Sunrise von abgemeldet (Wherever I am) ================================================================================ Kapitel 4: Was ist passiert? ---------------------------- ------------------------------------------------------------------------------- Was ist passiert? Kaori erwachte mitten in der Nacht, kaum dass sie sich in einen unruhigen Schlaf geweint hatte. Es klatschte draußen im Hof mehrmals laut. Nach etwa fünf Klatschern folgten ihnen Schmerzensschreie. Die Mätresse sprang auf und lief zur Tür zum Hof, wo sich schon mehrere Küchenmädchen versammelt hatten, vom Balkon im ersten Stock gafften Zimmermädchen herab und ganz vorne stand Madame Wang mit entgleisten Zügen. »Jian!«, stieß Kaori aus. Im Hof standen seit jeher zwei Pfosten, aber Kaori hatte selten erlebt, dass jemand mit Stricken an den Handgelenken zwischen ihnen stand und ausgepeitscht wurde. Wie Jian gerade. Liwei - Chonglins Leibwächter - und Jinhai standen mit ausdruckslosen Gesichtern da und hielten die Pfosten fest, während Gong mit Mordlust in den Augen die Peitsche gegen Jian schwang. »Was ist passiert, Wang Nüshi?!«, fragten einige Mädchen, doch Madame Wang antwortete nicht, sondern biss stur die Zähne aufeinander. Es war natürlich für sie, sich nicht einzugestehen, dass ihr Schützling einen Fehler begangen hatte. Aber WAS hatte Jian getan? Gong hörte erst auf, als er feststellte, dass Jian ohnmächtig geworden war. »Weckt ihn auf!«, brüllte er die Leibwächter an. »Das reicht nicht!« Bohai trat zu ihm. »Er hat nichts gestohlen und niemanden ermordet, Gong. Es reicht«, sagte der älteste Sohn beschwichtigend und nahm Gong die Peitsche weg. Noch immer wütend stürmte der dritte Sohn der Zhaos vom Hof. »Bringt ihn in den Stall, er bekommt zwei Wochen Strafdienst an der Pferdetränke«, kommandierte Bohai und blickte traurig auf Jians reglosen Körper. Den meisten Mädchen wurde es langweilig oder kalt und sie liefen zurück in die Zimmer, nur ein paar blieben - Kaori erkannte Lan-Huan und Chunhua auf dem Balkon im ersten Stock. Madame Wang drehte sich langsam um, als Liwei und Jinhai Jian vorsichtig wegschleppten. Ihr Blick schweifte suchend über die verbliebenen Mädchen und blieb an Kaori hängen. »Du! Du putzt das weg! Los!«, befahl sie und schickte die restlichen Mädchen zurück ins Bett. Kaori eilte in die Küche, holte zwei Eimer und Lappen, füllte die Wasserbehälter am Brunnen und begann die Pfähle und die Peitsche von Jians Blut zu reinigen. Als sie fertig war, brachte sie den einen Eimer zurück in die Küche und lief mit dem zweiten zum Stall. Mann könnte denken, dass der Dienst an der Pferdetränke eine Art Schonfrist für die Ausgepeitschten war - doch es war das Gegenteil. Es gab im Stall zwanzig Pferde und dementsprechend viele Tränken, die dreimal täglich mit je zwei Eimern Wasser gefüllt werden mussten. Genau, hundertzwanzig Eimer Wasser täglich. Das ging selbst bei einem Menschen, dessen Rücken nicht von Peitschenhieben geschunden war ins Kreuz. Egal wie er Kaori behandelte, Jian hatte das nicht verdient. Sie fand ihn im Stall ziemlich schnell, Jinhai und Liwei hatten ihn auf dem Bauch in einen Haufen Stroh gebettet, den Rücken noch immer blutig zerfetzt, das Arbeitsgewand neben sich auf dem Boden. »Oh Gott!«, entfuhr es Kaori und sie ließ sich neben ihm auf den Boden fallen. Sie hätte sich nur zu gern weggedreht und ihren Brechreiz besser unterdrückt, aber das konnte sie ihm nicht antun. Er öffnete die glasig-leeren Augen und stöhnte leise. »Wenn du dich für heut Nachmittag rächen willst, der Zeitpunkt ist nicht der beste…«, murmelte Jian mit schwacher Stimme. »Idiot, ich will dir helfen«, seufzte Kaori. Eigentlich war es gar nicht schlecht, dass er sich kaum bewegen konnte - wenn er zu langsam war um sie zu schlagen, könnte er ihr fast schon sympathisch werden. Sie tauchte den ersten Lappen in den Eimer, wrang ihn aus und tupfte über Jians Rücken. »Aua, verdammt! Das tut weh!«, empörte er sich und klang fast wie der alte Jian. Kaoris Lappen sog sich mit Blut voll, sie warf ihn in den Eimer und nahm den nächsten. »Was hast du getan?«, fragte sie. »Versucht ein Leben zu retten…«, seufzte er. »Dein Leben?« Er schwieg. Nachdem der zweite Lappen rot gefärbt war, begann Kaori sich zu fragen, ob er nicht zu viel Blut verlor. Doch als sie anfing mit dem dritten Lappen seinen Rücken zu waschen, hörte die Blutung allmählich auf und nachdem sie den fünften Lappen zurück in den Eimer geworfen hatte, sah man nur noch die roten Striemen. Jian räusperte sich. »Danke«, sagte er leise. »Ist das der Schock?«, fragte Kaori fies. »Nein, mein Ernst… Dass ich dich immer schlage, das ist… Gewohnheit, ich werde auch oft geschlagen! Oder ausgepeitscht!«, versuchte er sich zu verteidigen. Kaori beugte sich zu ihm hinab. »Es tut trotzdem weh.« Und nicht nur oberflächlich, dachte sie. Dein Hass verletzt mich auch innerlich! Doch das brauchte er nicht zu wissen, schließlich wusste Kaori selbst nicht was das zu bedeuten hatte. Was kümmerten sie die Gründe, weswegen Jian sie hasste? Er war doch nur einer von vielen… Es wurde still. Jian sah sie aus dunklen Mandelaugen von unten an. »Ich weiß, warum Gong dich gewählt hat«, flüsterte er schließlich. »Es lag an deinen Augen.« »An, an meinen Augen?«, fragte Kaori verwirrt. Warum klang er plötzlich so sanft. »Ja, sie sind grün, das ist außergewöhnlich. Das ist der einzige Grund. - Merkst du es? Merkst du wie oberflächlich die Gesellschaft ist? Wie oberflächlich… ich bin?« Sein Blick und diese Worte trafen Kaori so tief in ihrem Herz, dass es wehtat. Einem Impuls folgend beugte sie sich tiefer zu ihm hinab und küsste ihn. Ich werde ihn finden, diesen Menschen! Ihre Zunge stieß fordernd an seine Lippen, doch er verwehrte ihr den Einlass. Rasch zog Kaori sich zurück. »Neun Jahre hasst du mich und an dem Tag, an dem alle anfangen mich zu hassen, beginnst du mich zu lieben? Das ist paradox«, meinte er hart. »Ich hab dich nie gehasst! So bin ich nicht, ich nicht! Und ich liebe dich auch nicht… Findest du nicht, dass du etwas zu sehr von dir überzeugt bist? Wir sehen uns morgen!«, fuhr Kaori ihn an und stand auf. Sie packte den Eimer und lief mit schnellen Schritten nach draußen. In ihrem Bett lag sie erneut wach. Warum hatte sie Jian geküsst? Warum hatte er es nicht zulassen können? Was war da eben eigentlich passiert? Kaori strich über ihre Lippen, die leise pochten. Jian, was hast du mit mir gemacht?, fragte sie sich. Kaori stand früh am nächsten Tag auf. Sie lief in den Stall, Jian schlief noch. Warum machte sie das hier eigentlich? Sie nahm zwei Eimer und schaffte es zehnmal zum Brunnen zu laufen, bis es Zeit für ihren Dienst wurde, die Hälfte der Pferde war versorgt. Rasch ging sie zu Jian und weckte ihn unsanft mit einem Spritzer Wasser ins Gesicht. »Was machst du hier?«, fragte er müde. »Die Hälfte der Pferde ist versorgt, kümmer dich um den Rest!«, befahl sie und half ihm sich aufzurichten. Dann verschwand sie endgültig in der Küche. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)