Wortgeflüster von AnimusDraconis ================================================================================ Kapitel 3: Spinnenpoesie ------------------------ Und mit einem Mal bin ich ganz klein. So klein, dass ich statt auf dem Fußboden in einer großen Schlucht stehe, dir früher einmal eine kaum nennenswerte Dielenritze war. Wenn ich die Arme ausstrecke, berühre ich die staubigen Wände. An machen Stellen liegen Staubkörner und Sand und Dreck, groß wie Felsen. Sie versperren meinen Weg. Ich zwänge mich an ihnen vorbei und bin schließlich auch von oben bis unten mit Staub bedeckt. Bräunlich durchscheinend und seltsam fest anhaftend, ohne klebrig zu sein, ist er, der Staub. Ein Geräusch lässt mich aufhorchen. Es raschelt. Wie Insektenbeine, die über ein trockenes Blatt scharren, nur viel, viel lauter. Ich zittere, schwitze, beiße auf meine Unterlippe und bleibe stehen. Ganz still, gegen die Wand gepresst. Mein Zittern kommt mir unglaublich laut vor, jede Bewegung die ich mache, lockt das Etwas zu mir. Es scharrt noch einmal, dann noch einmal – und hinter dem gewaltigen Sandkorn kommt ein noch gewaltigeres Monster hervor. Tausende von farbig schillernden Augen sehen mich an. Ich spüre, wie ein Schrei sich in meine Lunge zusammenballt, durch die Luftröhre gepresst wird und erst die Kehle passiert, ehe er meinem Mund entweicht. Die durchsichtigen Flügel bewegen sich, erst langsam und schwerfällig, dann immer schneller und schneller, bis sie vor meinen Augen flimmern. Ein ohrenbetäubendes Summen geht mir durch Mark und Bein. Ich weiß nicht, ob es der Brummton oder das Flimmern ist, das meinen Kopf dröhnen lässt. Die Fliege sieht mich an, unheimlich, aus unzähligen Augen spricht Gleichgültigkeit. Dann erhebt sie sich. Im letzten Augenblick werfe ich mich nach vorn und greife eines ihrer Beine. Sie ruckelt, ich fürchte schon, sie trägt mich nicht. Doch sie erhebt sich, wenn auch schwerfällig, in die Luft. Einige Meter entfernen wir uns vom Boden, und alles um mich herum wird jetzt erst erkennbar. Obwohl es so gewaltig über, neben und unter mir aufragt. Das Summen der Fliege lässt meinen Brustkorb vibrieren. Ein seltsamer Geruch steigt mir in die Nase. Ich sehe mich um. Da bemerke ich, was an drei weiteren Beinen der Fliege hängt. Ebenso an dem, an dem ich mich festhalte. Ehe ich den Ekel vor den Exkrementresten überwinden kann, veranlasst er mich dazu, loszulassen. Ich falle. Während ich falle, frage ich mich, ob mein Eigengewicht ausreicht, um mich zu einem blutigen Fleck auf dem Tisch zu machen, der unter mir steht. Da pralle ich auf die Lampe und rutschte den schräg nach unten abfallenden Lampenschirm herab. Reflexartig strecke ich die Hand aus und versuche, meinen Fall zu bremsen. Ein Ruck geht durch meinen Arm und dann den Körper, als meine Hand eines der Löcher in dem neumodischen Metallschirm zu fassen bekommt. Das Metall schneidet mir in die Hand, ich spüre die Hitze des Blutes, den Schmerz, der mir die Tränen in die Augen schießen lässt. Dann hangle ich mich von einem Loch zum nächsten, die in gleichbleibenden Abständen fein säuberlich in das Metall gestanzt sind. Dabei wird auch die zweite Hand an den scharfen Kanten verletzt. Gerade habe ich die Spitze erreicht, richte mich auf und will nach dem Kabel greifen, das vor mir aus der Lampe ragt. Da fährt ein Luftzug durch das offene Fenster ins Zimmer und ich fühle mich emporgehoben und mit gigantischer Kraft gegen die Wand geschleudert. Resigniert schließe ich die Augen und warte auf den harten, zerschmetternden Aufprall. Er bleibt aus. Stattdessen spüre ich, wie ich auf etwas stoße. Es gibt erst leicht nach, dann wippt es kurz und hält mich fest. Als ich mich umsehe, erkenne ich nach kurzem Nachdenken ein Spinnennetz. Einige Zeit rührt sich nichts. Ich wundere mich. Ich kenne diese Spinne, denke ich. Manchmal betrachte ich sie in ihrem Netz. Dann fange ich eine der schweren, trägen Fliegen von den Fenstern und lege sie in ihre Seide. Dann sehe ich ihr zu, wie sie ihr Opfer einspinnt. Das Netz ist so zart und scheint so zerbrechlich, fast schon weich, dabei kann die Spinne so grausam sein. Ich frage mich, ob es stimmt und die Insekten zu betäubt sind, um zu spüren, dass die Spinne sie bei lebendigem Leibe frisst. Ein leises Klackern und ich hebe den Kopf. Weit kann ich ihn nicht heben, denn er ist wie alles andere an den Spinnweben festgeklebt. Das Netz erhebt leicht und ich spüre etwas näherkommen. Ich zittere wieder, da erscheint vor- oder über?- mir die Bewohnerin des Netzes. Ihre Scheren klappern und ich spüre, wie Tränen meine Wangen herabrennen. Ein Schluchzer entschlüpft mir, dann ein zweiter, die Tränen fließen schneller. Ich wehre mich nicht, aber ich weine, als die Scheren näherkommen. Dann schließe ich die Augen und lasse die Tränen unter meinen Lidern hervorquellen, als einer meiner Arme plötzlich herunterfällt. Ich sehe auf und bemerke gerade, wie auch mein zweiter Arm freikommt. Die Scheren klappern erneut, und ich muss mich mit den Händen an dem klebrigen Fäden festhalten, um nicht zu fallen. Die Spinne schneidet gerade mein letztes Bein frei. Dann verharrt sie über mir. Ich schlinge meiner Arme um ihren Nacken und meine Beine um ihren dicken Leib. Mit einem letzten Geräusch, das so ähnlich klingt wie Stoff, den man langsam auseinanderreißt, macht sie mich ganz vom Netz los, als sie sich erhebt. Dann geht sie leichtfüßig über ihr Werk und ich begleite sie in einen schmalen Bau aus der klebrigen, weißen Spinnenseide. Einen schmalen Faden daraus benutze ich, um meine verletzte Hand zu verbinden. Es ist sauber hier, keine Kadaver liegen herum. Wahrscheinlich wirft sie ihre Nahrungsreste heraus, denke ich. Dann lege ich mich neben die Spinne, die sich ebenfalls gerade niedergelegt hat. Sie sieht mich aus ihren vielen, schwarz glänzenden Augen an. So, als wisse sie, dass sie hier einen Hort der Ruhe und Geborgenheit besitzt. Ich lächle und schmiege mich an ihren haarigen Leib, ehe ich in wohliger Wärme entschlummere. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)