Zodiac von mystique (∼ Die etwas andere Art der Rache ∼ KaibaxWheeler) ================================================================================ Kapitel 4: Wid(d)er Erwartens ----------------------------- Wid(d)er Erwartens Pläne schmieden zählte nie zu einer meiner Stärken. Offen gestanden hatte ich mich damit immer recht schwer getan. Meine Devise war es, spontan und situationsbedingt zu handeln, mich nicht auf Reservepläne A, B oder X zu verlassen. Der Plan, Kaiba seine Schmähungen in Form von gefälschten Horoskopen heimzuzahlen zählte somit zum ersten, einzigen durchführbaren und tatsächlich funktionierenden Konzept, das noch dazu von mir stammte. Ich hatte nicht vor, diese glückliche Fügung des Schicksals in Frage zu stellen - geschweige denn, mich nun auf halsbrecherische Art und Weise von einem Schlachtplan in den nächsten zu stürzen – doch ich kam nicht umhin, zugeben zu müssen, dass eine derartige Entwicklung nicht weitgehend ungenutzt bleiben konnte. Wenn ich es geschafft hatte, Kaiba dazu zu bringen, am Sportunterricht teilzunehmen, zu welchen wundervollen Dingen würde ich ihn sonst noch bringen können? Meine Wochenenden beschränkten sich für gewöhnlich darauf, dass ich den größten Teil des Tages verschlief, mich am frühen Nachmittag zum Frühstücken aufraffte und schließlich den kümmerlichen Rest des Tages mit meinen Freunden verbrachte oder aushilfsweise irgendwo jobbte, um meine Haushaltskasse etwas aufzufüllen (sie hatte es nötig). Dieses Wochenende gestaltete sich etwas anders. Es begann früher und es sollte später enden. Es galt, sich eine Zielsetzung der kommenden Woche festzulegen. Bis Montag brauchte ich einen neuen Entwurf für Kaibas Horoskop und die Herausforderung bestand darin, ein Horoskop zu entwerfen, dessen Auswirkungen nicht alleine Montag, sondern auch noch Dienstag und Mittwoch spür- oder sichtbar sein würden, denn erst am Donnerstag würde Kaiba das nächste Horoskop lesen. Natürlich hatte mein erster Entwurf am Freitag bereits vollen Erfolg gezeigt. Kaiba hatte beim Sportunterricht mitgemacht – ein bedeutender Einschnitt in unsere Schulgeschichte – doch es hatte sich nicht annähernd so entwickelt, wie ich es geplant hatte. Kaiba hatte sich zu meinem Leidwesen als durchaus sportlich erwiesen – wie um alles in der Welt war das überhaupt möglich und warum nahm er bei seiner Kondition dann trotzdem normalerweise nicht am Unterricht teil?! – und er hatte sich nicht wie geplant vor der Klasse bloßgestellt – sei es durch ein Stolpern über seine Schnürsenkel, mein Bein oder etwas anderes. Auch die Tatsache, dass ich ihm durch meinen misslungenen Schlag beinahe das Nasenbein zertrümmert hätte, konnte nicht als Bloßstellung bezeichnet werden, war doch bei den Mädchen die Bewunderung für ihn nur gestiegen, da er keinen Moment Schmerz gezeigt, geschweige denn ohnmächtig geworden war. Auch die Jungen hatten es nicht gewagt, sich in irgendeiner Art und Weise über ihn lustig zu machen – ob es an der Drohung einer Klage gelegen hatte, wusste ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Alles in allem ließ sich somit feststellen, dass die gesamte Sportstunde (er hatte nicht einmal die zweite mitgemacht) in ein Fiasko ausgeartet war. Kaiba war beliebter (und gefürchteter) als je zuvor. Seto – ich kenne keinen Schmerz, nicht einmal wenn Wheeler mir beinahe die Nase bricht – Kaiba hatte also wieder einmal gewonnen. Doch ich war nicht gewillt, es dabei zu belassen. Wie konnte Kaiba die Frechheit besitzen, mich zu besiegen, wo ich die Fäden in der Hand hielt?! Das war unverzeihlich und nicht zu tolerieren! Dafür würde er aufs höchste aller Maßen bezahlen, das schwor ich mir. Und das schönste an all dem war, dass ich am Sonntagvormittag einen Racheplan hatte, der gleichsam brillant wie gerissen war. Kaiba konnte sich dieses Mal nicht retten, es gab einfach keine Möglichkeit. Die Grundlage meines Plans lag in Form von Grimms Märchen direkt neben mir, als ich mit einem unheimlichen Lachen (ja, ich hatte es mir von Kaiba abgeguckt) bäuchlings auf mein Bett warf. Zwischen den Buchseiten lag fein säuberlich zusammengefaltet, der neueste Entwurf des Montagshoroskops, genau zwischen Schneewittchen und dem Anfang von Rotkäppchen. Zum ersten Mal konnte ich es nicht mehr erwarten, dass es Montag wurde. oOo „Und, schon den nächsten Schritt eingeleitet?“ „Vorbereitung abgeschlossen, ist quasi schon in der Durchführung.“ Duke lehnte neben mir an einem der Spielautomaten und blickte mit vagem Interesse auf dem Bildschirm vor dem ich saß und momentan mit sinnloser Begeisterung auf Untote schoss. Im Hintergrund lieferten Tristan und Téa sich ein Duell vor dem Tanzautomaten (Téa hatte solange auf den armen Tristan eingeredet, bis dieser sich stöhnend geschlagen gegeben hatte), wurden dabei von Ryou und Yugi angefeuert. „Und?“ Duke beugte sich etwas weiter vor, ich hörte das unterdrückte Interesse in seiner Stimme nun deutlich und kam nicht umhin, zu grinsen. „Was denn, ich dachte, du wolltest nichts mehr damit zutun haben.“ Er murmelte etwas Unverständliches, während ich ins nächste Level aufstieg und nun noch mehr grüne Gegner als vorher hatte. „Das habe ich so nicht gesagt.“ „Ach, tatsächlich?“ Ich drückte den roten Knopf auf der Armatur und eine Explosion dröhnte aus den Lautsprechern, während grüne Körperteile über den Bildschirm flogen. „Na wer sagt’s denn!“ Hinter mir verdeutlichte ein Fluchen von Tristan, begleitet von mitleidiger Musik, dass Téa ihn soeben in Grund und Boden getanzt hatte. Yugi und Ryou beglückwünschten die Gewinnerin, während Tristan sich beleidigt zu einem Autorennen zurückzog. Ich spürte Dukes durchdringenden Blick auf mir und musste mir einen selbstzufriedenen Kommentar verkneifen. Stattdessen griff ich in die Innentasche meiner Jeansjacke und hielt ihm schließlich einen gefalteten Zettel vors Gesicht, während ich mit der anderen Hand den Steuerknüppel bediente und Angriffen auswich. „Sogar bereits abgetippt und sendebereit“, fügte ich hinzu, als Duke mir den Zettel aus der Hand nahm und ihn auseinanderfaltete. „Nicht schlecht“, gestand er und als ich ihm aus den Augenwinkel einen Blick zuwarf (ich stieg nebenbei erneut ein Level weiter auf), sah ich, dass er anerkennend die Augenbrauen gehoben hatte. „Hat auch lange genug gedauert, bis ich alles zusammen hatte. Ich schwör dir, Kaiba wird sein blaues Wunder erleben.“ „Und was genau hast du nun vor?“ Eine aufblinkende Lampe über dem Spielautomaten, zusammen mit euphorischer Musik verkündete mir, dass ich soeben den Highscore übertroffen hatte. Ich drehte mich auf meinem Sitz schwungvoll um hundertachtzig Grad, verschränkte überlegen die Arme und lächelte Duke viel versprechend an. „Lass dich überraschen. Ich kann soviel sagen: Wenn ich mit Kaiba fertig bin, wird ihn niemand mehr wieder erkennen.“ Und hinter mir blinkten in bunten Lettern die Worte: You win! oOo Skorpion 24.10-22.11 Seien Sie in dieser Woche auf Veränderungen vorbereitet. Zwar reagieren Skorpione sensibel auf Umstellung, doch lassen Sie es einfach zu. Meiden Sie in nächster Zeit vor allem die Raute, da sie negative Strahlung verbreiten und sich nachteilig auf Sie auswirken können. An Tagen wie diesen ist Schwarz die Farbe, die zu Ihrer ersten Wahl gehören sollte, genauso sollten Sie der irritierenden Strahlung der Raute mit dem sechszackigen Stern begegnen. Ob in Form eines Talismans, einer Kette oder lediglich eines Symbols spielt hierbei keine Rolle, lassen Sie sich nicht verunsichern. Diese Woche verspricht, außergewöhnlich zu werden, Ihre Stimmung wird ungeahnte Höhen erreichen. Lassen Sie sich von Rückschlägen der letzten Woche nicht beunruhigen. Solange Sie diesem Tag mit positiver Strahlung begegnen und keine Bitte ausschlagen, haben negative Einflüsse keine bleibende Wirkung auf Sie. oOo Trotz allem hatte ich am Montag Probleme, rechtzeitig aufzustehen. Euphorie und Vorfreude hin oder her, sie änderten nichts daran, dass ein Joey Wheeler seinen Schönheitsschlaf brauchte. Verschlafen kämpfte ich mich aus den Tiefen der Decke, stieß im Vorbeitaumeln den Wecker um, stolperte und hätte beinahe den Computer umgerissen. Mein Frühstück ließ sich auch als Fast Food bezeichnen, schaffte ich es doch, es mir genauso schnell zuzubereiten, wie es wohlmöglich in Burger World ebenfalls der Fall gewesen wäre. Mit einem Brot im Mund, der Tasche über der Schulter und dem Jacke der Schuluniform in der Hand stolperte ich das Treppenhaus hinab, ließ zwischenzeitlich meine Schlüssel fallen und schaffte es schließlich ohne Genickbruch (ich hatte auf halber Höhe der Treppe beinahe das Gleichgewicht verloren) aus dem Haus. Ich stand bereits an der Bushaltestelle, als mir mit einem Japsen nach Luft, gepaart mit einem Fluch (für den Téa mich mit mehr als nur einem strengen Blick gestraft hätte) bewusst wurde, was ich vergessen hatte. Ich schätze, den Weg von der Bushaltestelle zurück, durch das Treppenhaus und in meine Wohnung, hatte ich noch nie so schnell wie an diesem Montagmorgen hinter mich gebracht. Meine Schultasche war irgendwo zwischen noch offener Eingangstür und Schlaf-/Wohnzimmer abhanden gekommen, doch galt meine Aufmerksamkeit nun einzig dem Computer vor dem ich hockte und der heute Morgen langsamer hochfuhr als jemals zuvor. (Ich wusste, dass er das mit Absicht tat!) Zu meinem Glück hatte ich das Horoskop bereits gestern als Dokument gespeichert und sah mich nun lediglich dazu verpflichtet, es abzuschicken. Mit einem Seufzer der Erleichterung auf den Lippen ließ ich mich nach hinten Sinken. Als ich den Kopf wandte, fiel mein Blick auf den Wecker, der neben mir auf dem Boden lag und dessen Zeiger mich auf hämische Art und Weise anzugrinsen schienen, während der Sekundenzeiger höhnisch tickte. Mit einem Aufschrei war ich auf den Beinen, drückte auf den Ausknopf des Rechners und stürmte aus dem Zimmer. Im Rennen packte ich meine Schultasche samt Uniformjacke und sprintete im Eiltempo aus der Wohnung. Die Tür schlug hinter mir zu, ich flog regelrecht die Treppen nach unten und erreichte die Bushaltestelle genau rechtzeitig, um dem Bus hinterher winken zu können, der soeben abgefahren war. Ich rief ihm hinterher, machte mit meiner Schultasche wilde Gestiken, für die einige Passanten mir irritierte Blicke schenkten, und machte sogar Anstalten, dem Bus hinterher zu laufen, doch sah ich schnell ein, dass das Unterfangen von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Schwer seufzend und mich meinem Schicksal fügend trottete ich zu der überdachten Bushaltestelle zurück und ließ mich auf die Plastikbank fallen. Schnaufend legte ich den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Der Montagmorgen würde nie seine Schrecklichkeit verlieren, ganz gleich, welches Horoskop auch darauf warten mochte, von Kaiba gelesen zu werden. Wenigstens war ich nun von der ersten Stunde befreit. Der nächste Bus kam erst in vierzig Minuten. Guten Morgen, Joey. Die Woche konnte beginnen. oOo „Joey, wo bist du gewesen?“, fragte Tristan, als er mich erblickte. Knurrend schleuderte ich meine Tasche neben meinen Platz und schmiss mich regelrecht auf den Stuhl. Die erste Stunde war seit zwei Minuten zu Ende, die zweite würde gleich beginnen und erst Sekunden vorher hatte ich mit finsterem Gesichtsausdruck die Klasse betreten. „Steckte im Stau.“ „Stau?“, wiederholte Téa, die an ihrem Tisch, direkt neben mir saß und ihren Kopf auf die Handfläche stützte. Ihre großen Augen musterten mich skeptisch. „Wie kannst du im Stau stecken?“ Ich stöhnte frustriert. „Nehmt doch nicht alles gleich so bitterernst. Ich hab den Bus verpasst und konnte auf den nächsten warten. Das dauert seine Zeit und wirkt sich genauso aus, wie ein Stau.“ „Dann drück dich klarer aus, mein Gott“, gab Téa zurück und lächelte süßlich. „Du scheinst ja mehr als nur gut gelaunt.“ „Es geht mir blendend“, schnappte ich und wühlte abwesend in meiner Schultasche. „Genauso wie jeden Montag – was du mittlerweile wissen solltest – und noch dazu haben wir jetzt Japanisch, wenn ich mich nicht täusche und – wo verdammt noch mal ist mein Block?!“ „Äh, Joey?“, fragte Yugi zaghaft, als ich kurzerhand meine Tasche über meinem Tisch ausleerte. Hefte fanden ihren Weg nach draußen, ebenso Bücher, Schnipsel von Papier, vereinzelte Stifte, Radiergummis, Duel Monsters Karten, Münzen – mein Mittagessen war gesichert (sofern ich es schaffte, die Münzen nachher wieder aufzusammeln) – Krümel, Staub, Konfetti – „Joey ...?“ Meine Freunde begegneten dem an Größe zunehmenden Haufen auf meinem Tisch mit Befremdung. Tristan fischte eine der Karten aus dem Haufen und verzog das Gesicht. „Du hast die Karten, ich hab sie schon seit Wochen gesucht! Wie kommen meine Karten in deine Tasche? Bei unserem letzten Duell hätten sie mir sehr geholfen.“ „Kein Plan, Alter“, murmelte ich, ohne seine Worte wirklich wahrzunehmen und wühlte konzentriert im Haufen herum. Doch so sehr ich auch suchte, neben all den Dingen, von denen ich (und meine Freunde zweifellos auch) mich mehr als nur wunderte, was sie in meiner Schultasche zu suchen hatten (wie bitte kam Konfetti in meine Tasche?!), von einem Block war keine Spur. Mit einem Schaudern fiel mir ein, dass er neben dem Computer auf dem Boden lag, zusammen mit der handschriftlichen Fassung von Kaibas heutigem Horoskop. Ich fluchte, fing mir dieses Mal tatsächlich einen mahnenden Blick von Téa ein und ließ mich geschlagen nach hinten sinken. „Das darf doch nicht wahr sein. Mein Block mit allen Hausaufgaben.“ (Mehr oder weniger allen.) „Typisch Joey“, murmelte Tristan und wagte einen weiteren Griff in meinen Schulhaufen. „He, das ist mein Radiergummi. Und mein Kugelschreiber, den Serenity mir zum Geburtstag geschenkt hat ist auch hier. Joey, wie kommen meine Sachen in deinen Besitz?!“ Ich sah ihn an, hob nur abwinkend eine Hand. „Bitte, vielleicht ist ja auch das Konfetti von dir. Bedien dich.“ „Vielleicht solltest du langsam anfangen, wieder etwas Ordnung in deine Sachen zu bringen“, warf Yugi schließlich mit Blick auf die Uhr ein. „Die nächste Stunde fängt gleich an.“ Ich gab einen Laut von mir, der aus einer Mischung aus Jammern, Stöhnen und Knurren bestand, bevor ich mich aufrichtete und begann, den Inhalt meiner Tasche wieder in selbige zu befördern. Murrend schob ich schließlich den Stuhl zurück und begann, die am Boden liegenden Münzen aufzusammeln. So vertieft in dieses Unterfangen sah ich mich erst durch ein Paar dunkler Schuhe gestört, welches halb auf einer der letzten Münzen stand. „Entschuldigung, wenn du nichts dagegen hättest, würde ich gerne –“ Ich verschluckte mich beinahe am unausgesprochenen Rest des Satzes, als mir klar wurde, wem die Schuhe gehörten. Natürlich Kaiba. Wem auch sonst? Ich widerstand dem Drang, die Zähne zu fletschen, denn auf allen vieren kniend vor Kaiba auf dem Boden die Zähne zu fletschen würde er zweifellos als Anlass sehen, mich (wieder) mit einem Hund zu vergleichen. „Suchst du da unten einen Knochen, Wheeler?“ Fehlkalkulation. Ich musste nicht erst mit den Zähnen fletschen, um bei ihm diese Assoziation hervorzurufen. „Verzieh dich, Kaiba.“ „Du versperrst mir den Weg.“ „Dann such dir einen anderen.“ Zugegeben, von unten herab und noch dazu kniend regelrecht zu Kaiba (der noch dazu stand) hinauf zu schreien gehörte nicht wirklich zu meinen favorisierten Freizeitbeschäftigungen. Hinzu kam, dass er noch immer auf der Münze stand, die ausschlaggebend dafür war, ob ich heute ein halbwegs anständiges Mittagessen zu mir nehmen würde oder nicht. Berücksichtigte man all diese Komponenten, war nachvollziehbar, dass meine Laune sich seit Kaibas erstem Auftritt in dieser Woche drastisch dem Nullpunkt näherte. „Sosehr deine derzeitige Haltung auch deiner wahren Natur entsprechen mag, ist sie momentan doch mehr als nur störend.“ Warum stand Kaiba überhaupt? Sollte er nicht auf seinem Platz sitzen? Es gab Ungereimtheiten, bei denen ich mir nicht einmal sicher war, ob ich die Antwort kennen wollte. „Halt die Klappe, Pinkel und geh von meinem Geld runter.“ Er blickte an sich hinab, hob den Fuß und gab sich überrascht. „Sie an, ist das dein Monatsgeld, Wheeler? Etwas ärmlich, findest du nicht auch?“ Ich wollte nach der Münze greifen, doch er ließ den Fuß bevor ich sie berühren konnte wieder niederfahren. Geistesgegenwärtig riss ich meine Hand zurück und verhinderte ebenso, dass er sie zertrat. Knurrend starrte ich zu ihm hoch. „Spinnst du?!“ Erst jetzt fiel mir der dunkle Fleck auf, der seine Nase und die Haut drum herum zierte. Kein Wunder, von hier unten war er nicht halb so deutlich zu sehen, als wenn ich auf derselben Augenhöhe wie Kaiba gewesen wäre, dennoch fiel er auf. Das Resultat des Baseballs. Mein Werk. Kaiba hatte ein Feilchen – auf der Nase. „Sag bitte, Wheeler“, rissen mich seine Worte unsanft aus den Gedanken und ich war ernsthaft versucht, ihn zu bitten, sie zu wiederholen. Hatte ich tatsächlich das gehört, was ich meinte, gehört zu haben?! Wollte der mich verarschen? Doch das herablassende Lächeln, welches seine Lippen verzog schlossen jeglichen Zweifel aus. „Sag bitte und ich gehe vielleicht weiter.“ „In deinen Träumen vielleicht!“, fauchte ich und rappelte mich auf. Endlich waren die Seiten wieder ausgeglichen und nun wurde das Ausmaß des Feilchens auch deutlich ersichtlich. Es war nicht wirklich schön, doch zu meinem Missfallen entstellte es ihn auch nicht unbedingt. Im Gegenteil verlieh es ihm etwas Bedrohliches. Konnte er denn nicht wenigstens lächerlich damit aussehen? Warum musste er mir alles ruinieren? „Geh von meinem Geld runter, Kaiba.“ „Sag bitte bitte, Wheeler.“ „Nettes Feilchen, Kaiba.“ Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. „Warum kniest du dich nicht wieder hin? Es stand dir so gut.“ „Das könnte dir so passen, was?“ Ich beugte mich kaum merklich vor. „Du hast ein Faible dafür, mich knien zu sehen, nicht wahr, Kaiba?“ Erst als die Worte sich nicht mehr rückgängig machen ließen, wurde mir klar, wie erschreckend zweideutig sie klangen. Unangenehm berührt räusperte ich mich und machte einen Schritt nach hinten. Kaiba verschränkte die Arme und musterte mich gelassen. Diese Haltung irritierte mich. Er musste doch wissen, wie meine Worte sich auslegen ließen. Bedeutete sein Verhalten, dass es ihn kalt ließ? War er denn durch nichts aus der Ruhe zu bringen? Musste ich ihm erst wieder einen Baseball ins Gesicht schleudern, um auf eine angemessene Reaktion hoffen zu können? Das Klingen der Schulglocke löste die eingefrorene Situation schließlich auf. Kaiba bedachte mich ein letztes Mal mit einem abfälligen Blick, dann ging er wortlos an mir vorbei zu seinem Platz. Ich bückte mich rasch, hob die Münze auf und kehrte ebenfalls zu meinem – vom Inhalt der Schultasche noch immer schmutzigen – Platz zurück. Während der gesamten Stunde schaffte ich es nur mit Mühe, meinen Blick von Kaiba zu wenden, der zwei Reihen vor mir saß. Yugi betrachtete mich besorgt von der Seite, als befürchtete er, ich würde mit meinem lodernden Blick ein Loch in Kaibas Rücken brennen, doch zu meinem Bedauern, war dies nicht der Fall. Nicht einmal die Spur einer Verbrennung blieb zurück. Manchmal wünschte ich mir, wir wären Comicfiguren und das alles wäre möglich. oOo Informatik. Endlich. Der Moment der Entscheidung. Mehr oder weniger. Wir bekamen einen Arbeitsauftrag, ich fühlte mich überfordert und lief erneut Gefahr, die Daten meines Rechners mit nur einem Tastendruck zu löschen. Ich hatte mich am Wochenende mit Duke darüber unterhalten und ihm zufolge war es so gut wie unmöglich, die Daten auf demselben Weg zu löschen, wie ich es getan hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintrat, lag bei etwa drei Prozent. Natürlich hatten diese drei Prozent sich dazu entschieden, bei mir einzutreten. Ich versuchte, mich auf die gestellte Aufgabe zu konzentrieren. (Auch etwas, worüber ich mit Duke am Wochenende gesprochen hatte. Ich konnte nicht die gesamte Stunde mit Nichtstun oder Kaiba beobachten verschwenden, ohne nennenswerte Leistung zu erbringen.) Dennoch kreisten meine Gedanken um das einzige zentrale Thema: Würde Kaiba wieder dem Rat des Horoskops folgen? Ich sollte die Antwort schneller bekommen, als mir lieb war. Und zwar bereits in der Mittagspause. Wir saßen gemeinsam an einem Holztisch mit Bänken, von dem es insgesamt vier an der Zahl auf unserem Schulhof gab und der zu einem unserer Stammplätze zählte. „Willst du mein Pausenbrot?“ Tristan hielt mir ein halb in Packpapier eingewickeltes Bündel vor die Nase. „Hab die Marmelade mit Ketchup verwechselt und auf die Wurst geschmiert.“ Téa verzog angewidert den Mund und Duke verschluckte sich beinahe an seinem Reis (er hatte ein traditionell japanisches Obentô dabei), als ich dankend Tristans Brot annahm. (Immerhin sparte ich mir so das Geld für ein teures Mittagessen.) „Du hast echt vor, das zu essen?!“, stieß Duke zwischen einem Husten und einem Japsen nach Luft hervor und schaffte es trotz des akuten Sauerstoffmangels noch schockiert zu klingen. Téas Blick (noch immer auf mir ruhend) wurde eine Spur fassungsloser und sie wich auf ihrem Platz ein Stück zurück. Ich erwiderte ihre Blicke offen und zuckte gleichgültig die Schultern. „Was habt ihr? Schmeckt auch nicht wirklich anders als Erdnussbutter mit Senf. Noch nie Süßes mit Deftigem kombiniert?“ „Das ist absolut ekelig“, bemerkte Téa und schüttelte sich schaudernd. „Joey, du hast einen kranken Geschmack.“ Ich neigte nicht verstehend den Kopf. „Serenity hat das mal als exzentrische Gourmetzunge bezeichnet, aber krank hat sie es nicht genannt.“ „Man kann sich heutzutage alles schön reden“, erwiderte Téa kopfschüttelnd und gab sich seufzend geschlagen. „Iss nur, Joey. Solange es dir schmeckt.“ Ryou saß selig lächelnd neben uns und verschob abwesend Dukes Stäbchen (er hatte gleich mehrere Paare mitgebracht, weiß der Teufel, wieso) zu skurrilen Mustern und Formen. Auf die Frage hin, ob er denn nichts essen wolle, deutete er auf das Obst neben sich und schob sich versonnen eine Weintraube zwischen die Lippen. Ryou war schon eine Person für sich, manchmal hatte ich das Gefühl, er war regelrecht unsichtbar, so unauffällig verhielt er sich. „Da ist Kaiba“, bemerkte Duke geradezu beiläufig und sämtliche Köpfe wandten sich, um einen Blick auf den Gemeinten zu erhaschen. Ich biss herzhaft in Tristans Pausenbrot und spähte aus den Augenwinkeln zu Kaiba. Ich fragte mich, ob das Horoskop bereits Wirkung erzielte. Kaiba kam genau auf uns zu. Natürlich nicht zu uns – er würde sich nie dazu herablassen, seine Zeit mit uns zu verschwenden, doch sein Mittagsplatz befand sich ganz in unserer Nähe. Als er auf gleicher Höhe mit uns war, wurde er sich der Blicke bewusst, die auf ihm ruhten. Er hielt inne und seine Augen wurden eine Spur dunkler, seine Haltung distanzierter und man konnte die mentale Kälte, die er ausstrahlte, geradezu spüren. „Gibt es einen Grund für euer Starren?“ Seine Worte waren knapp bemessen, doch für gewöhnlich war es ein Charaktermerkmal von Kaiba, so wenig wie nötig zu sprechen. Yugi war der erste der reagierte, indem er den Kopf schüttelte. Schließlich folgten auch die anderen seiner Handlung, nur ich rührte mich nicht, schluckte lediglich den Bissen und lehnte mich ein Stück zurück, damit ich einen besseren blick auf Kaiba hatte. „Ja“, antwortete ich schließlich offen auf seine Frage und genoss die sekundenlange Irritation auf seinem Gesicht. „Und was für ein unbedeutender Grund sollte das sein, Wheeler?“, richtete er sich an mich, das Gesicht ausdruckslos, nachdem er die Fassung zurückerlangt hatte. Ich wagte einen kühnen Schritt. „Bist du nicht Grund genug?“ Ich hatte ihn. Zum ersten Mal, seit ich denken konnte, war Kaiba sprachlos. Wegen mir. Unfassbar. „Joey?“, flüsterte Téa erstaunt und auch Duke und Tristan wirkten nicht minder überrascht. Yugi schien nachdenklich und Ryou ... widmete sich den Stäbchen. (Nahm er überhaupt etwas von dem wahr, was um ihn herum geschah?) Ich lehnte mich ein Stück weiter auf meinem Platz zurück und beobachtete mit Befriedigung, wie Kaiba um Fassung rang. Ich sog jeden Augenblick in mich auf, verinnerlichte jedes Detail, um nichts zu vergessen. „Mach dich nicht lächerlich, Wheeler“, entgegnete Kaiba, doch die Tatsache, dass er eindeutig zu viele Sekunden für diese simple Erwiderung gebraucht hatten, war Beweis genug für mich. Er war tatsächlich überrascht. Wer hätte das gedacht. Kaibas Blick wurde noch um einige Nuancen (ich hatte das Wort von Téa gelernt, die hatte Französisch und ich war stolz darauf, dass ich es behalten hatte) abweisender. „War das alles?“ Sein Blick wanderte von einem Gesicht zum nächsten, als suche er in unserer Mimik nach einer Verneinung. „Gut, denn dies hier ist nichts weiter als –“ Er brach ab. Niemand von uns hatte auch nur ansatzweise Zeit, um nach dem Urheber dieser Reaktion zu suchen, geschweige denn ihn zu finden, da versteifte sich Kaibas Haltung und er machte einen Schritt zurück. Er öffnete den Mund, zögerte, wandte sich dann mit den Worten „Pure Zeitverschwendung“ um und ging. „Was war denn das?!“, fragte Téa und schüttelte nicht verstehend den Kopf. „Kaiba wird von Tag zu Tag seltsamer.“ „Das kannst du laut sagen“, stimmte Tristan zu, der Kaiba mit einer Mischung aus Belustigung und Verwirrung hinterher sah. Ich schwieg. Mein Blick pendelte zwischen Kaiba und dem Tisch hin und her. Dort, wo Ryou die letzten Minuten die Stäbchen von Duke hin und her geschoben hatte, zeichnete sich nun eine klare Form ab. Eine Raute. Strike one! oOo Letzte Stunde. Der Tag hatte sich als weitaus nachgiebiger als erwartet erwiesen. Ich musste zugeben, dass mein Hochgefühl angesichts Kaibas Verhalten dabei eine nicht allzu geringe Rolle spielte. Alles, was mich nun noch von einem freien Nachmittag trennte, war die letzte Stunde. Und sie stellte den Höhepunkt meines Tages dar. Alles in meinem Plan baute auf dieser Stunde auf. Kaiba musste wie vorgesehen handeln, oder ich konnte meine ultimative Rache noch einmal überdenken. „Und wie ich es euch bereits mehrfach in den letzten Wochen angekündigt hatte“, erklärte unsere Lehrerin zehn Minuten später, während nun allmählich Ruhe in den Klassenraum einkehrte, „steht das Schulfest kurz bevor. Jeder Jahrgang wird einen Beitrag für unsere Schule leisten, wie ihr wisst.“ Sie bedeutete Téa, nach vorne zu kommen. Téa war Jahrgangssprecherin. Ihr verdankte ich die genauen Informationen, die ich für den Plan gebraucht hatte. Sie nahm die Kreide in die Hand und begann, die Zeichen eines nur allzu bekannten Titels an die Tafel zu schreiben. Ein Raunen, begleitet von vereinzeltem Lachen erfüllte die Klasse, als Téa die Kreide sinken ließ und sich uns zuwandte. Ich musste grinsen. Auch ich hatte es erst nicht glauben können, doch es war wahr. Grimms Märchen. „Die Schülerversammlung hat entschieden, dass unser diesjähriges Thema des Schulfests die europäischen Märchen der Gebrüder Grimm sein sollen“, begann Téa zu erklären und lächelte nachsichtig, ob der ungläubigen Gesichter, mit denen sie sich konfrontiert sah. „Grund dafür ist der Versuch, einen Teil der anderen Kultur zu integrieren.“ „Mit Märchen?!“, entfuhr es Tristan und ein Großteil der Klasse zuckte angesichts seiner Waghalsigkeit zusammen. Jeder wusste, dass man Téas Worte nicht hinterfragen durfte, wenn man an seinem Seelenfrieden hing. Und sogleich zeigte dieser Faux-Pas seine Folgen: Ein gefährliches Blitzen schien sich durch Téas Blick zu ziehen, welcher sich bedrohlich auf Tristan richtete. „Ja, mit Märchen. Hast du ein Problem damit?“ Mechanisch schüttelte Tristan den Kopf und als Téa ihren Blick durch die Klasse schweifen ließ, taten es ihm die anderen umgehend gleich. „Sehr gut.“ Sie schenkte der Klasse ihr unschuldigstes Lächeln und neigte den Kopf. „Dann wäre das geklärt. Nun zum nächsten Punkt. Die Schülerversammlung hat weiterhin entschieden, dass jeder Jahrgang aufgeteilt wird. Dies bedeutet in unserem Jahrgang mindestens vier Gruppen. Unser Konzept für das Schulfest sieht folgendermaßen aus.“ Sie blickte auf die Zettel, die sie in der Hand hielt. „Jeder Gruppe wird ein Märchen zugeteilt. Anschließend muss sie sich ein Projekt überlegen. Es steht ihr frei, wie sie das Märchen integriert, es muss jedoch erkennbar sein und darf in seinem Inhalt nicht grundlegend verändert werden.“ Sie sah auf, als wartete sie auf Fragen. Niemand wagte es, sich auch nur zu rühren. Sie lächelte süßlich. „Und nun zum interessanten Teil. Ich habe die Listen der drei Gruppen unserer Jahrgangsstufe dabei, ebenso steht bereits fest, welche Märchen ihnen zugeteilt wurden.“ Wie auf Kommando schien sich die Haltung aller Schüler zu verändern. Interesse und Neugierde lagen in der Luft. Ich blieb ruhig sitzen. Ich wusste, was mich erwartete. Alles lief nach Plan. „Ich will euch keine falschen Hoffnungen machen“, fügte Téa hinzu, „die Listen der Gruppenmitglieder ist ausgelost. Sie wurde durch keine Schülerliste festgelegt.“ Enttäuschtes Gemurmel einiger Seiten folgte. Téa ließ sich nicht beirren. „Ich hänge euch die Listen an die Wand, dann hat jeder die Chance zu sehen, in welcher Gruppe er ist. In den Parallelkursen wird im Moment genau dasselbe getan, ihr habt also nach der Stunde genug Zeit, euch darüber auszutauschen.“ Nun wurde es unübersichtlich in unserem Klassenraum. Stühle schabten über den Boden, als Schüler aufstanden und auf die andere Klassenseite zudrängten, darum bemüht, so rasch wie möglich einen ersten Blick auf die Listen erhaschen zu können. Dicht neben mir hörte ich Tristan, der sich zu Duke vorgekämpft hatte und ungläubig schien. „Märchen? Wollen die uns auf den Arm nehmen? Wir sind nicht mehr im Kindergarten, wir sind Oberschüler!“ Duke schien überraschend gelassen. „Und? Akzeptier es. Mädchen stehen voll auf das europäische Zeug.“ Eine kurze Pause. „Echt?“ „Ja. Und wenn du dich interessiert gibst, hast du so gut wie gewonnen.“ „Ist ja krass.“ Ich wandte mich ab. Meine Aufmerksamkeit hatte sich auf Kaiba gerichtet, der einige Reihen vor mir saß und von all dem Geschehen im übrigen Klassenraum unbeeindruckt schien. Es wurde Zeit, für einen weiteren Test. Das Kratzen der Stuhlbeine über den Boden ging gänzlich in dem Gemurmel meiner Mitschüler unter, als ich mich erhob und die wenigen Meter zu Kaiba hinter mich brachte. Dicht hinter ihm blieb ich stehen. Er hatte mich aufgrund des allgemeinen „Gewusels“ um uns herum nicht bemerkt. Perfekt. Ich blickte über seine Schulter und erkannte, dass er vertieft in einige Unterlagen war (mit allergrößter Wahrscheinlichkeit aus seiner Firma, denn Schulstoff konnte Kaibas Aufmerksamkeit für gewöhnlich nicht lange auf sich ziehen - er war verdammt noch mal ein elendes Genie, dieser reiche Pinkel!) und darum ohnehin wenig von dem wahrnahm, was um ihn herum vor sich ging. Perfekt. Ich beugte mich vor, bis mein Gesicht nur noch ein Stück von Kaiba entfernt war, dann öffnete ich den Mund und fragte: „Blau oder schwarz?“ „Schwarz“, antwortete Kaiba ohne zu zögern. Ein triumphierendes Grinsen erschien auf meinen Lippen und ich richtete mich gerade rechtzeitig wieder auf, um einem schmerzhaften Zusammenstoß mit Kaibas Schulter zu entgehen, als er sich ruckartig aufrichtete sich zu mir umdrehte. Ich hatte ihn in einem unachtsamen Moment erwischt, ich hatte ihm eine unterbewusste Antwort entlockt, ich hatte Kaiba überlistet! „Was willst du, Wheeler?“, fragte er leise und seine Stimme klang bedrohlich. Ich wusste, es missfiel ihm mehr als nur ein bisschen, dass er in einem Moment der Unachtsamkeit angesprochen worden war. Noch dazu von mir. „Was sollte diese Frage?“ Seine Frage, war im Vergleich zu meiner keine Frage mehr, sondern viel eher eine unterschwellige Drohung. Sie bedeutete mir, ihm einen nachvollziehbaren Grund für die Unterbrechung zu präsentieren. Einen nachvollziehbaren Grund, den ich natürlich nicht hatte, den ich jedoch genauso wenig brauchte. Ich lächelte Kaiba auf geradezu Ekel erregende liebenswürdige Weise an und antwortete: „Ich wollte nur wissen, ob du blau oder schwarz als bessere Farbe für den Schulboden hältst.“ Dann drehte ich mich um und schlenderte selig lächelnd in Richtung der von Téa ausgehängten Listen. Strike two! Alles lief nach Plan. Einfach alles. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Nach und nach löste sich die Schülertraube vor den Listen auf. Ich musste mir sie nicht erst ansehen, ich wusste, was mich erwartete, dennoch musste mein nächster Schritt eingeleitet werden. Ohne die Liste anzusehen, wandte ich den Kopf und blickte erneut zu Kaiba. Zu meiner Enttäuschung galt seine Aufmerksamkeit wieder den langweiligen Unterlagen in seinen Händen. Konnte er nicht wenigstens ein einziges Mal in diese Richtung sehen? Dann musste ich eben selbst nachhelfen. „Oh, na das ist ja eine Überraschung!“ Meine Stimme übertönte den allgemeinen Klassenlärm um Längen und brachte einige zum Verstummen, einige andere dazu, nur noch lauter und eindringlicher zu tuscheln. Kaiba reagierte wie gewünscht und sah auf. Rasch tat ich so, als würde ich die Listen aufmerksam mustern, doch in Wahrheit achtete ich nicht auf sie, sondern wartete, bevor ich erneut Luft holte. „Kaiba macht auch bei dem Schulfest mit? Na wer hätte das erwartet? Ich dachte immer, er hält nicht viel von solchen Veranstaltungen. So kann man sich irren!“ Ich wartete ... wartete ... – und endlich, hörte ich die erwarteten Schritte, die immer näher kamen. Das Gemurmel im Klassenraum wurde angesichts Kaibas Regung noch leiser als bereits bei meinen Worten. Als es schließlich vollkommen still war, wusste ich, dass er unmittelbar hinter mir stand. Nun kam der nächste Schritt. Ich drehte mich um und gab mich von seinem Anblick überrascht. „Oh, hallo Kaiba.“ „Was hast du gerade gesagt, Wheeler?“ Sein Blick lag ausschließlich auf mir – aufmerksam und bedrohlich zugleich. Ich neigte den Kopf. „’Hallo Kaiba’?“ „Nein, Wheeler, ich meine davor. Versuch doch wenigstens, deinen Verstand zu benutzen. Was willst du damit sagen“ – nun überflog er mit den Augen die Listen hinter mir – „ich würde bei dem Schulfest mitmachen?“ Wahrscheinlich hielt er meine Worte für einen billigen Witz. „Dein Name steht auf der Liste“, bemerkte ich mit einem Achselzucken. Seine Augenbrauen hoben sich. „Auf welcher Liste?“ „Na auf der von Schneewittchen.“ „Du halluzinierst, Wheeler.“ Ich stutzte, drehte mich um und nahm nun zum ersten Mal die Listen in Augenschein. „Nein, ich weiß doch, was ich -“ Ich brach ab, als ich erkannte, dass Kaiba Recht hatte. Sein Name stand nicht dort, wo er sollte. Auf der Liste der ersten Gruppe, wo er Téa zufolge sein sollte, war weder Kaibas Name, noch mein eigener. Zunehmend nervöser werdend überflog ich nun die anderen beiden Listen und nach beunruhigenden Sekunden wurde ich fündig. Tatsächlich waren Kaiba und ich in derselben Gruppe – wie geplant. Aber bei Weitem nicht in der richtigen. „Rotkäppchen?“, entwich es mir und verwirrt suchte ich Téas Blick. Ich hätte besser daran getan, es zu lassen, den Téa stand einige Meter entfernt und lächelte gefährlich. Ihr Blick war eindeutig und unmissverständlich und sagte mir - der ich Téa nun schon seit vielen Jahren gut genug kannte, um sie deuten zu können – „Denkst du echt ich bin so korrupt? Wenn du mich schon bestechen willst,, dann tu es anständig oder lass es bleiben!“ . Vielleicht hätte ich ihr doch, anstelle des Cupons für ein Freigetränk bei Burger World, den von mir finanzierten Besuch im Einkaufszentrum bieten sollen. Jetzt hatte ich die Konsequenzen zu spüren bekommen: Rotkäppchen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Mein Plan war zerstört. „Da muss ein Irrtum vorliegen“, bemerkte Kaiba knapp und ich wurde mir der Tatsache bewusst, dass er noch immer hinter mir stand. Ja, ein Irrtum lag vor, aber nicht so, wie Kaiba dass momentan vielleicht definieren würde. „Ich unterstütze das Schulfest finanziell, aber nicht persönlich.“ Sofort war unsere Lehrerin zu Stelle – wo sie auf einmal herkam war mir selbst schleierhaft. (Sie hatte sich in den letzten Minuten so unauffällig verhalten, wie es sonst nur Ryou konnte.) „Vielleicht ein Tippfehler? Ich bin sicher, das lässt sich beheben.“ Nur wäre Téas Einsatz gewesen. Ohne ihn war ich aufgeschmissen. Ich warf einen flehenden Blick in ihre Richtung und als sie ihn bemerkte, sah ich sie noch eine Spur eindringlicher an. Ich formte mit meinen Lippen die Worte ‚Was du willst!’ und nickte verzweifelt in Richtung Kaiba, welcher sich mittlerweile über die Inkompetenz der Schule ausließ. Téa verstand meinen Wink, ebenso wie mein Angebot und antwortete mit einem ebenso stummen, jedoch nicht minder eindeutigen Bewegen ihrer Lippen: Schuhe! Ich schauderte. Es bangte mir bei dem alleinigen Gedanken an das Grauen, welches mich über kurz oder lang erwarten würde (Schuhe? Mussten es denn ausgerechnet Schuhe sein?!), doch ich nickte bekräftigend. Ich würde alles tun, wenn sie jetzt nur endlich den Mund aufmachen würde. Und endlich – endlich! – machte sie einen Schritt auf Kaiba zu. „Aber Kaiba, es würde unserer Schule zugute kommen, wenn bekannt würde, dass du das Schulfest nicht nur finanziell unterstützt.“ Sie sah ihn offen an, als er sich zu ihr umwandte. Sag es, Téa, dachte ich und hing förmlich an ihren Lippen. Sag es und Kaiba ist schachmatt! „Könntest du nicht ein einziges Mal über deinen Schatten springen und bei dem Schulfest mitmachen?“ Und Kaiba konnte nicht ablehnen. Das Horoskop hatte ihm davon abgeraten, er musste sich fügen. Ich konnte den inneren Kampf, den er auf Téas Frage hin mit sich auszufechten schien, förmlich hören. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler Strich, seine Augen dunkler als sonst. Und endlich, als ich beinahe darum fürchtete, je eine Antwort von ihm zu hören, öffnete er den Mund und sagte: „Ich werde den Vorschlag überdenken.“ Spiel, Satz, Sieg. Ich hatte ihn. Strike three - you are out, Kaiba! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)