidet das weg, was einem nicht schmeckt.“ Sie stoppte ihre Worte und sah auf ihren Bauch. „Und der Papst sagt, keine Verhütung. Also...“ Sie sah nun wieder Dr. Moore an. „Brauch ich ihre Hilfe.“ Dr. Moore wollte gerade nicken, als Alex die Stimme erhob. „Die brauchen sie nicht. Ihr Mann missbraucht sie nicht. Also werden sie ihn auch nicht anlügen und den Papst dafür die Schuld geben.“ Dr. Moore sah Alex überrascht und leicht verstimmt an. Dr. Moore schloss die Tür und Alex stand schon im Flur bereit für die Standpauke. „Dr. Bailey...“ „Hören Sie. Ich habe weder Interesse an Geburtshilfe, noch an Gynäkologie. Also dürfen Sie mir den Fall gerne wieder entziehen.“ Dr. Moore war überrascht, lächelte dann aber. „Dr. Bailey. Ich bin zunächst mal nur Gynäkologin und Geburtshelferin. Aber dazu kommen Abschlüsse in Fetomaternaler Medizin und medizinischer Genethik. Und ich bin eine der erfolgreichsten neonatologischen Chirurgen hier zu Lande. Wenn Sie mehr zu bieten haben, dürfen sie die Klappe aufreißen. Aber bis dahin tun Sie ihren Job. Und zwar auf anständige Weise. Und das bedeutet zu diesem Zeitpunkt, dass sie die Klappe halten außer ich gebe Ihnen die Erlaubnis sie auf zumachen. Ist das klar?“, fragte sie ihn klar und deutlich. Doch er sagte nichts. „Ist das klar?“, fragte sie ihn nochmal. „Oh, das heißt ich habe jetzt die Erlaubnis?“ Dr. Moore seufzte und ließ es dabei erst mal sein. Sie nickte nur und ging den Gang entlang. Irgendwo in der Mitte Frankreichs stand ein Mann mit schwarzen Haaren und einem schwarzen Mantel. Es regnete wie in Strömen und all seine Kleidung war durchnässt. Alles triefte nach Nässe und doch war es ihm egal. Am Boden lagen vor einem Stein ein frischer Strauß Blumen. Doch es war kein gewöhnlicher Stein. Es war ein Grabmal. „Arme Jeanne“, hörte man die dunkle Stimme des Mannes im Regen sagen und es schien schon fast, dass der Regen diese zwei Worte zu ertränken versuchte: Es war mehr als nur ein Grabmal. Es war die letzte Erinnerung an eine Frau, die er geliebt hatte und auch die Erinnerung an eine Zeit. „Ich verlese das Urteil. Nur der heilige Vater kann Weisungen von Gott erhalten. Wenn Jeanne d’arc behauptet, das Gott mit ihr gesprochen hat, dann kann das nur eine gotteslästerliche Lüge sein“, vollkündete der Richter vor allen Menschen, die zur vorbei kommen waren, um das Urteil zu hören. Und auch Jeanne hörte es, doch sie saß auf ihrem Stuhl, mit festen Blick nach vorne, angekettet von der Inquisition. „In Wahrheit erhielt Sie den Befehl vom Teufel!“ Ein Raunen ging durch die Masse der Menschen. Stimmen erhoben sich und es wurde wild getuschelt. Ängstliche und auch wütende Blicke wurden Jeanne d’arc zu geworfen. „Es war ein Verbrechen anzunehmen, dass die Worte des Teufels von Gott stammen und damit die Autorität des heiligen Vaters zu untergraben. Deswegen kann das Urteil nur lauten: Tod durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen!“ Tylor Full saß auf seinem Krankenbett im Nagoya-Krankenhaus und spielte auf seiner Violine. Dann sah er auf. Sein Blick war klar. „Sagen Sie's mir.“ Juniji Mills hatte die Hände an seinen Hals gelegt und lächelte nun glücklich auf. „Es ist mir eine Ehre, Sie spielen zu hören.“ Der Mann im Krankenbett lächelte und seufzte. „Sie wollen mich nicht anlügen.“ Er sah seinen Arzt wieder an. „Dann les ich mal Ihre Gedanken.“ Dr. Juniji Mills verkreuzte die Arme vor der Brust und atmete ein. „Sein Timing stimmt nicht. Sein Rhythmus auch nicht. Dieser Mann trägt völlig zu Unrecht den Namen Tylor Full.“ „Ich muss Ihnen sagen, dass sich in den Monaten – seit der ursprünglichen Operation – Narbengewebe um den Schrittmacher gebildet hat.“ Dr. Mills trat um das Bett herum und stand nun neben dem Mann. „Es zu entfernen, ist bei weitem... nicht so einfach wie es klingt.“ Bei den letzten Worten war seine Stimme etwas leiser geworden. Tylor Full nickte und sah seine Geige an. „Ich war sechs als ich meine erste Geige in der Hand hielt. Auf dem Dachboden meies Großvaters. Ich wusste gar nicht, was das ist. Aber ich erinnere mich daran, wie ich sie in die Hand nahm.“ Er legte sie sich wieder an den Hals. „An diesem Moment. Damals habe ich...“, nun legte er den Bogen auf die Saiten. „Den Bogen auf die Saiten gelegt und ihn darüber gezogen“, so wie er es jetzt auch tat. „Das war's“, meinte er mit einem stolzen Lächeln und nun sah er wieder seinen Arzt im weißen Kittel an. „Nur so ein kratziges kleines Quietschen und das wars. Ich konnte nicht mehr zurück.“ Erwartungsvoll sah er Dr. Mills an. „Haben Sie je in ihrem Leben so einen Augenblick erlebt?“ „Ja“, antwortete Dr. Mills, aber seine Antwort war mehr ein Hauchen als ein festes Wort. Tylor Full legte die Geige und den Bogen auf seine Beine. „Ich weiß, dass ich bei der Operation sterben kann. Und ich weiß, Sie sind der Beste.“ Er sah Dr. Mills dabei an. „Und damit meine beste Chance zu überleben.“ Er holte tiefer Luft. „Ich hätte gerne, dass sie mich operieren, Dr. Mills.“ Dr. Mills wollte schon antworten, doch da merkte er, dass Mr. Full noch nicht fertig war. „Aber wenn Sie es nicht tun, dann finde ich jemand anderes, der es tun wird.“ Sein Blick sprach mehr als seine Worte. Er würde jemand anderes finden, das war klar. Dessen war sich auch Dr. Mills bewusst. „Er hat Recht“, meinte Dr. Mills zu Miyako und Marron. Sie gingen gerade die Treppe hinunter während sie sich unterhielten. „Wie er kann nicht spielen?“, fragte Marron. Dr. Mills holte Luft. „Jedenfalls nicht wie Tylor Full.“ „Okay, und das heißt nun?“, fragte Miyako. „Werden Sie operieren?“ „Er sagt er geht woanders hin, wenn ich mich weigere. Und das ist sehr gut möglich.“ „Wieso?“, fragte Marron ihn. Gut, sie verstand warum Dr. Mills zögerte. Aber alle wussten doch, dass er der Beste Herz-Torax-Chirurg war. „Genau, wieso möchten Sie nicht operieren?“, fragte auch Miyako. Dr. Mills sah die Beiden seufzend an. „Aber du kannst ihn doch nicht wo anders hingehen lassen. Was hast du...?“ Der Blick von Dr. Mills stoppte allerdings ihre Frage. „Okay, nehmen wir mal an, es geht um Sie, Dr. Mills. Wenn Sie kein Chirurg mehr sein könnten“, fing Marron eine Idee an. „Oder du könntest weiterhin einer sein, aber kein großartiger. Nur Durchschnitt“, machte Miyako weiter. „Natürlich er kann den Eingriff woanders machen lassen. Aber der Chirurg ist dann möglicherweise nur Durchschnitt.“ Dr. Mills setzte sich wieder seine Brille auf, die er eben während den Worten geputzt hatte und sah die Beiden an. Man hörte den natürlichen Herzschlag des Babys im Mutterleib. Alle schauten auf den Monitor des Ultraschallgeräts. „Rose...“, fing Dr. Moore an. „Sieben Kinder das ist eine Menge. Sind Sie sicher, das Chris das nicht genauso sieht?“ Sie reichte Alex die Box mit den Kleenextüchtern, damit er das Gel vom Bauch entfernen konnte. „Am Anfang unserer Ehe waren wir so pleite, das ich eine Weile mit der Pille verhütet hatte. Chris ging nicht mehr zum Abendmahl“, fing Rose Wald an zu erzählen. „Für ihn heißt das... er denkt..:“ „Er kommt in die Hölle“, beendete Alex Bailey den Satz. „Sie beide kommen in die Hölle.“ Alex warf die Tücher in den Mülleimer. Dr. Moore sah Alex entsetzt an, sagte aber nichts. „Wissen Sie warum das unser erstes Baby seit vier Jahren ist?“, fragte Rose Alex und stützte sich ein wenig im Bett, damit sie ihn genau ansehen konnte, da er gerade am Fuß des Bettes stand und die Werte in das Krankenblatt eintrug. „Weil wir enthaltsam waren. Drei Jahre lang.“ Alex sah sie überrascht an, erwiderte aber nichts. „Können Sie sich vorstellen, wie das ist, nicht mehr mit dem Ehemann zu schlafen?“ Dr. Moore schien anscheinend gerade nicken zu wollen, doch so besann sich darauf, dass ihr Privatleben hier nun gerade nicht her gehörte. „Die Pille...“ „Ich kann die Pille nicht verstecken. Er findet es heraus“, sagte Rose sofort. „Er wird sich schon nicht scheiden lassen“, meinte Alex nun in leicht angenervten Ton. „Das würde seinem Glauben widersprechen.“ Dr. Moore sah nun wieder zu Alex und wollte gerade schon etwas zurechtweisendes erwidern. „Haben sie gesehen, wie er mich anschaut?“, fragte Rose und sah Alex an. „Dr. Bailey wollte gerade gehen“, meinte Dr. Moore nun und wollte Alex schon die Akte entreißen. Es reichte ihr nun wirklich mit dem Jungen. Irgendwann war es dann auch mit ihrer Geduld zu Ende. „Nein. Nein. Sie...“ Dr. Moore seufzte und sah Rose bittend an. „Schauen Sie ihm doch mal in die Augen“, forderte Rose sie auf. Dr. Moore tat mit einem Seufzer, wie ihre Patientin sie bat und sah Alex an. „Sehen Sie diesen Ausdruck in seinem Gesicht?“ Alex sah nun fragend von Dr. Moore zu Rose. „Genauso würde mein Mann mich ansehen, wenn er etwas davon erfährt. Und ich will nicht, das mein Mann mich mit diesem Blick anschaut“, erklärte Rose mit sachlicher Stimme. Sie holte Luft, ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie sagte: „Ich will aber auch keine Babys mehr.“ Dr. Moore seufzte. Das war wirklich ein schwieriger Fall. Noyn Claude hatte noch alles vor Augen. Er wusste noch jedes kleine Detail. Wusste wie sie roch, wie sie aussah, wie ernst ihr Blick immer war, voller Glaube und Hoffnung. Er erinnerte sich an alles. Und wenig später stand sie da. In einem weißen Kleid, dass sie wie einen Engel aussehen ließ. In allen Himmelsrichtungen standen Henker mit einer Fackel. Sie waren zu allem bereit. Die Menge tobte. So ein Spektakel wollte sich keiner entgehen lassen. Jeanne stand da, ruhig, fest in ihrem Glauben an das was sie getan hatte. Sie wusste, das es richtig gewesen war und das sah man ihr auch am ganzen Körper an. Sie kämpfte sich nicht von den Fessel frei. Sie hielt ihr einfaches Kreuz in den Händen und betete gen Himmel, als die Henker die Fackeln auf das Heu setzen und somit den Scheiterhaufen zum Lodern brachten. „Ja!“ „Brenne du Hexe!“ „Verbrenne!“ All diese Sachen wurden durch die Menge gerufen und alle sahen sie dabei zu wie diese junge Frau in ihrem weißen Kleid von den Flammen eingesperrt wurde. Die Hitze musste unerträglich sein und der Rauch sorgte bestimmt nicht dazu, dass sie gut atmen konnte. Doch sie jammerte nicht. Nein, Jeanne gab nicht einen Ton von sich. Sie stand einfach nur da, stark und sicher mit ihrem Kreuz in der Hand. Sie war stark und glaubte an das, was sie getan hatte und sie glaubte an die Worte, die sie gehört hatte. Sie wusste, das es Gott gewesen war, der zu ihr gesprochen hatte. Ihr Gesicht war entschlossen. Der Blick war mutig und stark. Dann verwandelte sich ihr Gesicht in das von Marron. Es war der gleiche Blick. Die gleiche Stärke war darin zu erkennen. Der böse Ritter Noyn Claude stand da und schloss die Augen. Der Sturm wehte den Blumenstrauß davon, der Regen peitschte gegen die Blütenblätter und riss sie von der Blume. Dann schaute er in den Himmel. Strähnen seines dunklen Haares klebte an seiner Stirn und seinen Wangen, doch es war ihm egal. „Geschieht es doch früher als gedacht?“ Er hob die Hand zu einer Faust, so als würde er nun gerade darin etwas zerdrücken. Kapitel 39: Opfer Teil 2 ------------------------ George Bernard Shaw sagte mal: „Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.“ Man schob gerade das Baby im Brutwagen aus dem Operationssaal, wo gerade der Kaiserschnitt durchgeführt wurde. „Kompressen alle vollständig, Dr. Bailey?“ „Alle durchgezählt. Aber ich sehe hier ein starkblutendes Gefäß“, meinte Alex. „Es ist klein. Kauterisieren Sie es“, forderte Dr. Moore ihn auf. „Das war's schon“, teilte er ihr mit, als er wieder zusammen 'gelötet' hatte und die Blutung somit gestillt hatte. „Sehr schön. An dem Eileiter hier sehe ich noch eine kleine Blutung“, sagte Dr. Moore. Alex sah sie fragend an, da er genauso über dem offenen Unterleib der Frau sah. „Geben Sie mir bitte den Kauter, Dr. Bailey.“ „Ich sehe keine ungewöhnliche Blutung“, meinte Alex zu ihr und warf Dr. Moore einen warnenden Blick zu. „Sind Sie hier der Chirurg?“, fragte Dr. Moore ihn zurechtweisend. „Nein.“ „Dann geben Sie mir den Kauter.“ Sie streckte die Hand aus, damit er ihr den Kauter hinein legen konnte. „Geben Sie mir den Kauter, Dr. Bailey.“ Nicht alle, aber ein Paar im Saal bekamen von dem Problem, das es anscheinend gerade gab, mit und sahen fragend zwischen Dr. Moore und Dr. Bailey hin und her. Dann reichte Dr. Karev ihr den Kauter ohne ein weiteres Wort. Doch er sah sie wütend an. So was sollte seine Vorgesetzte sein? Sein Vorbild? „Ja, Hallo Joseph.“ Ihre Stimme war sanft und freundlich. Sie lächelte das kleine Wesen in ihren Armen an. „Willkommen auf der Welt“, sagte Dr. Moore mit einem freundlich, breiten Lächeln und hob den kleinen Jungen aus dem Brutkasten und reichte ihn weiter zu seiner Mutter. Die ihn sofort in ihre Arme schloss. „Rose, bevor wir gleich ihre Familie herein bitten“, fing Dr. Moore mit ernster Stimme an und setzte sich zu ihr aufs Bett. „muss ich Ihnen sagen, dass es bei der Operation leider eine Komplikation gegeben hat.“ Rose sah nun von dem niedlichen Gesicht ihres Sohnes auf und sah ihre Ärztin an. Dr. Karev stand nur an der Tür gelehnt und hörte sich das Schauspiel schweigend mit an. Das war doch echt widerlich. So etwas musste er sich ansehen? Wie sollte er hier etwas lernen? „Wir hatten dabei unerwartete Blutungen und dabei wurden beim weiteren Verlauf beide Eileiter beschädigt.“ Rose wiegte das Kind in ihren Armen. „Das heißt also...“ „Sie werden keine Babys mehr bekommen können“, erklärte ihr Dr. Moore in völlig ruhiger Stimme. Tränen traten in die Augen der Patienten. Freudentränen. „Danke Dr. Moore.“ „Wie ich schon sagte“, meinte Dr. Moore mit einem Nicken. „Es war eine Komplikation.“ „Ich versteh schon.“ Dr. Karev seufzte auf, innerlich. Das war doch echt nicht zu glauben. Er konnte echt nicht glauben, dass das hier gerade so vor seinen Augen geschah. Dr. Moore stand auf und verließ mit einem Lächeln den Raum. Alex folgte ihr sofort. „Komplikation? Das sagt man also dazu?“ Sie sah ihn gar nicht an, sondern reichte ihm einfach die Akte. „Ich sag, wie es war.“ „Ach wirklich? In dem Fall ist es wohl eine der bizarren Komplikationen der Geburtshilfe.“ Dr. Moore blieb stehen und sah den jungen Mann an. „Rose ist unsere Patientin“, sagte sie mit Nachdruck. „Verpflichtet sind wir allein ihr. Und nur ihr“, machte sie deutlich. Alex erwiderte nichts, sondern ging einfach weg. Chiaki warf genervt das Handy auf das Sofa. Marron ging natürlich nicht ran. Das hätte er sich auch denken können. Er schreckte auf, als es an der Tür klingelte. Chiaki erhob sich mühselig und öffnete die Tür, er war überrascht Ariane zu sehen. „Hey“, meinte diese lächelnd. „Komm rein, Marron ist aber nicht da.“ „Verstehe“, meinte sie trat, aber dennoch in die Wohnung von Chiaki, in der auch Marron eingezogen war. Sie sah, dass der Fernseher gerade auf stumm gestellt wurde. „Du schaust also auch die Nachrichten. Ist es nicht furchtbar, was über all auf der Welt passiert?“ Fragend sah er sie an und sah dann wieder auf den Fernseher. „Was ist denn alles passiert?“ Er griff nach der Fernbedienung und stellte den Ton wieder an. „In China ist der gelbe Fluss über die Ufer getreten! Die Türkei erschüttete ein Erbeben der Klasse 7 auf der Richterskala.“ Immer erschienen Bilder der Gegend zur passenden Nachricht. „In Italien ist der Vesuv wieder ausgebrochen. Über die Südseeinseln tobt ein Sturm und baut meterhohe Wellen auf. Viele Menschen sind in den Fluten ertrunken oder wurden verletzt.“ „Das ist doch merkwürdig“, meinte Ariane. „Bis gestern ist doch noch alles völlig normal gewesen. Wo kommt das her?“ Fragend sah sie ihn an, doch sie wusste, dass er ihr keine Antwort geben konnte. „Es ist irre heiß, dabei haben wir eigentlich Anfang Winter. Ob das vielleicht der Weltuntergang ist?“ Chiaki sah Access an, der neben ihn auf der Rückenlehne der Couch saß. Der kleine Engel nickte ihm zu. „Das geschieht alles nur wegen Fynn.“ Chiaki nickte. Er musste zu Marron. Er musste ihr alles erklären. Er stand schnell von der Couch auf. „Ariane, du musst nun gehen. Ich habe einen Termin vergessen, zu dem ich gleich muss.“ „Achso. Natürlich.“ Sie nickte und stand auf. „Sagst du ihr, dass ich da war?“ „Ja, mach ich“, meinte Chiaki schnell und schob sie aus der Tür. Dr. Mills stand im Operationssaal. Auf dem Tisch lag der Geigenspieler Tylor Full und er operierte ihn. Miyako war bei ihm. Im Hintergrund wurde die Musik von Tylor Full gespielt. Es war wunderschöne und sanfte Musik die durch den Operationssaal ging. „Oh, die Aufnahme hat er vor ein paar Jahren eingespielt. In der Hollywood Bowle“, erzählte er Miyako und auch den anderen Leuten im Saal. „Das ist schön“, meinte Miyako. Dr. Mills sah Miyako kurz an und schüttelte leicht den Kopf. „Das ist nicht schön. Das ist brillant.“ Miyako sah jedem einzelnen Schritt zu, den Dr. Mills machte. Sie wollte von ihm lernen und wollte sich alles einprägen. „Entschuldigen Sie bitte, Sie haben doch meine Frau mitbehandelt.“ Es war Mr. Ward der Alex Bailey ansprach, als dieser gerade mit seiner Unterschrift die Bluttests eines anderen Patienten bestellte. Alex sah den Mann an, sagte aber noch nichts. „Rose Ward“, meinte der Ehemann weiter. „Ja, das stimmt“, meinte Alex schließlich und sah wieder auf die Akte. „Sie... Sie hat mir gesagt, es gab Komplikationen bei dem Kaiserschnitt.“ Alex nickte nicht, sagte auch nichts. „Es ist so... es ein Schock“, sprach der Mann weiter. „Da hört man, es gab Komplikationen und dann ist alles anders.“ Ein monotones Piepen ertönte den Operationssaal und brachte die Musik durcheinander. „Verdammt. Wir haben eine Tamponade“, stellte Dr. Mills fest. „Es wird kein Blutdruck mehr angezeigt“, sagte jemand. „Weitere Erythrozyten-Konzentrate.“ Dr. Mills seufzte. Seine rechte Hand steckte im Körper des Patieten. „Er hat eine vollständige Perforation.“ Er sah auf das Tablett mit den Instrumenten. „Zwei Nuller pro Lehne. Miyako“, meinte er und bat sie zu sich. Er brauchte jede Hilfe. „Ich brauche deine Hand. Genau hier.“ Ohne zu zögern steckte sie ihre Hand Hand in den Brustkorb des Patienten. „Ja. Gut. Halt fest. Egal was passiert.“ Er zog seine Hand nun heraus. Marron nutzte ihre Pause um in die Bücherei zu gehen, die nicht weit vom Krankenhaus lag. Sie schlenderte suchend durch die Bücherreihen. „Das ist doch eigentlich die richtige Reihe“, murmelte sie und strich über die Buchrücken der Bücher, während sie die Titel schnell las. „Ah, da ist es ja“, meinte sie dann doch, denn sie hatte das gesuchte Buch gefunden. „Hallo Marron“, hörte sie plötzlich eine männliche Stimme hinter sich, die ihr nicht unbekannt war. Marron sah den Mann mit den roten Haaren an, dem sie immer ein merkwürdiges Gefühl gegenüber empfand. „Guten Tag Herr Shikaido“, sagte sie dann aber doch freundlich. „Sie mal an“, er sah über die Buchreihe, an der sie gerade stand. „Du willst also ein Buch über Jeanne d’arc lesen?“ Marron nickte, senkte den Blick zu Boden. „Ich meine in letzter Zeit sind merkwürdige Sachen passiert.“ Sie sah ihn nun wieder an. „Ich habe gedacht, wenn ich etwas mehr über Jeanne d’arc erfahre, verstehe ich sie vielleicht ein bisschen besser.“ Ihre Stimme war ruhig und klang voller Ehrlichkeit. Der Rothaarige lachte auf. „Auch wenn du Bücher ließt.“ Dann sah er sie mit drohendem Blick an. „Die wahre Jeanne d’arc wirst du niemals verstehen können.“ Marrons Augen weiteten sich erschrocken über den Klang seiner Stimme. „Niemals!“, setzte er voller Deutlichkeit nach. Als er ihren Blick sah, versuchte er sich ein wenig zusammen zu reisen. „Wenn du möchtest, erzähle ich dir etwas, was ich durch meine Reise damals durch Frankreich über sie erfahren und gelernt habe.“ „Aber nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ Herr Shikaido legte seine Hände auf die Schulter von Marron und sah sie durchdringend an. „Aber du weißt doch, ich habe dir das doch schon mal gesagt – ich werde mir immer für dich Zeit nehmen.“ „Rose sagt, das sei Gottes Wille. Ein Segen... na, das stimmt vielleicht.“ „Ist doch möglich“, meinte Alex, aber der Sarkasmus war nicht ganz aus seiner Stimme verschwunden. „Ich meine das mit dem Segen.“ Mr. Ward sah Alex fragend an. „Diese Komplikation.“ Chiaki rannte durch die Stadt. Marron war nicht im Krankenhaus und man wusste auch nicht, wo sie ihre Mittagspause verbringen wollte. Ihr Handy war aus. Sie war auch nicht in der Eishalle. Er rannte mit schnellen Schritten durch die Straßen und suchte nach ihr. Doch er sah nur die Leute, die statt ihrer Winterkleidung kurze Kleidung anhatten. „Verdammt!“, meinte er völlig aus der Puste und stützte sich nach vorne gebeugt auf seine Knie. „Wo ist sie denn nur hin?“ Doch lange blieb er nicht stehen und rannte schnell wieder weiter. Oh, da sah er Miyako, die wohl gerade ihre Schicht beendet hatte. Vielleicht wusste sie wo Marron war. Im Krankenhaus hatte er Miyako auch nicht mehr erwischt. „Hey Miyako, weißt du wo Marron ist?“ „Ist Sie Ihnen etwa abhanden gekommen?“ „Es ist wirklich wichtig.“ „Ich glaube, sie wollte in die Bibliothek.“ „Danke.“ Und schon rannte er weiter. Was wollte sie denn in der Bibliothek? Da hatte er sie nun wirklich nicht erwartet. „Sein Herz schlägt nicht“, meinte Miyako und sah auf den Bildschirm. „Weiter drücken. Genau wie ich es gemacht habe.“ „Keine Lebenszeichen. Kein Blutdruck festzustellen“, sagte eine OP-Schwester. Herr Shikaido öffnete gerade die Tür der Bibliothek und sah heraus. Er zögerte, denn er entdeckte Chiaki, der gerade zur Bibliothek rannte. Der hatte ihm nun echt noch gefehlt. „Ach, Marron. Geh doch schon mal vor zum Parkplatz.“ Er deutete auf eine andere Tür. „Da kommst du direkt zu meinem Auto. Ich komme gleich nach.“ „Ähm…. Okay?“ „Ich habe nur etwas vergessen“, meinte er lächelnd. „Achso“, meinte sie, nickend und ging dann wieder in die Halle. Als Marron durch die andere Tür verschwand und diese zufiel, ging die Flügeltür auf und Chiaki war überrascht Herr Shikaido vor sich zu sehen. „Sie mal einer an“, meinte der Rothaarige. „Wenn das nicht mal Chiaki Nagoya ist? Warum hast du es denn so furchtbar eilig?“ Chiaki ballte die Faust und drohte mit dieser dem Rothaarigen. „Verdammt, wo ist Marron?“ „Aber bitte… Marron? Woher soll ich denn das wissen?“ Der Rothaarige in der schwarzen Kleidung spielte den Ahnungslosen. Chiaki seufzte, konnte sich aber nicht halten und packte Herr Shikaido am Kragen. „Tun Sie nicht so. Ich werde nicht zulassen, dass Sie Marron noch weiter nachstellen!“, drohte er ihm klar und deutlich. „Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“ „Ist dir das etwa auch schon aufgefallen?... Bist doch eigentlich ein kluges Kerlchen.“ „Was denn?“ Herr Shikaido schüttelte nun Chiakis Hände von sich ab. „Ach, nichts weiter.“ Er setzte ein Lächeln auf. „Sag mal, wolltest du nicht deine Freundin Marron suchen?“ Chiaki seufzte und trat von dem Rothaarigen zurück. „Mir war doch so“, meinte dieser noch mal lächelnd. Der Blauhaarige wollte ihm gerade noch mal die Meinung geigen, ließ es aber dabei beruhen. Es gab nun wirklich wichtigeres, zum Beispiel Marron. Chiaki rannte ins Innere der Bibliothek. Herr Shikaido schloss die Flügeltür hinter sich und holte einen Zettel – der so viel mehr war als ein einfacher Zettel – aus der Innentasche seines Jackets und sah ihn grinsend an: „Dieser Fluch wird die Tür sicher verschließen.“ Der Bannzettel klebte von nun an auf der Tür und würde keinen mehr durchlassen. Ein Dämon steckte darin und mit diesem müsste sich Chiaki oder besser gesagt Sindbad beschäftigen. „Diese Komplikation ist vielleicht Gottes Weg Ihnen zu helfen die Ausbildung ihrer sieben Kinder zu finanzieren“, meinte Alex mit ernster Stimme und sah den Mann genauso an. „Was soll das heißen?“ „Nehmen Sie sich einen Anwalt“, sagte er leise zu ihm und ging. Er ließ Mr. Ward einfach so stehen, mit offenen Fragen. Chiaki lief durch alle Gänge, durch jeden Raum und suchte seine Marron. Er hatte ein schlechtes Gefühl. Es lag ihm tief und schwer im Magen, dass er Marron gerade nicht fand. Allein dass er diesen Herr Shikaido hier gesehen hatte, verhieß absolut nichts Gutes. Gut, er wollte nicht den Teufel an die Wand malen, aber er spürte, dass der Rothaarige etwas damit zu tun hatte, das er Marron nun gerade nicht fand. Er war nicht dämlich. Er wusste es einfach. So wie das Amen in die Kirche gehörte, so wusste Chiaki Nagoya dass er diesem Herr Shikaido niemals über den Weg trauen würde. Dr. Mills sah auf die Instrumente in seinen Händen. Miyako zog ihre Hand aus dem Brustkorb des Patienten und ließ somit das Herz los, das nicht mehr schlagen wollte. Die Musik hatte aufgehört, das Konzert war beendet. Der einzige Ton der nun noch zu hören war, war das monotone Piepen, das den Tod des Patienten signalisierte. „Zeitpunkt des Todes, 13:23.“ „Wie geht es Ihnen denn?“, fragte Dr. Moore Rose Ward als sie noch mal ins Zimmer der Patientin kam. „Es zieht ein bisschen.“ „Ach, das ist ganz normal“, meinte Dr. Moore und lächelte das kleine Baby an. Dann stand sie wieder auf und räusperte sich. Rose sah sie an und schluckte. „Es tut mir Leid. Ich habe Chris das mit der Komplikation erzählt. Er sollte ja nur wissen, das Joesph unser letztes Kind sein wird“, sie sah ihren Sohn glücklich an. „Damit er es genießen kann. Ich dachte doch nicht, dass er so etwas tun würde.“ „Rose“, fing Dr. Moore an. „Sie müssen ihm sagen, dass sie mit ihrer Einwilligung Sterilisiert wurden.“ Sie schüttelte leicht den Kopf. „Für Sie ist das eine Frage der Versicherung. Sie müssen das nicht mal selbst bezahlen. Für mich... geht es dabei um meine Ehe. Es geht um meine Familie.“ „Es geht um meinen Ruf. Das kann meine Karriere zerstören“, widersprach Dr. Moore ihrer Patientin. Rose biss sich auf die Lippe. „Sie sind die Beste.“ Dr. Moore seufzte. „Die Patienten kommen aus dem ganzen Land zu Ihnen. Das wird sich nicht ändern. Entschuldigung.“ Dr. Moore seufzte und wollte das Zimmer verlassen. „Dr. Moore.“ Sie drehte sich noch mal zu Rose um. „Es tut mir wirklich Leid. Besonders weil ich Ihnen so dankbar bin... Aber ich kann es ihm nicht sagen.“ Dr. Moore nickte nicht, sie sagte auch nichts. Sondern ging einfach aus dem Zimmer ihrer Patientin. Marron stand einer Säule gelehnt und sah auf ihre Uhr. „Es tut mir Leid, dass du warten musstest“, meinte Herr Shikaido und trat lächelnd zu ihr. Ein weiser Mann hat mal gesagt: Du kannst alles im Leben haben. Solange du bereit bist alles andere dafür zu opfern. Was er meinte ist, dass man für alles einen Preis bezahlen muss. Bevor man sich also in den Kampf stürzt sollte man sich also im Klaren sein was man zu Opfern bereit ist. Zu oft ist es so, das man für das was so schön ist, das aufgibt, von dem man weiß, dass es eigentlich das Richtige ist. Jemanden in sein Leben zu lassen, bedeutet Mauern einzureißen, die man sein Leben lang aufgebaut hat. Natürlich sind die schwersten Opfer, diejenigen, die wir nicht kommen sehen. Dr. Moore rannte die Treppe hoch und sah Dr. Bailey dabei gar nicht wirklich. Doch dieser räusperte sich. „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Dr. Moore blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Dr. Bailey.“ Er sah sie an und sie lächelte. „Sie haben sich heute ausgesprochen gut bewertet. Daher werde ich mit Dr. Nagoya sprechen und anregen, Sie meiner Abteilung zuzuteilen.“ „Was?“, fragte dieser entsetzt. „Wie lange denn?“ „Auf unbestimmte Zeit.“ Sie lächelte ihn an. „Ihr Arsch gehört mir. Und zwar so lange wie es mir gefällt“, meinte sie zu ihm. „Herzlichen Glückwunsch.“ Damit drehte sie sich um und ging weiter. Wenn wir keine Zeit haben eine Strategie zu entwickeln, eine Seite zu wählen oder die möglichen Verluste abzuwägen. Wenn wir die Schlacht nicht bestimmen können, sondern die Auseinandersetzung zu uns kommt, dann stellt sich manchmal heraus, dass das Opfer größer ist, als wir ertragen können. Chiaki lief immer noch durch die Gänge und fand sie nicht. Es war zum Haare ausraufen. „Wo steckt sie denn bloß?“ Er war jeden Gang mehrmals durchgelaufen, hatte sogar in der Toilette nach ihr gesucht. Sie war also nicht hier. Er wollte gerade die Tür öffnen, als er merkte, dass diese sich gar nicht mehr öffnen ließ. Sie war verschlossen. „Marron.“ Er stemmte sich dagegen, drückte wie wild auf dem Türknauf rum. „Was ist denn los?“, fragte Access, der nun auch nach seiner erfolglosen Suche durch die Bücherei heran geflogen kam. Chiaki sah den Schwarzengel mit an und biss sich auf die Lippe. „Die elende Tür geht nicht auf.“ „Was? Das gibt’s doch gar nicht“, meinte der kleine Engel mit den lila und lehnte sich nun ebenfalls gegen die Tür. Chiaki wollte schon was sagen, aber da wurde der Engel schon von der Tür gestoßen und flog rückwärtssalto-machend durch die Luft. „Was war denn das? „Das siehst du doch. Die Tür ist mit einem Fluch belegt.“ Chiaki starrte die Tür an. Ein Fluch? Etwa ein Dämon? Da er erschien ihm auch schon die hässliche Fratze des Dämons. Das konnte doch nicht wahr sein. Chiaki rannte zum nächst gelegenen Fenster und entdeckte gerade ein Auto, dass von den Parkplätzen fuhr. Das Schlimme daran war, er konnte erkennen, das Marron auf dem Beifahrersitz saß. Und er wusste auch ganz genau, wem der rote Sportwagen gehörte. „Und nun?“, fragte Access. „Wirst du gleich sehen“, meinte Chiaki und zog den Bumerang, welchen er immer bei sich trug. Ohne sich in Sindbad zu verwandeln feuerte er den Bumerang gezielt durch das Bannsiegel, in dem der Dämon schließlich hauste und zerstörte somit den Fluch der Tür. Die Tür wurde sofort von innen aufgedrückt und die Sonne strahlte Chiaki ins Gesicht als er nach draußen strahlte. „Es kann los gehen“, teilte er Access mit und rannte sofort los. Das rote Auto fuhr gerade vorm Eingang der Bücherei entlang, doch Marron sah nicht zu Chiaki. Er rannte auf die Straße. Er wusste, dass es nicht einfach sein würde, einem Auto hinterher zu rennen. Aber sie waren in der Stadt und wirklich schnell konnte der Entführer von Marron nicht fahren. Also rannte Chiaki einfach. Er würde nicht einfach so aufgeben. Der Rothaarige Herr Shikaido sah in den Seitenspiegel und erkannte sofort wer da versuchte ihnen zu folgen. Er lachte kurz auf und zog noch weitere Bannkarten aus der Innentasche seines Jackets. Er ließ sich doch nicht von so einem Jungen das Spiel vermiesen. Er ließ die Karten aus dem Fenster nach hinten fallen. Sofort verwandelten sich die Karten in kleine giftgrüne Dämonen, mit Flügeln und spitzen Zähnen. Diese klammerten sich mit an Chiaki und hielten sich einfach an ihm fest. Doch das Schlimmere war eigentlich der Lärm, den die Viecher machten. Sie machten laute, grelle Schreie, die schrecklich in den Ohren schmerzten und ihm sofort Kopfschmerzen verursachten. Der Blauhaarige versuchte diese Viecher loszuwerden, versuchte sie abzuschütteln, doch denen schien das ziemlich egal zu sein. Sie waren nicht gerade groß, aber es waren so viele und mit ihrem Geschrei und ihrem Rumgezappel warfen sie Chiaki auf den Boden. Diese Viecher wollten einfach nicht von ihm weichen. „Chiaki, sie fährt weg“, meinte Access. Das wusste Chiaki selber. Er schaffte es wieder aufzustehen, doch die kleinen Drachen setzten sich wie eine Mauer zusammen und stemmten sich nun gegen Chiaki, so dass er ja nicht weiter rennen konnte. Er musste mit ansehen, wie der Wagen langsam verschwand und an einer Ecke abbog. „Marron…“ Der Wagen fuhr einfach weg und er kämpfte gegen die kleinen dämonischen Drachen an. Kapitel 40: Ein Tag voller Offenbarungen ---------------------------------------- Paul Ernst schrieb einmal : "Der Edle hat Angst um andere, der Gemeine um sich selber." „Marron....“ Marron drehte sich in ihrem Sitz um und sah aus dem Rückfenster des Autos. Da hatte doch jemand nach ihr gerufen. Oder etwa nicht? „Marron, was ist denn los?“ „Mir war so, als hätte jemand nach mir gerufen“, meinte sie und sah weiter nach hinten. Aber sie sah niemanden auf der Straße. „Das hast du dir sicherlich nur eingebildet“, meinte Herr Shikaido und sah wieder nach vorne. „Der böse Ritter Noyn. Den Namen hast du sicherlich schon gehört“, fing Herr Shikaido an und stellte das Teeservice auf den Tisch. „Nein, ehrlich gesagt nicht“, Marron saß auf dem Sofa in der Wohnung des Mannes und sah ihn fragend an. „Er war ein Ritter der Jeanne d'Arc gegen Ende des hundertjährigen Kriegs zwischen Frankreich und England gedient hat“, erzählte er und schenkte in beide Tassen Tee ein. „Sein Name war Noyn Claude.“ „Sagten Sie, Noyn Claude?“, fragte Marron überrascht. „Erzählen Sie mir bitte mehr darüber.“ „1430 als der Krieg nach einem kurzen Waffenstillstand wieder ausbrach, Jeanne mit ihrer Streitmacht erneut gegen England eingriff, gelangte er zu ihrer Truppe und wurde zu ihrer rechten Hand. Der Sage nach unterstütze er sie bald im Kampf und privat.“ Die Stimme von Herr Shikaido war sehr ruhig als die Geschichte erzählte. „Aber warum war er denn dann ein böser Ritter?“, fragte Marron interessiert und nippte an ihrem Tee. „Jeanne kämpfte auf dem Schlachtfeld als Mann in Ritterrüstung. Aber er... er sah nur in ihr das Mädchen Jeanne d'Arc. Jeanne begann bald ihm ihr Herz zu öffnen, weil er sie als Frau betrachtete und nicht als die Person die sie vorgeben musste zu sein. Irgendwann kamen sich die beiden so nahe, dass der eine ohne den anderen nicht mehr sein konnte.“ Nun nippte auch Herr Shikaido an seinem Tee. „So machte er ihr eines Tages einen Heiratsantrag. Sie freute sich darüber, dass er sie so sehr liebte. Aber den Antrag lehnte Jeanne trotz allem entschieden ab.“ Marron schluckte schwer. Sie mochte solche tragische Liebesgeschichten nicht. „Warum dass denn?“ „Wegen der Mission die Gott ihr aufgetragen hatte. Die Gefangennahme der bösen Dämonen, von denen die feindlichen Krieger beeinflusst waren. Diese Mission konnte sie nur als Jungfrau erfüllen.“ „Achso.“ Marron dachte an Chiaki. Sie schliefen zwar in einem Bett, aber rein theoretisch war Marron selber noch Jungfrau. Chiaki gab ihr Zeit, alle Zeit die sie brauchte, wie er immer sagte. Sie kuschelten sich meistens einfach nur aneinander und das war bisher immer das vollkommene Glück für Marron gewesen. Sie fühlte sich noch zu unsicher um den nächsten Schritt mit Chiaki zu gehen. Klar, sie würde das auf jeden Fall noch machen. Chiaki gab ihr das Gefühl von Geborgenheit. Aber irgendwie hatte sie selber das Gefühl, dass sie erst gegen die Dämonen kämpfen musste und sie besiegen, bis sie sich voll und ganz auf Chiaki einlassen konnte. „Ja, Jeanne d'Arc hatte anscheinend den gleichen Auftrag wie du. Das Einfangen und Unschädlich machen der bösen Dämonen.“ Marron zitterte und ließ fast die Tasse fallen. Sofort stellte sie diese ab und sah Herr Shikaido entsetzt an. „Ja, aber … woher wissen sie das?“ „Wenn wir der Geschichtsschreibung glauben, hat Jeanne d'Arc Frankreich mit einem Schwert befreit.“ Herr Shikaido nippte wieder an seinem Tee. „Aber in Wirklichkeit hat sie wohl eher die Dämonen der feindlichen Armeen bekämpft.“ „Dann... hat sie das gleiche getan wie ich“, meinte Marron. „Und als ihm diese Zusammenhänge endlich klar wurden“, der Rothaarige stellte die Teetasse ab. „Da verfluchte er Gott.“ Marrons Augen weiteten sich geschockt. Gott, verfluchen? „Der Herr hatte anscheinend verkündet, dass nur eine Frau, die sich Gott unterordnet und auf jedes weltliche Vergnügen verzichtete in Lage sein Würde, die Welt zu retten.“ Marron schluckte. Die Stimme von Herr Shikaido wurde wütender, was ihr Angst machte. „Aber sich Gott unterzuordnen hieß ihr Dasein als Frau zu leugnen... nein, ihr Dasein als Mensch endgültig aufzugeben. Nie mehr Spaß. Nie mehr Ärger. Nie mehr die Traurigkeit und die Freuden eines Menschen erleben.“ Er klang aufgebracht und Marron bekam es nun wirklich mit der Angst zu tun, doch sie blieb sitzen. „Noyn litt sehr. Doch seine Liebe zu ihr war so groß, dass er beschloss, wenn es wirklich Jeannes Wille wäre, würde er ihr zur Seite stehen, Seite an Seite, mit ihr zu kämpfen und sie zu beschützen. Ein Leben lang.“ Seine Augen waren entsetzt aufgerissen, als er davon erzählte und Marron wusste gerade wirklich nicht mehr, ob es sich nur um eine Geschichte handelte. Sie spürte den entsetzlichen Zorn von Herr Shikaido. „Letztlich siegte Frankreich dank Jeannes Einsatz. Doch was erwartete sie?“ Er holte tief Luft. „Ein lächerliches Verfahren der heiligen Inquisition, die Verurteilung als Hexe und die Verbrennung auf dem Marktplatz Rouen bei lebendigem Leib. Er flehte den lieben Gott an, sie zu retten, aber der Herr blieb stumm. Er unternahm nichts um seine getreue Dienerin zu retten, nachdem sie ihre Mission erfüllt hatte.“ Marron spürte wie die Luft in dem Raum immer enger wurde, als Herr Shikaido immer weiter sprach. „Er konnte nicht vergeben. Er fand das war unverzeihlich. Da hatte sie Gottes Wort gehorcht. Unerbittlich gekämpft. Ihr wirkliches Leben für ihn geopfert. Und der rührte keinen Finger um sie zu retten.“ Marron schluckte schwer. „Ich verfluchte Gott und schwor ihm ewige Rache. Ich drückte ihre Hand mit ihrer Asche an meine Brust. Ich warf Gott tausend Flüche entgegen und verschrieb meine Seele dem bösen König, dem Teufel höchst persönlich. So erwarb ich die Nacht der Finsternis.“ Marron sah überrascht auf. Herr Shikaido stand am Fenster und sah nach draußen. In der Geschichte stimmte etwas nicht. Etwas, das Marron Angst bereitete. „Aber einen Moment mal. Das... das würde ja heißen, sie sind...“ Sie stand auf. „So ist es.“ Marron erschrak als sie plötzlich die dunkle Aura um dem Körper von Herr Shikaido spürte. Sie war kalt und dunkel, eisig und beängstigend. Marron trat einen Schritt zurück, als sie den dunklen Umhang sah. Sah, in wen sich Herr Shikaido gerade vor ihren Augen verwandelte. Da stand nicht mehr der Rothaarige Herr Shikaido. Nein, vor ihr stand nun der böse Ritter Noyn Claude. Ihr Feind. „Ja, ich bin Noyn Claude, Marron Kusakabe. Er drehte sich zu ihr um und sah ihr mit seinen lila Augen an. „Oder besser gesagt, Jeanne.“ „Aber.... das kann nicht sein. Herr Shikaido“, meinte Marron. Sie konnte das einfach nicht glauben. War sie die ganze Zeit so blind gewesen? „Ich finde du müsstest dich langsam an mich erinnern, Jeanne d'Arc.“ Er trat auf sie zu. „Nachdem ich dir so viele Einzelheiten ins Gedächtnis gerufen habe.“ Während er immer einen Schritt auf sie zuging, ging sie zurück. Sie wich ihm aus, wusste aber eigentlich, dass sie nicht weit kommen würde. Sie könnte ihm den Rücken zudrehen und weg rennen, aber man drehte dem Feind nicht den Rücken zu. „Was wollen sie von mir?“ Sie ging schneller. „Wovon reden sie überhaupt?“ Dann stolperte sie nach hinten und fiel auf ihren Hintern. Sie sah entsetzt zu ihren Feind und rutschte nun nach hinten. „Ja, wäre es denn möglich, Jeanne...“ Marron hatte inzwischen die Wand erreicht und zog sich nun an ihr hoch. „Dass du gar nicht die Wiedergeburt der edlen Jeanne d'Arc bist?“ Er biss sich auf die Unterlippe und ein wütender Gesichtsausdruck machte sich bei ihm breit. „Wenn ja...“ Er hob die Hand und wollte sie packen. Doch da war wieder ihr Schutzschild. Ihr leuchtendes und strahlendes Schutzschild das sie umgab. Doch ganz langsam konnte er durch das Schutzschild dringen, er hatte dafür sehr viel Kraft verwendet. Aber nun packte er Marron am Hals. „Begreifst du jetzt endlich, was mich bewogen hat, mich dir zu nähern?“ Ihr Schutzschuld wurde schwächer. „Ich musste die Seele von Jeanne, die in dir schläft, wieder wecken.“ „Jeanne d'Arcs Seele?“, brachte Marron brüchig hervor. Der böse Ritter hob Marron nun hoch, so dass sie nur noch mit den Zehenspitzen den Boden unter sich berühren konnte. „Ja... Ja, der Herr wollte das Jeannes Seele wieder aufersteht in einem neuen Körper.“ Er drückte nun fester zu. „Und dann... wurdest du geboren“, schrie er sie an. „Das... das ist eine Lüge.“ Noyns Augen zuckten vor Wut und Aggression. „Wie könnte das eine Lüge sein? Wenn doch, wie kommt es, dass du dich in Jeanne verwandeln kannst? Und warum kannst du, genau wie sie böse Dämonen fangen?“ „Diese Gabe habe ich von Gott.“ Ihre Stimme war schwach, brüchig und kaum mehr als ein Atemzug. Sie rang nach Luft und doch war ihr Blick fest und ernst. „Genau, der Herr hat ihre Seele als Spielzeug für seine Zwecke benutzt und dich lässt er ihr gesamtes tragisches Schicksal noch einmal erleiden.“ Es war nur Wut. Kalte Wut, die aus seinem Mund kamen. „Und das werde ich auf keine Fall zu lassen. Ich kann Gott nicht vergeben, dass er ihr damals nicht geholfen hat. Ich werde mir ihr Seele von diesem selbstherrlichen Gott zurückholen und ihr die wohlverdiente Ruhe geben.“ Er spuckte jedes einzelne Wort voller Verachtung aus. „Nur deshalb habe ich mich dem bösen König verschrieben. Nur deshalb wurde ich sein Diener“, nun drückte er noch fester zu und die Luft drückte sich nur so aus Marrons Hals heraus. „Aber du wurdest von einem himmlischen Schutzschild umgeben. Deshalb konnte ich dir nichts anhaben. Meine Angriffe prallten ab.“ Noch war das Schutzschild vorhanden. „Und so dachte ich. Wenn ich es von außen nicht brechen kann, dann ganz bestimmt von innen. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass du mir vertraust. Damit ich den Menschen in deiner Umgebung weh tun konnte. Ich musste dich schwächen und um das zu erreichen, musstest du leiden!“ „Und nur deshalb... haben sie meine Freunde verletzt? Und nur deshalb... musste der arme kleine Zen, fast... sterben.“ „Das ist alles nur deine Schuld“, schrie der böse Ritter sie bedrohend an. Nun wurde das Schutzschild schwächer, das spürte der böse Ritter sofort. Er drückte nun auch seine zweite Hand durch ihr heiliges Schutzschild und legte sie ebenfalls an den Hals. „Das ist grausam... nur aus Rache... so etwas zu tun.“ „Nein. Das sehe ich völlig anders. Ich musste vor allen Dingen dir weh tun. Wenn ich dabei verletzt war mir egal.“ Nun berührten Marrons Zehen den Boden nicht mehr. Sie war ihm völlig ausgeliefert und sie spürte wie sie schwächer wurde und die Luft sie verließ. „Der Zweck heiligt die Mittel.“ „Glauben Sie denn,... dass die heilige Jeanne d' Arc mit ihren Taten einverstanden wäre? … Sie hat bis zu ihrem Ende an Gott geglaubt, davon bin ich … fest überzeugt.“ „SEI STILL!“, schrie der Mann der seine Seele dem bösen König verkauft hatte. „Du weißt doch gar nicht wovon du redest.“ Doch der Blick in Marrons Augen änderte sich nicht. Er blieb weiter starr und ernst. „Hast du mir denn nicht zugehört? Gott hatte es nicht mal nötig, sie vor dem Scheiterhaufen zu retten. Sie wurde von ihrem selbstsüchtigen Gott getötet.“ Sein Druck wurde wieder fester. „Ich habe Rache geschworen und deshalb werde ich dich, die naiv genug ist um an Gott zu glauben, töten! Denn erst dann wird ihre Seele in den wohlverdienten Schlaf fallen und Ruhe finden.“ „Das ist nicht wahr!“ Sie öffnete kurz die Auge. Ihr wurde langsam schwarz vor Augen. „Der Grund ist doch nur, dass Sie nicht mehr an Gott glauben können.“ Nun änderte sich etwas in Noyns Blick. Diese Worte, riefen Erinnerungen in ihm wach. Und er sah nicht mehr Marron vor sich. Sondern Jeanne. „Du wurdest in einem ewig wehrenden Glauben an Gott geboren, den du nicht teilen konntest.“ Es war ihre Stimme in seinem Kopf. Sie hatte Recht. Er wandte den Blick von Marron ab. „Oh, Jeanne.“ Er löste den Griff von Marrons Hals, ließ sie aber nicht los. „Nein!“, meinte er wieder völlig er selbst und sah Marron ernst an. „Du kannst unmöglich die Jeanne d'Arc sein, die ich liebe und verehre.“ Tränen standen Marron in den Augen. „Es muss sehr schmerzlich für sie gewesen sein. Die Frau die sie lieben, zu verlieren und den Rest ihres Lebens mit Trauer und Hass in ihrem Herzen zu leben.“ Sie sah ihn nicht an, als sie diese sanften Worte sagte. Noyn drückte sofort wieder fester zu. „Still! Ich will nichts hören. Halt den Mund! Stirb leise.“ Marron wehrte sich nun nicht mehr so sehr, wie sie es bis eben getan hatte. Sie schloss die Augen und eine Träne tropfte von ihrer Wange auf die Hand von Noyn Claude. Noyn sah sie überrascht an, als er sah, wie sich ihr Schutzschild entfernte. Woher hatte sie diese Kraft? Marron legte ihre Hände auf die von Noyn und sah ihn wieder ernst in ihren Glauben an. „Ich meine, vielleicht ist es ja richtig was sie sagen und ich habe tatsächlich die Seele von Jeanne d' Arc geerbt. Aber eins stimmt mit absoluter Sicherheit. Ich bin Marron Kusakabe.“ Noyn sah erstaunt in Marrons Gesicht und einen Moment sah er wieder Jeanne in ihr. Dann strahlte ein helles Licht aus Marron heraus und stieß den bösen Ritter von sich. Sie hatte wieder all ihre Kraft, all ihre Energie. Marron sackte erschöpft an der Wand zusammen, hielt sich mit beiden Händen den Hals und hustete. „Marron...“ Überrascht sah sie auf und sah das Chiaki um die Ecke gerannt kam und zu ihr eilte. „Chiaki.“ Marron war glücklich ihren Verlobten zu sehen. Zu sehen, dass es ihm gut ging. Auch wenn er Kratzer und blaue Flecken hatte. „Ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte er sanft und kniete sich neben sie. Er sah die Würgemale an Marrons Hals. Sie nickte, erleichtert ihn zu sehen konnte sie sogar ein Lächeln für ihn aufbringen. Beide sahen auf und sahen, dass Noyn nicht mehr in der Wohnung war. „Komm ich bringe dich nach Hause.“ Chiaki half Marron auf die Beine und drückte sie fest an sich. „Chiaki, das...“ Sie wusste nicht so ganz, was sie nun sagen sollte. Sie saßen auf einer Bank am Fluss und sahen sich den Sonnenuntergang zusammen an. Marron trug einen Schal um ihren Hals, damit sie nicht an die Male denken musste und auch Chiaki sie nicht sehen musste. Chiaki hatte Marron an sich gezogen und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf, als sie sein Geschenk aufgemacht hatte. „Das wollte ich dir schenken! Zum Geburtstag“, meinte er und lächelte sie liebevoll an. Marron wusste gar nicht was sie sagen wollte. Sie sah das Kreuz, das er ihr schenkte und lächelte. Es war wunderschön. Röte bildete sich auf ihren Wangen ab. Sie nahm es vorsichtig in die Hand und hielt es sich mit beiden an die Brust, so als würde sie mit einem Rosenkreuz beten. „Danke. Vielen Dank“, meinte sie und strahlte ihn an. Chiaki nickte, schluckte. Er wollte nur ihr Lächeln beschützen. Immer. Er zog sie zu sich und küsste sie. Er küsste ihr Lächeln und ihre Sanftheit. Mit so einer Liebe, das Marron ein wenig überrascht deswegen war. Als sich ihre Lippen voneinander lösten, sah er sie ernst an. Sah in ihre braunen Augen, die er so sehr liebte. „Kannst du nicht mich anstelle des Kreuzes wählen?“ Er legte sein Kinn auf ihre Schulter und atmete ihren Duft ein. „Ich beschütze dich. Ich werde dich immer beschützen.“ Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Sie hatten noch nie so darüber gesprochen. „Also hör mit dem Stehlen auf.“ Marron schloss die Augen und seufzte. 'Ich liebe dich... Ich möchte es ja... aber...' Sie stieß Chiaki von sich, stand auf und sah ihn ernst an. „Es tut mir Leid“, sagte sie und sah ihn mit traurigen Augen an. Sie wusste, dass sie ihm weh tat. Aber dann lächelte sie. „Ich kann Fynn nicht enttäuschen. Darum geht es nicht“, als sie das sagte, strahlte sie voller Freude auf das Wiedersehen mit Fynn. Sie wollte den kleinen Engel, der ihre Freundin war treu sein. „Tut mir Leid. Weißt du, Fynn ist verliebt und ich glaube für ihn will sie ein Himmelsengel werden“, erzählte sie ihm. „Sie bedeutet mir sehr viel und gab mir ziemlich lange Halt. Sie war meine Freundin und meine Zuhörerin.“ „Und wenn sie dich betrügt?“ Marron sah Chiaki entsetzt an. Was sagte er da? Wie kam er denn auf so was? „Was sagst du da?“ „Die Wahrheit“, sagte Chiaki mit ernster Stimme. „Das ist nicht die Wahrheit“, widersprach Marron ihm sofort. „In Wirklichkeit arbeitet Fynn für den Teufel.“ Nein! Das konnte nicht wahr sein. Fynn konnte sie nicht angelogen haben. Nicht all die Zeit. Das hätte Fynn niemals getan. Niemals. Marron rannte weg und ließ Chiaki zurück, der seufzte. Mal wieder hatte er alles versaut, das spürte er. Sie musste nach Hause. Sie lehnte sich gegen die Tür, als sie diese hinter sich geschlossen hatte und holte tief Luft. Das Kreuz von Chiaki hielt sie fest in ihrer linken Hand. „Marron?“ Sofort horchte Marron auf. Sie kannte diese Stimme doch. „Marron!“, sie war süß und niedlich und nur eine Person sprach so. Marron erstrahlte, als sie den kleinen grünen Engel sah. „Du bist wieder da“, meinte sie glücklich. Sie konnte es gar nicht definieren, aber sie war schrecklich glücklich, ihre Freundin wieder zu sehen. „Marron!“ Die Haustür wurde aufgerissen und Chiaki trat ein. „Geh weg von ihr“, er schrie Fynn an, nicht Marron. Marron sah fragend von Fynn zu Chiaki und sah dann als sie ihre Engel wieder sah, ein unbekanntes, fremdes Grinsen. Ein hämisches Grinsen. Und schon wurden Marron und Chiaki mit voller Kraft gegen die Tür geschleudert. Chiaki fing Marron auf, doch beide waren ein wenig erschöpft. Als Marron wieder aufsah, sah sie nicht ihren kleinen grünen Engel. Nein, da stand eine fremde Frau vor ihr. Mit langen grünen Haaren und dunklen Flügeln. Sie sah Fynn sehr ähnlich und doch auch nicht. Das Wesen war dunkel und nicht freundlich und süß, wie ihre kleine Fynn gewesen war. „Du... bist ein Dämon?“, Marron zitterte am ganzen Körper. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Das war ihr heute zu viel. Einfach alles. Und nun das. „Nein, liebe Marron. Ich bin ein gefallener Engel.“ Sie lachte auf, als sie das sagte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)