Die letzten Tage meines Lebens von Jim ================================================================================ Kapitel 3: Tag 3 ---------------- Tag 3 „Das... das... das ist unglaublich.“, stammelte Hayate mit weit geöffneten Augen, „Er wurde den ganzen Tag gefoltert... er wurde verstümmelt und misshandelt... ihm wurden BEIDE Beine amputiert... wie... wie konnte er das schaffen?!“ „Tja...“ Toshi zog an seiner Zigarette. „Das ist eine verdammt gute Frage.“ Er nahm seine Zigarette und schnippste sie durch das Loch, welches sich in der Wand des Verschlags befand und einen wunderschönen Ausblick auf das Meer offenbarte. *** Als er wieder das Beusstsein erlangte war das erste was er sah ein grau verhangener Himmel. Über ihm kreisten ein paar Möwen und er hörte sie dumpf schreien. Nur dumpf deshalb, weil er immer noch im Meer schwamm. Wie ein Stück Abfall trieb er auf der See. Seine Beinstümpfe brannten so stark, dass es keine Worte gab diesen Schmerz zu definieren. Aber sein gesamter Körper schmerzte überhaupt unermesslich, weshalb ihm seine Beine kaum auffielen. Überhaupt bemerkte er nicht all zu viel, viel zu sehr hatte ihn die Folter mitgenommen. Er konzentrierte sich und hob den Kopf ein wenig und sah zur Seite. Zwar konnte er es kaum erkennen, doch er sah tatsächlich den Hafen. Und als ob es ein Wink des Schicksals war, trieb die Flut ihn immer näher in die Richtung des Hafens. So gut es ging paddelte er mit seinen Händen noch in die Richtung, auch wenn er kaum in der Lage war seine Arme zu bewegen – geschweige denn richtig zu schwimmen. Er wusste nicht wie viel Zeit vergangen war seit er ein Loch in die Wellblechwand geschlagen hatte, woraufhin er gut dreißig Meter tief gefallen war, nur in dem Glauben weiterhin am leben bleiben zu können. Schließlich erreichte er den rettenden Steg. Sein ganzer Körper zitterte und das nicht nur aufgrund der Tatsache, dass er von Kopf bis Fuß durchnässt war und es an der Grenze zum Winter war. Mit blutig roten Händen zwang er sich auf den Betonsteg und blieb erst einmal schwer atmend liegen. Wie sollte es nun weitergehen? Er würde nicht mehr die Kraft finden – oder auch nur den Weg – um wieder in seine Wohnung zurück zu kehren. Und selbst wenn, er hatte den Schlüssel nicht mehr. Er wusste nicht ob er ihn erst im Meer verloren hatte oder ob man ihn ihm schon vorher abgenommen hatte, aber es spielte auch keine Rolle. Und auch auf Hilfe von einem Fremden brauchte er nicht hoffen. In dieser Metropole störte das Leid der anderen niemanden mehr. Es geschahen zu viele Verbrechen aus zu vielen Gründen, als das irgendwer noch irgendwem der am Boden liegen würde trauen oder gar helfen würde... selbst dann nicht wenn er eine Blutspur hinter sich her zog, so wie er es tat, als er die Treppen des Stegs hinaufkraxelte. Qualvoll schaffte er sich Millimeter für Millimeter vorwärts zu ziehen. Auf seine Beine konnte er sich nicht mehr stützen, dass verstärkte den Schmerz nur in einem Maße, unter dem sein Körper einfach nachgab und er auf dem kalten Boden zusammensank. Der Glaube eine Decke oder ein Plane aus einer Mülltonne heraushängen zu sehen trieb ihn dazu sich in eine Seitengasse zu schleppen. Tatsächlich schien er erneut Glück im Unglück zu haben, denn er fand tatsächlich eine Decke. So gut es ging wickelte er sich darin ein, auch wenn er kaum noch Gefühl in seinem Körper hatte. Mit vor Kälte bebenden Lippen sah er auf. Manchmal konnte es wohl wirklich Böse enden eine gute Tat zu tun. Hätte er einfach nur den Abzug gedrückt würde er nun vermutlich wieder in seiner Wohnung sitzen, würde ein warmes Essen genießen und irgendeine belanglose Sendung im Fernsehen anschauen. Vielleicht würde er auch mal wieder ein Buch lesen oder einfach nur länger schlafen. Doch was auch immer er tun würde, er würde nicht mehr tot als lebendig in einer Gasse liegen und sich mit einer Decke zudecken, die irgendjemand in den Müll geworfen hatte. Aber er hatte ihn nicht gedrückt. Er hatte zwei Menschenleben verschont, die er eigentlich hätte beenden sollen. Zwar hatte er etwas gutes getan... aber er hatte er auch das RICHTIGE getan? Würde ihm diese Frage beantwortet werden, nachdem er in dieser dreckigen Gasse qualvoll zu Grunde gegangen war? Oder würde er einfach nur in ein neues Leben geschickt werden, dass mit noch mehr Fragen gefüllt war? Im Verlauf des Tages wurde es kälter und der Himmel klarte auf. Über ihm funkelten Stumm die Ferne wie tausend kleine Kerzenlichter. Früher hatte er den Sternenhimmel immer gerne fasziniert angestarrt, aber dieses Mal hatte er nicht mal die Kraft um seinen Kopf zu heben. Er bemerkte das Sternenlicht über ihm nicht einmal. Stattdessen zitterte sein gesamter Körper und sein schwacher Atem stieg als eine kleine Dampfschwade nach oben hin auf. Er ballte seine zerschundenen Hände so gut es ging zu Fäusten. Langsam wurde es ihm schwarz vor Augen und es fiel ihm immer schwerer seine ohnehin schon halb zugefallenen Augen offen zu halten, aber er durfte nicht einschlafen. Schlafen bedeutete womöglich nie wieder aufwachen. Ein leises Quietschen ließ ihn seinen Kopf heben. Im fahlen Licht der Straßenlaterne erkannte er eine kleine Katze. Der Größe nach zu urteilen konnte sie nur wenige Wochen alt sein. Offenbar nach ihrer Mutter schreiend, oder nach sonst jemandem der sich ihr annehmen würde, tapste sie unbeholfen über den kalten Boden. „Komm her…“, wollte er sagen und bewegte auch dementsprechend seine Lippen, aber kein Ton verließ seine Kehle. Er konnte einfach keinen Ton mehr herausbringen… er hätte nicht mal um sein Leben schreien können, wenn er es gewollt hätte. Dennoch schien das Tier ihn verstanden zu haben. Er hob seine zitternde Hand und öffnete ihr einen kleinen Gang unter die Decke. Mit einer Hand strich er leicht über ihren Rücken. Weil seine Hände so kalt waren fühlte sich jedes einzelne Haar wie eine Nadel an, welche eine tiefe Kerbe in sein Fleisch schnitt. Dennoch hörte er nicht auf. Es dauerte einige Zeit bis das Tier anfing leise zu schnurren, sich zusammenkugelte und schließlich einschlief. Müde lächelte er. „Bist noch sehr jung, hm?“, dachte er und bewegte wieder passend die Lippen dazu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)