Borderline von Selma ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Sam schreckte hoch, als diesmal jemand gegen die Tür klopfte. Er fühlte sich total gerädert. Zwar zeigte die Uhr kurz vor Zwölf, doch sein Schlaf war alles andere als erholsam gewesen. Sein letzter Albtraum lag schon ziemlich lange zurück, aber das, was er sich da jetzt zusammengeträumt hatte, war ziemlich strange gewesen. Vielleicht sollte er seinen Forscher bitten, das Spiel wechseln zu dürfen, denn wenn er schon begann davon zu träumen, war zumindest eine Pause angebracht. Über zwei Wochen lang immer das gleiche zu sehen, beeinflusste einen also doch schon so stark, das es sich durchaus in den Träumen widerspiegeln konnte. Es kam zu keinem weiteren Klopfen, so das Sam sich entschied, nicht zur Tür zu gehen, sondern liegen zu bleiben. Er blickte zu dem Schreibtisch. Vielleicht sollte er heute ausnahmsweise einen zweiten Bogen ausfüllen und seine Träume schildern. Doch nach reiflicher Überlegung verwarf er den Gedanken wieder. Nachher brachte ihm das auch noch zusätzliche Fragestunden ein, welche seine, eh schon knappe Freizeit weiter einschränkten. Stattdessen angelte er unter sein Bett. Zwischen Lattenrost und Matratze war ein kleines Büchlein eingeklemmt. Seine Schwester hatte es ihm geschenkt, bevor er zum Institut gegangen war. Er würde schon eine Verwendung dafür finden, hatte sie gemeint, als er ihr Geschenk verständnislos angesehen hatte. Wie Recht seine Schwester damit gehabt hatte, zeigte sich schon wenige Tage später, als er auf die Idee kam eine art ‚Buch der Besonderheiten’ zu führen. Tagebuch klang irgendwie zu Mädchenhaft. Noch einmal beugte sich Sam vor, um einen Stift vom Boden aufzulesen, dann schlug er eine freie Seite auf, und begann den Traum in das Buch nieder zu schreiben. Die Erinnerungen waren noch frisch, weshalb es ihm einfach fiel. Doch je mehr Zeit verstrich, desto schneller verblassten die Erinnerungen an den Traum. Nachdem Sam mit seinen Eintragungen fertig war, ließ er das Buch wieder unter dem Bett verschwinden. „Was Forscher nicht weiß, macht Forscher nicht heiß.“ Sam beschloss, das es das Beste war, wenn er kein weiteres Wort weder schriftlich noch verbal über den Traum verlor und suchte stattdessen die Duschzelle in seinem Zimmer auf. ## „Und, wie sieht’s aus?“ – „Fast fertig.“ – „Wird aber auch Zeit. Wir sind schon 2 Stunden über den Zeitplan. Die schieben langsam Forenrandale.“ Ein Stöhnen klang durch den Raum. „Haben die nichts Besseres zu tun? Rausgehen? Sich mal mit einem Buch, oder etwas anderem beschäftigen? Wenn’s dauert, dann dauert es halt.“ – „Lass bloß den Chef das nicht hören. Immerhin ist jeder dieser Leute ein zahlender Kunde.“ Ein erneutes Stöhnen. „Und? Das heißt noch lange nicht, das wir springen müssen, wenn die stressen …“ – „Reg dich ab, lasse Spamen. Wozu haben wir unsere Foren-GMs. Ein bisschen Arbeit hat noch nie jemandem geschadet.“ Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. „So das war’s. Server ist frei in 3, 2, 1…“ – „Ja?“ – „Mist.“ Ein Heulen klang durch den Raum. „Was ist denn das für ein Krach?“ – „Das ist R.E.X. und die Server lassen sich nicht frei schalten!“ – „Was?! Das kann nicht sein. Lass mal sehen…“ Heftiges Tastentippen hallte durch den großen Serverraum. ## Ekwin und Chino waren bereits eine ganze Weile wieder im Aufenthaltsraum. Nach dem Vorfall hatte es sie nicht mehr allzu lange bei den Wasserstellen gehalten. Während sie sich anzogen und in den Warteraum zurückgekehrt waren, versuchte der Knight immer noch Ekwins Erinnerungen zu wecken. Dazu erzählte er ihm aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit, von den vielen Abenteuern, die sie schon durchlebt hatten, von ihrem Kennen lernen, als ihre Lenker sie als Swordy und Thief zusammenführten. Den ersten gemeinsamen Dungeon, in dem sie fast gestorben waren, als ein anderer Lenker die Fähigkeiten seines kämpfenden Charakters überschätzt hatte, beim Einsammeln von Monstern. Doch sosehr es Ekwin auch versuchte, die Blockade wollte und wollte nicht brechen. Er war enttäuscht und verstand es nicht, warum sein Geist so bockig war und sich weigerte die verschlossene Vergangenheit wieder frei zu geben. Ohne jegliche Vorwarnung veränderte sich plötzlich das Licht. Nun lag ein leicht orangener Ton darin, der rasch an Intensität gewann. Zeitgleich verstummten die Gespräche im Raum. Getränke wurden abgestellt, Stühle gerückt und es huschten noch schnell Kämpfer aus der Umkleidekabine zurück in die Lounge. Verwirrt über die aufkommende Aktivität, blickte Ekwin reihum. Was war denn jetzt in die alle gefahren? Warum machten sich jetzt alle Reisefertig? Vor der Tür ohne Ausgang, durch die Ekwin vor einigen Stunden in den Raum gestolpert war, versammelten sich nun alle anderen Abenteurer. Die Fläche im Rahmen war immer noch finsterstes Schwarz. Geduldig wurde gewartet, aber auf was? „Hey Ekwin. Machst du dich nicht auch bereit?“ – „Bereit? Für was?“ Erst jetzt bemerkte er, das Chino sich ebenfalls erhoben hatte und einige Schritte in Richtung der Schwarzen Tür machte, bevor er stehen blieb, und sich zu ihm umwandte. „Na darauf, dass dich gleich die Lenker wieder in Gefechte um unser Königreich führen können. Sicher wird es nicht mehr lange dauern, bis sich die Tür öffnet und dann kehren wir dahin zurück, wo wir hergekommen sind und warten dann darauf, das sie uns holen kommen und uns zu unseren Kämpfen bringen.“ Das Licht dämmerte weiter herab, wurde rot und erwartungsvolles Murmeln breitete sich unter den Leuten aus. Ekwin war überrascht, wie viele es doch waren, und noch immer wurden es mehr. Sie standen schon bis kurz vor dem Umkleideraum, und einige rückten schon Stühle zur Seite, um noch mehr Platz zu schaffen. Ekwin erhob sich und trat zu Chino. „Sag mal, wie viele sind das eigentlich?“ – „Keine Ahnung.“ Er zuckte mit den Schultern, so das seine Rüstung kurz klirrte. „Ein paar Hundert dürfen es wohl schon sein. Ich habe mal gehört, das es wohl noch ein paar andere ‚Aufenthaltsräume’ geben soll. Nur bisher war ich immer nur in diesem hier. Es gibt die Theorie, das wir zugewiesene Räume haben die unabänderlich sind. Warum das so ist… Ich habe keine Ahnung, aber ehrlich gesagt habe ich mir bisher darüber noch nie Gedanken gemacht.“ Dunkelrotes Licht tauchte die Szenerie im Raum in seine Farben. Die Stimmung änderte sich. Erst war es nur ein Flüstern, doch dann wurde es lauter. „Warum öffnet sich der Zugang nicht?“ ## Etwa zehn Minuten waren vergangen, seitdem Sam den Raum aufgesucht hatte, wo er seine ‚Spielzeit’, also die Testeinheit, verbrachte. Es einen richtigen Raum zu nennen war eigentlich schon eine Adelung für diese Abstellkammer. Sie war grade mal groß genug, das ein Schreibtisch mit einem PC und einem Stuhl hineinpasste. Es gab keine Fenster, so das man dort auf künstliche Lichtquellen angewiesen war. Das Licht der nackten Glühbirne wurde von weißen Wänden reflektiert und vom grauen Lenoliumboden verschluckt. Oben in der Decke gab es noch Schlitze für eine Lüftung. Der kahle Raum sorgte immer wieder dafür, das Sam ein kalter Schauer über den Rücken lief, obwohl die Lüftung beständig angewärmte Luft hinein blies. Was hier an der Ausstattung gespart worden war, machte der Rechner jedoch wieder wett. Eine echte Powerkiste. Sam hatte sich auf dem Drehstuhl niedergelassen und kaute auf seinem Brötchen herum, welches er sich auf dem Weg hierher in der Kantine besorgt hatte. Sein Blick fiel auf den Monitor. Der Rechner war noch nicht eingeschaltet. Von seinem Standpunkt aus, konnte Sam das leider aber nicht. Blöderweise konnten die PCs nur von den Forschern gestartet werden, aus einem Raum, den er nicht betreten konnte. Neustarten, Runterfahren und einige andere, begrenzt freigegebene, Funktionen konnte Sam von seinem Platz aus durchführen, mehr aber auch nicht. Nachdem Sam mit Essen fertig war, und der PC sich immer noch nicht muckte, wurde er schon etwas unruhig. So etwas war zuvor noch nie vorgekommen, dabei hatte er sich doch beim Betreten des Raumes ordnungsgemäß durch einen Taste am Eingang, bei der Zentrale angemeldet, so das die wussten, das sich ein Probant im Zimmer befand. Über dem Flatscreen-Monitor hing zwar noch ein Headset, aber im Moment nutzte ihm das Ding herzlich wenig, da es nur dann funktionierte, wenn der Rechner lief. Er lehnte sich zurück und starrte mit zusammengekniffenen Augen zur Decke. Er war sich unschlüssig, was er jetzt unternehmen sollte. Schließlich seufzte Sam. Vielleicht lief das Teil ja nachher, wenn wer vom Automaten zurückkam. Es machte keinen großen Unterschied, ob er jetzt hier wartete, oder die Zeit nutzte, um sich etwas zu trinken zu holen. Als Sam sich erhob, schoss ihm ein stechender Schmerz durch den Nacken, der aber genauso rasch wieder abklang, wie er gekommen war. Trotzdem verzog er das Gesicht. Das hatte ihm grade noch gefehlt. Er griff sich hinten an den Hals. Vielleicht sollte er diese ‚Forscher’ mal nach einem vernünftigen Stuhl bitten. Dieser hier sorgte wohl dafür, das er nicht richtig saß, und sich dadurch alles in seinem Nacken verspannte. Er verließ das Zimmer in Gedanken, ohne zu merken, das der Rechner den Startvorgang eingeleitet hatte. ## Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)