Schattenjagd von Carcajou (ehemals Kage no Kurayami) ================================================================================ Kapitel 9: Erinnerungen und Erkenntnisse ---------------------------------------- Ich wage keine Entschuldigung auszusprechen. Ich versinke stattdessen schamesrot im Boden und hoffe, dass noch jemand Spaß daran hat, diesen Kram zu lesen. Kapitel9: Erinnerungen und Erkenntnisse Meigetsumaru: Herbstmond- Eigenname, den ich mir mit der freundlichen Erlaubnis von Hrafna aus ihrer FF “Drachenseele“ ausgeborgt habe. Asura: auch mit „Furien“ übersetzt, Sanskrit für die gegen die Götter kämpfenden Dämonen Indiens. Turkvölker: Islamische Völker, die etwas im 8 Jahrhundert u.a. aus Persien nach Indien gelangten. ~O~ Blinzeln. Langsames Erwachen aus dem wohltuenden Vergessen des Schlafes. Erstes bewusstes Empfinden: Kopfschmerzen! „Ooooh….“ Kongen stöhnte, als er sich reflexartig an den Kopf griff. Vor ihm schälte sich das verständnisvolle und besorgte Gesicht des Tanukis aus den Schlieren in seinem Blickfeld. „Kongen- sama?“ „Nicht so.. laut!“ Kongen wälzte sich mühsam auf die Seite und kniff gequält die Augen zusammen. Jede Bewegung, jeder noch so leise Ton dröhnten wie eine Taiko- Trommel in seinem Schädel. Höllischer Durst brannte in seiner Kehle, seine Glieder fühlten sich unendlich schwer und so kraftlos und schlaff wie ein toter Aal an. Bei allen Göttern und Dämonen… so erbärmlich hatte er sich noch niemals gefühlt. „Was… was ist mit mir...?“ Kozo, der bereits mit einer Schale Wasser und einem Tuch bewaffnet neben seinem Lager kniete, tunkte den Stoff ins Wasser, wrang ihn gründlich aus und legte ihn sorgfältig auf die Stirn des leidenden Baumgeistes. „Das sind die Nachwirkungen eines übermäßigen Alkoholgenusses, Kongen- Sama. Nichts Ungewöhnliches. Ihr habt gestern zu viel und zu schnell getrunken. Die Menschen nennen das übrigens >einen Kater haben<. Habt Ihr Durst?“ Kongen brachte nur ein mühsames Nicken zustande, bei dem sich sein Kopf anfühlte, als wolle er jeden Moment abfallen. Was hatte dieser Grauenhafte Zustand mit einer männlichen Katze zu tun? Vielleicht, weil sich sein Mund so anfühlte, als hätte er eine solche verschluckt? Mitsamt Pelz?? Oder weil in seinem Schädel eine Armee rolliger Nekomata ihre Krallen zu wetzen schien? Kongen trank eine ganze Kanne Tee aus, die ihm sein Diener in weiser Voraussicht vorbereitet und sich dabei ganz ungeniert aus den Kräutervorräten bedient hatte. Schließlich war DAS ein Gebiet, auf dem der Tanuki sich sehr gut auskannte! „Wie lange…?“ fragte Kongen schwach. „Die ganze Nacht und den heutigen Morgen. Der Mittagsgong wird bald geschlagen. Ihr habt wirklich sehr viel getrunken, Herr.“ Kongen versuchte, die gönnerhafte und zudem auch eindeutig schadenfrohe Miene des Dieners zu ignorieren und sich stattdessen trotz der bohrenden Kopfschmerzen und der andauernden Benommenheit daran zu erinnern, was ihn zu diesem Wahnsinn getrieben hatte. Als es soweit war, fühlte er sich schlagartig und vollständig ernüchtert. Hastig versuchte er, sich aufzurappeln und die aufsteigende Übelkeit zu ignorieren. „Oh nein, ich muss unbedingt… wo ist meine Schale? Kozo, bring mir Wasser, und…“ Kozo war unbarmherzig. Bevor Kongen sich versah, wurde er wieder zurück auf sein Lager gedrückt, bekam eine frische Kanne Tee und eine leere Schale vor die Nase gestellt und wieder einen feuchten Lappen auf die Stirn gelegt. „Glaubt mir einfach, Kongen- sama, wenn ich euch sage, dass ihr besser liegen bleibt. Denn ich glaube nicht, das …“, er schluckte „dieses schwarze Ungeheuer gerade etwas anderes tut. Ihr wisst doch besser als ich, wie sie zugerichtet war. Ich bitte euch, Herr, schont euch. Ihr seit so etwas einfach nicht gewöhnt.“ „Aber du schon, oder sehe ich das falsch?“ knurrte Kongen, während er sich innerlich eingestand, dass sein Diener Recht hatte. Bei seiner augenblicklichen Verfassung hätte er nicht mal den richtigen Wald, geschweige denn die gesuchten Personen gefunden. Und auch, was Shahi betraf… Kongen schloss die Augen, als er an ihr Verletzungen, an ihre beinahe tödliche Schwäche dachte. Was immer sie aus ihrem Rausch geholt hatte, es hätte nicht einen Augenblick später geschehen dürfen. Es war kaum zu fassen, wie dieser Irrsinn eine so starke und eigensinnige Natur überwältigen konnte. Aber war das gerade bei ihr denn verwunderlich? Wer sonst, wenn nicht sie, wenn nicht Meigetsumaru…Es fiel ihm schwer, seine durcheinander wirbelnden Gedanken zu sortieren. „Kongen- sama?“ Die verdutzte Frage seines Dieners machte Kongen klar, das er tatsächlich laut gedacht hatte. „Es ist nichts, Kozo, kümmere dich um was auch immer du gerade tust, aber lass mich in Ruhe!“ knurrte er unwirsch. Es fehlte noch, dass er diesem neugierigen und schwatzhaften Marderhund ausgerechnet diese Geschichte unter die Nase reiben würde. Außerdem hatte er immer noch Kopfschmerzen! Der Tanuki machte ein enttäuschtes Gesicht, wandte sich dann aber mit finsterer Miene ab, was Kongen mit einer gewissen Erleichterung registrierte. „Wie ihr wünscht, Kongen- sama. Dann werde ich jetzt wohl besser nach den Barrieren sehen … es wird euch wohl entgangen sein, aber ein Taifun tobt über uns. Und es scheint auch kein Gewöhnlicher zu sein, wenn Ihr mir diese Bemerkung erlaubt.““ Kongen erstarrte verblüfft. „Ein Sturm? Und wieso kein gewöhnlicher?“ Sein Kopf dröhnte noch zu sehr, als dass er die angespannte Atmosphäre über ihnen deuten konnte. „ Aber gestern …“ „Gestern ist nicht heute, Herr. Sondern genau ein Sake- Krug später!“ entgegnete der Tanuki boshaft. Unmittelbar darauf verschwand er mit einem hastigen Satz in einem der Tunnel, während die Teekanne dicht neben seinem Kopf vorbeischwirrte und mit einem Knall an der Wand zerplatzte. Kongen stöhnte vor Schmerz und umfasste seinen Kopf, in dem das Klirren der Kanne im Gleichklang mit der Marter in seinem Inneren wie ein Echo an- und abschwoll. Bei allen Göttern, das war unerträglich! Wieso taten sich Kozo und seine Kumpane sich das immer wieder an? Geschweige denn die Menschen… Menschen. Was zählten jetzt noch Kozo, der Sturm und die wohlverdiente Strafe für seine eigene Maßlosigkeit? Kongen schloss die Augen, presste die Fäuste gegen die Stirn und ließ sich rücklings auf sein Lager fallen. Es hätte kaum schlimmer kommen können! Die Verwüstungen, die Shahi und ihr Gefährte in der Stadt angerichtet hatten, waren gewaltig. Man hatte noch lange nicht alle Toten gezählt, die meisten hatten sich einfach in Rauch und Asche aufgelöst und die Eta galten für viele der höheren Stände nicht als weiter erwähnenswert- doch schon jetzt befürchtete man hunderte von Toten, und das waren nur die unbeteiligten Bürger, die bei dem Youki- Angriff und der Zerstörung des Bannkreises ums Leben gekommen waren. Die Samurai, Geistlichen und Taijiya waren dort noch gar nicht mit eingerechnet… Und wie viel Tote noch folgen würden, wollte Kongen gar nicht erst herausfinden. Es würde eine regelrechte Hetzjagd geben, soviel war sicher. Schon unmittelbar nach dem Vorfall waren viele Jäger und Geistliche aufgebrochen, um der Spur der Youkai zu folgen und sie zur Strecke zu bringen. Und unzählige Soldaten und Ronin würden folgen. Der Daimyo von Edo hatte eine hohe Belohnung für den Kopf der Youkai ausgesetzt, und die Aussicht auf eine Anerkennung als Vasall, auf ein Lehen oder alleine auf die Wiederherstellung der Kriegerehre ließ viele Männer alle Vorsicht vergessen. Überall in der Stadt rüsteten sich die Krieger. Und wenn die Nachricht erst einmal im Umland ihre Kreise zog… Als ob die Lage zwischen Menschen und Dämonen nicht eh schon angespannt genug gewesen wäre! Kongen wälzte sich herum und zog sich die Decke über den Kopf. Das war ein Alptraum. Das musste einfach ein elender Alptraum sein. Konnte es noch schlimmer kommen? Dieser unsäglich ignorante Dämonenjäger hatte Shahi angreifen lassen, obwohl sie nichts getan hatte. Kongen hatte sogar herausfinden können, das sie miteinander gesprochen, sie ihm sogar GESAGT hatte, dass ihr Interesse nicht den Menschen galt! Sie war einfach nur durch die Stadt gegangen, ohne Aggressivität, ohne Hintergedanken- und war so heftig attackiert und verletzt worden wie wohl noch nie zuvor in ihrem Leben. Und dann auch noch von Menschen… Er stöhnte verzweifelt auf. Ihre Rache würde entsetzlich sein! Sie hatte Menschen noch nie sonderlich gut leiden können, aber sie hatte sie niemals gezielt angegriffen, selbst in ihrer ärgsten Zeit nicht. Wenn sie Menschen getötet hatte, war das eigentlich eher beiläufig geschehen- sie hatte sie nie als erwähnenswerte Gegner oder lohnende Beute angesehen. Doch jetzt… Shahi vergaß nicht. Niemals. Er starrte nach oben, versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Dicke, knorrige Wurzeln wanden sich an der gewölbten Decke entlang, Stütze und Schutz zugleich. Eine Verkörperung der gewaltigen Lebenskraft, die durch den mächtigen Baum pulsierte, unter dessen Obhut er sein Heim gefunden hatte. Normalerweise vermittelten ihm diese Sinnbilder von Stabilität und Kraft ein Gefühl der Geborgenheit und Ruhe, doch diesmal… Kongen sah, wie sich die feinen Wurzeln verzweigten, in die Erde eintauchten, sie durchdrangen und stützten, aber gleichzeitig auch ihre Energien aus ihr bezogen. Alles, was lebte, kehrte eines Tages in die Erde zurück, zerfiel, verrottete, um neuem Leben seine Kraft weiterzugeben… Asche, Staub und Erde. Am Ende war alles eins. In all seinen Lebensjahren war er sich seiner eigenen Verletzlichkeit, ja sogar Sterblichkeit selten so bewusst geworden. „Alles was lebt kann getötet werden, Ji- san…“ Nie würde er ihre Worte vergessen, das spöttische Grinsen auf ihrem Gesicht. Kongen stöhnte gequält auf. Er bildete sich nicht ein, dass sie ihn verschonen würde. War ihr Zorn groß genug, würde sie ihn hinwegfegen wie einen kleinen Zweig. Kongen schloss die Augen, presste die Lippen zusammen. Was nutzen ihm Jahrtausende an Lebenserfahrung angesichts dieser Kraft und maßlosem Hass? Er fühlte sich unendlich schwach und hilflos, wie damals, als… Es ängstigte Kongen, um wie viel stärker sie in den Jahrhunderten ihrer Wanderschaft und Suche geworden war. Diesmal war es nicht nur ihre reine Mordlust gewesen, die ihre Gegner regelrecht gelähmt oder in die Flucht geschlagen hatte, kein blindes Wüten, kein primitiver Tötungstrieb… Hinter ihrem letzten Angriff hatte eiskalte Berechnung gesteckt, kontrollierter, zielgerichteter Zorn. Er schluckte, als er daran dachte, wie schnell sie wieder zu sich gefunden hatte. Von einem Augenblick auf den nächsten war sie wieder völlig Herrin ihrer Sinne gewesen. Und hatte zugeschlagen. Bewusst, kontrolliert und gezielt. Es schauderte ihn, als er an die gewaltige Energie dachte, die sich durch die Schwerter entladen hatte. Oh ja, sie hatte Beherrschung gelernt. Und das ganz hervorragend sogar. Diese Kraft, diese Wut nun kontrolliert und gezielt frei setzten zu können, ihre Energie über die Schwerter zu fokussieren… Die Stadt würde einfach von der Erde verschwinden, ausgelöscht- und mit ihr jedes Leben, das sich in ihr befand. Egal, ob Jahrhunderte vergehen würden, bis es so weit sein würde, aber es würde geschehen. Ob der Taisho jemals daran gedacht hatte, dass seine Mühen derartige Konsequenzen nach sich ziehen würden? Mein alter Freund, ich habe dich noch nie so dringend gebraucht wie jetzt. Nur ein Blick von dir, und… Kongen riss die Augen auf! Der Taisho. Meigetsumaru. Oyakata- sama. Inuyasha! Kongen fuhr hoch, ignorierte die hämmernde Pein, die durch seinen Kopf raste und schwarze Punkte vor seinen Augen tanzen ließ. Er hätte es sogar ignoriert, wenn Kozos gesamte Verwandtschaft gerade seinen Sake-Vorrat geplündert hätte. Er spürte auf einmal etwas, was ihn schlagartig ernüchtern lies. Hoffnung. Nur eine winzige, flüchtige Spur, aber dennoch… Er musste einfach wissen, ob er richtig vermutete! Wenn er Recht behielt, dann war sein Plan, Shahi mit dem Halbwelpen zusammen zu bringen um so viel wichtiger, als er es sich hätte vorstellen können. Nur wenige Augenblicke später kniete er auf seinem Lager, eine flache, aus Silber getriebene Schale und einen kleinen Porzellankrug auf einem winzigen Tisch. Unendlich vorsichtig entkorkte er das Gefäß und ließ den Inhalt in die Schale fließen. Wie von einem eigenen Willen getrieben breitete sich die silbrige, von grauen Adern durchzogene zähe Masse über den glatt polierten Boden aus, kroch sogar den Rand hinauf, bis sie die abschließenden Verzierungen erreichten. Als sich das Extrakt mit der Magie der Schale vereinte, überlief ein Perlmuttartiger Schimmer das nun wieder völlig glatte Metall, verschärfte den Glanz der Schale zu der Brillanz eines Spiegels. Doch es war nicht das eigene Antlitz, das man in diesem Spiegel erblickte… Es war seine Leidenschaft, Erinnerungen und Erfahrungen anderer Wesen zu sammeln und zu konservieren. Doch es waren nicht nur die Bilder und Worte, welche der uralte Kräutersud aus seinem Konsumenten heraus zog, sondern vor allem auch Emotionen, Gefühle- Freude, Furcht, Zorn… je intensiver der Betreffende erlebt hatte, desto stärker wurde der Sud. Und umso eindringlicher würde er bereits Vergangenes sehen und fühlen, als würde es in jenem Moment um ihn herum geschehen. Diese Schale und diesen Trank zu nutzen war wie eine Reise in Ferne und Vergangenheit- oftmals überwältigend, Furcht einflößend und schockierend, aber auch berauschend, exstatisch und wunderschön. Oftmals hatte er nach einer besonders überwältigenden Erinnerung Stunden gebraucht, um wieder zu sich zu kommen. Diesmal jedoch… würde es noch viel schwieriger werden. Er blinzelte, musterte die bizarren Linien, die sich über die Oberfläche der Schale zogen. Die dunklen Adern schienen sich in das Silber der Schale hineingefressen zu haben, wirkten wie schmutzige Sprünge inmitten des leuchtenden Spiegels. Ein Zeichen für die Zwiespältigkeit dieser Erinnerung. Seiner eigenen Erinnerung. Er berührte die Schale vorsichtig, konzentrierte sich, fokussierte seine Gedanken auf jenen Teil der Erinnerung, den er sehen wollte, nein, musste, obwohl alle Instinkte in ihm dagegen schrieen. Die Schwärze trat aus den hässlichen Scharten heraus, verteilte sich in dem klaren Silber wie schwarze Tusche in reinem Wasser. Ein trübes Wabern floss nun über die glatte Oberfläche, durchzogen von schwarzen Wirbeln. 600 Jahre war es her, das Meigetsumaru und sein Sohn von einer fünfzig jährigen Reise über das Festland zurückgekehrt waren und er es vor lauter Vorfreude nicht hatte abwarten können! Wie ein dummer Keimling war er losgestürmt, um seinen alten Freund draußen zu begrüßen, das erste Mal seit Jahrhunderten außerhalb seines Refugiums unter freiem Himmel… Bedauerlicherweise hatte der Katzenclan die Heimkehrer zuerst gefunden. Sie hatten sich aufgeteilt, die Nachhut unter der noch jungen Touran hatte Sesshoumaru überfallen sollen, doch… Er fröstelte. Damals hatte er sich die größten Sorgen gemacht, als er hörte, das sich die Beiden sogar bis nach Indien durchgeschlagen hatten, war dieses Land doch sogar für Dämonen von der Stärke Meigetsumarus eine gefährliche Gegend. Nicht nur, das sich Götter und Asura dort seit Äonen einen unerbittlichen Krieg lieferten und fremde Dämonen mit ausgesprochenem Misstrauen betrachtet wurden – die Gerüchte, die ihm in dieser Zeit zu Ohren gekommen waren, hatte ihn wirklich um die Beiden fürchten lassen. Ein mörderischer Schatten sollte dort umgehen, der aus dem Nichts heraus angriff, jegliche Panzerung spielend leicht durchbrach, die mächtigen Kriegerfürsten mitsamt ihrer Heere in die Flucht schlug und sich jeder Wahrnehmung entzog. Ein unbekannter, fremder Dämon, der mit den Turkvölkern aus dem Westen gekommen sein sollte und nun unter der Hand der Götter jagte… Er schnaubte. Die beiden verrückten Hunde hatten diesen Schatten nicht gefürchtet- sie hatten ihn sogar mitgebracht! Sehr zum Leidwesen der Neko-Youkai. Kongen schluckte unwillkürlich. Noch einmal musterte er die Schlangen, die sich um den Rand der Schale wanden. Schlangen- galten sie in anderen Kulturen nicht als Symbol der List, der Weisheit? Was für eine Ironie… Kongen fühlte sich alles andere als Weise, als er sich herabbeugte, versuchte, sich gegen die in der Schale lauernden Bilder und Emotionen zu wappnen. Dann umklammerte er wild entschlossen die Schlangenleiber an der Schale. oOo Die Dämmerung warf lange Schatten, tauchte den lichten Wald in ein wirres Muster aus Dunkelheit und Licht. Hastige Bewegungen, hektische Rufe, immer wieder unterbrochen von gellenden Schmerzensschreien. Todesangst lag schwer und beinahe sichtbar wie klebriger Dunst in der Luft. Kongens Atem flog, er zitterte am ganzen Leib. Die raue, blutgetränkte Rinde scheuerte an seiner Haut, als er sich noch tiefer in das schützende Wirrwarr der Wurzeln presste. Er hätte niemals herkommen dürfen… Der dicke Stamm über ihm erzitterte unter einem wuchtigen Einschlag, warme Feuchtigkeit sprühte auf den wimmernden Baumgeist herunter. Mit einem hässlichen Laut löste sich ein zerschmetterter Körper von dem rissigen Holz, glitt an ihm herunter und schlug mit einem dumpfen Krach auf dem Boden auf. Kongen wich zurück, als eine schlaffe, krallenbewehrte Hand über die Wurzel rutschte, seinen Kopf streifte und leblos vor seinen Augen herabbaumelte. Unfähig den Blick abzuwenden, starrte er in stumpfen Entsetzen auf die Bluttropfen, die in quälender Langsamkeit über die verstümmelten Finger herab liefen. Die panischen Schreie der flüchtenden Katzendämonen drangen nur schwach in seine Ohren, gedämpft wie durch dicken Nebel. Was er mit grotesker Deutlichkeit hörte, waren die grausigen Geräusche brechender Knochen, das grässliche Schmatzen von in lebendes Fleisch dringenden Klauen und Klingen. Und ein leises, zufriedenes Grollen, fast ein Schnurren, das sich mit jedem Hieb zu steigern schien… Sein ganzes Sein, Seele und Körper krampfte sich bei diesem Geräusch zusammen. Wahnsinn, schierer, den Tod atmender Wahnsinn lag in diesem Laut. Er hörte den wütenden Schrei der Anführerin, ein Schatten huschte über sein Versteck hinweg, er konnte ihr wehendes Gewand erkennen, die hellen, wie blaues Eis schimmernden Haare. Touran selbst… Er hörte, wie sich ihre Stimme vor ungläubiger Wut und Verzweiflung beinahe überschlug, jegliche Ruhe, Zynismus oder Überlegenheit war wie weggewischt, zerfetzt wie ihre Krieger. Der Boden vibrierte unter der Wucht der aufeinander prallenden dämonischen Auren, die sich in einem irren Wirbel ineinander verdrehten, sich gegenseitig überlagerten, unterdrückten, erstickten. Ein weiterer gellender Schrei. Dann wieder ein ersterbendes Röcheln, mehrstimmiges Kreischen schierer Agonie, dazwischen immer noch dieses manische Knurren, das sich plötzlich zu einem Schrei schieren Triumphes und Blutdurstes steigerte… Kongen hörte nicht, wie er selber schrie, versuchte, diesen Irren Lärm da draußen zu übertönen, auszublenden, bevor er vor Angst den Verstand verlor, sich die Hände in einer nutzlosen Geste auf die Ohren presste. Aufhören, das sollte aufhören… Die plötzlich eintretende Stille war irritierend. Die Zeit schien sich bis ins Unendliche zu dehnen, bis Kongen es wagte, die Hände herunter zu nehmen, tief Luft zu holen. Dann hörte er es. Hechelndes, rasselndes Atmen. Tourans Aura war verschwunden. Ebenso die ihrer überlebenden Kämpfer. Nur die langsam verlöschenden Youkii der sterbenden Krieger zeugten noch von der Gegenwart der Neko- youkai. Über allem immer noch diese unendlich dunkle Aura, die fast greifbare Manifestation reiner Mordlust, wie er sie noch niemals zuvor erlebt hatte. Und dann war da noch was… Das feine Schleifen, wie es eine scharfe Klinge auf dem Holz ihrer Scheide verursachte. Ein mit Bedacht gezogenes Schwert. Und eine Aura, ruhig und glatt wie die Oberfläche eines Sees an einem windstillen Tag. Nur schwach gekräuselt von der gewaltigen Strömung, die unter dieser trügerischen Ruhe tobte. Er kannte dieses Youki! Die dunklen Wurzeln und der leblose Arm verschwammen vor seinen Augen, gaben den Blick auf die Überreste der Katzendämonen frei, die wie zerbrochene Puppen willkürlich verstreut auf dem roten Boden lagen. Die helle Gestalt Sesshoumarus wirkte in dieser Umgebung beinahe unwirklich- ebenso wie das kalte, verächtliche Lächeln, das um die Mundwinkel des jungen Prinzen spielte. Er hob sein Schwert, in einer beinahe lässigen, spielerischen Bewegung. „Was ist? Willst du dich weiter verstecken? Oder wagst du es diesmal, einem Gegner offen gegenüber zu treten?“ Ein raues Zischen antwortete ihm. In dem leeren Raum zwischen den Leichen regte sich etwas. Schatten und Dunkelheit gerieten in Bewegung, flossen zusammen, verdichteten sich zu einer sprungbereit zusammengekauerten halb tierischen Kreatur, deren Maul und Pranken vor Blut troffen. Die weiß flackernden Augen fixierten sich auf seine neue Beute. Der schwarze Körper spannte sich an, beugte sich lauernd nach vorne. Die Stimme war nur ein tiefes Grollen, fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. „Wie üblich strotzend vor Selbstvertrauen... Welpe…“ Blanke Häme lag in diesen Worten. Sesshoumaru antwortete nicht, trat lediglich einen Schritt näher, das Schwert schräg vor sich haltend Der Pantherdämon duckte sich wie unter einem Peitschenhieb, als der Hundedämon seinem Youki freien Lauf lies, seine Energie mit brachialer Wucht gegen die finstere Aura des Pantherwesens prallten lies. Ein genüssliches Wimmern war die Antwort! Die weißen Augen der Kreatur begannen zu lodern, die Lefzen verzerrten sich zu einem gierigen Grinsen. Das Wimmern wandelte sich zu einem tiefen Knurren. Der zum zerreißen gespannte Körper zitterte vor Erwartung, als sich der fremde Dämon noch tiefer duckte, den nun vor Irrsinn flackernden Blick starr auf Sesshoumaru gerichtet. Speichel troff aus dem halb geöffneten Maul. „Huh!“ Sesshoumarus spöttisches Lächeln vertiefte sich. „Also doch nur ein von seinen primitiven Instinkten gesteuertes Tier? Wie überaus amüsant…“ Das Knurren verstummte. Dunkelheit legte sich über den Wald, als das brodelnde Youki den Himmel verdeckte. Kongen spürte, wie er zu Boden gedrückt wurde, als sich die Atmosphäre unter der gewaltigen Kraft weiter auflud, die Erde unter dem machtvollen Druck zu beben begann. „…dabei hattest du meinen Vater doch vom Gegenteil überzeugen wollen, nicht wahr?“ Der Pantherdämon explodierte in einem Wirbel aus schwarzer Energie und blitzenden Krallen. Zu schnell, als das Kongen mehr erkennen konnte als einen verwischten Schemen, raste der Dämon lautlos auf den halbwüchsigen Inu-Youkai zu. Die Augen Sesshoumarus waren kalt und funkelten wie der seelenlose Stahl seiner Klinge, als er das Schwert hob um seinen Gegner mit einem vernichtenden Hieb zu empfangen, die Klauen der freien Hand gespreizt und triefend vor Gift. Die Luft um den Pantherdämon herum flimmerte wie unter sengender Hitze, die sichelförmigen Krallen voll ausgefahren flog er auf seine Beute zu, Kongen sah, erahnte, wie der Körper sich verdrehte, den Winkel änderte, um mitten im Lauf seine Richtung zu ändern, Sesshoumarus Abwehr zu umgehen und ihm in die Seite zu fallen,… Kongen schrie auf, als etwas wie ein Blitz zwischen die Beiden fuhr, sie jeweils rücklings davon schleuderte. Sesshoumaru schlug in einer Staubwolke auf, überschlug sich beinahe, während ihm das Schwert aus der Hand geprellt wurde und wirbelnd zwischen den Bäumen verschwand. Kongen keuchte vor Entsetzen, als der schwarze Dämon seinen unkontrollierten Flug elegant auffing und auf allen Vieren vor ihm landete, jedoch mit dem Rücken zu ihm, immer noch völlig auf seine Beute fixiert. Erde spritze auf, als er erneut angriff- und abrupt abbremste! Meigetsumaru hatte seinem Sohn den Rücken zugewandt, seine Aufmerksamkeit voll auf den bebenden Pantherdämon vor ihm konzentriert. Seine Hände waren leer, Tessaiga und So’unga staken unberührt in ihren Scheiden. Ruhig musterte er den schwarzen Dämon, der seinen dunklen Blick zuerst noch aus brennenden Augen erwiderte. Über die Rüstung des Hundedämons verliefen parallel stark geschwärzte und noch rauchende Brandspuren, Spuren einer zuschlagenden Pranke. Blut tropfte in einem feinen Rinnsal von einer Hand herunter. Er sprach nicht, bewegte sich nicht, achtete weder auf seinen sich schwach regenden Sohn, noch auf seine blutende Hand. Schweigend starrten er und der fremde Dämon sich an- bis das wilde Leuchten in den weißen Augen erlosch, als erstickte jemand ein gleißendes Feuer. Kongen sah, wie der verzerrte Leib sich entspannte, schmaler und zierlicher wurde und eine beinahe menschliche Gestalt zum Vorschein kam. Ein seltsamer Ausdruck aus bestürztem Schrecken und tiefer Scham lag auf dem immer noch tierischen Gesicht, als das Pantherwesen langsam zurückwich und schließlich mit einem Satz zwischen den Bäumen verschwand. oOo Er dauerte beinahe eine halbe Stunde, bis Kongen in der Lage war, das Gefäß mit zitternden Händen abzustellen. Noch immer pochte ihm sein Herz fühlbar bis in den Hals hinauf. Diesen Tag würde er wohl nie vergessen können, Erinnerungstrank hin oder her… Der Baumgeist starrte nachdenklich auf die nun wieder matte Oberfläche der Schale. Das Extrakt hatte sich von dem Metall gelöst und lag nun als unansehnliche, zähe Pfütze auf dem Boden. Wie hatte er vergessen können, wie viel sich in dieser Zeit geändert hatte? Die Mordlust, die noch immer dicht unter der Oberfläche brodelte, würde wohl niemals verschwinden, das war ein Teil ihres Wesens, ihrer Seele. Doch der Unterschied zwischen dem sinnlos wütenden Monster von damals und der zielstrebigen Jägerin, die vor nur einigen Tagen vor ihm gestanden hatte, war, nun… … Beachtlich. Die vormals so dünne Schicht aus Selbstbeherrschung war gewachsen, stärker, fester geworden. Erst als die Angriffe in Edo zu übermächtig wurden, war die alte Bestie hervorgekommen- und als die größte Gefahr gebannt war sofort verschwunden, wieder klarem Verstand gewichen. Und wer konnte ihr verübeln, rücksichtslos um ihr Leben gekämpft zu haben? Aber dennoch war da ein Unterschied gewesen zwischen dem Vorfall in Edo und ihrem Ausbruch auf der Lichtung. Hatte sie sich in Edo lediglich verteidigt, so wurzelte ihr Verhalten bei der Begegnung mit der kleinen Priesterin auf ganz anderem, tieferem Boden… Schmerz. Wut. Hass. Dort war sie voll und ganz die alte Bestie gewesen. Völlig gefangen in ihrem Blutdurst hatte sie Inuyasha angegriffen … und ihn verschont. Sie hatte ihn verschont und sie war zurückgewichen! Zurück… Ein zaghaft erleichtertes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als Kongen einen ersten, sanften Hauch von Optimismus verspürte. Vielleicht… bestand da ja doch noch Hoffnung… Er schloss die Augen, spürte, wie sich die ungeheure Last der Furcht von seinen Schultern hob. Ob ihm das später einmal jemand glauben würde? Das vielleicht Edos Schicksal, sogar der Verlauf dieser gesamten Jagd in der Hand eines verachteten Hanyou lag, der seinem Vater wohl ähnlicher war, als sie alle es sich je hätten vorstellen können? Kongen ließ den Kräutersud wieder zurück in seinen Behälter fließen und stand auf, rückte mühsam seine Gelenke zurecht. Er stöhnte leise, als er die schwere Metallschale in ihr Fach zurückstellte. Er fühlte sich seltsam erschöpft nach dieser seelischen Anstrengung, und noch immer pochte sein Kopf unter gemeinen, dumpfen Hammerschlägen. Elender Alkohol. Die durch die Bannkreise der Stadt und die schützenden Barrieren des Baumes abgemilderte Energie des Sturmes kratzte schwach an seiner Wahrnehmung. Aber es war nicht sein Interesse, was da über ihm vorging- Kozo würde ihn schon informieren, wenn er sich darüber Sorgen machen musste. Jetzt galt es erstmal zu sehen, wie jemand anderes mit diesem Unwetter zurecht kam… was half ihm alle Grübelei, wenn er sich nicht einmal darüber informierte, wie es Shahi und dem jüngerem Welpen ging? Er warf einen sehnsüchtigen Blick zu den Scherben der als Wurfgeschoss missbrauchten Teekanne. Dieses Gebräu hatte wirklich hervorragend geholfen! Einen Moment lang spielte er mit den Gedanken, sich eine Neue holen zu lassen, verwarf diese Idee aber gleich wieder. Das hatte auch Zeit bis später. Außerdem hatte er keine Ahnung, wo sich dieser impertinente Marderhund schon wieder herumtrieb. Kongen kämpfte mit einem irritierenden Schwindel, als er sich auf einem Kissen niederließ und nach seiner Porzellanschale und einem Tonkrug griff. Ein wenig wehmütig sah er auf das klare, kühle Wasser, das sich glitzernd aus dem Krug in das Gefäß ergoss. Er hätte es lieber getrunken… sein Durst war geradezu erschreckend. Was so eine größere Menge Sake ausmachen konnte, war ebenso faszinierend wie auch furchteinflößend. Nie wieder. Das nahm er sich fest vor. Diese Lektion hatte er gelernt. Betrunken wie ein gewöhnlicher Mensch oder Tanuki… Wie hatte er sich nur dazu hinreißen lassen können? Sich von seiner eigenen Feigheit und Schwäche zu sinnlosem Trinken verführen zu lassen. Beschämend, ekelhaft… widerwärtig! Im Nachhinein verspürte er geradezu ein Würgen, wenn er nur an Sake dachte. Kongen schwor sich, das es das erste und letzte Mal in seinem Leben gewesen war. Egal, was ihm diese turbulenten Zeiten noch abverlangen würden, niemals wieder würde er sich in die trügerische Ruhe des Alkohols flüchten. Nein! Niemals! Wieder! Er atmete auf. Das Gesicht, das ihm aus der glänzenden Wasserfläche entgegen sah, gefiel ihm nun schon um einiges besser, als wie er sich noch vor einigen Augenblicken gefühlt hatte. Gefestigt, voller neuem Mut und wieder mit sich im Reinen. Was konnte denn jetzt noch groß schief gehen? Er hatte Recht behalten, von Anfang an. Es gab nichts, was er mit seiner Weisheit und seinem Geschick nicht in den Griff bekommen konnte. Kongen gönnte sich ein selbstgefälliges Lächeln und griff dann wohlgemut nach der Schale. Es war ihm ein leichtes, die Gesuchten aufzuspüren. Der Schrei, der kurz darauf durch die Tunnel gellte, ließ den angestrengt nach einem hoch gelagerten Krug eingelegtem Rettich angelnden Tanuki zusammenzucken. Der schmale Hocker, auf dem er balancierte, geriet gefährlich ins Wanken. Kozo wedelte verzweifelt mit den Armen, versuchte vergeblich, sein Gleichgewicht wieder zu finden- um dann mit einem Höllengetöse kopfüber in einen Stapel Fässer zu landen. „KOZO! SAKE!!“ ~O~ Teilweise geschrieben unter Apocalyptica, „Cult“! Hiermit ein dickes „Dankeschön“ an diese Jungs, die mir über eine ekelhaft widerspenstige Stelle hinweggeholfen haben…^^* Dieses Kapitel hat mich beinahe in den Wahnsinn getrieben, auch wenn man ihm das nicht anmerkt (ist eben doch wieder ein „Laberkapitel“). Nicht, weil ich noch nebenbei jede Menge um die Ohren habe, sondern weil ich ungefähr acht Wordseiten Schriftgröße zehn digital einstampfen konnte… ich habe in dem verzweifelten Versuch, die Handlung schneller voran zutreiben die Chronologie über den Haufen geworfen und ein komplett neues Kapitel begonnen- nicht weiter zu erwähnen, das dass ein Fehler war.><* Aber ein einmaliger^^*. Wer will, darf mich also nach Herzenslust verfluchen, wenn das nächste Mal wieder so lange dauert… dann hab ich nämlich keine Ausrede mehr! Der Handlungsverlauf für das nächste Kapitel steht, und ich werde mich bemühen, es ohne umschweife voranzutreiben. Und ja, dann beginnt auch wieder die Action^^ Und bitte nicht böse sein, wenn es nicht allzu schnell voran geht (Handlungstechnisch, meine ich). Das Ding ist beinahe als ein Roman angelegt, was die Länge betrifft… das braucht leider seine Weile, bis alle Karten auf dem Tisch liegen. Liebe Grüße, der (erschöpfte) Marder Hosted by Animexx e.V. 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