Der Sommer meines Lebens von bebi (Taito-Challenge) ================================================================================ Kapitel 1: Mein Leben im Zelt ----------------------------- Taito Challenge Der Sommer meines Lebens „Ja, ich habe mir einen runtergeholt - erschieß mich doch!" „Oh, du weißt gar nicht, wie gern ich das jetzt tun würde!“ „Mein Gott, ich bin Siebzehn!“ „Ist das deine Entschuldigung für alles was du verzapfst?“ „Nein, aber hier durchaus angemessen.“ „Ach ja?“ „Ja!“ „Matt!“ „Tai.“ „Verarsch mich nicht!“ „Verdammt Tai, als hättest du noch nie…“ „Darum geht es doch gar nicht!“ „Worum dann?!“ „Du kannst machen was du willst, aber bitte nicht hier!“ „Wo denn dann?“ „Keine Ahnung! Nur nicht hier!“ „Sei doch nicht so spießig!“ „Ich bin nicht…Matt.“ „Tai.“ „…“ „Tschuldige.“ „Hör zu…warte einfach bis du Zuhause…“ „Das ist aber erst in 6 Wochen!“ „Mag sein.“ „Mag sein?!“ „Ich will einfach nicht, dass…“ „Eigentlich geht es dich auch gar nichts an.“ „Es geht mich…“ „Ich hab niemanden belästigt.“ „Jetzt hör mir doch mal…“ „Und wärst du nicht zufällig vorbeigekommen, hättest du auch gar nichts davon mitbekommen. Das war nicht geplant. Ich kann doch nicht ahnen, dass du früher vorbeikommst und etwas hörst…“ „Matt, das halbe Zeltlager hat dich gehört!!“ Bamm! Das hatte gesessen. Meinen Wutausbruch, den ich gerade an Tai auslassen wollte, blieb mir glatt im Hals stecken. Das war es. Das Tüpfelchen auf dem i. Schlimmer konnte mein Leben nicht mehr werden. Eigentlich war ich auch nicht wütend auf Tai. Er meinte es nur gut. Er meinte es immer nur gut. Und eigentlich will ich meine Zelte – im – Zelt – abbauen – Aktion auch gar nicht verteidigen. Denn in Wahrheit würde ich mich dafür am liebsten erschießen. Oder lieber meinen Vater. Genau. Meinen Erzeuger. Wegen dem war ich nämlich überhaupt erst genötigt mir in einem, wie ich gerade leider feststellen musste, ziemlich dünnschichtigem Zelt einen runterzuholen. Ein Zelt. Und noch schlimmer. Ein Zeltlager. Siebzehn Jahre alt und die ganzen Sommerferien im Zeltlager. Ich liebe es. Nein wirklich, es ist toll. Natur, Bewegung, Sport, Sonne. Was gibt es schöneres? Wobei bei mir Natur-Insekten, Bewegung- Anstrengung, Sport- Schweiß und Sonne- Sonnenbrand bedeutet. Und wieso bin ich hier? Pure Schikane! Er sagte, er wolle nur das Beste für mich. Ich hätte mich zurückgezogen. Solle neue Kontakte knüpfen. Pah! Ich schwöre es, es ist die Retourkutsche für die unschöne Delle in seinem neuen Sportwagen. Okay, es war nicht so als hätte ich es dann nicht verdient. Aber er könnte ja wenigstens dazu stehen. Davon mal abgesehen, hatte er leider mit den anderen Punkten auch Recht. Ich habe mich zurückgezogen. Ja. Aber das war mir bewusst. Kein Grund in meine natürliche Entwicklung einzugreifen und mich einem so traumatischem Erlebnis wie ‚Zeltlager’ auszusetzen. Und ohne es zu wissen hatte er mich auch noch mit dem Grund hierhin geschickt, wegen dem ich mich zurückzog. Tai. Ein Name. Drei Buchstaben. Mein Untergang. Tai war mein bester Freund. Spielte gerne Fußball, freute sich aus unersichtlichen Gründen wirklich mit mir ins Zeltlager zu fahren, war etwas größer als ich, auch siebzehn Jahre alt, auch ein Junge und die Liebe meines Lebens. Wohl etwas theatralisch ausgedrückt. Aber das Problem lag wirklich darin, dass ich mich unheimlich in meinen besten Freund verliebt hatte. Er wusste davon natürlich nichts. Niemand wusste es. Ich selbst wollte es auch so schnell wie möglich vergessen. Ich wollte noch nicht einmal schwul sein. Ich war schon so kein sonderlicher Sonnenschein. So was fehlte mir gerade noch. Deswegen zog ich mich zurück. Ich wollte es vergessen und dann wieder zurück ins Leben kehren, als wäre nichts passiert. Ich schwör ’s, der Plan war Narrensicher. Nur wie sollte das alles funktionieren, wenn man mich mit dem Traum meiner schlaflosen Nächte sechs Wochen in den Urlaub schickt. In ein Zelt. Ein kleines Zelt. Mit Tai. Und Tai war es auch der immer noch neben mir im Zelt saß und mich anstarrte. Ach ja, mir waren ja gerade meine Schimpfwörter im Halse stecken geblieben. Demnach war meine Antwort auf seine nette Hiobsbotschaft unheimlich Wortgewand. „…“ So war ich. Meister der Konversation und immer Herr der Lage. “Das ist nicht wahr.“ Leugnen der Wahrheit, war bekanntlich das erste Stadium um ein Trauma zu verarbeiten. „Ich fürchte doch, deswegen bin ich auch nur zurückgekommen…ich wollte nur…na ja…irgendwie größere Unheile abwenden.“ „Na das hat ja wunderbar funktioniert!“ War Wut nicht das zweite Stadium zur Bewältigung von traumatischen Erlebnissen? „Also…so schlimm ist es jetzt ja auch nicht.“ „Ich glaub das einfach nicht.“ Oh, wieder Leugnen, ich drehte mich im Kreis. Mir war das ganze ohnehin schon so peinlich. Aber jetzt? Heute war der erste Tag. Wir waren gerade erst angekommen, hatten noch fast niemanden kennen gelernt. Wäre es am Ende der Ferien gewesen, aber so? Jetzt war ich der, der sich einen runtergeholt hatte noch bevor überhaupt jemand meinen Namen kannte. Wie konnte ich auch nur so blöd sein? Ach ja, Tai… Der Grund saß neben mir und sah besorgt in mein vor Schock kreideweißes Gesicht. Na ja, vielleicht hatte es auch minimal damit zutun, dass ich ein hormongesteuerter, notgeiler Teenager war. Dennoch war der Hauptgrund, dass Tai auf der Hinfahrt im Bus neben mir gesessen hatte und meinte meinen Schoss als Kopfkissen benutzen zu müssen um ein kleines Nickerchen zu machen. Okay, dann stellte sich einem vielleicht die Frage, warum ich das nicht verhindert hatte, aber bei Gott, er sah so unheimlich süß aus, wenn er schlief. Jedenfalls hatte dieser Vorfall zu meinem ‚Problem’ geführt. Und das ca. auf der Hälfte der Strecke. Heißt rein rechnerisch, ich saß ungefähr drei Stunden mit einer riesen Latte in einem stinkenden Reisebus. Und jetzt war ich hier. Vor den Trümmern meiner Jugend. Hach, ich liebe mein Leben. „Ich geh hier nie wieder raus.“ „Ach komm schon.“ „Nein, ehrlich. Ich bleibe hier.“ „Aber es gibt gleich Abendessen.“ „Hab keinen Hunger.“ „Jetzt schmoll nicht.“ Ja genau. Ich schmollte. Tai erkannte einfach nicht den Ernst der Lage. Ich starb hier tausend Tode aus lauter Peinlichkeit und er meinte ich solle nicht schmollen. Aber Tai erkannte ja nie den Ernst der Lage. Und die Lage wurde noch ernster, als er mir eine Hand an die Wange legte und sanft darüber strich. Und ich wusste nicht, dass er überhaupt so zärtlich sein konnte. Zärtlich. Genau das war das Wort hierfür. Seine Berührung und auch sein Blick. Ich konnte noch nicht einmal fragen was das sollte, so trocken war mein Mund und so schnell schlug mein Herz. Er lächelte so sanft wie ich es noch nie gesehen hatte. Am liebsten hätte ich ihn geküsst. Jetzt. Hier. Sofort. “Mach dir nichts draus. Das ist morgen schon vergessen. Lass dir unseren Urlaub nicht verderben.“ Unseren Urlaub? Au Mann. Tai freute sich wirklich auf unsere Zeit hier. Ich kam nicht umhin wenigstens ein bisschen zu lächeln. Tai konnte so unglaublich süß sein. So unglaublich lieb. Jetzt hatte er mich. Ja, ich bin schwach. Ich gebe es zu. Tai konnte mich immer überzeugen. Er könnte mir eine Waschmaschine andrehen und ich würde sie mit Freuden nehmen. Und wenn Tai sagt, dass das alles gar nicht so schlimm war, dann würde das schon stimmen. Hauptsache war, er war da. Hauptsache er würde immer mein bester Freund sein. Nur das zählte. Und tatsächlich hatte Tai Recht gehabt. Es war eigentlich gar nicht so schlimm gewesen. Also rein oberflächlich betrachtet. Innerlich litt ich wie ein Hund unter dieser Schmach. Hier und da ein Tuscheln. Der ein oder andere grinste mich an, zwinkerte mir zu oder klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Zumindest fragten ein paar nach meinem Namen, so dass ich nicht mehr nur der war, der sich einen runtergeholt hatte, sondern Matt, der sich einen runtergeholt hatte. Jap, das machte alles gleich viel besser. Wir waren jetzt schon fünf Tage hier. Ich war nicht mehr in aller Munde, dafür aber noch ein gelungener Runniggag. Zeltlager war ja so toll. Ich wusste gar nicht mehr wohin mit meiner Begeisterung. Wir waren übrigens auch schon seit fünf Nächten hier. Das wusste ich so genau, weil ich nicht eine davon wirklich geschlafen hatte. Was nicht sonderlich verwunderlich war, wenn man bedenkt, dass die Schafe, die dich zählte, sich vor meinem geistigem Auge jede Nacht langsam aber sicher immer wieder in ganz viele knuffige Tais verwandelten mit großen Schafsaugen und nur mit Wolle bekleidet. Ja, ich war pervers, krank und ziemlich notgeil. Aber wen wunderte es, wenn ich Nacht für Nacht neben einem Jungen schlafen musste, den ich zum einen ziemlich scharf fand und der es zum anderen nicht für nötig hielt mehr als Boxershorts zu tragen. Außerdem hatte Tai ziemlich lebhafte Träume in denen er entweder den besten Sex seines Lebens hatte oder ziemlich viel Sport trieb. Bei ihm tippte ich mal auf letzteres. Was auch immer er tat, er gab ziemlich oft Laute von sich. Hier und da ein sanftes Stöhnen, ab und zu ein Keuchen. Während er also friedlich schlief und wahrscheinlich den Weltmeisterpokal im Fußball gewann, hing ich der Vorstellung nach, wie er den besten Sex seines Lebens hatte. Mit mir. Das alles hatte zur Folge, dass Tai immer völlig ausgeruht und voller Elan einen neuen Tag begann. Ich hingegen völlig fertig. Er hatte morgens eine so penetrant gute Laune, dass ich ihn am liebsten mit dem Kopf ins Klo getaucht hätte, aber da ich so ein guter Mensch war, tat ich es nicht, sondern begnügte mich damit ihn nach dem Aufstehen erstmal drei Stunden zu ignorieren. Das war alles zu seiner eigenen Sicherheit. Alles andere hätte in einem Fall für die Kriminalpolizei geendet. In völligem Kontrast zu meinen Nächten, stand der wundervolle Alltag im Ferienlager. Ich liebte es. Nein ehrlich. Es war eine Offenbarung. Wanderrungen durch unendliche Sümpfe, singen am Lagerfeuer, tierischer Muskelkater, Sonnenbrand auf meiner empfindlichen Haut und so viele liebliche Insekten, dass ich nicht umhin kann, ganz viele liebliche Postkarten nach Hause zu schicken, die dafür Sorge tragen würden, dass ich wenn ich zurückkam erst einmal ein Jahr Hausarrest haben würde. Am sechsten Tag, gab es zur Feier des Tages, da die Sonne an diesem Tag besonders schön krebserregend war, ein Fußballturnier. Teilnahme für die Jungs: Pflicht. War das noch normal? Es war nicht jeder Junge mit dem Trieb geboren worden einen Ball möglichst weit durch die Gegend zu pfeffern. Ich war mit Tai in einer Gruppe. Und Tai freute sich einen Ast ab, weil wir endlich mal zusammen Fußball spielten. Ich freute mich wirklich darüber, dass er glücklich war, aber musste er mir deshalb bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Ball zuspielen? Hallo? Ich war unfähig in diesem Sport. Eigentlich in jedem Sport. Doch Tai schien das nicht zu stören. Er spielte mir den Ball zu. Immer wieder. Und lächelte mich immer wieder mit einem ‚lass – uns – das – Spiel – zusammen – gewinnen - Lächeln’ an, dass ich jedes Mal bitter enttäuschen musste, da mir der Ball immer während der nächsten zehn Sekunden wieder von der gegnerischen Mannschaft abgenommen wurde. Doch Tai gab nicht auf. Ich versuchte es mit bösen Blicken. Ich schoss den Ball so gut ich konnte, sofort wieder zu ihm zurück. Ich sah absichtlich irgendwo anders hin, damit er mich in Ruhe ließ. Ich versuchte es mit Meditation, indem ich mir einredete ich sei nur ein Baum. Bäume können nicht Fußball spielen. Tai sah das anders. Ich lieferte den gegnerischen Mannschaften so viele Möglichkeiten ein Tor zu schießen, dass unsere Mannschaftskameradenschweine mich bestimmt in den nächst besten Treibsumpf wünschten, von denen es hier zu genüge gab. Doch wir gewannen das Turnier. Gott weiß es, das war nicht mein Verdienst. Den ganzen Abend wurde gefeiert. Die Sieger und die Verlierer gleichermaßen. Und ich als Verlierer der Siegermannschaft, durfte natürlich nicht fehlen. Fand zumindest Tai. Ich für meinen Teil, stahl mich schon sehr früh davon und legte mich in unser geräumiges Zelt. Mir tat einfach alles weh. Ich hatte den Muskelkater des Jahrtausends und keine Lust mir blöde Witze über mein Fußballtalent anzuhören. Deswegen war ich ganz für mich allein, in einer Gummizelle, wohl besser aufgehoben. Doch da diese Option nicht drin war, tat es auch das Zelt…fürs erste. Doch meine Ruhe blieb nicht ungestört. Natürlich. Aber es war Tai. Also war es nicht ganz so schlimm. Nur ein bisschen. „Matt?“ „Tai.“ „Darf ich reinkommen?“ „Sonst hätte ich doch abgeschlossen.“ Mein unpassender Sarkasmus wurde wie immer von Tai überhört, er krabbelte umständlich in unser Zelt und legte sich auf seine Seite. Ich lag die ganze Zeit mit dem Gesicht zur Zeltwand und machte auch jetzt keine Anstalten mich umzudrehen. Nicht dass ich sauer auf Tai war. Mir tat nur wirklich alles höllisch weh und ich hatte nicht vor mich vorm Ende der Sommerferien noch einmal zu bewegen. „Wieso bist du gegangen?“ „Ich hatte befürchtet, dass Außerirdische unseren Planeten vom Lagerfeuer aus übernehmen wollen und dachte ich zieh mich mal zurück, bevor meine Existenz bedroht ist.“ Ja okay, ich war gemein und böse und konnte nie ernst sein, aber ich hatte wirklich keine Lust mich zu unterhalten. „Bist du böse auf mich?“ Nein! Nein, nein, nein! Ich war nicht böse auf ihn. Wieso konnte er nicht verstehen, dass ich einfach eine unmögliche Person war und nicht zu zwischenmenschlicher Kommunikation fähig war? Ich könnte ihm nie wirklich böse sein. Nicht ihm. Er war doch Tai. Mein Tai. Da ich mal wieder der größte Unmensch war und es nicht sein wollte und Tai mal wieder so lieb war, dass ich hätte heulen können, war ich doch noch genötigt mich umzudrehen. Und ich hatte richtig vermutet, dass das keine meiner besten Entscheidungen war. Ich spürte, wie mein Körper protestierte. Auch wenn das ziemlich weinerlich war, aber ich war wirklich unsportlich und hatte mich heute enorm viel bewegt. Einen kleinen gequälten Laut konnte ich nicht unterdrücken, was ich auch wieder sofort bereute, denn das alarmierte augenblicklich Tai. „Hast du was?“ „Nein, schon gut. Ich hab nur einen kleinen Muskelkater.“ „Uh, das kenn ich. Bist du deswegen gegangen?“ Ich sah genau, dass sich sein Mitleid in Grenzen hielt und die Hoffnung in seinen Augen aufflammte, dass ich nicht sauer auf ihn war, sondern nur wegen dem Muskelkater gegangen war. Tja, in jedem Engel steckt ein kleiner Egoist. Man muss ihn nur lange genug suchen. “Möglich.“ Tai lag genau vor mir und musterte mich. Mir war das mehr als unangenehm. Aber ich nutzte die Gelegenheit um etwas anzusprechen, was unvermeidlich war, da wir bestimmt nicht zum letzten Mal in diesen Ferien Fußball gespielt hatten. „Tai, tust du mir einen Gefallen?“ „Mhh? Ja klar.“ „Was auch immer du tust, spiel mir in diesem Leben nie wieder einen Ball zu.“ Tai wurde rot. Damit hatte ich nicht gerechnet. „Tut mir leid. War es sehr schlimm?“ Er sah mich aus schuldbewussten Augen an. Ein paar Haarsträhnen hingen ihm im Gesicht. Er sah so süß aus. Und er sagte nichts mehr. Was bei näherer Betrachtung nicht verwunderlich war, da ich mit antworten dran war. Doch ich konnte nichts sagen. Irgendwie hatte ich den Faden verloren. Mich verloren. In ihm. Seinen Augen, seinem Blick. Alles an ihm war so Einhundertprozent mein bester Freund. Alles an ihm war mir bekannt. Und doch war alles an ihm mir so fremd. So unendlich weit weg, dass ich ihm am liebsten umarmt hätte, um irgendwie die letzte Entfernung zu überbrücken, die zwischen uns war. Als ich nach einer Minute immer noch nicht geantwortet hatte, startete Tai einen neuen Versuch. „Weißt du, mir ist das gar nicht aufgefallen. Ich hab mich nur so gefreut, dass wir zusammen Fußball spielen. Ich hab nicht daran gedacht, dass dir das keinen Spaß machen könnte. Ich….“ Er guckte weg. Wich meinem Blick aus. Seine Wangen waren immer noch leicht rot. Er sah so süß aus und ich…ja ich war verloren. Ohne mein Zutun bewegte sich meine Hand nach vorn und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Ganz langsam. Mein Herz überschlug sich vor lauter Begeisterung. Und mein Gehirn kapitulierte vor lauter Hoffnungslosigkeit. Man musste nehmen was man kriegen konnte und sei es nur eine Sekunde Zärtlichkeit. Tai zuckte minimal, als ich ihn berührte und sah wieder auf. Mein Herz legte noch einen Zahn zu. Jetzt war es nicht mehr begeistert, sondern in höchster Panik. Mein Gehirn fing auch wieder an zu arbeiten. Es suchte nach Wegen, möglichst unbeschadet aus der Sache raus zukommen. Leider waren seine Mittel der Planbildung begrenzt, aber es kam zumindest zu dem Schluss, dass es hilfreich wäre, meine Hand von Tais Gesicht zu entfernen, da ich immer noch leicht seine Wange berührte. ‚Tu was! Verdammt Matt, sag was. Bitte!’ Es war unfassbar. Ich lag hier, sagte nichts und guckte ihn an wie ein Stück Weißbrot. ‚Sag was. Irgendwas Cooles. Jetzt!’ „Ich hab Hunger.“ Ja. Genau. Ich war ja so cool. Wo war der nächste Abgrund, wenn man mal einen brauchte? Aber zumindest schien Tai so irritiert zu sein, dass er…na ja…zumindest fragte er nichts. Ich nutze die Gelegenheit mich aufzusetzen. Und eigentlich wollte ich aus dem Zelt stürmen mit dem Vorwand etwas Essbares zu suchen. Aber Gelegenheit hin oder her, ich kam nicht weit, weil bei meiner Ruckartigen Bewegung sich mein Muskelkater meldete und mich fast niederstreckte. Tai setzte sich auf. „Au Mann. Dich hat’s ja ganz schön erwischt. Warte. Ich hab noch Kekse, die kannst du essen und ich massier dich inzwischen.“ Ich fand genau das war der angemessene Moment um zu erwähnen, dass das heute wirklich nicht mein Tag war. So saß ich hier. In unserem Zelt. Ich knabberte an einem Keks und Tai massierte mir die Schultern. Eine neue Ausrede hatte ich erst gar nicht in Erwägung gezogen. Der Schuss war gerade eben schon nach Hinten losgegangen. Stattdessen wunderte ich mich darüber, dass Tai mein Verhalten nicht merkwürdig fand. Ich selber fand mich auch furchtbar skurril. Einen halben Keks später hörte ich auf zu essen und legte die Kekspackung bei Seite. Eigentlich hatte ich ja eh keinen Hunger gehabt und der Schwarm Moskitos in meinem Bauch ließ auch nicht wirklich viel Platz für die Nahrungsaufnahme. Stattdessen konzentrierte ich mich völlig auf das was Tai hinter mit tat. Auf seine Hände, die mich sanft massierten. Das war eh viel interessanter, als so ein oller Keks. Doch auf einmal hörte er auf damit und hätte ich Sekunden später nicht seinen Atem an meinem Ohr gespürt, hätte ich wahrscheinlich lautstark protestiert. Stattdessen entkam meinem Mund nur ein winziges ersticktes Piepgeräusch, von dem ich hoffte, es mir nur einzubilden. „Wenn du dich hinlegst, kann ich dich besser massieren.“ Ich mag mich täuschen, aber auch mit seiner Stimme war eindeutig etwas nicht in Ordnung. Jedenfalls jagte sie mir einen Schauer nach dem anderen über die Schultern und vernebelte meine Sinne, was mich auch zu dem Schluss brachte, dass liegen doch gar keine so schlechte Idee war. So lag ich da auf dem Bauch und Taichi über mich gebeugt halb auf mir drauf. Eine Flasche Wodka hätte keine stärkere Wirkung auf mich haben können. Alles schien sich zu drehen und in weite Ferne zu rücken, als Tai anfing mich zu massieren. Im Weiteren kam ich zu dem Schluss, dass das, was er vorher gemacht hatte, nicht im Ansatz etwas damit zu tun hatte, was er gerade tat. Eben hatte er meine Schultern massiert. Sehr gut massiert. Ganz einfach. Aber was er jetzt tat, war mit dem Wort Massage einfach nicht mehr genügend zu beschreiben. Er strich mir ganz sachte über den ganzen Rücken. Langsam. Und fast zärtlich. An einigen Stellen erhöhte er dann den Druck und ich hatte nach ein paar Minuten wirklich das Gefühl, dass mein Muskelkater sich verabschiedete. Die nächsten Minuten verschwammen in meiner Erinnerung zu einem großen Ganzen, dass ich nicht wirklich beschreiben konnte, da ich nicht sagen konnte, wo seine Hände waren. Ich konnte höchstens sagen, wo sie nicht waren, denn das waren eindeutig sehr wenige Stellen. Ich kam nicht dazu auch nur einen Gedanken zu Ende zu denken. Ich biss mir auf die Lippen. Seine Hände glitten über meinen Rücken. Immer wieder. Ich war unendlich dankbar für das dünne Stück Stoff, dass seine Hände von meiner Haut trennten, da ich sonst hätte laut aufstöhnen müssen. Auch so war ich kurz davor und mit jeder neuen Strecke, die sich seine warmen Hände bahnten, wurde es immer schwerer diese Massage einfach nur entspannend zu finden. Ich brannte. Mein ganzer Körper schrie und ich hätte heulen könne, weil ich mich nicht umdrehen konnte um ihn leidenschaftlich an mich zu ziehen. Meine Selbstbeherrschung schwand immer mehr. Dennoch rührte ich mich nicht. Hielt nur ein Stöhnen zurück, dass dann aber doch lautstark seinen Weg nach draußen fand, als ich plötzlich Tais Hände auf meine blanken Haut spürte. Seine Hände waren unter mein T-Shirt gerutscht und hatten es mit einer leichten Bewegung weit nach oben geschoben. Mein ganzer Körper war in höchster Alarmbereitschaft, meine unteren Regionen noch mehr und eine Gänsehaut überkam mich am ganzen Körper mit einem Schauer, den er einfach bemerken musste. „Oh…tut mir Leid. Frierst du?“ Wäre ich nicht so verzweifelt gewesen, hätte ich gelacht. Denn mir war so heiß, dass eine Abkühlung in glühender Lava mir verlockend erschien. Ich weiß nicht wie und eigentlich weiß ich auch nicht wieso, ich die letzte Kraft meines Verstandes mobilisierte und ein angestrengtes Nicken zu Stande brachte und diese ganze wahnwitzige Situation auflöste, denn augenblicklich hörte Tai auf mich zu massieren. „Tschuldige, hat’s denn wenigstens etwas geholfen?“ Seine Stimme klang belegt und auch etwas zaghaft, als wäre auch ihm die Situation irgendwie entglitten. Und wieder bekam er nur ein Nicken zur Antwort. Ich blieb einfach so liegen wie ich war. Unfähig mich zu bewegen. Unfähig mit ihm zu reden. „Bist du müde?“ Ein Nicken. Diesmal etwas deutlicher. „Soll …ich dich was alleine lassen? Dann kannst du schon mal schlafen.“ Ein Nicken. Ich hörte Tai schlucken. “Okay…also ich…ich komm dann später nach.“ Mit diesen Worten verschwand er aus dem Zelt. Ich hörte wie er sich entfernte. Er rannte. Und ich…ich weinte. Ich konnte den Schwall Tränen, der mich auf einmal überkam nicht mehr zurückhalten. Ich vergrub die Hände im Gesicht und weinte einfach. Die Gefühle die ich für Tai hatte thronten in voller Blüte in meinem Herz, das sich krampfhaft zusammenzog, als es diesen Namen nur hörte. Es weinte. Schon so lange. Doch seit langen nicht mehr so laut. Ich hätte nie gedacht, dass eine einfache Situation so aus den Fugen geraten könnte, aber sie konnte. Und es reichte aus, alles was ich mir erarbeitet hatte über den Haufen zu werfen. Ich konnte damit leben, dass er nur ein Freund war. Ich hatte damit gelebt. Doch nur eine Sekunde Nähe reichte aus um eine Sehnsucht in mir zu wecken, die ich nicht mehr kontrollieren konnte. Eine Sehnsucht, die so wehtat, dass es mir die Luft abschnürte. Eine Sehnsucht, die mir zeigte, dass man sich nicht selber belügen konnte. Und Gott weiß, ich habe es versucht. Ich lag noch lange wach. Hatte die Augen geschlossen und wartete endlich vom Schlaf von diesem tag erlöst zu werden. Ziemlich spät kam Tai zurück und legte sich auch schlafen. Vorher fragte er noch leise, ob ich noch wach war. Ich antwortete nicht. Am nächsten Morgen wachte ich auf und wenn ich nur ansatzweise so aussah, wie ich mich fühlte, würde ich dieses Zelt nie wieder verlassen. Ich fühlte mich verkatert. Mein freudiges Weinen gestern Abend hatte seine spuren hinterlassen. Meine Augen waren noch leicht geschwollen, mein ganzes Gesicht spannte und ich hatte die Kopfschmerzen meines Lebens. Gott sei dank, viel es keinem weiter auf, da ich eh als Morgenmuffel bekannt war. Tai war auch wie immer. Na ja, fast. Irgendwie war er vorsichtiger im Umgang mit mir. Zurückhaltender. Als hätte er Angst etwas Falsches zu sagen. Ich war wohl auch nicht förderlich darin, ihm dieses Gefühl zu nehmen, denn ich zog mich ziemlich zurück. Nicht so, dass es auffiel. Ich machte bei allem mit was wir machten und ging ihm nicht aus dem Weg. Doch ich mied, seine körperliche Nähe und war innerlich einfach auf Distanz. Und irgendwie war ich mir sicher, dass er es merkte. Diese Situation war nicht die angenehmste, aber auch nicht so unangenehm und offensichtlich, dass einer von uns sie angesprochen hätte. So verging eine weitere Woche Zeltlager, samt all seiner schönen Aktivitäten. Und immer noch war alles wie immer, nur halt etwas angespannt. Ich hatte auch noch nicht weiter darüber nachgedacht, was an dem Abend passiert war. Was mit mir passiert war. Ich wollte nicht. Wir waren in Urlaub, ich konnte nicht weg und sollte ich bei weiteren Überlegungen zu dem Schluss kommen, dass ich nicht weiter in seiner Nähe so tun konnte als wäre nichts, wäre es hier der denkbar schlechteste Ort um diesen Entschluss zu fassen. Und so schlimm war es gerade ja auch nicht. Wir lachten auch weiterhin zusammen, machten Späße und genossen, soweit mir das bei Aktivitäten wie Kanu fahren möglich war, unsere Ferien. Was natürlich auch nicht fehlen durfte in unserem idyllischen Campingleben, waren die Abende am Lagerfeuer. Stockbrot, singen im Mondschein und dämliche Gruppenspiele. Tai fand das alles toll. Und alle fanden Tai toll. Ich weiß nicht wie er es machte, aber jeder liebte ihn. Nicht, dass mich das stören würde. Ich fand es nur faszinierend. Es war auch nicht so, dass mich hier niemand mochte. Nein, ich kam gut klar. Doch an Tais Geselligkeit kam keiner ran. Darum war ich auch umso verwunderter, als Tai während eines Abends am Lagerfeuer als einer der Ersten den Rückzug antrat. Meistens war ich das. Wir hatten uns alle mit den üblichen lächerlichen Spielen aufgehalten, was Tai in der Regel begeisterte. Doch er war unerwartet sehr still und verließ später dann ganz unsere Runde. Nach ca. zehn Minuten verschwand ich dann auch und folgte Tai in unser Zelt. Er lag auf seiner Seite und starrte Löcher in die Zeltdecke. „Hey, darf ich reinkommen?“ „Sonst hätte ich doch abgeschlossen.“ Ich lachte. Und er auch. Das war einer dieser Momente in denen zwischen uns alles okay war. Ich krabbelte auf meine Seite und sah ihn an. Er sah weiter zur Zeltdecke. „Du bist so schnell verschwunden.“ „War nicht so mein Gesprächthema.“ „Hach, ich finde es einfach furchtbar interessant zu erfahren, wie alt unser Lagerleiter bei seinem ersten Kuss war. Wirklich, dass war kein bisschen langweilig. Es war geradezu berauschend.“ „Du bist unmöglich Matt.“ „Ach komm schon, das ist lustig.“ Ich zwinkerte ihm zu und er starrte zwar weiter stur zur Zeltdecke, aber wenigstens sah ich ihn grinsen. Doch nur sehr kurz. Sofort wurde sein Blick wieder nachdenklich. „Und deiner war also mit 14?“ „Mhh?...nö.“ Er sah mich an und hob eine Augenbraue. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. „Ich war 15. Wollte das Durchschnittsalter nicht so drastisch erhöhen.“ „Du kannst echt lügen ohne rot zu werden.“ „Das nehme ich mal als Kompliment.“ Er lachte. „Mach das.“ Jetzt war es wieder einige Momente still. Er schien nachzudenken. Ich ließ ihn. „Und wen?“ „Mhh?“ „Wen hast du geküsst?“ Ich stutzte. Beschäftigte ihn das jetzt wirklich oder dachte er über andere Sachen nach und fragte nur um die Konversation zwischen uns nicht völlig erlöschen zu lassen? „Sora.“ Er zeigte nicht wirklich eine Reaktion. Ich konnte nur sehen, dass sich seine Gesichtszüge kurz anspannten. Danach zeigte er aber wieder keine Regung. Starrte nur die Decke an. Und ich ihn. Ging es wirklich darum? Oder fragte er nur um etwas zu sagen. „Und…wie war es?“ Ich zog leicht Luft ein. Seine Stimme klang nicht mehr ganz so teilnahmslos. Nein. Irgendwie... Na ja. Angepisst? Ich weiß nicht. Freudig erregt klang anders. Und ich begann mich zu fragen wieso ihn das anscheinend verärgerte. Eine sehr nahe liegende Möglichkeit schlug wiederum mir sofort aufs Gemüt. Er war eifersüchtig auf mich, weil ich Sora geküsst hatte. Was zur Folge hatte, dass er Sora mochte. Oder er war eingeschnappt, weil er es nicht wusste. Wir waren seine besten Freunde, wäre…na ja…zumindest eine Möglichkeit. Oder er war eifersüchtig auf Sora, weil sie mich geküsst hatte. Okay, da war der Wunsch der Vater des Gedanken. „Schrecklich.“ Sofort löste er seinen Blick von der Decke und ein paar forschende Augen musterten mich. Es schien, als suchte er den Wahrheitsgrad meiner Aussage in meinem Gesicht. Er suchte wohl nach einer spur Sarkasmus oder einem Grinsen, dass ihm verriet, dass ich ihn aufs Korn genommen hatte. Doch da suchte er vergebens. Es war wirklich schrecklich gewesen. Ehrlich. Bei manchen Leuten passt das mit dem küssen einfach nicht zusammen und es wird für beide schrecklich. So war es auch bei uns gewesen. „Wirklich?“ Ich lächelte ihn an. „Ja, es hat…einfach nicht gepasst.“ „Aha…“ Und sofort wirkte er wieder teilnahmslos und starrte seine ach so geliebte Zeltdecke an. „Wieso interessiert dich das so?“ Mein Herz schlug mir schon ganz schön bis zum Hals bei dieser Frage. Er hätte wer- weiß- was antworten können. Doch er zuckte mit den Schultern. „War nur neugierig.“ „Ach was.“ Also jetzt hätte er Sarkasmus in meinem Gesicht gefunden. Aber er starrte ja nur zur Decke. Tai war so komisch heute. Er musste doch irgendwie aus der Reserve zu locken sein. „Und wie war es bei dir?“ Aha. Lag da der Punkt? Sein Gesicht hatte so komisch gezuckt. Langsam wurde ich neugierig. „War was?“ Ohooo, wir stellen uns also blöd. Nicht mit mir mein Freund. „Wie alt warst du bei deinem ersten Kuss? Wer war es und wie war es?“ So! Versuch dich jetzt mal blöd zu stellen. Ha! Damit hatte er wohl nicht gerechnet, denn sonst war ich nie so direkt und wie ich zugeben musste war ich auch sonst wesentlich subtiler in meinen Methoden, aber der Zweck heiligte die Mittel. Zu meiner Überraschung wurde Tai rot. Ziemlich rot. Tomatenrot. Ich hob eine Augenbraue. Okay? Gruselig. „Was ist?“ Tais Antwort war ein Nuscheln, während er sein Gesicht zur Seite drehte. Ich rückte ein Stück näher und beobachtete ihn weiter. Ich lag auf der Seite, meinen Kopf auf meine Hand gestützt. „Was hast du gesagt?“ Jetzt war sein Nuscheln etwas deutlicher. Aber eben immer noch ein Nuscheln. „Was?!“ „Ich hab noch niemanden geküsst!“ Tai hatte sich urplötzlich zu mir umgedreht und schrie mir diesen Satz geradezu entgegen. Danach war es still. Ich wusste es nicht genau, aber ich glaube ich hörte ein paar Grillen zirpen. Er starrte mich an. Geschockt. Knallrot. Furchtbar süß. Ich tat das einzig falsche in diesem Moment und…fing an zu lachen. Ich weiß nicht was mich geritten hatte, aber ich konnte mich nicht beherrschen. Er war so niedlich in diesem Augenblick. Er sah wirklich so aus, als wäre diese Kleinigkeit der Weltuntergang. Wobei ich zugeben musste, dass es mich weniger schockte als erleichterte, dass noch niemand das Privileg hatte ihn zu küssen. Irgendwie fiel mir ein Stein vom Herzen, von dem ich gar nicht wusste, dass er auf ihm lastete. Tai fand das alles wohl nicht so lustig, denn er drehte sich mit hochrotem Kopf und einem Schnauben schneller wieder um, als ich reagieren konnte. Bzw. schneller, als mein kurzer Lachkick wieder verklimmen konnte. „Tai, hör zu…“ Whoar. Die Chipstüte ging nur haarscharf an meinem Kopf vorbei. Au weia. Er war wohl wirklich ziemlich eingeschnappt. Immer noch um meine Selbstbeherrschung ringend, da mir das Lachen noch im Hals steckte, rückte ich ganz nah zu ihm ran. Ein kleiner Blick über seine Schulter verriet mir, dass er schmollend auf seiner Unterlippe kaute. Gut, dass er mich nicht ansah, denn ich lächelte wirklich blöde. Und noch blöder als mein Lächeln war ich, da ich nicht mehr nachdachte und ihn von hinten umarmte. Wow, okay. Herzklopfen. Check. Atemnot. Check. Glückshormone. Check. Na ja, so schlimm wie ich befürchtet hatte, war es auch nicht ihm körperlich wieder so nah zu sein. Zumindest…ja, immerhin fing ich nicht wieder an zu weinen. Gott, war ich toll. Tai vor mir wandte sein Gesicht so weit ab, wie es möglich war ohne sich einen Genickbruch zuzuziehen. Aber zumindest sträubte er sich nicht gegen meine Umarmung. Ich vergrub mein Gesicht in seinen Haaren, meinen Mund ganz dicht an seinem Ohr. Sein Gesicht war immer noch möglichst weit abgewandt, aber er lehnte sich ein klein bisschen zurück. Kam meiner Umarmung entgegen. Ich schloss meine Augen und genoss es einfach hier so zu liegen und mich von seinem Duft benebeln zu lassen. Jedoch beschloss ich nach kurzer Zeit, doch wieder etwas zu sagen. „Tut mir leid.“, nuschelte ich leise und entschuldigend in sein Ohr. Würde mir so was nicht völlig fern liegen und wäre es auch nicht so was von uncool, könnte man fast behaupten ich säuselte es ihm ins Ohr. Aber eben nur fast. Er drehte seinen Kopf minimal ein Stück weiter in meine Richtung. Das war zumindest ein Anfang. „Ich erzähl dir nie wieder was.“ Nuschelte er beleidigt und man hörte in jeder Silbe, dass es nicht stimmte. Ich lächelte. „Okay.“, sagte ich leise. „Du bist blöd.“ „Ja.“ „Und gemein.“ „Ich weiß.“ „Ich bin wirklich sauer.“ Ein herzhaftes Lachen meinerseits konnte gerade noch so mit unmenschlicher Anstrengung in ein Grinsen verwandelt werden. Seinen letzten Satz hatte er einfach so trotzig und so völlig überhaupt nicht sauer von sich gegeben, dass ich wusste, dass ich gewonnen hatte. Ich umarmte ihn noch ein wenig fester und meine Lippen waren so nah an seinem Ohrläppchen, dass ich seine Haut schon fast spüren konnte. „Verzeihst du mir?“ Meine Stimme war noch leiser als eben. Ich stupste ihn einmal mit der Nase an und kuschelte mich danach in seine Halsbeuge. Dann wartete ich. Bestimmt ein paar Minuten, bevor er mir mit einem sehr, sehr leisem „Okay.“, antwortete. Zehn Sekunden später folgte dann noch ein etwas lauteres „Ausnahmsweise.“ Meine Reaktion war nur, dass ich ihn noch fester in meinen Armen hielt. Ich wollte ihn gerade nicht loslassen. Um keinen Preis. Er tat auch nichts dagegen. Ich weiß nicht nach wie vielen Minuten ich wieder etwas sagte. „Und du hast wirklich noch niemanden geküsst?“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Nicht mal beim Flaschendrehen?“ Ein Kopfschütteln und ein Schnauben. Okay, vielleicht wusste ich einfach nicht, wann ein Thema mal gegessen war und es besser gewesen wäre, einfach mal die Klappe zu halten, aber verdammt, es interessierte mich. Ich wartete ein, zwei Minuten bevor ich wieder ansetzte. „Tai?“ „Mhh?“ „Wieso nicht?“ Jetzt schien er überrascht und runzelte die Stirn. „Wie wieso?“ „Tai, du bist der Kapitän unserer Fußballmannschaft und ich fürchte du hast auch schon deinen eigenen Fanclub. Zumindest deutet die kreischende Horde Mädchen, die immer am Spielfeldrand steht, stark darauf hin.“ „Na und?“ „Na ja, Gelegenheiten hättest du wohl gehabt. Zu genüge.“ „Ich küss doch nicht jeden. Und es hat sich einfach noch nicht ergeben.“ Seine Antwort kam so selbstverständlich, dass ich froh war, dass ich hinter ihm lag, da ich jetzt rot wurde. Glaubte ich zumindest, denn meine Wangen glühten. Jeden küssen. Genau das hab ich gemacht. So mit fünfzehn, sechzehn. Und ich fand es toll. Daran sah ich mal wieder wie verschieden wir doch manchmal waren. Was nichts Schlimmes war. Es viel mir nur auf. Seine Stimme riss mich aus den Erinnerungen an meine unheilige Jugend. „Aber mit siebzehn hink ich wohl doch was hinterher oder?“ Da viel mir zum ersten Mal auf, dass auch Tai so seine altersbedingten Problemchen hatte. Seine Stimme war so unsicher. Im Normalfall war ihm kaum was peinlich. Er neigte in der Regel auch nicht zu sonderlicher Sensibilität oder zu Stimmungsschwankungen oder zu schlechter Laune. Alles Sachen, die mir persönlich bestens bekannt waren. Doch jetzt sah ich, dass auch er einfach siebzehn war. „Nein, das ist völlig okay.“ Er lachte leise. „Na dann.“ Ab jetzt sagte keiner mehr was. Ich hielt ihn im Arm. Er drehte sich noch ein kleines Stück mehr zu mir um und so blieben wir für bestimmt eine Stunde liegen. Zwischendurch zog ich meinen Schlafsack zu uns rüber und deckte uns provisorisch zu. Es war gemütlich und warm und ich war sehr müde. Doch an schlafen war nicht zu denken. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich war angestrengt damit bemüht meinen Atem ruhig und gleichmäßig zu halten, damit er nicht merkte, wie nervös ich war. Doch ich hätte nicht glücklicher sein können. Nach noch ca. einer weiteren halben Stunde, soweit mein Zeitgefühl mir das vermitteln konnte, bewegte er sich wieder und drehte sich ganz zu mir um. Er sah mich nicht an, sondern schmiegte seinen Kopf sofort an meine Schulter und hielt unsere Umarmung aufrecht, so dass ich gar nicht erst die Möglichkeit hatte ihn fragend anzusehen. Also blieben wir in dieser Position liegen. Für mich machte es keinen Unterschied wie ich lag, während mein Herz Saltos schlug. Irgendwann dachte ich er wäre eingeschlafen und erschreckte mich fast zu Tode als er mich plötzlich ansprach. „Matt?“ „Ja?“ „Schläfst du schon?“ „…“ „Kann ich dich was fragen?“ „Klar.“ Ich merkte, dass er zögerte. Er zappelte leicht und schien sich nicht schlüssig zu sein, was er jetzt fragen wollte. „Würdest du mich küssen?“ Wow! Mir entglitten sämtliche Gesichtszüge, denn eine Marschkapelle samt Tambourmajor, die durch unser Zelt marschiert, hätte mich nicht mehr erschrecken können. Was? Entschuldigung, WAS?! Ich musste mich verhört haben. „Was!?“ Tai schluckte. Und stammelte. Druckste rum. Und ich wurde an die Grenze zum Wahnsinn getrieben. „Ich…also weißt du…ich bin siebzehn und hab noch nie….und bei dir, also…da wäre es…irgendwie okay…glaub ich.“ Er vergrub seinen Kopf zwischen meiner Schulter und dem Schlafsack unter uns und ich überschritt die Grenze und wurde wohl tatsächlich wahnsinnig. Meinte er das ernst? Konnte er das ernst meinen? Ich versuchte mich zu konzentrieren, falls er noch etwas sagen sollte, denn gerade nahm ich nur meinen Herzschlag war, der unerträglich laut in meinen Ohren dröhnte. Und die wichtigere Frage war, wenn er es ernst meinte, konnte ich das tun? Sollte ich? Durfte ich das überhaupt? Er wollte eine Erfahrung sammeln. Er vertraute mir und wollte seinen ersten Kuss mit mir teilen. Und was würde ich tun? Für mich wäre es anders. Meine Gefühle waren anders. Und er wusste es nicht. Durfte ich ihn unter diesen Vorraussetzungen einfach küssen? Mal davon abgesehen, dass für mich danach alles noch unerträglicher werden würde, war es doch einfach nicht richtig, oder? …Oder? Ein Rascheln riss mich aus meinem innerlichem Kampf in die absurde Szene zurück in der ich mich befand. Tai löste unsere Umarmung, entfernte sich ein Stück von mir und sah mich an. Abwartend. Wunderschön. Ich war ja so was von am Arsch. Ich sah ihn an und kam mir vor wie eine fette Spinne, die ihr neues Opfer im Visier hatte und darauf wartete über es herzufallen. Nur mit dem klitzekleinem Unterschied, dass mein Opfer das Netz selber gewebt hatte, voller Elan rein gesprungen war und nun mit einer Schleife um den Kopf schrie: „Friss mich!“ „Bist du…sicher?“ Wahnsinn. Ich war eindeutig durchgeknallt, denn in diesem Moment wurde mir klar, dass ich es wirklich tun würde. Meine Stimme war leicht brüchig und ich hoffe inständig, dass man mir meinen Schock nicht ansah. „Heißt das, du würdest?“ „Klar. Ist doch nichts dabei.“ Es war eine schauspielerische Höchstleistung, für die ich eindeutig einen Oskar verdient hätte, diesen Satz so zu sagen, dass er sich anhörte, als wäre das ganze wirklich keine Große Sache. Als wäre diese Situation für mich nicht das siebte Weltwunder. Tai entfernte sich noch ein Stück von mir um mich besser ansehen zu können. Er knabberte leicht an seiner Unterlippe und sah mich abwartend an und jetzt wurde mir bewusst, dass ich aus dieser Situation wohl nicht mehr raus kam. Ich würde ihn wirklich küssen. Ich sah ihn an. Er sah so gut aus. Obwohl wir lagen, kam mir gerade in diesem Moment in den Sinn, dass er größer war als ich, dass er sportlich war und durchtrainiert, dass seine Haut sonnengebräunt war und sich unter seinem T-Shirt bei jedem Atemzug seine Bauchmuskeln langsam auf uns ab bewegten. Vor mir lag mein bester Freund, der Mr. November alle ehre machen konnte und wartete darauf, dass ich ihn küsste. Wo waren die Leute, die aus dem Gebüsch sprangen und riefen: April! April! , wenn man sie mal brauchte? Die Stimmung zwischen uns war so angespannt, dass ich mich kaum traute zu atmen. Ich sah, dass sich sein Brustkorb schnell hob und senkte. Sein Körper schien angespannt. Ich war wie gelähmt. ‚Verdammt tu was!’, hallte es in meinem Kopf. Doch ich regte mich nicht. Irgendwie war ich dann froh, als Tai endlich was tat, obwohl deswegen mein erhöhter Herzschlag in meiner Brust schon anfing weh zu tun. Er kam mir plötzlich näher und ich muss sagen er war schon verdammt nah. Noch verwirrter war ich, als sich plötzlich meine Perspektive um neunzig Grad drehte und er mich sanft aber bestimmt nach hinten drückte, so dass ich auf dem Rücken lag. Er stütze sich über mir ab. Eine Hand rechts und eine links von mir, war ich völlig von ihm eingekesselt. Nicht dass ich mich beschweren würde, aber ich fand, dass ich meine Spinne – Opfer – Theorie noch einmal überdenken sollte. Als er noch näher kam, hielt ich die Luft an. Doch er stoppte mit seinem Gesicht kurz vor meinem und legte seine Stirn an meine. Unsere Nasenspitzen berührten sich und seine Nähe machte mich schier wahnsinnig. Seine Stimme war so dunkel und leise, dass es mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte. „Darf ich wirklich?“ Das war der Punkt an dem sich meine Selbstbeherrschung zum Urlaub nach Hawaii verabschiedete und ich es nicht mehr aushielt. Ich überbrückte den letzten Abstand zwischen uns, hob meinen Kopf ein Stück an und drückte meine Lippen mit einer solchen Sehnsucht auf seine, dass die Gefühle in meinem Körper explodierten und ich jetzt schon nicht mehr wusste wohin mit mir. Mir schwirrte der Kopf. Ich küsste ihn. Es war…der pure Wahnsinn. Eine Supernova der Gefühle, eine Sturmflut in meinem Körper. Ich weiß nicht genau was es war, aber es war von der Größenordnung in die Kategorie Urknall einzuordnen. Ich spürte wie er sich bei meiner plötzlichen Überschwänglichkeit kurz überrascht verkrampfte. Doch nach ein paar Sekunden schien ein Ruck durch seinen Körper zu gehen und er küsste mich mit einer solchen Heftigkeit zurück, dass ich überrascht aufstöhnte. Seine Hände waren immer noch rechts und links von mir, aber er hörte auf sich ganz abzustützen und unsere Körper trennten nur noch unsere Klamotten, die nicht verhindern konnten, dass ich fühlte wie heiß Tais Haut unter seinem T-Shirt war. Wäre ich noch in der Lage zu klaren Gedanken gewesen, hätte ich daran gezweifelt, dass das hier wirklich sein erster Kuss war, denn er wusste genau was er tat. Er fuhr mit seiner Zunge meine Lippen entlang, bis ich ihm mit meiner eigenen entgegen kam. Er lockte sie in seinen Mund und biss leicht zu. Wieder stöhnte ich in den Kuss hinein. Was er hier machte war so verdammt sexy, dass ich mich vor Begeisterung kaum halten konnte. Meine Hände machten sich selbstständig. Mit der einen fuhr ich über seinen Rücken und mit der anderen fuhr ich ihm über den Nacken in die Haare und zog ihn noch fester an mich. Unser Kuss wurde noch ein wenig heftiger. Ich strich ihm über den Rücken, weiter nach unten und konnte nicht widerstehen einmal leicht über seinen Hintern zu streichen. Er stöhnte laut auf und sah mich geschockt an. Wobei ich glaube dass er geschockter über seinen Ausbruch als über meine Berührung war. Zumindest ließ die leichte Röte auf seinen Wangen darauf schließen. Seine Augen waren noch dunkel und verklärt und sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Ich ließ meine Hand trotzdem auf seinem Hintern liegen. Sie lag da einfach zu gut. Mit der anderen Hand strich ich ihm ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Ich suchte in seinen Augen nach irgendeiner deutbaren Regung. Wut, Abscheu, Freude. Irgendwas. Doch sie wirkten einfach nur leicht abwesend. Plötzlich ließ er sich wieder sinken, schmiegte seinen Kopf in meine Halsbeuge und umarmte mich. Ich zog kurz überrascht Luft ein, tat es ihm aber dann gleich und umarmte ihn sanft. Er lag dicht an meinem Ohr und ich spürte seinen Atem. Er hob den Kopf wieder leicht an, so dass ich besser verstehen konnte, was er sagte. „Wow?“ Ich lachte leise auf. „Ja, Wow.“ Als ich am nächsten Tag aufwachte war Tai nicht mehr da. Ich stutzte. Kramte nach meinem Handy. Kurz nach acht. Für gewöhnlich schlief er noch um diese Zeit. Vor allem hatten wir gestern wohl beide nicht viel geschlafen. Wir haben kaum noch was gesagt. Blieben einfach dicht beieinander liegen. Ich weiß nicht wie es bei ihm aussah, aber bei mir hatte es schon sehr lange gedauert bis der Schlaf mich übermannte. Was auch damit zu tun hatte, dass es ziemlich lange gedauert hatte, bis die ziemlich große Beule in meiner Hose abgeklungen war. Was er jetzt wohl dachte? Es war zwar seine Idee gewesen, aber meine Eigeninitiative während des Kusses war nicht wirklich zu leugnen. Jetzt war wohl alles komplizierter als vorher. Trotzdem. Ich konnte mir ein dümmliches Lächeln nicht verkneifen, denn ich würde es jederzeit wieder tun. Ich bereute es nicht wirklich. Ich hatte auch noch nicht sonderlich viel darüber nachgedacht, denn die Auswirkungen des Kusses ließen solche Gedanken noch nicht zu, da sie in regelmäßigen Abständen Glückshormone durch meinen Körper jagten. Nach einer halben Stunde rappelte ich mich endlich auf. Nach einer weiteren Stunde war ich mit meinem Morgenprogramm fast durch. Frisch geduscht machte ich mich auf die Suche nach einem Kaffee, ohne den ich eindeutig eine Gefahr für die Menschheit darstellte. Auf dem Weg zum Kiosk lief ich einen kleinen Umweg, den ich immer machte, weil mir da in der Regel keiner entgegen kam, denn ich war um die Uhrzeit noch nicht in der Verfassung jemanden zu Grüßen. Als ich um die Ecke eines kleinen Gartenhäuschens bog, blieb ich wie angewurzelt stehen. Keine zwei Meter von mir entfernt stand Tai. Mein bester Freund und gleichzeitig der Junge den ich gestern Nacht geküsst hatte, stand unmittelbar vor mir und beugte sich zu einem Mädchen runter. Er küsste sie. Ich hatte das Gefühl keine Luft zu bekommen, so heftig brach der Schmerz über mir zusammen. Das konnte er nicht tun. Nein. Nicht jetzt. Nach ein paar Sekunden bemerkte er mich und schreckte hoch. „Matt?! Was machst du hier?“ Das Gefühl war von seiner Intensität etwa mit dem von Gestern zu vergleichen. Es war so heftig. Nur war es überhaupt nicht schön. Nein, ganz und gar nicht. Ich sah ihn nur an und ich spürte wie etwas Warmes meine Wange entlang rann. Ich weinte, aber es war mir egal. Mit einem Schlag war mir alles egal. Tai sah mich mit geschockten Augen an und ging einen Schritt auf mich zu. „Matt hör zu…“ Er streckte die Hand nach mir aus. Ich schlug sie so heftig weg, dass er erschrocken stehen blieb. Ich sah ihm noch kurz in die Augen. Dann auf das verschreckte Mädchen hinter ihm. Sie verbrachte auch ihren Urlaub hier. Ich kannte noch nicht mal ihren Namen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Tai wieder ansetzte in meine Richtung zu gehen. Mit einem Blick brachte ich ihn zum stehen. Dann drehte ich mich um und ging. Ich lief nicht weg. Ich ging zügig davon. Ich hörte Tai hinter mir meinen Namen flüstern. „Matt, warte…“ Das hielt mich nicht auf. Doch dann hörte ich ihre Stimme. „Lass ihn Tai, nicht jetzt.“ Und ich rannte. Rannte soweit ich konnte. Nach einer halben Stunde ging mir die Puste aus und ich setzte mich irgendwo auf einen blöden Stein in diesem blöden Wald, der das Camp umschloss. Dann weinte ich. Bis ich mir sicher war keine einzige Träne mehr übrig zu haben. Ich war ja so dumm gewesen. Nicht, dass ich mir wirklich Hoffnungen gemacht hätte. Aber das. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet. Wollte er mich deswegen küssen? Zum üben? Ich war solch heftigen Gefühlen immer aus dem Weg gegangen. Hatte mich nie ernsthaft auf jemanden eingelassen. Hatte bis zu diesem scheiß Urlaub verdrängt, dass ich in Tai verliebt war. Und jetzt wusste ich auch wieder wieso. Es tat weh. So unglaublich weh. Und es war heftig. Heftiger als alles andere. In mir war kein Platz mehr für etwas anderes, als diese unendliche Enttäuschung. Und ich war sauer. Alles in allem fühlte ich mich einfach Scheiße. Verdammt Tai, warum? Irgendwann ging ich zurück. Keine Ahnung wie lang ich weg war, aber ich hatte Hunger und keinen Bock weiter darüber nachzudenken. Das hatte doch alles keinen Zweck. Ich kam immer nur wieder zu dem Ergebnis, dass ich saudumm war, mich in etwas verrannt hatte ohne es auch nur zu ahnen und Tai ein unsensibles Arschloch war. Damit war ich fertig mit dem Thema. Ich würde mir irgendwo ein eigenes Zelt besorgen und diesen verdammten Urlaub so souverän wie möglich über die Bühne bringen. Nach einer Stunde hatte ich mir einen Kaffee und ein Frühstück besorgt. Tai war ich Gott sei dank noch nicht begegnet. Mittlerweile war es Mittag. Es wurden viele dämliche Aktivitäten angeboten von denen man sich eine aussuchen sollte. Ich entschied mich für irgendeinen dämlichen Kurz – Basteln – lernen – Workshop, weil ich wusste das Tai hier niemals auftauchen würde. Zumal heute auch Fußball angeboten wurde. Ich sah ihn tatsächlich nicht und so wurde es abends. Das Abendessen mied ich auch. Ich ging spazieren. Hey, ich war wirklich gut darin Leuten aus dem Weg zu gehen. Wenn ich das die nächsten dreieinhalb Wochen auch noch hinbekam war doch alles in Butter. Ich habe Tai seit dem wirklich nicht ein einziges Mal gesehen. Dauernd war ich in Bewegung. Ich war nicht einmal bei unserem Zelt. Ab und zu traf ich Leute, die mir sagten, dass Tai mich überall suchte und ich kam mir vor wie auf der Flucht. Aber Gott sei dank traf ich ihn nicht, so dass ich mich nicht doch noch Film reif irgendwo hinter einem Müllcontainer verstecken musste. Kurz sah ich jedoch das Mädchen, dass er geküsst hatte. Sie war hübsch. Leider. Und ich wusste immer noch nicht ihren Namen. Darüber war ich sogar einigermaßen froh, denn ich fand nicht, dass „es“ einen Namen verdient hatte. Okay, vielleicht war ich unfair, aber ich konnte sie nicht ausstehen und ich fand das war mein gutes Recht. Eine Stunde nach dem Abendessen und nach langen Spaziergängen quer durchs Camp, steuerte ich die Campküche an um mir noch irgendwas zum Essen zu organisieren. Es war schon fast dunkel. Ich bog um die Ecke zum Hintereingang der Küche und sah jemanden vor der Tür lehnen. Ich blieb stehen. Zwei Sekunden später erkannte ich wer es war. “Tai!“ Er sah mich an und stieß sich von der Tür ab. Ging auf mich zu. Ich konnte sein Gesicht nur noch undeutlich erkennen. Wie geschockt stand ich da. Völlig überfordert. Ich wollte ihn noch nicht sehen. Ich konnte noch nicht. Ich würde weinen und das wollte ich nicht. Nicht schon wieder. „Ich hab mir gedacht, dass du hier hinkommst.“ Seine Stimme war sanft und ziemlich unsicher. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging von ihm weg. Sofort hörte ich Schritte, er kam mir hinterher. Das machte mich unsagbar sauer. Ich wollte ihn nicht sehen. Verdammt, wenigstens in Ruhe lassen könnte er mich. Ich legte einen Schritt zu und spürte plötzlich, dass er mich an der Schulter packte und mit einen Ruck zu sich umdrehte. „Fass mich nicht an!“ Ich weiß nicht, ob ich überreagierte, aber es war mir auch egal. Ich wollte nicht dass er mich anfasste. Nicht mehr. Ich schubste ihn heftig zurück und er viel auf den Boden und wirbelte ziemlich viel Staub auf. Neben ihm war die Hauswand. Wenn ich ihn in die Richtung geschubst hätte, hätte das richtig wehtun können. Ich verdrängte den Gedanken und funkelte ihn böse an, als er aufsprang und sich provisorisch den Staub von den Sachen klopfte. „Scheiße, Matt!“ Er schien jetzt auch ziemlich angepisst. Wieso durfte er mich anschreien? Das war nicht fair. Allein bei diesen Gedanken hätte ich wieder losheulen können, doch ich hielt mich zurück. Krampfhaft. Er aber nicht, denn er ging einen ziemlich großen Schritt auf mich zu, stand jetzt fast vor mir. Ich wollte gerade wieder einfach abhauen, als er mich am Handgelenk packte. “Verdammt noch mal, hör mir doch erstmal zu!“ „Will ich aber nicht.“, erwiderte ich knapp und machte Anstalten mich wieder umzudrehen. Doch er hielt mich fest. Bewegte sich keinen Zentimeter. Hielt nur unerbittlich mein Handgelenk an Ort und Stelle. „Du bleibst hier!“ Ein Befehl, der mir durch Mark und Bein ging. Seine Stimme war ein tiefes Grollen. Ich blieb wirklich kurz stehen, bevor ich richtig sauer wurde. Ich drehte mich um und haute ihm mit der freien Hand eine rein. Mit einem schmerzerfüllten Laut stolperte er etwas zurück. Hielt mich aber dennoch fest und das gab einen schmerzhaften Ruck in meinem Arm. Mit seiner freien Hand griff er sich ins Gesicht. Ich hatte einen 1A Kinnhacken gelandet. Eigentlich wollte ich ja einfach weg. Ihn keines Blickes würdigen. Aber das unheimliche Verlangen ihn anzuschreien überkam mich, wie eine Flutwelle. „Na? Tat’s weh?“ Meine Stimme war ein Zischen. Bedrohlich und leise. Tai funkelte mich an. „Allerdings.“ „Gut!“ Jetzt schrie ich. „Sollte es auch!“ Ich fing an, an meinem Arm zu zerren, den er immer noch umklammert hielt. „Lass mich los, verdammt noch mal!!! Du bist so ein riesen Arschloch!!“ Doch immer noch blieb Tai verhältnismäßig ruhig. Ich spürte, dass er innerlich kochte, aber er schrie nicht zurück. Er blieb ruhig stehen, funkelte mich an und hielt mein Handgelenk fest. Ich warf ihm eine Beleidigung nach den anderen an den Kopf. Schrie und zappelte, aber er ließ nicht locker. Ich merkte, wie mich in meiner Wut, meine Gefühle wieder übermannten und ein paar Tränen flossen. Ich hoffte so sehr, dass sie ungesehen blieben. Doch statt mich zu beruhigen, tobte ich noch mehr. „Verdammt Tai, was war das gestern für dich?! Die Generalprobe?!“ Ich hob meine freie Hand und wollte gerade wieder zuschlagen, doch er fing meine Hand ab. Ich versuchte mich loszureisen, heftiger als eben noch. Oder ihm zumindest noch irgendwie eine rein zuhauen. Ich schrie ihn an, fing dabei an zu heulen und ich hasste es. Hasste ihn. Hasste mich. Mit einem Ruck schob er meine Handgelenke hinter meinen Rücken, hielt sie da fest und machte mich somit praktisch bewegungsunfähig. Außerdem war ich ihm so nah, dass es wehtat. Es war zwecklos weiter zu toben, also hörte ich auf. Zum ersten Mal sah ich ihm ins Gesicht. Vorwurfsvoll. Seine Augen weiteten sich. Wahrscheinlich, weil er jetzt erst sah, dass ich weinte. Ich schrie nicht mehr. Eigentlich flüsterte ich eher. Zwischen durch musste ich heftig ein und ausatmen um meine Tränen halbwegs unter Kontrolle zu halten. Und bei meinen Worten konnte ich ihm nicht länger in die Augen sehen. „Verdammt Tai, du wusstest es. Du musst einfach etwas gemerkt haben.“ Ich ließ meinen Kopf kraftlos auf seine Schulter sinken. „Du wusstest genau, dass mir der Kuss etwas bedeutet hat.“ Ein paar Sekunden passierte Nichts. Ich hörte mein leichtes Schluchzten und das Blut pochte noch in meinen Ohren. Dann plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper und ich wusste nicht mehr was mit mir passierte, als er mich völlig unvermittelt und unsanft an die nahe Hauswand donnerte. Mir blieb kurz die Luft weg, so heftig drückte er mich gegen das Haus. Mein Kopf jedoch landete nicht an der Hauswand, denn Tai hatte seine Hand vor meinen Hinterkopf geschoben, bevor er unsanft aufstoßen konnte. Mit der anderen Hand hielt er meine beiden Hände über meinem Kopf an die Wand gedrückt, so dass ich mich immer noch nicht rühren konnte. Der raue Putz kratze an meinen Handgelenken. Alles drehte sich kurz und ich brauchte ein paar Sekunden um die Augen zu öffnen und nicht nur Sterne zu sehen. Ich sah Tai, der mich böse anfunkelte. Völlig außer Atem mit einem Blick, der mir eine Gänsehaut verpasste. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Sein Körper strahlte eine unglaubliche Wärme aus. Mir war so unerträglich heiß. Seine Stimme war so leise und so wutverzerrt, dass ich sie nur hören konnte, weil er so nah bei mir war. „Manchmal bist du so blöd, dass es wehtut.“ Ich starrte ihn an. Perplex. Geschockt. Er starrte zurück und biss sich kurz auf die Lippen. Dann küsste er mich. Sein Kuss war wütend und grob. Er drückte mich noch viel näher an die Wand. Der Putz unter meinen ungeschützten Handgelenken bohrte sich in meine Haut. Ich stöhnte wegen dem Schmerz auf, doch der Kuss schluckte das Geräusch. Und wehren tat ich mich auch nicht. Ich war zu geschockt. Zu verwirrt. Und viel zu kraftlos. Nach kurzer Zeit ließ er von meinem Mund ab und fing an meinen Hals zu küssen. So leidenschaftlich, dass ich nicht mehr wusste, was ich tun sollte. Ich stöhnte leicht auf, als er mit seinen Küssen mein Ohr erreichte. Er hauchte „Idiot.“, in mein Ohr und biss in mein Ohrläppchen. Und das war der Moment an dem mir alles egal wurde. Alles was heute passiert war. Ich war so ausgelaugt und er gab mir das, was ich dachte für immer verloren zu haben. Er ließ von meinem Hals ab und die Stellen, die er geküsst hatte, brannten noch nach. Doch bevor ich auch nur noch einen Gedanken fassen konnte, küsste er mich wieder. Und diesmal machte ich mit. Als er das merkte, küsste er mich noch heftiger und trieb mich endgültig in den Wahnsinn. Seine Zunge berührte meinen Mund. Lockte meine hervor. Ich weiß nicht wie er das schaffte, aber er war immer noch so bestimmend und wütend in seinen Küssen wie am Anfang, dennoch war er so behutsam und zärtlich, dass mir ein Schauer nach dem anderen über den Rücken lief und mein Blut zum kochen brachte. Als er wohl bemerkte, dass ich keinerlei Widerstand mehr gab, ließ er meine Arme los. Seine Hand hinter meinem Kopf blieb da, doch zog sie mich immer fester an ihn, während er mich mit seinem Körper an die Wand presste. Mit seiner freigewordenen Hand umschlang er sofort meine Taille und eliminierte jeden Millimeter Abstand, der noch vorhanden war. Meine Hände löste ich nur langsam von ihrer Position über meinem Kopf und umschlangen seinen Körper. Er strahlte eine so unglaubliche Wärme aus, dass es kaum auszuhalten war. Und ich bekam nicht genug davon. Er schob ein Bein zwischen meine und ich musste laut aufstöhnen. Unsere Gesichter wichen keinen Millimeter zurück, aber er unterbrach den Kuss ganz kurz und ich merkte, spürte und fühlte einfach, dass er dreckig grinste. Gerade wollte ich ihm, immer noch nach Luft schnappend, was Passendes sagen, als die Hand, die er um meine Taille hatte unter mein T-Shirt wanderte und über meinen Bauch strich. Die passende Antwort blieb mir im Hals stecken, nur ein heißeres Quietschen kam aus meiner Kehle, ich biss mir verzweifelt auf die Lippen und hoffte so ein weiteres Stöhnen zu unterdrücken. Ich sah, dass Tai mein Gesicht beobachtete und es schien ihm verdammt viel Spaß zu machen. Mit einem lasziven Lächeln sah er mich an und näherte sich dann wieder meinem Hals. Er biss ziemlich stark in meine empfindliche Haut, während seine Hand über meinen Bauch fuhr und er sein Bein noch fester gegen eine bestimmte Stelle drückte. Ich stöhnte verdammt laut auf und vergrub reflexartig meinen Kopf in Tais Halsbeuge um die Geräusche zu dämpfen. Nach Luft ringend und leicht lachend flüsterte ich ihm das einzige ins Ohr, was mir dazu noch einfiel. „Arschloch.“ Tai lachte leise und zog mich in eine Umarmung. Bestimmt verging eine Minute bevor er wieder etwas sagte. Er löste die Umarmung soweit, dass er mir ins Gesicht sehen konnte. „Hörst du mir jetzt zu?“ Er sagte es sanft, leise und sehr unsicher. Sein Blick war flehend und bittend und ich schloss die Augen für einen Moment. „Idiot.“ Das war meine Antwort. Aber das war okay, denn er wusste wie es gemeint war. Das, was er als nächstes sagte, warf mich dafür wieder völlig aus der Bahn. „Ich bin schwul.“ Mir lagen ein dutzend ziemlich ironischer Antworten auf der Zunge. Aber mit unmenschlicher Anstrengung verkniff ich mir das und begnügte mich gnädig damit eine Augenbraue hoch zuziehen. „Und ich bin in dich verliebt.“ Und die Augenbraue fiel. In der nächsten halben Stunde vermittelte mir Tai extrem umständlich, dass er seit langer Zeit in mich verliebt war und ihn unser Kuss völlig aus der Bahn geworfen hatte. Miako, so hieß das Mädchen, das er geküsst hatte, nicht dass ich es wissen wollte, hatte ihm die Ferien über zugehört. Nach dem Kuss war er so durcheinander, dass er wissen wollte, ob er wirklich schwul war und ob sich ein Kuss mit einem Mädchen genauso anfühlte wie mit mir. Idiot! Mal ehrlich. Nach seinen umständlichen Ausführungen des heutigen Tages stoppte er seine Erzählungen und schaute mich an. Er sah aus wie ein geprügelter Hund. „Verzeihst du mir?“ Ich lachte. Er war ja so ein Idiot. Aber jetzt, war er wenigstens mein Idiot. Ich viel ihm in die Arme und küsste ihn, als gäbe es kein Morgen mehr. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass diese Sommerferien gar nicht so schlecht werden würden. ~Ende~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)