it's gonna be fucking good von abgemeldet (One Shot Collection) ================================================================================ OneShot #1: Nightmare --------------------- Muss ich den Sterben um zu Leben? Hier sitzt er, allein. Wie jede Nacht sitzt er hier auf der Straße und wünscht sich, tot zu sein. Niemand hatte ihn vor 16 Jahren gefragt, ob er leben wollte und wenn, er hätte sicherlich „Nein“ gesagt. Wenn er könnte, würde er es ändern, würde er alles ändern, was auch immer zu ändern ist. Er würde es tun. Schlimmer kommen konnte es ja nicht. Er sieht hinauf in den schwarzen Himmel, nur schwach ist der Mond zu sehen. Selten sieht er hier Sterne am Firmament, dabei würde er gerne nach ihnen greifen… Fest hält er das Messer in seiner Hand, wie in jeder Nacht. Es ist der Stern nach dem er greifen möchte, sein einziger Halt. Er schläft nachts nicht, nie. Man sieht es ihm an, er schläft viel zu wenig. Seine schwarzen Haare, seine blasse Haut und seine hellen blauen Augen lassen ihn krank wirken, viel zu weiß im Gesicht und auch die dunklen Schatten unter seinen Augen bringen keine Farbe hinein. Aber er sitzt lieber hier draußen und sieht sich die endlose Schwärze über sich an, als wach in seinem Bett zu liegen und schließlich doch nicht einschlafen zu können. Er weiß, er kann nicht ewig weglaufen. Nacht für Nacht sitzt er hier um seinen Träumen aus dem Weg zu gehen. Oft weiß er nicht, ist es Traum oder Wirklichkeit. Doch er braucht nur an sich herunter zu sehen und er weiß, es ist nicht nur ein Traum. Er sieht die blasse Haut, die sich straff über seine Knochen legt, er sieht die dünnen Muskelstränge zucken, eingerahmt von Schrammen, Kratzern und Blutergüssen und er spürt den Schmerz durch seine Adern fließen, der das Blut aus seinem Körper jagt. Er hört die Schreie seiner kleinen Schwester in seinen Ohren widerhallen und sieht den irren Blick seines Vaters vor seinen Augen und er weiß, der Traum geht weiter. Sein Griff um das Messer wird fester, angespannter. In seinem Inneren spürt er die brodelnde Wut, wie sie lodert und züngelt, nach ihrem Opfer schreit und er wird ihr ein Opfer bringen…bald. Langsam steht er auf. Er weiß nicht, wo er hingeht, er geht einfach durch die Straßen der Stadt. Eine schreckliche Stadt, wie ein Gefängnis. Sie sperrt ihn ein, drängt ihn dorthin zurück wo er herkam, damit er dort elendig zugrunde geht. Aber er muss es irgendwie schaffen diesen Mauern zu entkommen, sie hinter sich zu lassen und ein Leben zu führen, dass auch den Namen ’Leben’ verdient. Niemand wird ihm dabei helfen, das weiß er nur allzu gut. Nie hat ihm jemand geholfen. Alles musste er alleine durchstehen, alleine dagegen ankämpfen obwohl er keine Kraft dazu hatte. Es tut ihm leid. Er kann sie nicht beschützen. Seine kleine Schwester leidet genauso sehr wie er. Er weiß es, aber er kann es nicht ändern. Sie sieht zu ihm auf, ist erst acht Jahre alt, doch ihre Augen sind so leer und es schmerzt ihn jedes Mal, wenn er sie sieht. Er wollte nie etwas anderes, als sie einmal glücklich Lächeln zu sehen. Aber auch sie sitzt in diesem Gefängnis, muss kämpfen ohne Kraft und Willen. Wenn er könnte, würde er ihr alles geben was sie sich wünscht. Wenn sie zwei zusammenhalten, könnten sie es schaffen, könnten sie gemeinsam fliehen und endlich leben. Aber können sie zusammen diese Mauern überwinden, sie einreißen? Er bezweifelt es. Bald ist er da, auch wenn er nicht weiß, wo er hin will. Seine Füße tragen ihn zu einem abgehalfterten Haus. Die Tür hängt schräg in den Angeln, die Fenster haben nicht einmal mehr eine ganze Scheibe im Rahmen, die Bretter verfaulen und die ganze Konstruktion fällt schon in sich zusammen, wenn man dieses Haus schief ansieht. Knarrend zieht er die Tür auf, tritt hinein und stolpert beinahe über eine schwarze Katze, die zusammengerollt im Flur liegt. Laut fauchend schreckt sie auf und verschwindet in der Dunkelheit. „Jimmy?“, fragt eine dünne, helle Stimme leise in die Dunkelheit. „Ja, ich bin wieder zurück, Alaina“, flüstert er zurück, versteckt das Messer unter seinem Pullover und geht langsam die Treppe hoch in das Zimmer seiner kleinen Schwester. Sie steht vor ihrer Tür und wartet auf ihn. Er nimmt sie hoch und trägt sie hinein, legt sie auf ihr Bett. „Du sollst doch schlafen, Kleine“, sagt er und streicht ihr zärtlich durch das blonde Haar. „Ich kann aber nicht.“ „Ach, Lainie“, seufzt er und lächelt sie warm an. Schüchtern lächelt sie zurück. „Versuch wenigstens ein bisschen zu schlafen, ja? Ich bleib auch hier“, versichert er ihr. Nie soll aus ihr das werden, was er schon so lange war. Sie nickt, vergräbt sich tief in ihrer Decke und lehnt sich an den warmen Körper ihres großen Bruders, den sie so liebt. Abwesend streicht er ihr weiter durchs Haar, hört ihren gleichmäßigen Atem und lauscht der drückenden Stille im Haus. Bald würde er wieder kommen… Lange sitzt er an ihrem Bett und beobachtet sie im Schlaf, hofft, dass sich heute alles ändert – Er hat einen Plan. Er hört, wie die Haustür zu schlägt, schaut noch mal auf Alaina hinab, vergewissert sich, dass sie schläft und geht hinunter. Heute wird er allem ein Ende bereiten. Auf der letzten Stufe bleibt er stehen, seine Hände zittern und sein Herz schlägt schnell. Er greift unter seinen Pullover und holt das Messer hervor. Schon oft hat er davon geträumt. In seinen Träumen war es jedes Mal stockdustere Nacht, keine Sterne am Himmel und kein Mond der schwach sein Licht abgab. Langsam und geräuschlos schlich er durch ihr Haus, suchte ihn. Er war ruhig, seine Finger schlossen sich fest um den Griff des Dolches in seiner Hand und seine Schritte waren fest. Seine Augen suchten die Dunkelheit ab, seine Ohren lauschten gespannt auf jedes kleine Geräusch. Er fand ihn immer im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzen. Er bemerkte ihn nicht. Langsam schlich er sich von hinten an ihn heran, streckte die Hand mit dem Dolch vor und stieß zu. Er stach so lange auf ihn ein, bis er sich vollkommen sicher war, dass er tot war. Erst dann lies er den Dolch sinken und zu Boden fallen. Gemächlich zog das Blut seine Bahnen von der Schneide auf die Dielen, von seiner Wange hinab oder von den Fingern des Toten herab auf den Boden. Dann kam das Licht des Mondes durch die lädierten Fenster, fiel auf die Schneide des Blutbesudelten Dolches und brach sich sanft auf dem hellen Metall. Dann erst konnte er sein Werk sehen, mit Markerschüttertem Schrei wachte er dann auf. Dieses Bild verfolgte ihn, seit dem ersten Mal, das er diesen Traum hatte. Er kann es einfach nicht loswerden… Noch immer steht er auf der Treppe, zittert und sein Herz rast. Er umklammert den Griff des Messers, bis seine Knöchel weiß hervorragen. Der Mond scheint und auch das Licht der Straßenlaterne vor ihrem Haus fällt durch die Fenster. Er hört es in der Küche klappern und kurz darauf sieht er ihn aus der Küche ins Wohnzimmer gehen. Auf halber Strecke bleibt er stehen. „Du bist Zuhause?“, fragt er ihn. Er nickt nur. „Wozu das Messer?“, fragt er weiter, mustert ihn skeptisch. Er schüttelt leicht den Kopf. Sein Mund ist trocken und sein Hals ist wie zugeschnürt, kein Ton will ihm entweichen. Langsam steigt er die letzte Stufe hinab, geht auf ihn zu und hebt zitternd das Messer. „Was ist Jimmy?“, fragt er ihn barsch. „Ich werde dich umbringen…“, krächzt er leise, versteht kaum selbst, was er gerade gesagt hat. Er sieht ihn nur überrascht an. „Du widerlicher Bastard!“, spricht er weiter, steht nun vor ihm mit dem Messer an seiner Kehle. „Glaubst du, du machst mir Angst?“, fragt er ihn ungehalten, schiebt das Messer von seinem Hals und packt ihn am Kragen: „Wenn ich wollte könnte ich dich wie eine Fliege zerquetschen, vergiss das nicht, Jimmy.“ Er schluckt, versucht sich aus seinem Griff zu befreien und sticht ihm das Messer in den Arm. Abrupt lässt er ihn los, hält sich wütend den Arm, flucht vor sich hin. Er fällt zu Boden, das Messer aus seiner Hand: „Und wenn du mich wie eine Fliege zerquetschen kannst, das ist mir scheiß egal! Ich will nur endlich weg von hier, weg von dir! Wichser!“ Seine Wut entflammt in einem neuen Feuer, dass er ihn anschreit. „Jimmy…?“, kommt es dünn von der Treppe. Alaina steht dort, reibt sich müde die Augen, erkennt die Situation nicht. „Lainie“, flüstert er erschrocken, er wollte sie doch nicht wecken. „Alaina, geh ins Bett!“, fordert er scharf, hält sich immer noch seinen Arm. Das Blut tropft zu Boden. „Ihr habt Krach gemacht“, sagt sie müde und ihr Blick bleibt auf dem Messer liegen. „Lainie, Vater hat Recht. Geh wieder ins Bett“, bittet er seine kleine Schwester. Sie hört ihm nicht zu, lässt ihren nun wachen Blick weiter schweifen und sieht den blutenden Schnitt auf dem Arm ihres Vaters. „…Was…macht ihr?…“, fragt sie langsam und unsicher. „Nichts. Nichts. Geh ins Bett, Kleines“, fordert er sie weiter auf, sie soll nicht sehen, was er tut. Unschlüssig steht sie auf der Treppe, weiß nicht was sie machen soll. „Geh schon, Alaina“, fordert ihr Vater sie wieder auf. „Ihr streitet euch schon wieder…“, sagt sie nach einer kurzen Stille. Sie konnte es noch nie Leiden, wenn sich ihr Bruder und ihr Vater stritten. „Nein, Lainie, es ist schon vorbei. Jetzt geh wieder ins Bett“, bittet er sie weiter. Wann würde sie endlich gehen? Er wollte es heute machen. Sie weiß doch, dass sie Zusammenhalten mussten, wenn sie das alles hier beenden wollten. Nur zusammen konnten sie es schaffen. Warum half sie ihm denn nicht? Die Grenzen hatten sie doch schon vor langer Zeit überschritten. Die Grenzen, was ein Mensch alles aushalten kann bevor er zusammenbricht, bevor er auseinander bricht und zu Staub zerfällt. Und nur zusammen konnten sie seine Mauern zu Fall bringen. „Nein…“, sagt sie mit ihrer zarten, schwachen Stimme und geht die letzten Stufen der Treppe hinunter, „…Ich will nicht, dass ihr euch streitet.“ „Aber Lainie, Kleines, Vater und ich streiten uns doch gar nicht“, versucht er es weiter, doch hört er nicht, wie verzweifelt seine Stimme klingt. „Jimmy, geh du in dein Zimmer, ich bring Alaina ins Bett“, sagt er schroff, nimmt Alaina auf seinen unverletzten Arm und geht mit ihr die Treppe hoch. „Aber…Nein…“, flüstert er leise, sieht ihm tatenlos dabei zu. „Doch. Deine Schuld“, erwidert er kühl und geht nach oben. Noch immer sitzt er auf dem Boden. Das hatte er nicht gewollt. Warum muss es immer so kommen? Er wird es nie schaffen… Wie soll er hier ausbrechen, wenn es immer gleich ablief? Er hätte zu stechen sollen, aber er konnte es nicht. Er ist zu schwach. Niemals würde er es schaffen, wenn er sich nicht selbst überwändt, über seine Schatten spränge. Schrill hallen die Schreie seiner kleinen Schwester durch das Haus. Es ist wie ein nie enden wollender Alptraum aus dem er nicht erwachen kann. Und nur er ist daran schuld! Er legt seine Hände auf seine Ohren, will die Schreie nicht mehr hören. Er kneift seine Augen zu, will das Bild nicht vor sich sehen, wie sich sein Vater an ihr vergreift. Er will das alles nicht mehr erleben! Es muss endlich ein Ende haben! Entschlossen ergreift er das Messer, das noch immer auf dem Boden liegt. Langsam steht er auf und geht die Treppe hoch. Die Tür in das Zimmer seiner Schwester ist nur angelehnt, knarrend schiebt er sie auf und geht hinein. Hart beißt er seine Kiefer aufeinander, die Wut in seinem Inneren brennt und knistert erneut auf, stärker als je zuvor. Er fast fest um den Griff des Messers und im Licht der flackernden Lampe erscheint es ihm, wie der Dolch aus seinen Träumen. Er geht auf das Bett zu, auf dem sein Vater einfach weiter seine Schwester schändet, sich gar nicht darum kümmert, dass er gerade ins Zimmer kam. In einer fließenden Bewegung hebt er seinen Arm und sticht das Messer in den Körper seines Vaters. Ein Schrei entrinnt den Lunge seines Vaters und der Schmerz durchzuckt dessen Körper. Wieder sticht er zu, das Blut spritz ihm entgegen und besudelt nicht nur ihn, sondern auch seine kleine Schwester, die ihn mit weit aufgerissenen Augen ansieht, kein Ton kommt mehr über ihre Lippen. Er steht nur ruhig da, sticht weiter zu, bis sein Vater tot auf ihr liegt, sich nicht mehr bewegt. Er lässt das Messer fallen. Die blutrote Klinge leuchtet im fahlen Licht der Lampe. Er greift seiner Schwester unter die Arme und zieht sie unter dem leblosen Körper hervor. Ihren geschockten Blick sieht er nicht. „Jetzt ist alles vorbei, Kleines“, flüstert er ihr zu und geht mit ihr die Treppe hinunter, aus dem Haus. Mit langen Schritten geht er durch die langsam erwachende Nacht, seine Schwester auf dem Arm. Ihr leises Schluchzen hört er nicht. Ihre heißen Tränen sieht er nicht. Ihren zitternden Körper spürt er nicht. Die Sonne geht auf, wirft lange Schatten hinter sie, noch immer gehen sie durch die Strassen und wissen nicht, wohin sie gehen, wohin sie können. „Du…hast ihn umgebracht…“, sagt sie leise, weint weiter. „Sch…“, sagt er nur, wiegt sie leicht hin und her, „Es ist doch vorbei…“ „Du…hast ihn umgebracht…“, wiederholt sie schwach. „Sch…“, erwidert er nur, „Jetzt können wir endlich richtig leben…“ „Du…hast ihn umgebracht…“, sagt sie mit festerer Stimme und schaut ihn an, „Du hast ihn umgebracht.“ „Für uns…“ Sie Sonne steht noch tief und der Morgen ist mit Nebel verhangen. Sie sitzen auf einer alten Bank im Park, am anderen Ende der Stadt. Noch immer fließen Tränen über ihre Wange, der Schock sitzt tief. Ein einziger Mann geht an diesem Morgen durch den Park, kommt auf sie zu. „Jimmy Smith?“, fragt er ihn und mustert sie beide. „Ja“, antwortet er tonlos. „Komm bitte mit mir mit.“ Er nickt stumm, steht auf und nimmt seine kleine Schwester auf den Arm. Sein Kopf ist leer. „Du kannst deine kleine Schwester ruhig hier vorne lassen, Miss Mary wird sich gut um sie kümmern“, sagt der Mann, während sie durch einen Flur gehen. „Nein“, sagt er leise, doch wird ihm seine Schwester schon von einer Frau aus den Armen gerissen. „Komm mit.“ Er geht weiter, weiß nicht, was er sonst tun soll. Sie kommen in einem kleinen Raum an, das Büro des Mannes. „Setz dich“, sagt der Mann und deutet auf eine schwarze Couch. Er setzt sich. Sie reden lange, über Gott und die Welt. Doch der Mann kommt schließlich zu dem Punkt, weshalb er ihn hierher gebracht hat: „Du hast heute Morgen deinen Vater getötet…“ Er schaut auf, erst jetzt sieht er: Der Mann ist Polizist. Er hatte seinen Vater getötet… „Ja…“, sagt er leise und schwach und kleine Tränen bahnen sich einen Weg über seine Wange. Er hatte seinen Vater getötet… „Ich wollte sie doch nur einmal von Herzen Lächeln sehen…“ Er hatte seinen Vater getötet… „Ich wollte nur, dass sie glücklich ist…“ Er hatte seinen Vater getötet… „Ich wollte bloß, dass wir ein richtiges Leben leben können…“ Er hatte seinen Vater getötet… „Ich wollte doch nur, dass wir frei sind…“ Er hatte seinen Vater getötet…den Menschen, der ihm die Hölle auf Erden bereitet hat. Eine Woche ist es her, seit einer Woche sitzt er in diesem Zimmer und starrt die Wand an. Neben ihm liegt seine Katze, er streichelt durch ihr schwarzes Fell. Er hatte seinen Vater getötet… Diesen Satz wird er nicht mehr los. Er spuckt in seinem Kopf herum und taucht immer wieder auf. In seiner Hand hält er ein Messer, den Griff fest umschlossen. Doch vor seinen Augen sieht er nur noch das blutverschmierte Messer aus dieser Nacht, das so aussah, wie der Dolch aus seinen Träumen. Einem so echten Traum, dass er nicht glauben kann, dass es nie so war… „Jimmy, Schätzchen, komm endlich, das Frühstück ist fertig. Du kommst noch zu spät zur Schule“, holt ihn die Stimme seiner Mutter aus dem Schlaf. „Hm?“ Er blinzelt, sieht die strahlende Sonne durch sein Fenster scheinen und setzt sich langsam auf. „Ein Traum…?“, murmelt er leise vor sich hin. Langsam steht er auf und geht ins Bad. Er kämt sich seine schwarzen Haare und seine hellen blauen Augen funkeln ihn an. „Es war alles nur ein Traum…“, murmelt er weiter und schüttelt den Kopf. Er sieht an sich hinab und sieht seine blasse Haut, seine dünnen Muskeln und die Narben, die ihn zieren. „Ein Traum…?“, fragt er flüsternd sein Spiegel bild und sieht, wie eben jenes seinen schwarzen Schopf schüttelt, ihn aus kalten, hellblauen ansieht und ein schmales Grinsen auf den Lippen trägt, die Worte formen: „Kein Traum…“ „Jimmy? Kommst du? Mutter wartet schon“, fordert ihn Alaina auf, steht in der Tür des Badezimmers und sieht ihn an. „Alaina?“, fragt er und sieht sie an. „Komm schon, das Frühstückt wartet.“ „Kein Traum?“ Das 12jährige Mädchen schüttelt den Kopf, ihre blonden Haare wehen leicht. „Nein“, sagt sie und dreht sich um, geht die Treppe hinunter, „Du hast unseren Vater getötet…“ OneShot #2: Time ---------------- Auf den Pfaden lagen kleine Pfützen. Es hatte viel geregnet in den letzten Tagen, doch jetzt schien die Sonne. Sie glitzerte fröhlich in dem Wasser der Pfützen, spiegelte sich darin und erhellte die Trüben Gedanken der Trauernden. Sie beschritten die Kieswege, standen vor den Gräbern und weinten um die Verblichenen. Die Kerzen auf den Gräbern wurden wieder entzündet und flackerten leise in ihren windgeschützten Behältnissen. Doch im Licht der Sonne waren sie so unauffällig, wie das immer wachsende Gras an den Grabrändern. Mit Löwenzahn teilte es sich seinen Platz und über die alten Gedenksteine rankte sich der Efeu, bedeckte die Blößen so mancher marmornen Statue. Am Rande des Friedhofs standen die Tannen wie eine schwarze Mauer und trennten die ehrwürdigen Ruhestätten von der lärmenden Stadt und den Unruhen und dem Stress, den sie in sich trug. In der dunkelsten Ecke, versteckt hinter den massigen Ästen der Bäume, stand das strahlend weiße Denkmal eines Doppelgrabes. Von einem wunderschönen, leichtfüßig tanzenden Engel und einem lächelnden, ruhig beobachteten Dämon geziert, stand es wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung auf seinem Platz. Ohne Namen, ohne Datum. – She’s too invested in the hours that pass her by – Ihre unruhigen Augen suchten aufgewühlt und fieberhaft die Umgebung ab. Sie suchte jemanden, etwas. Doch sie sah nur die trauernden und besuchenden Menschen, die zu den Gräbern ihrer Verwandten und Freunde schlichen. Sie sah ihre Tränen, hörte ihre Schluchzer und die Worte, die so mancher noch an die Toten richtete ohne zu wissen, ob man sie noch hörte. Sie strich sich ihre blonden Strähnen aus dem Gesicht, um die Menschen noch besser beobachten zu können, besser nach ihm suchen zu können. Dennoch sah sie nur die Einsamkeit, die Traurigkeit dieses Ortes, der Seelen, die hier Hoffnung suchten. „Irgendwie ist das ungerecht…“, flüsterte sie, „Erst, wenn sie dem Tode entgegentreten, denken sie über sich nach. Über ihre Taten. Über ihr Leben. Entscheiden sich etwas zu ändern, so zu leben, wie sie es gerne wollten. Wissen sie denn nicht von Anfang an, wie kurz ihr Leben ist?“ Wieder wanderten ihre Augen über die Pfade und Wege aus Kies, die unter den Schuhen der Besucher leise knirschten und die immer währende Stille dieses außergewöhnlichen Ortes nicht zerstören konnten. Sie sah sie kommen und gehen, gehen und kommen. Wenig blieb im Lauf der Zeit wirklich gleich, doch die Eigenheiten eines Friedhofes, der Ruhestätten der Geliebten und Ungeliebten, änderte sich kaum. Sie lächelte bitter: „Wenn sie hier stehen, glauben sie an Freiheit, an Gleichheit, an Brüderlichkeit. Ihre Seelen werden friedlich. Sie wollen sich nicht grämen an einem Ort wie diesem…“ Ihre himmelblauen Augen entdeckten ein Liebespaar auf einer Bank. Es trauerte, weinte zusammen, fest umschlungen. Das Grab vor dem sie saßen war frisch, noch mit Schleifen und bunten Blumen geschmückt. Ärgerlich zog sie ihre Brauen zusammen: „Sag, was weinen die denn so? Sieh dir das an! Dabei sollten sie so glücklich sein, dass sie sich haben! Das größte Glück auf Erden und zwischen den Welten und sie klagen trotzdem!“ Sie grollte tief in sich: „Uns wurde dieses Glück genommen. Warum freuen sie sich nicht, dass sie sich haben?“ – I’d pay attention if I thought it was worth the time – Ich blickte auf: „Du kennst die Antwort: Sie haben verloren, was sie liebten. Ein Kind. Ihr Kind.“ „Aber sie haben noch immer sich! Soll ihnen das doch reichen!“, regte sie sich weiter auf. Sie beneidete die Menschen, zürnte über sie und beklagte sich immer über ihr eigenes Schicksal. Wobei es ihre eigene Schuld war, dass sie hier sitzen musste, nicht fort von hier durfte. Sie hatte es selbst so gewollt. Doch noch nie war sie mit etwas zufrieden gewesen. Als Engel waren das keine akzeptablen oder gar tragbaren Eigenschaften. Ich schüttelte leicht den Kopf, lächelte über mich selbst. Sie zu lieben war für einen Dämonen auch keine akzeptable oder gar tragbare Angelegenheit. Leider war es aber die Wahrheit. Meine Liebe unterwarf mich ihrem Schicksal, auch wenn sie mich schon lange nicht mehr liebte. Deswegen saß ich hier auf dem Grabstein, der mein Antlitz zeigte. So wie ihres. Verbannt von unseren Vätern und Herrschern mussten wir unsere Zeit hier sitzen. Meine Strafe war noch immer von unbestimmter Dauer. Sie könnte sofort fortgehen, wenn sie nur gewollt hätte. Sie musste nur ihre Fehler einsehen. Aber dazu war sie noch nie in der Lage gewesen. „Warum siehst du sie dir überhaupt noch an? Menschen ändern sich nicht. Genauso, wie wir uns nicht ändern. Weder Engel noch Dämonen. Weder der Teufel noch dein Gott“, erklärte ich. Mir waren die trauernden, wütenden Menschen, die diesen Ort besuchten, immer egal gewesen. Ich sah sie kaum. Ich sah immer nur meine Geliebte… – I tell her “Easy.” but her hands they find a way – „Ach, das verstehst du nicht! Sie haben das, was wir niemals mehr bekommen…“ Sie beklagte sich, manchmal zumindest. Fast immer. Obwohl sie wahrscheinlich eh die meiste Zeit an diesem Ort verweilt hätte, damit sie ihn hätte sehen können. Jede Sekunde, die sie wach verbrachte, suchte sie nach ihm, schrie sich die Seele nach ihm aus ihrem schönen Leib. Sie verzehrte sich so sehr nach ihm. Dabei hat er sie niemals angesehen, sie niemals wahrgenommen. Er konnte es nicht einmal. Doch sie gab nie auf. Wahrscheinlich konnte sie das nicht, als Engel. Engel waren schon immer so, dachte ich zumindest. Sie war zumindest so, das reichte mir. „Warum muss ich hier nur fest sitzen?“, seufzte sie, lies ihren Blick weiter nach ihm schweifen. „Das weißt du. Wir sitzen hier fest, weil sie uns erwischt haben.“ „Ach, papperlapp! Das war doch nichts.“ „Ich weiß“, ich seufzte leise. Sie war immer so stur und von sich überzeugt. „Aber trotzdem glaubten beide, wir wären ein Paar. Auch wenn wir das schon lange nicht mehr sind…“ „Alles alte Geschichten… Jetzt will ich ihn!“, sie suchte weiter nach ihm. Suchte den ganzen Friedhof nach seiner Gestalt ab. „Du würdest ihn niemals wieder sehen, wenn dein Herr Das wüsste!“ „Du verrätst ihm doch nichts!“, fragte sie mich mit bangem Blick. – Confusing passion for the love he never gave – Ich sah sie nur an, gab ihr keine Antwort. Natürlich hätte ich es nie jemandem gesagt. Das hätte ihr eine noch viel höhere Strafe eingebracht. Vielleicht sogar den Tod? Das wusste ich nicht. Aber egal, nichts davon hätte ich jemals gewollt, nicht mit leben können. Obwohl es meine Strafe sicher drastisch gekürzt hätte, hätte ich sie verraten. Aber auch wenn ich ein Dämon war, das könnte ich nicht. „Sag, dass du es für dich behältst“, forderte sie mit undurchdringlichem, bettelndem Blick, „Du musst es für dich behalten!“ Ich nickte nur leicht. Was könnte ich auch anderes tun? Nichts. „Du bist der Beste!“, lächelte sie. Mit weichen Lippen küsste sie meine Wange. Dankte mir für meine Verschwiegenheit. „Deswegen sitzen wir hier fest“, stellte ich sachlich fest, „Weil unsere Welten glauben, wir wären ein Paar.“ Ich sah sie an. Sie würde sich sicher wieder eine Ausrede einfallen lassen. Das tat sie immer. Lange genug saßen wir schon hier und schon oft genug diskutierten wir. Das Ergebnis war jedes Mal das gleiche. Die Schuld landete bei mir. „Was hätte ich den sagen sollen?“, fragte sie verzweifelt. „Die Wahrheit? Wir sind kein Paar.“ „Nicht mehr“, verbesserte sie. Ich verdrehte nur die Augen: „Das spielt doch gar keine Rolle mehr, oder?“ Schön wäre es ja, aber auch ich musste den Tatsachen ins Auge blicken. „Für mich nicht, aber sie hätten uns nie hierhin verbannt…“, sie zuckte leicht mit den Schultern und wandte sich wieder dem Friedhof zu, suchte ihn. – Fall back on reasons that we know won’t stand a chance – Ich schüttelte nur leicht den Kopf. Jeder hätte ihr sagen können, dass es Zeitverschwendung war, was sie dort tat, worauf sie hoffte. „Er wird dich nicht sehen oder hören. Du bist Luft für ihn.“ „Doch, er wird. Er wird sich in mich verlieben! Und dann sind wir glücklich vereint”, schmachtete sie, ihre Wangen röteten sich leicht in Vorfreude auf dieses große, fiktive Ereignis. Ich schüttelte nur den Kopf: „Nein.“ „Was weißt du denn schon von großer, aufrichtiger Liebe! Du bist doch nur ein Dämon!“, fuhr sie herum, sah mich böse an. Sie war wirklich wütend. „Er ist der Tod.“ „Ja, und? Er wird mich lieben…”, sie seufzte leise. Erlag wirklich ihren Tagträumen. „Der Tod kann nicht lieben. Er darf es nicht und es ist ihm nicht möglich“, erklärte ich ihr. Wie oft hatte ich schon versucht, ihr das deutlich zu machen. Aber sie wollte mir nie glauben. „Doch, mich wird er lieben! Wie sollte er mich auch nicht lieben können?“ „Er kann es nicht.“ Sie sah mich vorwurfsvoll an. „Er ist der Tod. Jedes Wesen stirbt einmal und er muss es mitnehmen. Sollte er es lieben, würde er es am Leben lassen und den Kreislauf allen Seins durcheinander bringen. Und gerade den zu bewahren, ist seine Aufgabe. Also darf er nicht lieben – auch dich nicht.“ Sie öffnete ihren Mund, wollte etwas sagen, erwidern. Gegen seine Erklärung halten, doch kein Wort drang über ihre Lippen. Enttäuscht, wütend und frustriert wandte sie sich von mir ab, sah wieder auf den Friedhof. Suchte ihn wieder um meine Worte Lügen strafen zu können. – Watching our shoulders like a memory from the past – Ihr langes, blondes Haar wallte in leisen Locken über ihre Schultern, sachte im Wind. Ihre klaren, himmelblauen Augen sahen aufgeweckt über das Meer der Gräber. Sie war ein wunderschöner Engel, tanzte immer so leichtfüßig über den See der Hoffnung, an dem wir uns immer trafen. Damals. Wie lange war es nun schon her, dass wir uns liebten? Es waren nur kurze Momente und Augenblicke, aber voller Verlangen und heißer Begierde. Anrüchig durch das Verbot unseres Beisammenseins schworen wir uns ewige Liebe und Treue – die nicht allzu lange währte. Wie sagt der Mensch? Die Erde dreht sich weiter. Immer. Mir hat sie denn Verstand geraubt und meine Sinne in Fesseln gelegt, mich an sich gekettet. Ihr Herz schlug bald für jemand anderes, für Ihn. Den Tod. „Es war schön mit uns…“, wollte ich nur denken, sagte es wirklich. Sie nickte, lächelte mir zu: „Sehr schön sogar. Aufregend. Mit dir war jede Sekunde ein Erlebnis, sei dir gewiss. Und deine starken Arme und dein besonnenes Lächeln werde ich sicher nie vergessen… Es stimmt schon, Dämonen kommen aus der Hölle und die ist heiß. Sehr heiß“, sie grinste mich an, zwinkerte keck. – I tell her “Easy.” but her hands they find a way – Ich musste schmunzeln. Ihre Logik verstand ich zwar nie ganz, aber sicher hatte sie schon Recht. „Da! Da ist er!“, rief sie plötzlich, sah die schwarze Kutte des Todes über seinen Hof wandern. „Lass ihn, er arbeitet…“ „Dann soll er an mir arbeiten“, schmachtete sie. Ich schüttelte nur leicht den Kopf: „Du kannst nicht noch einmal sterben…“ „Mir egal“, sagte sie nur und rief ihn. Rief den Tod. Wollte ihn zu sich holen. Da konnte auch ich nichts mehr tun, als daneben zu sitzen und das Beste für sie zu hoffen. Obwohl ich immer genau wusste, dass er sie niemals bemerken würde. Dazu war er gar nicht in der Lage. Er konnte es nicht und würde es auch nie können. Was auch besser so war. Sie und ich, wir waren schon tot. Eben unseres Vergehens hierher verbannt, auf einen Friedhof, mitten unter den Menschen. Um zu sehen, was es hieß zu leiden, zu fühlen, zu lieben, zu trauern. Sie sollte es verstehen, ich musste den Schmerz fühlen. Aber mehr als den Schmerz der Menschen fühlte ich ihre verzweifelnde Liebe zu ihm. Warum sah sie es nicht ein? Er sah sie nicht, liebte sie nicht – würde es niemals tun „Hör auf, ihn zu rufen. Das bringt doch nichts…“ – Confusing passion for the love he never gave – Aber sie rief ihn weiter, bis ihre Stimme nur noch leise und heiser unter dem leicht wehenden Wind zu hören war. Tränen glitten feucht und glitzernd über ihre Wangen, brachen wunderschön das Licht der Sonne. Sie streckte ihre Hände nach ihm aus, sehnte sich nach seinen Armen, seiner Liebe. Die er nicht hatte. Sie nicht sah. Sie nicht hörte. Eisern seinen eigenen Plan verfolgend wallte sein schwarzer Umhang um seine Schultern, wanderte er weiter auf diesem friedvollen Hof. Sich nicht des Dramas nur wenige Meter von ihm entfernt bewusst. Er wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass ein Engel und ein Dämon hier ihre Strafen verlebten. Es war für ihn auch unerheblich. Sein Dasein war dem Sterben gewidmet und nicht der Liebe oder anderen Gefühlsseligkeiten. „Warum…“, verwischte sie zitternd die Tränen auf ihrer blassen, weichen Haut. „Er ist der Tod.“ Sie warf sich an meine Schulter, weinte bitterlich. Sie wollte nichts sehnlicher, als das er sie liebte. Auch wenn sie genau wusste, dass es ausweglos war zu hoffen. Selbst als Engel. Auch diese göttlichen Geschöpfe können nicht alles, erreichen nicht alles. Aber die Erde dreht sich trotzdem. Immer. OneShot #3: R.I.P. ------------------ Rest in Peace – Rot in Pieces Sein Kopf sank zurück und er seufzte leise. Das Weiß der Decke sah er kaum. Es war auch nicht wichtig. Nichts zählte mehr, so kam es ihm vor. „Ich fass es nicht…“, murmelte er, noch immer leise. Seine Stimme erstarb auf halbem Wege hinaus. Aber es hätte ihn auch keiner gehört, selbst wenn es anders wäre. Er war allein. Mal wieder. Leicht schüttelte er seinen Kopf, noch immer nach hinten an sein Bett gelehnt. Mit seiner Faust schlug er auf den Boden ein, doch dieser war unnachgiebig. Wie das Leben. Blieb hart und standhaft, wie er immer sein wollte. Aber er war nicht so. Nicht jetzt. Er konnte es nicht einfach an sich abperlen lassen, einfach ignorieren und vergessen. So sehr er es auch wollte. War er wirklich so fixiert immer das Schlechte zu sehen? Aber es gab doch auch einfach kaum schöne Dinge. Dinge, die einen glücklich machen konnte. Zumindest er hatte davon noch nicht all zu viele gesehen und erleben dürfen. Dabei versuchte er immer, noch irgendwo etwas Positives zu finden. Er machte gerne Späße und lachte. Er kannte sogar das Schönste auf diese Welt. Nichts machte ihn glücklicher als seine beiden Mädchen: Seine Tochter uns seine Nichte. Er liebte sie über alles und würde alles für sie tun – auch sein Leben geben, wenn es nötig wäre. Sie waren sein Ein und Alles! Und dieser Knilch wagte es, ihm das abzustreiten. Als wolle er nicht glücklich werden! Behauptete sogar, er wüsste nicht einmal, wie man glücklich würde! Er schüttelte heftig seinen Kopf, nahm ihn vom Bett hoch. „Arsch!“, murrte er, schüttelte erneut scharf den Kopf. Jetzt dachte er schon wieder an ihn. Dabei hatte er das doch lassen wollen. Zum x-ten Mal sagte er sich das in Gedanken. Er dachte schon viel zu häufig, viel zu oft an ihn. So aussichtslos wie das alles war. Er gab seinen Mädchen doch nur Nachhilfe. Da war nicht mehr und nicht weniger, vor allem nicht mehr – redete er sich ein. Erfolglos. Er sah das junge Gesicht vor seinen Augen. Wie das schwarze Haar kurz und frech ins Gesicht fiel, halb über die Brille lugt und wohl doch die neugierigen und lebensfrohen Augen berührte. Die schlanke Hand schob die Strähnen beiseite und ein keckes, ehrliches Grinsen legte sich auf das junge Gesicht. Ein Schluchzer entwich seinen Lippen. Doch er hörte ihn nicht, konnte nur weiter das Gesicht des jungen Studenten in seiner Einbildung anstarren. Grüne Augen lächelten warm, die schmalen Lippen waren leicht geöffnet, fordernd. Aber der Ausdruck des sonst immer fröhlichen und weltoffenen Gesichts veränderte sich radikal. Der junge Mann war aufgebracht, stierte ihn sauer an. Wut lag in den so warmen Augen. Enttäuschung. „Arschloch!“, harschte er wieder auf. Hatte die Worte des Jüngeren noch genau im Ohr. Er begegnete dem Zorn des anderen mit noch mehr Zorn, beschimpfte ihn erneut und wusste noch genau, was er ihm seinerseits wirklich an den Kopf geworfen hatte. Aber er wusste nicht mehr, warum sie sich gestritten hatten. Womit es angefangen hatte. Es war irgendetwas Harmloses gewesen, glaubte er. Wahrscheinlich. Bestimmt. Er setzte die Flasche Hochprozentigen wieder an seine Lippen, schmeckte einen Moment etwas Salziges bevor der Schnaps seine Mundhöhle enterte und heiß und brennend seine Kehle hinunter rann. Er schüttelte sich. Mit einer Hand wischte er sich fahrig übers Gesicht – natürlich nicht wegen des salzigen Geschmacks auf seinen Lippen. Aber trotz seiner gedanklichen Widerworte spürten seine Finger etwas Feuchtes auf seinen Wangen. Er hörte ein leises Schluchzen. Tatsächlich, er weinte. Er ließ die Flasche fallen, drückte seine Hände gegen sein Gesicht, gegen seine Augen und schüttelte wieder heftig sein Haupt. Es wollte nicht in seinen Kopf, was an diesem Jungen so besonders war, sein konnte. Er war nichts Besonderes! Schon gar nicht für ihn! – selbst gedacht glaubte er sich diese Worte nicht. Zugegeben, er hatte etwas an sich. Er war anders in erster Linie; irgendwie. Ein Kunststudent, die waren alle nicht immer ganz beisammen. Künstler eben. Und er verstand sein Handwerk. Seine Zeichnungen und Bilder waren irre. Wie der Künstler selbst, so ein kleines bisschen. Alle guten Künstler, die Meister ihres Faches waren, hatten einen an der Marmel. Wie man so schön sagte. So sah er das zumindest und da bildete auch dieser keine Ausnahme. Aber das änderte trotzdem nichts an all den Gedanken, die er hegte. Die ihm selbst so unangenehm waren. Und selbst wenn er sich noch so oft vorbetete, wie verrückt der andere war (wobei er in diesem Punkt auch gerne übertrieb) und dass er auch ein Mann war, verdammt noch mal, wirklich nichts änderte seine Gedanken, die Bilder vor seinen Augen oder in seinen Träumen. „Scheiße!“, sein Körper herrschte auf, erhob sich vom Boden. Er wirbelte herum, war einen Moment verwirrt. Das alles überforderte ihn. Er wollte das alles nicht. Es sollte doch endlich aufhören! Er stolperte und verlor fast sein Gleichgewicht. Der Alkohol waberte und rauschte durch seine Adern, lies sich von seinem Blut durch seinen Körper tragen und seine Sinne erobern. Er stöhnte auf, kämpfte mit der Erdanziehungskraft und stolperte vorwärts. Die Welt schwankte vor seinen Augen, sein Körper wankte sich seinen Weg durch das große Schlafzimmer. Schließlich lehnte er an der Wand, am Türrahmen und fand sich im angrenzenden Badezimmer wieder. Er schüttelte leicht seinen Kopf und der Schwindel glomm wieder auf. Er versuchte ihn zu unterdrücken, zu bekämpfen. Schaffte es. „Scheiße…“, murmelte er, griff sich an die Stirn. Ihm war schlecht und er war sich nicht sicher wovon. Vom Alkohol? Von den Bildern in seinem Kopf? Aber er hoffte nur, dass er etwas Falsches gegessen hatte. Vielleicht auch nur zu viel Aufregung? Das war unwahrscheinlich. Wegen so eines kleinen Streites machte er sich doch sonst auch nicht fertig. Schon gar nicht, wenn er nicht mehr wusste, worum es ursprünglich gegangen war. Auch wenn das zwischen ihnen immer zweitrangig war. Es ging nicht um das, worüber sie anfingen zu streiten, sondern um das, was sie unabsichtlich in all ihrer Rage sagten. Ein leises Knurrgeräusch drang an seine Ohren, ein Blubbern. Die Übelkeit nahm zu. Er hechtete zur Toilette, stand er doch glücklicherweise schon im Badezimmer, lehnte sich über die berühmte Porzellanschüssel und erbrach das Abendessen und den Alkohol dieser Nacht, der doch eigentlich seine Sorgen ertränken und fortspülen sollte. Er keuchte und lehnte sich zurück. Er wollte sich irgendwo anlehnen, doch fiel er nieder, lag ausgestreckt auf dem Fußboden. Er hustete leicht erschrocken, hatte nicht damit gerechnet. „Verdammt“, fluchte er kraftlos. Ging sein Leben wirklich so den Bach runter oder erschien es ihm im Moment einfach nur so? „Das geht doch nicht…“, wimmerte er. Ob er die Pleite seiner Karriere oder seine Liebe gegenüber diesem Kunststudenten meinte, war ihm nicht bewusst. Aber er fragte sich das auch nicht. Eine Weilte lag er einfach nur dort auf den Fliesen. Murmelte hilflos irgendwelche Worte vor sich her, hörte sich selbst nicht zu und verdrängte erfolglos alle Gedanken, die ihn penetrierten. In diesem Moment war er einfach am Ende. Er wollte, dass die Welt stehen blieb – nur einen Augenblick. Er wollte verschnaufen, seine Gedanken sammeln, sich von seinen Problemen lösen um sich einen Moment später mit neuer Energie und neuen Ideen darauf zu stürzen. Eine kurze Pause, mehr nicht. Er atmete tief durch, stützte sich auf, langsam, damit ihm nicht wieder schwindelte. Er stand auf, fühlte noch die Kühle der Bodenfliesen. Das Erbrochene spülte er hinunter in die Kanalisation und schritt zum Waschbecken. Er stellte sich das kalte Wasser an und wusch sich das Gesicht, kühlte es, erfrischte sich. Erfrischte sein Denken. Er sah auf, sah in den Spiegel. Wassertropfen standen auf seiner Stirn, tropften von seiner Nase und seinem Kinn. Seine blauen Augen sahen ihn müde an, waren von roten, verweinten Rändern geziert. Denkfalten standen in seinem Gesicht, auf seiner Stirn, um seine Augen. Er sah alt aus. Viel älter als sonst und viel älter, als er eigentlich war. Mit 35 empfand er sich noch nicht als besonders alt. Manche sagten ihm sogar, er würde jünger aussehen; manchmal wie Ende zwanzig. Das war ihm eigentlich egal. Aber jetzt sah er älter aus, verbrauchter und abgezehrter. Als hätte er sein Leben schon hinter sich, damit abgeschlossen… Noch einmal schlug er sich eine Hand voll Wasser ins Gesicht, sah wieder hoch. Er sah noch immer alt aus, viel zu alt für seinen Geschmack. Er seufzte leise, nickte leicht. Wenn er sich so im Spiegel sah, wusste er, dass er ausgedient hatte. Die Musik, die er so liebte und mit der er seine Brötchen verdiente, lebte von der Jugend – zu der er nicht mehr zählte, zählen konnte. Würde er noch auf die Bühne zurück finden? Viel wichtiger, würde er vielleicht auch noch einmal jemanden finden können? Aber wenn er sich so sah, bezweifelte er das. Wer würde sich schon in jemanden mit so einem Gesicht verlieben? – Ein Kunststudent sicher nicht. - Dieser Kunststudent sicher nicht… Er schüttelte seinen Kopf. Wollte es nicht wahrhaben, sich nicht eingestehen. Aber er konnte es auch nicht weiter leugnen. Es zerfraß ihn doch. Das sah er doch. Er spürte wieder Tränen aufsteigen, wie sie sich in seinen Augen sammeln wollten. Aber was machte es für einen Unterschied, wenn er es sich nicht eingestand oder sah, dass es hoffnungslos war? Er war in beiden Fällen unglücklich. Zutiefst unglücklich, wenn er ehrlich war. Und das hier war der beste Moment um sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Ganz ehrlich: Er war einsam. Vor allem abends, nachts, wenn er in seinem großen, weichen Bett lag und an die weiße Decke starrte, mal wieder nicht schlafen konnte. Es fehlte ihm einfach jemand an seiner Seite. Eigentlich hatte er alles, was man sich wünschen konnte: Gute Freunde, tolle Kinder und mit seiner Musik hatte er schon vor mehr als vier Jahren alles erreicht, was er je erreichen wollte: Geld, Ruhm, Ehre und so weiter. Er könnte sich locker jemanden kaufen, der an seiner Seite war, ihn liebte. Aber er wollte sich keine Liebe erkaufen. Wollte nicht jeder Mensch ehrlich geliebt werden? Sicherlich. Er seufzte, stützte sich schwer auf das Waschbecken. Nie hätte er damit gerechnet, sich noch einmal zu verlieben. Geschweige denn in einen anderen Mann oder Jungen. Die zwölf Jahre waren ja doch ein Unterschied. Er war wirklich noch jung, unbedarft, lebhaft. Er wusste, dass er sein Leben noch vor sich hatte, mittendrin war. Genauso wie seine Kunst. Voller Leben und Energie, voller Ideen, Freude und Lust. Und mit wie viel Elan er seinen Mädchen Nachhilfe gab, so viel Geduld mit ihnen hatte und ihnen so einfach und leicht die Welt erklären konnte. Und all das ohne einen von ihnen irgendwie besonders zu behandeln, obwohl man ihre Namen doch auf der ganzen Welt kannte, seine Musik. Es schien dem Jungen so egal zu sein, dass er hier im Haus eines Megastars aus und ein ging. Als würde ihm das nicht auffallen, dabei wusste er es ganz genau. Ob der Kleine auch wusste, dass er sich das die ganze Zeit wünschte? Jemanden, der ihn nicht nach seinen Erfolgen beurteilte oder das öffentliche Bild für bare Münze nahm und nicht einfach nur mit ihm sprach, um auch mal seine fünf Minuten Ruhm zu bekommen. Vielleicht war dieser Student deshalb so besonders in seinen Gedanken? Weil er ihn wie einen ganz normalen Menschen behandelte. Aber das taten doch noch mehr Menschen. Er schüttelte wieder den Kopf. Seine Überlegungen drehten sich im Kreis. Sie landeten immer wieder an dem selben Punkt, wo auch immer sie anfingen. Warum ausgerechnet dieser Kerl? Er war doch nur irgendein Kunststudent, davon gab es doch ein paar mehr. Aber vielleicht sollte er einfach aufgeben nach dem Warum zu fragen. Wieder sah er in den Spiegel, blickte in seine eigenen unwissenden Augen, sah den müden Blick. Es war, wie es war. Hieß es in billigen Soaps nicht immer, arrangier dich mit deinem Leben und alles wird gut? Er hatte das schon als Kind dämlich gefunden. Nur weil er es sich eingestand, tauchte sich die Welt doch nicht plötzlich in zartes Rosa und der Typ fiel ihm um den Hals. Das war doch albern! Er seufzte auf. Da nutzten ihm all sein Ruhm und all sein Geld auch nichts. Diese Liebe, wenn er sie nun so nannte, könnte er sich nicht erkaufen und nicht erschleichen. Der Kleine hatte seine Ideale - Auch wenn er so etwas nicht versuchen würde. Bye-bye du einsame Chance, jemanden wie ihn zu erobern. Er selbst machte ja nicht mehr viel her... Er sah sein Spiegelbild an, es nickte. Seine Augen studierten seine Erscheinung, verglichen sie mit der Erinnerung aus besseren Zeiten. Lange stand er einfach nur da, starrte sich an. Frustriert von dem, was er sah, was er war. Seine Gedanken und seine innere Stimme waren verstummt, bis ein leises Grollen in seiner Brust anwuchs. Es brauch aus ihm heraus. All sein Frust und die Unzufriedenheit, der Unmut entluden sich mit einem Schlag. Er schrie auf und schlug seine Faust in den Spiegel, zerstörte das Bild, das er nicht ertragen konnte. Die Scheibe splitterte, zerbrach in Teile und Stücke. Glas bohrte sich in seine Haut, seine Faust. Splitter fielen runter, klierten im Waschbecken. „Hngh…“, hisste er auf. Schmerz durchzog seine Hand, seinen Arm hinauf. Sein Gesicht in der gesprungenen Scheibe verzog sich in Schmerzen, für einen Moment. Seine Brauen zogen sich zusammen, er blickte auf seine blutende Faust. Geräuschvoll atmete er aus. Für einen Moment hatte er den Frust, den anwachsenden Hass gegen sich und den Schmerz in seiner Brust vergessen. Endlich einmal erfolgreich von sich drücken können und er wusste jetzt, was man unter „süßem Schmerz“ verstand. Körperlicher Schmerz konnte tatsächlich seelischen überschatten, ausblenden. Für diesen Moment wollte er ja auch nichts anderes. Ein kleines Grinsen legte sich auf seine Lippen. Kein fröhliches Lächeln, kein glückliches Schmunzeln, einfach nur der Ausdruck einer Idee, die sich in ihm formte. Jetzt wusste er, wie er seinen Moment Ruhe, die Pause bekam, die er so nötig hatte. Er nahm eine der Scherben aus dem Waschbecken. Groß genug um sie fest in der Hand zu halten, scharf genug um tief in sein Fleisch schneiden zu können. Das Blut tropfte noch immer von seiner Hand, aber das Rot der Tropfen auf dem Weiß des Porzellans des Wachbeckens ignorierte er. Wenn man sich die Haut aufschnitt, floss eben Blut. Er verließ sein Badezimmer und setzte sich wieder vor das Bett, nahm erneut einen kräftigen Schluck aus der Schnapsflasche. Die spirituose Flüssigkeit brannte in seinem Rachen und hinterließ eine Spur Wärme in seinem Körper. Er lehnte sich einen Moment zurück, genoss das betäubende Gefühl des Alkohols. Er hob die Hand mit der Scherbe, sah sie an und sein Spiegelbild in ihr. An ihrem Rand spiegelte sich das Blut aus seiner Handinnenfläche. Scharf... Noch einmal griff er fest zu, holte aus und stieß sie voller Kraft in seinen Arm. Wieder durchzuckte Schmerz seinen Körper und er stöhnte gequält, aber auch erleichtert auf. Der Schmerz übertönte alle anderen Gedanken in seinem Kopf. Wenn auch nicht für lange. Leider. Er holte wieder aus, stach die Scherbe wieder in seinen Unterarm, zog die Wunde größer. Stach wieder zu und wieder und wieder... Schmerz durchfloss in stetigen Wellen seinen Körper, hörte nicht auf seine Nerven zu reizen und ihn abzulenken, wegzulenken von all den anderen Dingen in seinem Leben. Er genoss es. Das Blut sickerte aus seiner Haut, floss aus seinen Wunden und Schnitten. Mit einem erleichterten Seufzen ließ er schließlich seinen Arm sinken. Das Blut tropfte und lief auf den Boden, sickerte in den Teppich. Müde blickte er auf seinen Arm hinab; sah sich an, was er getan hatte. Sein Arm war blutverschmiert, Haut aufgeschnitten und zerrissen. Er schmunzelte leicht, tatsächlich amüsiert. Auf seinem Handgelenk prangte noch immer eine seiner ersten Tätowierungen: Slit Me. Als hätte er es damals schon gewusst, dass es eines Tages wirklich so kommen würde. Er lehnte seinen Kopf zurück und schloss seine Augen. Der alles einnehmende Schmerz pulsierte durch seine Adern. Unbeachtet ließ er seinen Tränen ihren Lauf, konnte sie auch nicht mehr länger zurückdrängen. Er schluchzte, wollte sich die Tränen wegwischen. Sie vermischten sich mit seinem Blut. Sein verschleierter Blick zeigte ihm seine roten Hände, rot von seinem eigenen Blut... Er realisierte langsam, was er angerichtet hatte. Das Blut sickerte einfach weiter aus seinen Wunden. Er versuchte seinen Blick wieder zu klären, abzusehen, wie schlimm es wirklich war. Er hatte sich seine Pulsadern aufgeschnitten! Dabei wollte er doch gar nicht sterben. Er hatte doch noch seine Mädchen, um die er sich kümmern musste. Er konnte sie doch nicht allein lassen! Außerdem arbeitete er doch gerade an einem neuen Album. Seine Musik lebte. Es sollte besser werden als alle vorangegangenen zusammen! Und vielleicht war ja auch seine Chance bei dem Kleinen, diesem Kunststudent, nicht so schlecht wie gedacht. Er lächelte ihn doch immer so charmant und zweideutig an… Er wollte leben. Er musste! Er weinte immer mehr Tränen, sein Schluchzen wurde heftiger. „Verdammt!“, murmelte er. Wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, vermischte sie mit dem noch immer fließenden Blut. „Scheiße!“; fauchte er laut, sprang auf und Schwindel überkam ihn erneut. Er drehte sich desorientiert im Kreis, sah nur noch Schwarz vor seinen Augen. „Fuck! Verdammt…!“ Er trat gegen das Gestell seines Bettes, versuchte den Schwindel zu verdrängen. Doch die Schwärze vor seinen Augen nahm zu, seine Gedanken erstarben – wie er es eigentlich gewollt hatte. Dann fiel sein Körper bewusstlos zu Boden, sein Blut aber verteilte sich weiter auf dem beige-braunen Teppich seines Schlafzimmers. OneShot #4: Suicide's last Notions ---------------------------------- Schwarz ist die Nacht. Ich sehe hoch und sehe nichts außer Schwärze, Finsternis, Dunkelheit. Ich strecke meine Hand aus, nach oben. Ich höre leise meine Finger knacken, spüre, wie die Knochen aneinander reiben. Nur sehen, tue ich nichts. Die ganze Welt ist ein Nichts. Niemand existiert wirklich, vor allem nicht ich. Allein. Versteckt vor dem Rest der in-existenten Welt. Den anderen, nichtigen Menschen. Alles, was ich sehe, ist mein. Das gehört alles nur mir. Davon weiß nur ich: Von nichts. Von dieser endlosen Weite des Nichts, der Dunkelheit. Nur ich kann sie sehen, nichts verstehen. Ich bin gerne allein, red ich mir ein. Sag dauernd: Ich brauch nur mich. Me, myself and I. That's everything you need. Heißt es zumindest. Ich sage es. Ich zeige es. Ich tue so. Aber wer sagt schon die Wahrheit? Wer zeigt schon die Wirklichkeit? Wer tut das tatsächlich Gemeinte? Wer lebt schon in der Realität? Die gibt es nicht einmal. Alles Lügen. Der Mensch an sich ist schon eine Lüge, baut sein Leben aus Lügen und das aller anderen auch! Das nennte sich dann Globalität und alle freuen sich ein Fest. Wir verlieren uns in der Weite der Welt, der Informationen, des Seins und keiner weiß mehr, was gestern war, heute ist oder morgen sein sollte, geschweige denn könnte. Wer weiß schon noch Grenzen zu ziehen? Jeder will immer nur mehr, mehr, mehr. Das ist doch krank. Sollen sie doch endlich alle mal zufrieden sein mit dem, was sie haben. Doch der Mensch kriegt nie genug. Nennt sich Evolution. Das ich nicht lache! Kann mir mal einer erklären, was so toll am Leben ist? Ich kann auch ohne. Wer will heute bitte noch leben? Im Hier und Jetzt? In dieser unserer Gesellschaft? Ich nicht. Ich scheiß auf die westliche Kultur. Was hat die auch schon alles zerstört? Und sie hört und hört nicht auf. Never ending story! Westliche Zivilisation. Wo sind wir schon zivilisiert? Wir können Zeichen auf Bäume und Plastik drucken. Wir können Lebewesen quälen, töten und essen, sie auf unserer Haut tragen. Wir verdammen uns selbst. Sehen nicht ihn. Hören nicht zu. Sagen kein Wort und fühlen nichts. Wir können eins und eins addieren, subtrahieren, dividieren, multiplizieren und können doch nicht die Folgen unserer Taten berechnen. Wir wollen so viel mehr als uns jemals zugestanden hätte und beklagen uns schon gestern über das Ende von jedem. Wir bringen Krieg und Reden von Gleichheit. Wir bringen Hass und reden von Gerechtigkeit. Wer soll das glauben? Der Rest der Welt? Der ist doch schon lange nicht mehr er selbst. Die asiatische Welt versucht ihre lang gehegten Traditionen mit der westlichen Moderne zu vereinen, wo es nichts zu vereinen gibt. Und die Urvölker dieser Erde verlieren ihre Sprachen und ihr Leben. Soll das die Spitze der Evolution sein? Der perfekte Plan des Lebens, von Mutter Natur, Gott? Der Mensch. Dann hätte ich lieber den Müll gesehen. Schlimmer hätte es ja nicht sein können. Ich will keiner dieser Menschen sein. Gar kein Mensch, das wäre wohl das Beste. Ich will dieses Leben nicht führen, wozu wir alle von Anfang an verdammt sind. Leben ist so unnütz wie Atmen. Ein ewiger Kreislauf, der sich von Generation zu Generation weitervererbt und niemals aufhört zu existieren. So ist alles unsterblich. Aber Unsterblichkeit ist eine Lüge. So wie alles andere auch. Alles und jeder verändert sich ständig. Nichts bleibt für die Ewigkeit. Ich bin kein Teil eines sterbenden Zyklus’! Ich werde etwas sein, was niemand ist. Ich bin einzigartig. Anders als der ganze, dämliche Rest. Doch das hilft mir nicht. Niemand hört mir zu, hört mich an, erkennt meine Worte. Sprech ich meine eigene Sprache? Macht mir nichts. Ich war schon immer allein. Ich wüsste auch gar nicht, mit Menschen umzugehen. Ich will es auch gar nicht. Menschen haben nichts, was mich reizt. Wer braucht schon Menschen? In unserer Gesellschaft überlebt man doch eh nur, wenn man niemandem vertraut und jeden nur ausnutzt. Doch dieses Spiel mach ich nicht mit! Ich bin kein Mensch, wie jeder andere. Meine Welt ist anders, in der ich wohl immer allein leben muss, wenn es kein anderer erkennt. Um sich von all diesen Krankheiten, Geschwüren und ekelerregenden Idioten zu lösen, abzugrenzen, muss man sich von diesem Leben, diesem Dasein lösen. Nur wer diese Welt verlässt, kann eine bessere finden. Ich habe sie gefunden und ich werde sie bereisen, sie zu meinem Zuhause erklären und niemals wieder verlassen. Ich weiß nicht mehr, ob meine Augen offen, oder geschlossen sind. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schon hier liege und in mich starre. Jede Sekunde bekräftigt meine Entscheidung. Dieses Leben ist es nicht wert, es zu leben. Dieses Dasein ist es nicht wert, sich zu quälen. Es kann nur noch besser werden. Eine Welt wie diese werde ich nicht vermissen. Wer vermisst schon irgendwas? Ich atme tief ein, lehne mich entspannt zurück und spüre mein warmes, fast heißes Blut auf meinen Armen und ich weiß, bald ist es vorbei. Vorfreude füllt meine Brust und ich spüre, dass meine Lippen ein Lächeln ziert. Ich lächle nur breiter, ein ungewohntes Gefühl, den Mund so zu ziehen. Aber es hat etwas Befreiendes. Ich sinke zurück in die Dunkelheit, in das Nichts meiner Welt. Hier bin ich Zuhause. Endlich komme ich da an, wo ich immer hin wollte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)