The Black Widow Tale von Archimedes (Sparrington) ================================================================================ Kapitel 23: Eineinhalb Pfund Heuer ---------------------------------- Verdrossen lehne ich mich in meinem Sessel zurück, der mich weich und mollig einsinken lässt, eine Eigenschaft, die dem Benutzer unleugbar ein tiefes Gefühl der Geborgenheit vermitteln soll. Draußen vor den Fenstern, an die dicke, kugelrunde Tropfen kalten Regens hämmern mit ihrer vehementen Forderung um Einlass, ist der Sturm. Kaum abgeflaut, doch nicht mehr verheerend genug, um eine ernste Gefahr für Haus und Hof zu sein. Das große, warme Zimmer, in dem ich in des Governors Haus untergebracht wurde, ist alles, was die Black Pearl und Sparrows Kajüte nicht sind: Gemütlich, sauber und gepflegt. Kein einziges Staubkörnchen liegt da, wo es nicht hingehört. Und ausgestattet ist es mit dem Luxus, den eine hohe Stellung mit sich bringen sollte und den ich die ersten Tage auf der Pearl schmerzlich vermisst habe. Verschnupft begutachte ich den Raum, die Tapeten, die in den neuesten Mustern englischer Mode die Wände einkleiden, die silbernen Leuchter an den Wänden und die schweren Teppiche auf dem Boden. Kurz verweile ich bei der Sicht aus den Fenstern und der Tür, die auf den steinernen Balkon führt, der umzäumt wird mit grazilen Säulen im Stil der Antike. Auf den marmornen Fliesen bilden sich klare Seen, die wie in Sturzbächen über die Brüstung treten. Bei Sonnenschein muss der Blick auf das Meer von dort atemberaubend sein. Ich betrachte das pompöse Bett mit seinen seidenen Spitzenbehängen zum Schutze vor den liederlichen Stechmücken in lauen Nächten, den aufgeschüttelten Kissen, und den Daunendecken, darüber ausgebreitet der bestickte Überwurf. Das Zimmer, an das ein Ankleideraum grenzt und der durch eine Flügeltür zu erreichen ist, ist prunkvoll und mit schnödem Popanz gefüllt. Selbst Tintenglas und Schreibfeder auf dem wuchtigen Schreibtisch aus Kirschholz an dem ich sitze, sind von einem Wert, der eine gesamte Familie für eine Woche versorgen könnte. Nichts hat er mit dem muffeligen Raum des Piraten gemein, selbst der Geruch ist ein anderer… Fremd, leblos..., denke ich, ... freudlos... Und so sehr ich mich zweifelsfrei auf dem Schiff nach mehr Bequemlichkeit gesehnt habe, -und nach einem Zimmer ohne nervtötenden Gesellschafter -, so zweifelsfrei unwohl fühle ich mich, jetzt da mir mein Wunsch erfüllt wurde. Es ist mir schier unerklärlich warum, aber ich bin rastlos in diesem unheimeligen Zimmer. Trotz der Ereignisse gestern Abend und der Strapazen, welche eine bleierne Müdigkeit über mir entleert haben, kann ich nicht schlafen. Ja sogar das leichte Fieber, das ich seit einigen Stunden habe, macht mich ruhelos anstatt mich in das einladende Bett zu locken. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie schnell sich ein Mensch an Verzicht gewöhnen und ein harter Boden zur Gewohnheit werden kann… ... und wie sehr mir dieses bisschen Gewohnheit zu meinem eigenen Entsetzen fehlt... Unruhig fahre ich mir über die heiße Stirn und unter zusammen gebissenen Zähnen befühle ich meine Brust. Die ständigen Belastungen der letzten Wochen haben die schmale aber tiefe Narbe, die Turner Senior auf mir wie ein Mal hinterlassen hatte, wieder aufreißen und erneut bluten lassen. Und es war mir in dem fürchterlichen Durcheinander, den grässlichen Auswüchsen des Sturms und seinen bitteren Folgen nicht aufgefallen, weder das Blut noch der Schmerz. Nicht, bis einer von Fords Männern in einer stillen Stunde nach den ersten Aufräumarbeiten mich auf den mittelgroßen Fleck hin gewiesen hatte, der sich auf meinem schmutzigen Hemd ausgebreitet hatte. Ich berühre sie erneut, dieses Mal vorsichtiger, und seufze. Die Verletzung ist nicht groß und so dachte ich daran, sie selbst notdürftig zu versorgen, höchst unklug mag mancher das wohl nennen, doch im Augenblick bleibt keine Zeit für unangebrachte Empfindlichkeit: Vor mir liegt ein unfertiges Schreiben, angefangene Worte der Bekundung tiefsten Mitgefühls und Anteilnahme am Verlust, den die Familie erlitten hat. Das zwanzigste und damit vorletzte Beileidsgesuch. Graduierte Heuchelei, wie selbst Sparrow sie nicht reiner vortragen könnte, so erscheint es mir und so furchtbar einfach daran zu erkennen, dass es mir ohnegleichen leicht von der Hand geht die Zeilen geschwind zu Papier zu bringen. In der letzten Stunde habe ich von einem Brief zum nächsten gewechselt, habe dieselben Worte verfasst, immer und immer wieder, bis ins kleinste Detail identisch wie der zuvor, nur der Name ist ein jeweils anderer. Ich kannte den Mann nicht, noch kannte ich die meisten der anderen näher und obwohl es mich gemäß meiner Pflicht zu bekümmern hat, unter meiner Verantwortung stehende Männer zu verlieren, so erfahre ich dennoch keinen persönlichen Verlust. Sicher bin ich weit davon entfernt erfreut zu sein, doch fällt es mir schwer aufrichtigen Schmerz in mir zu finden… Es ist mehr ein stummes Gefühl des Bedauerns, das in mir wütet, wie man den Tod eines jeden Menschen eben bedauert, doch ist es unverankert und wird in ein paar Tagen vergessen werden. Ein Zustand zwischen Akzeptanz und Trauer. Nichts Halbes. Nichts Ganzes. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Eine schreckvolle, vor sich hindämmernde Leere, Gleichgültigkeit käme dem Gefühl wohl am nächsten. Ich unterzeichne seufzend das Beileidsschreiben mit meinem Namen und zähle die wenigen Münzen ab, die ihm beigelegt werden sollen. Diese werden die Familie jenes jungen Kerls erreichen, den Andrew und ich unter dem Schanzkleid hervorgeholt haben. Er hat den Abend nicht überstanden, noch auf dem Weg in das eingerichtete Lazarett war er dahingeschieden... Eineinhalb Pfund Heuer für sechs Wochen Dienst auf der Fortress sind es geworden. Das ist alles was von ihm zurückbleibt… und eine kummervolle Mutter, deren Sohn nicht mehr nach Hause kommt, ein den Himmel verfluchender Bruder vielleicht und eine jammervolle Braut, die vielleicht den Werber um ihr Herz verliert. Mehr nicht. Gesichter die ich nie zu Gesicht bekommen werde. Der Junge wird zu einer Notiz werden in einer Liste, die wiederum in einer der Akten auf meinem Schreibtisch in Port Royal verschwinden wird. Eine Akte neben den vielen anderen. Ich habe es satt… Seufzend verschließe ich das Schriftstück, schmelze blutrotes Wachs an einer niedergebrannten Kerze. Routiniert drücke ich das Siegel mit der englischen Krone hinein, mache den Brief dadurch zu offiziellem Gut und woran die Familie sogleich erahnen kann, erahnen muss, was er enthält… während draußen der neue Morgen in der Dämmerung anbricht, um einen weiteren tristen, stürmischen Tag zu bringen. So satt... Ich lächle schwach. Ein seltsames Völkchen sind wir Seeleute. Nie schreiben wir den Lieben daheim, denn solange kein Brief kommt, kommt auch nicht die Nachricht von unserem Tod. Erschöpft lasse ich mich zurück fallen, wische mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, nur um danach reglos sitzen zu bleiben und die Mappe mit dem Briefpapier von Governor Dutton kläglich zu hassen. Sie zu hassen, weil sich nicht von alleine das letzte Papier aus ihr entwinden wird, den letzten Brief zu verfassen, der noch bleibt. Mich vor diesen Zeilen fürchtend, habe ich den Zeitpunkt sie zu schreiben hinaus geschoben, bis zuletzt. Ich habe der irrigen Hoffnung angehangen, dass jemand an die Tür klopfen möge, vielleicht eines der Gesindemädchen Hilfe brauche bei irgendeiner stumpfsinnigen Angelegenheit – was für eine Hoffnung! Wahrlich! -, der stock betrunkene Governor unbedingt meiner Anwesenheit bedürfe und er nicht zu Bett gegangen sein möge, oder aber nur eine verirrte Katze draußen im Regen auf einem Baum festsitze und mir eine effektive Ablenkung böte… zum Teufel, selbst ein angetrunkener Sparrow und eine Flasche Rum wären mir jetzt herzlich willkommen! Mit zitternden Händen ziehe ich die rotbraune Mappe an mich heran, schlage sie auf und streiche ehrfürchtig über das beige Papier. Diesen Brief werde ich persönlich übergeben. Ich werde in die ungläubigen, dann brechenden und trauernden Augen von Theos Frau sehen, werde ihre Kehle den Kloß hinunterschlucken sehen, nicht in meiner Gegenwart zu weinen, Stolz und Haltung zu bewahren, wie der verlorene Gatte es Zeit seines Lebens getan hat. Andrew wird vielleicht dabei sein, nein, ganz sicher wird er das sogar… und er wird es sein, in dessen Armen das liebliche, zarte Ding zusammenbrechen wird… nachdem ich gegangen bin… in dessen Armen sie sich den Schmerz von der Seele schreit, bis sie die Kraft verlässt… Mit einem kummervollen Seufzen schlage ich den Deckel der Mappe zu, fester, als es notwendig wäre. Wütend, zornig, betroffen, trauernd… Groll, der nirgendwohin kann. Weil ein Commodore nicht wie ein hysterisches Weib zu schreien hat. Weil es eine Sache ist zu leiden, eine andere es zu zeigen. Sparrow... Rum... Rum... Und wider besseren Wissens festigt sich eine Idee als ich aufstehe, zu dem Hängeschränkchen neben dem Schreibtisch trete, ich Governor Duttons guten Brandy und zwei Gläser herausnehme. In meinen Ohren höre ich ihn seinen lallenden Rat repetieren, den Rat eines Mannes, der im Normalfall ebenso wenig trinkt, wie Al Faras: »Commodore Norrington, immer erfordern schlimme Zeiten Demut und Gebet. Doch manches Mal, und Gott steh mir bei, ist das demütigste Gebet ein ordentlicher Rausch!« Ich pflichte ihm bei und setze mich auf das Bett, fülle beide Gläser, eines für mich, das andere stelle ich auf dem Nachttisch ab. Denn das „Heute“ ist nicht normal. Ich beobachte den in das Glas fließenden Alkohol, wie er langsam und schwerfällig den Boden berührt, ihn ertränkt wie die Fluten Theo ertränkt haben, der Alkohol, sobald sich einiges von ihm gesammelt hat, unscheinbare Wellen bildet. Ein trauriger Abklatsch von denen, die sich über der Fortress gebrochen haben. Die Flammen der Kerzen schimmern über die Tropfen der braunen Flüssigkeit, spiegeln ihre Wärme auf dem kalten Nass wieder. Wärme und Kälte, ein beißendes Gemisch der Gegensätze, im unnormalen „Heute“ aber in Harmonie vereint. Ich erhebe mein Glas, stoße an mit dem, das von niemandem erhoben werden wird, „Auf dass du jetzt an einem besseren Ort bist, Theo“, und erweise meinem Freund mit einem Trinkspruch die letzte Ehre, die einzige, die ich ihm noch erweisen kann. Dann trinke ich mich Schritt für Schritt, mich an den Dienst, die gemeinsamen Stunden und die Abenteuer mit Theo und Andrew zurückerinnernd, in die Bewusstlosigkeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)