7.55 Uhr von abgemeldet ("Ich wurde geliebt") ================================================================================ Kapitel 1: "Ich wurde geliebt" ------------------------------ Am Samstagmorgen weckten ihn warme Sonnenstrahlen, die das düstere Zimmer in Licht hüllten. Vincent strich sich durch das glatte, schwarze Haar und stöhnte, da er ein schmerzendes Pochen in seinem Kopf vernahm, sein Atem roch nach Rauch von der Nacht zuvor und es überkam ihn eine leichte Übelkeit. Er wünschte sich das ein oder andere alkoholische Getränk weniger getrunken zu haben und wälzte sich auf der Matratze. Nachdem er aus dem Bett gefallen war, schlurfte er träge in die Küche und traf seine Mutter an, die flüchtig aufblickte und sich wieder ihren Rezepten zuwandte. Vincent öffnete den quietschenden Küchenschrank und hielt Ausschau nach Aspirin, gähnend griff er nach einem Glas und füllte es mit Leitungswasser, gerade als er daran nippen wollte um die Tablette zu schlucken, räusperte sich jemand. Der Teenager ließ das Glas fallen; Vincents Vater stand auf der Türschwelle und machte eine bedrohliche Geste: „ Typisch! Mach das weg! Oder es passiert noch was!“ Vincents Blicke schweiften über die blauen Flecken, die seinen Arm zeichneten. Plötzlich klingelte das Telefon und unterbrach diese dramatische Szene, die Mutter nahm den Hörer ab und nuschelte unverständlich ihren Nachnamen. „Ja, ja er ist gerade aufgestanden...eine Sekunde! Vincent es ist diese Laura!“, sagte sie und reichte ihrem Sohn den Hörer. Der Vater schürzte die Lippen und setzte sich an den Tisch. „Hey, Laura.“ „Na du? Hast du Lust später auf das Fest zu gehen? Beatsteaks treten heute auf! Die Anderen kommen auch...“ „Äh, ja klar.“ „Vince? Geht es dir denn gut? Du hörst dich voll strange an!“ „Nein es ist nichts! Ich fühl mich toll! Wann treffen wir uns?“ „Um 18.00 Uhr an er Welfenstraße, Julia nimmt en paar Decken mit und Stefan geht noch zur Tanke...“ Vincent verabschiedete sich, legte den Hörer auf und entsorgte die Scherben in den Müll. Er mied es in die Augen seines Vaters zu schauen und verschwand eilig ins Badezimmer. Das Spiegelbild zeigte einen blassen, leicht ängstlich wirkenden Jungen mit dunkelgrünen Augen, die durch einen langen Pony schimmerten. Schließlich schnappte sich Vincent um 17.15 Uhr den Wohnungsschlüssel und öffnete die Tür, auf einmal tippte ihn jemand auf die Schulter und fragte: „Wo gehst du wieder hin?“ Ängstlich starrte Vincent seinen Vater an und murmelte: „ Als ob es dich interessieren würde...“ Da bäumte sich der kräftige Mann vor seinem Sohn auf, eine klägliche Stille wurde von folgendem Satz übertönt: „ Du bist Morgen früh um punkt 8.00 Uhr zu Hause! Ich brauche dich in der Werkstatt, am Montag holt der Müller sein Auto ab...hast du verstanden?“ 2 min später lief Vincent einen unebenen Weg, der an den Seiten mit Vogelbeerensträuchern bepflanzt war entlang am Ende des Weges, befand sich ein Blumenladen und auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein kleiner Friedhof. Der warme Wind trug die Laute von Menschenmassen und Gitarren über die Häuser... Vincent atmete auf, er freute sich seine Freunde zu sehen, er fühlte sich endlich frei und war sich sicher, dass das Konzert großartig werden würde. Das alljährliche Spektakel in der Günther-Klotzanlage bereitete Vincent Feierlaune, der Himmel leuchtete orange und trug zur hochsommerlichen Atmosphäre bei. An der Welfenstraße erwartete ihn bereits Laura, sie hatte dunkelbraunes, glattes Haar mit zwei knallroten Strähnen, die aufgrund ihrer blassen Hautfarbe noch auffälliger waren. Vincent hörte schon von weitem die Glöckchen, die an ihrer schwarzen Tasche befestigt waren und bekam ein leichtes Kribbeln im Bauch. Laura sprang auf ihn zu und umarmte ihn. „Vince! Gleich gehen wir zu Beatsteaks! Juhu! Ich war heute Vormittag in der Stadt und hab mir einen neuen Rock gekauft! Is er nich tolli?“ Vincent machte ihr ein Kompliment und merkte, wie er rot anlief... Nachdem die Anderen eintrafen machten sie sich auf den Weg zum Festgelände. Der Park war überfüllt, über tausend Menschen tummelten sich auf der vertrockneten Wiese. Die Teenager suchten sich einen relativ freien Platz am oberen Teil des Hügels. Als Vincent noch klein war, fuhr er hier im Winter Schlitten, jedoch nie mit seinem Vater. Stefan und Julia gingen Getränke kaufen, während Vincent und Laura ihren Platz verteidigten. Um 21.30 Uhr eröffneten die Beatsteaks das Konzert, Stefan hob Julia auf seine Schultern, damit sie mehr sehen konnte. Laura warf Vincent einen auffordernden Blick zu, aber er weigerte sich es Stefan gleichzutun, da er körperlich nicht genügend Kraft aufwenden konnte um Laura hoch zu heben. Bereits kurze Zeit später verflog Lauras beleidigte Mine und sie hüpfte im Takt zu den Songs. „Vince! Wenn du willst kannst du bei mir pennen! Du kannst dich ja auf meine Couch niederlassen!“ „Ja! Aber ich muss Morgen um 8.00 zu Hause sein!“ „Macht nix! Solang du mich net weckst!“ Vincent lächelte, er war glücklich, nun gab es doch jemanden in seinem Leben, dem er nicht egal war. Nach einigen Stunden verabschiedete sich die Band vor ihrem Publikum und der Park leerte sich stürmisch. Dann verabschiedete sich Stefan mit einem Augenzwinkern und verschwand mit Julia in Richtung Südstadt. Lauras Zimmer war sehr geräumig, aber unordentlich: Kleider lagen auf dem Boden zerstreut und es roch nach Heu. „Na ihr!?“, Vincent beobachtete Lauras Meerschweinchen und setzte sich auf das dunkelrote Sofa. „Lass des arme Tier in Ruhe!“, flüsterte Laura und setzte sich neben ihm. „Bist du schon müde?“ „Nö! Wollen wir noch en bissele quatschen?“ Vincent nickte und legte sich auf die Sofamitte. „War scho cool heute?“, fragte Laura leicht unsicher und legte sich ebenfalls hin. „Ja, ich fand es wirklich schön!“ Am nächsten Morgen um 7.45 Uhr klingelte der Wecker. Laura lag neben ihn und schnarchte, sie hatten sich fast die ganze Nacht unterhalten und wurden dann von der Müdigkeit überrannt. Vincent nahm sich vor Laura zu fragen, ob sie seine Freundin werden wolle und schlich sich aus der Wohnung. Es war ein kühler Sommermorgen, Vincent dachte nicht mehr an sein Leid, er würde den Tag mit seinem Vater durchstehen, wenn ihm am Abend ein aufgewecktes Mädchen die Tür öffnet... Vincent ging über die Straße, er hatte wieder ein Ziel im Leben- ein Auto kam auf ihn zu, der Teenager versuchte auszuweichen, der Augenblick zog sich hin- sein letzter Gedanke war, geliebt worden zu sein- Vincents Armbanduhr blieb um 7.55 Uhr stehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)