The Black Widow Tale von Archimedes (Sparrington) ================================================================================ Kapitel 6: Der Ratten Paradies ------------------------------ Tortuga. Der Ursprung einer jeden Piratengeschichte. Bunt, laut, Tag und Nacht hell erleuchtet, überfüllt, unsicher und vor allem: dreckig. Beinah erstickt man an dem Geruchsgemisch aus Jauche und Erbrochenem, das jedes Haus durchdringt wie Geschwüre den Körper, und an den süßlichen Opiaten, die in schweren Duftwolken über dem Nest hängen, den Verstand bezirzen hier nie wieder weg zu wollen, unterstützt von den allen Ortes hörbaren Klängen der Fideln und Lauten. Keine zwei Schritt kommt man, ohne dass man einen Betrunkenen anrempelt, oder angerempelt wird. Keine Gasse kann betreten werden, ohne die nötige Vorsicht einer geladenen Waffe, und hier mit einer größeren Menge an Geld unterwegs zu sein, hat nicht selten gestandene Männer den Kopf gekostet. Und doch, nirgendwo sonst findet man einen vergleichbareren Ort. Hier kommt alles zusammen, was überhaupt zusammenkommen kann und das auch noch in unvorstellbarer Eintracht. Diebe leben Tür an Tor mit Händlern, Dirnen der zahlreichen Bordelle halten Kaffeeklatsch, lassen sich von Bürgerinnen zum Tee laden, Mörder leben in trauter Harmonie neben Männern des Gesetzes. Und ein Commodore der britischen Marine kann neben Captain Jack Sparrow gehen, ohne Verdacht zu erregen. Selbst wenn dieser den Namen James Norrington trägt. Trotz meiner improvisierten Verkleidung, die ich mir von meinen Gefährten zu meinem Schutz habe angedeihen lassen müssen, wobei ´Verkleidung´ dem eigentlichen Sinn des Wortes nur zur Häme gereicht, fühle ich mich unsicher, und ich erwische mich dabei, mich bei jedem Schritt umzusehen, ob hinter der letzten Häuserecke nicht jemand hervorspringt, der meint mit mir eine alte Rechnung begleichen zu müssen. Und Sparrow? Der ist ganz in seinem Element. Jeder kennt ihn, liebt ihn oder hasst ihn, wobei der überwiegende Teil wohl zu Recht eher letzteres tut. Bereits als wir die Black Pearl verlassen hatten, erwarteten uns sage und schreibe siebzehn Männer und Frauen, denen er Geld schuldet und die von unserer Ankunft gehört hatten. Ausbezahlt hat er sie nicht. Es war höchst bemerkenswert, wie er sich aus dem Schlamassel herausgeredet hat angesichts der unzählig geschliffenen Klingen, wovon keine der anderen den Vortritt lassen wollte, ihn abzustechen. Für diese Fähigkeit beneide ich ihn aufrichtig. Nicht um das ´wie er es anstellt´, seine Methoden sind unweigerlich abgrundtief schlecht, sondern vielmehr, dass es ihm immer gelingt wie ausweglos die Situation auch ist. Wie eine Katze ist er gesegnet mit neun Leben. Und immer tut er es mit einem erhabenen Lächeln, das in auf diese seltsame Weise unantastbar macht. Einer gewissen Faszination kann man sich einfach nicht erwehren. So tritt er sicher mit der zu ihm gehörenden Grazie über die Pflaster, von Haus zu Haus, begrüßt Freunde, flieht vor Feinden – zumeist hinter meinen Rücken-, herzt seine vielen Mädchen. Die gut dreihundert Schritt vom Pier zur herunter gekommenen Spelunke „Admiral Smollet“, unserem eigentlichen Ziel, werden somit zum unvergleichlichen und überaus spannenden Ereignis, eines von der Sorte, das ich unter keinen Umständen weiterempfehlen würde. Erst recht nicht unserem jungen Begleiter: Isaac Hawkins. Neben Cotton und Gibbs ist auch dieser Jungspund bei uns, was mich einerseits sehr froh macht, gehört er schließlich zu meinen Leuten. Andererseits ist eine verwerfliche und obszöne Umgebung wie diese für einen jungen Kerl von etwas mehr als sechzehn Jahren nicht geeignet. Ihm sprießt noch nicht einmal ein Flaum! Mit seinen hellen, blauen Augen, die sich seit dem Verlassen des Schiffes um das Doppelte vergrößert haben, saugt er die Eindrücke Tortugas mit ungestillter und besorgniserregender Neugier auf. Doch auch überfällt ihn beim Anblick von sich prügelnden Menschen an jeder Ecke eine gewisse Nervosität. Ich vermute, dass er noch nicht oft im Einsatz gewesen sein kann, sehr wahrscheinlich ist es, dass er frisch von der Kadettenschule direkt aus England kommt. Was ihm an Erfahrung fehlt, muss er daher mit ausgezeichneten Leistungen in der Ausbildung wettmachen, denn wenn Andrew ihn ausgewählt hat, so muss er fähig sein. „Hey, Bursche! Sparrow bleibt so unvermittelt stehen, dass ich um ein Haar gegen ihn stoße. Er widmet sich nur einen kurzen Moment meinen böse drein schauenden Augen, bevor er mich stehen lässt und zielstrebig zu Isaac marschiert. Und mir fast das Herz stehen bleibt! „Sag mir, mein Sohn du bist noch nicht lange Pirat, hm? „Ja… Sir, ich meine nein Sir“, stottert der Junge verwirrt und lächelt verschüchtert. Mir wird richtig mulmig zumute und sehr heiß, denn wenn er sich jetzt dumm anstellt, dann löst sich der Plan in Rauch auf. Der Pirat wandert um meinen zittrigen Mann herum, beäugt ihn skeptisch, wobei Isaacs furchtsames Lächeln ihn besonders zu fesseln scheint. Fast sieht es aus, als schnüffle er gleich einem Jagdhund, der Lunte gerochen hat, an ihm herum. Dann streift mich ein verstohlener Seitenblick. „Das dacht ich auch nicht“, sagt er, legt den Arm um die Schultern des Jungen, dreht ihn in Richtung einer Baracke zu unserer Linken und deutet auf eine Frau, die kokettierend an der einfachen Wand aus Brettern lehnt. „Denn wenn du das wärst Jungchen, hättest du längst gemerkt, dass die Dame hier uns folgt und dich immerzu anstarrt. Aye?!“ Mein Blick wandert vom Gesicht des, unter der festen Hand Sparrows, erzitternden Mister Hawkins zu der etwas zu rundlich geratenen Mamselle mit dem zerschlissenen Fächer vor dem Gesicht. Die Größe des Felsens, der mir vom Herzen rollt, als sie mit einem Augenzwinkern einen Kussmund in seine Richtung wirft, kann wohl niemand ermessen. Ein erleichtertes Seufzen entfährt mir, das ich aber im nächsten Augenblick am liebsten wieder zurücknehmen will. „Ran an die Frau, ran an die Frau“, krächzt Cottons Papagei laut. „Aye. Ran an die Frau“, grinst Gibbs und stößt dem armen Kerl mit dem Ellbogen auffordernd in die Seite, worauf der Blick des Blondschopfs sich panisch auf mich richtet. „Sir, das… kann… nicht…“, Die Aufmerksamkeit von Hawkins widmet sich damit nun zu stark meiner Person und auch wenn ich es bedaure, wende ich mich von ihm ab. „Sparrow, meint Ihr es ist sinnvoll mit einer unnötigen Romanze von einem Eurer Männer Zeit zu vergeuden? Ihr mögt es nicht eilig haben, aber je länger wir warten, desto dünner wird der Lebensfaden von Elisabeths Vater“, versuche ich Hawkins zu helfen, wenn auch indirekt. Der Pirat grinst mich frech an. „Keine Sorge Commodore, solange Pappi seine Finger bei sich behält und davon gehe ich mal stark aus, wird ihm nichts passieren. Die Frau will nicht ihn. Und für die Liebe muss immer Zeit bleiben, also lasst ihm das Vergnügen vom Jungen zum Mann zu werden“ Der Pirat kramt in einer seiner Manteltaschen, drückt dem unwilligen Jungen ein Goldstück in die Hand und schupst ihn demonstrativ in die Richtung der Hure. Beide sehen wir ihm hinterher, wie er sehr gemächlichen Schrittes zu ihr hinüber geht, immer wieder furchtsame Blicke zwischen mir und Sparrow wechselnd. Für Sparrow ist das Thema, welches bei mir hingegen einen ordentlichen Krampf auslöst, vom Tisch und schon im Weitergehen inbegriffen, wirft er ein: „Ach ja, außerdem werden wir mindestens zwei Tage in Tortuga ankern“ „Was?“, brause ich auf und packe ihn am Arm. Das Schicksal Hawkins´ rückt vollkommen in den Hintergrund. „Es gehörte nicht zu unserer Abmachung, dass wir den Governor tot finden!“ Der Pirat sieht mit heraufgezogener Braue missmutig auf meine Hand, die seinen rechten Unterarm harsch umklammert. „Habt Ihr gerade nicht zugehört? Dem Governor passiert nichts“ Da ich nicht im Traum daran denke, ihn jetzt loszulassen, seufzt er tief und richtet seine Augen fest auf mich. „Norrington, jetzt mal unter uns. Es gibt nur zwei Dinge im Leben. Was ein Mann kann, und was ein Mann nicht kann. Ich zum Beispiel kann mit Euch jetzt gegen die schwarze Witwe segeln, aber gegen die „Soul of Empress“ gewinnen, das kann ich nicht. Nicht in dem Zustand, in dem die Black Pearl sich zurzeit befindet“ Ich bin verstummt bei seinen Worten, die implizieren die Pearl reparieren zu lassen. So lasse ich es geschehen, dass er sich aus meinem Griff befreit. „Also, könnt Ihr mir nun ein gewisses Maß an Vertrauen entgegen bringen, oder könnt Ihr´s nicht?“ Ich sehe in das erwartungsvolle Antlitz und stelle mir diese Frage selbst. Eigentlich seit ich diesen Mann zum ersten Mal getroffen habe. „Zwei Tage?“ „Zwei Tage“ Der „Admiral Smollet“ ist eine typische Hafentaverne, einem Rattenloch auf solch klischeehafte Weise entsprechend, dass man kaum an sich halten kann, nicht darüber düster zu lachen. Diese Gaststätte ist wahrlich noch verkommener als jene, in der ich während meines letzten Aufenthalts in Tortuga im Zustand geistiger Umnachtung bei Sparrow angeheuert hatte. Ich rümpfe abfällig die Nase, da ich zuerst über den obligatorischen Säufer im Eingang steigen muss, der selig vor sich hinlallt und nicht die Güte zu besitzen imstande war, in seinem Rausch zwei Schritte neben der Tür zusammenzubrechen. Ich schnaube gedehnt und trotte Sparrow hinterher in dieses Etablissement. Er fühlt sich heimisch, das steht zweifelsohne außer Frage, er kennt sogar den Betrunkenen auf der Schwelle mit Namen. Das Gebäude ist selbst nicht viel mehr, als die Kundschaft es bereits erahnen lässt. Wenn ich es bezeichnen sollte und mich gewählt ausdrücken wollte, so bevorzugte ich den Begriff ´rustikal´ oder ´archaisch´. Das immerhin aus Stein erbaute Haus mit dem einfachen Strohdach besitzt nur einen großen Raum, welcher über eine lange Treppe, die vom Eingang hinunter führt, zu erreichen ist. Ich bleibe auf der obersten Stufe stehen, blicke auf die Menschen herab. Der Schankraum ist hoffnungslos überfüllt. Die vielen Piraten, Trinker und Spieler, sowie die Huren, die um die eben genannten Männer buhlen, besetzen nicht nur die Tische, nein, manche machen es sich in weiser Voraussicht gleich auf dem Boden gemütlich. Das laute Stimmengewirr, untermalt von den Fidelspielern und dem Sänger, der die gängigen Loblieder auf die Piraterie zum Besten gibt, tragen nicht unbedingt zur Besserung meiner Laune bei. Nun ja, immerhin beeindruckt mich der gewaltige Lüster aus Gußeisen in der Mitte des Raumes, der, befestigt an einem dicken Seil, den Raum dominiert. Bei der Größe und dem damit verbundenen Gewicht, frage ich mich, wie die Besitzer des Hauses es fertig bringen die Kerzen zu entzünden, ohne ihn jedes Mal herab zu lassen. Interessiert das herauszufinden, wandert mein Blick an dem Seil, das etwa einen Spann Umfang besitzt, entlang. Beginnend von der Stelle in der Wand, wo es durch einen Haken verankert ist, bis hinauf zu dem Flaschenzug, über das es läuft. Oben angekommen, entdecke ich in der Wand, in die auch der Haken eingeschlagen ist, ein Fenster, etwa von der Größe eines Menschen. Ah, so also. Den Abstand überbrückt man mit einem Balken oder einer Planke und lässt einen geübten Kletterer ans Werk. Umständlich, aber weniger Aufwand, als den Leuchter herunterzulassen. Und ganz sicher mit kleinerem Risiko verbunden. Trotz dieser architektonischen Meisterleistung verbleibe ich bei meiner Meinung über diesen Ort. Ein Ort den ich gehofft hatte, nie mehr aufsuchen zu müssen, außer in offiziellem Auftrag. „Großartig, welch bittersüße Ironie. So sehr ich diesen Urquell an Unmoralität auch verabscheue, immer muss ich hierher zurückkommen.“, beschwere ich mich leise, dass zumindest meinem inneren Bestreben meinen Unmut kundzutun genüge getan wird. Sparrow, der wiegenden Schrittes vor mir die Treppe hinunter schreitet, hört es und erwidert darauf ein Lachen, ebenso leise. „Nur die Ruhe, Freund. Wir bleiben nicht länger, als der Umstand unseres Hierseins es erfordert. Ich passe schon darauf auf, das Eure tugendhaften Commodore-fingerchen nicht dreckig werden müssen.“ Er wendet sich kurz zu mir, das Gesicht strahlend vor Vergnügen. Generell überrascht er heute durch eine überschwängliche Freude seit wir den ersten Fuß an Land gesetzt haben. „Aye, Jamie?“ „Bleibt mir denn eine Wahl, Mister Sparrow?“, seufze ich überaus frustriert, habe ihm nur mit einem Ohr zugehört. Gedanklich leide ich mit Mister Hawkins mit. Dem armen Jungen müsste es weit aus schlimmer gehen als mir. Wie es aussieht ist er das erste Mal in Tortuga. Moment. Vom Boden, den ich die ganze Zeit über im Auge behalte, damit ich nicht versehentlich auf etwas oder jemanden trete, sehe ich auf, die Augenbrauen auf Vollmast geflaggt. „Jamie?“, wiederhole ich ungläubig „Jamie?“, dann gereizt. Plötzlich bin ich geistesklar bei der Sache. Was für ein Affront! „Aye Freund. Oder wäre es Euch rechter, wenn ich `Commodore Norrington´ durch den Raum schreie? Habe nichts dagegen. Könnten aber Komplikationen entstehen.“ Er zuckt die Schultern, über sein Gesicht huscht der Schalk, den er durch das Senken seines Kopfes zu verstecken versucht „Wogegen ich ja wiederum auch nichts hätte. Und Ihr?“ Er schlägt die Augen mit einem berechnenden Schmunzeln halb zu mir auf, und ich sehe es ihm an, dass er weiß, dass er in diesem Punkt gewinnen wird. Und diese Tatsache ihn über die Maßen erfreut. Vor allem weil er mich mit seinem Einwand auf dem Gebiet der Logik abfängt. Ein Gebiet, das mir besser liegen sollte, als ihm. Untreue Disziplin, die du bist! Verrätst mich an einen Piraten! „Nun? Ich würde ja auch `James´ sagen, aber welcher Pirat heißt heutzutage James. Es soll glaubwürdig sein, nicht?“ Meine Miene wird grau, ich würde behaupten, als hätte man sie durch einen Aschepott gezogen. Drohend hebe ich den Finger. „Mister Sparrow, Ihr werdet diesen“, ich räuspere mich „Namen nicht außerhalb dieser Stadt verwenden. Verstanden, `Freund´?“, gebe ich streng und glasklar zu verstehen, das `Freund´ muss ich über meine Lippen zwingen, selbst wenn es nur der Ironie zu frönen hat. Schließlich habe ich wieder eine Schlacht gegen ihn verloren, noch bevor ich überhaupt disputieren konnte. Herrgott, das darf nicht zur Gewohnheit werden! Mitleidig legt Sparrow mir seine Hand auf die Schulter, das Gesicht zu einer weinerlichen Grimasse verzogen. Seine Augen lachen aber ohrenbetäubend laut „Ertragt es mit Fassung, Jamie.“ Elender Heuchler! Ich baue mich steif vor ihm auf und sehe, die Geste missbilligend, auf die Hand. Er schreckt darauf hin zurück und entfernt sie schleunigst, die Finger nervös bewegend, bevor mich die Lust überkommen kann, sie ihm abzubeißen. Die Männer, die hinter mir stehen, kichern verhalten. Über mich oder über den Mann vor mir, weiß ich nicht zu sagen. Mit einem letzten Blick auf meine Person stellt Sparrow sich neben mich und richtet sich an unsere Begleiter. „Also dann Männer, trinkt, feiert, spielt und stellt nichts an, was ich nicht auch anstellen würde. In zwei Tagen will ich Euch zurück auf der Pearl sehen. Klar soweit?“ „Aye!“ brüllen die Männer laut, heben in ihrer Begeisterung die zur Faust geballte Hand und schwärmen lachend aus. „Halt, Master Gibbs!“, hält er den Steuermann jedoch zurück, „Bevor ich es vergesse...“, er nimmt ehrfürchtig seinen kostbaren Hut ab und zaubert aus ihm zwei pralle Säckchen hervor. Diese wirft er ihm entgegen. „Gut darauf aufpassen!“ Die Augen des Piraten blitzen ungewohnt scharf auf, worauf Gibbs genauso bedächtig nickt. Erst danach schließt er sich fröhlich pfeifend den Anderen an. Ich sehe ihm hinterher, frage mich, was sich wohl Kostabres in den Stoffbeuteln befinden mag. „Für die Black Pearl.“, raunt mir Sparrow entgegen und ich kann mich nur einmal mehr über ihn wundern. Wie außerordentlich unbefriedigend es doch ist, dass ich nicht auf die selbe Art seine Gedanken lesen kann wie er die meinigen. Während mir dieser bitter schmeckende Fakt durch den Kopf geht, hat der Pirat längst begonnen sich durch die Menge zu schlängeln, höchst elegant, muss ich gestehen. Und da die Crew ebenso gesammelt unter das Volk getaucht ist, alte Kameraden zum Trinken herausfordert und sich beim Glücksspiel versucht, bleibt mir nichts anderes übrig als ihrem Captain zu folgen bis zu seinem angestrebten Ziel, einem Tisch nahe der Theke. Sparrow scheucht mit eindeutigen Worten die Gäste davon, und wenn er auch nicht sehr groß ist und bestimmt alles andere als sauber, ist es immerhin ein Platz, an dem man nicht genötigt wird den Körperkontakt mit diesem Gesocks zu suchen. „Kommt!“, weist Sparrow mich an mich zu setzen und verschwindet in Richtung Wirt. Etwas mürrisch nehme ich Platz und lasse den Blick angewidert über die schwere Tischplatte aus Eiche schweifen. Gemütlich breiten sich neben Speiseresten verschiedene Flüssigkeiten darauf aus, sickern in das ohnehin schon fleckige Holz und verschaffen meinem Gutdünken nach nicht nur den Piraten einen ordentlichen Rausch, sondern auch den bemitleidenswerten Holzwürmern. Tischlern würde er allein zum Grauen werden, wenn sie der vielen eingeritzten Namen ansichtig werden würden, mancher Drohung gegen Leib und Leben und den Herzen mit Beteuerungen unsterblicher Liebe. Mein Augenmerk fällt auf ein kleines, unscheinbares. Es befindet sich nahe an der Kante, ist unter dem Schmutz kaum zu erkennen. So wische ich es vorsichtig sauber. Was genau mich darauf aufmerksam werden lässt, kann ich nicht erklären. Nicht das Herz an sich ist es, sondern vielmehr die beiden darin eingravierten Buchstaben. „E + W“, murmle ich leise vor mich, was mich lächeln lässt. So viele Namen beginnen mit diesen Anfangsbuchstaben und dennoch, beide waren sie mehr als einmal in Tortuga. Ich streiche liebevoll über das dreckige Holz. Wie lange kenne ich die beiden eigentlich? "Hat Will rein gemacht." Sparrow setzt sich mir mit zwei Krügen und zwei Stücken Brot gegenüber. Neben einer der Brotscheiben schiebt er mir einen von den Bechern hin, zu eifrig, sodass von dem Rum, der sich darin befindet ein wenig überschwappt und auf das Herz trifft. Er nimmt seinen Hut ab, zögert einen Moment und bevor er ihn auf das auserkorene Stück Tisch legt, wischt er es sauber. „Hab nicht gedacht, Ihr würdet es entdecken.“ Er führt seinen Pott an die Lippen und nimmt mehrere ordentliche Züge, mich währenddessen aus halb geschlossenen Lidern musternd. „Wann?“ „Hm?“ „Wann hat Turner es hinein geschnitzt?“ Ich frage nicht, weil die Eifersucht mich packt, ich tue es lediglich aus Interesse. Als wir Turner damals aus dem Meer fischten war er keine fünfzehn Jahre alt und Elisabeth noch ein junges Mädchen. Ein Kind. Und als Sparrow uns das erste Mal in Port Royal mit seiner unerwünschten Gegenwart beehrte waren zu diesem Zeitpunkt keine fünf Jahre vergangen. Ein Herz in ein Stück Holz einzuritzen, ist die Tat eines Jungen, nicht die eines Mannes. „Ist eine Weile her. War, glaube ich, kurz nachdem er mich Euren navy´schen Klauen entrissen und wir die Interceptor gekapert hatten.“, erklärt er, während er sein Brot kaut. Ich nicke und fahre mit den Fingern über das „E“. Durch Sparrows Worte wird mir schmerzlich bewusst, dass es an mehr lag als an meiner Art, dass Elisabeth mich nicht liebte. Bei der Rettung von Turner vor acht Jahren war ich bereits erfolgreicher Captain eines Schiffes und schaffte zu meinem einunddreißigsten Geburtstag die Beförderung zum Commodore. Bei letzterer Festivität war Elisabeth gerade schüchterne zwanzig. Wie konnte ich annehmen, dass ihr dieser Unterschied an Jahren nichts ausmachte. Zum ersten Mal wird mir mein Alter bewusst. Wie sagte ich doch noch zu ihr an jenem Tag: ´was noch fehlt ist die Hand einer ehrbaren Frau´. Ich habe nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist. Ha! Wenn man einen Sinn im Leben hat, glücklich damit ist, dann denkt man auch nicht darüber nach. Erstmals spüre ich jedes einzelne Jahr meiner gezählten vierunddreißig, jedes entsprechend einem zentnerschweren Kohlesack. Ich seufze schwer, nehme meinen Becher und umfasse ihn mit beiden Händen, nur um brütend in das bräunliche Gebräu mit dem sanften Stich ins Rote zu starren. „Ihr solltet trinken, bevor der Alkohol hässlichen Schimmel ansetzt.“ Ich schüttle den Kopf, lösche die Erinnerung an Elisabeth aus und komme Sparrows Rat nach. Der Rum läuft meine Kehle hinunter und einmal mehr betäubt der brennende Geschmack Kummer und Schmerz. Du musst sie vergessen James. Es ist erniedrigend ihr weiter hinterherzulaufen. Ich kneife die Augen zusammen, damit ich den Krug bis zum Grund geleert bekomme. Danach stelle ich ihn ab und warte darauf, dass sich die vertraute wohlige Wärme und sie hinauf in meinen Kopf steigt. So ungern ich es wahr haben will, sich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken, kann seinen Reiz haben. Von Zeit zu Zeit. Mein Blick gleitet zurück zu meinem Gegenüber. Der Pirat stiert mich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund an, die Kante Brot, die er noch nicht verschlungen hat, fällt ihm aus der Hand. „Überrascht?“, grinse ich ihn schief an, der Alkohol tut wohl schneller seine Wirkung, als erwartet. Sparrow reagiert jedoch nicht. „Al Faras!“, stammelt er stattdessen, verzieht entsetzt das Gesicht und ist im nächsten Augenblick unter dem Tisch verschwunden. Ohne seinen Hut. Verwundert über seinen plötzlichen Stimmungsumschwung wende ich mich um, lege meinen Arm über die Rückenlehne, besehe mir die Gäste. Und dann entdecke ich ihn, den Grund für Sparrows plötzliche Panik: Einen breiten, wütenden Bären mit schwarzem Turban von schätzungsweise fünfzig Jahren. Dieser Mann muss auffallen, nicht nur durch seine orientalische Kleidung, nein, die Beschreibung `Bär´ trifft den Kern der Erscheinung in der Tat am besten! Der dicke Bauch des fast zwei Schritt hochgeschossenen Mannes hängt über die viel zu knapp geschnittene, farbenprächtige Pluderhose, gleich einem Rettungsboot, das an der Reling eines Schiffes befestigt wurde. Und auch die dünne Weste, die die monströsen Oberarme zur Geltung bringt, vermag die Leibesfülle nicht annähernd zu bändigen. Das braune Gesicht ist grobschlächtig und Narben zieren es auf verunstaltende Weise. Der stattliche, ergraute Bart, der ihm bis über die tätowierte, gut behaarte Brust hängt, verdeckt vermutlich weitere. Soweit ich es erkenne, trägt der Koloss keine Waffe, völlig irrelevant bei der Größe seiner Fäuste. Wen er sucht? Also beuge ich mich hinunter. Was ich da allerdings unter dem Tisch sehe, lässt mich schmunzeln. Dieser Anblick lässt jeden noch so trübseligen Gedanken fliehen: Sparrow kauert auf seinen Knien, nagt verbissen an seinen Fingernägeln und stiert panisch auf die vielen Stiefel, die über den Boden laufen, in der Hoffnung rechtzeitig die des Mannes ausfindig zu machen. Was hat er nur wieder verbrochen… „Mister Sparrow, ist das nicht ein bisschen lächerli-?“ „Schhht!“, zischt er mich an, die Hände abwehrend vor sich hinwedelnd, „Nicht so laut, Jamie.“ Er schaut mich mit diesen tiefbraunen Augen böse an. „Eure kleine Mission wird sich kaum ohne mich erfüllen lassen!“ Damit hat er vermutlich sogar Recht, aber dieses Risiko gehe ich gerne ein. Ich kann mir es einfach nicht verkneifen, zu verlockend ist die Gelegenheit, die Schändung meines Namens zu rächen, selbst wenn Rache recht unchristlich ist. Wollen wir doch einmal herausfinden, ob es ihm gelingt auch dieser Situation Herr zu werden. „Ertragt es mit Fassung, Jack. Zumal ihr Euren geliebten Hut habt liegen lassen.“, posaune ich. Der Blick, der mich daraufhin trifft, ist ein Musterbeispiel an Ausdruckslosigkeit. Wie zu einer Salzsäule erstarrt, hockt er vor mir, nur das nervöse Zucken seiner Mundwinkel verrät, dass der Pirat noch am Leben ist. Dann werden seine Augen riesig und ein Ruck geht durch seinen Körper, als hätte er einen Aal berührt. Er wendet mir urplötzlich seine Hinterseite zu und kriecht das mickrige Stück zur anderen Tischseite. Mit einem Lachen setze ich mich wieder auf. Soll er versuchen zu fliehen, ob der Unbekannte ihn erwischen mag oder nicht, die kleine Revanche lohnt sich außerordentlich. Zumal werde ich nicht zulassen, dass der Mann ihn tatsächlich einen Kopf kürzer macht. Da müsste er sich redlich hinten anstellen. Meine Ansprüche in dieser Hinsicht sind wesentlich nachhaltiger. Nanu? Während ich mich zufrieden in meinem Stuhl zurücklehne, erscheint auf der Tischplatte eine freche Hand, jene mit einem breiten, schwarzen Lederband und den vielen Ringen, eine, die ich freilich kenne. Ah, doch nicht ohne Euren Hut. Pirat, Ihr überrascht mich. Dass Ihr Euer Leben an ein solches Stück Leder hängt. Das nächste Mal stehle ich ihn Euch. Dann kommt ihr freiwillig nach Port Royal und seiner Gerichtsbarkeit. Die nervöse Hand tastet behutsam über das Holz, ich könnte mir jetzt den Spaß erlauben, ihn stets zu verrücken, aber das wäre wohl unlauter. Schon im Begriff mein Vorhaben umzusetzen, fällt mir der helle Streifen Haut an seinem Ringfinger auf. Er hebt sich deutlich von der ansonsten makellosen Bräune, die den Körper Sparrows überzieht ab und nur den Schluss zulässt, dass hier eigentlich der Wohnort eines Ringes zu sein hat. Kaum ist mir dieses Detail eine längere Überlegung wert, donnert, anders kann man es kaum beschreiben, ein Bierkrug mit Macht auf das Objekt meiner Aufmerksamkeit nieder und bringt mein Herz dazu einen Moment auszusetzen. Ich blicke auf die mächtige Hand, die ihn hält und wandere bis hoch zu dem vor Zorn verzerrten Gesicht des Besitzers. Selbiger steht neben mir, erschienen wie eine plötzlicher Sturm. Hat er mich also gehört. Neben einem tief verborgenen Gefühl der Befriedigung, kommen mir doch Zweifel, ob es eine so glorreiche Idee gewesen ist, Sparrow diesem wild gewordenen Eber auszuliefern. Mein Vorhaben den Piraten notfalls vor ihm zu verteidigen möchte ich auch lieber überdenken. „Mach dass du hochkommst, Kadeb!“, poltert er in einem tiefen Bass, der Akzent legt eine Herkunft aus einem arabischen Land nahe. Sparrow fährt unter dem Tisch heftig zusammen, schlägt sich dadurch seinen Schädel an der Unterseite der Platte an, so stark, dass der Tisch erbebt. „OUUH!“, tönt der Schmerzensschrei von unten zu uns herauf. Dann aber bleibt es wieder still. Wäre Sparrow nicht der Mann, der er ist, würde ich jetzt ein gewisses Mitleid verspüren, ihm sicher zur Seite stehen wollen, auch wenn mir mein Gegner zweifellos überlegen ist. Der Pirat rührt sich weiterhin nicht, verständlicherweise, doch nach einem weiteren harten Schlag mit dem Krug auf den Tisch erscheint letzten Endes langsam, Stück für Stück, das rote Tuch seines Haarschopfs, gefolgt von der hohen, in Falten gelegten Stirn und den furchtvollen Augen. Diese schielen verkniffen über die Tischkante zu dem wutschnaubenden Mann. „Hoch, Sparrow!“, befielt dieser gnadenlos, die Spur der Vorfreude offen zeigend, indem er die Gelenke seiner Fäuste knacken lässt. „Jabbar“, nuschelt der Pirat mit einem schüchternen Lächeln, einen der verletzten Finger im Mund. Bevor er jedoch mehr über die Lippen bekommt, holt der stämmige Mann erneut aus und platziert das Gefäß zielsicher auf Sparrows linker Wange. So geht er mit einem schmerzvollen Stöhnen gleich einem gefällten Baum zu Boden. Das scheint dem Hünen jedoch noch nicht zu genügen, denn er versucht um den Tisch herum zu kommen. Gut, ab diesem Zeitpunkt sollte ich wohl eingreifen. Blaue Flecke und gebrochene Rippen sind eine Sache, ein gespaltener Schädel eine andere. In der Tat brauche ich den Halunken lebend. Sparrow, hierfür schuldet ihr mir was. Bevor der Fremde nach dem Piraten greifen kann, um sein Werk zu vollenden, springe ich auf und trete ihm von hinten in die rechte Kniekehle. Nicht so fest, dass ich sie damit zertrümmern würde, aber dennoch stark genug, dass es ihn mit einem Schrei nach vorne stürzen lässt. Stärke mag ausschlaggebend sein für den schnellen Erfolg in einem Kampf, doch macht sie auch behäbig. Und nicht zu unterschätzen ist der Moment der Überraschung. Gemütlich ziehe ich dann mein Schwert, trete neben ihn und halte es bereit. Der schwerfällige Araber braucht einen langen Augenblick, um zu realisieren, was geschehen ist und einen wesentlich längeren, um sich ungeschickt zu mir zu wenden. Nur um dann auf die scharfe Klinge meines Schwertes direkt vor seiner Nasenspitze zu sehen. Die grünen Augen weiten sich zuerst erschrocken, jedoch nicht annähernd panisch, wie ich es erwartet habe. Stattdessen flammen sie wutentbrannt auf. Das Knirschen seines Kiefers und das Ballen seiner Fäuste entgeht mir nicht. „Sir, es ist mir unlieb Euch zu verletzen, aber das Privileg Jack Sparrow jetzt zu töten, kann ich Euch nicht einräumen.“ Es ist nur eine kühl vorgetragene Warnung, das Dumme, das sein Hirn gerade regiert, nicht auszuführen. Damit er mich auch sicher nicht missversteht, verleihe ich meinen Worten den gebührenden Nachdruck, in dem ich einen weiteren Schritt auf ihn zumache und die Spitze meiner Klinge an seinen Hals setze. Aus den Augenwinkeln heraus bemerke ich, dass Sparrow es mittlerweile fertig gebracht hat, sich aufzusetzen. Er schüttelt sich benommen, sodass die wilde Haarpracht ihm um die Schultern tanzt, dann hält er sich mit beiden Händen stöhnend den Kopf fest. Erst als er wieder einen Punkt klar fixieren kann, steht er ächzend auf, die Hände dabei weit von sich gestreckt der Balance wegen. „Jabbar Schön… dich zu sehen. Wie war es denn so in Marrakesch?“ „Du hast mir die Lampe gestohlen, Haramey!“ „Und du ein wenig abgenommen. War das Essen im Ayadina so schlecht?“, grinst Sparrow. Die haarige Situation lässt ihn völlig unbekümmert. Ein drohender Blick über meine Schulter lässt ihn jedoch verstummen und einen Schritt hinter meinen Rücken weichen. „Und du hast immer noch Freunde.“ Der dunkle Mann mustert mich schmunzelnd und schnalzt abfällig mit der Zunge. „Nicht wirklich ein Freund. Eher eine bedingte Zweckbekanntschaft.“, stelle ich sogleich richtig und bedeute ihm mit dem Schwert sich zu erheben „Aufstehen!“ Der Araber kommt der Forderung brummend nach, rückt seinen schwarzen Turban zurecht und richtet sich zu seiner vollen Größe auf, so dass ich mich strecken müsste, um seinen Hals noch treffen zu können. Daher belasse ich es dabei auf seinen dicken Bauch zu zielen. Ich bleibe vorsichtig, anerkenne aber, dass er keine weiteren Anzeichen der Aggression zeigt. „Werdet Ihr Euch benehmen, Sir?“ „Muss ich ja, Ihr habt die deutlich besseren Argumente, Junge.“, entgegnet er mit einem fahlen Grinsen, das die ein oder andere Zahnlücke zum Vorschein bringt. Junge? Das letzte Mal nannte mich mein alter Herr so, beim Eintritt in die Marine. Al Faras lässt sich schwerfällig auf meinen Stuhl fallen, was das einfache Gebilde bedenklich unter seinem Gewicht aufächzen lässt und schreit laut nach, - erstaunlich-, Tee. „Gut. Dann sprecht, was ist Euer Begehr? Wenn es allerdings Sparrows Kopf ist, so muss ich zu meinem eigenen Bedauern leider ablehnen.“ „Zu viel der Nettigkeit, Jamie.“, motzt es hinter meinem Rücken, oh, beinah hätte die angenehme Stille mich dazu verleitet ihn zu vergessen, „meine Habe, wenn ich bitten dürfte.“ Der Pirat schiebt sich neben mich und greift sich seinen Hut. „Ich will die Lampe und Aicha zurück!“ Nur ein Satz, kurz und prägnant und sehr erfrischend im Vergleich zu Sparrows ausschweifender Schwafelei. Besagter torkelt, sich sein Heiligtum aufsetzend, auf den Araber zu, der trotz seiner sitzenden Position ihm noch bis zur Schulter reicht. „Jabbar… Freund, alter Kumpel, das wird sich nicht so einfach gestalten lassen. Sie … ist… öh… nicht mehr so ganz auffindbar.“ „Was soll das heißen Kadeb?“, entfährt es dem Mann panisch und ich sehe es ihm an, dass er am liebsten dem Piraten wieder an den Hals gehen würde. Sparrow springt einen Schritt zurück an meine Seite, die Sicherheit des Degens suchend. „Das soll heißen, dass ich sie nicht mehr ha-“ „Verloren?“ „Das hab ich nicht gesa–“ „Verkauft??“ „Nein“ „Doch nicht etwa gestohlen?!“ „Das hab ich auch nicht gesagt! Wenn du es mich ausreden lassen würdest, die Erklärung wird dir zwar nicht gefallen, aber du würdest es verstehen.“ „Sparrow!“ Ich sehe ihn ungeduldig an, was ihn tief seufzen und in seinen Bart brummeln lässt. „Was? Ein wenig lauter.“ „… hab…sie.. .. Ich hab sie frei gelassen.“ „Du hast was?“ So schnell, wie der Fremde aufspringt, mein Schwert mit der bloßen Hand zur Seite schlägt, über den Tisch langt und Sparrow am Schlafittchen packt, kann ich nicht reagieren. Im Gegensatz zu meiner Befürchtung, dass seine große Faust jetzt unwiderruflich auf den Kiefer des Piraten trifft, schüttelt er ihn nur. „Und wie gedenkst du deine Schuld jetzt zu begleichen, Effendi? Was soll deiner Meinung nach den Wert von drei Wünschen, drei unvorstellbaren Wünschen, aufwiegen können?“ „Nun, der Mann der die Lampe geklaut hat, könnte dem Mann, dem sie geklaut wurde einen Drink… Tee… spendieren. Der Mann der bestohlen wurde, wird ihn genießen, während der Mann, der die Lampe entwendet hat, ihm einen Vorschlag unterbreitet. Und ich möchte erwähnen, einen durch und durch lohnenswerten Vorschlag.“ Der Araber lässt Sparrow zögerlich los, besonders, da ich mich wieder in der Gewalt habe und das Schwert kommentarlos in seinen Rücken setze. Der Pirat rückt sich seinen Hut zurecht und setzt sich, den rechten Arm gefällig über die Rückenlehne gelegt. Al Faras und ich folgen seinem Beispiel nach einem kurzen Blickwechsel, meiner drohend, seiner sein Einverständnis bekundend, dem Verlangen eines Wutausbruchs nicht noch einmal nachzugeben. Ich stecke den Degen zurück an seinen Platz, lege aber zur Vorsicht und stetigen Erinnerung meine Pistole auf den Tisch, die Hand darüber. „Fein, mein Freund. Wusste du würdest vernünftig sein. Dann müssen wir ja jetzt nur noch warten.“ „Auf Anamaria?“, schließe ich spitz, des Wartens langsam überdrüssig, da es das Einzige ist, das ich die letzten Tage getan habe. „Völlig richtig Jamie. Gibbs wird sie herbringen, falls die Nachricht unserer Anwesenheit oder dieses spaßige Getümmel eben nicht gereicht hat, um ihre hübsche Nase zu mir zu führen.“ Nach einer Weile, einigen weiteren Bechern Rum und etlichen Erklärungen, wie sich die Begegnung Sparrows mit al Faras abgespielt hatte, wie der Pirat an die Lampe der Aicha Kandicha gelangt war und diese tatsächlich existierende Dschinni befreite, landet ein kleiner, brauner Beutel vor uns auf dem Tisch. Einer der beiden, die er zuvor dem Steuermann mitgegeben hatte. Ich sehe auf und werde der Neuankömmlinge hinter ihm ansichtig. „Seht ihr?“, fragt Sparrow mit einem Lächeln mit beiden Händen auf den Beutel deutend. "Ich wusste sie würde sich nicht lange bitten lassen." „Jack, ich dachte wir haben eine Übereinkunft.“, meint die dunkle Frau kühl, ohne sich mit einer überflüssigen Begrüßung aufzuhalten. Die verärgerten, dunkel funkelnden Augen wollen förmlich den wirren Haarschopf des Piraten versengen. Kein Zweifel, ich erkenne sie wieder. In schwarze Lederhosen und ein einfaches weißes Hemd gekleidet, steht Miss Anamaria da, ein zierliches Rapier um die wohlgeformten Hüften geschnallt. Sparrow erhebt sich zufreiden, wischt anstandsvoll seinen Stuhl sauber und bietet ihn ihr an. „Anamaria, Liebes. Setz dich. Gut dass du da bist. Werde mich dir und deiner Verärgerung wegen unserer Übereinkunft gleich ausgiebig widmen. Aber zuerst: Mister Gibbs, Jabbar dürftest dir noch bekannt sein. Er wird uns wieder eine Zeit lang mit seiner Anwesenheit auf der Black Pearl erfreuen. Gib ihm seinen alten Schlafplatz und räum für Jamie auch ein Fleckchen frei.“ „Ich gedenke nicht mit Euren Männern im selben Raum zu schlafen, Sparrow.“, lege ich sofortigen Protest ein, die Vorstellung mit dreckigen Piraten die Nächte zuzubringen, ist abscheulich. „Sir, die Kojen und Matten sind voll belegt. Für den Commodore wäre nicht mal mehr eine Decke drin. Entweder die Ratten waren mit ihrem Zuwachs diesen Frühling zahlreich, oder wir haben zu viele Männer an Bord.“ Mich in meinem Einspruch ereifernd und weil ich konsequent von den beiden ignoriert werde, habe ich nicht bemerkt, wie Anamaria an mich herangetreten ist und mich jetzt ungläubig mustert. „Commodore Norrington?“ Jetzt, da sie mich anspricht, erhebe ich mich und verneige mich vor ihr, wie es sich in der Gegenwart einer Dame geziemt. „Miss“ „Was macht Ihr denn in Tortuga?“, Jabbar steht ebenfalls auf. „Ich soll wieder mit auf dein Schiff?“ „Seltsam.“ Obwohl ich bemüht bin, Anamaria zu erklären, wie es mich hierher verschlagen hat und das Gespräch zwischen Gibbs und Sparrow mitzuverfolgen, fällt es mir zunehmend schwerer, mich in dem entstehenden Stimmengewirr zu konzentrieren. „Hab mich doch noch nie verrechnet.“ „Und das Mädchen will sicher auch nicht bei uns schlafen Cpt´n. Hat sie früher auch nicht gemacht.“ „Dann zieht der Commodore zu mir und Anamaria in den Frachtraum.“ „Hat der alte Tunichtgut wieder was verbrochen, dass es Euch hierher führt?“ „Aicha kannst du nicht mit einer Überfahrt auf der Black Pearl ersetzen!“ „Ganz sicher nicht Sparrow. Da nehme ich doch mit beträchtlichem Vergnügen mit Ratten vorlieb.“ Mein Protest ist dieses Mal energischer. Nicht einmal in meinem schlimmsten Traum würde ich mir den Gedanken auch nur gestatten mit Jack Sparrow im gleichen Zimmer zu nächtigen! „Commodore! Ihr hört mir nicht zu.“ „Was? Ähm, ja, ich meine nein.“ „Kadeb!“ „Mister Sparrow!“ "Aufhören...", verlangt Sparrow. „Commodore Norrington!“ „Captain?“ „Aufhören! Mund halten. Alle!“, schreit er in unsere Mitte und reißt die Hände in die Höhe. Das entstandene, heitere Durcheinander unserer Stimmen, basierend auf unser aller Ungeduld wird damit beendet. „Wie soll ein normaler Mensch bei diesem Tohuwabohu denn denken können, eh?“ Sparrow sieht einen nach dem anderen an, zuletzt mich. „Mister Spar –“, will ich trotzdem ansetzen, werde aber durch seinen erhobenen Zeigefinger daran gehindert. „Nein Commodore Norrington. Ruhe. Erkleckliche, wohltuend stille und angenehme Ruhe!“ Der Pirat atmet tief durch, sieht in unsere wartenden Gesichter und tritt mit einem großen, torkelnden Schritt zu Anamaria. „Beginnen wir mit der Dame. Anamaria, du wirst uns auf die Pearl begleiten und für mich die Karte übersetzen, die du mir zur Verwahrung gegeben hattest. Bedauerlicherweise entstanden Komplikationen, die leider andauern und nun überwunden werden müssen. Unsere Übereinkunft ist somit hinfällig. Was mich zu dir bringt Jabbar, denn das Lösen eben erwähnter Komplikationen gipfelt unbeabsichtigt darin, dass ich meine Schuld, auch wenn ich sie nicht als solche anerkenne, an dir begleiche. Deshalb hast du die große Ehre erneut unter Captain Jack Sparrow segeln zu dürfen. Mister Gibbs, Ihr werdet Sorge dafür tragen, dass der Sand endlich aus meiner Kajüte verschwindet. So langsam krieg ich Pusteln und wir wollen nicht, dass es den seidenen Hinterbacken von Norrington genauso ergeht.“ „Aye Sir.“ Sparrow macht auf den Absätzen kehrt. „Und nun zu Euch, zum Fürchten anständiger Commodore. Ihr werdet bei mir schlafen, ob ihr nun wollt oder nicht. Und bevor ihr erneut widersprecht: Mein Freund, ich könnte mir auch liebsamere Zeitgenossen vorstellen, denen ich die hohe Gunst einräume mit mir mein bescheidenes Gemach und Bett zu teilen. Und ich würde es Missy hier anbieten, wenn ich es nicht besser wüsste, dass Ihr mich dann in Eurer tugendhaften Art zu Unrecht der Lüsternheit beschuldigen würdet und verbissen um die Erhaltung ihrer Ehre kämpftet. Und selbst würdet ihr aus Anstand heraus wohl nicht bei ihr liegen wollen. Erspart uns und Euch also das lästige Lamentieren und überwindet Euren überaus eigenwilligen und hinderlichen Sinn für Stolz.“ Mit offenen Mündern stehen wir da, alle wohl gleichermaßen überrascht wie sprachlos. Dass er ein Machtwort spricht, das auch noch derart bestechend einleuchtend ist… ist selten. „Endlich.“, ruft er erleichtert aus, da keiner von uns etwas erwidert, keiner es mehr wagt. „Dann kann ich ja jetzt mein Schiff reparieren gehen. Komm Gibbs. Anamaria, klär die Herrschaften über unser Reiseziel auf.“ Er nimmt den kleinen Beutel vom Tisch, zieht einen Ring heraus, der wohl an den Finger mit dem weißen Streifen Haut gehört. An besagten Finger steckt er ihn zurück. Ein Ring mit blauem Stein. „Aye, Captain“, stammelt die junge Frau, dem Rücken des Piraten mit den Augen folgend. Auch ich sehe ihm nach, wie er mit Gibbs in Richtung Treppe und schließlich durch die Türe verschwindet. Ein anhaltendes Grollen stellt sich in mir ein, denn die Behandlung, die er mir zuteil werden lässt, erinnert mich aufdringlich an meinen letzten Besuch, als ich unter seinem hämischen Blick das Deck schrubben durfte. „Und jetzt?“, brummt Jabbar in unser gemeinsames Schweigen hinein. Ich räuspere mich, setze mich zurück an den Tisch. „Jetzt werden wir uns anhören, was die junge Miss uns zu sagen hat.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)