Schattenjagd von Carcajou (ehemals Kage no Kurayami) ================================================================================ Kapitel 1: Ein interessantes Gespräch ------------------------------------- Für den Fall, dass ich mich zu sehr in Japanischen Ausdrücken gesuhlt haben sollte, vorerst noch einige Begriffserklärungen: Taijiya -(Dämonen-)Jäger Youkai -(neutral) Japanischer Dämon Mononoke-(negativ) Dämon Kodachi -Kurzschwert, aber etwas länger als ein Wakizashi Iie/Hai -nein/ja arigato -danke Hakama -weite japanische Hosen Tabi - japanische Socken für Sandalen mit Zehenriemen Korrigiert mich bitte, wenn ich Mist geschrieben haben sollte. Wird in den einzelnen Kapiteln fortgesetzt! Ich schätze aber,das die meisten hier ETWAS mehr japanisch können als meinereiner...>.<° Nun aber genug geschwafelt! Kage no Kurayami 1. Kapitel: Ein interessantes Gespräch „Komm ruhig heraus, Taijiya.“ Der Schock, der den Angesprochenen durchfuhr, war so deutlich fühlbar wie die schwül- warme Brise, die sie in gemütlicher Fahrt entlang der Küste Honshus vorantrieb. Es blieb still. „Ich habe Dich bereits in Nagasaki entdeckt. Du bist mit den Adelsfamilien an Bord gekommen, nicht wahr? Und seitdem immer schön unauffällig in meiner Nähe geblieben, immer zwischen mir und den anderen Menschen. Und Du warst nicht mal so ungeschickt…“ Die junge Frau lächelte amüsiert und blinzelte träge in die gleißende Sonne, die mit unbarmherziger Wucht auf das vordere Deck des kleinen Küstenseglers brannte. Sie machte keine Anstalten, ihren bequemen und abgelegenen Platz am Bug zu verlassen, um diesen impertinenten Menschen von der Vergeblichkeit seines Vorhabens zu überzeugen. Das Schleifen von Metall auf Holz unterbrach die friedliche Stille. Sie warf einen kurzen Blick auf die aufgestapelten Ballen Segeltuch, hinter der sich der Mensch verbarg. Keiner der anderen Passagiere war zu sehen. Sie hatten sich vor der tropischen Sonne in den Schatten und unter Deck geflüchtet. Selbst von der Besatzung war kaum jemand bei der Arbeit. Nur der Steuermann am Heck hielt tapfer aus. Jegliche überflüssige Aktivität war unter der brütenden Hitze zum Erliegen gekommen. Sie hatte sich genau am sonnigsten, Exponiertesten Platz des Schiffes niedergelassen. Bot sich als Beute an. „Natürlich kannst du mich auch gerne angreifen. Doch dann müsste ich mich verteidigen. Und dann würden du, alle anderen hier an Bord und wahrscheinlich auch das Schiff vernichtet werden. Möchtest du das riskieren?“ fragte sie leise. Das Deck hob und senkte sich sanft im Rhythmus der Wellen. Die schweren Segel flappten und knatterte, als eine warme seitliche Böe das Schiff krängen ließ. Immer noch vibrierende Stille. Sie seufzte. „Wenn ich hier irgendjemanden hätte töten wollen, hätte ich es schon getan. Insbesondere dich. Ich möchte einfach nur nach Edo, ohne unnötigen Kampf. Was hätte ich denn schon davon?“ Sie schloss die Augen und schmiegte sich wieder an die sonnenerwärmte Bordwand. Die Ratlosigkeit hinter den Ballen war fast greifbar. Seine Anspannung auch. Sie unterdrückte einen erneuten Seufzer. „Tajiya… du langweilst mich. Wenn es zu einem Kampf kommt, wird nicht nur unser Blut fließen. Die Besatzung und vor allem die Samurai aus den Adelsfamilien werden nicht untätig bleiben. Und sie sind in dieser Art von Kampf nicht geübt. Willst du sie opfern, für einen von vorne herein zum Scheitern verurteilten Angriff?“ Seine Ausstrahlung wurde so intensiv, das es selbst ihr das Adrenalin ins Blut trieb. Wut, Angriffslust- und Frustration. Nur noch ein paar Nadelstiche… „Tajiya-San, ich wiederhole mich ungern. Ich habe keinerlei Interesse an einem Kampf. Von mir aus werde ich nicht beginnen. Wenn Ihr allerdings das unzähmbare Verlangen nach Blutvergießen verspürt, dann nur zu. Habt Ihr übrigens die Kleine gesehen, die mit einer der Familien an Bord gekommen ist? Sie dürfte höchstens vier bis fünf Jahre zählen, nicht war? Viel zu jung, um ihren Vater zu verlieren. Und erst recht zu jung zum Sterben.“ Sie hörte, wie der Mensch tief Luft holte. Nur noch ein kleiner Schubs… so dumm war er nicht, das hatte er auf der gemeinsamen Reise durch sein Verhalten schon bewiesen. Sie griff mit beiden Händen über ihre Schultern nach hinten und zog ihre Kodachis samt Scheiden aus ihrem Kaftan hervor. Demonstrativ legte sie die Waffen einen Meter neben sich gut sichtbar auf dem Boden. Ein Friedensangebot, eine Geste. Mehr nicht. „Es ist Eure Entscheidung, Jäger!“ -Treffe sie weise. Sie fiel, als vom Heck des Schiffes plötzlich das Wimmern eines Kindes ertönte. Die sanfte Stimme einer Frau antwortete und begann, leise ein Schlaflied zu singen. Ein paar Mal schniefte das Kind noch, dann herrschte wieder Stille. Mit einem Ruck wurde das Schwert wieder in die Scheide zurück gestoßen. Er WAR nicht dumm. Es änderte natürlich nichts an seiner Wut. „Für dieses Mal, Mononoke…“ „Natürlich, für diese Mal…“ Mit zwei Schritten stand er vor ihr. Mutig also auch… Sie musterten sich. Er war groß für einen Japaner. Ein ebenmäßiges, noch erstaunlich jugendliches Gesicht, jedoch bereits von Narben über Wangen und Augenbrauen gezeichnet. Die Bewegungen waren geschmeidig und kraftvoll. Braune Augen, die vor Intelligenz, momentan aber auch vor Wut funkelten. Er trug betont weite Reisekleidung und Sandalen. In einer Schärpe staken zwei Schwerter. Sie war nicht so naiv zu vermuten, das dass seine einzigen Waffen waren. Unter seinem Haori nahm sie nur zu deutlich das Knirschen von an einander reibenden Rüstungsteilen und das Klirren weiteren Klingen war. Außerdem umgab ihn der Geruch von verschiedenen Kräutern, die einem Youkai in ausreichender Menge mehr als nur die Tränen in die Augen treiben konnten. Ein erfahrener und umsichtiger Kämpfer. Gut, das er das war. Sonst hätte sie ihn tatsächlich töten müssen… Sie deutete auf ein Sitzkissen, das vor ihr auf dem blank gescheuerten Deck lag. „Bitte, setzt Euch.“ Einen Augenblick erstarrte er. Das Erstaunen, das langsam über sein Gesicht kroch, reizte sie beinahe zum Lachen. Das war ihm offensichtlich noch nie passiert, und wahrscheinlich war es überhaupt noch nie geschehen, dass ein Jäger von seiner potentiellen Beute dazu eingeladen wurde, sich zu ihr zu gesellen. Der Gedanke lähmte ihn einen Augenblick. Dann gewann die Wut wieder Oberhand. „Es ist meine Pflicht, Dämonen zu töten, nicht, ihnen Gesellschaft zu leisten!“ zischte er, unwillkürlich wieder die Hand an den Schwertgriff legend. Das Wesen in der Gestalt einer jungen Frau ließ sich aus ihrer bequemen, halb liegenden Position in den Kniesitz gleiten und goss seelenruhig Tee in zwei zierliche Schalen. „Nun, offensichtlich ist es euch im Augenblick nicht möglich, dieser Pflicht nachzukommen, hatten wir das nicht bereits geklärt?“ Ihre Stimme war leise und sanft, als wolle sie ein wildes Tier beruhigen. „Das wäre eine sehr erbärmliche Auffassung von Pflicht und Ehre, Tajiya- San. Das Überraschungsmoment ist dahin, ihr würdet sterben, ebenso alle anderen auf diesem Schiff. Ich werde höchstwahrscheinlich überleben. So viele sinnlose Tode…“ sie schnurrte fast „ … und ein solches Versagen. Denn ist es nicht vor allem eure Pflicht, eure Artgenossen zu schützen? Und darin HÄTTET ihr versagt, Jäger. Ein schmachvoller Tod. Das wäre sehr schlechtes Karma für euer nächstes Leben… Cha?“ „Was wollt ihr hier?“ Er hörte sich beinahe an wie ein aufgebrachter Drache. „Bei aller Besonderheit unserer jetzigen Lage, dies ist meine Angelegenheit. Wenn es euch beruhigt: Eure Artgenossen interessieren mich dabei überhaupt nicht.“ Er blinzelte ungläubig. Und wütend. „Warum sollte ich Euch glauben?“ „Weil ich keinen Grund zum Lügen habe.“ war die schlichte Antwort. „Ebenso wenig wie ich einen Grund habe, jemanden auf diesem Schiff anzugreifen. Menschen verbreiten sich wie eine Seuche auf der Erde. Warum sollte ich eigens die beschwerliche Überfahrt auf diese kleinen Inseln auf mich nehmen, um ein paar Menschen zu töten, wenn es sie auf dem Festland zu Millionen gibt? Macht Euch nicht lächerlich!“ Ein scheinbar ewiger Augenblick verging, in dem der Dämonenjäger versuchte, seine Fassung zu bewahren und diese Situation irgendwie ein zu ordnen. Sicherlich hatte er mit einer Enttarnung rechnen müssen. Aber diese Reaktion hätte er nicht einmal in seinen wildesten Alpträumen erwartet. Seine Gedanken überschlugen sich. Ein Angriff war tatsächlich ausgeschlossen. Die ruhige Gelassenheit kündete ebenso von großer Macht wie die Tatsache, dass ihre Aura nicht ein bisschen dämonisch war. Hätte er nicht durch Zufall gesehen, wie… sie wäre ihm nie aufgefallen. Jedenfalls nicht als Dämon. Selbst die sonst so charakteristischen spitzen Ohren fehlten, von Irgendwelchen Malen auf der Haut ganz zu schweigen. Seiner Erfahrung nach konnten sich nur die mächtigsten Youkai so perfekt tarnen. Der Überraschungseffekt wäre tatsächlich seine einzige Chance gewesen. Und nun? Langsam ging ihm auf, das er tatsächlich nur die Wahl hatte, das ganze Schiff ins Unglück zu stürzen, einfach weg zu gehen… oder aber eine einmalige Gelegenheit zu ergreifen und mit einem erklärten Feind unter den Bedingungen eines Waffenstillstandes ein Gespräch zu führen. Vielleicht die Möglichkeit, an neues Wissen zu gelangen, neue Schwachstellen zu entdecken und Methoden der Bekämpfung zu entwickeln… um sich zu beweisen, stärker zu werden. Und mittlerweile auch eine gewisse morbide Neugierde. Er starrte auf die angebotene Schale. Dann verneigte er sich höflich. Ließ sich in den Kniesitz nieder und legte ebenfalls beide Schwerter samt Scheiden neben sich auf das Deck. Immer noch misstrauisch sah er sie an. „Hai, arigato. Es wird mir eine Ehre sein.“ Die junge Frau lächelte. Das würde es sicherlich! Schweigend tranken sie den Tee, musterten sich. Und bereit, diese außergewöhnliche, wohl nie wiederkehrende Situation auszuschöpfen. Der Dämonenjäger machte keinen Versuch, seine Neugierde zu verbergen. Ihre Erscheinung war völlig fremdartig und geradezu exotisch. Sie war groß für eine Frau, beinahe so groß wie er. Die Haut war dunkel, noch viel dunkler, als die dunkelsten der Barbaren, die seit neuesten immer häufiger den Hafen von Nagasaki anliefen. Lange, offen getragene schwarze Haare, von denen nur die von Schläfe und Stirn an Hinterkopf zu einem dünnen Zopf zusammengefasst waren. In diesem Rahmen wirkten die jadegrünen Augen fast stechend, hypnotisch. Die Gesichtszüge waren viel ausgeprägter und kantiger als die von japanischen Frauen. Seinem Schönheitsempfinden entsprach sie nicht. Doch das minderte keinesfalls die Faszination. Die Kleidung war ähnlich auffällig, ein bunter Mischmasch aus ihm bekanntem und völligem Fremden. Ein sehr weites, an einen Haori erinnerndes dunkelgraues Kleidungsstück mit Kapuze, eine schwarze Hakama, einfache Strohsandalen ohne Tabis und ein ärmelloses, eng anliegendes Hemd aus Leder. Schmucklos, zweckmäßig und dennoch hochwertig. Die beiden Kodachis schienen ihre einzigen Waffen zu sein, aber er konnte nicht einschätzen, wie genau ihre Kräfte tatsächlich aussahen. Die Überreste, die er nach einer mühsamen Verfolgung in Nagasaki gefunden hatte, ließen ihn zwar einiges vermuten, aber so lange er es noch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, würde er so vorsichtig wie möglich sein und schlicht mit allem rechnen. Die Schwerter schienen rein japanischen Ursprungs zu sein und sie beherrschte seine Sprache und auch die üblichen Umgangsformen fließend. Das Handelsschiff der Barbaren war vom Festland herüber gekommen, aber ein chinesischer Dämon war sie auf keinen Fall. Und sie war definitiv nicht das erste Mal in Japan! „Woher kommt ihr? Es ist nicht zu übersehen, das ihr nicht aus den uns bekannten Ländern stammt!“ Sie lächelte. Er ließ sich auf das Spiel ein. Vielleicht wurde das ja wirklich eine nette und kultivierte Unterhaltung. Seitdem sie auf das portugiesische Handelschiff gegangen war, schien sie nur noch von Idioten und Rüpeln umgeben zu sein. Eine willkommene Abwechslung, wie sie es sich auch insgeheim erhofft hatte. „ lie, weder aus China, noch aus einem anderen Land in diesem Teil der Erde.“ „Aus dem selben Land wie die Barbaren? Habt Ihr noch andere Länder und Völker gesehen?“ Er selbst war nie von der Hauptinsel herunter, geschweige denn in andere Länder gekommen. Waren nicht aber auch Japan- vielleicht auch noch China- der Teil der Welt, der zählte? Trotzdem, es wäre schon interessant, etwas über den unzivilisierten Rest zu erfahren. „Den Göttern sei es gedankt, nein. Aber ich habe mir ihr Land angesehen.“ Er beugte sich unwillkürlich vor. „Und, wie ist es dort?“ Sie schnaubte. “Genauso schmutzig, laut und stinkend wie auf ihren Schiffen! Es sind tatsächlich Barbaren!“ „Keine Manieren!“ stimmte er unwillkürlich zu. Was er gesehen hatte, reichte ihm. Da waren sich beide völlig einig. „Doch woher kommt ihr dann?“ „Ihr werdet es nicht kennen.“ „Beschreibt es mir. Wer nicht nach Wissen strebt, ist dumm!“ erklärte er mit ehrlicher Überzeugung. Sonst hätte er sich wohl kaum auf diese Gespräch eingelassen. „Es ist noch weit hinter dem riesigen Reich Chinas. Mehr als zweimal so weit. Es liegt nicht einmal auf derselben Seite des dortigen Meeres…“ ihre Stimme verlor sich, während sie in Gedanken ihre Heimat durchschritt. „Man kann dort jederzeit den Horizont sehen. Kaum Menschen, sie leben fast nur an den Flüssen und wenigen Stellen, wo Wasser an die Erdoberfläche tritt. Weit und leer.“ Es ist ein wildes Land, Mensch. Es stößt eure Art von sich. Nur die, die sich nach seinem Rhythmus richten, können dort überleben. Und jene, die es tun, sind eins mit ihm. „Es besteht aus Steppe und Wüste, mehr nicht. Eine Sonne so heiß wie die Hölle, und mit einer Luft, die so trocken ist, das man glaubt, dass einem die Lunge zu Staub verbrennt. Für jemanden, der Japan mit seinen Urwäldern und Bergen kennt…stellt Euch einfach das komplette Gegenteil eurer Heimat vor!“ „Gibt es dort noch andere Dämonen?“ Bei einem Dämon so etwas wie Heimweh zu sehen, war verblüffend. Ein Mononoke mit Gefühlen? Waren sie dort ALLE so? „Hai, natürlich. Auch Geister und Götter.“ Verflucht sollen sie sein. „Und- warum seit Ihr dann hier? Was wollt ihr in Japan?“ auf einmal ließ sich die Feindseligkeit nicht mehr aus seiner Stimme verbannen. „Wir haben auf unseren Inseln genügend eigene Dämonen!! Wir benötigen keine zusätzlichen aus fremden Ländern!“ Einen Moment lang musterte sie ihn schweigend. Doch so kurzsichtig? „Sagtet Ihr es nicht gerade selbst? Wer nicht nach Wissen strebt, ist dumm. Eine große Weisheit aus Eurem Mund, wenn ich Eure Reaktion eben bedenke. Ich lebe schon seit Jahrhunderten. In meiner Heimat wird Wissen hoch geschätzt. Irgendwann…“sie zögerte. „….wird es einem zu eng. Die Welt ist so groß. Es wäre eine Schande, würde ich mein Leben nur auf ein und demselben Fleck Erde verbringen. Glaubt Ihr denn ernsthaft, dass sich das Leben eines Dämons zwangsläufig immer nur ums Töten drehen muss??“ Etwa nicht? Der Jäger sah sie ungläubig an. Ein dämonisches Wesen solcher Stärke, das um seines Vergnügens willen die ganze Welt durchquerte? Doch sie hatte getötet, hunderte Male, daran bestand für ihn kein Zweifel. Doch ihr ganzes Verhalten, diese arrogante Gelassenheit gleichzeitig mit geradezu vergnügter Neugierde zu erleben, allein die Tatsache, das ihm ein Waffenstillstand angeboten wurde, anstatt ihn Nachts unauffällig zu vernichten… als er sich die ganze Absurdität des gerade Erlebten und Gehörten verdeutlichte, rieb er sich unbewusst die Schläfen. Sein Fassungsvermögen gelangte eindeutig an seine Grenzen. Da musste ein boshafter Sinn und Hintergedanke verborgen sein. Musste. Ansonsten verstand er die Welt nicht mehr… Was sollte es? Wenn sich dieser Dämon im Moment so freundlich und offen zeigte, konnte er das auch. „Warum tut ihr das? Warum… sprecht Ihr so offen mit mir? Versteht mich nicht falsch, ich bin fasziniert, aber…“ er sah sie erschöpft an. „Warum in Kami-Samas Namen??!“ Sie sah ihn nur wieder an, jetzt eindeutig über seine Ratlosigkeit amüsiert. „Aus dem Grund, warum Dämonen immer tun, was sie gerade tun. Weil ich es möchte.“ Sie beobachtete seine unbewusste Reaktion. Sein Herzschlag hatte sich plötzlich verdoppelt. Verärgert, Mensch? „Soll ich ehrlich mit Euch sein? Weil ich schon lange mit niemandem einfach ganz normal gesprochen habe, deswegen.“ Sie hob die Schale und nahm einen tiefen Schluck. „Jedes intelligente Lebewesen hegt ab und zu den Wunsch, sich mit Anderen auszutauschen. Nichts gegen einen guten Kampf, aber das Leben besteht nicht nur daraus.“ Er presste unbewusst die Kiefer aufeinander. „Das wäre mir neu, verzeiht. Die Dämonen, die ich gesehen habe, waren immer nur darauf aus, Schaden anzurichten.“ „Vielleicht liegt das daran, dass sich auch nur solche Dämonen den Menschen absichtlich nähern? Diejenigen, die an solchen primitiven Vergnügungen kein Interesse haben, gehen einer Konfrontation in der Regel aus dem Weg. Im Übrigen besteht ein großer Unterschied zwischen einem guten Kampf und simplen `Schaden anrichten’.“ Das die meisten wirklich mächtigen Dämonen es einfach nur für unter ihrer Würde hielten, sich Krallen, Klingen und Kleidung an Kleinvieh schmutzig zu machen, verschwieg sie mit Rücksicht auf Stolz und Temperament des Jägers. Außerdem wäre dieser interessante Zeitvertreib dann mit Sicherheit beendet. Sein Blick war auch so schon hasserfüllt genug. „Ihr wollt mir also ernsthaft weismachen, dass es Youkai gibt, die nicht einfach nur zum Vergnügen töten? Den Menschen keinen Schaden zufügen wollen?“ „Hai. Sonst wärt ihr schon seit dem Augenblick des Ablegens nicht mehr am Leben.“ sagte sie schlicht. Seine Kieferknochen begannen zu mahlen, so heftig, dass er seine Zähne knirschen hörte. „Dann beantwortet mir doch bitte eine Frage: Warum töten Youkai Menschen? Wenn Ihr so großmütig und welt- erfahren seid, könnt Ihr mir doch bestimmt antworten, oder?!!“ Sie sah ihn an, lehnte sich dann genüsslich wieder gegen die Bordwand und zog ein Bein an. Für einige Sekunden fixierte sie über den Bug des Schiffes hinweg den Horizont. Betrachtete man die Sache umfassend, war das eine gute, wenn auch mutige Frage. Nur würde ihm die Antwort gefallen? „Erlaubt mir im Gegenzug eine persönliche Frage: Warum seit Ihr Dämonenjäger geworden?“ Er antwortete intuitiv. „Um Menschen zu schützen!“ „Warum ausgerechnet Tajiya? Warum nicht Samurai?“ „Weil ich dann nur für meinen Herrn gekämpft hätte. Für Politik und Macht. Ich hätte andere Menschen töten müssen.“ „Das ist aber nicht alles…“ Nun seufzte er. „Als Samurai muss man geboren sein. Ich stamme aus einem Jäger-Dorf, es ist meine Bestimmung.“ „Also einfach die falsche Familie? Das ist sicher nicht der einzige Grund.“ „lie. Nicht nur.“ Ein sarkastischer Unterton war nun nicht mehr zu überhören. „Wisst ihr, als Bauer inmitten der Wildnis ist die Bedrohung durch Youkai doch etwas direkter als durch Krieger eines feindlichen Feldherrn. Ich habe viele Freunde und Verwandte durch solche Ungeheuer verloren. Ich habe also jedes Recht, Euch zu fragen: Warum töten Dämonen Menschen?!“ Worauf wollte es hinaus? Er ließ sich von seinen Gefühlen mitreißen. Beruhige dich! Die Dämonin schwieg eine Zeit lang. Ihr Gesicht war dabei unergründlich. Schließlich nickte sie dem Jäger zu. „Dämonen töten. Menschen töten. Tiere töten ihre Beute tagtäglich. Das WARUM ist eine gute Frage. Ein Tier tötet, um seinen Hunger zu stillen. Es denkt nicht darüber nach, warum es das tut. Es gehorcht bloß seiner Natur. Dem Samurai reicht es, wenn sein Herr es ihm befiehlt. Hinterfragt er etwa seinen Herren? Und warum lässt der Feudalherr seine Truppen in ein anderes Gebiet einfallen? Lässt ganze Dörfer in Schutt und Asche legen? Und Dämonen? Einige fressen Menschen, andere wieder nicht. Einige terrorisieren förmlich ganze Landstriche. Einige schützen Fürstentümer, die einen Pakt mit ihnen eingehen. Andere weichen Menschen aus, wo sie nur können. Einige genießen es zu töten, andere tun es eben, wenn die Umstände sie dazu zwingen. Jeder tut, was er tun muss. Oder was er glaubt, tun zu müssen…“ Etwas wie Bedauern schwang in ihrer Stimme mit. „Menschen und Dämonen unterscheiden sich in diesen Dingen kaum. Jeder entscheidet nach seinen Möglichkeiten und Erwägungen. Das allgemeine DARUM gibt es nicht. Jedes Lebewesen hat sein eigenes WARUM. Doch wenn ich es für Euch zusammenfassen soll: Jeder tötet, wenn er es will und er es kann. Manche auch, weil sie es müssen. Überlebende sind diejenigen, die wissen WEN man töten kann und wie. Und wann man sich besser zurückziehen sollte.“ Es dauerte einen Moment, bis der Jäger begriff, was dieser Dämon gerade mit absolut gelassener Miene gesagt hatte. Dämonen töteten, weil sie es konnten. Weil sie es so wollten?? Und dabei sollten Menschen und Youkai GLEICH sein?? Der Mensch unterdrückte mühsam seine Erregung, beinahe überwältigt von dem Bedürfnis, diesen überheblichen Dämon einfach zu töten, dem Wunsch, dieser Bestie seine Verachtung entgegen zu schreien, sie leiden zu lassen und ihr zu zeigen, was es hieß, unterlegen zu sein. Er sah die zerstörten Dörfer, die angefressenen Toten in den Feldern, die verstümmelten Reste seiner Kameraden vor seinem inneren Auge. Unwillkürlich glitt seine Hand in den Ärmel seines Haori, umklammerte den Griff des vergifteten Dolches, gegen den noch kein Dämon hatte bestehen können. War er nah genug? Auf einmal bemerkte er den spöttischen Blick, mit dem sie ihn beobachtete. Ihre Hand lag lässig über einem Knie, aber für den Bruchteil einer Sekunde schien es ihm, als wären die Fingernägel länger und schmaler geworden, mit messerscharfen Spitzen. Sie konnte seine Wut so deutlich wittern wie er ein gutes Essen. „Warum auf einmal so zornig? Glaubt Ihr, dass es anders ist? Nutzt nicht ein jeder, der mächtiger ist als ein anderer diese Macht eines Tages aus? Werden ihm die Schwächeren nicht irgendwann gleichgültig sein? Sind es denn nicht selbst unter den Priestern und Mönchen nur sehr wenige, die sich und ihr Kräfte bis zur Selbstaufgabe in die Dienste ihrer Schutzbefohlenen stellen? Ihr seid ein ranghoher Jäger eures Clans. Nutzt nicht auch Ihr eure Befehlsgewalt über Eure Untergebenen aus? Was unterscheidet also Mensch und Youkai so grundlegend voneinander? Ist es denn nicht einzig und allein die Tatsache, dass Dämonen mächtiger sind? Ich habe Menschen, Götter und Dämonen gesehen, die aus den unterschiedlichsten Gründen getötet haben. Manche waren edel, manche nach vollziehbar, manche unsinnig, und einige benötigen gar keine. Doch so unterschiedlich sie In ihrer Art und Absicht waren und noch sind, in einem ähneln sich viele von ihnen- sie empfinden Vergnügen, wenn sie töten.“ Er schloss die Augen und atmete tief durch. Mühsam entspannte er seine Muskeln. Kein Kampf auf diesem Schiff. Es war einfach sinnlos. Die Dämonin schien es ähnlich zu sehen. An ihrer Hand waren auf einmal wieder nur normale Fingernägel. Letztendlich rührte sich niemand. Langsam beruhigte er sich wieder und nahm die Hand vom Griff des Dolches. Es war, wie es nun einmal war. Karma. Aber er hatte einen Entschluss gefasst. „Darüber kann man unterschiedliche Ansichten vertreten.“ Sagte er kalt. „Das ist bei den meisten Dingen so.“ stimmte sie friedfertig zu. „Und bei manchen sind die Standpunke wohl unveränderlich.“ Sie glitt wieder in den Kniesitz, schüttete seinen mittlerweile erkalteten Tee kurzerhand über Bord und goss neuen Cha ein. Er schaffte es, die Schale ohne Händezittern entgegen zu nehmen und höflich den Kopf zu neigen, bevor er einen Schluck nahm. Überrascht hob er die Augenbrauen. Der Tee war vorzüglich! Ein Jammer, das er die erste Schale zum Schluss verschmäht hatte! Langsam kam wieder ein Gespräch in Gang. Er lauschte ihren Schilderungen fremder Länder, sie stellte ein paar Fragen über menschliche Eigenheiten. Als die Dämmerung hereinbrach und der Kapitän den Anker warf, verstummten sie gänzlich. Es gab nichts mehr zu sagen. Schweigend sahen sie zu, wie die Sonne hinter den Bergen versank und das kleine Schiff in Schatten tauchte. Er erhob sich, als die ersten Bordlaternen angezündet wurden. „Ich danke Ihnen für Ihre Gesellschaft. Doch ich denke, ich werde mich jetzt zu meinem Platz zurück begeben.“ Sie sah ihm aufmerksam an. Sein Blick fiel auf ihre Schwerter. Er schob seine Waffen zurück in die Schärpe und strich langsam über die hölzernen Scheiden. „Bis Edo.“ Sagte er. Sie nickte knapp. Und ließ ihre Waffen, wo sie waren. Einen Augenblick lang sah er ihr in die Augen. „Ihr solltet auf die Laternen Acht geben.“ Flüsterte er. Noch einmal leuchteten ihre Augen im Licht der Lampen weiß-grün auf und er hörte sie leise lachen. Dann drehte er sich um und ging. Zwei Tage später geriet endlich der Hafen von Edo in Sicht der hitzegeplagten Passagiere. Während sich Besatzung und Passagiere auf das Einlaufen vorbereiteten, suchte der Taijiya nach der dunkelhäutigen Frau. Doch als er einen vorsichtigen Blick auf ihren Platz am Bug warf, erstarrte er. Er war leer. Mit einem wahren Panthersprung stand er am Bug und starrte auf die selbst für einen im Schwimmen geübten Menschen problemlos erreichbare Küste. Wie hatte er das nur vergessen können! ~°~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)