In der Hand der Götter von Hoellenhund ((Ehemals: Der Zorn Exavors)) ================================================================================ Kapitel 6: Letzter Anhaltspunkt ------------------------------- Die von Geschäftigkeit zeugenden Geräusche des Dorfes waren am Ufer des kleinen Sees nur noch gedämpft wahrzunehmen, sodass Minja und Kent sowohl das Wasser plätschern als auch den Wind in den Palmen hören konnten. Doch keiner von ihnen ließ sich von der scheinbar friedlichen Atmosphäre beirren, denn die Sonne stand bereits hoch im Osten: Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Hastig steuerten sie Seite an Seite auf den kleinen Tempel am Seeufer zu. Aus der Nähe betrachtet wirkte er noch kleiner, fast winzig und als sie ihn betraten fanden sie abgesehen von einem Altar und einigem Gemüse, welches wohl als Opfergabe diente, nichts vor: Keine prachtvollen Schätze, niemand, der den Tempel bewachte. Diese Faraya schien wahrhaftig nur eine unwesentliche Gottheit zu sein - besaß sie wirklich die Macht, Minja und Kent zu helfen? „Leg den Stein auf den Altar“, wies Kent Minja an und diese tat wie geheißen, wenn auch zögerlich. Ohne diesen Stein hatten sie nichts mehr in der Hand, mit dem sie die Göttin des Schicksals dazu bewegen konnten, sich kooperativ zu verhalten. Kaum, da der Stein den Altar berührte, wurde er von einem gleißend hellen Licht erfasst und als das Leuchten ein Ende fand, war er verschwunden. „Oh nein!“, entfuhr es Minja erschrocken und sie wandte sich rasch ihrem Freund zu, um seinen Gesichtsausdruck zu studieren, darin zu erkennen, ob er mehr wusste, als sie. „Gehen wir raus zum See, Faraya wird erscheinen, sie ist eine Göttin, ich sie kann ihr Wort nicht so einfach brechen. Wer würde sie dann noch anbeten und für sie opfern?“ Es hatte bestimmt und zuversichtlich geklungen, doch auch er befürchtete das Schlimmste. Viel hatte eine regionale Göttin nicht zu verlieren. Und was hatte sie gesagt? Sie würde helfen, wenn sie den 'Stein des Tigers' in ihren Besitz bringen konnte – wenn es ihr beliebt. Tatsächlich herrschte vor dem kleinen Tempel nichts als Stille, die Oberfläche des Sees wurde nur vom Wind gekräuselt. „Das darf nicht wahr sein!“, rief Minja aus, Zorn und Trauer schwangen in ihrer Stimme mit. Sie hatte dieser Schicksalsgöttin zu keinem Zeitpunkt viel Vertrauen entgegen gebracht, doch eine solche Hinterlist hätte selbst sie ihr nicht zugetraut. Fast von allein ballten sich ihre Hände zu Fäusten, schnitten ihre Fingernägel ihr in die Handflächen. Es war so unfair, so unfassbar ungerecht! „Faraya! Wir haben den 'Stein des Tigers' geholt, nun erfüll' auch du deinen Teil der Abmachung!“, rief Minja zornig aus. Erschrocken zuckte Kent zusammen, ihm war nicht wohl dabei, seine Freundin in diesem Tonfall mit einer Gottheit sprechen zu hören; hatte man Göttern nicht Respekt zu erweisen? Doch es schien gewirkt zu haben, denn wie aus dem Nichts erschien die Göttin des Schicksals am anderen Ufer des Sees, auf einem großen Stein sitzend, ihr Ebenbild auf der Wasseroberfläche betrachtend. „Ich hoffe ihr verzeiht mir meine Nachlässigkeit, natürlich musste ich erst prüfen, ob es der wahre 'Stein des Tigers' ist, den ihr mir brachtet. Wunderschön ist er, fast meiner Selbst ebenbürtig“, sprach Faraya leise und begann dann laut zu lachen, was Minja und Kent verwirrte Blicke tauschen ließ. „Wir wollen, dass du unsere Freunde befreist!“, forderte Minja nach einer kurzen Weile, sie hatte das dumpfe Gefühl, dass diese Göttin nicht von sich aus handeln würde. Noch einen letzten Blick warf Faraya auf ihr Spiegelbild, dann erhob sie sich und verschränkte die mit Goldreifen geschmückten Arme vor der Brust: „Das ist mir wohl bewusst, ich bin die Göttin des Schicksals.“ „Ja, wir haben es verstanden!“, entfuhr es Minja zornig, „Nur leider haben wir keine Zeit für deine Spielchen.“ Erneut Gelächter, welches nun auch Wut in Kents Brust aufsteigen ließ. Faraya war es gleich, was mit ihnen geschah, oder gar mit ihren Freunden, sie hatte nichts als ihr Antlitz im Sinn, doch immer noch konnte oder wollte Kent nicht glauben, dass sie ihr Wort brechen würde. „Nun, ich habe nicht die Macht eure Freunde zu befreien, ich würde damit Exavors Entscheidung widersprechen und ihr werdet sicher verstehen, dass ich das nicht tun werde, er ist ein mächtiger Gott, alt wie das Land. Doch ich habe hier etwas, mit dem ihr das Siegel der Schatzkammer brechen könnt“, schwebte Farayas Stimme schließlich über den See zu den beiden Reisenden hinüber. „Du kennst diesen Gott, Exavor? Bitte sag uns, wieso er unsere Freunde einschloss?“, meldete sich nun Kent zu Wort, von seiner Neugierde getrieben. Er war zwar in der Lage die Inschriften im Tempel zu lesen, doch hatten sie ihm nichts über den Hintergrund des Türmechanismus verraten. „Exavor ist ein alter Gott, er bezieht seine Macht aus dem Reichtum, den sein Volk ihm übergibt, aus den Opfergaben. So werdet ihr wohl verstehen, wenn er es zu verhindern sucht, dass jemand etwas von seinem Gold entwendet, ob indem der Tempel nur mit Hilfe einer Karte ausfindig zu machen ist oder ein Tor jeden Eindringling festhält“, kicherte Faraya, wohl belustigt darüber, dass die beiden Jugendlichen nichts von dieser Funktionsweise der Opfergaben zu wissen schienen, „Darum brauche ich auch euer Wort, bevor ich euch den Schlüssel zur Kammer überreiche: Entwendet kein Gold, nicht einen Taler, wenn ihr Exavors Zorn nicht erneut auf euch ziehen wollt.“ „Wir geben unser Wort“, antwortete Kent rasch und Minja wiederholte diese Phrase, um sich in den Eid einzubinden und keine weitere Zeit zu verlieren. Fast zur selben Sekunde, da sich ihre Lippen schlossen, erschien ein kleines Amulett vor ihr in der Luft, nach dem sie griff. Es hatte die Form einer Tempelkatze. „Was ist das?“, fragte Minja langsam an Kent gewandt, welcher das Amulett aus der Nähe betrachtete und dann nickte. „Erinnerst du dich an die Vertiefung neben der Tür zur Schatzkammer?“, fragte er, sah sie nicken und fuhr fort: „Dieses Amulett hat die selbe Form, es scheint das passende Gegenstück zu sein.“ „Ganz recht“, lächelte Faraya verschmitzt und drehte noch einmal bewundernd den 'Stein des Tigers' zwischen Daumen und Zeigefinger, „diesen Ausweg erschuf Exavor für die Menschen, welche die Schatzkammer befüllten, er hatte keinen Grund ihnen zu schaden.“ Für einen Moment konnten Kent und Minja nicht anders, als sich stumm anzulächeln, erleichtert, glücklich. Doch schon einige Sekunden später wurde Minja wieder klar, dass sie ihre Freunde immer noch nicht befreit hatten. „Wie viel Zeit bleibt uns?“, wollte sie daher wissen. Nach einem kurzen Blick zum Himmel empor, von dem durch die vielen Palmen nur ein Stück zu sehen war, erwiederte Kent rasch: „Wir müssen uns beeilen.“ Damit riefen sie Faraya noch einige Worte des Abschieds zu, bevor sie sich im Laufschritt zurück zum Rand der Oase machten, wo Pantaleon auf sie wartete. Ein leises Plätschern ließ Belina aus ihrem unruhigen Schlaf aufschrecken. Immer noch herrschte undurchdringliche Dunkelheit um sie her, sodass sie jegliches Zeitgefühl verloren hatte. In den wenigen Sekunden, die sie nun in die Dunkelheit hinein lauschte, schien sich das Plätschern in ein leises Rauschen verwandelt zu haben. Ein Schauder lief ihr über den Rücken und sie tastete in der Dunkelheit nach ihrer Freundin, um sie zu wecken. „Evita, wach auf, Evita!“, rief sie und rüttelte an der Schulter ihrer Freundin, bis sich diese benommen regte. „Was ist denn? Es ist doch noch dunkel“, murmelte sie und schien sich auf die andere Seite drehen zu wollen. „Hier drin ist es immer dunkel!“, fuhr Belina sie jedoch an und packte sie am Arm, um sie hochzuziehen. Gähnend setzte Evita sich schließlich auf und blinzelte in die Dunkelheit hinein: „Was ist denn? Ich finde das alles auch total aufregend, aber jeder braucht seinen Schlaf.“ „Hörst du denn nichts?“, fragte ihre Freundin eindringlich, sodass Evita schließlich lauschte. „Wasser. Das ist ein Segen!“ „Das“, begann Belina langsam, „ist sicherlich KEIN Segen. Wo soll hier denn Wasser her kommen, ich habe alle Steine überprüft, nirgends die kleinste Lücke. Und trotzdem...“ Sie stand auf und schickte sich an in Gedanken auf und ab zu gehen, als sie plötzlich feststellte, dass sie selbst das Plätschern zu verstärken schien und keine Sekunde später drang das Wasser in ihre Schuhe ein. Rasch setzte sie sich zurück auf den Sarg, auf dem sie neben Evita geschlafen hatten. „Das ist nicht nur ein kleines Rinnsal, die ganze Kammer steht schon einige Zentimeter tief unter Wasser“, versuchte sie ihre Befürchtung Evita zu vermitteln. „Genug Trinkwasser, das ist es doch immer, was wir benötigen. Ein Segen“, stellte Evita die Sache ihrer Meinung nach Richtig, während Belina wütend mit der Faust gegen den Sarg schlug: „Verdammt, wenn das Wasser weiterhin immer schneller steigt, ertrinken wir!“ „Kannst du noch etwas schneller fliegen, mein Freund?“, bat Kent seinen Wüstendrachen, dessen Nüstern sich sogleich ein Schnauben entrang. Fast zeitgleich ertönte ein erschrockener Aufschrei hinter Kents Rücken, als Pantaleon noch schneller mit seinen Schwingen zu schlagen begann. „Pass auf, dass dir das Amulett nicht auch noch herunterfällt“, wies er Minja schlicht an, statt sie zu beruhigen. „Das war ja wohl nicht allein meine Schuld“, fuhr die Angesprochene auf, wagte es jedoch nicht ihrem Vordermann zur Strafe für diese Bemerkung in die Seiten zu kneifen, um nicht von Pantaleons Rücken zu stürzen. „Überhaupt, was ist denn mit dir los? Du klingst völlig entnervt.“ Einige Sekunden dachte Kent darüber nach überhaupt nicht zu antworten, entschloss sich jedoch für das Gegenteil; es hatte keinen Sinn seine Wut an Minja auszulassen, sie hatte keine Schuld an ihrer Situation und konnte sie auch nicht verbessern. „Ich BIN völlig entnervt, das ist es. Und ich verstehe auch nicht, wieso du es nicht bist, wir haben höchstens noch eine Stunde, dann werden wir Belina und Evita nicht mehr helfen können.“ Seine Stirn legte sich fast von selbst in Sorgenfalten, als er darüber nachdachte. „Hm“, machte Minja langsam und legte den Kopf leicht schräg, „ich weiß es auch nicht, ich habe das Gefühl, dass wir gar nicht zu spät kommen können.“ Damit ließ sie den Blick am Körper des Drachens vorbei in die Tiefe gleiten, doch sie konnte keinen Anhaltspunkt finden, der ihr sagte, wo sie sich befanden oder wie weit es noch bis zum Tempel Exavors war. Kent seufzte vernehmlich: „Wenn ich mir da nur auch so sicher wäre...“ Die restliche Zeit des Fluges schwiegen sich die beiden Freunde an, während jeder seinen Gedanken nachhing. Inzwischen war sich Minja ziemlich sicher, dass sie es einfach nicht glauben wollte, dass sie nun zu spät kamen, nachdem sie bereits den Schlüssel erhalten hatten, mit dem sie Belina und Evita befreien konnten. Doch nachdem sie sich darüber im Klaren war, kam erneut auch Angst in ihr auf. Immer wieder warf sie Blicke zum Himmel empor, die Sonne hatte fast ihren höchsten Stand erreicht, sodass sie die genaue Zeit nicht mehr mit bloßem Auge ausmachen konnte, was sie um einiges nervöser werden ließ. Vielleicht war es bereits jetzt zu spät? „Da vorn muss es sein“, stellte Kent mit lauter, jedoch belegter, Stimme fest und brachte Minja damit dazu, sich weit nach vorn zu lehnen, um an Kent vorbei und am Hals des Drachens entlang nach vorn zu spähen. Tatsächlich war ein unscheinbarer Tempel am Horizont aufgetaucht, der sich farblich kaum von dem ihn umgebenden Sand unterschied. Als Kent nun Minjas Bemühungen den Tempel zu erspähen bemerkte, sagte er hastig: „Minja, halt dich fest, wir landen!“ Und wie auf Kommando neigte sich der Kopf des Wüstendrachens nach unten, sodass sich sein Körper kurz darauf in einer solchen Schieflage befand, dass sich Kent an seinem Hals festklammern musste, um nicht über seinen Hals hinweg zu stürzen. Kaum eine Minute verging, bis der Drache so weich es mit seinem Tempo möglich war auf dem Boden aufsetzte. Schon als seine Krallen den Boden streiften, waren Minja und Kent von seinem Rücken gesprungen. Während Kent überrascht feststellte, dass ihre improvisierte Sonnenuhr vom Vortag noch gut erhalten war und auf ihr die Zeit ablas, war Minja bereits Richtung Eingang vorgelaufen. „Nur noch ein paar Minuten“, stellte Kent erschrocken fest und rannte Minja nach; als er sie erreichte, stand sie bereits vor dem Tor zur Schatzkammer und zog das katzenförmige Amulette unter ihrem Kleid hervor. Vorsichtig, um das bereits sehr alte und daher bereits etwas bröcklige Amulette nicht zu beschädigen, drückte Minja das Gegenstück in die Fassung neben der Tür. Ehrfürchtig wicht Minja einige Schritte zurück, als das Amulette zu leuchten begann und sich kurz darauf die Tür zur Schatzkammer mit einem schleifenden Geräusch öffnete, welches auch Kent die Nackenhaare aufstellte. Das Herz schlug den beiden Freunden bis zum Hals, würden sie Evita und Belina lebend wiedersehen oder waren sie zu spät gekommen? Schon seit die Tür nur einen kleinen Spalt freigegeben hatte, floss unablässig Wasser aus der Kammer in den Gang hinein. „Wo komm das her?“, entfuhr es Minja halb panisch und dieses Mal gab Kent ihr tatsächlich keine Antwort; sie erübrigte sich. Es lag klar auf der Hand, dass dies die Methode war, mit der Exavor Eindringlinge bestrafte: Er ließ sie ertrinken. Als die Tür nun endlich den Weg zur Schatzkammer frei gab, wollten Minja und Kent hinein stürmen, doch nun versperrte etwas Anderes ihnen den Weg. „Kent, Minja, ihr seid zurückgekommen!“, rief ihnen Belina so laut sie konnte entgegen, auch wenn dies nicht besonders laut war. Sie war vollkommen durchnässt, von den Füßen bis zu ihren Zöpfen, zitterte und schien erschöpft, was wohl der Grund war, aus dem sie sich nicht früher bemerkbar gemacht hatte. Minjas Herz machte einen Hüpfer: Belina lebte, sie waren rechtzeitig gekommen! „Oh Gott, ich dachte wir müssen sterben“, schluchzte diese jäh und fiel Minja um den Hals, welche völlig erschrocken feststellen musste, wie kalt die Arme ihrer Freundin waren. „Von Göttern haben wir erst einmal genug“, meinte Kent daraufhin bitter, er wollte es sich nicht anmerken lassen, doch er war mindestens genauso erleichtert wie Minja, Belina lebend anzutreffen. „Was ist mit Evita?“, fragte Minja ihre Freundin, Kents Einschub übergehend. Wie auf ein Stichwort ertönte eine Stimme aus dem dunklen Innern der Schatzkammer, die alle drei Freunde unwillkürlich zusammenzucken ließ: „Ihr seid wirklich gekommen.“ Die Älteste der Gruppe hatte ihr Glück scheinbar eine endlose Minute lang nicht fassen können, denn nun trat auch sie aus der Kammer, langsam und zögerlich: „Nein, auf solche Abenteuer möchte ich in Zukunft verzichten...“ Diese Bemerkung brachte Belina zum Lachen, wohingegen sich Minja und Kent nur verwirrt musterten. Nach einem kurzen Schweigen schob Kent ein: „Gehen wir schnell nach oben, da ist es wärmer, ihr beide werdet euch noch erkälten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)