Das Haus der Schatten von abgemeldet (Halloqueer-WB-Beitrag) ================================================================================ Kapitel 1: Das Haus der Schatten -------------------------------- Früher war ich ein großer Söldner... Und ich war ein Soldat! In Schlachten habe ich meine Feinde zerrissen! Gekämpft habe ich an meines Herren Seite bis zum Tod! Ich bin dir gefolgt mein Engel .... Früher, da war ich Tänzerin. Komm ... Komm mein Kleiner und tanz mit mir! Er wusste nicht, was schneller war, der Schlag seines Herzens oder sein Atem. Ein erbitterter Kampf. Er befürchtete, eines der beiden würde irgendwann verlieren und verstummen. So schnell er konnte rannte er durch die dunklen Gassen der mitternächtlichen Stadt. Die Schatten kamen immer näher und die Stimmen wurden immer lauter. Sie hatten versucht, nach ihm zu greifen, ihm sein Licht zu nehmen, dass die Schatten vertreibt. Sein eigener Schatten hetze hinter ihm her. Er hatte an Form verloren und sah eher wie ein dunkler Fleck, als wie sein Ebenbild aus. Er fragte sich, wie lange er das noch aushalten konnte, bevor er zusammenbrach. Je näher er sich einem Licht näherte, desto länger wurde sein Schatten und er befürchtete, sie könnten ihn greifen, wenn er stehen bliebe. Im Licht zu stehen brachte nichts, solange er einen Schatten warf. Er wusste nicht, was er tun sollte. Die Lösung war, keinen Schatten zu werfen, das wusste er. Doch die Stadt war zu hell und er würde nicht schnell genug einen Ort finden, an dem es ausnahmslos dunkel war. Mit jedem Schritt wurde sein Atem noch schneller und die Stimmen der Schatten, die nach ihn riefen, kamen immer näher. Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie ihn hätten. Er bog in eine Seitenstraße ein und hielt Ausschau nach einem geeigneten Versteck. Doch überall, wo kein künstliches Licht einen Schatten schuf, war es der Vollmond, der ihn verraten würde. Er wusste weder, was das für Schatten waren, noch wo sie herkamen oder was sie wollten. Das Einzige, das er wusste war, dass er einfach angefangen hatte zu laufen, als sie ihm näher gekommen waren. Sie hatten nichts furchteinflößendes an sich, aber etwas in ihm hatte ihn gewarnt. Er lief an vielen Menschen vorbei, die ihn etwas misstrauisch ansahen. Wenn er sich dann im Rennen noch einmal zu ihnen herumdrehte, waren sie verschwunden. Er hoffte, dass sie einfach in ein Haus oder eine Gasse eingebogen waren und nicht die Schatten etwas damit zutun hatten. Dass es ungewöhnlich war, dass alle verschwanden, ignorierte er. Das Ende der Stadt war bereits in Sicht und er würde auf freies Feld hinaus gelangen, wo er von Mondlicht umhüllt werden würde. Aber er hatte keine Wahl, denn umkehren konnte er nicht, denn die Schatten waren hinter ihm und würden ihn kaum vorbeilassen und einen anderen Weg gab es nicht. Er seufzte schwer auf und versuchte, ein wenig schneller zu laufen. Seine Füße und Beine waren schwer, aber er hätte nicht anhalten können, wenn er gewollt hätte. Sein Instinkt war zu stark Als er das freie Feld betrat, drehte er sich noch einmal um. Die schattenartigen Kreaturen waren nurnoch wenige Schritte von seinem Schatten entfernt und ihr Gerede wurde immer klarer. Sie redeten von Vergangenheit und Zukunft. Sie riefen nach ihm und wollten, dass er zu ihnen kommt. Er versuchte, nicht auf sie zu hören und sie zu ignorieren, schaffte es aber nicht ganz. Sie verwirrten ihn und er wurde langsamer. Eine einzelne kleine Wolke schob sich vor den Mond und erinnerte ihn daran, dass er in Gefahr war. Für einen kurzen Augenblick schenkte die Wolke ihm vollkommene Dunkelheit und er begriff, dass die Schatten wiederkämen, sobald die Wolke vorübergezogen war. Er beschleunigte sein Tempo und lief nun geradewegs auf einen Wald zu. Wenn er Glück hatte, würde er dort Dunkelheit finden. Er hoffte es mit aller Kraft. Doch der Wald war nicht so dunkel, wie man erwarten würde. Würde man gewöhnlich nicht hineingehen,, weil man nichts sah und sich fürchtete, fiel einem nun auf, dass überall Licht war. Nicht sonderlich starkes, aber es war stark genug, einen angehauchten Schatten zu malen. Dennoch war es zu dunkel, um viel sehen zu können und so stolperte er und fiel der Läge nach hin. Er atmete schwer und sein Herz setzte einen Moment aus, da er fürchtete, dass die Schatten ihn nun fingen. Er schloß die Augen und wollte hören, was sie sagten, doch er hörte absolut nichts. Er öffnete die Augen wieder und richtete sich auf. Als er nach hinten sah, konnte er nichts als Dunkelheit, Bäume, den Waldboden und seinen eigenen Schatten sehen. Langsam stolperte er rückwärts weiter. Wo nur waren sie? Warum waren sie verschwunden? Er versuchte, seinen Atem zu beruhigen, damit er besser hören konnte, doch es blieb still, wenn er die Luft anhielt. Es schien, als sei die Zeit stehen geblieben. Trotzdem blieb er nicht stehen, sondern ging immer weiter, stets den Blick in die Richtung seines eigenen Schattens. Vielleicht war das ein Trick und sie versuchten, seine Unachtsamkeit auszunutzen. Wenn dem so war, würde er ihnen nicht den Gefallen tun, darauf reinzufallen. Unter seinen Füßen brachen Äste und das feuchte Laub quietschte leise. Sein Herz war etwas langsamer geworden, aber immernoch viel zu schnell. Plötzlich zuckte er heftig zusammen, als er gegen etwas weiches stieß. Er hoffte, es wäre lediglich ein mit Moos bewachsener Baumstamm oder etwas ähnliches. Langsam drehte er sich um und hielt dabei die Luft an. Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, sah er noch mitten in das Gesicht seines Hindernisses. Er hatte das Gefühl, getragen zu werden, traute sich aber nicht, seine Augen zu öffnen. Er hatte zu große Angst vor dem, was er sehen könnte. Wer war das nur gewesen, der ihn aus schwarzen, ausdruckslosen Augen angesehen hatte? Er hatte noch nie Augen gesehen, die wie diese keinerlei weiß inne hatten. Als wären es keine Augen sondern Löcher, die einen anstarrten. Warum er das Bewusstsein verloren hatte, konnte er sich nur vage erklären: er war lange gelaufen und hatte sich stark verausgabt. Vermutlich war der Schock, den er beim Anblick dieser Augen gehabt hatte, zu groß gewesen. Ihm war kalt und er konnte durch seine geschlossenen Augenlider keinen Lichtschein wahrnehmen. Eigenartiger Weise konnte er aber auch keine Schritte oder ein Atmen hören, obwohl sie sich ganz offensichtlich bewegten. Nur der Wind zischte leise und so wusste er, dass er zumindest nicht taub war. Diese Tatsache bestätigte ihn allerdings noch mehr darin, die Augen geschlossen zu halten. Irgendwann spürte er auch keinen Wind mehr und kurz darauf wurde er auf etwas hartes gelegt. Er wusste nicht, ob sich sein Träger entfernt hatte, denn er konnte nach wie vor nichts hören. Er wartete eine Zeit lang ab und bewegte sich nicht. Er versuchte, seinen Atem so flach wie nur möglich zu halten, aber er war zu nervös und ängstlich, als dass es ihm gelang. Er vermutete, dass er sich in einem Haus oder etwas ähnlichem befand. „Ich frage mich, wie lange du noch so tun willst, als wärst du noch immer bewusstlos“, erklang plötzlich eine monotone, aber sehr ruhige Stimme. Der Klang der Stimme verriet ihm kein bisschen, ob er es mit einem Feind oder einem Verbündeten zutun hatte. Dennoch öffnete er langsam die Augen und erschrak erneut. Ein Junge mit alterlosem Gesicht stand über ihn gebeugt da und starrte ihn an. Er hatte genauso dunkles Haar, wie er Augen hatte und sein Gesicht ließ nicht nur keineswegs erkennen, wie alt er war, es hatte außerdem keinerlei Ausdruck. „Aha.“, erklang die Stimme erneut. „Dachte schon, du willst ewig still liegen bleiben, Nathan. Hättest du bestimmt nicht geschafft.“ Ein leichtes Grinsen zog sich um seine Mundwinkel. „Woher kennst du meinen Namen?!“, mit einem Ruck richtete sich Nathan auf und musste sich bemühen, nicht wieder umzufallen, als ihm schwindelig wurde. Sein Gegenüber schien das ganz und gar nicht zu interessieren. Er starrte weiterhin einfach nur vor sich hin. Nathan fragte sich, ob dieser Junge vielleicht blind war. Andererseits schien außer den Augen an sich und seinem Blick, den man schlecht deuten konnte, nichts auf Blindheit hinzudeuten. Er zuckte mit den Schultern: „Sei lieber dankbar, dass ich dich gerettet habe.“ Dieser abrupte Themawechsel verwirrte Nathan noch mehr. Gerettet? Nathan spürte, wir Wut in ihm aufkam. „Du hast mich fast zu Tode erschreckt!“, schrie er seinem Gegenüber entgegen, der sich keinen Zentimeter rührte. „Wer bist du eigentlich und was zur Hölle ist hier eigentlich los?!“ „Ich bin Damian, mehr musst du nicht wissen. Mein Name reicht.“ „Tut er das?! Fein Damian! Dann werde ich jetzt wieder nach Hause gehen und darauf warten, dass diese Schatten mich umbringen! Schließlich habe ich ja deinen Namen!“ Er kreischte nun fast und sein Gesicht wurde heiß. Er war unglaublich wütend und hatte jegliche Angst verloren. Was glaubte dieser Kerl eigentlich, wer er war? Damian aber schien das ganze kalt zu lassen, als wäre dies eine gewöhnliche Hausfrauenunterhaltung über Rezepte aus der neusten Frauenzeitschrift. Vollkommen desinteressiert drehte er sich um und setzte zum Gehen an, sagte dann aber noch: „Du solltest nicht nach Hause gehen. Hier können sie dich nicht finden, also verlass das Haus nicht.“ Mit diesem Worten verließ er den Raum und ließ Nathan alleine stehen. Ist das sein Ernst?, dachte Nathan ärgerlich und sah sich nun endlich um. Er befand sich tatsächlich in einem Haus und zwar mitten im Wald, wie der Blick aus dem Fenster verriet. Scheinbar befand er sich im ersten Stock einer alten Holzbaute, die nicht unbedingt bewohnt zu sein schien. Der Raum wirkte durch seine Leere noch größer und kälter und das bisschen Licht, dass durch das dreckige Fenster sickerte, vermochte nicht, es vollends zu erhellen. Die Wände waren kahl und morsch und Nathan fürchtete, dass dieses Haus unter seinem Gewicht zusammenbrechen könnte. Er sah zur Tür und setzte zur Verfolgung Damians an. Als er den ersten Schritt tat, knarzte das Holz unter seinen Füßen verdächtig. Einen Moment stockte er. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass dasselbe Knarzen auch bei Damian zu hören gewesen wäre. Überhaupt gab Damian keinerlei Geräusch von sich, wenn man mal davon absah, dass er sprach. Mit einem rasenden Herz trat Nathan auf den Flur hinaus. Ein weiterer Raum lag neben dem aus dem er gekommen war und vor ihm führte eine Treppe nach unten in eine kleine Eingangshalle zu deren Seiten jeweils eine weitere Tür lag. Das Haus war an sich recht klein. Vermutlich hatte deswegen noch nie wirklich jemand davon Notiz genommen. Nathan sah sich um, konnte Damian aber nirgendwo entdecken, also entschied er, in den Raum nebenan zu gehen. Als er am Türknauf drehte, bewegte sich nichts. Die Tür war verschlossen und schien, im Gegensatz zum Rest des Hauses, stabiler als Panzerglas. Er wandte sich ab um trat die Treppe hinab. Das verdächtige Knarren ignorierend hielt er sich verbissen am Geländer fest. Unten angekommen sah er sich noch einmal um. Vor ihm lag die Tür, die nach draußen führte. Er überlegte nicht lang und schritt darauf zu. Er öffnete die Tür so leise es ging, kam aber nicht sehr weit. Kaum hatte sich ein Spalt aufgetan, wurde die Tür auch schon wieder zugeschlagen. Neben Nathan schlug eine Hand wütend auf die Tür. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du nicht rausgehen sollst?“ Der bisher so monotone Klang von Damians Stimme hatte nun einen scharfen Ton angenommen. Noch mehr als darüber wunderte sich Nathan, wo Damian plötzlich hergekommen war. Hatte er sich doch extra noch einmal umgesehen und Damian nicht gefunden. Nathan drehte sich um und stolperte rücklings gegen die Tür. Damian stand direkt hinter ihm und sah ihn aus seinen schwarzen Augen an, die einen wütenden Ausdruck angenommen hatten. „Du kannst mich hier nicht festhalten! Was willst du von mir?“ „ICH will garnichts von dir, kapier das endlich! Das einzige, das ich will ist, dich zu schützen!“ „Vor dir sollte man mich schützen!“ Noch bevor Nathan etwas anderes sagen konnte, packte Damian ihn am Arm und schleuderte ihn herum. Dann öffnete er die Tür und zog Nathan mit sich nach draußen. Kalter Wind peitschte Nathan ins Gesicht, als er Damians Fingerzeig folgte und an eine Wand neben sich sah, an der sich seine Schattenverfolger entlangzogen. In dem Moment, in dem er nach draußen getreten war, änderten sie schlagartig ihre Richtung und krochen auf Nathan zu. Dieser schrie leise auf und versuchte, sich zu befreien. Damian jedoch war wesentlich stärker als er und ließ ihn nicht los. „Damian!“, schrie Nathan mit Angst in der Stimme. Die Schatten waren ihm näher, als sie es je zuvor gewesen waren. Sein eigener Schatten tanze im Mondlicht und drohte, sich mit den Kreaturen zu verbinden. Kurz, bevor das geschehen konnte, warf Damian Nathan zurück ins Haus, wo er der Länge nach auf den staubigen Holzboden aufschlug. Schnell richtete er sich auf und drehte sich um, die Tür zuzuschlagen. Als er nach der Tür griff, hielt er inne. Die Schatten hatten alle vor der Tür halt gemacht. Sie kamen nicht über die Türschwelle. Auch um Damian zog sich ein formschöner Kreis. Scheinbar konnten sie weder in das Haus, noch waren sie auf Damians Schatten angelegt. Moment mal, schoß es Nathan durch den Kopf, als er sich den Boden um Damian genauer ansah, der vollkommen regungslos dastand. Damian hat garkeinen Schatten! Damian setzte sich nun in Bewegung und schritt ins Haus zurück, wobei die Schatten stets in demselben Abstand zu ihm zurückwichen. Er schlug hinter sich die Tür zu und kniete sich neben Nathan, der ihn vollkommen fassungslos anstarrte. Nathan wollte etwas sagen, aber es hatte ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen. „Verstehst du jetzt? Sie suchen nach dir und hier können sie nicht rein.“ „W...warum nicht?“, stammelte Nathan und rutschte ein Stück nach hinten, bis er ans Treppengeländer stoß. „Weil sie sich verlieren würden.“, Damian folgte ihm. „Dieses Haus ist mein Haus!“ Nathan zitterte nun leicht und man sah ihm seine Ratlosigkeit an. Er wusste weder, was hier vor sich ging, noch, was das Ganz mit ihm zutun hatte. Damian schien seine Gedanken gelesen zu haben, denn er Antworte leise und fast flüsternd: „Alle 79 Jahre an Halloween suchen sie sich jemanden aus, auf den sie Jagd machen. Es sind Menschen, die nurnoch in ihrer Existenz als Schatten leben. Menschen, die zu früh starben und sich weigern, aus der Welt der Lebenden zu verschwinden. Alle 79 Jahre brauchen sie einen neuen Schatten. Einen bestimmten Schatten. Wenn sie ihn erst einmal haben, wird dieser Mensch mit seinem Schatten verschwinden.“ Er dämpfte die Stimme noch ein wenig mehr, sodass Nathan ihn kaum noch hören konnte. „Die Bedeutung der Schatten wird stets unterschätzt. Ohne Schatten hat ein Mensch keine Substanz. Er existiert noch, aber man sieht ihn nicht mehr. Schlimme Sache...“ Er schüttelte gekünstelt den Kopf. Nathan dachte an die Menschen, die verschwunden waren und in ihm kam eine Frage auf: „Du hast auch keinen Schatten ...“ „Ja, und?“, Damian schien wirklich überrascht über diese Frage zu sein. „Na .... du sagtest, man würde seine Substanz verlieren und ...“, Nathan sah Damian vielsagend an und dieser verstand. „Das mag sein, stimmt aber nur, wenn du je Substanz gehabt hast.“, Damian lachte auf und Nathan erschrak ein wenig darüber. Dieses Lachen war so anders, als er es sich vorgestellt hatte; es war so freundlich und im Gegensatz zum Rest Damians ... lebendig. Dennoch verstand Nathan nicht, was Damian damit meinte. Nie eine Substanz besessen? „Warum hast du keinen Schatten?“, hackte er eindringlich nach und sah Damian fordernd in die Augen. Damians Gesicht hatte wieder seine alte Ausdruckslosigkeit, aber seine Augen verengten sich. „Sieh mich an!“, befahl er und zog mit seiner Hand unter Nathans Kinn das Gesicht des selbigen zu sich. „Sieh mich genau an“, wiederholte er. „Was siehst du?“ Nathans Herz machte einen Satz: „Ich ... ich sehe ..“ Stotternd versuchte er zu antworten, wusste aber nicht, was er hätte sagen sollen. Das war aber auch nicht mehr nötig, denn Damian unterbrach ihn: „Du sieht Leere! Meine Augen sind leer, stimmt’s? Ich habe keinen Schatten, weil ich keinen brauche! Man kann mich nicht hören und nur dann sehen, wenn ich es will! Ich bin um dich zu schützen! Ich bin dein Schatten!“ Nathan versuchte, sich von ihm loszureißen. Damian musste vollkommen verrückt sein. Er schaffte es nicht und Damian zog ihn näher an sich heran. Seine Lippen waren nun genau neben Nathans Ohr und er flüsterte fast unverständlich: „Wenn die Schatten dich ersuchen, werden sie keine Ruhe geben. Aber mit etwas Glück löst sich dein Schatten und wird sich wehren.“ Nathan kniff die Augen zusammen und drückte sich weiter gegen das Geländer, das verdächtig knarrte und sich ein Stück nach hinten bog. Würde es brechen, könnte er den Moment der Verwunderung für seinen Vorteil nutzen. Aber den Gefallen tat das Holz ihm nicht. Damians Atem war kalt in seinem Nacken. Plötzlich lies der Druck nach und Nathan öffnete seine Augen. Damian war verschwunden. Von einer Sekunde auf die andere war er wie ein Schatten vom Erdboden verschwunden. Nathan sprang auf und rannte zur Tür, stockte aber bei dem Gedanken an das, was dort draußen lauerte. Er fragte sich, ob er hier wirklich sicherer war. Er hatte den Gedanken, an Halloween in einem Geisterhaus fest zu sitzen immer als äußerst spannend empfunden, änderte seine Meinung aber nun eindeutig. Er hatte ganz vergessen, welcher Tag heute war, bis Damian ihn daran erinnerte. War das vielleicht alles nur ein Scherz? Er kannte Damian aber doch garnicht und wie konnte dieser ständig verschwinden und wieder auftauchen? Es war ihm egal, er konnte hier nicht länger stehen bleiben und sich über belanglose Dinge den Kopf zerbrechen. Er wirbelte herum und sprang zu einer der Türen, die zu seinen Seiten lagen. Er rüttelte mit aller Kraft daran, bis sie sich langsam und stockend aufschieben ließ. Der Raum, der dahinter lag, war hell erleuchtet. Überall standen brennende Kerzen. Vorsichtig betrat Nathan den Raum und beobachtete, wie sein Schatten am Boden wuchs und sich langsam zur gegenüberliegenden Wand zog. Er blieb stehen und sah sich um. Der Raum hatte keinerlei Fenster und der einzige Ausgang war der, durch den er hier herein gekommen war. Als sein Blick wieder auf die gegenüberliegende Wand fiel, schrie er kurz schrill auf. Nathan war stehen geblieben, doch sein Schatten wuchs weiter, bis er zur vollen Größe an der Wand herangewachsen war. Langsam kam sein eigener Schatten auf ihn zu und trat aus der Wand heraus. Er schritt andächtig auf ihn zu und Nathan stolperte rückwärts. Die Tür, die er hinter sich offen stehen gelassen hatte, war nun verschlossen und so prallte er unbeholfen dagegen. Langsam nahm sein Schatten Form an und Damian stand vor ihm. Ein dunkler Faden zog sich über den Boden von Damians Füßen, bis hin zu Nathans. Er war tatsächlich sein Schatten! „Das ist nicht möglich!“, keuchte Nathan und rüttelte an der Türklinke, nicht ohne den Blick von Damian zu lassen, der fortwährend auf ihn zukam. „Wie du siehst, ist es das. Du bist vermutlich der Einzige, der Angst vor seinem Schatten hat.“, er grinste. „Du sieht nicht aus wie ich!“ Nathans Augen waren geweitet und seine Stimme hatte einen schrillen Klang angenommen. „Ich bin so groß wie du, so schwer wie du ... ein Schatten hat kein Aussehen, er ist einfach nur ein dunkler Fleck. Also schaffe ich mir selbst einen Körper.“ Damian stand nun wieder vor Nathan und wie schon so oft hatte Nathan keinerlei Entkommenschance. „Das Haus ist ein Teil von mir, das sagte ich bereits. Ich baue es, ich vergrößere es oder ich reiße es ein.“ Kaum hatte Damian zu Ende gesprochen, verlor Nathan den Halt und fiel nach hinten zu Boden. Die Wand und die Tür, die vor wenigen Augenblicken noch fest standen, waren verschwunden! Panisch kroch er rücklings von Damian weg, der ihm allerdings folgte. So, wie ein Schatten es gewöhnlich tat. „Du musst bis Mitternacht hierbleiben, damit ich dich schützen kann.“, Damians Stimme hatte den Klang eines Wahnsinnigen und Nathan versuchte, sich an dem morschen Geländer hochzuziehen. Es brach, als Damian es ansah und Nathan schlug der Länge nach auf den Rücken. Damian lies ein leises Seufzen verlauten und kniete sich über den ängstlichen Nathan. „Wenn es Mitternacht ist, werde ich nicht mehr da sein. Weder die Schatten, noch dieses Haus werden dann noch hier sein. Du wirst nie wieder gejagt werden. Außerdem wärst du der Erste, der ihnen entkommen ist.“ Den letzten Teil sprach er mit leicht singendem Unterton und zuckte dabei die Schultern. Nathan fragte sich, wieviele Menschen es wohl gab, die einfach verschwunden waren. Das heißt, die man einfach nicht mehr sehen konnte. Allerdings traute er sich nicht, danach zu fragen. Generell brachte er kein Wort heraus. Es war eine recht morbide Situation: sein eigener Schatten saß in einer alten, baufälligen Hütte auf ihm und erzählte ihm irgendwelche merkwürdigen Dinge. Als wäre das nicht genug, lauerten außerhalb dieser Hütte Schattenwesen auf ihn, die sich an seiner Lebensenergie bereichern wollten um weitere 79 Jahre friedlich zu ... naja was auch immer sie taten. 79 war schon eine merkwürdige Zahl, wie Nathan fand. „Warum 79?“, brachte er endlich kurz angebunden heraus. Damian aber zuckte lediglich mit seinen Schultern. „Was fragst du mich? Ich bin keiner der Totenschatten.“ Totenschatten. Ein passender Name, wenn man bedachte, was diese Wesen eigentlich waren. Warum aber wurde bisher außer ihm niemand errettet? „Du solltest mir dankbar sein ...“, sagte Damian und holte Nathan aus seinen Gedanken zurück. „Du solltest mir dankbar sein, dass ich mich für dich opfere. Schatten sind sehr egoistische Wesen musst du wissen. Gewöhnlich tun wir das nicht. Aber irgendwie mag ich dich....“ Nathan erschrak, als ihm Damian seine Lippen auf die seinigen presste. Als sich Damian löste, glaubte Nathan ein kurzen Aufleuchten in Damians Augen gesehen zu haben. Vielleicht war das aber auch nur eine Täuschung, denn Nathans Augen waren selbst so weit aufgerissen, dass man meinen könnte, er habe den leibhaftigen Teufel gesehen. Damian aber lächelte. Zum ersten Mal, seit ihm Nathan begegnet war, lächelte er aus purem Vergnügen. Nathans Verwunderung lies nach und es störte ihn auch nicht, als Damian ihm erneut einen Kuss gab. Er verdrängte den Gedanken, dass er gerade seinen eigenen Schatten küsste. Er verdrängte ebenfalls den Gedanken an die Umstände in denen er sich eigentlich befand. Eigentlich war es doch egal, was dort draußen auf ihn wartete, solange er hier drinnen blieb. Mit einem Mal verschwand die Last auf Nathans Beinen und auch seine Lippen wurden gelöst. Damian war erneut verschwunden. Also langsam fängt der Kerl an, mich zu nerven, fluchte Nathan innerlich und stand umständlich auf. Er fragte sich, wie spät es wohl mittlerweile war. Vielleicht hatte er ja das Glück, in diesem Haus eine Uhr zu finden. Eine Tür hatte er schließlich noch nicht geöffnet. Wer hätte denn auch ahnen können, dass er sie besser zugelassen hätte? Als er vor der letzten Türe stand, ließ diese sich fast zu leicht öffnen. Ein kalter Windhauch zog an Nathan vorbei, als er die Tür zu dem dunklen Raum öffnete. Auch dieser Raum schien keine Fenster zu haben. Allerdings war auch sonst keine Lichtquelle darin zu sehen. Das einzige, das aus diesem Raum kam, war ein leises Surren. Nathan lauschte angestrengt und das Surren wurde immer lauter. Gerade, als er einen Schritt in das Dunkel hineinwagen wollte, wurde er von einem heftigen Schlag nach hinten geschleudert und blieb auf dem Boden liegen. „Nein!“, ein panischer Schrei ertönte und Damian trat vor die Tür. Hastig versuchte er, sie zuzuschlagen, aber das Dunkel, dass darin war, schien sich dagegen zu wehren. „Lauf Nathan!“ Nathan rührte sich nicht, sondern stand langsam auf und sah erstaunt zu Damian, der mit aller Kraft versuchte, gegen die Dunkelheit anzukämpfen. „Was ... ist das?“ „Verschwinde!“, keuchte Damian, aber Nathan verstand nicht, warum er weglaufen sollte. Er war doch sicher in diesem Haus. Das hatte Damian ihm doch selbst gesagt. Warum also musste er nun in eben diesem Haus fliehen? Nathan schüttelte den Kopf, wusste aber, dass Damian ihn nicht sehen konnte. In ihm stieg eine Gefühl auf, dass er schon lange vergessen hatte: Wut. Damian hatte ihn angelogen. Keineswegs war er hier sicher! Langsam schritt Nathan die Treppe hinauf und konnte dabei Damian keuchen und stöhnen hören bei dem Versuch, die Tür zuzudrücken. Die Tür im ersten Stock, die eben noch fest verschlossen war, ließ sich nun problemlos öffnen und Nathan trat hinein. Er ließ die Tür ins Schloß zurückfallen und ging in die Mitte des Raumes. Die Fenster waren ungewöhnlich sauber und vor einem Kamin in der Ecke stand ein alter Sessel, der keinerlei Spuren von Alter aufwies. Nathan schloß die Augen und atmete tief ein. Er atmete wieder aus und noch einmal ein. Nein, das ließ er sich nicht gefallen. So laut er konnte schrie er: „Damiaaaaaan! Wenn du mein Schatten bist, dann komm gefälligst her!“ Keine Sekunde später hörte er das Geräusch einer brechenden Tür, das von unten heraufkam. Etwas kam die Treppen hoch. Es war kein Laufen, es hörte sich eher an, als würde etwas schweres hinauf geschleift werden. „Was soll das? Jetzt ist es frei!“ „Was war das?“, herrschte Nathan Damian an, der ihn ausdruckslos wie eh und je ansah und damit seine Wut noch mehr steigerte. Damian aber sagte nichts, sondern schüttelte nur den Kopf. „Antworte mir!“ „Es ... das bin ich.“, sagte er langsam. „Du?!“, Nathan schrie nun wieder. „Du bist hier! Du kannst das nicht sein!“ „Es ist wie ich aus dir entstanden. Jeder Mensch hat auch einen dunklen Schatten, der sich hinter ihm herzieht. So, wie jeder Schatten einen Schatten hat. Der Schatten, der bei dir ist, wenn ich neben dir stehe, ist eigentlich meiner. Das, was dort unten liegt ist dein dunkler Schatten. Ich habe ihn eingesperrt, aber nun ist er frei und wenn er dich bekommt ....“ „Was dann?!“ „Dann ... wirst du zu dem, was es ist.“ Nathan zog die Augenbrauen hoch. Er würde zu etwas werden, dass er bereits war? Oder meinte er vielleicht, dass seine negative Seite stärker werden würde? Er hatte keine Zeit mehr, seine Fragen zu stellen, als ein heftiges Pochen die Tür zu zerschmettern drohte. „Das geht nicht!“, schrie Damian und rannte zur Tür. Er lehnte sich dagegen und sah Nathan an. „Nurnoch ein bisschen...“ Er sprach mehr zu sich, als zu Nathan. Nathan wandte sich um und fand an der Wand eine Uhr, die elf Uhr dreiundvierzig anzeigte. Dann sah er wieder zu Damian, der alle Mühe hatte, die Tür zu stützen. Nathan schritt langsam nach hinten und dachte nach. Wenn das, was dort draußen war, er war und er das, was da draußen war, dann müsste es doch möglich sein ... Damian hatte keine Kraft mehr und wurde mitsamt der Tür nach vorne geschleudert. Er fiel hart zu Boden, ohne dabei ein Geräusch zu machen. Das Dunkle hatte keine Form, wie Damian sie hatte. Es sah mehr aus, wie dunkles Wabbern. Es war nicht sonderlich schnell und zog sich nur langsam an der Wand entlang auf sie zu. Damian sprang auf und stellte sich schützend vor Nathan. Dieser aber schob ihn bestimmt zur Seite und ging einen Schritt auf das Dunkel zu. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er den Kopf zur Seite legte und einfach nur auf das starrte, das da kam. Damian wollte etwas sagen, doch Nathan hob die Hand. Das Dunkel stoppte einen Augenblick, dann zog es sich langsam zurück. Es war so einfach gewesen, dass Nathan zu lachen anfing. Es dauerte nicht lange, bis von dem wabbernden Dunkel nichts mehr zu sehen war. Triumphierend drehte Nathan sich zu Damian um. Dieser stand regungslos da und sagte kein Wort. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist!“ Vollkommen überraschend sprang er auf Damian – auf seinen Schatten – zu und umarmte ihn. „Eigentlich“, fing er zu reden an. „Ist es garnicht so schlimm, wie ich dachte.“ Er hob seinen Kopf und drückte nun seine Lippen auf die Damians. Dieser erwiderte sowohl die Umarmung als auch den Kuss. Als Damian sich wieder löste, sagte er: „Du weißt, dass ich für immer von dir gehen werde, oder? Du wirst dann keinen Schatten mehr haben.“ Nathan erschrak. Er erinnerte sich daran, dass Damian so etwas in der Art schon einmal gesagt hatte. „Heißt das, ich werde dann auch verschwinden?“ Ein unangenehmes Gefühl machte sich in seinem Magen breit. Wenn Damian ihn schützen wollte, würde das überhaupt keinen Sinn ergeben. Doch Damian schüttelte den Kopf. „Es ist ja nicht so, als würde dir dein Schatten gestohlen. Dein Schatten verlässt sich freiwillig. Ich werde mich mit dir verbinden. Und zwar vollkommen. Damit ich dich immer schützen kann.“ Nathan verstand nur schwer, was Damian damit meinte. Er sah betreten zu Boden, während er und Damian sich nach wie vor in den Armen hielten. Eine Weile verging, ehe Damian die Stille brach. „Die Schatten werden dir nichts tun, solange ich ein Teil von dir bin. Sie können einen Schatten, der sich löst nicht angreifen, weil er keine Festigkeit mehr besitzt, die ihm Kraft gibt.“ „Hm.“, machte Nathan und sah auf, als ein Beben aufkam. Damian allerdings schien das kaum zu kümmern. Er hob Nathans Kopf an sagte in leicht melancholischem Ton: „Mein Schatten wird dich stets verfolgen!“ Dann drückte er Nathan erneut einen Kuss auf und zog ihn fest an sich. Nathan spürte, wie das Beben immer heftiger wurde und klammerte sich an Damian fest, als könne er ihn auch vor diesem Unheil beschützen. Nathan konnte hören, wie um ihm herum Bretter zu Boden vielen. Eines der Bretter traf ihn an Kopf und zum zweiten Mal für diese Nacht verlor er das Bewusstsein. Als Nathan wieder erwachte, schmerze sein Kopf. Er rieb sich die schmerzende Stelle am Kopf und sah sich seine Hand an. Offensichtlich hatte er eine stark blutende Wunde am Kopf. Es dämmerte ihm langsam und er sah sich um. Er lag mitten im Wald auf dem Boden und der Tag war bereits im Anbruch. Das Haus, in dem er eben noch gewesen war, war wie vom Erdboden verschluckt. Hatte er sich vielleicht den Kopf angehauen, als er fiel und halluziniert? Er rappelte sich auf und suchte sein Gleichgewicht. Als er es hatte, sah er sich noch einmal um. Es gab keinerlei Spuren, die darauf hinwiesen, dass hier mal ein Haus gestanden hätte. Mit vorsichtigen Schritten verließ er den Wald und trat zurück auf das freie Feld. Halloween war vorbei, die Nacht war vorbei und er hatte Kopfschmerzen auch ohne gefeiert zu haben. Er ärgerte sich, dass er die ganze Nacht verschlafen hatte. Als er sich auf den Weg nach Hause machte, blieb sein Blick am Boden hängen. Die aufgehende Sonne warf Schatten über den Boden. Nur er, Nathan, warf keinen Schatten. Er kniff die Augen zusammen. Wie es schien, hatte er sich nicht alles bloß eingebildet. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als sich langsam ein dunkler Fleck um ihn herum bildete. Mein Schatten wird dich stets verfolgen!, hatte Damian gesagt. Damian. Hatte er solche Angst vor ihm gehabt, war er ihm nun dankbar. Nun lief Nathan im Schatten seines eigenen Schattens. Was für eine groteske Situation! Nathan wusste, dass er noch so viel hätte fragen wollen. Damian war nicht mehr da, um ihm seine Fragen zu beantworten, aber Nathan wusste, dass er ihn nicht ganz verlassen hatte. Es war ihm egal, dass das, was er diese Nacht gesehen hatte, so surreal war, wie kaum ein Märchen der Gebrüder Grimm. Auch war es ihm egal, dass er so gut wie nichts wusste. Aber eins wusste er ganz bestimmt: Er hatte endlich gelernt, sich selbst zu kontrollieren! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)