Iren im Unabhängigkeitskrieg ("The Patriot") von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Disclaimer: Nichts davon gehört, abgesehen von den bezaubernden fünf Fräulein. Lord James Cornwallis, ein älterer aber noch mächtig wirkender Aristokrat, trat eben aus einem großen Gebäude in den strahlenden Sonnenschein. Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen, aber seine Laune war getrübt. In dem Gebäude wurde eine Ratsversammlung der Londoner Aristokraten abgehalten unter Vorsitz König George III. Es wurde darüber entschieden, ob England gegen die Kolonisten in Amerika, die sich vom Mutterland lösen wollten, in den Krieg ziehen sollte. Lord Cornwallis hatte dagegen gestimmt, obwohl er eine umfassende Ausbildung an der Turiner Militärakademie erhalten hatte und schnell Karriere machte. Er hielt die Handelsbeziehungen zu der amerikanischen Kolonie für sehr wichtig, aber König George III. erklärte Amerika in diesem Augenblick den Krieg. Lord Cornwallis war nicht sehr vermögend, aber seine gesellschaftlichen Kontakte waren Gold wert. Er meldete sich in den nächsten Tagen bei der Armee und wurde zum General befördert, der sich vom Süden in den Norden kämpfen sollte. Etwa drei Monate später in einer Londoner Kneipe stritten sich zwei junge Männer. Der eine war ein niedriger Adliger und der andere sein treuer Freund und Saufkumpan. Der Adlige – William Tavington – war empört darüber, dass die Kolonisten so großen Widerstand leisteten. Im Rausch schwor er seinem Freund, dass er in die englische Armee eintreten wollte, doch letzterer wollte davon nichts wissen. Tavington plagten große Sorgen, die er vorzog im Alkohol zu ertränken. Sein Stiefvater hatte den Namen Tavington in den Dreck gezogen und das gesamte Vermögen der Familie verprasst. Des weiteren schlug er William damals täglich. Als William 20 Jahre alt war, starb sein Stiefvater, und er ging nach London, wo er aufgrund seiner wechselnden Frauenbekanntschaften schnell mehr Schulden am Hals hatte, als ihm lieb war. Im nüchternen Zustand konnte er jetzt, zehn Jahre nach dem Tod des Stiefvaters, nicht mehr nachvollziehen, warum er diesen Eine-Nacht-Geschichten in jüngeren Jahren so sehr frönte. Diese Frauen hatten keine Bedeutung für ihn, außer ihm ein kurzzeitiges Vergnügen zu bieten. Einige Tage später brachte Tavington gewaltige Mühen auf, um Geld zu bekommen, damit er sich davon einen Offizierstitel kaufen konnte. Später fand er großen Gefallen am Krieg und sein General, Lord Cornwallis, entdeckte sein Talent und machte ihn zum Colonel der Green Dragoons, der tödlichsten leichten Kavallerie aller Zeiten. In den Wintermonaten desselben Jahres stand Cine Cornwallis an ihrem Kamin in einem Anwesen in Irland. Sie hatte wieder einen Brief ihres Großvaters erhalten, der in South Carolina kämpfte. Die 20-jährige wollte den Brief nicht öffnen, denn sie wusste bereits, was darin stand. Ihr Großvater bat sie nun schon zum sechsten Mal das nächste Schiff nach South Carolina zu nehmen. Cine wusste, dass er nicht mehr lange bitten würde. Er konnte jederzeit, auch von Amerika aus, Gewalt anwenden. Und Cine wusste, was er von ihr wollte. Durch einen Jagdunfall starben ihre Eltern kurz nach der Geburt ihres jüngeren Bruders. Cine und der Säugling wurden von ihrer Großmutter, also Lady Cornwallis, aufgezogen. Ihr Bruder überlebte den darauffolgenden Winter nicht. Cine war erst vier. Mit 17 verlor sie dann auch ihre Großmutter. Von diesem Tag an drängte ihr Großvater auf eine Heirat. Cine war sich ziemlich sicher, dass das auch jetzt Cornwallis’ Beweggrund war. Leider war sie machtlos, denn der Lord hatte die monatlichen Zahlungen eingestellt und ihr ging das Geld aus. Mit dem ungeöffneten Brief in der Hand setzte sie sich in einen Sessel ans Feuer. Hinter sich hörte sie, wie jemand den Raum betrat. Es war ihre Freundin, ebenfalls mittellos, die das letzte Geld zählte und ausrechnete, wie weit man noch damit kam. Neben Cine wohnten noch vier weitere junge Frauen in dem Anwesen, um Cine zu unterstützen: eine Buchhalterin, eine Malerin und zwei Protestantinnen. Ihre Namen waren May, Cornelia, Ann-Maria und Elanor. „Also, wenn ich den Rest des angesparten Geldes überschlage, kämen wir nur noch zwei Wochen damit aus.“ meinte May, die eine Liste mit den Ausgaben durchsah. „Wenn Cornelia doch nur einige Bilder verkaufen könnte! Die Farben sind teuer und niemand zahlt den Preis für diese Kunstwerke!“ Cine schwieg weiter. Die Wanduhr schlug Vier, aber es war schon tiefste Nacht. Die Tür zum Wohnzimmer ging auf und die drei restlichen Frauen betraten den Raum. Elanor trug ein Tablett mit heißem Tee zum Tisch, an dem bereits alle saßen. Es war ein Sonntag und vor dem Anwesen tobte ein fürchterlicher Schneesturm. Das hielt die jungen Frauen trotzdem nicht von ihrem allsonntagabendlichen Gewohnheiten ab. Cornelia nahm ihr Skizzenbuch und dachte an einige interessante Dinge, die sie dann darin verewigte. Ann-Maria spielte ein wenig Geige. Cine und May spielten, wie so oft, Schach, während sich Elanor in ein Buch mit Rousseau’s Theorien vertiefte. Jeder widmete sich seiner Ablenkung bis Elanor das Buch auf den Tisch legte und berichtete, dass sich die Preise für Lebensmittel fast verdoppelt hätten. „Wir könnten das Anwesen verkaufen und in die Stadt ziehen.“ warf Ann-Maria in den Raum. „Das Anwesen gehört meinem Großvater, wir dürfen nur darin wohnen. Wir können es also nicht verkaufen.“ antwortete Cine. „Gibt es denn nichts, was wir verkaufen können und auch gekauft wird?“ fragte Cornelia verzweifelt. Elanor antwortete ihr: „Wir haben bereits das gesamte Vieh und alle Pferde verkauft, außer einem.“ „Ein alter Klepper, der sich gerade noch zum Anspannen für den Wagen eignet.“ führte Cine aus. May sprach nun endlich aus, was alle schwer belastete. „Wenn wir hier bleiben, werden wir verhungern. Wir können aber auch nach South Carolina zu Lord Cornwallis gehen.“ Cine begann ernsthaft über den Vorschlag nachzudenken, während von allen heftige Kritik kam. „Wir sind Iren und das in einem Lager voll Engländer! Das würde nie gut gehen!“ „Jahrelang haben wir uns gegen die Dominanz der Männer gewehrt und jetzt sollen wir zu ihnen kriechen?!“ „Wir haben dort keinerlei Rechte, die würden sonst was mit uns machen.“ „Nun beruhigt euch mal! Was haben wir denn schon für eine Wahl?“ verteidigte sich May. Nach dem allgemeinen Schock und einer kurzen Bedenkzeit sagte Ann-Maria: „So Gott will! Dort wird es auch Kirchen geben. Und es heißt ja, die Wege des Herrn seien unergründlich.“ „Vielleicht finde ich ja auch neue Motive. Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist es das Wert!“ Cornelia war nun hellauf begeistert. May fragte sich schon lange, wie Cornelia es schaffte ständig ihre Stimmung zu ändern. Dann schaltete sich Cine ein. „Ohne mich! Ich werde da nicht hingehen!“ „Wie du willst. Aber ohne dich können wir da nicht auftauchen. Also werde ich dieses grauenhafte Rousseaubuch nehmen, dich damit bis zur Bewusstlosigkeit prügeln, fesseln, knebeln und zu deinem Großvater schleifen.“ erwiderte May. „Streitet ihr euch etwa schon wieder?! Dass ihr euch nicht vertragen könnt!“ fuhr Elanor dazwischen. Am nächsten Morgen hatte sich der Sturm gelegt. Es war noch dunkel, als Cine das Pferd anspannte. May und Elanor hatten bereits alles aufgeladen. Cine fragte sich, wie der alte Gaul den ganzen Kram bei der Kälte bis zur Küste ziehen sollte. Doch da kamen auch schon die anderen und stiegen auf den Wagen. May setzte sich mit einer Decke zu Cine, die die Zügel hielt, und wickelte sie beide ein. Cine ließ die Zügel locker und trieb das Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Es war wirklich sehr kalt und ihnen frierten langsam die Füße und Hände ein. Nach fünf Stunden erreichten sie endlich den Hafen. Dort verkauften sie Pferd und Wagen, mieteten sich eine Kajüte auf der „York“ und verluden das Gepäck. Das Hafengelände war eine verruchte Gegend und mehrere irische Soldaten sorgten dort für Ruhe. An nahezu jeder Ecke gingen Frauen ihrem schmutzigen Gewerbe nach, das Cine und ihre Freundinnen zutiefst verachteten. May und Ann-Maria hatten einige Probleme Cine rechtzeitig auf das Schiff zu bekommen, denn sie verabscheute das Meer über alles. Sie schafften es dann aber doch noch, denn die „York“ legte am Abend ab. Die Überfahrt nach Amerika würde 14 Tage dauern. Gleich nach der Abfahrt gingen Ann-Maria und Cine in ihre Kajüte. „Ziemlich eng hier, oder?“ meinte Cine, die noch in der Tür stand. „Ja, ich frage mich, wo wir hier schlafen sollen?“ antwortete ihr Ann-Maria. „Nun ja, das ist eine gute Frage. Obwohl! An der Decke hängt ein Netz. Du könntest ja mal versuchen, es hinunterzubekommen.“ Ann-Maria befolgte den Ratschlag. Nach einigem Hin und Her, einem Schreikrampf wegen einer Spinne und das heldenhafte Entsorgen des Tieres seitens Cine, hatten sie das Netz entwirrt. Inzwischen war auch Elanor aufgetaucht. Es war eine Art Hängematte für drei Personen. „Tja, das wird eng werden.“ „Ich wollte ja von Anfang an nicht mit, Elanor!“ Cine war leicht verärgert, aber ihre Übelkeit kam langsam durch. Ann-Maria mischte sich auch ein: „Ich habe auch keine Lust hier zubleiben. Bei den Viechern. Vielleicht gibt es hier sogar Ratten!“ „Die gibt es hier auch, Missy!“ meinte der Kapitän, der im Gang stand und das Gespräch mitverfolgte. Keiner hatte ihn kommen gesehen oder gehört. „Angenehm, Kapitän Reeth. Willkommen auf der „York“.“ Die jungen Frauen stellten sich der Reihe nach vor, aber während Elanor und Ann-Maria noch einige Sachen mit dem Kapitän klären mussten, entschuldigte Cine sich kurzerhand, um auf das Deck zu gehen. Sie wollte an die frische Luft und klammerte sich an die Reling. Das Schiff hatte relativ starken Seegang und Cine’s anfänglich leichte Übelkeit wuchs mittlerweile zur echten Seekrankheit heran. Man konnte bis zum Abend nichts mehr mit ihr anfangen. Des weiteren ließ die Nahrungsmittelversorgung sehr zu wünschen übrig. Es gab nur Wasser und Zwieback. Eine echte Herausforderung war dann aber die Hängematte in der Kajüte. Da diese nur Platz für drei Personen bot, stritten sich die Freundinnen bald darum. May machte letztendlich den Vorschlag, dass man sich quer darauf legen könne und dann wäre der Platz auch ausreichend. Das Negative daran war, dass kein Platz mehr für die Beine vorhanden war. Nach einer neuen heftigen Diskussion wurde geklärt, wer neben wem lag. Elanor lag in der Mitte und links von ihr waren Ann-Maria und Cornelia. Rechts von Elanor lag Cine und dann kam May. Die Nacht war sehr unbequem und kaum eine der Fünf konnte schlafen. Die nächsten Tage waren durch Muskelkater und starken Wellengang geprägt, wobei es Cine immer schlechter ging. Das Essen trug auch nicht gerade zu ihrer Genesung bei. Aber Elanor meinte, wenn Cine erst wieder festen Boden unter den Füßen hat, sähe die ganze Sache schon wieder anders aus. Die „York“ war kein Passagierschiff, sondern transportierte nur Güter für die englische Armee nach South Carolina. Unter den Gütern waren Waffen, Medikamente und Uniformen. Das Schiff hatte zwei Masten und weiße Segel. Es war nicht gerade das Schiff des Königs, was hauptsächlich Ann-Maria störte, die so einiges an Luxus gewöhnt war. Während der langen Reise beschäftigten sich die Irinen mit den Gepäckstücken, die sie damals wegen des schnellen Aufbruchs nicht vergessen hatten. Elanor las das Neue Testament und wurde dazu von Ann-Maria auf der Geige begleitet. Cornelia, Cine und May spielten Karten. Niemand sagte ein Wort. Einen Tag vor ihrer Ankunft in Amerika war die Aufregung groß. Cine und Ann-Maria diskutierten miteinander. „Ich bin so gespannt, was uns dort erwartet.“ „Ach ja? Ich will wieder nach Hause!“ „Es wird bestimmt schön. Außerdem kommen wir dann auch endlich von diesem stinkenden Schiff herunter!“ „Das ist auch das einzig Positive!“ „Du bist ein richtiger Pessimist, Cine. Dort werden wir auch neue Leute kennen lernen.“ „Gerade das ist meine größte Angst!“ Cine dachte an eine mögliche Hochzeit mit irgendeinem Engländer, der es geschafft hatte ihren Großvater zu beeindrucken. „Und wie soll ich Lord Cornwallis unter die Augen treten?“ Nun blickte Ann-Maria aufgrund dieser Frage verständnislos drein. Da versuchte Elanor die Sache zu erklären: „Cine hat doch nur Hemden und Hosen. Kleider hatte sie noch nie gemocht. Außerdem war sie trotz ihres Adelsstandes mehr im Wald unterwegs, als auf irgendwelche Festivitäten zu gehen. Und ich bin ziemlich sicher, dass Lord Cornwallis viel wert auf Etikette legt.“ Das Gespräch ging noch bis spät in die Nacht hinein, bis sie der Schlaf übermannte. Cornelia erwachte als Erste am nächsten Morgen. Sie ging an Deck und bemerkte, dass die „York“ bereits in einer Hafenbucht angelegt hatte. Mit einem Freudenschrei rannte sie zurück in ihre Kajüte. May empfang sie mit einem bösen Blick. „Was polterst du hier schon wieder so herum?!“ „Wir sind da! Wir haben angelegt! Jetzt sind wir Amerikaner!“ „Blödsinn! Wir sind und bleiben Iren!“ Die Fünf brauchten nicht einmal zehn Minuten um von Bord gehen zu können. Als sie mit ihrem Gepäck an Deck standen, mussten sie auf kleine Boote warten, die kommen würden um die Güter auszuladen. Der eigentliche Hafen war anscheinend zu flach und das Schiff hatte zu viel Tiefgang um dort anzulegen, also ankerte es nur ein Stück weit entfernt. Der Soldat in dem Ruderboot war sehr erstaunt, als er erfuhr, dass er keine Waffen mitnehmen sollte, sondern Passagiere. Cine kletterte zuerst eine Strickleiter herunter und der Soldat half ihr in das Boot. Anschließend wurde das Gepäck zu ihnen hinuntergeworfen. Elanor und Cornelia folgten. Ann-Maria hatte auf eine bequemere Art hinunter zukommen gehofft. Also musste May sie erst überreden bis sie bereit war in das Boot zu steigen. Zur selben Zeit und nicht weit entfernt rannte ein Spähposten auf einen kleinen Hügel. Dort traf er Colonel Tavington, der im Gras lag und einer Libelle die Flügel ausrupfte, und seine treuesten Dragoons an. „Colonel Tavington, Sir!“ Der Mann war völlig außer Atem. „Was ist denn? Ich bin beschäftigt!“ „Unser Versorgungsschiff, die „York“, ist angekommen.“ „Das weiß ich!“ „Und sie hat Passagiere geladen.“ „Passagiere?! Captain, geben sie mir das Fernrohr!“ Tavington stellte sich hin, setzte es an und sah fünf Frauen, obwohl er sich nicht ganz sicher war, denn zwei trugen Hemd und Hosen. „Das werde ich mir persönlich ansehen! Auf die Pferde!“ Er und seine Dragoons ritten den Hügel hinunter zum Steg. Als sie dort ankamen, stiegen die jungen Frauen gerade aus dem Boot. May sah die Dragoons zuerst und raunte den anderen zu, dass selbstsicheres Auftreten wohl das Beste sei. Cine ging auf die Dragoons und ihre großen Pferde zu und wurde dabei von Elanor begleitet. Colonel Tavington war von diesem Damenbesuch wenig begeistert, obwohl ihm eine der Frauen besonders zusagte. Cine wandte sich absichtlich erst an einen niederen Soldaten, dem sie einen Brief für Lord Cornwallis in die Hand drückte, der ihre Ankunft ankündigte. „Ein markierter Meldereiter soll sofort damit zu Lord General James Cornwallis reiten!“ Der Soldat nickte nur und lief los. Cine fing sich, wegen dieser absichtlichen Respektlosigkeit, einen bösen Blick von Tavington ein, der May’s Blicke bei Weitem übersteigerte. Cine lief es dabei kalt den Rücken runter. „Ich würde gern wissen, wer sie sind und was sie hier wollen!“ Cine versuchte May’s Ratschlag zu befolgen: „Steigen Sie erst mal vom Pferd und stellen sich vor! Ich dachte Engländer wären Gentlemen.“ „Daraus schließe ich, dass sie keine Engländerin sind. Von der Sprache eher irische Abstammung!“ Tavington dachte nicht einmal darüber nach, ob er vom Pferd steigen sollte, und er wollte sich auch garantiert nicht zuerst vorstellen. Cornelia bemerkte, dass die Fronten verhärtet waren und stellte sich und die anderen kurzerhand vor: „Ich bin Cornelia Irwin und das sind Elanor Baggins, Ann-Maria Wood, May Springer und Cine Cornwallis.“ Tavington staunte nicht schlecht, als er Cine’s Namen hörte, fing sich aber schnell wieder. „Colonel William Tavington, der Green Dragoons.“ Cine, die sich nach Cornelia’s Eingreifen ihres Vorteils beraubt sah, hatte ihn womöglich soeben wiederbekommen. Aus den Briefen ihres Großvaters wusste sie, dass Tavington mal mehr und mal weniger in seiner Gunst stand. Sie hoffte inständig, dass Tavington in der letzten Zeit irgendeinen Fehler gemacht hatte und sich deswegen zurücknehmen würde. Lord Cornwallis hatte ihn nämlich immer als sehr brutal und rücksichtslos, aber doch als ausgezeichneten Soldaten beschrieben. „Iren sind hier nicht gern gesehen und haben auch keine Rechte!“ „Heißt das, dass sie mich aufhängen wollen?“ „Sie müssen doch zumindest eine halbe Engländerin sein, oder?“ Cine schwieg, aber Ann-Maria brachte sie gerade in große Schwierigkeiten. „Cine kann ausgezeichnet mit dem Säbel umgehen. Sie würde jedem, der uns etwas antun will, die Kehle durchschneiden.“ Elanor zischte vor Schreck nur ein „Sei still!“. Tavington musterte Cine eingehend und mit einem hämischen Grinsen. „Ach, ist das so? Nun gut. Captain Wilkins, Sie werden dafür sorgen, dass ein Zelt für die jungen Ladies geräumt wird. Morgen früh werde ich sie dann zu Lord Cornwallis bringen.“ Zum Abschluss sah er Cine, die leicht errötete, noch einmal in die Augen und ritt dann in Richtung Soldatenlager. Captain Wilkins, ein 28-jähriger Amerikaner, der für die Engländer kämpfte, führte die Besucher zu einem Zelt im Zentrum des Lagers. Dann verließ er sie wieder. May hatte vorhin Cine’s Gesichtsausdruck bemerkt, als Tavington sich vorstellte. „Du weißt doch etwas über diesen Colonel!“ „Ein wenig. Nur das, was in Großvaters Briefen stand.“ „Ich höre dir aufmerksam zu.“ „Na schön, er ist wohl ein ausgezeichneter Soldat, aber auch sehr ehrgeizig. Er neigt deswegen wohl oft zu Fehlentscheidungen, die er aber durch seine enorme Brutalität wieder ausgleicht. Unter den Kolonisten nennt man ihn deswegen „den Schlächter“ und Frauen und Kinder tötet er ebenso, wie Soldaten. Mehr weiß ich nicht.“ May runzelte die Stirn. „Das hört sich nicht gut an. Was ist denn hier los?“ Draußen fing ein heftiger Tumult an. Ann-Maria schrie, weil sie vor dem Zelt von englischen Soldaten bedrängt wurde. Cine, die gerade aus dem Zelt trat, schnappte sich kurzerhand einen Säbel von einem Soldaten, der in der Nähe stand, und fing an die anderen Soldaten zu bedrohen. Tavington stand in einigen Metern Entfernung und sah dem Treiben interessiert zu. Er zog schließlich seinen Säbel und entschied sich dafür, Cine zu maßregeln. Diese bemerkte, wie der Colonel auf sie zukam, und zog Ann-Maria von den Soldaten weg. May nahm sich ihrer sofort an und mahnte Cine zur Vorsicht. Tavington und Cine standen sich nun gegenüber. Beide machten einen Schritt aufeinander zu und Cine versuchte ihrem Gegner den Bauch aufzuschlitzen. Ohne große Mühe parierte Tavington den Angriff und versuchte seinerseits ihren rechten Arm kampfunfähig zu machen. Cine schaffte es nur knapp und mit großer Anstrengung seinem Schlag entgegenzuwirken. Tavington wusste sofort, dass Cine ihm weit unterlegen war. Er beschloss dennoch ein wenig mit ihr zu spielen und übernahm die Offensive. Cine bemerkte das, konnte aber nichts dagegen machen. Ihre Versuche, ihn wieder in die Defensive zu drängen, blieben erfolglos. Er lockte sie schon nach kurzer Zeit aus der Reserve. Sie hatte immer größere Mühe seine kräftigen Schläge zu parieren und musste ihnen zum Teil sogar ausweichen. Nach einigen Minuten hatte Tavington allerdings genug und machte einen Ausfall. Er schnitt ihr in den linken Unterarm. Es war nur leicht, zeigte aber die Wirkung, die er sich erhoffte. Cine schrie auf, ließ ihren Säbel fallen und versuchte unter Schmerzen die Wunde am Bluten zu hindern. May schob Ann-Maria in das Zelt und rannte auf Cine zu, um sie zu verarzten. Sie warf Tavington, der hämisch grinste, einen bösen Blick zu und zog Cine ebenfalls in das Zelt. Tavington grinste nun selbstgefällig, befahl aber, dass die Reinirinen vorerst in Ruhe gelassen werden sollten. Vorerst. Im Zelt versuchte May unterdessen Cine’s Wunde abzubinden. Allerdings besaß niemand Verband und so mussten ein paar Stoffstreifen notdürftig herhalten. Die konnten aber auch nicht richtig zusammengehalten werden. May fluchte innerlich, wegen Ann-Maria’s Dummheit, sich draußen in einem Lager Engländer herumzutreiben. Ann-Maria stand noch unter Schock und wurde von Elanor getröstet. Cornelia saß unbeteiligt in einer Ecke und zitterte vor Angst, da sie befürchtete, dass gleich alles aus wäre. Cine dagegen saß auf einer Liege und versuchte sich ihre Schmerzen nicht ansehen zu lassen. Plötzlich betrat Tavington das Zelt. May bebte vor Wut. Cine bekam ihn erst mit, als er May wegstieß und sich direkt vor ihr niederkniete. May wollte sich das natürlich nicht gefallen lassen, aber sie wurde gleich von Captain Wilkins festgehalten. Cine erschrak, als sie Tavington erkannte und wollte schon aufspringen, aber er hielt ihren linken Arm fest. Dadurch schmerzte die Wunde nur noch mehr und der Colonel wusste das. Er hatte Verbände und eine entzündungshemmende Salbe dabei, die er kurz zuvor von einem der Soldaten bekam. „Haltet still. Ich muss die Wunde versorgen!“ Cine weigerte sich wehhemmend. Der Colonel wurde schnell ungeduldig: „Ich kenne auch andere Mittel und Wege Euch ruhig zu halten. Aber die würden Euch definitiv nicht zusagen. Wenn es sein muss, mache ich jedoch sehr gern Gebrauch davon!“ Cine schüttelte sich und aufgrund seines hämischen Grinsens, entschied sie sich doch dafür still zu halten. Es dauerte nicht lange und ihr Arm war verbunden. Tavington verabschiedete sich höflich und bat, trotz der vorherigen Auseinandersetzung, Cine darum, ihn aufzusuchen, falls irgendwelche Wünsche beständen. Als er das Zelt verlassen hatte, entschieden sich die Fünf sich hinzulegen, da es schon ziemlich spät war. Ann-Maria konnte nicht schlafen und so musste May ihr etwas Mut zureden. „Es wird alles gut. Bei Lord General Cornwallis wird man uns besser aufnehmen! Dieser Colonel wird ganz schön was zu hören kriegen, weil er Cine verletzt hat!“ „Bist du sicher? Ich meine, du hast doch gesehen, wie uns die Engländer angesehen haben. Als ob wir Aussätzige wären!“ Ann-Maria war noch immer geschockt. „Wir werden schon klar kommen. Aber stell dir vor, wir wären in unserem Heimatland geblieben! Wir wären doch hoffnungslos verhungert! Beruhige dich und schlaf jetzt.“ May war ihrer Zukunft sehr sicher, aber Ann-Maria hatte immer noch leise Zweifel. Allerdings wollte sie die anderen nicht wecken, denn die waren schon lange eingeschlafen. May atmete auch bereits viel ruhiger. Elanor verfiel in einen unruhigen Traum. Sie sah nur Engländer, wie sie versuchten sie zu ergreifen. Sie rannte durch einen dunklen Tunnel. Vor ihr war Licht. Als sie es erreichte, verschwanden die Engländer und sie befand sich in einer irischen Kneipe. Es war die selbe Kneipe, die in der Nähe ihres damaligen Hauses stand. Dort trafen sich die Fünf zum ersten Mal. Sie waren alle erst frisch in diese kleine Ortschaft gezogen, um sich den Engländern zu entziehen. Außer Cine, die schon damals in der Nähe wohnte, hatten sie jeweils eine kleine Wohnung für den Übergang. Elanor schaute sich in der Kneipe um. Sie war leer, aber sie hörte bekannte Stimmen und Gelächter. Langsam tauchten auch Gestalten vor ihr auf. Nun erkannte sie May, die zusammen mit Ann-Maria Karten spielte. Cornelia saß daneben und zeichnete alles Mögliche in ihr Skizzenbuch. Cine saß zwischen ein paar Männern am Tresen und unterhielt sich angeregt. Elanor kamen alle Erinnerungen an damals. May war eine nahezu perfekte Trickbetrügerin. Sie konnte jedes Spiel gewinnen, egal ob Black Jack oder Poker. Ann-Maria unterhielt die Leute am liebsten mit ihrer Musik. Cornelia lebte nur für ihr Skizzenbuch und Cine war ein unverbesserliches Großmaul. Elanor erinnerte sich auch, wie sie Cine zu einem irischen Tanz aufforderte. Sie lächelte und tat es darauf auch noch einmal. Cine sagte zu und Ann-Maria unterbrach das Kartenspiel, um die Geige herauszuholen. May gesellte sich zu ihnen und zu dritt legten sie einen irischen Folktanz hin. Es sah zwar noch nicht so schön aus, aber es würde sich noch verbessern. In dieser Situation malte Cornelia die erste Skizze von ihnen. „Elanor. Elanor!“ Eine Stimme riss sie aus ihrem Traum. Sie blinzelte kurz und erkannte May, die sie zu wecken versuchte. „Steh auf. Wir müssen uns fertig machen. Dieser Colonel fährt gleich mit uns zu Lord Cornwallis.“ May war bereits angezogen. Es dauerte auch nicht lange und Elanor war bereit für die Abreise. Dann bemerkte sie Cine’s Fehlen. „Wo ist denn Cine?“ Cornelia antwortete ihr: „Sie ist eher aufgestanden, um unser Gepäck herauszubringen.“ „Hoffentlich ist ihr nichts passiert!“ May schaltete sich nun ein. „Was soll ihr denn passieren. Sie genießt hier doch schon fast Immunität.“ In dem Moment trat Cine auch schon ein und lächelte müde in die Runde. „Ich bin fertig. Wir können jetzt los. Dieser impertinente englische Hund wartet schon auf uns.“ Allen war klar, wen sie damit gemeint hatte. Schließlich hatte sie verdammt schlechte Laune gehabt, weil sie so früh aufstehen musste und ihr Arm noch immer schmerzte. Zur selben Zeit hatte Tavington eine Kutsche organisiert. Allerdings nur für vier Personen. Also musste er noch ein Pferd von den Dragoons abziehen, damit eine der Irinen reiten konnte. Der Colonel hatte einen kleinen Trupp zusammengestellt, der die Kutsche begleiten würde. Dazu gehörte auch Bordon, ein enger Vertrauter. Wilkins ließ er hier stationiert, damit er sich um die Belange kümmerte und ihn bis zur Ankunft eines neuen Colonels vertrat. Denn Tavington hatte mit keiner Silbe vor, sobald wieder in dieses Lager zurückzukehren. Er lächelte. Ein wenig Urlaub könnte ihm nicht schaden, war sein einziger Gedanke. Er saß bereits im Sattel, als Lady Cornwallis mit ihren Freundinnen um die Ecke bog. Tavington war amüsiert. Sie trug schon wieder Hose und Hemd. Lord General Cornwallis wird nicht sehr erbaut darüber sein. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, half Cine den anderen in die Kutsche und stieg auf das Pferd neben dem Colonel. Sogleich nahm auch Bordon seine Position auf der anderen Seite von Cine ein. Das gefiel ihr wenig, aber Tavington sagte etwas, von wegen Sicherheitsbestimmungen und Schutz der Familie von Cornwallis. Der Tross setzte sich nun endlich in Bewegung. Cine fühlte sich wieder einigermaßen beruhigt. Ihr war es schon eine Ewigkeit nicht mehr möglich gewesen zu reiten. Also genoss sie es, so weit es ging. In der Kutsche erzählte Elanor den anderen ihren Traum. Bald darauf brach heiteres Gelächter aus, weil man sich an die alten Zeiten erinnerte. Tavington hörte dem Ganzen aufmerksam zu. Es war Gälisch, aber er ließ sich nicht anmerken, dass er die Sprache beherrschte oder gar zuhörte. „Wisst ihr noch“, fing Ann-Maria an, „als der große Eber in unserem Haus war?“ „Ja, Cine ging verschlafen die Treppe runter und wurde erst mal von diesem Ding über den Haufen gerannt!“ kam es von Elanor. „Ich erinnere mich gut. Sie hat geflucht und sich eine Axt gesucht, um das Tier zu erlegen. Dann hatte sie schnell Bekanntschaft mit seinen Hauern gemacht! Es hat drei Wochen gedauert bis sie wieder sitzen konnte.“ erläuterte May. Alle lachten und Cine wurde rot. Sie versuchte trotzdem sich nichts anmerken zu lassen. Allein schon, weil Tavington neben ihr ritt. Sie wollte ihre Haltung wahren, obwohl er nach ihrer Einschätzung die Sprache nicht verstand. Nun kam Cornelia: „Und könnt ihr euch erinnern, wie May die ganzen Typen in Dublin in Grund und Boden gespielt hatte? Was war es doch gleich? Poker, stimmt’s? Du hast sie bis zum Umfallen betrogen und ihnen das ganze Geld aus der Tasche gezogen! Diese Idioten haben es nicht mal mitbekommen!“ Wieder folgte schallendes Gelächter. Diesmal konnte sich selbst Cine ein fieses Grinsen nicht verkneifen. Am Ende machte sie bei dieser lebhaften Diskussion sogar mit. „May hatte es ja auch mal geschafft in einen Kessel mit Kartoffelsuppe zu fallen. Wisst ihr noch?“ May wurde schlagartig rot. „Sie war auf einem Schwamm ausgerutscht, den Ann-Maria dort vergessen hatte. Und ratsch... ab in den Kessel!“ „Zu Ann-Maria’s Glück war die Suppe bereits kalt, sonst hätte ich ihr den Hals umgedreht! Aber, Cine, du hast eine verdammt große Klappe für jemanden, der ständig gegen Türen läuft, in irgendwelche Tümpel fällt, sich in Schlammlöchern suhlt und vor allem dauernd an irgendwelchen Pub-Schlägereien beteiligt ist! Ich kann mich noch lebhaft erinnern, wie du immer angekrochen kamst - mit einem blauen Auge und einer blutenden Nase!“ Cine wäre nun am liebsten im Erdboden versunken und war heilfroh, dass niemand Gälisch konnte. Tavington dagegen amüsierte sich vorzüglich, auch wenn seine Miene versteinert schien. Cornelia interessierte sich mittlerweile eher wieder für die Landschaft, als für alles andere. Am Abend erreichten sie endlich Winsborough, wo Cornwallis seinen Stützpunkt innehatte. Dort gab es ein Lazarett, ein Fort und eine kleine Stadt. Cornwallis lebte im Fort, das um ein ansehliches Herrenhaus, das nur den hohen Offizieren zum Wohnen diente, errichtet wurde. Lord Cornwallis stand bereits an einem großen Fenster mit Südblick und sah, wie ein kleiner Trupp das Fort erreichte. Seine Doggen Jupiter und Mars flankierten ihn. Gerade betrat General O’Hara den Raum, um die Ankunft von Lady Cine Cornwallis anzukündigen. Lord Cornwallis schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab und bedeutete ihm, sich zum Fenster zu begeben. „General O’Hara, ich weiß bereits, dass meine Enkelin angekommen ist. Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass sie, wie ich sehe, keinerlei Etikette beherrscht. Wie, frage ich Sie, soll sie so von dem hiesigen Adel akzeptiert werden?“ O’Hara überlegte kurz, bevor er antwortete: „Ich bin mir sicher, Mylord, dass man Eure Enkelin als hervorragende Partie ansehen wird. Das fehlende Benehmen kann man ihr noch beibringen. Denn schließlich stammt sie von Euch ab.“ „Ich hätte sie nicht in Irland lassen sollen! Das bereue ich bitter! Aber Ihr habt recht, sie stammt von mir ab. Also wird sie sich dementsprechend benehmen! Sie soll schließlich verheiratet werden!“ „Mylord, jeder würde sich glücklich schätzen solch eine junge Lady mit dieser ausgezeichneten Abstammung zu ehelichen.“ Cornwallis rümpfte die Nase, wegen dieser Bemerkung. Er hoffte es inständig, denn seine Enkelin war sehr stur. Die kleine Gruppe erreichte nun das Fort. Tavington stieg zuerst ab, um Cine aus dem Sattel zu helfen. Diese lehnte aber entschieden ab und stieg vom Pferd. Die restlichen vier Irinen waren bereits aus der Kutsche gestiegen. Der Colonel gab Anweisungen zum Ausladen des Gepäcks. May gesellte sich zu Cine, die etwas abseits stand. „Du hast Angst, oder?“ Cine nickte nur. „Ich weiß, dass du deinem Großvater nicht entgegentreten willst. Aber die Abreise von Irland war die einzige Chance, die wir hatten.“ „Ich weiß. Ich wünschte nur, wir hätten dort bleiben können.“ „Insgeheim wünscht sich das jeder von uns, sogar Cornelia.“ May lachte und Cine bekam zumindest ein schwaches Lächeln hin. Dann kam Tavington auf die beiden zu. Er wusste, dass Cine sich jetzt zwingen musste, ein anderes Verhalten zu zeigen. Also bot er ihr seinen Arm an, um sie zu Lord Cornwallis zu geleiten. Sie nahm widerstrebend an. Einige Minuten später standen sie in Lord Cornwallis’ Arbeitszimmer. Cine’s Freundinnen waren draußen geblieben. Lord Cornwallis blickte finster zu seiner Enkelin. O’Hara stand, wie immer, hinter ihm und musterte die junge Lady ebenfalls. Nun brach Cornwallis das unangenehme Schweigen. „Du hast verdammt lange ohne Geld durchgehalten. Was hast du alles verkauft?“ „Mein Vieh und die Pferde.“ antwortete Cine zögerlich. „So so, deine geliebten Pferde. Du hättest auch gleich aufgeben können. Du wusstest doch, dass ich alles bekomme, was ich will.“ Cine nickte, sagte aber nichts weiter. „Dein Benehmen ist grauenhaft. Das zeigt sich allein schon in deiner Kleidung. Du läufst herum, wie ein Bauerntölpel. Demnächst gebe ich ein Fest. Amerikanischer und auch englischer Adel ist geladen. Sieh zu, dass du mich nicht beschämst!“ Cine brach nun ihr Schweigen: „Was passiert mit meinen Freundinnen?“ „Das hängt davon ab, wie du dich gibst. Vorerst werden sie in der Stadt wohnen! Dann ist der schlechte Einfluss weg.“ Nun bemerkte der Lord die Wunde an Cine’s linkem Arm. „Was hast du da gemacht?“ fragte er und deutete auf den Verband. Cine überlegte krampfhaft, ob sie die Wahrheit sagen oder sich Tavington’s Zorn nicht noch mehr zuziehen sollte. Letztendlich entschied sie sich dafür, Tavington eine Lektion zu erteilen. „Euer Colonel Tavington hat mich bei einem Kampf mit dem Säbel verletzt.“ Tavington grinste selbstgefällig. Lord Cornwallis wurde rot vor Wut. „Wie bitte?! Du hast Tavington mit einem Säbel angegriffen!“ „Nein, er griff mich an.“ „Wage es nicht, mich zu unterbrechen! Colonel Tavington ist ein ehrbarer Mann. Er tut seine Pflicht und dient der Krone, die du schon früh verfluchtest. Er würde niemals mit dem Säbel auf eine Lady losgehen, es sei denn, sie hätte ihn angegriffen! Damit ist diese Diskussion beendet! Begib dich auf dein Zimmer, ich will dich bis zum Abendessen nicht sehen!“ Später saß Cine allein in ihrem Zimmer. Es war recht groß und geschmackvoll eingerichtet. Es gab eine Sitzecke und ein großes Himmelbett, in dem eigentlich schon Platz für drei Personen war. Ein riesiger Kamin beheizte das Zimmer zuverlässig. Mehrere große Fenster, die aber verschlossen waren, erhellten den Raum. Nebenan gab es noch ein ebenso luxuriöses Badezimmer. Lord Cornwallis hatte Wachen vor ihrer Tür postiert. Sie war noch immer geschockt. Anscheinend stand Tavington gerade sehr in der Gunst ihres Großvaters. Cine verfluchte sich. Es gab vorher schon genug Anzeichen dafür. Das schlimmste aber war, dass man ihre Freundinnen, wohl gemerkt unter Protest, in die Stadt brachte. Sie standen ebenfalls unter Bewachung. Cine litt langsam unter der Einsamkeit. Die Zeit bis zum Abendessen verging auch nicht. Wenigstens, so hoffte sie, würde sie dann mit ihrem Großvater allein sein. Zur selben Zeit kamen May, Elanor, Cornelia und Ann-Maria in einer muffigen Wohnung über einem Wirtshaus an. Dort, so sagte man ihnen, sollten sie arbeiten, um ihren Unterhalt zu finanzieren. Ann-Maria war geschockt, dass man sie so einfach wegbrachte. May suchte die ganze Zeit nach einem Ausweg. Cornelia setzte sich auf einen Stuhl, um das Zimmer zu skizzieren. Dort waren ein vermoderter Kleiderschrank, vier Pritschen und ein Tisch mit sechs Stühlen. Ein kleiner Ofen wärmte das Zimmer. Es gab nur ein Fenster. Das Badezimmer war hinter einer zweiten Tür beim Tisch. Es starrte nur so vor Dreck. Elanor ging erst mal zum Wirt und verlangte einen Putzlappen und einen Eimer Wasser. Das bekam sie auch. Nach einigen Stunden hatten sie es geschafft, die beiden Räume vom Dreck zu befreien. Jetzt war das Leben in ihnen auch angenehmer. Der Wirt kam kurz zu ihnen und sagte, dass die Arbeit am nächsten Morgen um Fünf anfangen würde. Den Rest des Tages saßen die Vier am Tisch und resümierten ihre Situation. „Dass wir in so einer Absteige landen, hätte ich nie gedacht.“ meinte Cornelia. „Ich mache mir Sorgen um Cine.“ kam es von Elanor. May lächelte nur und sagte: „Der wird es noch ganz gut gehen. Sie sitzt wahrscheinlich in einem goldenen Käfig und weint sich die Augen aus. Wir sollten uns im Übrigen nicht beschweren. Cornwallis hätte uns auch in ein Gefängnis werfen können. Er hätte nur intensiv nach einem Grund suchen müssen. Hier haben wir geregelte Mahlzeiten und jeder ein Bett, sowie ein Dach über dem Kopf. Auch wenn es nicht das ist, was wir bisher gewohnt waren.“ May setzte zwar ein fröhliches Gesicht auf, in Wahrheit schien sie aber zu verzweifeln. Sie war sich so sicher gewesen einen besseren Empfang zu bekommen. Wenigstens würden sie hier nicht so schnell verhungern und wenn Cine sich auch eingelebt hätte und mit ihrem Großvater besser klar kam, würden die Freundinnen sicherlich wieder zusammen sein und im Herrenhaus wohnen. Währenddessen kam eine Dienerin zu Cine und brachte ihr ein Kleid. Außerdem füllten einige Schergen unter ihrer Anweisung die Badewanne. Dann verließen sie den Raum wieder. Cine legte sich in die Wanne und zog danach das Kleid an. Als sie sich damit im Spiegel betrachtete, brach sie fast in Tränen aus. Das Kleid war eins dieser englischen, höfischen Trachten. Es war ziemlich tief ausgeschnitten und hob ihren Busen viel zu sehr an. Cine hatte diese Art von Kleidung immer verabscheut. Nun konnte sie aber nichts mehr daran ändern, denn ihr Großvater würde sonst ziemlich böse werden. Nach dem ersten Schock steckte sie ihre Haare hoch und legte sich eine Kette, die sie zum 18. Geburtstag von Elanor und May bekam, um. Schlecht sah sie so nicht aus, aber Cine hätte sich viel lieber in einer Uniform gesehen, als in so einem Kleid. Da kam auch schon ein Diener und brachte sie ins Esszimmer. Als Cine eintrat, traf sie fast der Schlag. Neben Lord Cornwallis waren alle hohen Offiziere anwesend, die offenbar erst von einem Boten die Nachricht bekamen, in South Hampton gesiegt zu haben. Insgesamt waren es etwa sechzehn Männer. Es war keine Frau anwesend. Zu ihrem Erschrecken musste Cine feststellen, dass auch Bordon und Tavington anwesend waren. Als General Lord Cornwallis seine Enkelin sah, stellte er sie stolz vor und alle Aufmerksamkeit war nun auf Cine gerichtet. Diese wurde leichenblass. Man stellte sich nun vor und nahezu jeder kam, um ihr die Hand zu küssen, auch Tavington. Den Niedrigeren der anwesenden Offiziere war es nicht gestattet. Als alle wieder Platz nahmen, saß Cine genau zwischen O’Hara und Tavington. Der Appetit war ihr schon lange vergangen. Die Offiziere stießen immer wieder an und schwangen politische Reden über den Sieg des englischen Königshauses. Nun wurde auch das Essen aufgetragen. Es gab herrlichen Braten, aber Cine wurde von dem Geruch momentan eher schlecht. Ein Diener goss ihr Wein ein. Sie trank zögerlich einen Schluck, weil O’Hara mit ihr anstoßen wollte. Der Wein war viel zu stark und seine alkoholische Wirkung entfaltete sich spürbar. Also entschied Cine nicht sehr viel davon zu trinken. Tavington im Gegensatz leerte ein Glas nach dem anderen und schien vom Alkohol verschont zu bleiben. O’Hara meldete sich nun zu Wort: „Sagt, Mylady, wie war das Leben in Irland unter den ganzen Barbaren? Hat man Euch nichts antun wollen? Schließlich seid Ihr Engländerin!“ „Eigentlich habe ich das Leben dort genossen. Viele weite Wiesen und Wälder, es gab Tanz und Musik in unserem Pub. Wir feierten dort immer sehr ausgelassen. Allerdings ist es wahr, dass man Engländern gegenüber nie sehr aufgeschlossen war. Meine Mutter, Irin, wurde dort aber immer gern gesehen und so hatte ich kaum Probleme mit den Menschen in der Umgebung.“ „Solange diese Barbaren Euch nichts antaten! Nun ja, es scheint mir, als würdet Ihr die Natur sehr lieben. Habt Ihr viele Kutschfahrten in die Umgebung gemacht?“ „Eher nicht. Ich bin viel ausgeritten.“ Nun war es Tavington, der sich einmischte: „Das kann ich mir gut vorstellen. Ihr habt einen ausgezeichneten Reitstil, Mylady.“ „Danke, Colonel.“ „Ich dachte mir, dass ihr diese Ausritte vielleicht vermisst. Mit Lord Cornwallis’ Einverständnis könnten wir morgen einen kleinen Ausflug in die Umgebung machen.“ „Ich danke Euch für Eure Bemühung, Colonel. Aber ich glaube, dass mein Großvater gänzlich davon abgeneigt wäre.“ Das ganze Abendessen dauerte noch einige Stunden. Es war schon Mitternacht, als Cine endlich in ihr Bett fiel und gleich fest einschlief. Einige Wochen später hatten sich May und Elanor langsam an die Arbeit gewöhnt. Beide standen in der Küche. Es war spät am Abend und Ann-Maria und Cornelia mussten kellnern. Elanor kochte, während May abwaschen musste. Das war den beiden aber lieber, als draußen bei den ganzen angetrunkenen Kerlen zu sein. Seit sie hier herkamen, hatten sie nichts mehr von Cine gehört. Langsam machte sich auch May Sorgen. „Was glaubst du, wie es Cine geht, Elanor?“ „Ich weiß nicht, aber es heißt doch: Keine Nachricht ist eine gute Nachricht. Allerdings würde ich sie gern besuchen.“ „Ich auch. Ich habe mehrmals versucht etwas über sie in Erfahrung zu bringen. Leider ohne Erfolg.“ „Sie wird das schon überstehen.“ Cornelia betrat die Küche: „Ich brauche noch mehr Eintopf. Die da draußen fressen wie Schweine. Übrigens, irgendein Soldat meinte, dass heute ein Fest im Fort stattfinden sollte. Nahezu der gesamte Adel in der Umgebung sei geladen.“ Elanor füllte einige Schüsseln mit Eintopf. Cornelia nahm diese und verschwand wieder, weil lautstark nach ihr gerufen wurde. „Ein Fest. Ob Cine davon weiß?“ überlegte Elanor. „Keine Ahnung, aber ich bin sicher, dass sie nicht sehr begeistert davon wäre.“ „Das Fest muss schon angefangen haben. Die arme Cine.“ „Ich habe mir überlegt, ob wir nicht fliehen sollten. Alle Soldaten scheinen betrunken und wir können uns ohne große Probleme ins Fort schleichen. Da holen wir Cine und ziehen gen Westen. Dort können wir uns niederlassen. Die landwirtschaftlichen Bedingungen sind besser als in Irland und wir wären nicht auf fremde Hilfe angewiesen.“ „Das wäre großartig, May.“ „Die anderen beiden wissen schon Bescheid. Ich habe die ganze Zeit an unserem Fluchtplan gefeilt.“ „May, du bist wahrhaftig ein Genie.“ Als zufällig alle Vier zusammen in der Küche standen, schlichen sie sich durch die Hintertür heraus. Der Wirt wurde sowieso gerade von den vielen Gästen bedrängt und ihre Bewacher waren schon betrunken. Sie schlichen sich von Hausecke zu Hausecke. May führte sie an, da sie sich den Weg gemerkt hatte und mehrere Male vom Wirt mit Bewachung zum Einkaufen geschickt wurde. Cine stand etwas hilflos zwischen Cornwallis und seinen Gästen. Bedauerlicherweise hatte Tavington die Aufgabe, ihr nie von der Seite zu weichen. Cine hatte nämlich bereits mehrere erfolglose Fluchtversuche hinter sich. Der Colonel amüsierte sich sehr darüber. Mrs Simms, eine amerikanische Adlige, machte der jungen Lady ständig Komplimente, wie hübsch sie doch sei und wie gut sie doch mit ihrem Sohn zusammenpassen würde. Ihr Sohn war sehr beleibt und stand Cine gegenüber. Er starrte ihr ständig in den Ausschnitt, was hier anscheinend sowieso jeder tat, wie Cine meinte. O’Hara konnte sich diesmal auch kaum zurückhalten, da Cine’s Ausschnitt noch tiefer saß, als beim ersten Abendessen, falls das noch möglich war. Selbst Colonel Tavington konnte sich die Blicke nicht verkneifen. Cine fand, dass sie wie eine Vorstadthure aussah, aber ihr Großvater hatte ihr das Kleid besorgt. Somit hatte sie keine andere Wahl, als es zu tragen. Mittlerweile wurde auch Musik gespielt. Tavington nutzte die Gunst der Stunde und bat Cine um einen Tanz, bevor O’Hara es tun konnte. Cine musste zusagen, denn ihr Großvater war in letzter Zeit sehr ungehalten über ihr Benehmen. Sie ließ sich von dem Colonel auf die Tanzfläche ziehen und sah noch, wie Mrs Simms ihrem Sohn böse Blicke zuwarf. Allerdings musste sie zugeben, dass Tavington ziemlich gut, wenn auch nicht irisch, tanzen konnte. Für ihren Geschmack war er aber zu nah. Beide tanzten wirklich sehr eng und O’Hara warf dem Colonel schon neidische Blicke zu. Cine ahnte bereits, wohin das führte. Hier buhlte anscheinend jeder um ihre Aufmerksamkeit. Auf einmal spürte sie, wie etwas Spitzes an ihren Fuß geworfen wurde. Es war ein kleiner Stein und Cine erkannte May in einem Gebüsch sitzen. Sie hatte sich gut versteckt. Der Tanz war endlich vorbei. Cine kehrte zu Lord Cornwallis und der kleinen Gruppe zurück. Dort wartete O’Hara schon auf sie. Bevor er sie zum Tanz auffordern konnte, bat sie ihren Großvater, sie zu entschuldigen, da sie sich kurz frisch machen wollte. Dieser erlaubte es, denn alle Ausgänge waren versperrt. Die einzige Möglichkeit zu entkommen, war der Tanzplatz, auf dem sich jetzt alle befanden. Cine ging auf ihr Zimmer. Glücklicherweise folgte Tavington ihr nicht. Sie musste sich dringend umziehen. Um nicht weiter aufzufallen, hatte sie sich schnell eine englische Uniform besorgt. Das Zimmer eines ziemlich schlanken Offiziers war nebenan. Sie zog die Uniform an und ging wieder hinunter zu den Gästen. Dort, so wusste sie, musste alles schnell gehen. Sie zog sich den Hut tief ins Gesicht, um erst spät erkannt zu werden. Tatsächlich erkannte sie der Lord erst kurz bevor sie die Gruppe erreichte. Cine sprintete los, direkt auf Tavington zu und rammte sich in seine Magengegend. Der Colonel war zu überrascht, um schnell zu reagieren. Cine sprintete nun über den Platz unter dem wütenden Geschrei ihres Großvaters. Tavington hatte sich bereits wieder erholt und rannte mit O’Hara und Bordon hinter ihr her. May zog eine Pistole, die sie sich kurz vorher erbeutet hatte und schoss damit Bordon in den Unterschenkel. Eigentlich wollte sie Tavington erwischen, aber der wich aus. Cine rannte so schnell es ging auf May zu, packte sie am Arm, riss sie mit sich herum und sprang mit ihr über eine Brüstung. May warf die Pistole weg, denn sie hatte keine Zeit zum Nachladen. Tavington war nur noch gute fünf Meter hinter den beiden. Ihm folgten O’Hara und noch einige Soldaten. May und Cine sahen, dass sich Cornelia, Ann-Maria und Elanor um Pferde gekümmert hatten. Beide liefen also auf die Tiere zu. May schaffte es, vor Cine dort anzukommen und schwang sich auf den Rücken ihres schwarzen Wallachs. Cine, die nur noch zwei Meter von Tavington trennte, sprang von hinten auf ihren braunen Hengst, der sogleich lospreschte. Nach einigen Metern fiel Ann-Maria vom Pferd, da sie das Reiten nicht gewöhnt war. Es war aber zu spät sie noch zu retten, denn Tavington hatte sie schon erreicht. Zu Viert ritten sie nun aus dem Fort und in ein sicheres Waldstück. Sie kamen erst zum Stehen, als der Morgen graute. Die Pferde waren nassgeschwitzt und müde. Cine schimpfte, weil sie lieber einen Tersker hätte, der länger durchhalten würde. May überlegte krampfhaft, was sie nun tun sollten. Elanor und Cornelia schliefen schon auf dem Rücken ihrer Stuten. Ann-Maria erging es denkbar schlecht. Sie wurde ins Gefängnis geworfen und gefoltert, damit sie sagte, wo sich die anderen befanden. Aber sie wusste nichts und konnte demnach auch nichts sagen. Irgendwann ließen die Soldaten von ihr ab. Lord Cornwallis wollte sie nun als Köder für seine Enkelin benutzen. Ann-Maria hoffte inständig, dass Cine und May zurückkämen, um sie zu retten. Tavington hatte den Auftrag von Lord Cornwallis erhalten, Cine zu suchen. Ihm standen dafür einige Dragoons und Indianer zur Verfügung. Lord Cornwallis schwor sich, dass Cine eine harte Bestrafung nach ihrer Rückkehr erhalten würde. „Was machen wir jetzt wegen Ann-Maria?“ fragte Cine, die gerade die Pferde anband. May antwortete: „Wird zurückgelassen.“ „Was? Aber wir können sie doch nicht dort lassen.“ „Sie werden sie nicht töten. Schließlich wäre sie ein Köder für deine Falle.“ „Aber...“ „Kein Aber, willst du wieder zurück? Ich bitte dich, uns hätte man zu irgendetwas gezwungen, wenn du geheiratet hättest. Ich mache mir solche Vorwürfe. Warum habe ich nicht schon damals in Irland soweit gedacht?!“ Cine blickte betrübt zu Boden, dann sagte sie: „Wir brauchen andere Pferde. Vielleicht sollten wir uns sogar trennen. Dann kann man nicht mehr sagen, wer wohin ritt.“ „Ja, aber in Zweiergruppen sollten wir zusammenbleiben.“ May holte kleine Stöckchen. Mittlerweile waren auch Elanor und Cornelia wieder auf dem Damm. May hielt diese Stöckchen in der Faust. „Zwei davon sind kürzer als die anderen. Wer die Kurzen zieht, bleibt zusammen und wer die Langen zieht ebenso. Die mit den Langen schlagen den nördlichen Weg ein, die anderen den südlichen.“ Elanor zog zuerst. Es war ein langes Stöckchen. Cine zog als nächste das Kurze. Cornelia zog das zweite Kurze. May blieb nun das Lange. „Gut, Elanor und ich schlagen den nördlichen Weg ein. Ihr den südlichen. Wir treffen uns in zwei Wochen in der Mitte an den Ausläufern der Appalachen. Dort warten wir eine Woche, falls der andere Trupp noch nicht aufgetaucht ist, ziehen wir weiter gen Westen.“ Alle nickten und machten sich auf den Weg. May und Elanor nahmen den schwarzen Wallach mit, Cine und Cornelia eine der Stuten. Tavington kam einen halben Tag später an den Platz, wo die anderen beiden Pferde noch angebunden waren. Die Indianer berichteten ihm, dass sich die vier Frauen getrennt hätten und unterschiedliche Wege einschlugen. Tavington fluchte leise, entschied sich dann aber für den Nordweg. Die andere Hälfte des Trupps nahm den Südweg. Die Indianer waren ausgezeichnete Spurenleser und folgten den Fußabdrücken sehr präzise. Nach etwas mehr als zwei Wochen traf Cine auf May und Elanor. Diese wunderten sich, dass Cornelia nicht dabei war. „Wir kamen in ein kleines Dorf. Dort wollte sie bleiben, ich konnte sie nicht zum Weitergehen überreden. Wenigstens scheint uns niemand mehr zu folgen. Der Weg war ziemlich anstrengend.“ May nickte. Elanor hatte sich den Fuß verstaucht und beanspruchte so dauerhaft das Pferd, während May laufen musste. Cine wurde durch Cornelia aufgehalten. Alle drei wussten nicht, dass Cornelia bereits tot war. Der Suchtrupp hatte sie in dem Dorf aufgegriffen und verhört. Sie gab an, wo der Treffpunkt war und wurde aufgehängt. So konnte die englische Gruppe vom Weg abweichen und Tavington und seine Männer im Norden abfangen. Dieser war hocherfreut die Nachricht zu hören und nun ritten sie im schnellen Galopp auf die Appalachen zu. Sie kamen genau zwei Tage vor May und Elanor dort an und entschieden sich, sich noch verborgen zu halten. Sie hatten die Irinen aber die ganze Zeit im Blick. May fand damals eine kleine Höhle, die sie jetzt Cine zeigte. Letztere machte nun Feuer, da die Nacht hereinbrach. Als es endlich brannte, begannen sie über das Erlebte zu sprechen. „Wir wussten, dass die Engländer direkt hinter uns waren, aber da sie den Spuren folgen mussten, mussten auch sie laufen. Wir sind außerdem immer durch irgendwelche Bäche gelaufen, damit haben wir einen kleinen Vorsprung erarbeitet.“ begann Elanor. „Ich habe es mit Cornelia am Anfang auch so gemacht. Als sie nicht mehr da war, bin ich ständig vor irgendwelchen Milizen geflohen, die mich für einen englischen Soldaten hielten. Die Uniform schützte mich aber wenigstens bei den zahlreichen England-Lagern im Süden.“ Cine schüttelte sich kurz, denn es war schon empfindlich kalt. „Das Pferd habe ich nach einer Woche verloren. Milizen haben sich darüber hergemacht.“ May schüttelte den Kopf: „Du hättest besser darauf aufpassen müssen. Ich konnte vor drei Tagen noch ein Pony stehlen. Jetzt haben wir nur zwei Pferde für die weitere Reise.“ „Für die Heimreise, meint ihr wohl!“ kam es plötzlich hinter ihnen. Tavington hatte schon auf seinen großen Auftritt gewartet. Seine Soldaten hatten sich um die kleine Höhle herumgeschlichen und die drei restlichen Irinen umzingelt. May griff zu den Waffen. Sie warf Cine ein Gewehr mit Bajonette zu, das allerdings nicht geladen war, und griff selbst zu einer geladenen Pistole. Elanor verkroch sich in der Höhle. May zielte sofort auf Tavington’s Kopf, der aber zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er hatte Cine fixiert und ebenfalls ein Gewehr mit Bajonette zur Hand. Cine ging nun ihrerseits zielstrebig auf ihn zu und beide rammten ihre Gewehre gegeneinander. May schaffte es nicht einmal einen Schuss abzufeuern, da hatten zwei Soldaten sie auch schon gepackt. Sie wehrte sich mit vollem Einsatz, konnte aber nicht freikommen. Cine bemerkte das und war kurz abgelenkt. Tavington schlug ihr das Gewehr aus der Hand. Cine versuchte nun ihm einen Faustschlag zu verpassen, aber er hielt ihren Arm fest. Cine wand sich in seinem Griff und er schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Das hielt Cine nicht mehr aus und wurde ohnmächtig. Am nächsten Morgen wachte sie wieder auf. Ihr tat die Wange weh und sie wunderte sich, warum es so schaukelte. Langsam öffnete sie die Augen und sah Tavington’s Gesicht im Profil. Sie lehnte offenbar an seiner Schulter und saß vor ihm auf seinem Pferd. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt. „Na, wieder wach.“ kam es nun von Tavington. Cine stöhnte schmerzerfüllt auf. Sie wollte ihren Kopf von seiner Schulter nehmen, konnte sich aber nicht bewegen. „Ihr solltet Euch weiter ausruhen. Wir haben noch eine dreitägige Reise vor uns.“ May tauchte neben Cine auf. Sie lag auf dem Rücken ihres Pferdes und war fest verschnürt. Elanor war nicht zu entdecken. „Wo bin ich?“ fragte Lady Cornwallis nur kurz. „Na, bei mir.“ lachte der Colonel. Cine sah nun immer klarer und auch ihr Verstand arbeitete schneller. „Impertinenter englischer Hurensohn! Lasst mich runter! Und vor allem, löst mir die Fesseln! Was fällt Euch ein mich anzufassen?!“ „Im Schlaf hat Euch das wenig ausgemacht. Ich werde den Teufel tun und Euch herunterlassen. Was glaubt Ihr denn, wer Ihr seid?!“ „Die Enkelin von Lord General Cornwallis!“ „So? Zur Zeit seid Ihr eher meine Gefangene!“ Darauf wusste auch Cine nichts mehr zu sagen. In Winsborough angekommen, sperrte man May und Elanor sofort zu Ann-Maria ins Gefängnis. Cine wurde zu Lord Cornwallis gebracht. Sie war zwei Stunden in seinem Arbeitszimmer. Tavington wartete vor der Tür, um Cine später in ihr Zimmer zu bringen. Lord Cornwallis schlug seiner Enkelin mehrere Male ins Gesicht. Außerdem schrie er sie an, wegen ihres ungehörigen Benehmens. Dann entließ er sie wieder und befahl Tavington und O’Hara, sich nachher bei ihm einzufinden. Der Colonel brachte Cine in ihr Zimmer. Dort fand sie einen leeren Vogelkäfig vor, Tavington aber sagte nichts dazu. Er ging wieder zurück zu Cornwallis’ Arbeitszimmer. General O’Hara war bereits da. Lord Cornwallis ergriff das Wort: „Gentlemen, wie Sie wissen, habe ich vor meine Enkelin zu verheiraten. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wer sie ehelichen würde.“ „Ich würde mich geehrt fühlen.“ sagte O’Hara. Tavington mischte sich nun ebenfalls ein: „Ich wäre auch alles andere als abgeneigt!“ Der Lord lächelte. „Das habe ich mir schon gedacht. Sie sollten nun versuchen, Cine vollends für sich zu gewinnen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg. Denn ich habe das Gefühl, sie braucht eine härtere Hand. Sie ist wie ein Pferd, das man erst wieder zähmen muss, und das schafft man bekanntlich nur mit Zwang!“ Cine währenddessen überlegte krampfhaft, wie sie ihre Freundinnen wieder aus dem Gefängnis holen konnte. Sie musste noch einmal zu Lord Cornwallis, um ein klärendes Gespräch zu führen. Momentan hatte sie aber ein blaues Auge und wollte so lieber niemandem mehr über den Weg laufen. Sie brauchte Zeit, um sich ein paar Pläne zu überlegen, und Zeit hatte sie gerade genug. Cine hoffte nur, dass ihre Freundinnen die auch hatten und nicht schon der Strick für sie bereit hing. In den nächsten Tagen war O’Hara sehr bemüht Cine im Auge zu behalten. Er wollte sie studieren, um später besser auf sie eingehen zu können. Natürlich war er sehr erbost darüber, dass Tavington ihr einen kleinen Singvogel geschenkt hatte. Das war nur einen Tag nach ihrer Wiederkehr. Gegen die Einsamkeit, hatte er gemeint. O’Hara hatte sich später mit ihm deswegen gestritten. Leider war Tavington stärker als er und so kam es nicht zu einer Schlägerei. O’Hara hatte aber den höheren Rang und ließ Tavington eine kleine Strafarbeit verrichten. Nun saß der General auf dem Hof und sah Cine hinter einem ihrer Fenster stehen. Sie war in den letzten Tagen sehr still und schien viel nachzudenken. O’Hara hatte die Vermutung, dass sie sich einen neuen Fluchtplan überlegte, aber diesmal würde er vereitelt werden. Cine hatte an einem schönen Nachmittag endlich eine Idee zur Flucht. Tavington oder Bordon hielten bei ihr Wache, außer es lag ein wichtiger Einsatz vor und in der Nacht ließen sie sie auch in Ruhe. An diesem Nachmittag war Tavington es, der bei ihr Wache hielt. Er saß neben ihr in einem Sessel, während Cine in dem anderen saß. Plötzlich sprang sie auf und verlangte nach einem Blatt Papier und etwas zum Schreiben. Tavington besorgte ihr diese Dinge und war neugierig über das, was kommen sollte. Cine fiel ein, dass vor Jahren schon mal eine Familie nach Amerika ausgewandert ist, mit der sie gut befreundet war. Der Mann, an den sie schrieb, hieß John Billings. Ein typisch irischer Name. Sie verfasste einen Brief und erklärte ihre Situation. Sie bat darum, dass er weitere Schritte einleiten sollte. Tavington, der ihr nun gegenüber saß, las offenbar mit. Cine kümmerte sich nicht darum, denn schließlich konnte der Colonel kein Gälisch. Cine hatte es schon mehrmals überprüft und ihn auf Gälisch mit „Dreckskerl“ und „Schweinepriester“ angeredet. Da er darauf nie reagierte, ging Cine logischerweise davon aus, dass er diesen Brief nicht lesen konnte. Als sie den Brief beendete, drückte sie ihr Siegel in den frisch geschmolzenen Kerzenwachs und übergab das Schreiben Tavington, der es einem Meldereiter mitgeben sollte. Etwas später sah sich Cornwallis diesen Brief an und lächelte über die Einfältigkeit seiner Enkelin. „Sie ist sicherlich der Meinung, dass ich das Siegel nicht breche. Nun, da hat sie Recht! Schließlich weiß ich nun, was darin steht. Colonel, was soll ich Ihrer Meinung nach tun?“ Cornwallis sah Tavington mit einem bösen Grinsen an. Dieser erwiderte ein hämisches Grinsen und meinte: „Wir sollten den Dingen vorerst ihren Lauf lassen. Wenn der Plan von Eurer Enkelin erst kurz vor Ende scheitert, wird sie nur noch entmutigter sein!“ „Da haben Sie Recht. Das sollten wir tun. Cine weiß, dass ich die irische Sprache nicht beherrsche, aber sie weiß nicht, dass Ihr sie fließend könnt!“ „Ich habe mich stets bemüht, das vor ihr geheim zu halten. Ihr solltet einmal zuhören, wenn die Irinen über ihre Vergangenheit reden. Es ist immer sehr amüsant.“ „Ach?! Am besten, sie belauschen diese Weibsbilder ein wenig, wenn ich Cine mal ein Besuchsrecht im Gefängnis erteile.“ „Mit dem größten Vergnügen!“ Mit diesen Worten drehte sich Colonel Tavington um und übergab wenig später einem Meldereiter den Brief. Cine bekam dann die Erlaubnis ihres Großvaters ins hiesige Gefängnis zu gehen und ihre Freundinnen zu besuchen. Das tat sie dann auch, zu ihrem Leidwesen in Tavington’s und Bordon’s Begleitung. „Was machst du denn hier?“ fragte May, die Cine endlich erkannte. „Na was wohl? Ich habe Cornwallis erschossen und bin als Königen von England ausgerufen worden. Ich hole euch jetzt hier heraus!“ May legte den Kopf schräg und blickte skeptisch. „Ist ja gut! Ich habe von meinem Großvater die Erlaubnis bekommen euch zu sehen.“ Ann-Maria, die in der gegenüberliegenden Zelle saß, kam zu diesem Gespräch hinzu: „Wieso hast du mich damals zurück gelassen? Sie haben mich gefoltert!“ „Das haben wir doch schon ausdiskutiert und nun belästige Cine nicht mit solchen Fragen.“ May sprach auf Gälisch weiter: „Es gibt wichtigere Dinge zu besprechen, habe ich Recht?“ Cine nickte nur und sagte dann: „Die beiden können uns nicht verstehen.“ May sah zu Bordon und lächelte. „Offenbar habe ich ihn nicht richtig getroffen!“ Cine musste ebenfalls lächeln. „Nein, nur ein Streifschuss.“ „Schade. Aber, hast du einen Plan? Ich habe schon die ganze Zeit überlegt!“ „Du erinnerst dich doch sicher noch an John Billings und seine Frau! Ich habe ihnen einen Brief in Gälisch geschrieben und wenn alles gut geht, kommen wir in genau einer Woche bei Sonnenuntergang hier raus!“ „Bist du sicher, dass niemand den Brief lesen konnte!“ „Nicht wirklich, aber die wichtigen Personen scheiden aus. Außerdem gibt es keine Iren in der englischen Armee.“ „Na, wenn du dir das mal gut überlegt hast! Ich zweifle immens an deinem Plan! Das funktioniert nie!“ „Du hast nicht einmal einen Plan, also zweifle nicht an meinem!“ May ließ ein skeptisches Schnauben von sich, das Cine aber gleich ignorierte. „Wenn dein Plan funktioniert, ist zwei mal fünf sieben!“ Cine antwortete darauf mit gespielter Ernsthaftigkeit: „Zwei mal fünf ist nicht sieben, sondern mindestens neun!“ Beide lachten. „Nun brauche ich nur noch eine Idee, wie ich euch an diesem Tag für kurze Zeit aus dem Gefängnis bekomme.“ Cine seufzte. Das war wohl der schwierigste Teil ihres Planes. Bisher hatte sie noch keine Lösung gefunden. May fing nun laut an zu lachen. „Wie wäre es denn, wenn du Tavington oder O’Hara bestichst?!“ „Womit denn? Ich habe keinen Penny in der Tasche!“ „Ach Cine! Sag bloß, du hast es noch nicht mitgekriegt?!“ Cine sah nun irritiert zu May. „Was mitgekriegt?“ „Die Wachen haben davon gesprochen. Colonel Tavy und General O’Harry scheinen ziemlich verliebt in dich zu sein!“ Cine sah nun mehr als nur verwirrt zu Tavington, der sie schon die ganze Zeit beobachtete, aber keinen Muskel rührte. „In mich verliebt? Die beiden? Wärst du nicht im Gefängnis, hätte ich gesagt, du hast einen Sonnenstich! Wäre kein Wunder bei diesem grauenhaften Klima! Mir fehlt der Dauerregen in Irland!“ „Ich bitte dich! Die Zeichen waren auch vorher schon da. Überleg doch mal, wie Tavington mit dir getanzt hat. Das war bei unserer ersten Flucht!“ „Ich glaube wirklich, diese Gitterstäbe tun deinen Gedanken nicht gut! Aber selbst wenn, was hat das mit einer Bestechung zu tun?“ „Cine! Also wirklich! Streng doch mal ein wenig deinen Kopf an! Du bist in solchen Sachen immer so unkreativ.“ „Soll ich etwa eine Heirat anbieten?! Ich glaube, es hakt!“ „Natürlich sollst du das nicht. Denk doch nicht immer gleich ans Extrem! Ein Kuss würde bestimmt schon reichen.“ „Ein WAS!?!“ May lachte: „Du musst dich nur noch entscheiden, wer deiner Gunst würdig ist!“ Tavington hatte das gesamte Gespräch mitbekommen und wusste nun auch, was auf ihn zukam. Zumindest hoffte er, dass der besagte Kuss auf ihn zukam. Er musste O’Hara ausspielen. Und er wusste auch, wie er das anstellen würde. Selbstverständlich durfte Lord Cornwallis nichts davon erfahren, aber dafür trug der Colonel ja auch selbst die Verantwortung, falls Cine etwas geschehen würde. Es kam endlich der besagte Tag. Cine hoffte auf Billings’ Auftauchen. Sie hatte keinen Brief zurückerwartet, aber sie wusste, dass er die Sache überdenken würde. Am frühen Nachmittag ging Cine in ihrem Zimmer auf und ab. Sie überlegte krampfhaft, was sie nun tun sollte. Gestern kam Bordon zu ihr und hatte ihr erzählt, dass die gefangenen Irinen mal ein wenig raus müssten. Wenn sie sich gut führen, könnte Colonel Tavington vielleicht ihre Freilassung arrangieren. Cine war mehr als misstrauisch. Das wäre ein plumper Versuch gewesen sie zu Tavington zu locken, wenn einer das Gespräch im Gefängnis mitbekommen hätte. Nach einer Weile machte sich Cine auf den Weg zu Tavington. Sie wusste, wo sich sein Zimmer befand und hoffte, dass er heute da war. Sie öffnete seine Tür und schlich sich in sein Zimmer. Es war stark abgedunkelt, da die Vorhänge zugezogen waren. Der Colonel stand im Nebenraum und zog sich gerade sein Hemd aus. Cine stand im Schatten und konnte ihn durch den Türspalt beobachten. Seine Haare trug er offen und er hatte einen kleinen Schnitt am Rücken. Cine hatte sich gerade dazu entschlossen, wieder zu gehen, als der Colonel ein Geräusch hörte. Mit geladener Pistole ging er auf Cine’s Ecke zu. „Wer ist da?! Sofort rauskommen und Hände über den Kopf!“ Cine trat nun ins Licht, aber die Hände über den Kopf zu halten, war ihr zu dumm. „Ah, Lady Cornwallis.“ „Colonel.” Tavington grinste selbstgefällig und legte seine Pistole weg. Dann lehnte er sich an seinen Schreibtisch. Cine wurde rot. Der Colonel bemerkte dies und sagte: „Oh, entschuldigt! Aber in Anbetracht dessen, dass Ihr ohne Anmeldung gekommen seid, ist es wohl zu erwarten, dass ich nicht meine Galauniform trage.“ „Ich wollte mit Euch reden, Colonel.“ Tavington setzte ein süffisantes Lächeln auf. „Wein?“ Er wartete nicht auf die Antwort und schenkte beiden ein. Cine nippte von dem Getränk und bemerkte gleich, dass er viel zu stark war. Tavington leerte das Glas in einem Zug. „Colonel, ich wollte mich entschuldigen.“ „Entschuldigen? Für was?“ „Ich habe mich in letzter Zeit nicht gerade wie eine Lady benommen. Dabei habe ich Euch sicherlich viele Probleme bereitet.“ „Ihr meint Eure waghalsige Flucht vor einiger Zeit?“ „Unter anderem.“ „Gut, da das geklärt ist...“ „Ich habe noch eine Bitte an Euch.“ „Die da wäre?“ „Nun ja, Bordon berichtete mir, dass Ihr offenbar in der Lage seid, meinen ... Freundinnen ... ähm ... einen Freigang zu gewähren.“ Cine sah nun beinahe flehend zu Tavington, der sie arrogant ansah. „Warum sollte ich das tun?“ „Naja, vielleicht könnten wir uns einigen.“ „Und an was habt Ihr gedacht.“ Cine wurde nun noch roter im Gesicht. „Wie wäre es ... ähm ... mit einem ...“ „Einem was?“ „Einem Kuss?“ Tavington lachte nun laut auf. „Wie kommt Ihr darauf, dass ich einen Kuss von Euch wollte? Mindestens Vier!“ Cine blickte nun erschrocken drein. „Ich dachte, Engländer seien Gentlemen. Zwei!“ „Vier!“ „Drei!“ „Fünf!“ „Das ist aber keine anständige Verhandlung!“ „Mag sein, aber ich bin ja nicht der, der unbedingt etwas haben will.“ „Wer sagt denn, dass ich unbedingt etwas haben will?“ „Euer mangelndes Vermögen zu Verhandeln!“ „Na schön, Vier.“ „Gut, darin hätten wir uns geeinigt. Wann genau sollten Eure sogenannten Freunde denn raus?“ „Heute bei Sonnenuntergang!“ „Und wann löst Ihr Euren Teil der Vereinbarung ein?“ „Morgen bei Sonnenuntergang! Aber ich hätte sie gern von irgendwoher beobachtet, wenn sie rauskommen.“ „Dann gehen wir heute auf O’Hara’s Balkon. Der zeigt genau zum Hof.“ Später am Abend kam ein Offizier zu May, Elanor und Ann-Maria. May sah ihn nur verwundert an und begann dann freundlich zu lächeln. Er legte ihnen Fesseln an und führte sie hinaus in den Hof. May sah, dass die Sonne fast untergegangen war. Glücklicherweise hatte sie Cine’s schwachsinnigen Plan mit den anderen besprochen, sodass sie gleich auf jeweilige Situationen reagieren konnten. May wurde langsam unruhig, sie suchte Cine, fand sie aber nicht. Dann hörte sie jemanden pfeifen. Es kam vom Haus aus dem ersten Obergeschoss. Cine stand zusammen mit Cornwallis, O’Hara und Tavington auf dem Balkon, der fünf Meter über den Boden ragte. „Na toll, Cine! Wie willst du da jetzt runterkommen?“ sagte sich May leise. Elanor und Ann-Maria bewegten sich ziemlich auffällig. Sie blickten ängstlich und erwartend in jede Richtung. May hoffte nur, dass das gut geht. Plötzlich wurde das Tor geöffnet und ein Pferdefuhrwerk fuhr mühselig auf den riesigen, umzäunten Hof. Ein Mann mit schlechten Zähnen und fettigen Haaren diskutierte gerade mit einem englischen Offizier. Cine und May wussten sofort, dass es Billings war. Als Cine ihn sah wurde sie innerlich unruhig. Wie sollte sie nur von diesem Balkon runterkommen? Wohlweißlich hatte sie sich Hemd und Hose angezogen, auch wenn ihr Großvater sie deswegen angeschnauzt hatte. Trotzdem konnte sie nicht schneller rennen als Tavington. Dieser jedoch war innerlich angespannt. Er hatte die Vermutung, dass die Flucht jeden Moment starten würde. Billings hatte sich offenbar mit dem Engländer geeinigt und fuhr seinen Pferdewagen wieder zum Tor hinaus. Im letzten Moment zog er aber ein Gewehr und erschoss einen englischen Offizier bei den gefangenen Frauen. Das sah May als Zeichen und schrie: „Lauft!“ Sofort setzten sich die Drei in Bewegung. Bordon, der unten stand und von Tavington vorgewarnt war, nahm ebenfalls sein Gewehr und schoss auf May. Elanor bemerkte das und warf sich vor den Schuss. Sie fiel reglos zu Boden, obwohl es nur ein Streifschuss am Bauch war. Cine wurde leichenblass. „Lauf weiter, May!“ war das einzige, was sie noch über die Lippen brachte, ehe sie sich von Cornwallis, der sie am Arm hielt, losriss. Cine sprang auf die Brüstung des Balkons und ließ sich fallen. Sie stürzte fünf Meter in die Tiefe und landete glücklicherweise auf den Füßen. Allerdings zog sie sich dabei eine Zerrung zu. Das hielt sie aber nicht davon ab zu Elanor zu sprinten. Tavington machte es ihr nach. Er landete besser und war sofort dabei, hinter Cine her zurennen. May hatte den Wagen fast erreicht, aber Bordon war schneller bei ihr, als sie es für möglich hielt. Somit erreichte nur Ann-Maria den Wagen, der sogleich abfuhr. Das Tor wurde augenblicklich geschlossen. Cine sah zu May und ihre Blicke sagten alles. Sie ließ Elanor bewusstlos liegen und hechtete auf May zu. Tavington war nur noch knapp hinter ihr. May trat Bordon in den Schritt und hechtete auf eine Leiter zu, die an der vier Meter hohen Befestigung stand. Cine war gleich hinter ihr und sie stürzten die Leiter hoch. Das Tor wurde sofort wieder geöffnet, damit die Soldaten an der anderen Seite des Zauns warten konnten. Tavington trat die Leiter weg. Der einzige Rückweg. May hatte gehofft, dass sie springen konnten, aber sie empfand es als zu hoch und die Engländer waren auch schon auf der anderen Seite. So balancierten sie und Cine eine Weile auf den schmalen Pfählen, um eine geeignete Absprungstelle zu finden. Dann rutschte May aus und Cine bekam sie gerade noch so zu fassen. Dabei verlor sie aber selbst den Halt und fiel. Letztendlich konnte sie sich noch mit den Beinen und Armen irgendwie festkrallen, während May sich an ihrem Hosenbund festhielt. Die hohen englischen Offiziere traten nun hinzu und brachen in lautes Gelächter aus. Selbst General Cornwallis, O’Hara und Tavington. Die Art, wie die beiden Iren dort hingen, war einfach nur grotesk. Nun fing May auch noch an, sich lauthals auf englisch zu beschweren. „So sah also dein toller Plan aus! Wirklich IDIOTENSICHER!“ „Ich weiß gar nicht, was du willst?! Ann-Maria ist doch draußen!“ „Oh ja, was für eine Hilfe sie doch wäre! Und Elanor erst! Ach warte, ich vergaß! Sie liegt ja irgendwo bewusstlos in der Gegend rum!“ „Ich bitte dich! Wer konnte das denn ahnen?! Der Plan war gut durchdacht!“ „So etwas nennst du gut durchdacht?!“ „Halt den Mund, wegen dir hängen wir schließlich hier!“ „Das ist ja wohl das mindeste, dass du mit mir hier hängst!“ Cine rutschte nun mit den Füßen ab. May schrie auf und trat ihr in den Hintern, obwohl sie früher nie solch eine Gelenkigkeit zeigte. „Wenn du fällst, bring ich dich um!“ fing sie wieder an zu brüllen. Die meisten Engländer lachten schon Tränen. Cine war die Sache unendlich peinlich, aber May kümmerte sich wenig darum. Was hatte sie denn auch mit diesen Leuten zu schaffen. „May, nun beruhige dich doch mal.“ „ICH MICH BERUHIGEN?! ICH GLAUBE, DU SPINNST!“ „Aber, was kann ich denn dafür, dass der Plan nicht funktionierte?“ „Ganz einfach! Die Engländer haben deinen scheiß Brief gelesen und uns belauscht!“ „Aber wie...?“ „Na wie wohl?! Jetzt sieh zu, dass du mich hier heil runter bekommst! Und zwar ohne irgendwelche Pläne!!!“ Cine schaute nun runter zu Tavington und O’Hara. „Ein bisschen Hilfe könnte nicht schaden, WENN ES NICHT ALLZUVIEL UMSTÄNDE MACHT!“ Sie war einem Nervenzusammenbruch nahe. Zudem konnte sie sich kaum noch festhalten. O’Hara rief einem Soldaten dann zu, er solle eine Leiter holen. Bevor dieser allerdings losging, fielen Cine und May schon in eine riesige Schlammpfütze zu Füßen der Engländer. „Das hat sich dann wohl erledigt.“ meinte Colonel Tavington kalt. May und Cine hatten sich bei dem Versuch aufzustehen sehr schnell verknotet. Unter lautem Gelächter lagen sie noch immer im Schlamm. May schleuderte Cine trotzdem noch eine dicke Packung Dreck ins Gesicht. Die Offiziere brüllten nun vor Lachen. Manche konnten sich nicht einmal mehr auf den Beinen halten. Die beiden Irinen waren nun ein einziges Schlammknäuel und ihnen liefen Tränen der Verzweiflung übers Gesicht. May brachte nur noch einen Satz raus: „Ich habe es dir ja gesagt! Ich habe es dir gesagt!“ Cine dagegen schüttelte nur apathisch den Kopf und blickte dann auf einen imaginären Punkt im Schlamm. Sie war hochrot im Gesicht, aber zum Glück verdeckte der Dreck alles. Ann-Maria und Billings wurden nicht verfolgt. Offensichtlich war sie für die Engländer unwichtig. Das kränkte sie ein wenig. Die anderen hatten es nicht geschafft. Ann-Maria saß nun auf der Ladefläche des Wagens und hatte sich eine Decke umgelegt. Sie hoffte, dass es den anderen gut ging. Billings sah sie nun an. Mittlerweile waren sie einige Meilen vom Lager entfernt. „Nah Miss. Da haben wir wohl ein wenig Pech gehabt.“ Ann-Maria nickte und ihr liefen Tränen über die Wangen. „Seid nicht traurig. Am besten, ich bringe Euch zur alten spanischen Mission im Black Swamp. Dort ist eine Miliz stationiert, die Euch aufnehmen wird.“ „Und was werdet Ihr tun?“ „Ich fahre dann zu meiner Frau und meinem Sohn und bringe sie in Sicherheit.“ „Wenigstens hat Cine’s Plan zum Teil funktioniert.“ „Wir hatten Glück. Wäre Cine auf dem Wagen gewesen, hätte ich einen anderen Weg einschlagen müssen. Ich hatte einige Milizen stationiert, aber uns verfolgt ja keiner.“ Billings setzte Ann-Maria tatsächlich in einem Sumpfgebiet ab. Dort wartete schon ein junger, schneidiger Soldat auf sie. Billings übernahm das Wort: „Hey Gabriel.“ Der Soldat blickte auf die Ladefläche. „Nur eine? Keine Verfolgung?“ „Ja, es lief nicht ganz nach Plan.“ „Ist sie Cine Cornwallis?“ „Nein, eine ihrer Freundinnen. Ann-Maria Wood.“ Der junge Soldat blickte traurig. „Schade, wir hätten Cornwallis sicherlich erpressen können.“ „Bring die Kleine zu deinem Vater. Er muss entscheiden, was nun passiert.“ Gabriel Martin half Ann-Maria vom Wagen, der augenblicklich weiterfuhr. Beide stiegen in ein kleines Boot. Ann-Maria dachte nicht mehr an ihre Freundinnen. Sie hatte nur noch Augen für den jungen Amerikaner. Er hatte langes, blondes Haar, das er zu einem Pferdeschwanz trug. Außerdem trug er nicht wie die Engländer eine rote Uniform, sondern eine Blaue. Das machte ihn schon sympathischer. Ann-Maria fand die Farbe nicht so aggressiv. Sie paddelten eine Weile bis sie eine kleine Insel mit einer Kirchenruine sahen. Dort legte Gabriel an und brachte die junge Irin zu seinem Vater Benjamin Martin. Der sah die Neuankömmlinge und erhob sich von seinem Lagerfeuer. Die kleine Insel war voll von Milizionären, die Ann-Maria anstarrten. Benjamin Martin machte sich aber nicht viel daraus. Er ging auf sie zu und küsste ihr die Hand. „Herzlich Willkommen. Auch, wenn Sie nicht Lady Cornwallis sind.“ „Woher wissen Sie...?“ Ben lachte und antwortete: „Ich habe Lady Cornwallis schon einmal gesehen. Ich liege in tiefer Feindschaft zu Colonel Tavington und hatte ihn am Tag Eurer ersten Reise nach Winsborough beobachtet.“ „Oh, das erklärt einiges. Kennen Sie Tavington gut?“ Nun mischte sich Gabriel ein. „Er hat meinen Bruder umgebracht!“ Ann-Maria blickte ihn schockiert an. „Das tut mir leid. Aber, was wird denn nun aus mir und meinen Freundinnen?“ „Am besten, Ihr erzählt mir erst mal, was alles passiert ist.“ meinte dann wieder Ben. Ann-Maria blickte ihn unsicher an, fand dann aber, dass sie ihm vertrauen könne. Es war schon Mitternacht, als Cine in Decken gehüllt auf einem Sessel saß und die Füße in einer Schüssel heißem Wasser badete. Sie hatte sich vorher ausgiebig baden können. Ihre Zerrung im rechten Unterschenkel hatte sich wieder bemerkbar gemacht und so wurde sie ärztlich untersucht. May hatte man nach dem Vorfall wieder ins Gefängnis bringen wollen, aber Cine machte einen Aufstand, der von enormer Hysterie zeugte. Lord Cornwallis fasste dann doch den Entschluss, May zurück zu dem Wirtshaus zu bringen und sie strenger bewachen zu lassen und zwar von Bordon. Elanor wurde gleich zu einem Lazarett gebracht und dort versorgte sie ein Arzt. Die Wunde war nicht schlimm, aber schmerzte dafür sehr. Elanor lag zwischen etwa dreißig verwundeten Soldaten und fühlte sich ziemlich einsam. Außerdem starrten die Männer sie anzüglich an. Man hatte sie ausgezogen, um sie besser behandeln zu können. Daher trug sie nur ein ziemlich weites Hemd, das mit Blut beschmiert war und nicht sehr viel verdeckte. Tavington war irgendwo unterwegs. Cine wunderte sich darüber, denn es war schon sehr spät dafür. Allerdings war O’Hara diesmal bei ihr. Er musste immer noch über diesen peinlichen Vorfall lachen. Cine hätte ihm am liebsten das Maul gestopft. Er hatte ihr einen Tee gebracht, den sie in vollen Zügen genoss. Er versuchte dann ein Gespräch anzufangen. „Wisst Ihr, Mylady, Ihr solltet Eurem Großvater das Leben nicht so schwer machen.“ Cine schnaubte verächtlich. „Ich meine es ernst. Ihr könntet Privilegien genießen. Zum Beispiel einen schönen Ausritt, einen Spaziergang oder zumindest eine bessere Behandlung.“ „Vielleicht habt Ihr recht.“ O’Hara grinste. „Ganz sicher habe ich das.“ Er setzte sich nun direkt neben sie und schlang seinen Arm um ihre Schulter. „Mylady, Ihr könntet Eure Ehre und Tugend sehr leicht wiedergewinnen.“ Cine fröstelte nun am ganzen Körper. O’Hara bemerkte dies und nutzte seine Chance. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und ging dann wieder aus dem Zimmer. Cine liefen Tränen über das Gesicht. Die letzten Ereignisse hatten ihr immens zu schaffen gemacht und nun das. Es war einfach zu viel. O’Hara dagegen wusste, dass Cine niemandem etwas von diesem Kuss sagen würde. Es war nicht sehr ehrenhaft, aber wer weiß, was Tavington schon alles getan hat. O’Hara jedenfalls stolzierte nun in sein Zimmer, um sich nach diesem Tag endlich auch schlafen zu legen. Cine begab sich dann auch ins Bett und weinte sich in den Schlaf. Aber in dieser Nacht ging es jeder der Irinen so. Tavington hatte sich derweil auf den Weg gemacht, um Billings gefangen zu nehmen. Er hatte Glück und erwischte ihn mit seiner Familie. Er ließ ihn, seine Frau und seinen 6-jährigen Sohn fesseln und zurück nach Winsborough bringen. Diese Menschen waren Verräter an der Krone und verdienten dafür den Strick. Mit einem siegreichen Lächeln, seinem Gefolge und den Gefangenen ritt der Colonel gegen drei Uhr am Morgen durch das Tor des Forts. Billings und seine Familie würden am Abend gehängt werden. Tavington grinste hämisch. Erst würde er seine ersehnte Belohnung bekommen und dann würde Cine auch den Rest ihres Widerstandes verlieren. Schließlich wäre sie Schuld am Tod dieser kleinen Familie. Aber das würde er ihr ausreden, wenn sie sich für ihn entscheiden würde. Er machte sich dahingehend keine großen Sorgen, denn O’Hara hatte gegen ihn sowieso keine Chance. Dessen war er sich sicher. Am nächsten Abend war Cine wieder einigermaßen wach. Sie hatte bis Mittag geschlafen. General O’Hara hatte ab und zu mal bei ihr vorbeigeschaut, um zu sehen, ob noch alles in Ordnung war. Man hatte Cine gerade das Abendessen gebracht. Hähnchen in Preiselbeersauce mit Rotwein. Sie hasste Preiselbeersauce, also stocherte sie nur ein wenig darin herum. Ihr knurrte mächtig der Magen, da sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Es klopfte an der Tür. „Herein!“ Tavington trat daraufhin ein. „Mylady, Ihr schuldet mir noch etwas!“ Cine sah verwirrt zu ihm auf. „Was meint Ihr, Colonel?“ Er lachte. „Überlegt doch einmal. Gestern Abend habe ich Eure Freundinnen herausgelassen und dafür habt Ihr mir etwas versprochen!“ „Aber der Plan ging schief. Es hat doch nicht funktioniert!“ „Was hat das mit meiner Entlohnung zu tun?!“ Cine bekam es langsam mit der Angst zu tun. Hörte das denn nie auf. Tavington ging nun auf sie zu. Cine stand von ihrem Sessel auf und sah ihm unsicher in die Augen. Der Colonel umarmte sie zärtlich, hob mit der linken Hand ihr Kinn leicht an und sah ihr anzüglich in die Augen. „Ihr habt wirklich wunderschöne Augen.“ sagte er, bevor er sie dann endlich küsste. Cine versuchte sich von ihm wegzudrücken, doch er hielt sie sicher mit der rechten Hand an sich gepresst. Als er seinen Kuss beendet hatte, wanderte er weiter zu ihrem Halsansatz und küsste sie dort zweimal. Anschließend fixierte er wieder ihre Augen und schien kurze Zeit darin zu versinken. Dann wagte er etwas, was überhaupt nicht zu einem englischen Offizier passte. Tavington küsste sie wieder auf den Mund, öffnete ihn leicht und drang mit seiner Zunge ein. Nachdem er Cine’s Zunge mit seiner ein wenig gestreichelt hatte und Cine den Schock dieser Aktion verarbeitet hatte, biss sie ihm auf die Zunge. Er zog sich wieder zurück, aber nicht ohne ein anzügliches Grinsen. „Das waren Vier!“ meinte Cine beleidigt zu ihm. „Der Letzte gilt nicht!“ „Beschweren Sie sich doch bei Lord Cornwallis!“ Tavington liebte es, wenn Cine versuchte sich aus der Affäre zu ziehen. Das hatte sie schon oft bei ihrem Großvater versucht. Vorerst wollte er ihr den kleinen Sieg lassen. Schließlich hatte er den Größeren errungen. „Mylady, ich muss Euch noch bitten, mich zu begleiten.“ „Wohin?“ „Es gibt jemanden, der Euch noch vor seinem Tod sehen möchte.“ Cine wurde hellhörig. Sie hatte Angst, dass Elanor’s Verletzung doch schwerer war, als es auf den ersten, kurzen Blick den Anschein hatte. Tavington bot ihr seinen Arm an, um sie weg zu geleiten. Sie nahm widerstrebend an. Etwas später stand Cine mit Tavington, O’Hara und ihrem Großvater auf dem selben Balkon des Vortages. Diesmal waren aber unter dem Vorsprung drei Soldaten. Cine blickte unsicher von ihrem Großvater zu O’Hara und wieder zurück. Lord James Cornwallis lächelte seine Enkelin hämisch an. „Sieh her, Cine, dort unten ist jemand, den du in große Schwierigkeiten gebracht hast.“ Cine sah nun Billings, seine Frau und seinen Sohn auf der anderen Seite des Hofes auf einem Holzplateau stehen. Über ihnen war ein Balken mit drei Seilen. Das Holzplateau lag zwei Meter über dem Boden. Nun dämmerte es Cine. Die irische Familie sollte gehängt werden. „Nein! Großvater, das kannst du nicht tun!“ „Cine, beherrsche dich! Sie haben die englische Krone verraten und sterben nun den Tod von Verrätern!“ „Ich habe sie angestiftet! Der Junge hatte schon gar nichts getan! Er ist doch noch ein Kind! Ich würde genauso den Strick verdienen!“ „Wenn du weiter solch einen Aufstand machst, bekommst du ihn auch!“ Billings hatte nun Cine entdeckt. Sie stand zwischen O’Hara und Tavington, lehnte sich aber über die Brüstung und sah verzweifelt zu den Verurteilten hinüber. Billings wusste, dass er sterben würde. Das schmerzte ihn nicht sehr, aber seine Familie hätte leben sollen. Vor allem seine Frau, die schwanger war. Er sah Cine nicht vorwurfsvoll an. Das wollte er ihr ersparen. Sie hatte wahrscheinlich ein schwereres Los zu tragen. Stattdessen lächelte er. Cornwallis hob nun seinen Arm. Wenn er ihn wieder fallen ließ, war das das Zeichen, das Urteil zu vollstrecken. Cine ging jetzt vor ihrem Großvater auf die Knie und flehte ihn an, das Urteil zu überdenken. Tavington grinste überlegen. Selbst O’Hara hatte in diesem Moment kein Erbarmen. Lord Cornwallis sah starr zu den Iren und sagte: „Steh auf! Du sollst sehen, wie sie sterben!“ Cine liefen Tränen über die Wange. Tavington fasste sie am Arm und zog sie grob wieder auf die Beine. O’Hara entschloss sich nun dazu, sie am anderen Arm festzuhalten. Cine wehrte sich nach Kräften, es half aber nichts. Der Lord ließ nun den Arm sinken und ein Soldat bei Billings zog einen Hebel. In diesem Augenblick öffneten sich die Falltüren und die drei Verurteilten stürzten in die Tiefe. Der Strick bremste ihren Sturz sehr schnell und brach Billings und seiner Frau augenblicklich das Genick. Der kleine Sohn erstickte langsam und qualvoll. Cine versuchte es noch mit Fassung zu tragen, als sie aber sah, dass der Junge noch lebte, brach sie zusammen. May bekam von alldem nichts mit. Sie saß beleidigt in ihrem Zimmer über dem Wirtshaus und starrte Bordon, der ihr gegenüber saß, böse an. Bordon legte seine Füße auf den Tisch und beobachtete May mit einem fiesen Grinsen. „Schade, dass ich Euch nicht umgebracht habe.“ Bordon hob eine Augenbraue. „Dann hätte ich mir den ganzen Mist jetzt erspart! Vielleicht hätte ich sogar mit Cine fliehen können. Und Elanor wäre jetzt auch nicht im Lazarett!“ „Ihr solltet nicht so eine große Klappe haben. So oder so, Ihr habt hier keine Rechte. Wenn ich Euch töten möchte, könnte ich das sofort tun!“ „Ach ja? Und warum habt Ihr das noch nicht? Ihr könnt mich doch ebenso wenig leiden, wie ich Euch!“ „Anweisung von oben!“ „Das heißt, mein Tod würde unangenehme Folgen für Euch haben?!“ Bordon schnaubte abfällig. „Wenn Ihr es so ausdrücken wollt. Allerdings gilt das nicht für eventuelle Verletzungen!“ Nun war es May, die genug von diesem Gespräch hatte. Sie wollte Bordon nicht übermäßig reizen. Er saß am längeren Hebel. Früher oder später würde er alles bereuen. Vor allem, dass er sie erschießen wollte. Allerdings hieß es jetzt für May geduldig zu sein. Geduld war eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften. Sie lächelte und zog ein Päckchen mit Karten heraus. „Hättet Ihr Lust auf eine Runde Poker?“ Elanor wurde mehrere Male untersucht und neu verbunden. Man sagte ihr dann, dass sie bald zu May ins Wirtshaus könnte. Sie war erleichtert, hatte aber nur etwas von May und Cine gehört. Ann-Maria wurde nie erwähnt. Elanor machte sich langsam Sorgen um ihre Freundin. Die Wunde schmerzte kaum noch, zumindest wenn die junge Irin sich nicht bewegte. Ann-Maria war schon mit Gabriel auf dem Weg nach Pembroke. Sie himmelte ihn an. Sie fand ihn sehr mutig und er hatte ein niedliches Lächeln. Während ihrer Reise saß sie hinter ihm auf seinem Pferd und er resümierte über die amerikanische Unabhängigkeit. Ann-Maria hörte fasziniert zu. Sie wollte ihn beeindrucken und erzählte ihm, wie sie zusammen mit ihren Freundinnen in Irland um die Freiheit gekämpft hätte. In Wahrheit hatte sie das Thema nie interessiert. Cine und May waren die Einzigen, die manchmal ein wenig gegen Engländer rebellierten, aber das war auch schon alles. Cine’s kleine Kämpfe mit dem Bajonette gegen irgendwelche Räuber wurden schnell zu Ann-Maria’s persönlichem Feldzug mit dem Säbel gegen feindliche Engländer. Nach etwa einer Stunde kamen sie in Pembroke an. Es war eine kleine Gemeinde mit einer Kirche. Ein junge Amerikanerin rannte auf sie und Gabriel zu. Der Soldat stieg vom Pferd, umarmte und küsste die junge Frau. Ann-Maria wurde blass. Sie hatte sich plötzlich in Gabriel verliebt und er hatte eine andere. Sie fühlte sich sehr zu ihm hingezogen. Es kam für sie aber noch schlimmer. Die nächste Zeit verbrachte sie bei dieser jungen Amerikanerin namens Ann Howard. Am nächsten Morgen kam Elanor tatsächlich aus dem Lazarett und wurde in das Wirtshaus gebracht. May arbeitete inzwischen für Vier. Bordon wich ihr nicht von der Seite und freute sich immer, wenn May abends erschöpft ins Bett fiel. Nun da Elanor kam, konnte sie leichte Arbeiten in der Küche übernehmen. Sie hatte aber immer noch Schmerzen. Manchmal schubste Bordon sie ein wenig in der Gegend herum, um sie richtig zu ärgern. May wurde immer wütender darüber. Sie hasste diesen Typen. Sehr sogar. Wenn Cine zu ihr käme, würde sie sich richtig über ihn beschweren. Mit etwas Abstand sah sie Cine’s Plan auch etwas anders. Schließlich war Ann-Maria draußen und sie und Elanor saßen auch nicht mehr im Gefängnis. Außerdem hatte Cine mächtig einstecken müssen, jedenfalls vermutete May das. Tavington hatte sie ja nicht umsonst aus dem Gefängnis gelassen. Nach der gescheiterten Flucht allerdings hatte Cine einen Aufstand veranstaltet, damit keiner mehr ins Gefängnis musste. So hatte May sie noch nie erlebt. Plötzlich meldete sich Elanor, die beim Abwasch war, zu Wort. Sie hatte offenbar erraten, an was May dachte. „Wie lief die Flucht eigentlich ab, nachdem ich bewusstlos wurde?“ „Tja, Cine sprang von O’Hara’s Balkon und humpelte anfangs auf dich zu. Nachdem Tavington auch sprang, riss sie sich zusammen und sprintete. Dann versuchten wir beide zu fliehen und ließen dich erst mal dort liegen. Ann-Maria hatte es geschafft zum Wagen zu kommen. Das Tor ging zu und Cine und ich wurden gefangen.“ Die Peinlichkeit am Zaun ließ May lieber aus. „Also hat Ann-Maria es geschafft?“ „Ja, ich sollte dann zurück ins Gefängnis, aber Cine hat herumgeschrieen und alle beleidigt und bedroht. So habe ich sie noch nie erlebt. Sie war richtig hysterisch. Ich dachte, gleich zieht sie einen Säbel und veranstaltet ein Blutbad.“ „Das ist aber untypisch für sie. Gut, manchmal bei den Schlägereien im Pub war sie etwas aggressiv, aber so...“ „In dem Moment war einfach alles zu viel für sie, für uns beide. Ich war dann auch etwas daneben und keine große Hilfe.“ Cine wurde zum Frühstück gerufen. Sie hatte schon wieder ein neues Kleid. Als sie dann endlich im Speiseraum ankam, wurde sie sehr freundlich begrüßt. Allerdings blickte sie nur böse funkelnd in die Runde und ignorierte es. Sie saß wiedereinmal zwischen O’Hara und Tavington. O’Hara kam Tavington zuvor, indem er sagte: „Ihr tragt keinerlei Schuld an dem gestrigen Vorfall. Diese Familie gehörte der Miliz an und musste gehängt werden.“ Tavington funkelte O’Hara verächtlich an. Cine war verärgert, denn das konnte sie nun wahrlich nicht von ihrer Schuld reinwaschen. Lord Cornwallis bemerkte, dass seine Enkelin etwas störrisch war und wollte sie zurechtweisen: „Benimm dich gefälligst! So früh am Tag brauchst du nicht schon mit deiner Sturheit anfangen! Ich habe gedacht, du machst heute mit Colonel Tavington einen kleinen Ausritt. Er hat sich sehr dafür eingesetzt.“ „Keine Lust!“ bekam er nur zurück. „Du machst danach einen kleinen Spaziergang mit General O’Hara am See.“ „Kein Bedarf!“ „Cine! Wenn du dich nicht ein wenig bemühst, sind es deine Freundinnen, die darunter leiden werden!“ „Welch ein Gentleman, der meine Freunde gegen mich verwendet! Aber schön, dann mache ich eben diese ... ausfallenden Unternehmungen!“ Kurz darauf wurde Cine von Colonel Tavington abgeholt. Sie hatte sich schon eine robuste Hose und eine dünne Jacke angezogen, denn so früh war es noch etwas kühler. Gegen Nachmittag würde es bestimmt wieder sehr heiß werden. Der Colonel führte sie zu einem Stall. „Sucht Euch ein Pferd aus.“ Cine sah sich um. Natürlich bevorzugte sie einen Hengst. Die waren muskulöser und auch eigenwilliger. Hengste waren von den zehn Pferden nur drei. Ein Apfelschimmel, ein Fuchs und ein richtiger Schimmel mit dunkler Mähne. Cine bevorzugte letzteren und ging zielstrebig auf ihn zu. Der Colonel trat an ihre Seite und besah sich ihre Wahl. „Ein sehr schönes Tier. Aber er wird nur ungern im Einsatz geritten. Er ist wirklich sehr stur und lässt nicht jeden an sich heran. Wollt Ihr Eure Wahl nicht vielleicht doch noch überdenken? Wie wäre es mit einer zahmen Stute?“ Cine sah ihn an. „Wollt Ihr nun mit mir ausreiten oder nicht?!“ Der Colonel schmunzelte wegen dieser Wahl. Der Hengst war nicht einfach zu handhaben. Der Colonel wusste es, denn das Tier war sein Handpferd auf langen Strecken. „Wisst Ihr, welcher Rasse er angehört?“ Nun war es Cine, die ihn überlegen angrinste. „Natürlich, er ist ein Tersker!“ Der Hengst wurde gesattelt und ihm wurde Zaumzeug angelegt. Tavington ritt selbst einen braunen Hengst mit kleiner, weißer Blesse. Dieses Tier war ein wenig stolz, ging stets aufrecht und war gegenüber rangniederen Tieren bissig. Cine dachte noch, dass sich wohl jeder das Pferd sucht, das zu ihm passt, ausgenommen sie selbst natürlich. Endlich ritten sie aus dem Tor und in das nahe gelegene Waldstück, das Cine schon von der ersten Flucht her kannte. Aber Tavington schwenkte bald ab und sie erreichten eine große Wiese. Cine brach nun die Stille. „Ist es nicht gefährlich hier herumzureiten? Milizen könnten uns aufspüren.“ „Wir sind nicht allein. Etwa zwanzig Yards hinter uns im Wald sind einige Soldaten.“ Cine nickte knapp. „Ich bin ehrlich verwundert, dass Ihr mit dem Hengst so gut zurecht kommt. Obwohl, bei Eurem Reitstil. Hattet Ihr in Irland nicht auch einige Pferde?“ „Ja, ein paar.“ „Wie nennt man diese Art des Reitens?“ „Ranchreiten. Es wird hauptsächlich von Viehbauern praktiziert. Ich habe es bei einem gelernt. Ihr dagegen scheint typisch englisch zu reiten. Erinnert mich ein wenig an Treibjagden.“ „Mylady, Ihr habt eine gute Beobachtungsgabe. Mein Hengst ist ein English Hunter, den ich mit nach Amerika gebracht habe. Übrigens von herausragender Abstammung!“ Cine legte den Kopf schief. Das passte irgendwie zu diesem Colonel. Sie hatten mittlerweile eine Anhöhe erreicht, auf der eine alte, knorrige Weide stand. Sie ritten hinauf und Tavington entschied sich offenbar für eine Rast. „Das ist ein guter Platz.“ „Wir sind doch noch gar nicht lange unterwegs.“ meinte Cine. Tavington lachte. „Das glaubt Ihr! Wir reiten nun schon seit zwei Stunden!“ „Was?“ Cine war ehrlich verwundert. „Aber ich dachte...“ „Mylady, man merkt Euch an, dass Ihr schon lange nicht mehr unterwegs ward. Schließlich genießt Ihr es so sehr, dass Ihr darüber kein Zeitgefühl mehr habt.“ Beide stiegen nun ab und banden die Zügel an eine Baumwurzel. Dann setzten sie sich unter die Weide. Tavington’s Truppe blieb am Fuß der Anhöhe. Der Colonel umschlang Cine’s Schulter mit einem Arm und sah zum Horizont. Cine war es sehr peinlich, denn sie musste sofort an den Vorabend denken. Dann brach er die Stille: „Ein wunderschöner Ausblick. Überhaupt ein großartiges Land. Wenn wir siegreich sind, werde ich nach Ohio übersiedeln und mit einer Pferdezucht neu anfangen.“ Sie sah ihn an. „Eine Pferdezucht? Ausgerechnet Ihr?“ „Warum nicht? Ich verstehe etwas von Pferden!“ „Das bezweifle ich nicht. Aber die Art der Haltung!“ „Was meint Ihr damit?“ „Glaubt Ihr, ich hätte die Blutstriemen am Fell des Schimmels nicht bemerkt? Wenn sich Euch ein Tier nicht fügt, dann zwingt Ihr es dazu!“ Der Colonel lächelte. „Ja, das ist wahr!“ „So machen Sie es auch mit Menschen, habe ich recht?“ „Gelegentlich, wenn sie es verdienen. Ich bringe Respekt nur denjenigen entgegen, die ihn auch verdienen.“ Damit war das Gespräch schon beendet. Cine hatte ihn von Anfang an richtig eingeschätzt. Tavington würde sie eher als unwilliges Pferd ansehen. O’Hara war allerdings auch keine Alternative. Beide saßen noch eine Weile am Baum, bis sie sich entschlossen zurück zu reiten. Es war früher Nachmittag, als sie wieder im Fort ankamen. Cine sattelte ihren Hengst ab und wollte sich eigentlich gar nicht von ihm trennen. Doch ihr Zeitplan war eng. Tavington hatte auf dem Rückweg etwas mehr Zeit gebraucht. Jetzt musste Cine ein Kleid anziehen, denn O’Hara wartete schon auf sie. Wenig später schlenderten sie an einem Blumengarten vorbei. Es war wirklich schon sehr heiß. Dabei war es erst Frühling. O’Hara steuerte eine Bank an. Darauf setzten sie sich dann und erzählten über Gott und die Welt. O’Hara war eher der Typ, der mit seinen gesellschaftlichen Kontakten angibt. Cine hielt ihn sowieso für einen Schleimer. Sie hörte schon gar nicht mehr zu. „Mylady?“ Cine schrak auf. „Wie bitte? Was hattet Ihr gesagt, General?“ Er lächelte sie nachsichtig an. „Mylady, wie findet Ihr Edinburgh?“ „Kalt und regnerisch. Wie zu Hause.“ „Ihr solltet einmal die großartigen Feste sehen, die man dort veranstaltet. Wie gern würde ich mit Euch dort tanzen.“ Cine dachte sich ihren Teil. Irgendwie sah sie sich heute nur als Pferd. Für O’Hara war sie so etwas wie eine edle Stute zum Angeben. Das gefiel ihr auch nicht sonderlich. Was hatte sie sich mit dieser Amerikareise nur wieder eingebrockt? Die nächsten Wochen waren von zahlreichen einschneidenden Ereignissen geprägt. Colonel Tavington tötete Ann Howard, die sich mittlerweile mit Gabriel verlobt hatte. Ann-Maria konnte knapp entkommen. Nachdem Tavington auch Gabriel tötete, ging sie zurück ins Fort und heulte sich tagelang bei May die Augen aus. Diese war davon wenig begeistert. Elanor gesundete schnell und lebte wieder auf. Lord Cornwallis musste schwere militärische Niederlagen einstecken. Letztendlich wurde er von den amerikanischen und französischen Streitkräften besiegt und rief die Kapitulation aus. Colonel Tavington sollte öffentlich, wegen seiner Kriegsverbrechen, gehängt werden. Cornwallis entschied sich aber dazu, ihn, sich selbst und andere wichtige Offiziere nach England zu schiffen. Natürlich auch mit Cine und den Irinen. So verließen sie Amerika wieder und segelten gen Heimat. Cine und ihre Freundinnen hatten seltsamerweise eine eigene Kabine. Leider teilten sie diese mit Bordon, was zu zahlreichen Streits geführte hatte. Eines Tages hatte Bordon eine anzügliche Bemerkung zu Elanor gemacht, während Tavington in der Kabine stand, um Cine zu besuchen. Cine hatte Bordon’s Sachen in den Gang geschmissen. Und beschimpfte ihn dann fürchterlich. May machte gleich mit. Das ließ sie sich doch nicht entgehen. Tavington sah erstaunt zu, unternahm aber nichts. Cine stauchte Bordon jetzt zusammen, schlug und trat ihn. May schrie nun ebenfalls: „Was soll das?! Du verdammter Hurensohn! Zuerst mich erschießen wollen und stattdessen Elanor treffen und jetzt auch noch irgendwelche schweinischen Bemerkungen machen! Gott, wie lange habe ich auf diesen Tag gewartet!“ Bordon hatte mittlerweile einige Rippenprellungen erlitten, bis Tavington beruhigend auf Cine einreden wollte. Diese funkelte ihn böse an und begann augenblicklich auch ihn zu beleidigen. „Dreckskerl! Sieh zu, dass du Land gewinnst!“ Tavington war daraufhin leicht gereizt und wollte gerade etwas entgegnen, als Elanor schrie: „Ratho!“ Auf der Stelle war wieder Ruhe eingekehrt. Elanor begann dann die Situation zu schlichten. „Wir müssen auch zukünftig miteinander auskommen! Also solltet ihr euch nicht prügeln. Cine, gerade du solltest das beherzigen. Du wirst heiraten, darum verspiele nicht deine bisherige Gunst. Die Welt wäre um so vieles besser, wenn die Menschen toleranter wären! Die Religion könnte uns dabei helfen! Wir müssen die Völker und jedes Lebewesen achten!“ Cine raunte May zu: „Sie wird wieder philosophisch!“ May entgegnete: „Ja, wir sollten ihr die Bücher wegnehmen! Diese Ansprache könnte länger dauern!“ „Dann lass uns doch die Flucht ergreifen, bevor sie erneut mit ihren Weltverbesserungsplänen anfängt!“ „Ich stimme dir zu!“ Im selben Moment waren sie auch schon aus der Kabine verschwunden. Ann-Maria und Bordon waren ihrer Ansprache jedoch hilflos ausgeliefert. Tavington ist den beiden Flüchtigen lautlos gefolgt und hatte Bordon mit den Verletzungen am Boden liegen lassen. Es geschah ihm eigentlich ganz recht. Auch wenn Bordon ein guter Freund war, lernte er hoffentlich aus diesem Vorfall. Nach ein paar Schritten erreichte er das Schiffsdeck und sah Cine und May an der Rehling stehen. Sie sprachen leise miteinander, aber als Tavington ein wenig näher herantrat, konnte er sie verstehen. „Ach, Gott sei Dank!“ „Ich dachte auch, das hört nie auf. Wie oft mussten wir uns das jetzt schon anhören, Cine?“ „Keine Ahnung. Aber ich kann es langsam auswendig.“ „Du siehst etwas blass aus.“ „Wie kommst du nur darauf? Natürlich, schließlich bin ich wieder seekrank!“ „Was war auch anderes zu erwarten?!“ „Mir ist echt übel!“ „Ach, anderes Thema! Was glaubst du, wird uns in Britannien erwarten?“ „Tja, Feste und Lustbarkeiten!“ „Hach, drückst du dich heute wieder gewählt aus!“ „Entschuldigung! Aber wir werden sicher nicht das Gleiche machen, wie in Irland.“ „Das war mir klar. Ich find es nur beschränkt, dass wir von einem Ort zum anderen gebracht werden!“ „Ich verstehe, was du meinst. Denk nur einmal an meine Seekrankheit. Man sollte eine riesige Brücke bauen, damit man hinüberreiten kann. Oder man gräbt einen Tunnel. Das wäre doch viel sicherer!“ „Oh Cine! Wo gräbst du nur immer solche Ideen aus?!“ Sie lachten. „Du bist doch erst vor ein paar Wochen geritten, oder irre ich mich da?“ Cine nickte: „Ja, ein wunderschöner Hengst. Etwas stur, aber es lohnt sich auf ihm zu reiten. Hatte einen sehr guten Gang. Wahrscheinlich ist er in Amerika geblieben.“ „Klingt so, als hättest du seid langem mal wieder ein anständiges Pferd gesehen!“ „Ja, er war wirklich ein schönes Tier!“ „Ach, ich würde auch gern mal wieder eine Kutschfahrt ins Grüne unternehmen!“ „Hättest du vielleicht machen können, wenn du Bordon nicht so beschimpft hättest.“ „Hey, du hattest doch damit angefangen. Ich habe nur mitgemacht.“ Wieder lachten sie. Tavington hatte genug gehört. Er ging zurück in die große Offizierskabine. Er hatte schon nach dem Ausritt gewusst, dass Cine ganz vernarrt in diesen widerspenstigen Gaul war. Also hatte er vor der Abfahrt seine beiden Hengste, neben anderen wichtigen Offizierspferden, verladen. Normalerweise wäre dieser Tersker in Amerika geblieben und wahrscheinlich Schlachtvieh geworden, aber Tavington erkannte, dass er ihm noch helfen könnte, ein wichtiges Objekt seiner Begierde zu erobern. Die nächsten Tage tobte ein starker Sturm, der das Schiff hin- und herriss. Sie befanden sich mittlerweile zwischen England und Frankreich. Elanor hatte nichts besseres zu tun, als bei diesem Sturm an Deck zu gehen. Cine und May folgten ihr. Allerdings kam May bedeutend schneller voran als Cine, die mehr kroch als ging, da ihr der starke Seegang sehr zu schaffen machte. An Deck brachen die Wellen so hoch, dass das Wasser an der Rehling wieder ablief. Elanor stand fasziniert am Heck. May lief zu ihr, als gerade ein riesiger Brecher an das Schiff prallte und beide Irinen von den Füßen riss. Sie würden zur anderen Seite der Rehling gespült. Elanor durchbrach das Holzgerüst und stürzte in die Fluten. May hätte fast das selbe Schicksal ereilt, aber Cine torkelte zu ihr und hielt sie kurz vor dem klaffenden Durchbruch fest. Fast wären beide ins Meer gestürzt, aber Tavington hatte Cine’s Fehlen bemerkt und ging an Deck. Er zog beide zurück in die Kabine. Er hatte mächtig zu kämpfen, denn die beiden wehrten sich und wollten Elanor retten. Also stieß der Colonel Cine nach hinten und schlug May so hart ins Gesicht, dass sie augenblicklich ohnmächtig zusammensackte. Dann befasste er sich wieder mit Cine, die in Tränen ausbrach und auf ihn einschlug. Er hielt sie fest und fing an sie zu schütteln, damit sie wieder zur Vernunft kommen würde. Ein Matrose brachte May dann zurück in die Kabine, wo Ann-Maria sich um sie kümmerte. Colonel Tavington brachte Cine in seine Kabine und legte sie unter heftigem Protest auf seine Liege. Dort wollte sie natürlich nicht bleiben, aber Tavington drohte ihr: „Wenn Ihr Euch weigert, wird Lord Cornwallis davon erfahren!“ Cine wehrte sich immer noch, aber Tavington hatte nun genug. „Mylady, ich kenne viele Arten Euch hier ruhig zu halten! Wollt Ihr vielleicht einige dieser wirkungsvollen Praktiken kennen lernen? Es wäre mir ein Vergnügen!“ Cine war nun eingeschüchtert genug, um ruhig zu sein. Tavington nickte zufrieden und verließ seine Kabine. Die Nacht verbrachte er bei Bordon, der wieder einigermaßen hergestellt war. Elanor wurde noch in der selben Nacht von einem französischem Fischerboot aufgelesen. Um nicht zu ertrinken hatte sie sich an das Stück herausgebrochene Rehling geklammert. Am Morgen kam sie wieder zu Bewusstsein. Die Fischer bemerkten, dass sie englischsprachig war und schickten sie nach Paris. Zu dieser Zeit fand in Frankreich ein Aufstand statt. Der Adel wurde gestürzt und in Gefängnisse gebracht. Weil Elanor keine Französin war, sondern Staatsfeind, wurde auch sie in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht: die Bastille. Die Führer der Sansculotten verhörten die junge Irin. Glücklicherweise sprach sie ein wenig Französisch, da sie sich sehr für Rousseau’s Werke begeisterte. Elanor sagte, dass sie Lady Cornwallis wäre und ihre Schwester ein großes Vermögen besäße. Die Franzosen zwangen sie dann dazu, einen Brief mit einer Lösegeldforderung an ihre Schwester zu schreiben. Genau das hatte Elanor auch beabsichtigt. So würden ihre Freundinnen wissen, dass sie am Leben war und sie eventuell auch retten könnten. Einige Tage später saßen Cine, May und Ann-Maria in einer Burg in Plymouth. Lord Cornwallis hatte sich bei einem Aristokraten zu einem kurzen Aufenthalt entschieden. Er wollte weiter nach Edinburgh, wo er seine Burg hatte. General O’Hara und Colonel Tavington wurden ebenfalls dorthin versetzt. Nun kam Tavington in den Audienzraum und brachte einen Umschlag zu Cine. Lord Cornwallis folgte ihm. Tavington legte den Brief vor Cine auf den Tisch. Der Lord stand neben ihm und blickte ungeduldig zu seiner Enkelin. Diese öffnete zögernd das Couvert. Dann las sie den Brief und wurde bleich. Sie gab das Schriftstück weiter an May. Ann-Maria sah nervös zu May. „Was ist denn los?“ „Das würde ich auch gern wissen!“ meinte der Lord. Als May ihn sich durchgelesen hatte, sah sie Cine schockiert an. Als der Lord ihr den Brief entreißen wollte, um ihn selbst zu lesen, reagierte May blitzschnell und warf ihn ins Kaminfeuer. Der Lord sah Cine nun finster an. „Wie ihr wollt! Dann werde ich eben verbieten, dass ihr zurückschreibt! Vor allem du, Cine! Du bist jetzt in England, also benimm dich entsprechend.“ Mit diesen Worten gingen die beiden Engländer wieder aus dem Raum. Cine schleifte Ann-Maria in den Nebenraum und schloss die Tür. Diese protestierte, konnte aber kein Gespräch mehr mitverfolgen. May überlegte und versuchte Licht in die Situation zu bringen. „Eine Lösegeldforderung! Schlau eingefädelt! So wissen wir, wo Elanor ist. Naja, nicht genau, aber ...“ „Doch! Alle Staatsfeinde werden in der Bastille in Paris gefangen gehalten.“ „Ann-Maria muss es nicht wissen. Sie würde uns verraten. Allein unsere Reaktion vor Cornwallis hätte uns schon um Kopf und Kragen gebracht.“ „Ja, aber wegen Elanor müssen wir etwas unternehmen!“ „Wir müssen nach Frankreich. Zu zweit!“ „Ann-Maria wäre nur hinderlich. Ich sage, wir schleichen uns im Schutz der Nacht zum Pier und setzen über.“ „Ja, aber wir müssen auf unsere Bewacher aufpassen.“ „Ann-Maria lassen wir als Rückversicherung hier! Falls etwas schief geht, kann sie uns ja eine englische Armee hinterher schicken.“ May lachte. „Natürlich! Gerade Ann-Maria! Wenn wir Elanor haben, müssen wir aber zurück nach Plymouth!“ „Wenn wir nach Irland gehen würden, findet mich Lord Cornwallis ebenso. Langsam füge ich mich in mein Schicksal.“ Es wurde Nacht und Ann-Maria war noch immer eingesperrt. May hatte sich ein Rätsel ausgedacht, das auf ihren Aufenthaltsort und ihr Vorhaben hinweist. Sie hoffte, dass Ann-Maria es lösen könnte. Cine hatte die Wachen ausgeschaltet und nun schlichen beide über den Hof zu den Pferdeställen. Kurz vor dem Stalltor drehte May sich noch einmal um und sagte: „Hol du die Pferde, ich gehe schon zum Pier und mache eine Fahrt klar.“ „Du hast doch gar kein Geld!“ „Glaubst du! Bordon hat tatsächlich einen dicken Geldbeutel. Ich ziehe den Leuten eben nicht nur bei einem Kartenspiel das Geld aus der Tasche!“ Cine grinste nun gehässig und betrat den Stall. Allein würde May besser aus der Burg herauskommen. Und wenn Cine die Pferde hatte, würde sie auf der Stelle zum Schiff hetzen. Da ist es besser, wenn schon alles klar ist mit dem Ablegen. Als sie nun die Pferde begutachtete, wollte sie nur Hengste oder Wallache. Die waren ausdauernder und kräftiger. Cine ging an den Boxen vorbei und beurteilte jedes einzelne Tier. Ein Rappe, war ideal für May. Weicher Ausdruck und sehr leicht. Wahrscheinlich hatte er einen federnden Gang. Genau das richtige für eine schnelle Flucht. Cine band ein Seil um den Hals des Tieres und führte ihn aus der Box. Dann ging sie weiter. Ganz hinten hörte sie ein leises Schnauben. Überrascht stellte sie dann fest, dass es der weiße Hengst war, mit dem sie in Amerika ausgeritten ist. Es zog sich ein sanftes Lächeln über ihre Lippen. Schnell holte sie einen Sattel und zwei Zaumzeuge. Der Rappe wurde gesattelt, weil Cine keinen brauchte. Sie musste Zeit sparen. So legte sie beiden das Zaumzeug um und schwang sich auf den Hengst. Draußen fing es schon an zu dämmern und Colonel Tavington wanderte bereits Apfel essend über den kleinen Innenhof. Cine band den Rappen am Schimmel fest und preschte los. Unter verwirrten und erstaunten Blicken Tavington’s jagte sie an ihm vorbei und durch das offene Tor. Hinter sich hörte sie ihn schreien und die Soldaten der Burg erwachten nun zum Leben. Cine ritt weiter in Richtung Hafen, wo May schon auf sie wartete. Die Pferde kamen erst zum Stehen, als sie an Deck waren. Die Planke zum Steg wurde eingezogen und das Schiff legte augenblicklich ab. „Schöne Pferde. Sehr kräftig.“ „Danke. Wie lange wird die Überfahrt dauern?“ „Nicht lange. Zu Mittag müssten wir schon drüben sein. Sag mal, den Rappen kenne ich doch!“ Cine sah verwundert zu dem Pferd. „Du hast recht! Unsere erste Flucht!“ „Aber wieso ist er hier?“ „Das kann nur einen Grund haben!“ Cine sah unter den Sattel, da jedes Tier seinen eigenen hatte. Jetzt sah sie einen eingestickten Namen. „Das ist Bordon’s Pferd!“ „WAS?! So ein prachtvolles Tier soll ausgerechnet diesem Narren gehören?“ „Tja, nun nicht mehr!“ meinte Cine schmunzelnd. May beruhigte sich wieder. „Nun, da hast du recht! Jetzt gehört er mir.“ „Mach ihn noch bereit. Wenn wir loswollen, müssen wir uns Kleidung suchen und das muss schnell gehen!“ May schnallte ihm den Sattel korrekt um und legte ihm das Zaumzeug passend an. Cine hatte auch einige Striegel mitgenommen, denn der Schimmel war ziemlich dreckig, anders als der Rappe. May besah sich das eine Weile, ehe sie dann sagte: „Weißt du, wenn die Pferde jetzt uns gehören, können wir ihnen auch Namen geben! Ich nenne meinen Sherek! Und du?“ „Hmm, wenn wir zurück sind, müssen wir sie wahrscheinlich wieder abgeben. Arod finde ich schön!“ „Arod, ist das nicht gälisch für geschwind?!“ „Ja, aber Sherek bedeutet Pfeil, habe ich recht?!“ May nickte. Dann setzten sich beide an die Bordwand und hingen ihren Gedanken nach. Gegen Mittag legten sie an einem französischem Hafen an. Sie führten die Pferde vom Schiff und hielten nach einem Dorf Ausschau. Sie fanden dann auch schnell eines und May stahl unauffällige Kleidung. Sie hatten beide Pantalons und eine Jakobinermütze, dann noch schwarze Mäntel, damit sie in der Dunkelheit verborgen blieben. Als Cine das sagte, hätte May fast einen Lachanfall bekommen. Ausgerechnet mit einem weißen Pferd in die Nachtschwärze eintauchen. Das konnte sich May nur schwer vorstellen. Endlich begannen sie ihre lange Reise nach Paris. Leider tobte schon bald ein Gewitter und der Regen durchnässte die Irinen. Nach drei Tagen unaufhörlichem schlechten Wetters kamen sie nachts an einen Hügel, von dem aus man die Hauptstadt von Frankreich überblicken konnte. In der Stadt sah ein einzelner Mann, der die leeren Häuser plünderte, zwei Gestalten im Regen wenn Blitze hinter ihnen zuckten. Am nächsten Morgen ging schon das Gerede von zwei Geistern um. Im Morgendunst ritten dann auch Cine und May durch die Hauptstadt und wurden von zahlreichen ängstlichen Blicken und Geflüster verfolgt. Cine wurde langsam unruhig und raunt May zu: „Kannst du Französisch?“ „Ich bin froh, dass ich Gälisch und Englisch kann. Wie soll ich da noch Französisch in meinen Kopf kriegen?!“ „Dafür bist du aber nicht sehr angespannt.“ „Äußerlich nicht!“ Kurz darauf wurden sie von einer Sansculottentruppe aufgehalten. Ein Mann kam auf sie zu und wollte ihre Papiere sehen. Cine blickte nun erwartungsvoll zu May, die noch immer vollkommen ruhig war: „Naturellement!“ Sie reichte ihm zwei Fetzen Papier. Er sah sich diese Schriftstücke an und erlaubte ihnen weiterzureiten. Cine sah May nach der Kontrolle überrascht an. „Was zum? Woher hast du die denn?“ „Ein kleiner Raubzug, als du geschlafen hast! Dein Name ist jetzt übrigens Chevrette le Glaive! Ich bin Cygne L’épreuve.“ „Das kann ich mir doch nie merken!“ „Solltest du aber! Wir werden noch öfter danach gefragt werden, Chevrette.“ Cine schüttelte resignierend den Kopf. „Wie du meinst. Was haben wir jetzt vor?“ „Erst mal müssen wir Elanor aus der Bastille befreien. Wohlgemerkt das sicherste Gefängnis in Frankreich!“ „Hast du einen Plan?“ „Wenn du schon mit deinen Plänen anfängst!“ „Ich dachte, wir stürmen rein, holen sie raus und blasen dann zum Rückzug!“ „Wie geistreich! Am besten, wir holen sie mit irgendeiner List raus. Das dumme ist nur, dass wir keinen kennen!“ „Wir sollten uns ein Quartier suchen und erst mal die Stadt auskundschaften.“ May stimmte ihr zu. Sie steuerten nun eine Schenke voller Sansculotten an. Sie hieß chez hirondelle. May meinte, dass man sie in einem Haufen Feinde kaum erkennen würde. Sie stiegen von den Pferden und Cine brachte sie in den Stall neben dem Wirtshaus. May machte derzeit die Bezahlung für die Zimmer klar. Dabei musste sie vorsichtig sein, denn man durfte sie nicht als Gegner erkennen. Sie schaffte es dann auch, als Cine eintrat. Beide bekamen ein Zimmer im Obergeschoss, das noch verhältnismäßig billig war. Langsam ging nämlich Bordon’s Geld zur Neige. Sie richteten sich ein wenig ein, denn sehr viel hatten sie ja nicht dabei. Dann setzten sie sich auf eins der Betten. „Und nun?“ wollte Cine wissen. „Keine Ahnung! Wir sollten uns erst mal ausruhen und auf unser Glück vertrauen.“ „Glück?! Davon hatten wir bisher nicht viel!“ „Umso größer sollte unsere Hoffnung darauf jetzt sein!“ Cine kapitulierte und legte sich hin um Löcher in die Decke zu starren. May stützte ihren Kopf in die Hände und hoffte, dass sich ihr Schicksal verbesserte. Außerdem dachte sie jetzt wieder an Ann-Maria, die in England zurückgeblieben ist. Hoffentlich hatte sie das Rätsel gelöst und zwar ohne es den Engländern zu zeigen. Aber May wusste nicht , dass genau das passiert war. In Plymouth hatte Colonel Tavington Schererein, weil er Cine aus den Augen gelassen hatte. Das Rätsel hatte man gefunden und mit Ann-Maria’s Hilfe auch gelöst. Lord Cornwallis hatte viel Geld ausgegeben, um Tavington und Bordon einen falschen französischen Ausweis zu besorgen. Er trug den beiden auf, nach Frankreich zu gehen und die drei Irinen zu finden. Allerdings sollten sie sich nicht ohne Not in deren Angelegenheiten mischen, sondern nur beobachten. Der Lord wollte wissen, wie Cine sich verhält, wenn sie unbeobachtet scheint. Bordon hieß nun Pierre Cochon und Tavington trug den Namen Jacques Carnage. Beide machten sich auf den Weg nach Frankreich. Sie sprachen auch sehr gutes Französisch, anders als O’Hara. Der war sowieso kein Mann der Tat. In einem Dorf kurz vor Paris erfuhren die zwei Engländer von zwei angeblichen Geistern auf Pferden, die sich nun in der Hauptstadt herumtreiben sollten. In der Tat machten May und Cine nachts zahlreiche Ausflüge, um Pläne zu schmieden und Fluchtwege auszuloten. Bisher kam ihnen auch niemand auf die Schliche. Aber als Tavington die Beschreibung der beiden Geister hörte, wusste er sofort, dass es sich um die beiden jungen Frauen handelte. Er ritt zusammen mit Bordon in die Stadt und suchte sich eine Schenke, in der sie übernachten könnten. Er fand eine namens chez aigle. Tavington fand es schon sehr verwunderlich, dass hier alle Kneipen den Namen von Vögeln hatten. Diese Schenke war die Zweite in der Straße. Etwas weiter in Richtung Nôtre Dame war eine andere. Sie trug den Namen chez hirondelle, aber die beiden Wirtshäuser betrieben einen gemeinsamen Pferdestall, zu dem der Colonel nun auch unterwegs war. Als er zusammen mit Bordon die Pferde versorgte, bemerkte er eine gewisse Unruhe im Stall, die von einem weißen Pferd ausging. Er ging näher zu der Box mit dem Tier, um es sich anzusehen. Es war ein Tersker, sehr kräftig und gute Statur. Er erkannte das Tier sofort und wusste nun auch, dass Cine in einer der beiden Schenken war. Bordon kam hinzu und sah nun auch den Rappen in der anliegenden Box. „Hey, das ist doch mein Pferd!“ Tavington grinste. „Hol unsere Pferde und stell sie in die anliegenden Boxen! Ich mache die Bezahlung für unsere Zimmer klar.“ Bordon tat, was man ihm angeordnet hatte und ging anschließend zurück zu seinem Befehlshaber. Als Cine am Abend die Pferde rausholen wollte, bemerkte sie nicht, wie jemand hinter ihr herschlich. Für Tavington war es ein leichtes sie zu finden. Aber Cine erkannte einen English Hunter neben ihrem Hengst. Sie sah ihn sich genauer an. „Irgendwoher kenne ich dich doch?! Leider ist es mir entfallen!“ Das Pferd sah sie scheinbar neckisch an. Cine runzelte die Stirn und ging weiter zu Sherek und Arod. Sie machte die beiden fertig für einen erneuten nächtlichen Ausritt, obwohl diese langsam gefährlich wurden. Die Sansculotten waren wegen dieser Geistergeschichte langsam auf der Hut, aber May bestand darauf sich weiter mit dieser Stadt vertraut zu machen. Cine führte die Tiere nun in eine Seitengasse, von der aus beide stets ihre Erkundungen durchführten. Doch diesmal war es etwas anders. Tavington und Bordon hatten sich den Sansculotten angeschlossen und genossen hohen Respekt. Sie trugen die typische Uniform dieser Soldaten und folgten Cine und May in dieser Nacht unauffällig. Natürlich hörten sie dann auch sämtliche Gespräche der beiden. May und Cine ritten langsam durch die Stadt. May kannte sich schon besser aus. Cine fiel es dagegen schwer sich die vielen Wege zu merken. „Siehst du, dieser Weg ist der belebteste und führt direkt aus der Stadt hinaus.“ Cine nickte. Sie brauchte May’s Wissen, wenn etwas schief gehen sollte. „Und diese Straße ist sehr belebt in der Nacht.“ „Warum?“ „Hier sind die ganzen Bordelle und zwielichtigen Kneipen.“ erklärte May. „Wenn wir nachts fliehen, wird es voll mit Soldaten sein! Am Tage jedoch wird diese Straße ratsam sein. Auf alle Fälle müssen wir die kleinen Seitengassen meiden. Die würden uns nur verwirren.“ Cine blickte sich ständig um. „Was machst du denn da?“ „Ich glaube, uns verfolgt jemand.“ „Das bildest du dir ein!“ „Mag sein das dein Orientierungsvermögen hervorragend ist, aber in solchen Sachen habe ich den siebten Sinn! Lass uns etwas schneller reiten!“ Sie trieben jetzt die Pferde zu einem leichten Trab an. Nach einiger Zeit hielten sie schlagartig an. May lauschte in die Dunkelheit: „Ich höre keine Hufschläge. Die Zeit in Irland als Waldläufer hat dich wohl paranoid gemacht!“ Cine blickte sich noch einmal in die Dunkelheit um. „Haben mich meine Fähigkeiten verlassen?“ „Mach dir keine Sorgen und vor allem, zweifle nie an dir selbst. Die Atmosphäre ist einfach ... furchterregend! Da hört man schon mal Sachen, die nicht da sind.“ In Wahrheit hatte Cine sich nicht verhört. Tavington und Bordon haben ihren Pferden Stoffe über die Hufe gespannt, damit sie leiser unterwegs waren. Jetzt standen sie in der Dunkelheit und konnten die Irinen genau sehen. Sie hörten Cine wieder reden. „Glaubst du, dass es hier Geister gibt?“ „Aber Chevrette! Die Geister sind doch wir!“ „Ich meine ja nur ... vielleicht gibt es hier irgendwelche Monster, Dämonen oder Untote.“ Cine verzog bei dem Gedanken den Mund. „Selbst wenn es die hier gäbe, würdest du sie bestimmt besiegen und mich, die holde Maid, retten!“ „Ja, da liegst du richtig. Die haben keine Chance gegen mich.“ May lächelte. Das funktionierte doch immer wieder, vor allem zu Samhain. Die beiden ritten nun weiter zur Bastille. Tavington und Bordon folgten in der Dunkelheit. Cine hörte immer noch fremde Hufe und dachte schon, sie würde vollkommen unter Verfolgungswahn leiden. Sicherheitshalber sagte sie nichts zu May. Allerdings ritt sie ein wenig hinter ihr, damit sie sich ab und zu umdrehen konnte, ohne dass May es mitbekam. Als sie vor der Bastille ankamen, beobachteten sie die Aktivitäten. „Die Soldaten haben alle zwei Stunden Wechsel. Wir müssten kurz vorher zuschlagen, wenn sie nachlässiger werden!“ meinte May nachdem sie die Lage eingeschätzt hatte. „Das Reinkommen war nie das Problem, dafür aber das Ausbrechen!“ entgegnete Cine. „Ich weiß. Lass uns wieder zur Schenke reiten. Ich finde dieses Gefängnis irgendwie ... beängstigend!“ Kurz darauf lagen die beiden wieder schlafend in ihren Betten. Tavington und Borden saßen in ihrem Zimmer am Tisch und fassten die Lage zusammen. „Colonel, war es nicht erstaunlich, dass Lady Cornwallis uns fast bemerkt hatte!“ „Ja schon, aber wir müssen sie von der Bastille fernhalten! Sonst kommt sie nie wieder zurück zu mir!“ „Und wie sollen wir das machen?“ „Ich werde mal mit den Sansculotten reden. Vielleicht können die Elanor Baggins aus dem Gefängnis holen.“ „Warum sollten die das machen?“ „Paris ist doch die Stadt der Liebe, oder?“ Beide lachten dreckig und stießen mit Wein auf diese Idee an. Tavington setzte am nächsten Abend seinen Plan in die Tat um. Er trat hinunter in den Schankraum und setzte sich zu den angetrunkenen französischen Soldaten. Einer fing gleich an von der irischen Gefangenen zu reden. „Die soll ja ’ne echte Schönheit sein! Schade, dass sie im Gefängnis sitzt! Ich hätte sicherlich noch eine Verwendung für sie!“ „Ich bitte dich, unsere Anführer haben sie einsperren lassen!“ „Was denkst du, Jacques? Die müsste man doch noch da raus bekommen!“ sagte nun Pierre zu seinem Freund. Dieser erkannte sofort das Stichwort. „Bestimmt, ihr habt doch so gute Kontakte zu den Wachen der Bastille! Ihr könntet sie doch eintauschen. Gegen Geld oder Naturalien.“ Die Franzosen überdachten diesen Vorschlag. Dann stimmten sie zu. Sie würden die Irin am nächsten Morgen rausholen und dann ihren Spaß mit ihr haben. Tavington war zufrieden. Diese Franzosen waren einfach zu leicht zu manipulieren. Cine und May wollten in der selben Nacht noch einmal heraus. Cine sollte versuchen so nah wie möglich an das Gefängnis heranzukommen. May dagegen wollte die Wachen ablenken. Gegen Mitternacht und kurz vor Wachablösung starteten sie den Plan. May wurde von den Wachen verfolgt und Cine ritt langsam an den Gebäudekomplex heran. Dann hörte sie hinter sich ein leises Schnauben. „Cygne?“ Cine sah sich unsicher um. In dem Moment fühlte sie sich angreifbar, denn May war nicht da, um sie zu beruhigen. Außerdem hatte sie nichts weiter dabei, als einen Dolch. Gegen ein Gewehr oder einen Säbel hatte sie keine Chance. Arod tänzelte nun auch unruhig hin und her. Das war kein gutes Zeichen, das wusste Cine. Kurzerhand entschloss sie sich, die Aktion abzubrechen und zu flüchten. In dem Moment kamen zwei Pferde aus der Dunkelheit herausgeprescht. Auf ihnen saßen zwei große, vermummte, schwarze Gestalten. Als das erste Pferd Cine erreicht hatte, stieg es und hätte Arod fast mit seinen Hufen erwischt. Cine schrie auf, wendete ihren Hengst und galoppierte davon. Die beiden anderen Pferde waren direkt hinter ihr und hatten sie schon beinahe erreicht. Cine schlug den Weg zu der Bordell- und Kneipenstraße ein. Sie ritt in einem beängstigenden Tempo und trieb den Hengst noch mehr an. Unterwegs jagte sie an May vorbei, die gerade die Wachen abgeschüttelt hatte. Um den beiden Verfolgern zu entkommen, lenkte Cine ihr Pferd in die schmalen Seitengassen. Die zwei Gestalten ließen sich aber nicht abschütteln. Bald erreichte Cine auch noch eine Sackgasse. Sie drehte Arod kurz vor der Mauer um und stand den Schreckgestalten nun gegenüber. Angst loderte in ihren Augen. Arod legte die Ohren an und scharrte aggressiv mit dem Vorderhuf. Plötzlich drehten die Schwarzen um und galoppierten wieder weg. Cine saß noch wie erstarrt auf ihrem Pferd. Nach einer Weile kam May angeritten. „Cine, was ist passiert? Bist du verletzt?“ „Nein, ich glaube nicht.“ „Wer waren diese Kerle?!“ „Ich weiß nicht, aber sie haben plötzlich von mir abgelassen.“ „Ist ja seltsam. Lass uns wieder zurückreiten.“ Tavington und Bordon kamen schwitzend wieder in ihrem Gasthaus an. Als sie in ihrem Zimmer waren, begann Bordon schallend zu lachen. „Das hätte man porträtieren müssen! Der Blick sagte alles!“ Tavington legte sich auf sein Bett und grinste. „Ja, sie hatte wirklich Angst. Das heißt auch, dass sie uns nicht erkannt hat.“ „Ja, aber sie hat uns ganz schön ins Schwitzen gebracht! Hätte ich nie für möglich gehalten, dass sie so schnell ist.“ „Wir müssen sie nur noch darauf hinweisen, dass die Irin morgen aus dem Gefängnis kommt.“ „Das mache ich, ich habe schon eine Idee.“ „Gut! Aber lass dich nicht von ihnen erwischen!“ In der anderen Schenke hatte sich Cine gerade gewaschen und in ein Handtuch gewickelt. Sie saß auf dem Bett und der Schock über die Verfolgung saß noch tief. May hatte sich derweil um Arod gekümmert, der ebenfalls völlig verschwitzt war. Bordon hatte den Sansculotten in Cine’s Schenke von der Irin erzählt, die bald freigelassen wird. Diese diskutierten jetzt lebhaft darüber und Bordon steckte eine Nachricht durch Cine’s Zimmertür. Diese bekam es mit und las sie. Sie war in Gälisch und berichtete von Elanor’s Freilassung. Unterschrieben war sie mit „ami du soupirant“. Cine wusste nicht wirklich, was sie damit anfangen sollte. In dem Augenblick betrat May auch schon das Zimmer. „Ich glaube, die da unten reden von Elanor!“ „Wie kommst du darauf?“ „Na ja, alles was ich verstanden habe, drehte sich um Bastille, Prinzessin und chez aigle.“ „Es könnte sich auch um eine französische Prinzessin handeln!“ „Natürlich! Mit dem Namen Cornwallis!“ „Ach so. Da fällt mir wieder ein, ich habe vorhin einen Zettel zugespielt bekommen. Hier!“ Cine zog ihn hervor und reichte ihn May. Die las ihn sich durch und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Ami du soupirant? Was ist das denn? Aber da scheint es jemand gut mit uns zu meinen. Elanor wird morgen früh aus der Haft entlassen und als Hure im chez aigle sein.“ „Was bringt uns das?“ „Ich habe einen Plan!“ „Stürmen, Töten, Fliehen?“ „Nein, umfassender! Ich schleiche mich als Schankmädchen rein und du machst diesmal die Pferde klar! Verstanden!“ „Warum? Ich kann doch ebenso gut als Kellnerin ...“ „Nein! Ich werde das machen. Du würdest am Ende nur eine Schlägerei anfangen.“ „Würde ich nicht!“ „Ich mache das! Schluss! Du kümmerst dich um die Pferde! Schluss! Keine weitere Diskussion!“ Am nächsten Tag wurde Elanor aus der Bastille geholt. May stahl am Nachmittag ein Kleid und zog sich um. Dann ging sie rüber zu chez aigle und fand Elanor auch augenblicklich. Sie steckte in einem ziemlich gewagtem Kleid und wurde von einigen Männern, die schon früher kamen, angestarrt. In einer dunklen Ecke saßen Tavington und Bordon und beobachteten die Situation. Sie erkannten May, die sich offenbar als Bedienung ausgab. Am Abend sollte Elanor zum ersten Mal an den Höchstbietenden für eine halbe Nacht verkauft werden. May kam bisher noch nicht an sie heran. Und ihre Zeit wurde knapp. Elanor hatte May schon mitbekommen, zeigte aber nicht, dass sie sie kannte. Nun wurde die Schenke voller. Langsam wurde es draußen dunkler und der Wirt begann nun sich die Gebote anzuhören. May wurde nervös. Sie kam noch immer nicht an ihre Freundin heran. Tavington sah das und lächelte müde. „Captain Bordon. Warum ist Cine wohl nicht hier?“ „Ich weiß nicht. Vielleicht existiert ein Ausweichplan.“ „Hmm, kann sein. Oder irgendetwas geht hier schief.“ Elanor wurde immer unruhiger. Cine stand draußen im Dunkeln und hielt die beiden Pferde bereit. Sie konnte durch ein zwei Meter großes Fenster in den Schankraum sehen. Sie hatte ein wenig Angst. Schließlich wurde sie erst gestern von zwei unheimlichen Gestalten verfolgt. Cine war in der Hinsicht sehr abergläubisch, was normal für Iren war. Doch diesmal hatte sie vorgesorgt. Ohne May’s Wissen hatte sie sich einen Säbel besorgt. Elanor wurde nun an einen Typen namens Babtiste verkauft. Sie wurde gleich in ein Zimmer gebracht. Sie setzte sich zwar zur Wehr, aber der Franzose war zu stark. May sah jetzt ihre Chance und ging den beiden unauffällig hinterher. Oben angekommen nahm sie sich eine Weinflasche und schlug damit den Franzosen bewusstlos. Elanor liefen Tränen über die Augen. Sie lief auf May zu und umarmte sie fest. Dann fing sie an zu weinen. „Beruhige dich, Elanor! Wir müssen erst noch hier heraus. Es gibt unten im Keller ein kleines Fenster zum Hinterhof hinaus. Dort werden wir uns jetzt hinschleichen, verstanden?“ „Ja, ich glaube schon.“ „Gut, dann los.“ May nahm sie bei der Hand und schlich mit ihr die Treppe hinunter. Vor dem Schankraum bogen sie ab und stiegen eine weitere Treppe runter. Sie kamen zu einem spinnwebenverhängten Raum. Dort waren zahlreiche Regale mit Weinflaschen. Endlich sahen sie auch das Kellerfenster und May versuchte verzweifelt es zu öffnen. Doch es saß zu fest. Plötzlich schrie Elanor. May drehte sich schockiert um und sah den niedergeschlagenen Franzosen, der Elanor im Genick gepackt hatte. May fand am Boden einen Schürhaken und griff damit den Franzosen an. Sie erwischte ihn auch und er brach verletzt zusammen. Im Schankraum unterdessen hatte man mitbekommen, dass etwas nicht stimmte. Einige Sansculotten kamen in den Keller gestürmt und nahmen May und Elanor fest. Unter großem Protest wurden die zwei wieder hoch in den Schankraum gebracht. Tavington war schockiert. Nun hatte er die Flucht fast allein vorbereitet und dann war diese Irin nicht in der Lage seinen Plan auszuführen. Cine stattdessen beobachtete das Geschehene durch das Fenster und machte sich nun Sorgen. Kurzerhand entschied sie sich für ihren Ursprungsplan: Stürmen, Töten, Fliehen. Sie setzte sich auf ihren Hengst und ließ den anderen allein. Dann ritt sie ein Stück zurück und hatte jetzt das Fenster genau im Visier. Nun preschte sie los. Arod sprang mit einem Satz durch das geschlossene Fenster. Das Glas zerbrach tausendfach. Tavington und Bordon trauten ihren Augen nicht. Cine stand nun mit dem Pferd in der glücklicherweise hohen Schenke. Arod wieherte und trat nervös und aggressiv hin und her. May spürte, wie der Soldat sie durch den Schock losließ. Sie sah ihre Chance und schnappte sich Elanor. Dann rannte sie mit ihr raus zu dem Rappen. Cine, die sich nun mit zahlreichen Gewehren, Pistolen und Säbeln konfrontiert sah, ergriff lieber die Flucht. Beim zweiten Sprung durchs Fenster, mussten Cine und Arod einige weitere Kratzer einstecken. May und Elanor waren schon am Ende der Straße und Cine jagte hinterher. Beide ritten nun so schnell sie konnten zum Stadtende. Doch ihnen stellte sich ein einzelner Sansculotte in den Weg. Die Pferde hielten kreischend an. May war entsetzt. Cine dagegen sprang von ihrem Hengst und ergriff den Soldaten. Sie hielt nach einem kurzen Kampf seinen Hals in der Armbeuge. Der Soldat konnte sich nicht mehr wehren und Cine blickte nun hilfesuchend zu May. „Was soll ich denn jetzt machen?“ „Bring ihn um!“ „Dann hätte ich ihn auch niederreiten können!“ „Ich weiß, aber er könnte unsere Spur nachvollziehen. Außerdem, was willst du denn sonst mit ihm machen?“ Tavington und Bordon hatten es geschafft sie zu verfolgen und sahen sich diese Szene an. Cine sah sich jetzt verschüchtert um. „Wir könnten ihn fesseln und irgendwo verstecken.“ „Dann stirbt er einen qualvollen Hungertod!“ „Aber ich werde ein schlechtes Gewissen haben!“ „Ich habe dir gesagt, du sollst ihn töten, also hattest du keine andere Wahl.“ Cine zog ihren Dolch und hielt ihn dem Soldaten an den Hals. Dann schnitt sie ihm beherzt die Kehle durch. Der Mann fiel reglos zu Boden. Elanor konnte nicht hinsehen und auch May musste sich beherrschen, damit sie sich nicht übergibt. Cine lief das warme Blut über die Hände und ihr wurde kurz schwarz vor Augen. „May, reite schon mal vor!“ Der Rappe lief los und Cine stand mit dem Schimmel bei dem Toten. Tavington nickte anerkennend. „Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut! Ich bin wirklich beeindruckt!“ Bordon nickte überrascht. „Ja, wie gut, dass sie uns noch nicht mitbekommen hat.“ Cine stand gelähmt auf der Straße. Dann sah sie zu Arod. „Ich hätte nie vermutet, dass töten so einfach ist. Davon reden ist das eine, aber wirklich töten das andere. Hoffentlich kriege ich kein schlechtes Gewissen.“ Arod schnaubte kurz und stupste sie an. „Du hast recht! Wir müssen weiter!“ Cine stieg wieder auf und ritt zum Hügel vor der Stadt, auf dem May schon wartete. Einige Tage darauf waren sie wieder in Plymouth. Cornwallis hatte die Stadt mit Ann-Maria bereits verlassen und war nach Edinburgh gereist. Da er die junge Irin dabei hatte, hatten Cine, May und Elanor keine andere Wahl als hinterher zu reisen. Tavington und Bordon hatte es geschafft eher wieder in Britannien zu sein und warteten somit auf die Nachzügler. Sie wollten sie noch beobachten und eingreifen, falls die drei Irinen ihre Pläne änderten. May wusste davon nichts, war aber trotzdem guter Laune. Schließlich hatte sie es geschafft Elanor zu befreien. Cine bekam eine Kutsche, die Cornwallis ihr dort gelassen hatte. Nun spannte sie die Pferde davor. May bekam etwas Geld von einem vertrauenswürdigen Aristokraten und Freund des Lords und kaufte damit Vorräte und Kleidung. Einige Zeit später fuhren sie in der Kutsche Richtung Schottland. Tavington und Bordon verfolgten sie noch immer unbemerkt. Kurz vor Edinburgh überholten sie die Kutsche und ritten zur Burg Cornwallis’. Ein starkes Gewitter herrschte zu der Zeit und die Wege waren sehr schlammig. Somit blieb die Kutsche etwa zwei Stunden vor der Burg stecken. Cine, die die ganze Zeit die Pferde gelenkt hatte, fluchte nun und stieg ab. Schon nach kurzer Zeit war sie völlig durchnässt und versuchte das Rad, das stecken geblieben war, wieder zu bewegen. Da das nicht möglich war, klopfte sie an die Holztür der Kutsche. May öffnete sie und schaute hinaus. „Was ist denn los? Warum geht es nicht weiter?“ „Das Rad ist stecken geblieben. Ich komme nicht mehr heraus. Ihr müsst aussteigen!“ Elanor meldete sich: „Was? In dem Regen?!“ May zog sich einen Mantel über und stieg aus. Elanor tat das Gleiche. Beide rannten nun durch den Schlamm zu einem Baum, den sie als Unterstand nutzen wollten. Cine versuchte weiterhin das Rad frei zu bekommen. In der Burg saß Tavington neben Cornwallis und O’Hara am prasselnden Kaminfeuer und wärmte sich. O’Hara meldete sich nun zu Wort: „Colonel, Ihr sagtet doch, die Irinen würden bald ankommen!“ Cornwallis schaute von seiner Lektüre auf. „Das ist wahr. Colonel?“ „Ich verstehe es auch nicht. Sie müssten längst hier sein! Am besten wäre es, wenn ich mich auf die Suche mache.“ „Tut das Colonel, ich will nicht, dass sie doch noch zurück nach Irland gehen! Schließlich soll meine Enkelin heiraten!“ Tavington fluchte als er wieder aufs Pferd stieg und mit zwei anderen Offizieren in den Regen hinaus ritt. Er konnte nicht fassen, dass die Irinen eine Freundin zurücklassen würden, obwohl sie gerade eine andere unter Einsatz ihres Lebens gerettet hatten. Nach einiger Zeit sahen sie die Kutsche im Schlamm stecken. Tavington ritt näher und sah eine Gestalt, die sich am Rad zu schaffen machte. Er lächelte hämisch, als er Cine erkannte. Diese war schon über und über mit Schlamm bedeckt. Dann trat May hinzu und versuchte fachkundige Anleitung zu geben. „Was machst du denn da?! Du musst das mit mehr Gefühl machen!“ „Wenn du so gut weißt, wie es geht, dann mache es doch selbst!“ „Such dir doch ein paar Stöcke und leg sie vor das Rad! Dann kann es greifen!“ „Noch ein Wort und ich lasse das hier!“ Bald war ein Streit ausgebrochen und die beiden wälzten sich im Schlamm. Elanor kam angerannt, um die Auseinandersetzung zu schlichten. Dabei rutschte sie aber aus und fiel ebenfalls in eine Pfütze. Cine und May ließen jetzt schimpfend voneinander ab. May kroch hinter die Kutsch und Cine sah sich plötzlich einem ziemlich großen Pferd gegenüber. Tavington sah sie grinsend an. „Mylady, wie ich sehe, seid Ihr wieder zu Hause.“ „War das eine Anspielung auf die Schlammpfütze?!“ fragte Cine wütend. „Ihr solltet etwas netter zu mir sein, denn schließlich könntet Ihr mich heiraten.“ „Keine Sorge, aber das werde ich zu verhindern wissen.“ Colonel Tavington stieg vom Pferd und half Cine wieder auf die Beine. Diese hatte aber keine Lust darauf und rutschte absichtlich aus. Damit zog sie ihn soweit herunter, dass er das Gleichgewicht verlor und sich im nächsten Moment im Dreck wiederfand. Cine stand nun lachend ohne Schwierigkeiten auf und spannte die Pferde aus. May sah das Ganze und musste aufpassen, nicht vor Lachen umzufallen. Tavington dagegen fluchte und stand trotzdem würdevoll wieder auf. Er stieg auf sein Pferd und ritt zu Cine. „Ihr solltet aufpassen, was Ihr tut! Lord Cornwallis wird das nicht sehr gern hören!“ „Das mag sein, aber das ist mir egal! Ich habe jetzt nämlich wieder gute Laune.“ May lächelte amüsiert und half Elanor auf den Rappen. Cine stieg auf den Schimmel. Tavington entschied sich dafür einen Trumpf auszuspielen und griff in die Zügel des weißen Hengstes. Cine war empört. „Was soll das?!“ „Ihr sitzt auf meinem Pferd, Mylady und ich nehme mir nur, was mir ohnehin gehört!“ Cine war schockiert. Das konnte sie nicht glauben. „Arod gehört Euch?“ „Ja, er war mein Handpferd in Amerika.“ „Das kann nicht sein!“ Tavington beugte sich nun zu Cine und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Dann flüsterte er ihr ins Ohr: „Sieh ihn doch als Hochzeitsgeschenk!“ May wusste, dass Cine damit allein fertig werden musste. Sie konnte ihr nicht mehr helfen. Selbst wenn sie fliehen würden, würden die Engländer sie finden. So konnte sie jetzt nur noch auf Ann-Maria’s Freilassung beharren und dann war jedem sein restlicher Weg freigestellt. Cine blickte nun abwesend zu Tavington und sagte: „Langsam habe ich genug von dem Ganzen! Sie sind ein penetranter, impertinenter, kalter, unverschämter und respektloser Dreckskerl! Wenn Sie glauben, ich gehe auf Ihr und Großvaters dummes Spiel ein, dann haben sie sich geirrt!“ Tavington konnte sich nur ein überlegenes Grinsen abringen. Das machte Cine noch wütender: „Das Grinsen wird Ihnen gleich vergehen! Dafür sorge ich!“ Mit diesem Versprechen trat sie dem Hengst in die Seiten, er riss sich von Tavington los und galoppierte in den angrenzenden Wald. Tavington war ein wenig irritiert, setzte ihr aber sofort allein nach. Cine kannte die Gegebenheiten Schottlands nicht, ihr Hengst dafür umso mehr. Tavington war sehr schnell direkt hinter ihr. Plötzlich schwenkte der Schimmel ein wenig nach links und stieg einen Felsen empor. Dort galoppierte er eine Weile auf der schmalen Anhöhe weiter, während der Colonel kaum einen Meter entfernt, aber zwei Meter unterhalb, ritt. Das ging eine Weile so, bis Arod weiter nach links schwenkte und in den riesigen Felsspalten verschwand. Der Colonel fluchte leise und ritt zurück nach Edinburgh. Cine dagegen ritt einen zerklüfteten Berg hinauf und genoss bis zum Abend die Aussicht. May und Elanor wurden zu Ann-Maria gebracht, die in einem Turmzimmer saß. Dieses Zimmer besaß nur eine Tür und einen Kamin. Die Fenster waren zugemauert und die massive Holztür verriegelt. Ann-Maria freute sich sehr ihre beiden Freundinnen wieder zu sehen, vor allem Elanor. May setzte sich resignierend auf das Sofa. Mehr gab es nicht in diesem Raum. Die anderen setzten sich schon bald dazu. Elanor sah May besorgt an. „Was ist denn los?“ „Ach, ich hoffe nur, Cine kommt nicht und rettet uns!“ Ann-Maria fragte verwirrt: „Wieso nicht? Das wäre doch gut!“ May sah sie zweifelnd an: „Gut?! Ja, und wie! Sie läuft den Engländern in die Arme und uns ist dann wieder nicht geholfen!“ „Ja, aber was machen wir, wenn sie nicht kommt?“ fragte Elanor. „Allein herauskommen, was denn sonst?!“ „Und wenn sie uns hängen?“ Ann-Maria flackerte Angst in den Augen. May schüttelte den Kopf. „Sie werden Hoffnung haben, dass Cine wieder kommt. Allerdings ist das dann ihr vorläufiges Ende!“ Panisch fragte nun Ann-Maria: „Was meinst du damit. Ich dachte sie soll heiraten und nicht sterben. Oder wollen sie sie erst heiraten und dann töten, um mit dem Erbe zu leben?!“ May schnaubte nun verächtlich. „Das war metaphorisch! Ich meinte damit, dass ihre Freiheit vorbei ist.“ Es war jetzt kurz nach Mitternacht und Cine hatte sich einen Plan überlegt, die anderen herauszuholen. Sie resümierte ihn vor Arod, der sie pferdegemäß, aufgrund ihrer Gestik, nur neugierig anstarrte. „Ich habe mir das so gedacht: Wir reiten hinein, töten und fliehen! Wenn das kein Plan ist! O.K. es ist ein blöder Plan. Aber was soll ich schon machen? Wenn ich drin bin, übernimmt May sowieso die Führung und holt uns raus. Das Problem ist nur, sie zu finden. Aber ich bin zuversichtlich, dass ich diese herausragende Aufgabe meistern werde! Dann, nach diesem glorreichen Siegeszug, werde ich die grüne Insel von der englischen Vorherrschaft befreien, die Monarchie absetzen, meine Widersacher bezwingen, der Tyrannei ein Ende bereiten und ... Oh Gott, ich schweife ab! Ich brauche dringend besseres Publikum!“ Cine sah nun verächtlich zur Burg von Lord Cornwallis. Seltsamerweise patrouillierten keine Wachen vor dem Tor. Um sich leise hereinzuschleichen, ließ Cine ihr Pferd draußen. Sie ging durch das riesige offene Tor und versteckte sich in einer Ecke. Von dort aus versuchte sie den Hof zu überschauen. Sie entdeckte keine Wachen und ging leise zum Hauptteil der Burg. In den Gängen war auch niemand zu sehen. Langsam wurde Cine misstrauisch. Entweder war sich der Lord der Verteidigung zu sicher oder man wollte sie praktisch einladen. Nun ging sie einige Treppen hoch und schwenkte nach rechts. Irgendwo musste doch jemand sein. Endlich sah sie einen offenbar schlafenden Soldaten an der Wand lehnen. Cine trat auf ihn zu und hielt ihm den Mund zu. Der Soldat wachte erschreckt auf. Cine drückte ihn mit dem Knie gegen die Wand. „Sag mir, wo die Irinen sind! Wenn du schreist, dann überlebst du es nicht lange. Überleg dir also, was du tust!“ Der Soldat nickte verschüchtert. Er war noch relativ jung. Cine nahm nun langsam die Hand von seinem Mund. „Sie sind im Kerker, aber den Schlüssel dazu hat ein Offizier!“ „Und wo finde ich diesen Offizier?“ „Den zweiten Gang links und dann die dritte Tür.“ Nun knebelte und fesselte sie den Soldaten und schleifte ihn in einen offenbar leeren Nebenraum. „Kein Laut oder ich nehme furchtbare Rache an deiner Familie!“ Jetzt machte sie sich auf den Weg zu dem Offizier. Sie fand das Zimmer ziemlich schnell und trat vorsichtig ein. Sie stand nun in einem Audienzraum. Er hatte zwei Türen. Die Rechte führte in ein Arbeitszimmer und die Linke in ein Schlafzimmer. Cine nahm die Rechte Tür und durchsuchte den Schreibtisch. Dort fand sie nichts außer ein paar Briefe und einiger persönlicher Schriftstücke. Dann endlich fand sie eine Korrespondenz von Lord Cornwallis, in der er befahl den Schlüssel sicher aufzubewahren. Der Offizier sollte ihn ständig dabei haben. Cine hatte eine böse Vorahnung. Diese Rettung würde ungeahnte Ausmaße annehmen. Seufzend ging sie augenblicklich in das Schlafzimmer. Der Offizier schlief. Im Dunkeln konnte sie es aber nur an seinen regelmäßigen Atemzügen erkennen. Sie trat näher an das schwere Holzbett. Endlich sah sie etwas aufblitzen. Es war ein großer Silberschlüssel. Leider steckte er in seiner Hand und die steckte nahezu unter dem Kissen. Cine verzog leidend das Gesicht. Das hatte sie doch wahrhaftig nicht verdient. Das Bett stand an der Wand und genau da war auch der Schlüssel. Cine kletterte über den Offizier und versuchte vorsichtig den Schlüssel zu bekommen. Dabei war sie so konzentriert, dass sie nicht mitbekam, dass die regelmäßigen Atemzüge aussetzten und unregelmäßig kamen. Der Offizier packte sie plötzlich an der Hüfte und drückte sie auf das Bett. Dann kniete er sich blitzschnell auf sie und hielt sie somit fest. Cine war so geschockt, dass sie einen leisen, aber spitzen Schrei von sich gab. Nun sah sie direkt in das Gesicht von Colonel Tavington. Er grinste gehässig und schaute sie nun prüfend an. „Die Falle war so offensichtlich! Schließlich hat O’Hara sie sich ausgedacht!“ „Mag sein, aber ich musste irgendetwas unternehmen.“ „Habt Ihr nicht mitbekommen, dass das alles förmlich eine Einladung war?!“ Cine nickte. „Natürlich! Hatte ich eine Wahl? Würdet Ihr jetzt bitte die Freundlichkeit besitzen und von mir heruntergehen?!“ „Nein!“ „Wie bitte?!“ „Wie wäre es zuerst mit einer Entschuldigung?“ „Wofür? Dafür, dass ich Euch fast die Kehle durchgeschnitten hätte?“ „Nein, für Eure Unverschämtheit heute Nachmittag!“ „Das sehe ich gar nicht ein!“ „Na schön. Wie Ihr wollt. Ich finde diese Position eigentlich sehr gemütlich.“ „Das ist doch jetzt nicht Euer Ernst! Ich schreie!“ Tavington sah sie herausfordernd an. Cine machte ihre Drohung wahr, der Colonel allerdings wusste darauf zu reagieren. Er erstickte ihren Schrei mit einem leidenschaftlichen Kuss. Dann presste er Cine mit seinem Körper noch mehr in das Bett. Diese bekam langsam Panik und entschied sich kurzerhand für eine Entschuldigung. „Tschuldigung.“ „Wie bitte?“ „Entschuldigung.“ „Etwas lauter!“ „Entschuldigung!“ „Du solltest es ernst meinen, Cine!“ „Ich wusste nicht, dass wir schon bei Du sind!“ meinte sie entrüstet. „Lenk nicht ab!“ „Na gut, ich meine es ernst. Es tut mir sehr leid. Ihr seid natürlich kein Dreckskerl, in Wahrheit habe ich eine sehr hohe Meinung von Euch!“ „Bitte verschone mich mit deinem unverbesserlichen Sarkasmus!“ „Das war doch nicht sarkastisch.“ „So kommst du heute Nacht nicht mehr hier weg!“ „Was soll ich denn noch machen?!“ „Du könntest so weiter machen, dann habe wenigstens ich meinen Spaß.“ „Es stand mir nicht zu Euch zu kritisieren. Ich möchte mich dafür aufrichtig entschuldigen.“ Dieses Mal war keine Spur von Ironie in ihrer Stimme. Tavington lächelte sanft. „Du hast Angst vor mir?! Oder eher vor dem, was passieren könnte!“ „Es könnte nichts passieren, da wir noch nicht verheiratet sind. Es sei denn, Ihr würdet freiwillig Euren Hals riskieren.“ „Bis zu unserer Hochzeit dauert es nicht mehr lange. Ich habe O’Hara schon fast ausgespielt.“ Cine blickte nervös zur Tür. „Ist ja gut. Ich bringe dich zu deinen Freunden.“ Im nächsten Moment stand Cine von drei Irinen umarmt in dem Turmzimmer. Dann musste sie sich eine zehnminütige Standpauke von May anhören. Von wegen, wie verantwortungslos und leichtsinnig sie war. Dann saßen alle auf dem Sofa und starrten auf die verschlossene Tür. Cine äußerte dann die Idee, dass man doch durch den Kamin klettern könnte. Irgendwo müssten mehrere Schächte zusammenlaufen und dann nimmt man einfach einen anderen und ist frei. Darauf folgte heftige Kritik von Ann-Maria, aber May sagte: „Das ist so blöd, das könnte schon wieder ausgefuchst sein! Das müssen wir gleich versuchen.“ May nahm die kleine Absperrung für das Kaminholz weg und besah sich den Schacht. „Zwei Personen müssten sich Rücken an Rücken hinaufhieven.“ Die Sonne war bereits aufgegangen und Cornwallis, O’Hara und Tavington waren auf dem Weg zu den Irinen. Davon wusste aber niemand etwas. Cine und May sind schon zwei Meter hoch geklettert. „Ganz schön dreckig hier. Ich glaube, ich bin schon voll mit Ruß!“ meinte Cine. „Hör auf zu meckern! Sonst hattest du doch nie Probleme mit Dreck!“ gab May zurück. Sie hatten schon vier Meter geschafft. Dann kam eine Verbreiterung. In dem Moment traten auch schon die drei Männer ein und fanden nur Ann-Maria und Elanor vor. Allerdings hörten sie Stimmen aus dem Kamin. „Cine! Stemm dich mehr gegen mich!“ „Wenn ich das tue, dann falle ich doch herunter! Du musst mir mehr entgegenkommen!“ „Blödsinn! Wie denn?! Nicht so sehr, wie soll ich denn noch klettern?“ „Huch! Jetzt wäre ich fast abgerutscht!“ „Wehe dir!“ Der Schacht war ein wenig schräg. Unerwartet rutschte eine der beiden aus. Später konnte niemand sagen, wer das war. Acht Meter hatten sie nun geschafft und schlitterten jetzt diese Strecke wieder herunter. Die Männer traten einige Schritte zurück, da sie schon angsterfüllte Schreie vernahmen. Im nächsten Moment kam eine riesige, schwarze Wolke aus dem Kamin und zwei schwarze Gestalten glitten auf dem Ruß ins Zimmer. Hustend versuchten sich die beiden wieder aufzurichten, aber May lag auf Cine und hatte ihre Beine in dem Sperrgitter verhakt, das sie vorhin eigentlich sicher weggepackt hatte. „Geh runter von mir!“ „Das würde ich wirklich sehr gern tun, aber ich kann nicht!“ „Dass du auch loslassen musstest!“ „Ich?! Du hast losgelassen!“ „Das ist doch gar nicht wahr!“ „Doch! Ist wahr!“ Sie stritten sich noch eine Weile wie kleine Kinder und schmierten sich die restlichen, sauberen Stellen auch noch voll mit Ruß. Tavington’s Gesicht war ausdruckslos, aber man konnte ein spöttisches Aufblitzen in seinen Augen erkennen. Cornwallis war rot vor Wut und O’Hara musste sich ziemlich anstrengen ein ernstes Gesicht aufzusetzen. Elanor und Ann-Maria schüttelten aufgebend die Köpfe. „Den beiden kann nicht mehr geholfen werden.“ meinte Ann-Maria. „Wenigstens ist der Kamin jetzt sauber! Besser als jeder Schornsteinfeger!“ sagte Elanor sanft lächelnd. May und Cine hatten sich mittlerweile etwas beruhigt, die drei Männer aber noch immer nicht bemerkt. „Weißt du, wir könnten es noch einmal probieren, oder May?“ „Ja, ich bin voll und ganz dafür! Aber diesmal nehme ich Elanor!“ „Ach, und an mir bleibt die Betschwester hängen!“ „Kannst ja deinen Großvater nehmen, aber ich bezweifle, dass der durch den Schacht passt!“ Beide lachten. „Oder du nimmst Tavington, aber bei der Dominanz wirst du wahrscheinlich an der Mauer zerquetscht. Oder O’Hara! Den kannst du dir um die Hüfte binden und hochziehen, so faul wie der ist!“ Inzwischen lachten sie schon Tränen. „Ich kann es mir lebhaft vorstellen! Das mit dem Kamin müssen wir in Irland einführen! Das wird Nationalsport!“ sagte Cine kichernd. „Ja, auf alle Fälle besser als dieser ewige Baumstammweitwurf, bei dem ich sowieso verliere!“ „Frage mich schon die ganzen Jahre, wo die die Baumstämme hernehmen. Allzu viel haben wir doch davon nicht, oder?“ May wurde jetzt langsam böse, da Ann-Maria schon die ganze Zeit versuchte sie diskret zum Schweigen zu bringen. „Ann-Maria, jetzt halt die Klappe, wenn ich mich hier unterhalte!“ Nun wurden beide der drei Engländer gewahr und blickten in hasserfüllte Augen. „Tja May, als deine Freundin muss ich dir sagen ... Ich gehe jetzt durch den Kamin!“ Pfeilschnell war Cine wieder im Kamin verschwunden. Tavington zog sie am Hemd wieder zurück und hielt sie fest. „Großvater!“ meinte sie resignierend. „Wir müssen uns dringend unterhalten!“ May mischte sich nun ein. „Weißt du Cine, wir müssen ja nicht nach Irland fliehen. Das wäre zu offensichtlich. Indien soll auch ganz schön sein. Irgendwie ... exotisch! Da gibt es Elefanten und Tiger.“ „Kann man da überhaupt leben?“ Lord Cornwallis fuhr dazwischen: „Du ganz sicher nicht, Cine!“ In der nächsten Stunde saß Cine in Cornwallis’ Büro. Vor seinem Schreibtisch standen drei Stühle und Cine wurde von O’Hara und Tavington flankiert. Lord Cornwallis saß auf einem breiten Lehnsessel und sortierte noch einige Briefe. Zaghaft versuchte Cine ein Gespräch zu beginnen. „Als ich meinte, wir müssten uns sprechen, meinte ich allein.“ Cornwallis blickte abschätzig von seiner Arbeit auf. „Du stellst hier keine Forderungen! Außerdem betrifft es sicherlich auch General O’Hara und Colonel Tavington.“ „Inwiefern?“ „Ich hoffe, du teilst mir endlich deine Wünsche bezüglich der Hochzeit mit!“ „Das ist korrekt!“ Sie erntete überraschte Blicke. „Nun ja, ich habe eine Entscheidung bezüglich meiner Hochzeit getroffen.“ „Die da wäre?“ „Ich weiß jetzt, wen ich heiraten möchte.“ Mit einem Schmunzeln sagte sie dann: „Captain Bordon!“ General O’Hara sah sie entsetzt an. Lord Cornwallis bebte vor Wut. Tavington dagegen setzte ein zynisches Grinsen auf und meinte: „Wie Ihr wollt, Mylady. Ich werde ihn gleich holen und ihn von der grandiosen Nachricht unterrichten!“ Cine wusste, dass sie keine Chance gegen den Colonel hatte und gab lieber gleich auf. Wenn sie es nicht tun würde, würde er das Spiel so weit treiben, bis sie aufgäbe. „Das war natürlich nur ein kleiner Scherz. In Wahrheit habe ich noch keine Ahnung, was meine Hochzeit betrifft. Ich wollte mit Euch über etwas anderes reden.“ Cine sagte es in einem zuckersüßen, unschuldigen Ton. Zumindest bewirkte das O’Hara’s und Cornwallis’ Beruhigung. Ersterer wäre nämlich fast vor Fassungslosigkeit ohnmächtig vom Stuhl gekippt und der andere fast vor Wut geplatzt. Lord Cornwallis meinte nun: „Worüber wolltest du mit mir reden?“ „Ich wollte Euch um einen großen Gefallen bitten.“ „Der da wäre?“ „Ich möchte, dass meine Freundinnen nach Irland zurückkehren können, wenn sie es wünschen, und dort auch eine Chance haben zu überleben.“ Cornwallis lachte kalt. „Wieso glaubst du, dass ich ihnen das ermögliche?“ „Weil Ihr sie nicht braucht! Sie sind doch nutzlos für Euch! Ob sie gehen oder bleiben, wo ist da der Unterschied?“ „Du irrst dich. Sie sind ein hervorragendes Druckmittel!“ „Wenn sie da sind, würde ich mich nie euren Plänen beugen. Durch sie habe ich immer wieder einen Grund weiterzukämpfen. Ich werde mich nicht unterkriegen lassen!“ „Du bewegst dich auf sehr dünnem Eis! Ich könnte sie wegen Verrat an der Krone hängen lassen!“ „Ja, tut das. Aber der Mörder meiner Freunde wird zu meinem Opfer! Keine Woche würdet Ihr überleben, wenn Ihr ihnen auch nur ein Haar krümmt!“ Cornwallis stand empört auf. „Du wagst es mir zu drohen?!“ Cine stand ebenfalls, aber berechnend ruhig, auf. „Ja, das tue ich!“ Sie ging aus dem Zimmer. Vor der Tür geleiteten sie zwei Soldaten zu ihrer Unterkunft. Tavington ergriff nun im Arbeitszimmer das Wort. „Mylord, meiner bescheidenen Meinung nach sollte Lady Cine Cornwallis dringend heiraten! Sie brauch eine feste Hand.“ Tavington wusste, dass er nun von Lord Cornwallis’ Gunst abhängig war. „Ihr habt natürlich Recht, Colonel. Aber zu fest sollte diese Hand auch wieder nicht sein! Cine gehört in die hohen gesellschaftlichen Klassen!“ meinte nun O’Hara. „In Anbetracht meines bescheidenen Beitrags zu den zahlreichen Siegen Eurer Lordschaft denke ich, dass ich genug Ehrgeiz besitze und auch genug Durchsetzungsvermögen um Eure Enkelin zu ehelichen und mit ihr zu leben.“ O’Hara verzog das Gesicht. „Ihr seid ein Halbaristokrat ohne jedes Vermögen und gesellschaftliche Anerkennung. Eure Brutalität hat Euch die Siege eingebracht. Cine hat etwas besseres verdient!“ „Sie soll den ganzen Tag für Euch das brave Frauchen spielen, wenn sie es nicht einmal schafft, sich als Enkelin eines Lords zu benehmen?!“ Cornwallis hatte genug gehört. „Das reicht! Ich habe meine Entscheidung schon lange getroffen. General O’Hara, Sie sind ein vollkommener Gentleman mit unzählbaren gesellschaftlichen Beziehungen. Aber Sie sind zu alt und Cine würde sich sehr schnell zu viel herausnehmen. Sie würde einen Mann wie Sie nur unglücklich machen. Sein Sie ehrlich zu sich selbst.“ O’Hara war enttäuscht, aber er würde noch genug Chancen in der Gesellschaft haben sich ein Mädchen anzulachen. Sollte sich doch Tavington mit ihr herumärgern. Cornwallis fuhr fort. „Sie dagegen, Colonel, könnten schon eher mit ihr umgehen. Ich glaube auch, dass sie Euch mehr respektiert. Wollt Ihr tatsächlich auf die Heirat eingehen?“ Tavington sah den Lord stolz an. „Natürlich!“ In ihrem Zimmer warf Cine eine Vase gegen die Wand, die in tausend Teile zersplitterte. „Genug ist genug! Was denkt der sich?! Mir zu drohen! Das Spiel können auch zwei spielen!“ Sie lief aufgebracht hin und her und fand dann eine neue Vase. Diese schmiss sie gegen die Tür, die gerade aufging. Tavington hatte schnell reagiert und sie abgefangen. Cine sah in verächtlich an. Der Colonel trat ein und schloss die Tür. „Wie ich sehe, bist du etwas in Rage!“ Cine schnaubte nur verhasst. „Ich wollte, dass du es von mir erfährst. Wir werden heiraten!“ Nun sah sie ihn entgeistert an. „WAS?! Niemals!“ Sie ging zum Fenster und versuchte in der Landschaft etwas Beruhigendes zu finden. Tavington trat näher und legte ihr zärtlich den Arm um die Schulter. Cine sah ihn daraufhin hasserfüllt an. Dann liefen ihr Tränen über die Wangen, weil sie wusste, dass jetzt nichts mehr um die Heirat herumführte. „Ich weigere mich! Ohne meine Einwilligung gibt es keine Hochzeit!“ Das brachte sie nur noch schluchzend heraus. „Ist das dein letztes Wort?“ Cine nickte. „Gut, dann werde ich mich bemühen deine Einwilligung zu bekommen!“ Tavington verließ wütend den Raum und schloss die Tür ab. Einige Minuten später sattelte er sein Pferd und ritt in die Umgebung. Dort wollte er sich etwas abreagieren. Er musste es schaffen Cine eine Zustimmung abzuringen. Da hatte sie leider recht. Mit viel Geld und Hilfe von Aristokraten würde es auch ohne gehen, aber Tavington wollte Cine ganz. Das heißt, er wollte, dass sie hinter ihm stand und ihn liebte. Momentan war das nicht der Fall. Der Colonel überließ seinem Pferd den Weg. Nach kurzer Zeit kam er an einen kleinen Fluss. Tavington schaute nur kurz geistesabwesend auf, traute dann aber seinen Augen nicht. Im Fluss stand ganz gemütlich Arod. Sein weißer Hengst, den Cine so mochte. Wenn das kein schlagendes Argument für die Hochzeit wäre. Am Abend ritt Tavington wieder durch das Burgtor. Dieses Mal aber mit einem Handpferd. Er hatte den Schimmel fangen können. Denn in seiner Satteltasche hatte er stets ein Seil. Nun blickte er zu Cine’s Fenster. Sie stand da und sah sich traurig den weißen Hengst an. Dann sah sie zu ihrem Verlobten. Letztendlich drehte sie sich um und schien ihr Haar zu flechten. Cine war wütend. Aber wegen eines Hengstes nachgeben? Niemals! Sie war viel zu stur dazu. Die junge Irin seufzte. Sie musste sich unbedingt mit May treffen und ihren Standpunkt dazu hören. Langsam hatte sie ihr Haar fertig geflochten. Es war trotzdem noch ziemlich lang. Tavington trat in das Zimmer. Cine schüttelte den Kopf. Natürlich brauchte er nicht anklopfen, aber sie hätte sich gerade ankleiden können oder ähnliches. Da fände sie es schon besser, wenn er seinen Besuch wenigstens ankündigen würde. „Impertinent!“ murmelte sie leise. „Wie bitte?“ kam es gleich von Tavington. „Nichts.“ „Es würde dich sicherlich interessieren, dass ich den Schimmel gefunden habe. Bedauerlicherweise hast du vergessen ihn bei deiner Ankunft anzubinden.“ „Kann sein.“ „Er lahmt.“ „Davon habe ich aber nichts gesehen!“ meinte Cine nun skeptisch. „Ich werde ihn zum Schlachter bringen. Man muss das arme Tier doch erlösen.“ Tavington sah sie amüsiert an. Cine stand auf und ging wieder zum Fenster. „Wenn Ihr der Meinung seid. Ich bin selbstverständlich nicht befugt Euch zu sagen, wie Ihr mit Eurem Besitz umgehen sollt.“ Der Colonel lachte. „Das ist wahr. Aber sag mir Cine, warum dieses Gehabe? Am liebsten würdest du mir doch ein Messer in die Kehle rammen!“ „Ihr habt mich nicht in der Hand! Ihr nicht!“ „Noch nicht! Bald!“ „Das glaube ich nicht! Ich kann sehr stur sein!“ „Und ich sehr ehrgeizig! So schnell gebe ich nicht auf! Hast du im Übrigen gewusst, dass der König Ehen schließen kann. Auch ohne Einverständnis der Frau, aber nur im Adel.“ „Ihr seid kein Adel!“ „Dein Großvater ist bereit mir ein Stück Land und einen Titel zu geben. Dann wäre ich nicht mehr Halbadel, sondern ein Aristokrat!“ „So viel Mühe nur wegen eines störrischen Mädchens? Ich glaube kaum!“ „Du wist dich wundern. Nebenbei werden deine Freunde morgen gehängt!“ „WAS?! Das könnt Ihr nicht machen!“ „Ich nicht, aber Euer Großvater!“ Cine sprühte die Wut förmlich aus den Augen. „Ich habe ihn gewarnt!“ „So viel Mühe? Die Lösung ist einfach! Du kennst sie!“ Cine sah ihn flehend an. „Warum das Ganze? Erklärt es mir? Die Ländereien und Titel sind doch nicht so viele Menschenleben wert!“ „Es geht mir nicht um Titel oder das Vermögen, sondern um dich! Ich liebe dich und ich will dich endlich haben. Ich will dich berühren und deine Nähe und Liebe spüren. Mehr will ich nicht!“ „Und Ihr glaubt, dass Ihr das mit einer Zwangshochzeit schafft?!“ „Nein, aber du würdest mir gehören und mit der Zeit von meiner Liebe überzeugt sein!“ Cine brachte daraufhin nur ein verächtliches und ungläubiges Schnauben heraus. „Wie du willst. Ich lasse dich vorerst allein. Denk gut über alles nach.“ Kurz darauf fand sich Cine in May’s Gegenwart wieder. Letztendlich kamen sie zu dem Schluss, dass Cine wohl heiraten müsse. May versuchte das Los etwas abzumildern. „Eigentlich sieht er doch gut aus! Und er ist sehr ehrgeizig! So eine schlechte Partie ist er nicht!“ Cine nickte lustlos. May versuchte es nun anders. „Was findest du denn an ihm gut?“ Nun sah Lady Cornwallis auf. „Was soll ich denn gut finden?“ „Weiß nicht! Erzähl! Ich weiß doch, dass du ihn auch nicht so schlecht findest! Wäre er dir nicht aufgezwungen worden, hättest du mir bestimmt von ihm vorgeschwärmt! Ich kenne dich doch!“ Jetzt grinsten beide. „Du hast recht! Er sieht gut aus und gefällt mir. Aber deswegen gleich heiraten?!“ „Irgendwann musst du so und so. Ich möchte dir nur einen Rat geben. Sei nett zu ihm!“ „Das sagst ausgerechnet du! Ich bin mir nicht mal sicher, ob er mich liebt!“ „Du wirst es erkennen! Natürlich wäre er überhaupt nichts für mich, aber langsam gehen uns die Fluchtpläne aus. Dieser alte Sack hat uns mächtig in der Hand!“ Cine blickte fragend auf. May korrigierte sich gleich: „Cornwallis!“ Nun mussten sie wieder lachen. Etwas ermutigt meinte Cine dann: „Na gut, ich werde Colonel William Tavington heiraten! Aber sobald sich eine Chance ergibt, werde ich uns zurück nach Irland schaffen!“ Mit diesen Worten verließ sie den Raum wieder, denn eine Wache hatte sie begleitet und ihr stand nur begrenzt Zeit zur Verfügung. Cine wurde zu Tavington’s Räumen gebracht, denn da musste sie ab jetzt wohnen. Allerdings hatte er bessere Räume zur Verfügung gestellt bekommen. Im Schlafzimmer standen zwei Betten, die man beliebig zusammen- oder auseinanderschieben konnte. Cine’s anfänglicher Enthusiasmus war schon wieder verflogen, als sie die Betten betrachtete. Bis zum Abend war sie noch allein und hing ihren Gedanken nach. Der Colonel trat in sein Zimmer und sah seine Verlobte an dem Esstisch sitzen. Er musste lächeln, denn offenbar war sie doch freiwillig hier. Sie hätte sich ja auch auf dem Flur einrichten können. Soeben wurde das Abendessen gebracht, das beide dann stillschweigend einnahmen. Tavington wollte gerade wieder aufstehen und sich frisch machen, als Cine ihn ansprach. „Auf ein Wort, Colonel!“ Überrascht drehte er sich um. Er hatte erwartet, dass seine Verlobte ihn mit Schweigen strafen wolle oder sich etwas anderes einfallen lassen würde. Er grinste belustigt, zog sich das Hemd aus und setzte sich auf einen Sessel in der Ecke. Er wusste, dass es Cine unangenehm war, wenn er sein Hemd auszog. Aber er hatte den ganzen Tag die jungen Rekruten ausbilden müssen und war dementsprechend nassgeschwitzt. Er hätte sich gern vor dem Essen noch frisch gemacht, hatte aber nicht mehr die Zeit dazu gehabt. Cine kam nun auf ihn zu und setzte sich ihm gegenüber. „Was möchtest du?“ fragte Tavington mit einem nun kalten Blick. Vielleicht würde er sich wieder einige Drohungen und Beleidigungen anhören müssen. „Ich wollte Euch mitteilen, dass ich gewillt bin ...“ „Ja?“ „Euch zu ehelichen.“ Der Colonel war vollkommen überrascht. „Ist das so? Nun, nimm es mir nicht übel, aber ich glaube dir nicht. Wer sagt mir denn, ob du nicht vorhast ein wenig Zeit zu kaufen?!“ „Natürlich geht es mir auch um das Leben meiner Freundinnen, aber ich habe eingesehen, dass dieses Katz-und-Maus-Spiel nicht mehr lange gehen kann. Ihr gewinnt sowieso früher oder später. Lange kann ich mich ja nicht mehr widersetzen.“ „Hast du Beweise für deine Behauptungen?“ „Außer meinem Wort, eher nicht.“ Tavington musterte sie kritisch. „Ein freiwilliger Kuss von dir könnte mich überzeugen.“ Niemals würde sie ihn küssen, wenn sie nicht wirklich vorgehabt hätte aufzugeben. Cine seufzte. Sie ging zu ihrem Verlobten und kniete sich vor seinen Sessel. Er sah sie neugierig an. Sie atmete noch einmal durch und küsste ihn dann auch. Tavington gab den zögerlichen Kuss leidenschaftlich zurück. Wie weit würde sie wohl gehen? Er umschlang sie und zog sie zu sich auf den Schoß. Sie küssten sich immer noch. Langsam wurde dem Colonel bewusst, dass er gewonnen hatte, und nun traute er sich ein bisschen mehr. Er schob seine Zunge in ihren Mund und sie ließ es geschehen, gab es sogar sträubend zurück. Irgendwann löste der Colonel den langen Kuss und sah Cine stolz und liebevoll an. „Nun glaube ich dir. Die Hochzeit wird gleich morgen stattfinden, mein Schatz. Oder ist dir das zu spät?“ „Ich habe noch kein Hochzeitskleid.“ sagte sie verunsichert. „Das lässt sich alles noch rechtzeitig herrichten. Ich werde jetzt zu deinem Großvater gehen und die Feierlichkeiten mit ihm absprechen.“ Er verließ ungern die schöne Szene, zwang sich dann aber doch dazu. Er ließ Cine in dem Zimmer zurück und pfiff auf dem Weg zu Lord Cornwallis ein kleines Lied. Am nächsten Morgen wurden sie getraut. Die Nacht hatte Tavington bei Bordon und einigen anderen Offizieren verbracht. Jetzt hatte er einen leichten Kater, ließ sich davon aber nicht beeinträchtigen. Er trug seine rote Galauniform der Dragoons und eine gut geschnittene schwarze Hose. Das Haar hatte er sich mit etwas Pomade zurechtgemacht. Cine sah hinreißend aus in ihrem weißen Hochzeitskleid. Man hatte es tatsächlich geschafft noch über Nacht eines zu schneidern. Und es stand ihr. Es hob ihren Busen und war an den Armen sehr weit geschnitten. Sie wirkte fast schon wie eine Elfe, dachte Tavington. Ihr Haar trug sie in einem geflochtenen Zopf, nach irischer Tradition. Ein wenig Silber schmückte ihren Hals. Der Colonel musste unvermeidlich grinsen, als er sah, dass Cine etwas verloren und unsicher wirkte. Ihr Großvater begleitete sie zum Altar. May war die Einzige gewesen, die der Hochzeit beiwohnen durfte, weil sie Cine’s Trauzeugin war. Bordon war Tavington’s Trauzeuge und stand neben May, die ihn feindselig fixierte. Tavington stand schon vor dem Abt, der die Messe durchführen sollte. Cine hatte einen feinen Seidenschleier vor dem Gesicht und stellte sich neben ihn. Der Abt begann nun mit der Messe. „Oh Herr, schenke uns deinen Segen für diesen wunderbare Brautpaar ...“ Cine hörte schon gar nicht mehr hin. Stattdessen sah sie verstohlen zu Tavington. Sie musste zugeben, dass er in dieser Uniform sehr gut aussah. Ihn schien diese Prozedur auch zu langweilen, er setzte aber trotzdem ein feierliches Gesicht auf. Nun hatte er ihren Blick bemerkt und sah sie an. Cine wurde rot und richtete ihre Augen sofort wieder interessiert zu dem Abt. „Wenn irgendwer etwas gegen diese heilige Verbindung hat, so möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen!“ Cine sah auffordernd zu May, aber die ließ sie gerade im Stich und trat dagegen Bordon auf den Fuß. Dieser musste einen Schrei unterdrücken. Der Abt fuhr fort. „Sind die Trauzeugen mit dieser Verbindung einverstanden?“ Bordon keuchte ein Ja und May nickte ebenfalls. Cine unterdrückte einen enttäuschten Ausruf. „Möchtet Ihr, Colonel William Tavington, diese Frau zu Eurer rechtmäßigen Ehefrau nehmen, sie lieben und ehren bis das der Tod euch scheide?“ Tavington sah auf. „Und darüber hinaus. Ja, ich will!“ „Möchtet Ihr, Cine Cornwallis, diesen Mann zu Eurem rechtmäßigen Ehemann nehmen, ihn lieben und ehren bis das der Tod euch scheide?“ Alle Augen richteten sich erwartungsvoll auf Cine. Sie schluckte, brachte dann aber doch ein „Ja, ich will!“ heraus. Tavington strahlte sie verliebt an. Der Abt wandte sich ihm zu. „Hiermit erkläre ich euch, kraft des mir verliehenen Amtes zu Mann und Frau.“ Die Ringe wurden getauscht. „Ihr dürft die Braut jetzt küssen.“ Der Colonel legte sanft Cine’s Schleier zurück und küsste sie leidenschaftlich. Alles applaudierte und Lord Cornwallis wurde gratuliert, dass er eine so hervorragende Partie für seine Enkelin fand. Nach den zahlreichen Glückwünschen und Geschenken kam Bordon mit Arod am Zügel. „Ein kleines Geschenk von meiner Seite, wie ich es dir versprochen habe!“ sagte Tavington. Am Nachmittag wurde es selbst ihm etwas zu anstrengend und er entführte Cine in den Park. Abends würden sie schon wieder auftauchen. Der Colonel sah Cine noch immer gefesselt an. Ihr wurde es langsam peinlich. Nun begann er ein Gespräch. „Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass du das durchziehst. Ich freue mich schon auf heute Nacht, wenn wir endlich allein sind.“ Cine sah ihn verunsichert an. „Ihr müsst Euch wohl noch etwas gedulden, denn ich denke man wird uns noch nicht so schnell entlassen.“ „Du.“ Cine sah fragend zu ihm auf. „Du. Mein Name ist William. Wir sind verheiratet, also kannst du mich auch bei meinem Vornamen nennen und duzen.“ Er zog sie zu sich. „Auch wenn ich mit dem einen noch bis heute Nacht warten muss, das andere kann ich jetzt schon tun.“ Cine hörte auf einmal ein leises Knacken hinter einer hohen Hecke. Verdutzt hielt sie inne und sah sich um. William sah sie jetzt irritiert an. „Was ist denn?“ Er wurde unterbrochen. Vier Söldner sprangen aus dem Gebüsch und umstellten die beiden. Einer von ihnen nahm das Wort. „Tritt zur Seite! Unser Auftrag galt nur der Lady!“ William zog seinen Säbel. Gegen die vier Gewehre hatte er damit keine Chance, aber er stellte sich trotzdem schützend vor Cine. „Was für ein Auftrag?“ „Cornwallis Linie zu vernichten und seine Enkelin zu töten!“ „Ihr werdet sie nur über meine Leiche bekommen!“ Cine sah erschrocken von einem zum anderen. Der Söldner hinter ihr legte das Gewehr an. Erschrocken bemerkte das auch Tavington und fuhr rechtzeitig herum. Dabei zog er Cine mit und der Schuss, der ihr gegolten hatte, traf ihn in die Seite. Er ging in die Knie und Cine versuchte noch ihn zu stützen. Ein anderer Söldner legte jetzt das Gewehr an und zielte auf Cine’s Herz. Tavington zog sie herunter und versuchte sie mit seinem Körper zu schützen. Ein Schuss fiel. Cine zuckte zusammen und Tavington sah sie erschrocken an. Sie musste getroffen worden sein. Er könnte sich das nie verzeihen, wenn sie jetzt sterben würde. Unter Schmerzen stand er auf, weil der erste Schütze mit dem Bajonette auf sie losging. Er durchbohrte ihn mit seinem Säbel. Dann fielen zwei weitere Schüsse. Alarmiert drehte William sich zu Cine. Ihr weißes Kleid war mit Blut getränkt, aber sie kniete noch auf dem Boden und sah ihn eingeschüchtert an. Nun endlich bemerkte er, dass die beiden letzten Söldner tot umfielen. Der Zweite lag schon in seinem Blut am Boden. Bordon und einige andere Offiziere sind dem Paar gefolgt und hatten rechtzeitig eingegriffen. Irritiert sah William wieder auf das Blut an Cine’s Kleid. Dann fiel ihm ein, dass es sein Eigenes war und mit schmerzverzerrtem Gesicht brach er zusammen. Am nächsten Abend wachte William auf. Er lag in seinem Bett und bemerkte dann auch Cine an seiner Seite. Diese sah ihn fragend an. „Warum habt Ihr mich gerettet?“ Er versuchte sich aufzurichten und stellte fest, dass das wegen der Schmerzen nicht möglich war. „Ich hatte dir doch etwas gesagt, Cine!“ meinte er dann anklagend. Cine erinnerte sich. „Warum hast du mich gerettet? Sie hätten dich fast getötet!“ Er musste lächeln. „Weil ich dich liebe. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn man dich mir weggenommen hätte. Und das hätte ich auch nicht überlebt. Aber ich bin froh, dass es dir gut geht.“ Cine lächelte ihn jetzt liebevoll an. Seine Tat war ihr Beweis genug für seine Liebe. „Der Arzt sagt, dass du das leicht überstehen wirst. In einer Woche kannst du sogar wieder aufstehen. Aber anstrengende Aktivitäten sollst du vorerst nicht vornehmen!“ William lächelte bedauernd. „Da ist aus unserer Hochzeitsnacht wohl doch nichts geworden. In einer Woche dann!“ „Keine Anstrengungen!“ Er lachte und zog sie mit auf das Bett. Dann küsste er sie und sagte: „Mach dir keine Sorgen! Das werde ich schon hinbekommen!“ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)