Geständnisse von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 18: Kapitel 18 ---------------------- -18- Mürrisch grummel ich vor mich hin, als ich von einem penetranten Klingeln geweckt werde. Dabei hatte ich gerade so verdammt gut geschlafen! Richtig kuschelig eng an Michael gedrückt. Da kann ich echt nichts Störendes gebrauchen! Im ersten Moment glaube ich ja, dass es mein Wecker ist. Ist er aber nicht. Im nächsten Augenblick hab ich ne böse Ahnung. Hektisch dreh ich meinen Kopf zur Seite und schau zu Michael, der noch immer schläft. Dann werfe ich nochmal schnell einen Blick auf den Wecker. 09:37. Der wird doch nicht so früh schon hier antanzen? Vorsichtig krabbel ich über Michael drüber und versuche ihn nicht zu wecken. Er brummelt nur, dreht sich dann auf die andere Seite, schläft aber weiter. Leise tapse ich zu meiner Tür und öffne sie ein wenig, nur um im nächsten Moment zusammen zu zucken. Okay, er ist da. Von unten hör ich nämlich schon sowas wie einen Streit. Da bin ich jetzt echt noch nicht drauf eingestellt! Ich mein, hallo?! Ich hab mal gerade ein paar mickrige Stunden geschlafen! Dann seh ich meine Mutter die Treppe hochkommen. „Benny?“ „Bin wach.“ „Und Michael?“ Ich schüttel mit dem Kopf. „Weck ihn mal. Sein Vater ist unten.“, sie deutet mit der Hand hinter sich und seufzt. Ich nicke schnell. „Wir kommen gleich!“, sage ich dann und verschwinde wieder in mein Zimmer. Wunderbar. So hab ich mir diesen Samstagmorgen auch nicht vorgestellt. Eigentlich will ich ihn lieber schlafen lassen und erst wecken, wenn das hier alles vorbei ist. Wird aber wohl nicht so funktionieren. Am Ende kommt sein Vater noch hoch und sieht seinen Sohn in meinem Bett. Das würde die Sache nicht unbedingt besser machen. Der würd mich wahrscheinlich auf der Stelle kalt machen... Ich knie mich über Michael und puste ihm ins Ohr, woraufhin er kurz zuckt. Dann geb ich ihm einen kurzen Kuss auf den Mund, dann noch einen und noch einen, bis er sich endlich rührt und mich zurück küsst. „Morg’n.“, murmelt er grinsend und streckt sich dann ein bisschen. In der nächsten Sekunde runzelt er aber schon die Stirn und wird ganz still. Ich verzieh das Gesicht. Super. Jetzt hört man sie schon bis in mein Zimmer. „Eh... ja.“, mache ich sinnlos und deute zur Tür. Michael schaut mich nur finster an, dann kämpft er sich aus meinem Bett und beeilt sich sich anzuziehen. Ich mache es ihm nach. Nacheinander gehen wir dann ins Bad und treffen uns dann wieder in meinem Zimmer. „Na dann!“ Ich hasse es wenn er so gleichgültig tut, aber ich traue mich jetzt auch nicht wirklich was zu sagen. Ich schnappe mir einfach nur seine Hand und geh mit ihm runter. Kurz vor’m Wohnzimmer schüttelt er aber meine Hand wieder ab. Ich bekomm ein ganz übles Gefühl. Dann öffnen wir die Tür. „...nichts zu tun! Dass kann doch nicht wahr sein!“ Okay, Michaels Vater ist ganz schön gereizt. Der merkt noch nicht einmal, dass wir den Raum betreten haben. Er steht einfach mit dem Rücken zu uns und keift meinen Vater an, der gelassen im Sessel sitzt und nur grimmig zu ihm aufschaut. „Reiß dich mal zusammen! Du redest Schwachsinn!“, knurrt mein Vater und schaut dann zu uns rüber. „Morgen ihr zwei!“ Das wirkt wie ein verdammter Paukenschlag. Michaels Vater dreht sich ruckartig zu uns um und ich merke, wie mein Freund plötzlich steif wird. Klasse. Das kann ja nur gut laufen! „Komm sofort her!“, zischt er Michael auch schon an, ohne ihn auch nur zu begrüßen. Also ich hätte da sicher Angst, wenn der so mit mir umspringen würde. Hab ich ja jetzt schon, obwohl er gar nicht mich meint. „Nein!“ Puh, das kommt erstaunlich fest von Michael, der nur böse zu seinem Vater schaut. Ich glaube jetzt kommt seine Wut hoch und Trotz und was weiß ich. „Michael!“ „Peter. Setzt dich mal hin!“ Mein Papa ist wohl auch die Geduld in Person. Aber so einfach ist das auch nicht. Der setzt sich nämlich eben nicht hin. Dafür mache ich das aber jetzt und zieh Michael am Ärmel mit mir mit. Dass ich dafür einen giftigen Blick zugeworfen bekomme verdränge ich mal schön. Immerhin hält er seine Klappe. Die ganze Situation kommt mir einfach nur lächerlich vor. Was glaubt der eigentlich zu erreichen, hä? Sieht er nicht, dass sein Sohn sich schon längst entschieden hat? Und warum will er das so vehement kaputt machen? Warum gönnt er es ihm nicht einfach? Oder ist für ihn der Gedanke wirklich so schrecklich, dass Michael mit einem anderen Jungen zusammen ist. Mir ist ja klar, dass das nicht alltäglich ist – aber sooo schrecklich selten ist es ja jetzt auch nicht! Es gibt bestimmt noch mehr Menschen, denen es so geht wie uns. Jetzt steht Michaels Vater noch als einziger im Raum herum, was ihm anscheinend auch nicht passt, weil er sich kurz darauf ungehalten in den Sessel fallen lässt. Den Blick immer noch uns zugewandt. Nein, der kann mich wirklich nicht leiden. „So, können wir jetzt in Ruhe reden?!“, brummt mein Papa. Darf ich mal lachen? „Da gibt es gar nichts zu bereden! Ich versteh gar nicht, wie ihr das zulassen könnt!“, braust er gleich wieder auf. „Ihr könnt doch nicht zuschauen wie... wie...“ Jetzt fehlen ihm ganz offensichtlich die Worte. „Sollen wir die beiden auseinander reißen oder was?!“, kontert mein Papa gleich darauf. Ich finde seine Antwort ja nicht so toll, weil ich genau weiß was jetzt zurückkommt. „Natürlich!“ Haha, ich hab’s ja gewusst. „Dann willst du also, dass Michael unglücklich ist?“ „Nein verdammt! Ich will genau das vermeiden!“ Witzig das aus dem Mund von demjenigen zu hören, der seinem Sohn doch das Leben in den letzten Wochen so schwer gemacht hat. „Und das erreichst du indem du ihn fertig machst?!“ Das sitzt. Für einem Moment ringt er um Worte, aber mein Papa lässt ihm gar keine Zeit zum Nachdenken. „Hast du auch nur einmal dran gedacht, was du Michael damit antust?!“ Michael neben mir schluckt schwer und senkt den Blick. Ich schiebe meine Hand zwischen uns, traue mich aber nicht nach seiner zu greifen. Trotzdem will ich sie in seiner Nähe lassen. Sein Vater scheint sich in dem Augenblick wieder zu fassen und steht wütend auf. „Was mache ich denn, hä? Ich versuche ihm nur klar zu machen, dass das nicht geht! Schau sie dir doch an!“, wird er wieder lauter und zeigt mit seiner Hand auf uns. Ich schaue nur ganz verdattert zurück, während Michael noch immer den Kopf hängen lässt. „Ja verdammt! Schau sie dir mal an. Siehst du das etwa nicht!?“ Jetzt steht auch mein Papa auf und deutet auf uns. Ich komm mir hier grad ziemlich unnötig vor. Die hätten das ja auch alleine ausmachen und uns später ihre Ergebnisse vortragen können. Ich find’s nämlich gar nicht prickelnd hier so auf dem bekloppten Präsentierteller zu sitzen und von allen angegafft zu werden. Und wenn ich so neben mich schaue, dann passt das Michael auch nicht. Mann, ich möchte jetzt echt nicht in seiner Haut stecken, auch wenn das fies klingt. „Ja, ich seh’s ja. Und das gefällt mir ganz und gar nicht! Guck ihn dir an! Wie er da sitzt!“, giftet Michaels Vater, obwohl er nicht mal richtig zu uns rüber geschaut hat. Ich meine, der sieht ja nur, dass es Michael schlecht geht aber warum das so ist sieht er nicht. „Und warum, glaubst du, ist das so?“, setzt mein Papa wieder etwas leiser hinterher. Oh klasse. Ich merk, wie Michael neben mir zu zittern anfängt. Das kann ich echt nicht gebrauchen, sonst brech ich hier gleich noch in Tränen aus. Ich mag’s nicht, wenn sich Erwachsene streiten. Das hört sich dann immer gleich so... schlimm und endgültig an. „Weil dein verdammter Sohn nicht die Finger von ihm lassen kann!“ Ich schnappe nach Luft und würde jetzt am liebsten was echt gemeines zu ihm sagen. Mein Papa verzieht auch schon böse das Gesicht, aber Michael ist schneller. „HÖR AUF!“ Alle Blicke wandern zu ihm rüber, selbst ich muss überrascht blinzeln. „Das stimmt gar nicht! Ich...“ Er holt einmal tief Luft, dann schaut er zu seinem Vater rüber. „Ich will mit Benny zusammen sein! Ich will bei ihm sein! Und es ist mir scheißegal, was du denkst! Ich hab schon kapiert, dass du mich nicht mehr... dass du...“ Er holt nochmal Luft, dann setzt er dem ganzen die Krone auf. „Ich komm auch ganz gut ohne dich klar!“ Dann steht er auf und geht aus dem Zimmer. Und hinterlässt eine beängstigende Stille. Ich zögere nur ein paar Augenblicke, dann steh ich auch auf. Diesmal schauen alle auf mich. Okay, jetzt oder nie. „Wenn’s ihnen nicht passt, dass ich mit Michael zusammen bin, dann lassen sie ihn doch einfach in Ruhe! So einen Scheiß hat er nämlich nicht verdient!“ Und damit das ganze einen runden Abschluss hat, knalle ich die Tür noch mit einem deutlichen „Arschloch!“ zu. Scheißegal ob sein Vater wieder zu toben anfängt. Vor der Tür atme ich einmal kräftig ein und aus und versuche meine Wut zu verdrängen. Was für ein Idiot! Und scheiße, hab ich jetzt ein schlechtes Gewissen! Ich hab hier bis eben tatenlos herumgesessen und mein blödes Maul nicht aufbekommen! Da muss erst mein Freund kommen und mich verteidigen – na super! Vielleicht hätte ich mir doch lieber nen Kampfplan zurechtlegen sollen! Argh, egal jetzt. Ist dafür eh zu spät! Jetzt erst mal zu Michael. Ich geh gleich rauf in mein Zimmer, da ich glaube, dass Michael hier am ehesten sein könnte. Und ich hab recht. „Das ist doch zum Kotzen!“, meckert er gleich los, schaut mich aber nur flüchtig an. „Kommt einfach her und redet so einen Mist! Was soll’n das?“ Ich zucke nur mit den Schultern. Eigentlich hätte ich jetzt nicht mit so einem... äh... Wutausbruch gerechnet. Eher das er hier schweigend sitzt und kurz vorm Heulen wäre. Oh Mann. Ich bin aber echt froh, dass er nicht so reagiert hat. Das hätte ich eh nicht ertragen. Bin ja unten schon so schrecklich nervös geworden. Verdammt, meine Hände zittern sogar ein wenig! „Ich hab ja gewusst, dass er bescheuert ist, aber DAS!“ Er rauft sich ein bisschen die Haare und ringt nach Worten. Ich selbst weiß gar nicht so genau, was ich jetzt sagen soll. Deshalb setz ich mich einfach mal auf mein Bett und bin ganz ruhig. „Mann, warum lässt er mich nicht einfach in Ruhe? Er hält doch sowieso so wenig von mir!“ Auch wenn er das ziemlich wütend sagt, höre ich doch eine unterschwellige Verzweiflung raus. Toll, und ich hock hier einfach untätig und weiß nix mit mir anzufangen. Ich schaue ihn einfach nur an und schweige. Super, bin bestimmt ne große Hilfe. „Am liebsten würde ich ja ausziehen! Soll er doch alleine weiter rumstänkern. Ich brauch den nicht!“ Hm, das glaub ich ihm jetzt nicht so richtig. Ich würde auf jeden Fall nicht so einfach auf die Gesellschaft meiner Eltern verzichten können. Aber ich kann meine Situation ja schlecht mit seiner vergleichen. Trotzdem, so erwachsen fühl ich mich dann auch noch nicht und ob Michael so stark ist, wie er gerade tut, weiß ich auch nicht. Ich glaub’s eher nicht. Wer ist das schon? Ich meine, wir sind ja noch nicht selbständig oder so. Wir gehen beide noch zur Schule und es ist ganz normal, wenn man sich auf seine Eltern verlässt. Nur blöd, wenn da ein Elternteil quer schlägt. Trotzdem find ich seine Worte ein bisschen extrem und ich glaub zu wissen, dass er das jetzt nur in seiner Wut so sagt. „Arschloch!“, stößt er dann ein wenig lauter hervor und setzt sich zu mir auf’s Bett. „Was soll ich denn jetzt machen?“, murmelt er leise und schließt seine Augen. Langsam beruhigt er sich wieder. Seine Hände hat er aber beide verkrampft auf seinen Oberschenkeln liegen. Hat er mir jetzt diese Frage gestellt? Was soll ich denn jetzt dazu sagen? Ich hab doch auch keinen Plan. Ganz spontan fallen mir da nur folgende Worte ein: „Ich liebe dich!“ Michael schaut ein bisschen verwirrt auf und atmet dann tief durch. Er schafft es sogar sich ein ehrliches Lächeln abzuringen. „Ich weiß!“, meint er dann ernst und dreht sich ein bisschen zu mir um. „Ich bin echt froh, dass du noch nicht abgehauen bist!“, grinst er dann ein bisschen schief. Skeptisch hebe ich eine Augenbraue und fange dann ganz fies an zu grinsen. „Na ja, du hast da manchmal so überzeugende Argumente!“, zucke ich gleichgültig mit den Schultern, habe aber noch immer dieses Grinsen auf den Lippen. „Nee, oder?!“ Michael schaut mich ein bisschen fassungslos an. „Du willst also nur das Eine von mir?!“ Dabei muss er aber auch ein bisschen lächeln. Gott sei Dank. „Was dachtest du denn?“, mache ich empört. „Jetzt wo ich dich so gut erzogen hab, geb ich dich doch nicht mehr her. Außerdem weißt du ja was mir so gefällt... wäre schon ziemlich nervig, wenn ich das jemandem erst wieder beibringen müsste!“ Dann tippe ich mir aber auf die Brust. „Und ein kleines bisschen spielt das hier ja auch ne Rolle...“ Zu meiner eigenen Schande werde ich daraufhin etwas rot. „Hm.“, macht er einfach und kommt mir dann wieder etwas näher, um mir einen kurzen aber intensiven Kuss zu geben. Ich glaub ich hab ihn ein bisschen aufgemuntert. Wir sitzen hier dann einige Minuten einfach nur rum und ich hätte schon fast vergessen, dass unten sein Vater ist, wobei ich mir nicht mal mehr so sicher bin, ob er noch da ist. Aber als meine Mutter an meine Zimmertür klopf und dann rein kommt, bestätigt sie nur meine unausgesprochene Frage. „Michael? Wir haben nochmal mit deinem Vater gesprochen, so ganz in Ruhe.“ Ich weiß ja nicht, was ich davon halten soll, aber meine Laune sinkt in den nächsten Minuten rapide. Meine Mutter jedenfalls klingt ziemlich zuversichtlich. Zumindest soll Michaels Vater nicht mehr rum brüllen und anscheinend hat er auch ein wenig Vernunft angenommen. Wie auch immer, es läuft auf das selbe hinaus – nämlich, dass Michael heim soll, mit seinem Vater. Und Michaels Antwort macht das ganze auch nicht besser. „Okay.“ Okay? Mehr nicht? Na, ich bin ja begeistert. Will er jetzt einfach mitgehen und sich wieder zur Sau machen lassen? Find ich ja supergenial. Aber ich lass mir nichts anmerken – zumindest vorerst. Ich weiß ja, dass ich ihn hier nicht festbinden kann und dass er sowieso irgendwann wieder Heim muss. Ich mag den Gedanken aber trotzdem nicht. Meine Mutter lässt uns dann auch alleine und ich nutz gleich die Chance mich an Michael zu wenden, der auch schon aufgestanden ist. „Willst du echt gehen?“ „Was bleibt mir denn anderes übrig?“ „Na hier bleiben!“, brause ich fast auf. „Ich werd schon mit dem fertig!“ Na klar! „Komm schon, was soll denn schon passieren?!“ Einen Moment lang schau ich ihn einfach nur blöde an. Was passieren soll? Ich hab da ein paar tolle Vorschläge. Folter, Mord, Totschlag? Keine Ahnung, ich bin in dem Gebiet nicht so bewandert! „Spinnst du dir wieder irgend einen Quatsch zusammen?“, grinst er mich dann an. Klugscheißer! Bitte, soll er doch gehen! „Wenn was ist rufst du an und ich komme!“, murre ich unzufrieden. „Zu meiner Rettung?“, fragt er grinsend. Ich grinse nur etwas stinkig zurück, lasse mir zum Abschied aber nochmal einen Kuss geben. Dann gehe ich noch mit ihm runter und schaue zu, wie die beiden verschwinden. Sein Vater ist wirklich ruhiger geworden. Er hat sich einfach nur noch flüchtig von meinen Eltern verabschiedet, mich aber nur so komisch angeguckt. Ich weiß ja nicht, was ich davon halten soll... Aber eins ist sicher. Die nächsten Stunden dürften ne ziemlich Qual werden – und zwar für mich. *** „Das glaubst du ja selbst nicht!“ „Oh doch! Ich wette mit dir!“ „Kannst‘e vergessen!“ „Hast wohl Schiss, ne!?“ Angepisst schaue ich auf Sabine, die mir ein so triumphierendes Grinsen zu schmettert, dass ich ihr am liebsten eine reinhauen würde. So eine Schnappsidee! „Komm schon, die müssen das ja nicht erfahren!“, raunt sie dann verschwörerisch. Verstohlen schau ich zur Seite, wo der Rest unserer Clique steht, einschließlich Michael und Alex. Echt, manchmal hab ich Mitleid mit Alex, dass er so eine Freundin ertragen muss... „Aber doch nicht hier!“, murre ich noch immer und mache mit meiner Hand eine ausschweifende Geste. Wir sind hier nämlich gerade in einer blöden möchte-gern Disco. Weiß nicht so recht wie man das Ding sonst nennen soll. Immerhin gibt es hier ne Tanzfläche. Die Musik dröhnt aber nur aus großen Boxen und am Rand zieht sich ne lange Bar entlang – wo wir uns auch gerade aufhalten. Bunte Lichter flackern durch den riesigen Raum und einige Bekloppte hüpfen total bescheuert in der Mitte herum. Wenn man das alles aber ausblendet bleibt nur ne alte Bruchbude. War früher wahrscheinlich mal ne stinknormale Kneipe oder so. „Warum denn nicht?“, will Sabine wissen und stupst mich auffordernd in die Seite. Tse, warum wohl nicht?! „Weil ich keinen Bock auf ne gaffende Menge habe!“, zische ich ihr zu und nuckel weiter an meinem Bier. Die soll mich mit ihren blöden Ideen in Ruhe lassen. „Ah! Du hast doch Schiss, dass ich gewinne!“, behauptet sie. „Gar nicht wahr!“, schieße ich gleich zurück. Das ist ja mal gar nicht der Grund. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass ich diese blöde Wette gewinnen könnte, wenn ich sie denn annehmen würde – was ich natürlich nicht machen werde! Ich will einfach nicht den zerbrechlichen Frieden zerstören, der sich seit drei Wochen eingestellt hat. Nach dieser Aussprache zwischen Vater und Sohn. Das ist nämlich ganz anders gelaufen, als ich gedacht hätte. Als Michael mit seinem Vater an diesem Samstag abgerauscht war, saß ich den ganzen Mittag wie auf heißen Kohlen. In meiner Hand war immer mein Handy und ich hab jede Sekunde drauf gestarrt, obwohl es keinen Pieps von sich gegeben hatte. Ich war mehrmals davor ihn anzurufen, weil ich mir mal wieder die schlimmsten Dinge ausgemalt hatte. Dass mein Papa mich zwischenzeitig dann immer aufgezogen hatte und meinte, ich soll mal nicht den Psychopathen raushängen lassen, hat mir dann auch nicht wirklich geholfen. Erst als der erlösende Anruf kam, hab ich dann etwas von meiner Anspannung verloren. Lange Rede, kurzer Sinn: Michaels Vater war zwar immer noch nicht mit der Situation glücklich, aber er wollte sich bessern. Zumindest wollte er seinem Sohn nicht mehr vorschreiben, wen er zu sehen hatte und wen nicht. Willkommen war ich bei ihm noch immer nicht, aber Michael durfte zu mir kommen wann er wollte. Wahrscheinlich wollte sein Vater uns beide einfach nicht zusammen sehen und sich so vor Augen führen lassen, was da zwischen uns beiden abging. Michael selbst war und ist damit eigentlich ziemlich zufrieden, obwohl er sich seitdem nicht mehr so supertoll mit seinem Vater versteht. Und er findet es auch bescheuert, dass ich sowas wie Hausverbot hab. Aber dafür hält er sich einfach ein bisschen häufiger bei mir auf – und dass macht mich ziemlich zufrieden. Und irgendwie zögere ich in letzter Zeit auch genau deshalb, wenn’s darum geht sich in der Öffentlichkeit etwas eindeutiger zu zeigen. Was eigentlich totaler Schwachsinn ist, weil ja jetzt alles wieder etwas besser zu laufen scheint, aber dennoch. Ich bin zurückhaltender geworden. Ich hab nicht so den Drang mich ihm vor allen Leuten an den Hals zu werfen, dass mach ich lieber wenn wir ganz alleine sind! Natürlich gibt es immer mal wieder Momente, da bricht es aus mir heraus und ich schnapp ihn mir, um ihn einfach mal zu küssen, aber so ganz der Mutige bin ich nicht. Besonders nicht in der Schule. Mir kommt‘s immer so vor, als wüssten es alle – was wahrscheinlich auch so ist. Ein offenes Geheimnis eben. Unsere Blicke kann man wahrscheinlich nur in eine Richtung deuten. Trotz allem hat uns noch keiner so direkt darauf angesprochen. Zumindest aus anderen Klassen nicht. Die Leute aus unserer Klasse wissen nämlich auf jeden Fall Bescheid und grinsen immer so doof, wenn wir nur irgendwas zusammen machen. Egal ob in die Pause gehen, Tafel wischen oder einfach nur nebeneinander sitzen. Von Alex weiß ich, dass ihn schon ein paar Klassenkameraden auf uns angesprochen haben, es aber gar nicht schlimm fanden. Nur ein paar Deppen haben dumme Sprüche geklopft. Ist mir aber egal. Einige wenige – vorwiegend die Mädels – haben es auch gewagt uns direkt zu fragen. Scheiße, war mir das peinlich! Michael hat natürlich nur grinsend neben mir gestanden und sich köstlich über mich amüsiert, während ich versucht hab die blöden Fragen zu beantworten. Mann, bis auf den Sex läuft bei uns doch alles genauso, wie bei einem stinknormalen Heteropaar! Trotzdem haben die sich alle möglichen und unmöglichen Fragen aus den Fingern gesaugt und uns beteuert, wie toll sie das doch alles fänden und blabla. In so was bin ich einfach nicht gut. Ich mag’s nicht so, wenn ich im Mittelpunkt stehe, aber irgendwie hat Michael mittlerweile diese Rolle übernommen. Also das mit der Aufmerksamkeit auf sich ziehen und so. Wenn der mir nämlich diesen bestimmten Blick zuwirft, kann ich einfach auch nicht mehr anders. Da blende ich immer alles um mich herum aus und lass mich von ihm in den Bann ziehen. Da vergess ich dann auch mal die geifernde Menge um uns herum. „Dann los!“, reißt mich Sabine plötzlich aus meinen Gedanken, schiebt mich vorwärts und geht mit mir zur Tanzfläche. „Ich will nicht!“ Sie scheint meinen schwachen Widerstand gar nicht groß zu beachten und schiebt mich einfach weiter. Super! Mädchen sind total bescheuert! „Jetzt komm schon!“ Dann bleiben wir stehen und sie dreht sich etwas in Richtung Bar um, wo die anderen noch stehen. Natürlich auch Michael und Alex. Ich hingegen fühl mich grad sehr unwohl. Die wird ja jetzt nicht von mir verlangen, dass ich noch zu tanzen anfange! Als sie dann auch noch in ihrer Tasche kramt und ihren Lipgloss rausholt, würde ich am liebsten wieder umdrehen. Flüchtig schmiert sie sich was von dem durchsichtigen Zeug auf die Lippen und drückt ihn dann mir in die Hand. Äh, ja, was soll ich denn jetzt damit? „Ja mach halt!“, drängt sie mich und reißt ihn mir wieder aus der Hand. Nur um mir dann eine Hand unters Kinn zu legen und schnell auch ein bisschen auf meinen Lippen zu verteilen. ICH WERD BEKLOPPT! „Hey!“, versuche ich zu protestieren und drehe meinen Kopf weg, da ist es aber schon zu spät. Grinsend packt sie das Teil wieder weg und ich kann sie nur mit einer knallroten Birne anschauen. Ich möchte sie auf der Stelle töten! „Hey! Ich tu dir nur nen Gefallen!“, meint sie lachend und deutet dann auf unsere beiden Freunde, die das aber zum Glück nicht mitbekommen haben. „Okay!“, meint sie dann ernst und schaut mich herausfordernd an. „Möge der Bessere gewinnen!“ Ich lächle etwas verkrampft. Das ist ja wohl ein Witz! Und jetzt fangt die tatsächlich an zu tanzen – und auch noch ganz aufreizend! Die ist ja total behämmert! Ich steh dagegen immer noch etwas hilflos neben ihr und hadere noch. Ich sollte mich hier lieber verdrücken und wieder an die Bar stellen. Ein kurzer Blick zu eben dieser sagt mir aber, dass ich mittlerweile doch beobachtet werde, was mich noch ne ganze Spur nervöser macht. Ach scheiß drauf! Ich werd mich doch nicht von Sabine so unterbuttern lassen! Zögerlich fange ich auch an zu tanzen und versuche meinen Blick krampfhaft nicht zu Michael schwenken zu lassen. Mann, bei mir fängt’s überall zu kribbeln an. Für Außenstehende sieht das hier wahrscheinlich so aus, als würden Sabine und ich zusammen tanzen, aber in Wirklichkeit tanzen wir für ganz verschiedene Personen. Und es ist genau dieser Gedanke, der mich so schrecklich nervös macht! Ich kann meine Augen dann doch nicht davon abhalten, ihn anzuschauen und zucke fast wieder zurück, als er mich so mustert. Meine Fresse, ich kipp hier gleich um! Starr schaue ich zu Sabine und versuche ein paar ihrer Bewegungen zu kopieren und könnt mich im nächsten Moment dafür hauen. Ich werd doch hier nicht wie ein Mädchen tanzen! Irgendwas muss mir total den Verstand benebelt haben, weil ich trotzdem weitermache und auch nochmal einen Blick zu Michael werfe, der mittlerweile seine Flasche auf die Theke gestellt hat und ein bisschen unruhig wirkt. Dann schaue ich neben ihn, zu Alex, der aber nur grinsend zu Sabine schaut. Der macht ja schon den Eindruck, als würde er gleich zu ihr wollen! Okay, dann halt anders. Ich dreh mich nun komplett zu meinem Freund um und kann auch auf die Distanz merken, dass er einmal kräftig schluckt. Alex neben ihm sagt irgendwas zu ihm, woraufhin Michael nur nickt, den Blick aber nicht von mir abwendet. Mensch du Blödmann! Jetzt mach schon! Sabine kichert schon leicht siegessicher und etwas sauer gucke ich sie dementsprechend auch an. Mann, muss ich hier erst ne beschissene Angel auswerfen? Wieder schaue ich zu meinem Freund, aber diesmal versuche ich diesen bestimmten Blick aufzusetzen. Kann ja so schwer nicht sein. Dabei fahre ich mir noch leicht mit der Hand über den Hosenbund und hebe mein Shirt ein bisschen an, was mich ein bisschen rot anlaufen lässt. Was mach ich hier eigentlich?! Es scheint aber zu wirken, weil sich Michael von der Theke abstoßt und ziemlich zielstrebig auf mich zukommt. Sabine neben mir seufzt nur ergeben. Als er bei mir ankommt, schlingt er fast sofort seine Arme um meine Hüften und gibt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, woraufhin er fragend seinen Mund verzieht und sich darüber leckt, was mich wiederum nochmal rot anlaufen lässt. Trotzdem kann ich mein Grinsen nicht verbergen, als ich ein atemloses „Gewonnen!“ murmle. Ich glaub, genau diese Momente sind es, für die sich der ganze Stress gelohnt hat! -Ende- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)