Cruel, bloody Paradise von abgemeldet (Ihr heiliges Spiel um meine verdammte Seele) ================================================================================ Kapitel 44: Der Tempel der Winde -------------------------------- Nach gefühlsmäßig stundenlanger Suche wurde er endlich fündig. Ein schmaler Spalt in einem der Felsvorsprünge führte ihn schließlich in den Berg hinein. Rion hielt sich selbst zur Eile an, wollte er doch möglichst schnell diesen öden Ort verlassen. Nach einem unebenen Gang dessen Deckenhöhe nach Belieben variierte erreichte er durch einen weiteren Felsspalt einen größeren Raum, ausgeleuchtet mit Fackeln an den flankierenden Wandseiten. Breite Stufen aus Stein führten ihn im Inneren des Massivs hinauf. Etwas überrascht über die Einfachheit des Aufstiegs fasste er sein Ziel ins Auge. Es musste etwas Bedeutendes am Gipfel dieses Bergkamms geben. Einen Ort an dem der Splitter ruhte. Davon war er überzeugt. Es passte mit Xia´s Rätsel überein. Je höher er steig, je kälter wurde auch die Luft welche seine Beine emporstieg und sich seinen Körper hinauf schlängelte. Es fröstelte ihn leicht als er die letzten Stufen kalten Gesteins hinter sich ließ und sich nun der gegenüberliegenden Höhlenöffnung nährte. Es schien Rion, als wäre er seit einer Ewigkeit dem vorgefertigten Weg gefolgt, der ihn hierher geführt hatte. So schritt er, die frische Luft begrüßend, hinaus. Kaum setzte er einen Fuß aus der Höhle, da wurde er von einer Böe ein Stück weit zurückgedrängt. Rion kniff die Augen weiter zusammen, der Staub brannte darin und nahm ihm die Sicht. „Jetzt könnte ich diese Schrankwand von Kerl gebrauchen“, dachte er an Trench zurück. Doch aufgeben oder zurückkehren galt für ihn nicht. Dieses Mal war er besser vorbereitet. Er drückte sich an der Bergwand entlang und folgte dem gut zwei Stiefellängen breiten Pfad vor dem Abgrund. Der Wind drängte ihn dabei immer fester gegen den eisigen Stein. Rion zitterte am ganzen Körper. Sein Weg führte noch immer nach oben zum Gipfel. Immer steiler wurde sein Aufstieg. Die Temperatur fiel und die Luft wurde merklich dünner. Hinter der nächsten Biege um die geschützte Seite des Berges traf ihn bereits wieder der peitschend Wind. Er wich einen Schritt zurück, sammelte neue Kraft und stemmte sich dagegen. Die ersten Flocken berührten seine nackten Unterarme. Ein Blick zum Himmel zeigte das Bild tänzelnder Schneeflocken. Die Wolken sahen aus als hingen sie direkt über seinem Kopf, als könne er sie berühren, wenn er die Hände ausstreckte. Es war ein seltsam surreales und doch wunderschönes Szenario. Doch aufgrund der Kälte konnte er es nicht genießen. „Scheiße ist das kalt…“, hauchte er und stieß beim Atmen kleine Wölkchen aus, die bei der Kälte deutlich zu sehen waren. Immer höher wurde die Schicht aus Schnee durch die er in der Hoffnung stapfte sein Ziel endlich zu erreichen. Sein Gepäck mit Xia wurde immer schwerer, die Hände rot vor Kälte. Ständig wechselte er die Trägerhand, damit die Finger nicht einfroren. „Nächstes mal nehme ich mir einen Wintermantel mit“, schwor er sich und konnte gar nicht so schnell bibbern, wie er fror. Der Wind blies so stark, dass Rion sich die Schulter am Gestein zerkratzte. Es blieb ein dünner Film von Blut am Stein zurück. Er selbst nahm es jedoch kaum zur Kenntnis. Mehr und mehr mischte der Wind sich mit dem feinen Schnee und wuchs zu einem regelrechten Schneesturm an. Völlig erschöpft und atemlos sank er auf die Knie. Der Schnee fegte um seine sommerliche Kleidung. Rion mühte sich die Augen offen zu halten, seine Hände versanken vor ihm im Pulverschnee. Xia lag neben ihm. Er glich einem traurigen Häufchen Elend. „Was ist los mit dir?“, ärgerte er sich über die eigene Schwäche, „Steh auf oder willst du hier oben sterben? So findest du den Splitter nie!“. Er schluckte hart, zog die Hände aus der eisigen Masse und rieb sich über die Arme. Die Hose war bis zu den Knien nass. Rion stellte das rechte Bein auf, drückte sich hoch und blickte verzweifelt um sich. In einiger Entfernung entdeckte er etwas aufblitzen. Es schimmerte goldgelb durch den Schnee hindurch. Seine Lippen waren trocken, rissen an einer Stelle leicht auf. Es schmerzte für Sekunden. Er leckte darüber und spürte die raue Oberfläche. Schmeckte das Blut. Rion nickte entschlossen, griff nach seinem Gepäck, schulterte es und eilte mit großen Schritten nach Norden. Dorthin, woraus er das vermeintlich gute Zeichen vernommen hatte. Es dauerte nicht mehr lang, da hob sich eine feste, graue Masse aus dem Schneegestöber ab. Immer mehr gewann das verschwommene Gebäude an Kontur. Es handelte sich um einen quadratischen Tempel mit einer goldenen Flügeltür und ebensolcher Kuppel. Rion sammelte alle Kraftreserven und erreichte so völlig erschöpft das hohe Gebäude. Er hatte keine Zeit für lange Höflichkeiten und betrat ohne Aufforderung den Tempel. Schnell warf er sie hinter sich wieder in die golden verzierten Angeln. Ihm offenbarte sich ein hoher Raum mit einer Allee aus geschlungenen Säulen. Zu seinen Füßen lag ein riesiges Mosaik eines geflügelten Wesens. Ohne Zweifel das Abbild eines Drachen. Daneben ein Engel mit langem, goldenen Haar und goldenen Schwingen. „Was für eine Verschwendung so ein Protzteil hier oben hinzustellen. Wer is denn so bekloppt freiwillig hier hoch zu krakseln?“, fragte er sich selbst kopfschüttelnd, „Die Welt is doch wohl total irre“. Seufzend machte er einen Bogen um nicht auf das Bild zu treten und rieb sich erneut sie unterkühlten Gliedmaßen. Im Vergleich zu Draußen war es sehr angenehm in dem Gebäude. Durch die dünne Kuppel fiel angenehmes Licht. An der Westwand des Tempels gab es eine Gallerie voller Bücherschränke. Neugierig stieg er die filigrane Holztreppe empor und warf einen Blick auf die Titel der Bücher. Sie waren jedoch bereits Jahrhunderte alt und unleserlich. Wobei Rion nicht hätte sagen könnten ob er sie überhaupt jemals hätte lesen können. Aus bloßem Interesse nahm er ohne ein besonderes zu wählen ein dickes, dunkelgrünes heraus. Kaum hatte er es herausgezogen, da fielen all die vergilbten, halb zersetzten Seiten zu Boden. Nur der knittrige sich ablösende Einband blieb noch zurück. „Ups…“, murmelte er und stellte es einfach wieder zurück, „Hat ja keiner gesehen“. Vom Balkon aus, blickte er stumm auf das Mosaik und dachte über den Fundort des Splitters nach. Es hatte ihn schon zu viel Zeit und Nerven gekostet. Und früher oder später musste er zurück durch den Schnee. „Ach man, ich hasse diesen ganzen Mist hier!“, fluchte er und warf Xia in seinem Gepäck einen bösen Blick zu. Sie blieb natürlich wie üblich ohne jede Reaktion. Xia war ohnehin der Inbegriff einer Black Box. Sie war undurchsichtig. Man wusste nie was in ihr passiert oder ob sich überhaupt etwas in diesem alten Schinken tat. Rion pustete sich heftig gegen die Haarsträhnen, welche ihm noch immer klamm im Gesicht hingen und strich sie zurück. Jede Kleinigkeit schien ihn momentan zu stören. Da fiel sein abschweifender Blick auf das Auge des Drachen im Mosaikbildnis. Es war blauviolett. Drachenaugen wurden nie in dieser Farbe dargestellt. Da war er sich ganz sicher. Sie mochten rot sein, schwarz, vielleicht golden. Jedoch nie blauviolett. Es war die Farbe von Aura. Er unterbrach sich selbst abgrubt. Denn es gab noch etwas, welches eine ähnliche, auffällige Färbung besaß: „Der Splitter!“. Hastig sprang er über das Geländer hinunter und kniete sich zum Auge des Drachen herab. So übereilt, dass er sich das Knie hart gegen den Boden schlug. Mit Schmerz verzogenem Gesicht rieb er kurz darüber, verlor jedoch keine weitere Sekunde und versuchte das Auge herauszulösen. Doch es gelang ihm nicht. Rion biss sich nervös auf die Unterlippe und zog Aura heraus um den Splitter zu lockern. Während er im Zwischenraum der Mosaikstückchen stocherte, ließ ihn ein kaum hörbares Knacken zusammenzucken. „Nein…“, das Wort erstarb noch bevor er es ausgesprochen hatte, „Das kann nicht wahr sein…“. Ein Blick auf den Splitter führte es ihm jedoch in aller Deutlichkeit vor Augen. Der Splitter war in drei Teile zerbrochen. „Nein“, wiederholte er Gebetsmühlenartig und war sich dessen doch bewusst. Beim versuch sie zu bergen, zog er sich einen feinen Schnitt in die Fingerkuppe zu. Bluttropfen färbten die Scherben. Verharrten jedoch wie rote Farbe darauf. Rion war die Verwunderung anzusehen. „Es heißt doch die Splitter ernähren sich vom Blut, so wie Komet es tut. Sie sollen Blut doch angeblich in sich aufsaugen“, gärte neue Hoffnung in ihm. Zögerlich trat er auf das zersplitterte Mosaikteilchen. Es knarrte und knackte unter seinem Stiefel. „Glas!“, rief er so erfreut aus, dass jeder daneben stehende ihn für Verwirrt erklärt hätte, „Das war nur ein Imitat…“. Das stellte ihn jedoch vor ein weiteres Problem. Wo war dann das Original? Heftig pustend ließ er den Blick schweifen. Es gab hier nichts außer des Bildes, der Säulen und des Bücherregals. Rion sträubte sich vehement gegen den Gedanken alle Regale absuchen zu müssen. Das würde ihm weitaus zu lange dauern. So viel Zeit hatte er nun auch wieder nicht. Nachdem er den Raum sowie das Bild ausgiebig untersucht hatte, schleppte er sich lustlos die Treppe zum Regal hinauf und begann alle Bücher durchzusehen. Die meisten hatten sich bereits selbst in Staub aufgelöst, andere zerfielen in seinen Fingern. Es gab ein unglaubliches Durcheinander loser, herumfliegender Zettel, Seiten und Hartcover. Es musste ewig her sein, dass diese Hallen zum letzten Mal betreten wurden. Nach gut einem Drittel der Bücher wurde er endlich fündig. In einem von ihnen entdeckte er beim Durchblättern ein doppelseitiges Abbild eines blassblauen Drachen, welcher eine blauviolette Flamme ausspie. Völlig gefangen von der real wirkenden Zeichnung fuhr Rions Zeigefinger über das Auge. Es war in der Tat ebenso Gefärbt wie die Flamme. Er musste zweimal, dreimal hinsehen. „Der Drache von Catas“, entzifferte er die stark verblasste Bildunterschrift mit einer Zeitangabe, welche von der wirklichen nur um gut zwanzig Jahre abwich. „Wieso sieht es dann so uralt aus?“, wunderte er sich, „Wo es doch ein neues Buch sein muss. Das ist kaum älter als ich“. Woraus er folgerte, dass es nicht allzu lange her war, dass jemand es hier her brachte. Das Auge fühlte sich seltsam an. Als wäre etwas hinter der Buchseite. Er schlug sie um, doch da war nichts als unleserlicher Text. Doch auch von der Rückseite fühlte man es. In ihm keimte ein Verdacht auf. Vorsichtig teilte er das Blatt mit Auras Hilfe. Es waren zwei zusammengeklebte Seiten. Zwischen ihnen, schimmerte es ihm bereits blauviolett entgegen. „Der Splitter“, erkannte er und vergas beinahe zu Atmen. Schnell löste er ihn heraus und wiederholte den Stiefeltest. Der Splitter zerbarst nicht unter ihm, er war völlig intakt. „Strike!“, jubelte er sich selber zu, warf die neue Errungenschaft in die Luft und fing ihn sicher wieder auf. Mit erfreuter Miene verstaute er ihn und blickte noch ein letztes Mal auf den wunderschönen Drachen im alten Buch. Er sah wahrhaftig echt aus, so als würde er atmen und man könne ihn spüren. Rion überlegte kurz, ob es vielleicht seine Seele sein könne, welche die Luft auf gespenstische Weise erfüllte. Dann klappte er es jedoch zu und stellte es zurück in das Regal. Nahm all sein Gebäck an sich und trat den beschwerlichen Rückweg durch die Kälte an. Es traf ihn gleich wie ein Schlag vor den Kopf. Der Sturm hatte an Intensität gewonnen. Der Abstieg war noch ein Stück weit beschwerlicher als der Aufstieg, zumal der Wind ihm nun sprichwörtlich in den Rücken fiel und ihn so manches Mal bis zum Abgrund drängte. Nur durch Mühe und Geschick gelang es ihm rasch aus dem Zentrum des Schneegestöbers zu fliehen. Müde und erschöpft erreichte er die Höhle. Rion ruhte sich dort einen Moment lang auf den unteren Stufen aus. Der Wind blies hier nur noch über seinen Kopf hinweg. Die Arme gewannen ihre gesunde Farbe zurück. Erleichtert und ein wenig erholter konnte er nun die Stufen hinabsteigen und sich durch die Felsspalte quetschen um zum Fuße des Berges zurück zu gelangen. Rion war mehr als bloß erleichtert. Es war ihm fast wie ein Wunder, dass er so gut wie unbeschadet diese Hölle in luftiger Höhe überlebt hat. Es war für ihn mehr als zufällig. Aber das Beste daran war, dass er es sich selbst zu verdanken hatte. Sich und seinem enormen Willen alles zu geben und alles erreichen zu können, was er nur wollte. Sein Körper wurde merklich ruhiger, die Luft war um einiges besser. Er konnte allem nur Gutes abgewinnen. Vielleicht machte ihn dies auch so stark für das Leben da draußen. „Vielleicht“, dachte er beiläufig und ein zufriedenes Grinsen huschte über seine trockenen Lippen. „Rion!“, brüllte plötzlich jemand hinter ihm und stieß somit einen Blitz durch seinen Körper. Geschockt fuhr dieser herum und vergaß zu antworten. Kurz darauf erblickte er Trench. Rion verzog das Gesicht: „Ach…sieh mal einer an“. „Ich hab nach dir gesucht“, musste dieser zugeben. „Was willst du von mir?“, fragte Rion mit einem leicht unfreundlichen Anflug. Trench keuchte: „Es tut mir ehrlich ganz dolle leid. Ich will nicht mit dir streiten. Bitte hilf mir, bitte lass mich hier nicht alleine. Nimm mich mit“. Rion verdrehte die Augen, stimmte jedoch zu. Er konnte diesen trotteligen, verwöhnten Adelsspross doch nicht hier draußen sich selbst überlassen. „Oh, dass werde ich dir niemals vergessen“, versicherte er ihm. Rion musste Grinsen: „Ja, sicher. Daran erinnere ich dich bei unserem nächsten Streit…“. Trench blickte betreten zu Boden: „Nun…es tut mir doch leid, was soll ich denn noch tun?“. „Aufhören zu heulen wäre ne Option, ich muss weiter“, entgegnete er Trench trocken und wandte sich bereits zum Gehen. „Ich hole mein Gepäck!“, rief Trench und schlug eine völlig andere Richtung ein, „Warte mal!“. Rion seufzte und kratzte sich ungläubig am Hinterkopf: „Kann doch nicht sein ernst sein oder? Ich dachte ich hätte die Mädels gar nicht dabei…“. Aufgrund seines leicht gemeinen Anflugs bekam er jedoch gleich wieder bessere Laune. Vielleicht war es gar nicht so schlecht Trench dabei zu haben. Er konnte sich zwar eine weit aus bessere Begleitung vorstellen, doch in der Not frisst der Teufel ja bekanntlich Fliegen. Also tat es auch dieser unverbesserliche Waschlappen, der ihn so ganz nebenbei ein wenig an eine eigenwillige Mischung aus Geroh und Rafahl erinnerte. Endlich kam auch Trench zurück und schulterte seine Habe. „Können wir dann, Hoheit?“, feixte Rion. „Ja doch…“, fühlte Trench sich gedrängt, „Sei doch nicht so ungemütlich“. „Der Kerl weiß doch gar nicht was wirklich ungemütlich ist“, dachte Rion sich, „Vielleicht sollte er mal Urlaub auf dem Gipfel des Bergkamms machen. Überlebenstraining und schicke Winterlandschaft inklusive. Dann weiß er was ungemütlich ist…“. „Wohin gehen wir eigentlich?“, erkundigte der sanfte Riese sich bei ihm. Rion musste erst mal seinen Gedanken abschütteln: „Äh…in die nächste Stadt würde ich sagen. Werde ich dann sehen, wenn ich davor stehe“. „Herrje…“, murmelte Trench, „Eigentlich müsste das die Drachenstadt sein, besser bekannt unter ihrem alten Namen, den die Weisen ihr gaben: Lossour. Es ist die unangefochtene Hauptstadt des Landes. Das wäre wirklich ein schönes Ziel“. So kämpften sie sich durch die windige Grasebene zurück in den Lebensfreundlicheren Nordwesten des Kontinents. Hosted by Animexx e.V. 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