Meine marmorweiße Welt von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 5: Sonnengelb --------------------- Claude wurde krank. So krank, dass er zwei Wochen lang die Schule nicht besuchen konnte. Ich machte meine Hausaufgaben an seinem Schreibtisch und versuchte mich an ein bisschen Konversation, während er mit der Decke über dem Kopf im Bett lag. „Madame Guaré hat mir schonwieder eine 'vier' gegeben. Das ist jetzt schon die zweite! Also, so wenig zeige ich auch nicht auf, finde ich. Und bei den Klassenbesten ist die 'eins' schon so eingeschweißt, da denkt niemand darüber nach! Total ungerecht!“ Ich machte einen Tintenklecks auf mein Heft. „Chloé?“, kam es dumpf aus dem Knäuel. Er hatte gesprochen! „Ja?“, antwortete ich, etwas zu vergnügt. „Hast du sie gesehen?“ Christelle. „Nein.“, log ich. Ein Seufzer. „Wo ist Claude?“ „Frag nicht.“ Irgendwann musste Claude jedoch zur Schule und die Pausen gestalteten sich wieder angenehmer. Auch schien er sich langsam wieder an sein altes Leben zu gewöhnen, was mich ungemein freute. Jetzt würde alles gut werden, dachte ich. Der Sommer ging vorbei, und es wurde kälter. Jetzt war es Zeit für flackernde Kamine, kuschelige Schals und heiße Schokolade. „Es ist kalt!“, maulte ich mal wieder, rieb meine Arme und zog eine Schnute. Er entzündete den Kamin. Sah mich an, lächelte. Eines späten Nachmittags saß die halbe Familie im Wohnzimmer. Mutter strickte an einer Socke, Vater las Zeitung, Claude starrte nachdenklich ins Feuer und ich tat es ihm gleich. „Ich will weg, Vater.Verreisen.“ Mein Vater ließ die Zeitung sinken. Ich blickte horchend auf. „Tus. Die Ferien beginnen in einer Woche. Besuch doch Tante Mae in England, die freut sich immer so sehr über Besuch, sie lebt doch allein.“ Sein Gesicht verschwand vergnügt hinter dem Kulturteil. Meine Augen weiteten sich. Das war die Chance. „Ich will auch!“, rief ich bestürzt, sie mussten mich einfach mitkommen lassen! Meine Eltern blickten sich für einen Moment an. „Du bist noch recht jung, Chloé.“, meinte meine Mutter ruhig. „Ich bin 14!“ Wenn sie mich nicht gehen lassen-! Ich stand auf und baute mich vor meinen Eltern auf. Eine Pause entstand, bis sich eine Stimme erhob. „Ich nehm sie wohl mit.“, murmelte Claude und schaute fragend zu unserem Vater auf. Die Aufregung staute sich in mir. Er musste ja sagen! Jetzt erst recht! Er musste einfach! „Meinetwegen.“ Sein Gesicht verschwand wieder hinter der Zeitung. Ich sprang Claude in die Arme. „Wir verreisen, wir verreisen!!“ Ich war so glücklich. Er lachte. „Ja, wir zwei verreisen.“ Die nächste Woche steckte voller Vorfreude auf den Freitag. Ich machte Listen mit Dingen, die ich mitnehmen wollte und strich sie durch, wenn sie mir völlig unnötig vorkamen. Ich würde verreisen! Nach England! Mit Claude! Besser ging es fast nicht. Estelle war etwas neidisch, doch das war mir sowas von egal. Nicolas freute sich für mich, dass ich endlich mal raus aus Frankreich durfte und schlug mir schonmal ein paar Restaurants vor, die unbedingt besuchen musste. „Ich esse sowas nicht, Nicolas.“, versicherte ich ihm immer wieder, doch er lachte nur und schwärmte weiter. Meine Eltern hingegen machten sich Sorgen, ich würde nicht gut versorgt sein. „Fang ihr ab und zu was, Claude, ja? Tust du das?“ So ging das den ganzen Tag. „Ich kann mir auch selber was fangen!“, rief ich empört. Was dachten die eigentlich, wie alt ich war? Fünf? Zwei Tage vor der Abreise fuhr ich mit meiner Mutter in die Stadt. Ich sollte noch ein paar wärmere Sachen bekommen, da es in den meisten Teilen Englands gerade schneite. „Das ist doch hübsch, schau mal, Chloé! Das passt zu deinem Teint!“ „Das ist....sonnengelb.“, schloss ich. „Ja, sonnengelb. Schatz, komm doch mal raus aus deinen schwarzen Klamotten.“, sagte sie besorgt. „Ich trage was ich will. Und Vampire tragen halt sowas.“ Sie seufzte. „Ich will doch nur, dass es dir gut geht. Und-“ „Mir geht es sehr gut, danke.“, fiel ich ihr ins Wort und kehrte ihr den Rücken zu. Sie versteht einfach nicht, dass ich nicht auffallen will. „Achja, Mutter?“ „Ja, Schatz?“ Sie drehte sich hoffnungsvoll zu mir. „Nenn mich nicht so.“ Einen Tag vor der Abreise stieg meine Nervosität ins Unermessliche. Ich hastete durchs Haus, durchforstete es von oben bis unten, hatte ich wirklich nichts vergessen einzupacken? Claude schien ganz gelassen. Das war bereits seine dritte Reise nach England und er war die Fähre und die lange Autofahrt gewohnt. Leider mussten wir diese primitive Art der Fortbewegung bevorzugen, da zwei pfeilschnell rennende Jugendliche etwas auffällig wären. Schließlich war der Tag, die Stunde, die Minute der Abreise gekommen. Mutter weinte,Vater lachte, Nicolas wünschte mir Spaß und Estelle guckte nur grantig drein. Ich verabschiedete mich von den Krähen und fuhr mit Claude in meinen eigenen, kleinen, sonnengelben Himmel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)