OS sammlungen von NanXmik ================================================================================ Kapitel 5: Nur ein Roman ------------------------ Nur ein Roman Es war noch nicht lange her, da saß sie mit einem Buch auf dem Boden. Für Jennys Mutter war dieser Anblick kein ungewöhnlicher. Fast täglich zog sich der Teenager in eine stille Ecke zurück, ganz alleine saß sie dort und träumte sich mit Hilfe ihrer Bücher in fremde Galaxien, erlebte eine Herzoperation mit, begleitete Männer und Frauen zu Hinrichtungen oder kämpfte bei langen Kriegen mit. Doch heute war Jenny hier. Fast schon meinte sie, sie müsse ihr Leben lang blind und taub gewesen sein. Oder einfach gedankenlos, wie man es nimmt. Langsam stand die 15 Jährige auf, ignoriert das schmerzhafte stechen im rechten Knie und schloss kurz die Augen. In Gedanken ging sie das eben gelesene durch, immer wieder hoffend dass ihr Verstand irgendwo einen Fehler entdeckte der das ganze als unglaubwürdig hinstellen konnte. Doch sie fand nichts. Sie fand wirklich nichts. Seufzend öffnete sie wieder die Augen, blickte sich in ihrem kleinen Zimmer um. Nach einem kurzen Zögern ging sie einen Schritt nach vorne und legte ihre Hand an die kühle Wand. Sie fühlte sich so massiv an. So beschützend. Konnte es sein? Müde fand auch der Kopf seinen Platz an der Wand, die Augen wanderten durch das kleine Dachzimmer dass Jenny seit ihrem vierten Lebensjahr bewohnte. Fremde würden es vielleicht klein, beengend oder vollgestellt nennen, doch für sie reichte es. Direkt neben der Tür wären ihre 2 schmalen, aber hohen Schränke in denen alle ihre Sachen Platz fanden. Sie lächelte leicht als sie all die schrammen sah. Jede einzelne hatte ihre eigene Geschichte. Ihre eigene, gemeinsame Geschichte mit Jenny zusammen. Sie erinnerte sich noch gut an dem Tag als sie voller Wut auf ihre Eltern die Schranktür- aus Protest weil die Zimmertür ausgehangen worden war-zuknallte und wie in einem schlechten Film die Angeln abbrachen und auf sie fielen. Heute lachte sie darüber, damals war sie heulend aus der Tür raus und die schmale Wendeltreppe ins Untergeschoss gerannt und sich erst mal von Mama und Papa trösten lassen. Sollten all diese Erinnerungen nicht die Ihren sein? Ihr Blick wanderte weiter zu dem Schreibtisch der direkt neben dem Tisch stand. Wie immer lagen dort Blätter, willkürlich hingeworfen. Manch eines war wichtig oder war es gewesen doch die meisten waren einfache Schmierblätter. Natürlich war im hinteren Drittel des Schreibtisches noch der Pc. Natürlich- wer kam heutzutage denn noch ohne Pc aus? Mittlerweile konnte der Wunderkasten doch fast alle Aufgaben des Menschen übernehmen. Und wer weiß, vielleicht würde ja auch eine Zeit kommen, wo die Menschen ihre Arbeit an Computer oder Roboter abgeben würden. Schlaff wanderte die Hand die bis eben an der blau gestrichenen Wand gelegen hatte in Richtung Augen. Jenny genoss einen Augenblick die schwärze mit den leuchtenden Punkten, dann machte sie die Augen wieder auf und stellte sich der Realität. Oder dem von dem sie immer dachte das es Realität war. Und noch während sie sich ihr Zimmer genau anschaute, die Dachschräge, die das Zimmer noch viel kleiner wirken lässt und für größere Menschen zur Fluchfalle wurde, die Regale hinter dem Schreibtisch wo sich im Laufe der Jahre allerlei Krimskrams angesammelt hatte. Ja, Jenny liebte ihr Zimmer. Im Grunde war es immer ihr Zimmer gewesen in das sie sich verschanzt hatte. Hier hatte sie so viele Kriege ausgefochten, hatte geweint, wieder Mut gefasst. Leicht stoß sie sich wieder von der Wand ab, und durchquerte mit drei Schritten das gesamte Zimmer und legte sich auf das Bett dass passend zur Wand mit einem dunkelblauen Spannbettlaken bezogen war. Auch die Bettdecke war in Blau und Grautönen gehalten worden. Noch während der Teenager die Wand anstarrte hörte sie ein leichtes trommeln und als sie den Kopf in Richtung Fenster drehte sah sie wie der Regen dort in Schlieren herablief. Im Hintergrund des Schrägfensters konnte man hinter den grauen Dunstwolken die ersten Baumspitzen des nahegelegenen Waldes erkennen. Ein Lächeln schlich sich auf Jennys Gesicht. Solange sie hier lebte war alles in Ordnun. Solange ihr Zimmer ihr Rückzugsgebiet war, konnte sie damit leben dass sie eventuell nur eine Romanfigur war. Sie konnte auch damit leben nicht die Hauptperson im Roman zu sein, wobei sie sich doch immer wieder wunderte, wie detailiert der Autor seine Figuren- im Klartext sie und ihre Mitmenschen- schrieb. Erstaunlich war auch, dass der Autor sich sogar die Mühe macht Bücher ins Buch zu schreiben. Solange Jenny all diese Sachen nicht verwehrt blieben, fand sie sich ab in einem Buch zu leben. Und je länger sie darüber nachdachte, desto mehr kam sie zum Schluss, dass ihr Charakter eventuell vorbestimmt war, dass irgendwer ihr ihre Worte und ihre Intelligenz schrieb und es Schicksal in dem Sinne gab, dass der Autor den Lebensweg seiner Figuren schrieben. So unwegsam, verschlungen und unlogisch diese Wege auch waren, sie folgten immer einem bestimmten Ziel das lange vor ihrem Anfang feststand. Ja, vielleicht war es gar nicht so übel die Welt mit einem Roman zu vergleichen. Vielleicht lebte sie auch wirklich in einem Roman. Vielleicht, vielleicht. Lächelnd drehte Jenny den Kopf wieder zurück und starrte auf die Decke. Erst durch das aufhören des monotonen Regentrommelns konnte sie sich aus ihren Gedanken lösen. Ein kurzer Blick zum Fenster reichte aus- sie sah die ersten Sonnenstrahlen die Welt zum funkeln bringen. Schnell schwang Jenny ihre Beine vom Bett und stand auf. Ein letzter Blick auf die 5 gefüllten Bücherregale hinterm Bett und die endlosen Stapel von Büchern auf dem Boden, dann drehte sie sich gekonnt auf dem Absatz um und beeilte sich nach draußen zu kommen, um lachend die Pfützen auf dem Asphalt hinter sich zu lassen, dann auf den Feldwegen einzubiegen und die frische Landluft einzusaugen. Das klappern der Tasten verstummte mit einem Mal, dann war das klicken einer Maus zu hören und das typische Schluckgeräusch eines Erwachsenen der Kaffee trank. Und während Judy Feist vor ihrem Pc saß und wartete das eben jener herunterfuhr, sah sie auf dem flackerndem Bildschirm ein junges Mädchen einen Waldweg entlanglaufen, vereinzelte im Sonnenlicht glitzernde Regentropfen von den gerade grünwerdenen Zweigen tropften. Das letzte was die Autorin sah war wehendes violettes Haar und in ihrem Kopf hallte von weit her ein glückliches lachen. „Eine Romanfigur zu sein ist wohl doch nicht so schlimm, was Jenny?“ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)