The Black Widow Tale von Archimedes (Sparrington) ================================================================================ Kapitel 3: Für die Akte ----------------------- "Unschuldig und von einer solchen Freigiebigkeit mit dem, was sie haben, dass niemand es glauben würde, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Was immer man von ihnen erbittet, sie sagen nie nein, sondern fordern einen ausdrücklich auf, es anzunehmen und zeigen dabei soviel Liebenswürdigkeit, als würden sie einem ihr Herz schenken." - Christoph Columbus - * * * „Nein, nein. Nein! Captain, du weißt ganz genau, es bringt furchtbares Unglück eine Frau mit an Bord zu haben.“, redet Gibbs seit einer langen Weile auf Sparrow ein, wobei seine Stimme mit jedem Wort höher wird. „Ganz besonders, wenn es diese Frau ist.“ Als hätte man ihm mitgeteilt der Leibhaftige selbst wolle ihm einen Besuch abstatten, läuft er hektisch hinter ihm her, das Gesicht bleich, während der Captain der Black Pearl mit den Augen rollend ein Stück in meine Richtung weicht. Fasziniert, wie gestandene Männer, sich dem Aberglauben hingebend, zu verängstigten Mäusen werden, lehne ich mich übermüdet gegen die Türe, die unter Deck führt und verfolge die Szene amüsiert. Weil die letzte, sehr kurze Nacht im Frachtraum keinesfalls erholsam war, ich jeden einzelnen Knochen spüre, erfreut es mich zu sehen, dass es Sparrow nicht besser ergeht. Denn mit mir wurde auch er durch die frenetische Jubelei seiner Mannschaft zu früh aus dem Schlaf gerissen, welche, - nebst wildesten Spekulationen-, durch das Abrücken meiner Schiffe ausgelöst wurde. Interessanterweise maß er mich lediglich mit einem skeptischen, höchst misstrauischen Blick. Mich danach gefragt, hat er bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht. Mit einem versteckten Lächeln schlüpfe ich gemütlich in meine Jacke und beginne die Knöpfe zu schließen. Meine Augen wandern währenddessen über das Deck und noch einmal zolle ich Andrew Respekt dafür, dass er neben dem Befehl zum Abrücken den hinsichtlich der fünf Soldaten erfolgreich erfüllt hat. Wie angeordnet, haben sie sich unbemerkt auf die Pearl geschlichen. Ich selbst hätte meine eigenen Männer in ihrer zerschlissenen Kleidung und anhand ihres ungehobelten Auftretens nicht erkannt, wenn sie sich mir am gestrigen Abend nicht noch durch ein kurzes Zeichen zu Erkennen gegeben hätten. Mit mir und der Welt zufrieden, beobachte ich weiter das sich mir bietende Schauspiel zwischen Captain und Steuermann und wie ersterer sich mit ungeduldiger Miene so abrupt umwendet, dass Gibbs beinahe gegen ihn prallt. „Master Gibbs, was pflegen Steuermänner in der Regel zu tun?“, will er wissen, gleich einem Lehrer, der ungnädig mit seinem Schüler ist. „Sie... sie steuern das Schiff?“ „Und was brauchen sie dazu, um diese redliche Aufgabe zu tun?“ „Einen Kurs?“ „Aha! Einen Kurs. Einen Kurs, den wir nicht haben. Und da wir keinen Kurs haben, den wir aber dringend brauchen, brauchen wir einen Steuermann, der unseren Kurs, welchen wir nicht haben, kennt.“ „Also holen wir Anamaria, damit sie das Schiff steuert?“ Sparrow hebt tonlos den Finger, formt die Lippen zu einer Antwort. „Nein.“ Die Verwirrung ist Gibbs deutlich ins Gesicht geschrieben. „Wir holen Anamaria damit sie Euch zeigt, wohin Ihr das Schiff steuert.“ „Aber Captain! Wir haben doch deinen Kompass, wir brauchen sie nicht.“ Der Captain der Pearl räuspert sich, legt den Kopf in den Nacken, um ein klein wenig größer zu wirken, die Brauen herauf und die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengezogen. „Mister Gibbs. Euer lächerlicher und äußerst unzweckmäßiger Händel mit Anamaria hat während unserer früheren Abenteuer ungemein zu meiner Erheiterung beigetragen“, er zupft an den Perlen seines Barts, dass die Perlen gegeneinander schlagen, „und ich bin zu meiner Schande daher untätig geblieben, als sie mit schlagkräftigen und überaus schmerzhaften Argumenten das Schiff verließ.“ Bei dem Wort ´schmerzhaft´ reibt der Pirat knurrend seine Wange, und ich kann mir zusammenreimen, warum. Meine erste und einzige Begegnung mit der besagten Miss liegt zwar eine Weile zurück und sie war von sehr kurzer Dauer, dennoch weiß ich noch um ihr ungezügeltes Temperament. ´Jeder so, wie er es verdient, Gentleman´, denke ich vergnügt und ein kleiner Teil freut sich, aller Etikette und Anstand zum Trotz, auf die Frau, von der Sparrow in seinem Leben offenbar reichlich Maulschellen bezogen hat. „Und Ihr tragt daran die Schuld, dass sie uns das letzte Mal in Tortuga shanghait hat. Also schlage ich vor, dass Ihr versucht Eure unerträglichen Streitigkeiten in Grenzen zu halten, um dieses eine Mal zumindest annähernd miteinander auszukommen.“ Sparrow wendet sich kurz zu mir, wirft mir einen ablehnenden Blick zu. „Ich muss es ja auch. Gibt’s noch mehr Fragen?“ Gibbs schüttelt den Kopf, worauf Sparrow ihm mit wedelnden Handbewegungen bedeutet sich zu entfernen. „Dann hopp, hopp. Lasst Segel setzen!“ Nachdem die frühmorgendliche Debatte endlich beendet ist, gibt Gibbs der Mannschaft Befehl in See zu stechen, immer unter Beobachtung der argwöhnischen Augen Sparrows. Erst als dieser sich sicher ist, dass sein Befehl auch befolgt wird, trottet er mürrisch zu mir. Während er sich mit verschränkten Armen neben mich stellt, tippe ich mit dem Knauf meines Schwertes, auf seinen an einer Kordel baumelnden Kompass. „Was ist mit Eurem Kompass?“, frage ich spöttisch. Ich habe es nicht vergessen, dass er auf das zeigt, was der Mensch, der in hält, sich am meisten auf der Welt wünscht. „Mein Kompass funktioniert ganz wunderbar.“, gibt er spitz zurück, nimmt anmutig sein bemerkenswertes Navigationsinstrument in die Hand, öffnet es und zeigt mir das Desaster. Die Nadel schwirrt unbändig von einer Himmelsrichtung zur anderen. „Der Mann, der ihn hält, will nicht funktionieren. Das müsst Ihr schon einsehen, dass ich nicht die Segel in mein eigenes Verderben setzen will.“ Dann schleicht sich ein tückisches Grinsen auf seine Züge. „Und da ich annehme, dass wenn ich ihn Euch in die Hand gebe, lieber Freund, die Nadel unumwunden auf Port Royal zeigen wird, zur anständigen und ehrenwerten Misses Turner, -ehemalige Swann-, werden wir den Kurs auf althergebrachte Weise finden müssen. Ihr wisst schon, mit Karten, Navigation und dem ganzen andern Schnickschnack.“ Während seinen Erklärungen lege ich mir das von Turner meisterlich geschmiedete Schwert um, streife meine Uniform glatt und knöpfe ordentlich den letzten Knopf am Kragen zu. Da sich mein Hut noch in des Piraten Besitz befindet und er sich am gestrigen Abend nicht mehr dazu herablassen konnte ihn wieder herauszurücken, muss ich mich heute zu meinem Leidwesen mit meiner Perücke begnügen. Ich setze sie auf und verstecke mein zurück gebundenes Haar unter ihr so gut es mir möglich ist ohne Pomade und Klammern. Sparrow, der meine morgendliche Pflege teils interessiert, zum überwiegenden Teil aber höhnisch verfolgt, ignoriere ich. Ebenso den wie zufällig, aber mit voller Absicht geführten Seitenhieb durch die Nennung von Elisabeth´s Zunamen. Leugnen, dass die Retour ihre Wirkung nicht verfehlt, kann ich jedoch nicht und in meinem Innern grolle ich ihm gehörig. Auch wenn Miss Swann, -Misses Turner-, sich auf romantische Weise nicht mehr in meinem Ermessensspielraum befindet, so heißt das nicht, dass die Gefühle für die geliebte Frau begraben sind. Und dass der Tunichtgut in dieser Wunde nur allzu gerne stochert, macht die Sache nicht einfacher. Welch glücklicher Zufall, dass ich gegenwärtig mit meiner Kleidung beschäftigt bin und ich ihn nicht anzusehen brauche. „Ihr habt da eine Strähne vergessen.“ „Darf ich erfahren, woher Miss Anamaria den richtigen Kurs kennt?“, frage ich nüchtern gegen, die Manschetten an den Ärmeln schließend und in der Hoffnung, dass er mir meine Verbitterung nicht anmerkt. Zudem brennt mir diese Frage seit gestern auf den Lippen, da Sparrow sie trotz energischem Bohren meinerseits unbeantwortet ließ. Meiner Unzufriedenheit über seine gestrige Reserviertheit lasse ich auch sogleich freien Lauf. „Gestern Nacht war unser Gespräch keinesfalls so informativ, wie ich es mir erhofft hatte, Mister Sparrow. Ganz im Gegenteil.“ Wieder korrekt in meine Autorität gebende Uniform gewandet, hebe ich meinen unterkühlten Blick… und sehe direkt auf Sparrows Zeigefinger dicht vor meinen Augen… und werde gezwungen aus Reflex heraus zu schielen. „Da. Diese Strähne. Die habt ihr vergessen Commodore.“, meint der Pirat belustigt über meinen unerträglich dummen Gesichtsausdruck. Dass er nicht noch an besagten Haaren herumzupft, ist auch schon alles. „Mister Sparrow, hört auf mich hinzuhalten, ich bin es allmählich Leid. Eure geheimniskrämerische Taktik mag vielleicht bei Turner funktionieren,“, weise ich ihn verärgert zurecht, „aber nicht bei mir.“ Die freche Hand schiebe ich mit einer überheblichen Geste beiseite. „Wollt Euch nur helfen, Freund. Ihr habt´s doch so mit Ordnung und Disziplin.“ „Sparrow!“, entfährt es mir laut, weil mir überdeutlich klar wird, dass er sich um eine Antwort drücken will. Automatisch legt sich meine Hand krampfhaft um den Schwertgriff, denn im Augenblick verspüre ich den innigsten Wunsch mein Gegenüber ein Stück zu stutzen. Nur die Achtung vor mir selbst und die Unmöglichkeit den Governor ohne Sparrow befreien zu können, halten mich davon ab, meinem Verlangen nachzugeben. „Schon gut. Bevor Ihr gleich wieder die unschöne Angewohnheit entwickelt, mir Eure spitze Klinge unter die Nase zu halten… Beim Herrgott, dass Ihr´s immer so eilig haben müsst.“ Der Pirat seufzt und schließt für einen Moment die Augen, bevor er mich fest ansieht und sich ein Stimmungswechsel in ihm vollzieht, der beinah greifbar ist. „Die Karte, die ich Euch vorlegte, die konntet Ihr nicht lesen, aye?“ Ich nicke und entlasse mit einem erleichternden Laut den Griff. „Aye, konntet Ihr nicht,“, er hebt die Brauen, „kann ich auch nicht, macht Euch also nichts draus.“ Er lächelt dieses unscheinbare Lächeln und strahlt mich aus seinen tiefen, braunen Augen an, fast so, als stünden sie in Flammen, wartend auf das, was ich als nächstes tue oder frage. Das ungute Gefühl direkt in eine von Sparrows Spielereien zu stolpern, beginnt in mir zu wuchern. „Nun lasst mich vermuten, die junge Miss vermag die Sprache zu entziffern, und das ist der Grund, warum wir sie holen.“ „Scharf geschlossen, Commodore. Diese alte und hochgradig ausgestorbene Sprache stammt noch von einem der Urvölker der Karibik, genauer gesagt den Taíno. Vielleicht erinnert ihr Euch. Ist noch gar nicht so lange her, dass Santa Lucia entdeckt wurde. Oder Louanalao, wenn Ihr in der Sprache der Eingeborenen bleiben wollt. Dieses nette, kleine Völkchen hat ein paar erstaunliche Dinge zustande gebracht.“ Sparrow pausiert einen Moment und hebt den Finger in seiner typisch belehrenden Weise, lehnt sich ein Stück zurück und kneift die Augen zusammen. „Ich sag nur ein Wort: Hängematte! Ihr Briten rühmt euch doch immer, sie erfunden zu haben.“ Das selbstgefällige Lächeln, das ihn ohnehin Tag und Nacht begleitet, wird stärker: „Tja, tut mir Leid. Das wart ihr nicht.“, er sieht kurz an mir vorbei, überlegt, „Dann gibt´s natürlich noch den Ají. Tolles Zeug! Hab noch nie jemanden so niesen sehen wie Mister Cottons Papagei! Oder das Canoa, wüsst gar nicht, wie ich sonst die ganzen dünnen Bächlein hinauf käme und selbstv –“ „Mister Sparrow! Ihr plappert.“, unterbreche ich ihn gereizt, bevor er sich vollständig im Aufzählen der Errungenschaften dieses Volkes ergehen kann, so interessant und aufschlussreich sie vielleicht auch sein mögen. Davon abgesehen können Papageien nicht niesen. Angefahren, faltet er die Hände wie zu einem Gebet und duckt sich leicht. „Verzeihung. Hab mich hinreisen lassen. Also, bevor die Portugiesen und Spanier meinten sich auf diesem herrlichen Fleckchen Land breitmachten zu müssen und versuchten es zu kolonialisieren, besiedelten sie die gesamten Antillen und eben auch diesen Teil der Westinseln-“ „Und wer brachte die Sprache der jungen Miss bei?“ Sparrow hebt tadelnd den Finger, „Nicht so ungeduldig Freund. Will ja schon dazu kommen.“ Er tritt mir wieder sehr nah gegenüber, so nah, dass wir uns fast berühren. Dann tippt er mit seinem Zeigefinger gegen meine Brust, genau über dem Herzen. „Anamaria ist eine der wenigen Nachfahren der Maguana, eines Stammes, der die Überfälle durch die Kariben überlebt hat, nicht zu vergessen das Abschlachten durch Christoph Columbus im fünfzehnten Jahrhundert. Klar soweit?“ „In der Tat“, bejahe ich, „die Berichte sprechen davon, dass er und die folgenden Kolonialherren sich an den Ureinwohnern vergingen und die Völker, trotz unzähliger Edikte des spanischen Hofes zu ihrem Schutz, hinmordeten. Die letzte Stammesführerin war Anacaona, Frau des Caonabo. Gehängt wurde sie auf Befehl des spanischen Gouverneurs de Ovando im Alter von nur neunundzwanzig Jahren. Wie haben die Ahnen von Miss Anamaria überlebt, das Volk gilt als ausgestorben?“ Sparrow kratzt sich den geraden Nasenrücken, bevor er in Richtung Reling schlendert, bewusst langsam, und ich ihm folge. Dort angekommen, greift er sich mit einer Hand eines der Seile, das nach oben zu den Segeln führt, hängt sich daran, um sein Gewicht von ihm tragen zu lassen. „Weiß nicht, Freund. Kann ich Euch leider nicht beantworten, die Frage. Ich weiß nur soviel: Anamaria ist eine der noch etwa dreißig lebenden Taíno und so ziemlich die einzige, die diese Sprache spricht. Jedenfalls kenne ich sonst niemanden. Sie kann es und der Rest soll mir daher gleich sein.“ „Schön. Darf ich auch erfahren, was genau auf der Karte zu lesen und was durch sie zu finden ist?“ Sparrow legt bei meiner Frage den Kopf schräg und sieht mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich noch nie zuvor bei ihm entdeckt habe. Fragend, suchend, ein wenig kritisch vielleicht und auch besorgt. Wer kann das bei ihm schon so genau einschätzen, jedenfalls unglaublich intensiv und somit außerordentlich beunruhigend. „Wollt Ihr etwas Sparrow?“ Ich straffe mich, ein wenig verunsichert durch ihn. „Nichts Freund. Ich überlege bloß.“ Seine Denkpause hält noch einen Moment an, dann fährt er mit gewohnt rauchiger, aber fester Stimme fort: „Ihr dürft. Die Karte gibt das Versteck der Taino preis. Ihr Schlupfloch. Ihr zu Hause. Ihre Heimat. Als ich Euch und Will erzählte, dass die Soul of Empress keinen Heimathafen hat-“ „- habt Ihr nicht so ganz die Wahrheit gesagt?“, beende ich den Satz für den Piraten. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, blicke ich auf das weite, ruhige Wasser, innerlich beschäftigt mit diesem verwirrenden Ausdruck, der so gar nicht in Sparrows übliches Repertoire passen will. Meine Schweigsamkeit hindert ihn aber nicht daran sich neben mich zu stellen. Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie er seine Unterarme auf das raue Holz bettet und mit mir zusammen hinaus auf den Horizont schaut, hinter uns das geschäftige Treiben seiner Crew. „Nicht so ganz. Aye. Die schwarze Witwe ist auch eine Taino und sie kennt dieses Versteck.“ „Und so wird die Wahrscheinlichkeit groß sein, dass sie dort einläuft.“, sage ich beiläufig, schenke der neuen Information nur geringe Beachtung, denn ich hänge fasziniert an dem Bildnis vor mir fest: Die vor sich hin treibenden Wellen, am Horizont die Ufer ferner Länder, nur undeutlich erkennbar und die streichelnde, laue Brise auf der Haut und im Haar, zart und sanft, wie selbst eine Mutter es nicht mehr sein könnte... Ich lasse mich hinreißen die Augen zu schließen und tief einzuatmen. "...der salzige Geruch, der herüber weht und man weiß, dass man zu Hause ist. Mag gern glauben, dass das Wasser der Karibik immer ein bisschen blauer ist als anderswo. Dieser Anblick ist es, der einen leben lässt und die Schatten der Vergangenheit vergessen macht... ...gibt nichts Besseres, als das hier, eh? “ „Nein, das gibt es wirklich nicht.“ Sanft darüber lächelnd, dass gerade Sparrow es ist, der wie kein anderer die Liebe zur See mit mir teilt, nicke ich und lehne mich mit meinem Rücken gegen den Widerstand hinter mir, sodass ich sein Profil betrachten kann. Ein schmerzlicher Zug liegt um seine Lippen, während er gebannt hinaussieht und zum ersten Mal seit ich diesen Mann kenne, erlebe ich ihn wahrhaft traurig. „Was habt Ihr dieser Frau getan, dass es Euch Euer Herz so schwer macht?“, frage ich ehrlich interessiert, worauf sich der Kopf des Piraten zu mir dreht. Der Rest verbleibt steif in seiner Haltung. „Bester Commodore, ich habe sie geheiratet“ „...“ Für einen Moment herrscht vollkommene Stille, stiller wie es auf dem Meeresgrund nicht sein könnte. Dann ziehen sich meine Brauen in die Höhe, so hoch, dass sich meine Stirn in Falten legt. „Pardon?“, stammle ich, mich immer noch an dem wunderbaren Gedanken festklammernd, mich verhört zu haben. Ich starre ihn an, Sparrow sieht schmunzelnd zurück. Ja, mein Piratenfreund, Ihr erlebt mich sprachlos, erneut. Und da der Mann sich beharrlich in Stille hüllt, wird sich daran auch so schnell nichts ändern. Er genießt es sichtlich, sich an meinem geschockten - ein anderer Begriff würde ihn beileibe nicht treffen- Zustand zu weiden. Um die tosende Stille schließlich zu brechen und dem Piraten seinen Erfolg zu vergällen, kommt mir ein rettender Gedanke. Wollen wir doch versuchen diese neue Information ganz pragmatisch zu verarbeiten: „Hm. Wenn das so ist, dann werde ich Eure Akte auf meinem Schreibtisch um dieses Detail erweitern müssen.“ Ich zucke mit den Schultern, gleichgültig gemeint, allerdings wenig überzeugend, was Sparrow keinesfalls entgeht. Das demonstriert er sogleich mit einem glucksenden Laut, einer dieser verzweifelten Laute, die von unterdrücktem Lachen herrühren. „Wie kam es denn zu diesem unerwarteten Ereignis?“ „Wollt Ihr das wirklich wissen?“ In den unergründbaren Augen entsteht ein bemerkenswertes Leuchten, dieses nur Sparrow eigene Leuchten, das anzeigt, wenn ihm ein dicker Fisch ins Netz gegangen ist. Halb lächle ich über diese Freude, bevor mir klar wird, dass dieses Mal mein Interesse der Fisch ist, der nur allzu bereitwillig in sein Netz hüpft. „Für die Akte, Mister Sparrow.“ „Für die Akte.“, wiederholt er und das unscheinbare, aber so offensichtliche Zucken seiner Mundwinkel kann mir gar nicht verborgen bleiben. „Für die Akte.“ Wir beide wissen, es wäre irrsinnig meine Neugier jetzt noch zu bestreiten. Die Ellbogen bequem auf die Reling gestützt, schaue ihn mit großen Erwartungen an. „Aber hinterher nicht böse werden, ja?“, bittet er mich mit geradezu ulkigem Augenaufschlag. Wenn ich auch mit seiner Bitte nichts anzufangen weiß, nicke ich zustimmend, aber sie lässt mich wachsam werden. Jetzt kann ja nur eine grandiose Kalauerei kommen, zweifellos unterhaltsam und amüsant, für Piraten wohlgemerkt. „Seht mich bloß nicht so gespannt an, es ist nicht so richtig was Besonderes. Lief eigentlich ziemlich simpel ab, die ganze Sache. Normal eben. Ihr wisst schon.“ Ich schüttle den Kopf, stelle mich absichtlich dumm. Er beginnt um mich herum zu pirschen. „Mann, das Übliche eben: Kennenlernen, sich sympathisch finden, reden....sich der Familie vorstellen, turteln... sehr viel reden...“, ein verschlagenes Lächeln legt sich um seinen Mund und seine Stimme wird leiser, heiserer und vor allem verlockender. "....Neugierde..." Verwirrt starre ich auf das so plötzlich entstandene, feurige Brennen in seinen Augen, die unter ihm fast schwarz werden. Gefesselt durch den seltsamen Anblick, bemerke ich zu spät, dass er sich rechts neben mir positioniert hat, seine linke Hand das dunkle Holz in meinem Rücken umfasst und er sich so dicht genug an mich heran schieben kann, um mir leise ins Ohr zu raunen, „...unkeusche Gedanken hegen. Sie und ich, ich und sie. Daraus sollte ein aufregendes „wir“ werden.“ So dicht bei ihm nehme ich zum ersten Mal den betörenden Geruch des Meeres auf seiner Haut wahr, der unter dem scharfen Geschmack des Rums verborgen liegt. Und auch erkenne ich zum ersten Mal bewusst, dass die braunen Augen eine Nuance dunkler werden, immer dann wenn er von etwas Bedeutsamen spricht. Zugegeben, objektiv betrachtet, dass er auf manche Frau anziehend wirken mag, kann ich nachvollziehen. Ich schüttle den Kopf über solche wirren, völlig unpassenden Eingeständnisse und weiche entschlossen einen Schritt nach links aus, um seiner irritierenden Nähe und der Berührung durch seinen Arm auf meinem Rücken zu entgehen. Das flaue Gefühl in meiner Magengegend bleibt. „... und noch mehr reden. Drei Tage können verdammt lang werden, wenn man redet. Vor allem wenn Mama einem im Nacken hockt und aufpasst wie ein Schießhund. Kam echt nicht dazu, das hübsche Ding ein wenig näher kennen zu lernen.“ „Und weil das Herz der schönen Frau Euch nicht sogleich zugeflogen kam, und die Familie auf ihre Ehre bestand, da habt ihr Euch gezwungen gesehen, sie zu ehelichen? Zweifelsohne unter dem Einfluss einer nicht geringen Menge an Rum?“, spekuliere ich mal wild drauf los, halte meine Worte selbst für Humbug. „Zweiteres ja, ersteres mit Einschränkung.“ Sparrow wendet sich auf den Absätzen um und will sich langsam entfernen. „Ich bin ganz Ohr, Pirat.“ „Ähm, das wäre jetzt eigentlich der passende Augenblick gewesen, an dem ihr sagen solltet ´ich habe genug gehört´“, ächzt er kleinlaut und wirft mir einen halben Blick über die Schulter zu, teils verdeckt durch den Ramsch in seinem Haar. „Ich bin ganz Ohr.“, wiederhole ich unerbittlich, meine Zweifel den Ausgang dieser Liaison hören zu wollen, werden jedoch bestärkt. Sparrow seufzt tief und die geraden Schultern fallen nach unten, bevor er sich wieder umdreht und wie ein geprügelter Hund zu mir zurück schleicht. „Wie war das mit der Hochzeit?“ Ein Weilchen druckst er noch herum und spielt nervös mit seinen Fingern. „Vielleicht nicht unbedingt Hochzeit, eher eine niedliche, winzige Zeremonie, unter Freunden.. So ganz schlicht und unverbindlich?!“ „Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass ihr das Mädchen betrunken gemacht und zum Schein geheiratet habt, bloß um sie ein wenig williger zu stimmen und die Brauteltern zu beruhigen?“, frage ich lachend. Das wäre selbst für Sparrow undenkbar, wobei ich es seiner lockerer Lebensart durchaus zutrauen würde. Das wäre nun wirklich ein gelungener Klamauk, wenn er versuchte mir das weiszumachen. Komisch bleibt die Sache leider nur so lange, bis der Angesprochene plötzlich das Gesicht panisch verziehend mit zwei großen Schritten aus meiner Reichweite hastet. Dann wendet er sich um: „Hnnng... also um ehrlich zu sein, doch.“ Ruckartig reißt er die Hände vor sein Gesicht zur Abwehr, als rechne er damit, dass ich etwas nach ihm werfe. Da ich nach einigen Momenten nicht die Anstalten mache, seiner Befürchtung nachzukommen, - noch nicht, weil ich nichts habe, das ich werfen könnte-, späht er vorsichtig zwischen seinen Fingern hindurch, genau zwischen zwei großen, bunten Ringen. Völlig reglos und unverändert stehe ich wie festgenagelt an meinem Platz. Nur meine zu einer Maske verhärtete Miene, zumindest muss es so auf ihn wirken, verrät den inneren Konflikt, der in mir wütet. Und immer tut sich ein neuer Abgrund in Sparrows Verhalten auf. Manchmal weiß ich wirklich nicht, ob ich lachen oder fluchen soll. „Das klingt alles nicht gerade fein, nicht?“, fragt er mit einem verlogen unschuldigen Blick, der die Thematik auf solch groteske Art verharmlost, dass die Waage eindeutig in Richtung Zorn und Fluchen kippt. „Nein, Mister Sparrow das tut es nicht! Nicht einmal für Euch. Eine Dame zum Schein vor den Altar und vor das Angesicht des Herrn zu zerren, nur um Eurem amoureusen Verlangen die ersehnte Befriedigung zu verschaffen... nein...“ Meine Stimme wird laut von der Empörung, die ich verspüre und ich sehe mich dazu geneigt ihn anzubrüllen. „Das sollte selbst unter Eurer Würde sein!“ „Seht Ihr, genau deswegen wollte ich gestern nichts sagen. Ich wusste, Ihr würdet euch darüber ärgern!“ Und ob ich mich darüber ärgere! Nie habe ich jemanden getroffen, der anmaßender, respektloser gleich wem gegenüber, unverfrorener und verdorbener ist, als diesen Piraten! „Oh, Ihr verdient es von dieser Frau gejagt zu werden", speie ich aus, bevor mich das abschnürende Gefühl überkommt, an meinem eigenen Groll ersticken zu müssen. „Das ist jetzt aber recht unnett.“ „Ooh, Ihr bedauernswertes Lamm, Ihr würdet euch wundern, wie viel ´unnetter` es noch geht! Nach unserem ersten Zusammentreffen, als Miss Swann und Mister Turner im Fort mit dem Argument, ihr wäret ein guter Mann um Euer Leben kämpften, da war ich davon überzeugt, sie hätten Recht. Und das Bedauern an die Gesetze gebunden zu sein und Euch hängen zu müssen, war schier unerträglich. Also gab ich Euch den Tag Vorsprung, den Ihr benötigtet, um zu entkommen. Ein großer Fehler, wie es sich herausstellte.“ All die aufgestaute Wut seit dem Hurrikan und meinem darauf folgenden Austritt aus der Navy, schlussendlich die Ereignisse mit Cutler Beckett und Davy Jones, bricht aus mir heraus. Und es tut mir hochgradig wohl. „Ihr werdet Euch nie ändern. Nicht bevor die Welt untergeht und ihr Euch nicht mehr Eurem Schicksal entwinden könnt, wie ein Wurm der Krä - “ „Vielleicht hilft es, wenn ich sage, dass sie sich hinterher nicht beschwert hat?“, fällt er mir ins Wort und mit dem niederträchtigsten Grinsen, das ich jemals bei einem Menschen gesehen habe, - und das schwöre ich vor dem Schöpfer-, fügt er hinzu: „Wisst Ihr, wärt Ihr ein Mädchen, würde ich es Euch ja beweisen.“ Allein bei der Vorstellung lache ich bitter auf. „Ha! Ehrlich Sparrow, wäre ich eine Frau, so wäret Ihr zweifellos der letzte Mann auf dieser schönen Welt, in dessen Armen ich mir das Finden eines zweifelhaften Vergnügens wünschen würde!“ „Aber zum Glück seid Ihr das ja nicht.“ „Was?“ „Eine Frau! Oder seid ihr ein Eunuch?“ Sein Blick wandert gespielt entsetzt an mir hinab. Gut, das reicht. Jeder trägt in sich eine Grenze, ab der er sich genötigt sieht, den strategischen Rückzug anzutreten, bevor er etwas sehr Dummes tut. Bevor sich also meine mordenden Gedanken verfestigen können und sich meine Hände um Sparrows Hals legen, richte ich mich zu meiner vollen Größe auf, so dass ich ihn bei weitem überrage, recke das Kinn und mit bester commodore´scher Arroganz wende ich mich ab. „Guten Tag, Mister Sparrow.“ Mich selbst scheltend, dass ich es diesem Mann zugetraut habe ehrliche Gefühle wie Bedauern und Traurigkeit zu hegen, dass ich Esel seinem Mitleid heischenden Blick geglaubt habe, lasse ich ihn stehen. Dabei rast mein Herz vor Wut und Zorn, mehr über mich selbst als über diesen Bastard. „Kommt schon Norrington! Habt nicht noch eine schlechtere Meinung von mir als bisher!“, höre ich ihn mir lachend nachrufen, bevor die Tür zum Unterdeck krachend hinter mir zuschlägt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)