Ein Garten in unerreichbarer Ferne von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der blasse Körper der jungen Frau war in der Ecke des Raumes zusammengekauert. Der Schein, der von der Tür auf sie fiel verriet sie, obwohl sie sich allein beim Klang der Tür tiefer in den Schatten zu ducken schien. Vint seufzte leise, als sie sah wie die schmutzigen Hände zitterten, die die dürren Arme umklammerten. Immer noch hob sie nicht den Kopf, als hoffte sie übersehen zu werden, doch sie war die letzte. Die Letzte die noch da war. "Mädchen." Ihre Stimme klang hart und laut in dem großen leeren Raum, hallte seltsam nach, wie etwas großes und wichtiges und schließlich hob das Mädchen doch den Kopf. Der Schein der Tür warf einen Schatten auf ihr Gesicht. Ihre hellen Augen waren rot und stumpf geworden. Flüchtig fragte sich Vint wie sie wohl ausgesehen hatten, als ihr Leben noch nicht so aus den Fugen geraten war. "Es ist Zeit." Fast schien es als errichten sie die Worte nicht, dann verzerrte sich ihr Gesicht in einem müden Entsetzen, als könnte sie nicht fassen, dass jener Tag doch endlich gekommen war. "Nein...." brachte sie kläglich hervor und in diesem einen Wort lagen Bitten, Flehen und Anklage. Wie oft hatte Vint schon jenen Klang vernommen. Sie seufzte. "Hebt sie auf." Die beiden Männer ohne Gesichter traten vor. Gnadenlos packten sie die Arme der erbärmlichen Gestalt und hoben sie auf die Füße, bis sie unsicher auf ihren Beinen stand die aussahen als würden sie jeden Moment unter ihr nachgeben. "Die Fesseln." Die schweren Ketten ihrer Füße wurden abgenommen. Die Haut um die Knöcheln war rot und entzündet. Vint schüttelte leicht den Kopf und drehte sich dann um. Das Mädchen hatte den Blick schon längst wieder gesenkt. "Bringt sie in das Zimmer. Ich werde dort warten." Wenn sie schrie wollte sie es nicht hören, wenn sie sich erbrach oder völlig die Kontrolle verlor noch viel weniger. Sie verließ den Raum und verschwand in einem der zahllosen Gänge, bald hatte sie den Raum erreicht. Die Luft war hier warm und Wasserdampf wallte darin. Sie mochte diesen Teil nicht besonders. Trotzdem legte sie die Tücher zurecht und tränkte die Schwämme in heißem Wasser. Nicht viel später öffnete sich die Tür. Das Mädchen schien sehr gefasst, oder so verzweifelt, dass sie apathisch geworden war, es kümmerte Vint nicht besonders, hauptsache sie war ruhig. Die Männer setzten sie auf den Stuhl. Vint trat heran, fasste ihr Kinn und hob den Kopf leicht an. Ihre Augen wirkten jetzt leer. Wie ein toter weiter Ozean. Wie oft hatte sie diesen Blick schon gesehen, am Ende sahen sie alle gleich aus. Sie ließ ihr Kinn los. "Steh auf." Schwankend kam sie dem Befehl nach, Vint packte das verdreckte Kleid am Saum und zog es grob über ihren Kopf. Sie trug ein Unterkleid, das nur knapp ihre Schenkel bedeckte. Sie packte den Kragen und begann es aufzuknöpfen. Sie konnte förmlich spüren wie die Männer das Mädchen begafften, den schmutzigen, Körper mit Blicken bedeckten, ohne jede Scham. Sie traf den Blick des Mädchens, ein stummes Flehen. Vint seufzte erneut. "Geht jetzt. Beide." Ein kurzes Zögern, dann hörte sie wie die Männer sich entfernten. Vint blickte in die Augen des Mädchens. Dankbarkeit, Dankbarkeit dass sie ihr diese letzte Würde gelassen hatte. Ohne weiter zu zögern knöpfte sie das Unterkleid auf und ließ es über ihre schmalen Schultern zu Boden fallen. Das Mädchen senkte den Blick nicht mehr, doch Vint hatte in zu viele dieser Augen gesehen, als dass sie der stumme Vorwurf noch irgendwie erreicht hätte. "Geh da rüber, zum Wasser. Setzt dich dort hin." Sie drehte ihr den Rücken zu, konnte hören wie sie langsam in die Richtung ging und sich dann auf den glatten Boden setzte. Anders als viele versuchte sie sich nicht schamhaft zu bedecken. Das würde vieles leichter machen. Mit einem Schwamm und mehreren Tüchern trat Vint zu ihr und setzte sich hinter sie. Der Schwamm wurde in Wasser getränkt, dann begann sie ihren Rücken zu waschen. "Wie heist du?" sie konnte nichts dagegen tun, dass ihre Stimme gleichgültig klang und versuchte auch gar nicht daran erwas zu ändern. Das Mädchen schwieg eine ganze Weile, dann erhob sie die dünne Stimme, die klang wie der Wind. "Das habe ich vergessen." Ohne Unterbrechung wusch sie weiter die Haut die unter all dem Schmutz so hell war, wie der erste Schnee, dann die langen dunklen Haare. Sie musste wunderschön gewesen sein. Irgendwann. "Warum." Das Wort verließ die blassen, spröden Lippen, hing schwer in der warmen Luft, schien in die Wände zu sickern aus denen es hundertfach zurückkam. Zu oft hatten jene Räume dieses Wort gehört. Vint antwortete nicht, Vint antwortete nie auf diese Frage. Stattdessen rutschte sie um sie herum, hob ihren Arm und fuhr mit der Reinigung fort. "Sind meine Schwestern schon tot?" Vint zog die Augenbrauen zusammen und erinnerte sich an zwei dürre Mädchen. Blasse Haut, dunkle Haare und der selbe Blick aus den hellen Augen. "Ja." antwortete sie schlicht. Die Schultern des Mädchens zuckten leicht, doch sie begann nicht zu weinen. Mit einem neuen Schwamm begann sie ihr das Gesicht zu waschen, das Mädchen schloss die Augen. Während sie den groben Dreck von ihrer glatten Stirn entfernte überlegte sich Vint zum vielleicht tausendsten Mal was in ihrem Kopf vorging. Was dachte man, wenn man wirklich alles verloren hatte. Was dachte man, wenn es ganz sicher und unabänderlich zuende war. Sie versuchte sich immer einzureden, dass es sie nicht interessierte, es waren zu viele Gesichter, zu viele Namen und doch fragte sie es sich jedes mal aufs neue. Dachte sie an ihre Schwestern? Wie war es gewesen, als sie geholt wurden, als ihr nach und nach jeder genommen wurde bis sie am Ende ganz allein war. Wie war es, als letzte übrig zu bleiben. Lernte man das Geräusch von Schritten zu fürchten? Sie begann den Schwamm in ruhigen Bewegungen ihre Wangen herunter, über ihren Hals zu ihrer Brust zu führen, tränkte in zwischendurch immer wieder in Wasser, damit er den Schmutz besser aufnehmen konnte. Das Mädchen ließ die Augen geschlossen und mit einem mal wurde Vint klar, dass es ihr Gesicht sein würde, dass das letzte war was sie sehen würde. Es war komisch aber bis jetzt hatte sie noch nie daran gedacht. Doch es würde ihr Gesicht sein, das sie sehen würde. Die letzte visuelle Erinnerung dieses Mädchens und der vielen vielen vor ihr würde das graue, gleichgültige Gesicht einer Fremden sein. "Mein Name ist Vint." Das Mädchen öffnete die Augen, fast befürchtete Vint einen jener verzweifelten Hoffnungsschimmer darin zu sehen mit dem sich jene verlorenen Geschöpfe an jedes Bisschen klammerten und sei es auch nur ein Name. Doch sie blickte wieder nur in den weiten grauen Ozean auf den der Wasserdampf einen stumpfen Glanz warf. "Wind..." Vint verbesserte sie nicht, denn der Blick des Mädchens schien noch eine Spur fernen zu werden, als schaue sie durch sie hindruch, als blicke sie durch die Wände und die Mauern auf etwas ganz anderes. "Ich liebte den Wind...ich liebte den Regen..." Sie sprach von sich in der Vergangenheit, als wäre sie schon nicht mehr hier. "...im Herbst donnerte das Meer gegen die Klippen und der Wind schlug gegen die Fenster. Mutter stellte eine Öllampe auf, damit uns die Geräusche keine Angst machten...doch ich liebte den Wind, ich liebte den Regen.....jedes bisschen davon, mit jedem Bisschen von mir. Wenn man dem Sturm zuhört ist es manchmal als wandere man, irgendwie, irgendwohin bis man am Ende erkennt, dass alle Mühen im Leben nur dazu geführt haben einen Garten zu sehen, der in unerreichbarer Ferne liegt." Und mit einem mal wollte Vint, dass sie aufhörte, das sie kein Wort mehr sprach, weil sich etwas in ihr rürte, das schon vor Jahren von all den leeren Augen erstickt worden war. Ein Wort mehr und etwas in ihr hätte zu einem Sturm werden können, zu einer Flut, einem Orkan. Doch sie schwieg und der Moment verging. Schließlich legte Vint den Schwamm weg und stand auf. "Komm" Ohne Zögern erhob sie sich auf die unsicheren Beine, Vint konnte hören wie sie ihr langsam folgte. Das Zimmer fiel hinter ihnen zurück. Der letzte Weg. Da war der Gang, die Wände, die Tür und sie blieben stehen. Das Mädchen sah sie an, als sie die Augenbinde hervorholte. "Sag mir deinen Namen" Sie wusste selber nicht, warum sie ihn wissen wollte. Vielleicht, weil sie bis jetzt von jedem einen Namen gehört hatte, vielleicht aus anderen Gründen. Doch das Mädchen schüttelte nur leicht den Kopf. "Sag ihn mir.“ Fuhr Vint fort. „Wer soll denn deiner gedenken, wenn nicht ich es tue und ohne einen Namen vergesse ich dich." "Du musst meiner nicht gedenken. Ich bin in dem Garten. Dort war ich die ganze Zeit. Keiner muss meiner gedenken. Alle die ich liebe sind schon dort." Einen Moment noch sahen sie sich an, das unbewegte graue Meer in ihren Augen schien sie weit hinaus zu ziehen, fast fort aus diesen Wänden, in eine Welt in der sie beide einst Zuhause gewesen waren. Dann hob sie die Augenbinde, legte den schwarzen Stoff über die steten, grauen Wogen, und es war als bräche die Nacht herein. Die Tür öffnete sich, Vint umfasste ihre Schultern und schob sie darauf zu, doch sie musste sie nicht drängen, ohne zu zögern ging sie auf das kalte Licht zu, wurde davon verschluckt, verschwand. Die Tür schloss sich. Eine ganze Weile noch starrte Vint auf das nichtssagende Metall, glaubte fast hindurch sehen zu können, bevor sie sich doch wieder herumdrehte und zurückging. Doch während sie die Tücher wegräumte und die schmutzigen Fußspuren auf dem weißen Boden auslöschte wusste sie längst, dass sie diese Eine niemals vergessen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)