Gefangen in der Dunkelheit von Erdnuss91 (ohne Fluchtweg in einer fremden Welt) ================================================================================ Kapitel 10: Zurück in der Vergangenheit --------------------------------------- In aller Herrgottsfrühe werde ich von einer Krankenschwester geweckt. Ich muss mehrmals blinzeln um sie überhaupt erkennen zu können. Es ist schon regelrecht eine Unverschämtheit, einen so früh aus den Federn werfen zu wollen. Ich fühle mich unheimlich benommen wegen der Schlaftabletten. „Entschuldigen Sie. Guten Morgen. Sie bekommen gleich Besuch von ihrer Sozialarbeiterin und davor sollen sie noch ein klein wenig zu sich nehmen und ihre Medizin müssen sie auch noch nehmen“, klärt sie mich auf. Ich nicke und richte mich etwas auf. Warum kann die Sozialarbeitern nicht erst nachmittags kommen? Ich brauche schließlich Schlaf um wieder gesund zu werden. „Können sie mir vielleicht helfen etwas Dickeres anzuziehen? Mir ist immer noch kalt und schlecht“, frage ich sie. „Ja, das kann ich gerne machen. Warten Sie ich hole zuerst den Arzt, damit er Sie noch einmal untersuchen kann“, erklärt sie mir und schon ist sie weg. Warum will er mich untersuchen? Sie weiß hoffentlich, dass ich im Grunde gar keine Lust auf den heutigen Tag habe? Gott sei Dank braucht sie nicht lange, denn ein paar Minuten später steht der Arzt mit all seinen Instrumenten vor mir. „Wie fühlen Sie sich denn ganz konkret? Immer noch so wie gestern oder ist es schlimmer geworden?“, fragt er mich. „Mir ist schlecht, besonders nach dem Essen. Und außerdem ist mir die meiste Zeit des Tages total kalt“, erläutere ich ihm seufzend und lasse ich mich wieder zurück sinken. Sitzen strengt viel zu sehr an und ich habe das Gefühl jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. Und laut der Krankenschwester soll ich ja wach werden oder eher wach bleiben. „Haben sie das öfters?“, möchte er stirnrunzelnd von mir wissen. „Ja, eigentlich schon. Aber kalt ist mir erst die letzte Zeit“, gebe ich ehrlich zu. Um genau zu sein ist mir fast schon bitterlich kalt. „Es kann von den psychiatrischen Erkrankungen kommen und sie haben ja schon einen recht niedrigen Blutdruck und sind sehr dünn, das spielt da natürlich auch eine Rolle. Ich weiß nicht was für sie von Vorteil wäre, würden sie eventuell in eine Psychiatrie für eine Therapie gehen?“, fragt er direkt darauf los. Verneinend schüttele ich den Kopf. Bisher hat das leider die Situation eher verschlimmert. „Aber Besuche bei einem Psychologen würden ihnen im Grunde nichts ausmachen?“, hakt er nach. Was würde ein Psychologe machen? Vielleicht bindet er mich wieder an ein Bett und gibt mir so lange Tabletten, bis ich gefügig bin. Aber wieso sollte er genau das machen? Das hatte der andere ja nur gemacht, weil er Geld von meinem Großvater dafür bekommen hatte. „Ich weiß nicht so recht, ob das so eine gute Idee ist“, gebe ich ehrlich zu. „Am Besten sie versuchen es erst einmal die nächsten paar Tage“, schlägt er vor. Ich nicke und stehe langsam auf. Die Welt will mich anscheinend ärgern. Denn mir ist ein wenig schwindlig und es fällt mir ganz schön schwer stehen zu bleiben. Ob das von den Schmerzmedikamenten kommt? „Geht es ihnen und ihrer Schulter denn wieder ein wenig besser?“, fragt er direkt besorgt. „Ja, doch es geht mir schon wieder ein Stückchen besser. Wann wird der Verband gewechselt? Ich glaube Reita hat ihn ein wenig verschoben gestern und jetzt zwickt es ein wenig“, erkundige ich mich. Und ich will mich auf keinen Fall dort kratzen, egal wie groß das Bedürfnis danach vorhanden ist. Nachher reiß ich noch die Nähte auf, oder sonst etwas. Vielleicht sind es auch keine Nähte? Auf jeden Fall kratze ich mich lieber nicht. „Dann lasse ich ihn am Besten jetzt direkt wechseln, um mit eins die Wunde noch einmal überprüfen zu können“, meint er lächelnd. Ich nicke und lasse die Krankenschwester die Schlinge und mein Hemd ausziehen. Es dauert nicht lange und schon sind Verband und Pflaster entfernt. „Das sieht ja schon einmal gut aus“, meint der Arzt. Ich lächle leicht, während ich wieder alles angezogen bekomme. Natürlich bekomme ich ein neues Pflaster und einen neuen Verband. Und die dumme Schlinge darf ja auch nicht fehlen. Ich habe mit Absicht nicht die Wunde angeguckt. Ich mag Wunden nicht, die sind meist ziemlich eklig. Und bevor sie mich in meinen Träumen verfolgt, gucke ich sie mir lieber nicht an. Wahrscheinlich ist alles drum herum grün und blau und das finde ich noch ekliger als eine Wunde. „Sie machen schon Fortschritte. Das ist schön zu sehen“, freut der Arzt sich. Mein Lächeln wird breiter. „Gleich nach der Sozialarbeiterin, kommt die Psychologin. Wenn es ihnen zu viel wird, sagen sie Bescheid“, bittet er mich. „Ja, das werde ich“, erwidere ich und gucke auf die Bettdecke. Es ist so leicht andere mit einem Lächeln hinters Licht zu führen. Eigentlich ist mir nicht nach Lächeln zu Mute, aber was soll ich groß machen? Der Termin bei der Sozialarbeiterin ist wichtig und da komme ich jetzt nicht dran vorbei. Die beiden gehen wieder und ich esse etwas Reis mit den Händen. Es dauert noch nicht einmal 5 Minuten und schon ist der erste Besuch zu Gast. Wenigstens war ich mit der Sozialarbeiterin nicht lange alleine, denn die Psychologin ließ nicht lange auf sich warten. Ich redete anfangs so gut wie gar nicht, denn es dauerte einige Zeit bis ich all meinen Mut zusammengefasst hatte, um meine Geschichte erzählen zu können. „Ich weiß gar nicht mehr wann alles genau anfing. Ich weiß nur noch, dass ich direkt zweisprachig aufgewachsen bin. Japanisch und Englisch. Freizeit hatte ich kaum welche, denn ich lernte direkt Schreiben und andere grundlegende Dinge, wie korrektes Verhalten und äußerste Disziplin. Wenn ich es nicht direkt hin bekommen habe, wurde ich mit einem Rohrstock geschlagen. Anfangs blieben keine Narben, bis ich ungefähr 10 war. Bis dahin lief ohnehin alles reibungslos im dem Sinne“, so weit ich mich erinnere. Ich muss einmal tief schlucken, um die Tränen zurück halten zu können. Zu deutlich sehe ich noch die Bilder von damals vor meinem innerem Auge, zu tief sitzt der Schmerz. „Sollen wir vielleicht eine Pause machen?“, erkundigt sich die Sozialarbeiterin und guckt nur kurz von ihrem Klemmbrett hoch. Lässt sie das etwa alles vollkommen kalt? „Es geht schon, danke. Also ich war bei dem wo ich 10 war… Irgendwann um die Zeit fingen auch die Probleme mit den Klassenkameraden an. Sie bespuckten mich, schlugen auf mich ein, terrorisierten mich wo es nur ging“, erzähle ich. Und drücke es harmloser aus als es wirklich war. Ich kann die Tränen kaum noch zurückhalten. Ich atme ein paar Mal tief ein und aus. „Sind sie sicher, dass es geht?“, fragt die Psychologin besorgt. „Ja, muss ja. Naja auf jeden Fall habe ich zu der Zeit versucht öfters einmal blau zu machen. Mein Großvater hat mich irgendwann höchst persönlich jeden Morgen vor dem Klassenzimmer abgeliefert. Dann schlugen die ganzen Dinge auf meinen Magen ein und ich habe kaum noch etwas gegessen und wenn ich es getan hatte, habe ich mich meist sofort übergeben. Deshalb haben mich die Lehrer wie oft gegen meinen Willen nach Hause geschickt, wo mich mein Großvater schon mit dem Rohrstock erwartete. Das ging ein paar Wochen so, bis ich zusammengebrochen bin im Sportunterricht. Ich lag ein paar Tage im künstlichen Koma und die Ärzte hatten um mein Leben gekämpft. Danach wurde ich eingewiesen in die Psychiatrie. An die Zeit erinnere mich kaum, da ich mit starken Medikamenten zu gepumpt wurde und deshalb war ich auch die Hälfte der Zeit an mein Bett angekettet“, berichte ich und mehrmals bricht mir die Stimme weg. Genau das ist eine ziemlich unangenehme Erfahrung, muss ich zugeben. Selbst das ganze geschlagen werden war nicht so schlimm wie der erste Aufenthalt in der Psychiatrie. Ich weiß noch genau wie es in dem Zimmer gerochen hatte und wie unangenehm die Handfesseln waren. Ich muss würgen, bei diesen Erinnerungen. Zitternd presse ich meine Hand auf meinen Mund und lasse den Tränen freien Lauf. „Soll ich den Arzt holen?“, bietet mir die Sozialarbeiterin an. Ich nicke leicht und lege mich auf das Bett, damit das Schwindelgefühl ein wenig nachlässt. Ich kauere mich eng zusammen, als sich die Tür erneut öffnet. „Matsumoto-san wie geht es ihnen?“, fragt der Arzt in Sorge. Ich schüttele den Kopf. „Ist ihnen schlecht?“, fragt er besorgt nach, Ich nicke und schlinge die Bettdecke um mich. „Müssen sie sich übergeben?“, bohrt er weiter. Ich weiß es selbst nicht. Bei diesen Worten zucke ich nur leicht mit der einen Schulter. „Stört es ihre Untersuchung, wenn ich ihm ein Beruhigungsmittel spritze?“, fragt der Arzt die Psychologin. Dieses verneint sie direkt. Er verschwindet kurz und in der Zwischenzeit schließe ich die Augen. Versuche mich zu entspannen und zu beruhigen, doch es will mir nicht gelingen. Als er wieder kommt, fragt er mich ob ich noch wach bin. Ich nicke leicht als Antwort und im Gegenzug spritzt er mir etwas. „Bleiben sie stark, Matsumoto-san“, meint er. Es vergehen etliche Minuten in denen keiner etwas sagt. Langsam werde ich ruhiger und auch die Übelkeit verfliegt. „Ich glaube es ist das Beste, wenn wir es für heute sein lassen. Matsumoto-san braucht Ruhe und ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn er weiterhin so ausgequetscht wird“, fügt der Arzt hinzu. Wo er Recht hat, hat er leider Recht. Ich höre ein leises „Auf Wiedersehen“ und das Türen schlagen. Ich öffne ein Stück die Augen und die Tränen beginnen wieder zu fließen. Energisch wische ich sie weg. „Soll ich jemanden für sie anrufen?“, fragt der Arzt. „Nein“, antworte ich und schmiege ich mich an das Kissen. „Versuchen sie am Besten noch etwas zu essen. Ich schicke ihnen eine Lernschwester, die ihnen bei eventuellen Problemen behilflich sein kann“, meint er. Ich nicke und schon ist der Arzt wieder weg. Meine Tränen rollen wieder unaufhaltsam, als die Lernschwester reinkommt. Sofort kommt sie eiligen Schrittes zu mir her und richtet mich wieder etwas auf. Immer wieder dringen Worte von ihr an mein Ohr, doch sie berühren mich nicht im Geringsten. Wie soll sie auch einen Schmerz nachempfinden, den sie noch nie verspürt hat? Meine Augen brennen schon wie verrückt und ich höre auch deswegen langsam auf zu weinen. Sie überredet mich dazu, die Medizin und ein wenig Nahrung zu mir zu nehmen. Nach den ersten paar Bissen, habe ich genug. Vorsichtig lasse ich mich zurück auf die Kissen sinken. Die Vergangenheit wird mich einholen, ich werde nie sicher sein. Sie hat es mir zu oft bewiesen, ich habe es zu oft am eignen Leib erfahren. Ich werde nie glücklich werden auf Erden, solange das Scheusal von Großvater frei herumläuft. Stumm rollen wieder ein paar Tränen über mein Gesicht. Meine Augen fühlen sich so an, als stünden sie in Flammen. Mein Magen rebelliert. Ich will sterben, ich will von diesen Qualen befreit werden. Wieso wiederholt sich die Vergangenheit nur ständig? Ich merke kaum wie die Lernschwester kurz verschwindet und danach mit dem Arzt wiederkommt. „Matsumoto-san?“, spricht er mich direkt an. „Ja?“, erwidere ich schwach. „Wie geht es ihnen?“, als würde er es nicht sehen wollen. „Schlechter“, meine Stimme zittert. „Inwiefern schlechter?“, fragt er verwundert nach. „Mir ist noch schlechter und meine Augen brennen“, erkläre ich. Meine eigene Stimme klingt mir so fremd wie nie zuvor. „Das kommt wohl vom ganzen Weinen. Ich werde ihnen Tee kochen lassen, okay?“, schlägt er vor. Er kommt mir wie ein richtiger Vater vor. Dabei weiß ich es nur von Freunden, wie Väter sein sollten. „Kann ich vielleicht etwas schlafen, bis meine Freunde kommen?“, erkundige ich mich. Da ich ja eigentlich wieder einen normalen Tagesrhythmus haben soll, darf ich tagsüber nicht mehr schlafen. „Ja, natürlich geht das in Ordnung. Solange sie wenigstens heute Abend etwas zu sich nehmen, werde ich da einmal ein Auge zudrücken. Gibt es irgendetwas, was sie gerne essen?“, erkundigt er sich. „Ja, Früchte und alles. Oder irgendetwas einfaches wie Reisbällchen“, antworte ich. Ich mag keine großartigen Gerichte momentan essen. Und irgendwie würde ich am liebsten komplett auf essen verzichten. „Wir werden schon das passende Menü für sie zusammenstellen“, meint er zuversichtlich. „Vielen lieben Dank“, bedanke ich mich. „Nichts zu danken. Wollen sie noch irgendwelche Schlaftabletten?“, bietet er mir an. „Nein“, erwidere ich und schüttele ein wenig den Kopf. „Okay. Dann ruhen sie sich am Besten jetzt ein wenig aus und wenn irgendetwas sein sollte, einfach sofort melden. Besser zu früh, als zu spät“, erinnert mich dran und lächelt aufmunternd. Ich nicke und gucke den beiden beim raus gehen hinterher. Zu gern würde ich das Zimmer auch verlassen dürfen, wann immer ich möchte. Eigentlich gruselt mich der Gedanken daran, aber hier drinnen fühle ich mich wie eine Maus in der Falle. Ich rappele mich auf und gehe zur Toilette. Nachdem ich meinen morgendlichen Toilettenbesuch mit Waschgang erledigt habe, gehe ich zurück ins Zimmer und setze mich dort auf die Fensterbank. Die Lernschwester kommt wieder rein und stellt eine Kanne Tee auf das Nachtschränkchen. Ich bedanke mich herzlich, setze mich danach aufs Bett, und gieße mir etwas Tee in die Tasse. Schnell habe ich die Kanne leer, aber besser fühlen tue ich mich noch lange nicht. Leicht schlurfend mache ich mich auf den Weg zur Toilette, wo ich erst einmal meine Blase erleichtere und dann so gut es geht meine Haare mit einer Hand wasche. Aber dank dem Ritzen bin ich ja an so was gewöhnt. Irgendwie musste ich damals die Wunden schützen und das ging halt nur so. Ich hatte halt nicht die Möglichkeit an passendes Verbandsmaterial zu kommen und musste deshalb sparsam mit dem umgehen was ich mir stibitzen konnte. „Matsumoto?“, ruft jemand. „Im Bad“, rufe ich zurück. „Ach hier sind sie. Ich habe ihr Essen auf den Tisch gestellt“, meint die Krankenschwester. Sie kam einfach ohne an zu klopfen rein, was ziemlich unverschämt ist! Ich bedanke mich für den Hinweis und schlucke den Ärger einfach herunter. Eine Diskussion darüber würde wahrscheinlich nichts bringen. Sicherlich hätte sie mich auch geweckt, nur damit ich etwas Essbares zu mir nehme, sicherlich. Genauso war früher meine Mutter. Bis sie irgendwann dahinter gekommen ist, dass mein Körper jedes Essbare was ich zu mir nehme, wieder erbricht. Aber sie hat mich weiter gezwungen und wollte es nicht wahrhaben. Bis irgendwann einmal mein Körper so geschwächt war, dass ich des Öfteren umgekippt bin und bis ich letztendlich fast für immer das Innere meiner Augenlider begutachten konnte. Sie hatte immer gedacht, dass es nicht nach jeder Mahlzeit vorkommt, aber dem war halt nicht so. Irgendwann war es sogar so schlimm, dass ich kaum mehr als ein paar Bissen zu mir nehmen konnte. Ich rubbele mir die Haare trocken und hänge das nasse Handtuch auf. Ich hole mir ein Neues und gehe zurück in mein Zimmer, wo ich dieses auf mein Kopfkissen lege. Ich gehe an den Tisch und nehme mir etwas Onigiri mit, welches ich dann auf meinem Bett verputze. Die restlichen Stunden, bis die anderen kommen will ich mit schlafen verbringen. Irgendwie muss man ja die verheulten Augen los bekommen. Ich platziere die dickere Decke über mir und lege mein Haupt auf dem Handtuch ab. Hier im Krankenhaus werde ich dank der Polizeibewachung und dem Geld super gut behandelt. Sogar das Essen bekomme ich wann ich will, was ein echter Luxus ist. Zu Hause musste ich immer dann Essen, wann unser Koch gekocht hatte. Und dann wurde mit der ganzen Familie und ein paar Verwandten im Speisesaal gegessen. Auf jeden Fall war dieses abends so, denn mittags war ich Gott sei Dank nicht zu Hause. Ich schließe die Augen und schlafe nach kurzer Zeit ein. Ich schrecke auf und sofort verlässt ein greller Schrei meine Kehle. Wie zum Teufel kommt mein Großvater hier rein? Vor der Tür stehen doch die Polizisten?! Verflucht! Er lächelt mich selbstsicher an und ich schreie noch einmal, aber dieses Mal um einiges lauter als vorher. Ich fühle mich wie gelähmt. Ich höre wie die Tür geht und spüre wie jemand leicht auf meine Wangen schlägt. „Matsumoto! Wachen sie auf“, fleht jemand. Ich öffne ein wenig die Augen und erblicke nichts. Lediglich die Krankenschwester steht neben mir und begutachtet mich kritisch. Mein Herz rast und mein Atem geht stoßweise. War das wirklich alles nur ein Traum? „Haben sie schlecht geträumt?“, fragt sie besorgt. Ich nicke und wische mir den Schweiß von der Stirn. „Aber sonst ist alles in Ordnung?“, fragt sie verunsichert. „Ja, ich denke schon“, antworte ich und ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Töricht, wie könnte mein Großvater hier reinkommen? Er kann sich ja nicht alles kaufen und er gilt ja in diesem Fall dringend tatverdächtig. „Ich habe ihnen Tee und etwas zu Essen auf den Tisch gestellt. Ging es ihnen besser nach dem Essen?“, erkundigt sich die Krankenschwester. Ich hatte doch erst eben gegessen?! Oder habe ich wirklich so lange geschlafen? „Mir ging es nachdem Essen normal. Also gut“, erwidere ich. Es ist ganz anders als sonst. Ich habe mich schon lange nicht mehr so normal nach einer Mahlzeit gefühlt wie heute. „Das ist schön zu hören. Ihre Freunde kommen auch gleich“, teilt sie mir lächelnd mit. „Danke. Was steht morgen alles an?“, frage ich nach. „Eigentlich sollte die Psychologin noch einmal vorbei schauen, aber ich denke das erübrigt sich ja, oder?“, stellt die Krankenschwester fest. „Ja“, bestätige ich ihre Aussage. Ich bin halt nicht bereit um über all das zu reden, was mich in dieses Bett befördert hat. „Wollen sie vielleicht es nächste Mal lieber einen ihrer Freunde dabei haben?“, fragt sie mich. „Die müssen morgens zur Schule und abends arbeiten sie des Öfteren“, erkläre ich. In Wahrheit traue ich mich einfach nicht jemanden zu bitten bei mir zu bleiben. Ich bin ja schließlich kein Kind mehr und müsste solche Sachen alleine geregelt bekommen. „Wir können den Termin auch auf abends legen, dann wann ihre Freunde Zeit haben“, bietet sie an. „Ich frage sie gleich einmal“, antworte ich. Ob sie gemerkt hat, dass ich gerade gelogen habe? Seufzend erhebe ich mich und gehe zum Tisch, wo ich direkt anfange zu essen. Die Krankenschwester hat mich inzwischen auch wieder allein gelassen. Wo soll das alles bloß noch hinführen? Nach langer Zeit öffnet sich erneut die Tür und ich erblicke Reitas Haarschopf. Ich springe hastig vom Stuhl und werfe mich ihm um den Hals. Noch auf dem Weg zu ihm, haben die ersten Tränen ihren Tod gefunden. „Was ist den los Ruki-chan?“, fragt er über rumpelt. „Ich hab Angst“, gebe ich klein laut zu. „Ich bin doch hier und habe auch noch eine Überraschung für dich“, teilt er mir mit. Hoffentlich ist es eine schöne Überraschung. Er hebt mich hoch und trägt mich wieder zum Bett. „Du bist blass, geht es dir nicht gut?“, fragt er besorgt. Er ist richtig aufmerksam und kümmert sich liebevoll um mich. Immer fragt er wie es mir geht. „Es geht schon, danke“, antworte ich lediglich. „Die Krankenschwester meint, dass ich mich etwas um dich kümmern soll“, klärt Reita mich auf. „Es reicht wenn du bei mir bist“, erwidere ich. Dieses reicht mir vollkommen aus, immerhin vermisse ich dieses Gesellschaft haben unheimlich. Früher war ich selten allein, aber trotz allem habe ich mich schrecklich einsam gefühlt. „Du bist einfach zu niedlich Ruki“, meint er belustigt. „Halt deinen Mund“, motze ich. „Ach sei nicht immer so abweisend“, meint er lachend. Die Tür geht wieder auf und Aoi tritt mit vielen Bechern Kaffee ein. Gefolgt wird er von Uruha, welcher lediglich eine Laptoptasche trägt. „Guten Morgen!“, begrüßt mich Aoi fröhlich. Ich drehe mich auf den Bauch und vergrabe mein Gesicht im Kissen. „Was hat denn der kleine?“, fragt Uruha überrascht. „Er ist etwas durch den Wind“, klärt Reita die anderen beiden auf. Na danke, ich kann auch noch alleine antworten. Ich brummele leise vor mir her und ziehe mir die Decke über den Kopf. „Hey kleiner. Verstecken nützt nichts“, weist Aoi mich darauf hin. „Na und?!“, erwidere ich trotzig. „Keif mich nicht so an Ruki“, ermahnt mich Aoi. „Reg mich nicht auf Aoi!“, bitte ich ihn. Ich will doch lediglich ein friedliches und tolles Leben haben, ist das etwa zu viel verlangt? Warum müssen die beiden ausgerechnet jetzt da sein? „Und warum nicht?“, fragt Aoi genervt. „DARUM“, schreie ich. „Ruki, hör auf zu schreien“, bittet mich Uruha gereizt. „Nur wenn er aufhört mich zu ärgern“, verteidige ich mich. Ich klinge wie ein kleines trotziges Kind. „Aoi, lass Ruki in Ruhe“, beendet Reita unser kleines Streitgespräch. „Ja, Reirei“, neckt Aoi. Aoi hört auf Reita, was für ein Wunder. Ich schlage die Bettdecke soweit zurück, dass sie nur noch bis zur Nasenspitze reicht. Und ich drehe mich auf den Rücken, da alles andere zu unbequem wäre auf Dauer. „Ich glaube er kommt langsam in die Wechseljahre“, stellt Aoi fest. „Aoi bitte lass für einen Moment deine Scherze, bitte“, fleht Reita den anderen an. „Ja, Reirei“, seufzt Aoi nur. Alle drei schnappen sich einen Kaffeebecher. Ich verdrehe leicht die Augen und schlinge die Bettdecke mehr um mich. „Ruki sieht echt nicht gut aus, Reirei“, meint Aoi besorgt. „Ich weiß. Ruki?“, wendet Reita sich an mich. Es ist so unangenehm, wenn andere über einen sprechen und man selbst dabei ist. „Ja?“, irritiert gucke ich ihn an. „Ist heute irgendetwas passiert?“, will er wissen. „Ja“, gebe ich seufzend von mir. „Willst du vielleicht mit uns darüber reden?“, bietet er mir an. „Nein, lehne ich sein Angebot ab. „Okay. Ruki wann wirst du entlassen?“, er klingt ein wenig enttäuscht. „Weiß ich nicht“, erwidere ich. Es interessiert mich auch nicht wirklich. Ich spüre wie sich hinter mir die Matratze etwas senkt und jemand mich leicht anhebt. „Reita?“, frage ich verwundert. „Keine Angst Ruki“, meint er beruhigend. Ein zweites Kissen landet unter meinem Kopf und ich seufze leicht auf. „Reirei, Was machst du mit ihm?!“, fragt Aoi verwundert. „Ihm Aufmerksamkeit schenken?“, verteidigt sich Reita genervt. Ob heute etwas passiert ist zwischen ihnen? Normalerweise sind sie ja um Welten netter zueinander. „Du Lüstling!“, äußert sich Aoi empört. „Doch nicht so eine Aufmerksamkeit!“, rechtfertigt sich Reita direkt. „Reita?“, mische ich mich ein. „Ja Ruki?“, erwidert er. Wenigstens scheint er mir zuhören zu wollen. „Ich will nach Hause“, murmele ich ganz leise. Ich will zwar nicht entlassen werden, aber ich möchte unbedingt nach Hause. Dort könnte mich doch auch die Polizei bewachen, oder? „Man Ruki, hab doch eben schon gesagt, dass es nicht mehr lange dauert“, weist er mich darauf hin. wr klingt schon wieder ziemlich genervt. Er hebt mich hoch und zieht mich in eine sanfte Umarmung. „Reita“, murmele ich erschöpft. „Ja?“ Er ist richtig warm. Und es ist angenehm von ihm so umarmt zu werden. Ich hätte nie gedacht, dass mir Körperkontakt je wieder angenehm sein könnte. „Mir ist kalt“, teile ich ihm mit. „Immer noch?! Ruki, tu mir einen Gefallen und esse mehr. Deine Knochen tun weh“, beschwert er sich. Ich schluchze leise auf und vergrabe mein Gesicht in seinem Hemd. Wieso wirft er mir gerade das vor? Er weiß genau, ich schaffe das nicht. Er weiß genau, dass ich es nicht ändern kann. Mein Körper bebt, während er sanft über meinen Rücken streicht. „Ruki-chan? Lach wieder. Bitte“, fleht er mich an. Ich schlinge meine Arme um ihn und drücke ihn an mich. Ich möchte ihn nicht verlieren. Ich habe Angst davor, wieder in Dunkelheit allein gelassen zu werden. „Hey beruhige dich wieder, komm schon“, er fleht immer noch. „Reita“, meine Stimme zittert. „Ja, Ruki?“, meint er neugierig. „Lass mich nicht allein“, bitte ich ihn an. „Ach Ruki“, seufzt er. Ich löse mich von ihm und schaue ihm unsicher in die Augen. „Hab keine Angst. Wir kommen dich doch jeden Tag besuchen“, meint Reita beruhigend. „Ruki? Sorry, dass wir zwei jetzt wieder gehen müssen. Weißt ja, die Arbeit ruft. Dann bis Morgen“, meint Aoi plötzlich. Ich nicke nur leicht und schmiege mich wieder an Reita. Ich höre wie sich die Tür öffnet und schließt. „Ruki du bist echt total anhänglich geworden“, stellt Reita fest. „Nervig?“, frage ich nach. „Nein, nur verdammt süß“, neckt er mich. „Ich bin nicht süß, Reita“, motze ich direkt. „Die Lehrerin hat uns ein paar Übungsblätter mitgegeben. Du bist zwar immer noch von der Schule befreit, aber du sollst trotzdem mal schauen. Vielleicht hattest du die Sachen auch schon“, meint Reita verunsichert. Das war aber jetzt ein abrupter Themenwechsel? Ich nicke nur und lausche seinem Herzschlag. Ich bin zu faul zum Lernen. Also momentan, da ich einfach zu müde bin. „Wir schaffen das schon“, versichert er mir. Seinen Optimismus hätte ich gerne. Was passiert, wenn ich den Anschluss nicht finde? „Du bist immer noch so schweigsam, Ruki“, meint er traurig. „Wirklich?“, frage ich nach. „Nicht mehr ganz soviel, aber noch zu viel“, erklärt er. „Ich will nach Hause!“, wechsle ich schnell das Thema. „Ja, ich weiß“, lachend streicht er mir über den Rücken. „Nimm mich mit“, meine ich und schiebe schmollend die Unterlippe vor. „Geht leider nicht, sorry“, entschuldigt er sich direkt. „Nimm mich trotzdem mit“, flehe ich ihn an. „Nein, Ruki“, verneinend schüttelt er den Kopf. „Reita“, und jetzt der Dackelblick! Wenn der nicht hilft, weiß ich auch nicht weiter. „Ach komm schon, so schlimm ist es auch nun wieder nicht“, meint er schmunzelnd. „Ja“, leider hat er Recht. „Ich geh jetzt auch, in Ordnung? Habe noch genug zu lernen, heute“, teilt er mir mit. Schule ist dir ja doch sehr wichtig? Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. „Du bist spät dran“, gebe ich zu denken. „Ja, aber ich schaff das. Dann bis Morgen und schlafe schön“, meint er lächelnd. „Danke. Schlaf du auch schön…“, auch ich lächle mittlerweile. Er legt mich wieder richtig auf das Bett und schaltet im raus gehen das Licht aus. Zufrieden schlafe ich wieder ein, der Tag war doch schon anstrengend genug. Ich hätte nie damit gerechnet, dass mich ein so kurzer Besuch so fertig machen würde. Mitten in der Nacht wache ich wieder auf. Ich versuche wieder ein zu schlafen, doch dazu bin ich momentan zu wach. Brummelnd schlage ich die Bettdecke zurück und stehe auf. Den Laptop nehme ich vom Nachttisch und gehe damit zum Tisch. Mir ist es immer noch kalt und am liebsten wäre ich jetzt auch ganz woanders. Ich schalte den Laptop an und logge mich in den Account mit dem Namen „Ruki“ ein. Als Hintergrund dient ein Wallpaper mit vielen Herzen und rosa Kaninchen. Wie ich es doch hasse. Ich bin ein Junge und kein Mädchen, verdammt! Ich suche ein Schreibprogramm raus und bin mehr als erfreut, dass dieses Ding überhaupt eins hat. Das zahle ich Uruha heim, definitiv! Ich überlege lange, bis ich endlich die richtigen Worte für meine momentanen Gefühle gefunden habe. ~ [Spektrum des Regenbogens] Du sahst hin, aber sahst es nicht, anstatt zu helfen und mir bei zustehen, ließest du mich mit einem Grinsen allein, allein bei der Ausgeburt der Hölle. Du selbst fandest es toll wenn ich wieder kam, im Spektrum des Regenbogens bemalt, wenn man mich nicht wieder erkannte, nach jedem Besuch meinerseits. Ich kam zu dir zurück, hatte immer wieder Hoffnung, du würdest mich schon vor ihm beschützen, doch jedes Mal ließest du mich gehen, jedes Mal schicktest du mich ins falsche Paradies. ~ Es ist schon manchmal herzzerreißend, was ich denke, gebe ich gerne zu. Aber mir ist es egal, denn manchmal hilft es mir aus dem Alptraum zu entfliehen. Ein paar Sekunden, die mir helfen die Welt wieder aus einem anderen Blickwinkel betrachten zu können. Ich speichere das alles ab. Die Tür wird geöffnet und eine Schwester tritt herein. „Matsumoto-san, sie werden gleich nach Hause gebracht. Ich habe hier ein paar stärkere Beruhigungsmittel für sie. Ich werde dann jetzt ihre Tasche packen“, die Aussage von der Krankenschwester kam ziemlich plötzlich. Geschockt blicke ich sie an. Ich soll nach Hause, jetzt schon? Sie krempelt meinen Hemdärmel hoch und spritzt mir etwas in den Oberarm. Seufzend schalte ich den Laptop aus und schaue ihr beim Einräumen zu. Es ist nicht viel, was Reita mir in der ganzen Zeit immer mitgebracht hat. Ich stehe auf und sofort zieht sie mir eine dickere Jacke über und setzt mir eine von Reitas Basecaps auf. Wo immer der Sinn dahinter liegen mag. Ich fühle mich richtig benebelt dank der Medikamente und eigentlich fühle ich gerade nichts. Ich möchte mich einfach nur hinlegen. Schweigend folge ich ihr raus auf den Flur, wo ich direkt von zwei Polizisten in Empfang genommen werde. Diese führen mich runter in die Tiefgarage, wo schon ein schwarzes Auto mit getönten Scheiben auf uns wartet. Ich fühle mich irgendwie wie ein Schwerverbrecher und nicht wie ein Opfer. Unsicher steige ich ein und lege mich halb auf die Rückbank. Die Beruhigungsmittel lassen kaum Raum für Gedanken, sie machen mich nur hundemüde. Immer wieder fallen mir auf der Fahrt die Augen zu und erst als ich die Gegend erkenne, macht sich Panik in mir breit. Was ist wenn mein Angreifer auf mich lauert? Wollen sie, dass ich Lockvogel spiele, damit sie den Täter aus seinem Versteck locken können? Stumm rollen Tränen über meine Wangen. Ich möchte nicht in die Dunkelheit zurück. Erst jetzt bemerke ich, wie sehr mir doch diese Tat zugesetzt hat. Ob ich mich je wieder auf die Straße ohne Hintergedanken trauen kann? Mit quietschenden Reifen hält das Auto und einer der Polizisten steigt aus. Ich richte meinen Blick auf den Laptop, welcher auf meinem Schoß liegt. Ich möchte nicht durch eine fremde Hand getötet werden. Ich schaue auf, als sich die Autotür neben mir öffnet und Reitas Mum mir eine Hand auf meine Schulter legt. „Kommst du mit rein Ruki?“, fragt sie mich. Ich nicke und lasse mich von ihr führen. Ich versuche die Panik zu verdrängen, versuche mir nichts anmerken zu lassen. Sie führt mich direkt ins Gästezimmer, wo ich mich erst einmal auf das Bett setze. „Ich muss noch einmal raus zu den Polizisten. Ich komm direkt wieder“, beruhigend streicht sie mir über die Wange. Was sie wohl bei ihnen will? Ich lasse mich zurück auf das Bett fallen und starre die Decke an. Jetzt bin ich wieder hier, zurück in der Vergangenheit. Reitas Mutter kommt wieder und kramt mir direkt einen Schlafanzug aus der Tasche. Dank ihrer Hilfe, hab ich diesen auch schnell angezogen und freue mich sichtlich auf eine restliche erholsame Nacht. Als ich wieder allein bin, dauert es auch nicht lange, bis ich mich im Reich der Träume befinde, dank der Hilfe der Beruhigungsmittel. ~~~~~~~~~~~ Disclaimer: nichts mir, nichts geld im Spektrum des Regenbogens bemalt: blutergüsse nur als Anmerkung... 25.07.2009: 3408 -> 4366 Wörter @@ 09.05.2018: 4366 → 5170 Wörter Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)